Nr. 23 - September / Oktober 2009

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Frankreich Heute Politik Kabinettsumbildung Wieder ein Mitterrand im Elysée-Palast Mit der letzten Kabinettsumbildung landete Nicolas Sarkozy wieder einmal einen politischen Coup. Denn seither ist der Neffe des ehemaligen sozialistischen Präsidenten François Mitterrand neuer Kulturminister in der derzeitigen konservativen Regierung. Wieder ein Mitterrand im Elysée-Palast, wenn auch nur bei den wöchentlichen Kabinettssitzungen. Der Höhepunkt einer beeindruckenden Karriere für einen außergewöhnlich begabten Politiker. Oft hält man Frédéric Mitterrand das vor, wofür er am wenigsten kann: seinen Namen. Ein Name, der ihm anhaftet wie Pech. Für seine Kritiker ist klar, dass allein er es ist, der Mitterrand die Türen öffnet. Mitterrands Verteidiger wiederum erzählen, dass sich der Politiker am liebsten mit dem Vornamen vorstellt, um sich nicht sofort erkennen geben zu müssen. Eine delikate Angelegenheit, wenn man der Neffe des ehemaligen Präsidenten der Französischen Republik ist, noch dazu eines so charismatischen wie François Mitterrand. Wenn Frédéric Mitterrand heute im Elysée-Palast aus- und eingeht, wird er sich gewiss an die Zeiten erinnern, als er hier noch seinen Onkel besuchte. Doch das ist lange her. Heute betritt er den Palast der Republik nicht mehr als Besucher. Heute ist er hier, um zu arbeiten – und steht unter dem Druck, sich als Frédéric Mitterrand einen Namen machen zu müssen. Dieser Mann ist kein typischer Politiker. Ist er überhaupt einer? So ganz klar ist das nicht. Frédéric Mitterrand war schon so ziemlich alles, was man im Kulturbetrieb werden kann. Filmkritiker, Kinobetreiber, Fernsehmoderator, Kolumnist, Chef eines Fernsehsenders und schließlich Direktor der französischen Akademie in Rom, der hoch angesehenen Villa Medicis. Eine Biographie, die doch ziemlich weit entfernt ist von den üblichen Karriereschritten im Lebenslauf eines französischen Berufspolitikers. Der neue Kulturminister gilt als höflich, warmherzig und charmant, 76 · Frankreich erleben · September / Oktober 2009
er ist für seine Lachsalven berühmt. Genauso wie für sein kurios betontes « Bonsoir! », das er Frankreich entgegenposaunte, wenn er seine Sendung « Etoiles et Toiles » eröffnete. Ein Beispiel unter vielen für seine Mischung aus umwerfender Höflichkeit und dem Willen, Konventionen umzustoßen und etablierte Normen zu brechen. Nie hat Frédéric Mitterrand die Dinge getan, wie andere sie tun. Hätte er den Lebensweg verfolgt, wie er ihm als Spross der französischen Großbourgeoisie vorgezeichnet war, hätte er sicherlich eine standesgemäße Ehe geschlossen und wäre heute ein etablierter hoher Staatsbeamter oder Unternehmenschef. Dabei sah alles danach aus, dass sein Leben genau so verlaufen würde. Er absolvierte mit Auszeichnung das Lycée Janson de Sailly, eines der renommiertesten Gymnasien der Hauptstadt, studierte dann Geschichte in Nanterre und schloss am prestigeträchtigen Institut des Sciences Politiques mit einem Diplom ab. Das weitere Leben schien vorgezeichnet. Aber Frédéric Mitterrand ging einen anderen Weg. Er wuchs zwar in einem Umfeld auf, das genauso konservativ war wie das damalige Frankreich, versteckte aber seine Homosexualität nicht, sondern bekannte sich offen zu ihr. Das erlaubte ihm, spielerisch mit seiner Sexualität umzugehen und seine Kritiker in ihren Widersprüchen zu diesem Thema bloßzustellen. Dadurch wurde Frédéric Mitterrand zu einem kultivierten und brillianten Dandy im besten Sinne des Wortes, der in der Pariser Gesellschaft ein gern gesehener Gast war. In den 1970er-Jahren wurde er auf ein kleines, verstecktes Kino im 14. Pariser Arrondissement aufmerksam, das Cinéma Olympic. Er übernahm die Leitung und machte daraus einen der wichtigsten Cineasten-Treffpunkte der Hauptstadt, in dessen angrenzendem Restaurant bald das Who’s who der 7ème Art verkehrte. Dort wurden die wichtigen Gespräche geführt, dort wurden die entscheidenden Kontakte geknüpft. Der Erfolg des Olympic mündete in der Gründung einer ganzen Kinokette. Die wurde allerdings für Frédéric Mitterrand zu einer persönlichen Niederlage. Hoch verschuldet brauchte er Jahre, um sich von diesem Abenteuer wieder zu erholen. Es war aber auch die Zeit, in der er Kontakte zu wichtigen Förderern knüpfte, und in der er lernte, seinen Willen durchzusetzen, um tun zu können, was ihm gefällt. Es folgten die Jahre im Fernsehen. Mitterrand avancierte zu einem beliebten Moderator, dessen besonderes Markenzeichen das Interview wurde. Er verstand es, seinem Gegenüber eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Intimität eines tieferen Gespräches entfalten konnte. Vor allem ließ er seinen Gästen Zeit, sich auszudrücken. Seine nächtliche Gesprächssendung « Du côté de chez Fred » (1988-1991) hatte damit großen Erfolg. Wieder machte Mitterrand die Dinge anders, als man es erwartete. Einmal erhielt er bei der jährlichen Verleihung der « 7 d’Or de la Télévision », dem französischen Fernsehpreis, eine der begehrten Auszeichnungen. Er aber stellte den Preis auf den Boden der Bühne, griff das Mikrofon und sagte, er habe den Preis gerade dorthin gestellt, wo das öffentliche Fernsehen seiner Meinung nach angekommen sei: auf dem untersten Niveau. Im Publikum atemlose Stille. Doch später erkannten alle an, dass er der einzige gewesen war, der es gewagt hatte, öffentlich Kritik zu üben. Wenn auch Frédéric Mitterrand gerne provoziert und mit seiner Leichtigkeit und seinem häufigen Lachen lockerer wirkt als viele andere französische Politiker, so ist er doch gewiss kein oberflächlicher Mensch. Hinter dieser Person verbirgt sich ein sensibler Mensch. 2005 veröffentlichte er die Biographie « La mauvaise vie » (dt. Das schlechte Leben), in der einem ein vom Leben enttäuschter Frédéric Mitterrand begegnet. Ein Mann, « … der sich über sein vergangenes Leben beugte. Ein schlechtes Leben, das ganz anders war, als seine noble Herkunft vermuten ließ. » Das vieldiskutierte Buch ist mutig und sehr persönlich. Mitterrand offenbart darin sein Liebesleben und die schwierige Suche nach erotischer Erfüllung. Die bewegenden Bekenntnisse berührten bei Erscheinen die ganze Nation. Heute nun wird Frédéric Mitterrand Kulturminister unter Nicolas Sarkozy. Die Leute, die immer dachten, er sei mehr als « Frédéric », werden sich wohl bestätigt fühlen. Mitterrand wird sich beweisen müssen und es ist zu erwarten, dass der impulsive Politiker die Herausforderung mit Freuden annimmt. Übrigens, während ganz Frankreich seinen berühmten Onkel « Tonton » (dt. Onkelchen) nannte, tat Frédéric Mitterrand das als Einziger nicht. Schon damals machte er die Dinge anders, als die anderen. Frankreich erleben · September / Oktober 2009 · 77
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