Nr. 23 - September / Oktober 2009
Nîmes: Römische Baudenkmäler und mediterrane Lebensfreude Périgord: auf den Spuren von Jacquou le Croquant Normandie: Abbaye de Jumièges Ardèche: ein Departement voller Überraschungen Rezept: Baba au rhum Versailles: Berufe mit Tradition in historischen Mauern
Nîmes: Römische Baudenkmäler und mediterrane Lebensfreude
Périgord: auf den Spuren von Jacquou le Croquant
Normandie: Abbaye de Jumièges
Ardèche: ein Departement voller Überraschungen
Rezept: Baba au rhum
Versailles: Berufe mit Tradition in historischen Mauern
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Frankreich heute Versailles<br />
sind ohnehin ausschließlich Maßanfertigungen.<br />
Um an die Uhren zu gelangen, muss der<br />
Uhrmacher oft erst andere wertvolle und<br />
zerbrechliche Dekorationsgegenstände beiseiteräumen.<br />
Manchmal muss er fast in das<br />
Uhrenwerk hineinkriechen, so groß sind einige<br />
Pendeluhren. Seine Arbeit ist alles andere<br />
als geruhsam. Dafür sorgen schon die vielen<br />
Kilometer, die er während seiner Rundtour<br />
durch die Räume des Schlosses zurücklegt.<br />
Außerdem darf er trotz der körperlichen<br />
Anstrengungen niemals seine ruhige Hand<br />
verlieren. Volle Konzentration ist jederzeit<br />
unerlässlich. Seine Handgriffe an den Uhren<br />
erinnern schließlich an chirurgische Eingriffe.<br />
Eine mühsame Präzisionsarbeit.<br />
Bernard Draux kennt sich mit herrschaftlichen<br />
Anwesen bestens aus. Neben Versailles<br />
kümmert er sich ebenfalls um den Senat und<br />
den Justizpalast in Paris, weitere Orte mit<br />
alten ehrwürdigen Pendeluhren. In seinem<br />
Metier muss er Monotonie ohnehin nicht<br />
fürchten: Jede Uhr ist ein Unikat, im Falle<br />
von Versailles meist persönlich vom König<br />
bei renommierten Uhrmachern bestellt. Und<br />
Gebrauchsanweisungen für die Uhren gibt es<br />
nicht. Viele Pendeluhren verraten ihre exakte<br />
Funktionsweise erst bei einer Reparatur,<br />
wenn sich der Uhrmacher das Innere genauer<br />
vornehmen muss.<br />
Oft verlässt Bernard Draux die Räume des<br />
Schlosses durch kleine versteckte Türen, die<br />
für Besucher verschlossen bleiben. Er wandelt<br />
dann beispielsweise in den Gängen, die der<br />
König und die Königin nahmen, um sich zu<br />
treffen, oder die für die Dienerinnen und Diener<br />
vorgesehen waren.<br />
Auf seiner wöchentlichen Tour durch das<br />
Schloss vergisst der einsame Herr der Zeit<br />
niemals einen kleinen Raum mit harmonischen<br />
Proportionen. Es handelt sich um das<br />
Badezimmer der Königin. Auf dem Kamin<br />
thront eine kleine Pendeluhr. Dieser Raum<br />
ist normalerweise nicht für die Öffentlichkeit<br />
zugänglich. Es gibt eigentlich keinen Grund,<br />
die Pendeluhr jede Woche neu aufzuziehen.<br />
Dennoch lässt Bernard Draux dieses Zimmer<br />
niemals aus. Wenn man ihn nach dem Grund<br />
fragt, antwortet er mit einem Schmunzeln:<br />
« Wenn man daran denkt, dass die Königin<br />
auf diese Uhr schaute, wenn sie ihr Bad nahm,<br />
muss man diese Uhr doch geradezu aufziehen,<br />
oder? Selbst wenn heute kaum jemand mehr in<br />
diesen Raum kommt, sind wir ihr das einfach<br />
schuldig. »<br />
Die Museumswärterin:<br />
alles andere als eine<br />
missmutige Aufpasserin<br />
Eines mag Isabelle Penicaut gar nicht:<br />
Wenn man sie als Museumswärterin bezeichnet.<br />
Geschieht dies, so stimmt sie das<br />
immer sehr traurig. Denn das Image von<br />
Museumswärtern ist in Frankreich – wie anderswo<br />
auf der Welt – nicht gerade schmeichelhaft.<br />
Gleich hat man das Bild von Menschen<br />
in Uniform im Kopf, die stundenlang<br />
fast regungslos auf Stühlen sitzen oder in<br />
der Ecke eines Raumes verharren und die<br />
Besucher missmutig und manchmal auch<br />
herablassend begutachten. Nur selten öffnen<br />
sie ihren Mund oder verziehen eine Miene.<br />
Man muss Isabelle Penicaut nur kurz<br />
beobachten, um zu merken, dass sie ganz<br />
und gar nicht diesem Klischee entspricht.<br />
Zunächst ist diese junge Frau, die lange<br />
Zeit als Chefassistentin in den USA und<br />
den Vereinigten Arabischen Emiraten tätig<br />
war, eine elegante Dame, die eher an Carla<br />
Bruni als an eine typische Museumswärterin<br />
erinnert. Außerdem liebt sie ihren Job<br />
leidenschaftlich und sieht darin keinen bloßen<br />
Zeitvertreib, für den man bezahlt wird.<br />
Sie geht in ihrer Arbeit auf. « Es ist schade,<br />
dass so viele Besucher immer noch so ein<br />
schlechtes Bild von uns haben », beklagt sie<br />
sich. « Dabei werden wir in Versailles nach<br />
modernen Kriterien ausgesucht: Wir müssen<br />
mehrere Fremdsprachen beherrschen,<br />
über gute Fachkenntnisse verfügen und reaktionsschnell<br />
sein. »<br />
Isabelle Penicaut kann viel über die Besucher<br />
des Schlosses erzählen, selbst wenn<br />
Oben: Isabelle<br />
Penicaut kennt das<br />
Schloss wie ihre eigene<br />
Westentasche. Eines<br />
Tages entdeckte<br />
sie eine vergoldete<br />
Schnecke in einem<br />
Bilderrahmen.<br />
Rechts Seite: Auch in<br />
Versailles geschehen<br />
alltägliche Dinge,<br />
wie das Putzen der<br />
Räume und Fenster.<br />
68 · Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong>