Kulturschock Damen im Restaurant Meine erste Reise nach Paris. Eine Hausfrau aus der norddeutschen Provinz mitten im Pariser Chic. Seit drei Tagen laufe ich mir die Füße platt und komme aus dem Staunen nicht heraus. Heute nun bin ich mit meinem lieben Freund Antoine, einem Franzosen, in einem Restaurant verabredet. Während unseres Gesprächs kann ich es mir nicht verkneifen, die Frauen um uns herum zu mustern. Sie sind alle so elegant und sorgfältig nach der neuesten Mode gekleidet, irgendwie so … französisch. Da komme ich mir fast ein bisschen plump vor. Und dann haben sie dieses schöne brünette Haar. Ich finde es ungerecht, dass die Französinnen, die sowieso schon durch ihre reiche Kultur begünstigt sind, sich auch noch solch toller Haare erfreuen können. Mein Straßenköterblond kann da definitiv nicht mithalten. Am Nachbartisch sitzt eine Frau, die auf ihre Begleitung zu warten scheint. Immer wieder schaut sie ungeduldig auf die Uhr. Schließlich zieht sie missmutig ihr Schminktäschchen heraus und prüft ihr Make-up. Dann aber verschlucke ich mich beinahe. Die Dame betrachtet sich nicht nur im Spiegelchen, nein, sie beginnt auch noch, sich in aller Seelenruhe und vor allen Leuten zu schminken. Zieht sorgfältig die Augenbrauen nach, erneuert ihren Lippenstift, prüft den Sitz ihrer Haare. Ich bin entsetzt. Bei uns verschwindet man geflissentlich auf die Toilette, um sich aufzuhübschen. Hier in der Welthauptstadt der Mode gehen die Frauen offenbar weniger diskret damit um. Dabei sind die Französinnen doch so formvollendet! Ich sehe manche Herren, die der Dame beim Betreten des Restaurants die Tür aufhalten, was diese mit einer Selbstverständlichkeit annimmt, die echten Stil hat. Dafür sind die Französinnen beim Essen nicht sonderlich zimperlich. Ich sehe viele Frauen, die ein Steak verzehren. Erstaunlich. Bei meinen Freundinnen zu Hause ist das Fleischessen eher verpönt – wer etwas auf sich hält, isst höchstens mal eine leicht gebratene Hühnerbrust. Als ich meinem Freund Antoine von der Verwunderung erzähle, verweist er auf ein anderes Phänomen. « Das mag ja sein, » sagt er, « aber dafür tun französische Frauen etwas nicht, was ich bei Euch schon oft gesehen habe: Französische Frauen rauchen so gut wie nie auf der Straße. Und was sie schon überhaupt nicht tun würden, ist im Gehen aus einer Bierflasche zu trinken. » Belustigt erzählt er mir, wie seiner Mutter während eines Deutschlandaufenthalts einmal eine Flasche Bier serviert wurde. Ohne Glas. « Aus Kneipen mag man das ja kennen, aber im Restaurant? Den fassungslosen Blick meiner Mutter hättest Du sehen sollen », lacht er. Sie waren in ein angesagtes Restaurant geraten, wo die Leute das Bier nur aus Flaschen tranken. Ich kann Antoine aber beruhigen – das ist auch in deutschen Restaurants eine Seltenheit. Später sehe ich durchs Fenster eine mondäne Frau in einem Cabriolet vorfahren. Die Dame hat Glück, es gibt einen Parkplatz vor dem Restaurant. Würdevoll beginnt sie das Einparkmanöver und rammt den Wagen hinter wie vor ihr, um sich in der Parklücke Platz zu verschaffen. Wahrlich rabiat. Dann steigt sie aus, betritt hoheitsvoll das Restaurant und nimmt an einem Tisch am Fenster Platz. Ich kann gut hören, wie sie die Bestellung aufgibt. Mit energischer Stimme verlangt sie eine Vorspeise, eine große Hauptspeise, dazu eine Karaffe Wein und Wasser. Sie isst zügig und konzentriert, auch dabei die Würde in Person. Der Flusskrebs, der ihr serviert wird, darf sich glücklich schätzen, von solch einer Autorität verspeist zu werden. Als wir bezahlen möchten, gibt der Kellner ganz selbstverständlich die Rechnung an Antoine. Der zückt auch prompt die Brieftasche und wehrt meine Frage nach der Summe energisch ab: « Ich bitte Dich … ! » Ich lerne: Frauen bezahlen nicht im Restaurant. Jedenfalls nicht, wenn sie in männlicher Begleitung sind. Dann zahlt der Mann, egal ob er mit seiner Geliebten, seiner Großtante oder mit einer Kollegin speist. Der emanzipatorische Teil in mir rebelliert ein bisschen gegen diese Regel, aber dann will ich mich doch lieber den hiesigen Sitten anpassen. Schließlich bin ich zu Gast in Frankreich. Die Dame am Nebentisch hat den halben Liter Wein mittlerweile geleert. Keine Stunde hat das Mahl gedauert. Sie erhebt sich, verlässt erhobenen Hauptes das Restaurant, steigt in ihr Auto und fährt davon. Was für eine Erscheinung. Paris ist anders, irgendwie besonders. Und die Frauen in dieser Stadt sowieso. Die Zeichnung in der letzten Ausgabe war eine Reminiszenz an ein Werk von Ramon Casas aus dem Jahre 1897, das heute im Museum der Modernen Kunst in Barcelona zu sehen ist. Und dieses Mal? 64 · Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong>
Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong> · 65