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Nr. 71 - Sommer 2019

Normandie: an Bord der Marité von Granville zu den Chausey-Insel Alpen: Évian: das Gedächtnis des Wassers Morvan: eine Geschichte von Ammen und Pflegekindern Baskenland: Château d'Abbadia, eine Inspiration für den Wiederaufbau von Notre-Dame? Heinz Stahlschmidt: der Deutsche, der den Hafen von Bordeaux rettete Chantals Rezept: le gâteau basque

Normandie: an Bord der Marité von Granville zu den Chausey-Insel
Alpen: Évian: das Gedächtnis des Wassers
Morvan: eine Geschichte von Ammen und Pflegekindern
Baskenland: Château d'Abbadia, eine Inspiration für den Wiederaufbau von Notre-Dame?
Heinz Stahlschmidt: der Deutsche, der den Hafen von Bordeaux rettete
Chantals Rezept: le gâteau basque

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UNTERWEGS IN FRANKREICH Baskenland<br />

Zu den zahlreichen<br />

Kuriositäten des<br />

Schlosses gehören die<br />

vielen Tiere, die Violletle-Duc<br />

kreierte, sowie<br />

die Löcher, die Antoine<br />

d‘Abbadie in die Wände<br />

des Gebäudes bohren<br />

ließ und mit denen er<br />

ein riesiges Teleskop<br />

schaffen wollte.<br />

geprägte Antoine d’Abbadie betrachtete diesen Jungen jedoch niemals als seinen Sklaven, sondern<br />

eher als seinen Schützling, wenn nicht gar als spirituellen Sohn. Die Art, wie er ihn darstellen<br />

ließ – in Form einer hölzernen Statue an einer Ehrentreppe des Schlosses – drückt dies im Übrigen<br />

klar und deutlich aus: Gegenüber den riesigen Fresken von Antoines Ahnen steht Abdullah<br />

aufrecht und trägt mit ausgestrecktem Arm stolz ein Licht, welches den Besuchern den Weg zu<br />

weisen scheint. Virginie d’Abbadie (geborene Vincent de Saint-Bonnet) stammte ihrerseits aus<br />

einer elitären aristokratischen Familie. Sie erschien äußerlich zurückhaltender als ihr Mann – so<br />

wie es sich damals in der französischen Gesellschaft gehörte –, verstand es jedoch durchaus, sich<br />

während des Baus des Schlosses durchzusetzen und die Arbeiten zu überwachen. Bauarbeiten, die<br />

den Mitteln und Ambitionen des Paares entsprachen!<br />

Virginie und Antoine d’Abbadie lebten in einem vornehmen Pariser Stadtviertel und waren<br />

– wie damals in der Bourgeoisie üblich – auf der Suche nach einem schönen Zweitwohnsitz für<br />

regelmäßige Aufenthalte alleine oder mit Freunden. Antoine, dessen Familie aus dem Baskenland<br />

stammte, kaufte dort mehrere Immobilien, bevor er beschloss, auf einem ideal gelegenen<br />

Grundstück direkt am Meer das gewünschte Gebäude selbst bauen zu lassen. Die Grundsteinlegung<br />

für Château d‘Abbadia erfolgte am 30. Januar 1864. Nur drei Monate später zog sich der<br />

mit dem Bau beauftragte Architekt von dieser Aufgabe zurück, da er sich der Umsetzung der<br />

Wünsche des begüterten Paares nicht gewachsen fühlte. Zugegebenermaßen waren die Vorstellungen<br />

der beiden etwas « verrückt » und gingen weit über ein « normales » Domizil hinaus: Es<br />

sollte sowohl zum Wohnen als auch für Empfänge dienen, einen religiösen Charakter haben<br />

– die Pläne enthielten auch eine Kapelle – und vor allem als Arbeitsplatz für Antoine d’Abbadie<br />

geeignet sein. Dieser wollte sich dort mit allem einrichten, was er für seine wissenschaftlichen<br />

Arbeiten – insbesondere in den Bereichen Physik und Astronomie – benötigte. Noch heute erhält<br />

man aufgrund eines Details, das trotz mehrerer Restaurationen nach wie vor vorhanden ist, eine<br />

Vorstellung von dieser Maßlosigkeit: Antoine d’Abbadie wollte nämlich aus seinem Wohnsitz<br />

eine Art riesiges Teleskop machen, um das Phänomen der atmosphärischen Refraktion zu untersuchen.<br />

Dafür ließ er eine ganze Reihe von Löchern auf einer geraden Linie in die Innen- und<br />

Außenwände bohren. Dies war allerdings ein offensichtlicher Misserfolg, zu dem der Wissenschaftler<br />

jedoch voll und ganz und nicht ohne Humor stand, indem er um das letzte Loch, das in<br />

den äußeren Vorhof zeigt, ein Motto in baskischer Sprache gravieren ließ: Ez ikusi, ez ikasi (« Ich<br />

habe nichts gesehen, ich habe nichts gelernt ») gravieren ließ.<br />

Der Zufall wollte es, dass Antoine d’Abbadie im März 1864, kurz vor dem Rückzug des ursprünglichen<br />

Architekten, in Paris die Bekanntschaft von Eugène Viollet-le-Duc machte. Dieser<br />

war nicht nur durch die Restaurierung renommierter mittelalterlicher<br />

Monumente wie Vézelay, Carcassonne und Amiens bekannt geworden,<br />

sondern vor allem auch durch die neue Turmspitze, mit der er 1859<br />

die Kathedrale Notre-Dame de Paris ausgestattet hatte, nachdem die<br />

ursprüngliche, 1220 errichtete Spitze Ende des 18. Jahrhunderts demontiert<br />

worden war. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb.<br />

Nicht nur, dass beide ein Faible für den neugotischen Stil<br />

hatten, es war zudem unschwer zu erkennen, dass sie vom selben<br />

Hang zur « Verrücktheit » angetrieben wurden. Es lag daher<br />

nahe, dass Antoine d’Abbadie Viollet-le-Duc für die Realisierung<br />

seines geplanten Schlosses gewinnen wollte. Viollet-le-Duc<br />

war für ein solch exzessives Projekt durchaus empfänglich, da<br />

er darin vermutlich die Möglichkeit sah, seine Vorstellungen<br />

endlich einmal frei verwirklichen zu können. Obwohl der<br />

Architekt am Höhepunkt seiner Karriere stand und sich<br />

vor Arbeit kaum retten konnte, nahm er den zusätzlichen<br />

Auftrag im April 1864 an. Da er dem Bau nicht seine<br />

ganze Zeit widmen konnte, stellte er dafür den treuesten<br />

seiner Mitarbeiter ab: Edmond Duthoit. Es traf sich<br />

gut, dass dieser bereits in Syrien und Palästina<br />

gewesen war und eine Vorliebe für den Orient<br />

hatte … Er sollte sich daher sehr gut mit<br />

66 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong>

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