UNTERWEGS IN FRANKREICH Baskenland Die Porträts von Virginie und Antoine d’Abbadie (oben) sowie von Eugène Viollet-le-Duc und Edmond Duthoit (unten). Rechts: Details im Inneren des Château d‘Abbadia, u. a. die Statue mit den Gesichtszügen von Viollet-le-Duc sowie die Statue von Abdullah (von hinten), der die Lampe trägt. Die kleine vergoldete Statue wirkt ganz diskret. Zweifellos ist man lange Zeit an ihr vorbeigegangen, ohne sie wirklich zu beachten. Sie befindet sich im hinteren Teil der Kapelle des Château d‘Abbadia und stellt einen alten, bärtigen Mann in einer kauernden Position dar, auf dessen Schultern das ganze Gewicht eines Teils des Kapellengewölbes zu lasten scheint. « Vermutlich die Darstellung eines Heiligen », ist man versucht zu denken. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass die Gesichtszüge denen einer anderen, viel größeren Statue aus Bronze ähnlich sehen, die in Frankreich in den letzten Wochen in aller Munde war. Es handelt sich dabei um eine der insgesamt sechzehn Statuen der Kathedrale Notre-Dame de Paris, die auf wunderbare Weise ganz knapp von dem schrecklichen Brand verschont blieben, weil sie nur fünf Tage vor dem Drama für die Restaurierung abgebaut wurden. Die Ähnlichkeit der Gesichter der beiden Statuen, von denen wir sprechen, ist kein Zufall, sondern beruht auf der Tatsache, dass sie ein und dieselbe Person darstellen: den berühmten französischen Architekten Eugène Viollet-le-Duc, der im 19. Jahrhundert an der Restaurierung so berühmter Bauwerke wie der Basilika von Vézelay, der Cité de Carcassonne und der Kathedrale Notre-Dame de Paris beteiligt war. Daneben errichtete er einige wenige private Gebäude, so auch das Château d‘Abbadia. Viollet-le-Duc war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und oft zu Späßen aufgelegt. Manchmal « signierte » er seine Arbeit, indem er eine mehr oder weniger diskrete Darstellung seiner selbst im entsprechenden Bauwerk hinterließ: meisterhaft dargestellt am Fuße seines berühmtesten Werkes, der eingestürzten Turmspitze von Notre- Dame, den Blick gen Himmel gerichtet, in der Hand einen Maßstab, auf dem die Inschrift non amplius dubito (« Ich zweifle nicht mehr ») zu lesen ist; oder etwas bescheidener in der Kapelle von Château d‘Abbadia, wo er ein Buch mit den Initialen « ED » an sich drückt. Diese Initialen sind die seines Mitarbeiters und treuen Helfers Edmond Duthoit (1837 – 1889), der viel zum Bau dieses Schlosses beitrug. Ein Schloss, dessen Besichtigung seit dem Brand von Notre-Dame eine ganz andere Bedeutung bekommen hat … Ein Besuch von Château d‘Abbadia bietet die seltene Gelegenheit, tief in die Welt von Viollet-le-Duc einzutauchen. Man kennt ihn als Menschen, der sein ganzes Leben lang französische Kulturgüter restaurierte und sie gleichzeitig veränderte. « Ein Gebäude zu restaurieren, bedeutet nicht, es zu unterhalten, zu reparieren oder instand zu setzen, sondern es so wiederherzustellen, wie es zuvor vielleicht niemals existiert hat », liebte er zu sagen. Eine Freiheit, die er auf seinen Baustellen zwar gerne genutzt hätte, der im Rahmen von öffentlichen Restaurierungsaufträgen jedoch unweigerlich Grenzen gesetzt waren. Im Schloss Abbadia entdeckt man dagegen einen Viollet-le-Duc, der offensichtlich keinerlei Zwängen unterworfen war. Er hatte nicht nur die Freiheit, etwas zu erbauen – nicht nur zu restaurieren –, sondern war darüber hinaus quasi keinen finanziellen Einschränkungen unterworfen, da die Auftraggeber, Antoine und Virginie d‘Abbadie, das notwendige Kapital zur Verfügung stellten. Bei dieser Gelegenheit versteht man das Werk desjenigen, der bis dato immerhin als der wichtigste Restaurator von Notre-Dame gilt, besser. Kommen wir zunächst auf die Auftraggeber von Château d‘Abbadia zurück, ein nicht nur wohlhabendes, sondern vor allem erstaunliches Paar! Antoine d’Abbadie war eine echte Persönlichkeit. Der Sohn eines reichen Händlers beherrschte am Ende seines Lebens immerhin 14 Fremdsprachen. Man muss wissen, dass er sehr viel reiste und beispielsweise auf der Suche nach den Quellen des Nils elf Jahre in Abessinien (dem heutigen Ägypten) verbrachte. Von diesem Aufenthalt brachte er nicht nur eine besondere Vorliebe für alles Orientalische mit – was im 19. Jahrhundert sehr in Mode war und wovon heute noch die Innenausstattung des Schlosses zeugt –, sondern auch einen zwölfjährigen Jungen namens Abdullah, den er « geschenkt » bekommen hatte, was zur damaligen Zeit durchaus nicht unüblich war. Der durch und durch humanistisch 64 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong>
Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong> · 65