UNTERWEGS IN FRANKREICH Auvergne-Rhône-Alpes wenig. Lediglich Fotografieren ist im Inneren des Fabrikgebäudes untersagt. « Wir sind hier immerhin in einem strategisch interessanten Industriebetrieb », erläutert der Führer in perfektem Englisch. Am Ende des Besuchs erhält jeder eine kleine Flasche Évian, auf Wunsch sogar mit einem persönlichen Etikett mit dem eigenen Namen. Das freut natürlich alle und trägt zum Erfolg der Besichtigung bei! Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei Danone Marketingprofis am Werk sind! Am Ende des Besuchs, als ich mich im Minibus, der uns ins Stadtzentrum von Évian-les-Bains zurückbringt, noch etwas mit Emily und Cooper unterhalte, merke ich, dass sie vor allem aber vom geschichtlichen und kulturellen Reichtum der Stadt beeindruckt sind. « Wir waren nicht auf eine so schöne Stadt mit einer derart reichen Geschichte gefasst. Der Palais Lumière, die historischen Hotelgebäude, die kleinen Gässchen im Stadtzentrum, das Rathaus, die Geschäfte, die Parks, der See … Alles ist wundervoll! », flüstert mir Emily zu, die offensichtlich dem Charme der Stadt erlegen ist. « Évian war für uns lediglich ein bekanntes Mineralwasser, das uns neugierig gemacht hat. Aber das, was wir darüber hinaus in der Stadt entdeckt haben, gefällt uns enorm! », ergänzt Cooper mit seinem starken australischen Akzent. Im Verlauf des Gesprächs erfahre ich, dass die beiden sogar ihr Programm geändert haben und statt der vorgesehenen zwei, insgesamt fünf Tage in Évian-les-Bains bleiben. « Lange genug, um wirklich alles auskosten zu können », sagen sie. Als wir aus dem Bus aussteigen und ich mich von ihnen verabschiede, beschließe ich, es Emily und Cooper gleichzutun, Évian zu erkunden und einige Museen zu besichtigen … Nach Gesprächen mit ein paar Einwohnern stelle ich fest, dass alle ziemlich amüsiert reagieren, wenn ich sie danach frage, worauf die unglaubliche Bekanntheit ihres Wassers zurückzuführen ist. Sie erzählen mir alle eine Geschichte, die hier seit Generationen jedes Kind kennt. Ich lasse mich von der Mischung aus Legende und Wahrheit mitreißen: Ein Adeliger namens Baron Aymon de la Rochette soll im 15. Jahrhundert unter Harngrieß – heute würde man von Harnsteinen sprechen – gelitten haben. Er wusste sich nicht mehr zu helfen und versprach demjenigen, der ihn von dieser Krankheit heilen würde, die Hand seiner Tochter Beatrix. Diese war jedoch in einen Stallmeister ihres Vaters namens Arnold verliebt. Verzweifelt darüber, dass seine Geliebte zu einer Heirat gezwungen werden sollte, verirrte sich Arnold eines Abends während eines Gewitters in der Nähe von Évian. Dabei traf er auf einen alten Eremiten, der unter einer altehrwürdigen Kastanie lebte und ihm das Geheimnis einer wohltuenden Quelle anvertraute. Arnold brachte deren wertvolles Wasser dem Baron de la Rochette, der einige Wochen später geheilt war. Als Dank vermählte er Arnold wie versprochen mit seiner Tochter … Diese bezaubernde Geschichte, die also sowohl für das junge Paar als auch für den kranken Vater gut endete, wurde erstmals vom Genfer Autor Jean-Louis Moré (1781-1861) in seinem 1847 veröffentlichen Werk Le portefeuille du voisin de campagne schriftlich festgehalten. Der Autor weist klar darauf hin, dass dies die Niederschrift einer bis dato nur mündlich überlieferten Legende ist, präzisiert aber ebenfalls, dass der besagte Kastanienbaum tatsächlich existiert und jeder Spaziergänger dorthin pilgern kann. Er ermutigt sogar seine Leser, die Bäder von Évian zu besuchen, die von der Cachat-Quelle gespeist werden, seiner Ansicht nach jener Quelle, die vier Jahrhunderte zuvor den Baron de la Rochette geheilt haben soll. Einige Zeit später entdecke ich in einem sehr gut dokumentierten Buch (Évian mondaine, l’âge d’or du thermalisme, Françoise Breuillaud-Sottas, Silvana Éditoriale, ISBN 978-8836637485), das anlässlich einer Ausstellung in Évian herausgegeben wurde, dass der Autor Jean-Louis Moré mit dieser Aufforderung allerdings durchaus persönliche Interessen verfolgte: Er war nämlich damals einer der sieben Aktionäre der Genfer Kapitalgesellschaft, der die Bäder von Évian gehörten … Geschichtsforscher sind sich darin einig, dass das Wasser den Ruf von Évian begründete, seit der ortsansässige Arzt Saget um 1640 die medizinische Wirkung 40 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong>
Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong> · 41