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Nr. 62 - Frühling 2017

Drôme: wandern auf den Spuren der Hugenotten Baie de Somme: Die Abbaye de Saint-Riquier Le Havre: 500 Jahre, das will gefeiert werden ! Bretagne: Brest und Roscoff Elsass: Kirrwiller: 520 Einwohner und die drittgrößte Music Hall Frankreichs Chantals Rezept: Poulet fermier basse température à l'ail

Drôme: wandern auf den Spuren der Hugenotten
Baie de Somme: Die Abbaye de Saint-Riquier
Le Havre: 500 Jahre, das will gefeiert werden !
Bretagne: Brest und Roscoff
Elsass: Kirrwiller: 520 Einwohner und die drittgrößte Music Hall Frankreichs
Chantals Rezept: Poulet fermier basse température à l'ail

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école primaire meinen. Oder Sie haben die sprachliche<br />

Verkürzung – wie nur die Franzosen es verstehen – du<br />

primaire verwendet, und jedem war klar, dass damit enseignement<br />

primaire gemeint ist. Dieser Begriff bezeichnet<br />

nämlich das Pendant zur deutschen Grundschule<br />

und fasst die (nicht obligatorische) école maternelle (3 bis<br />

6 Jahre) und die (obligatorische) école élémentaire (6 bis<br />

11 Jahre) zusammen. Das Wort primaire ist also im Wesentlichen<br />

mit der Ausbildung von Kindern verbunden.<br />

Heutzutage wird es in Frankreich aber auch in einem<br />

ganz anderen Zusammenhang gebraucht. Um dies zu<br />

verstehen, muss man auf ein kleines Detail achten: In den<br />

Zeitungen oder in anderen Schriftstücken, in denen man<br />

dieses « aktuelle » Wort liest, steht nämlich nicht primaire,<br />

sondern primaires, also mit einem « s » am Ende. In der<br />

gesprochenen Sprache hört man diesen Buchstaben zwar<br />

nicht, und doch ist dieses kleine « s » überaus wichtig, da es<br />

auf einen Plural hinweist. Und das ändert alles … Dieser<br />

zusätzliche Buchstabe zeigt nämlich, dass in diesem Fall<br />

nicht von der Grundschule, sondern von Vorwahlen die<br />

Rede ist! Diese Bedeutung erschließt sich uns im Licht<br />

des aktuellen Zeitgeschehens.<br />

Jeder weiß, dass in den kommenden Monaten auf beiden<br />

Seiten des Rheins entscheidende Wahlen anstehen.<br />

Sowohl Deutsche als auch Franzosen werden in diesem<br />

Jahr an die Wahlurne gehen. Auf französischer Seite wird<br />

am 23. April und 7. Mai in zwei Wahlgängen der neue<br />

Präsident der Republik gewählt. Das ist nun an sich nicht<br />

wirklich etwas Neues im politischen Leben des Landes.<br />

Die Franzosen sind daran gewöhnt, dass sie sich alle fünf<br />

Jahre in die Wahlkabine begeben, um bei der Präsidentenwahl<br />

ihre Stimme abzugeben. Doch in diesem Jahr ist<br />

es anders, es gibt eine kleine politische Umwälzung, einen<br />

wahren Kulturschock!<br />

Die große Neuerung besteht darin, dass die Präsidentschaftskandidaten<br />

der beiden großen traditionellen Parteien<br />

– also der linken Parti Socialiste (PS) und der rechten Les<br />

Républicains (LR) – durch sogenannte élections primaires,<br />

eben diese vielzitierten primaires, bestimmt wurden, wobei<br />

diese Wahlen allen offen standen, also nicht nur den<br />

jeweiligen Parteianhängern! Bisher hatte nur die PS dieses<br />

Experiment einmal – erfolgreich – gewagt, nämlich 2011,<br />

um ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen<br />

2012 festzulegen. Als Sieger dieser primaires ging damals<br />

François Hollande hervor. Diesmal hat die Rechte nachgezogen<br />

und ebenfalls Vorwahlen organisiert, sogar noch<br />

einige Zeit vor dem Urnengang der Linken. Die beiden<br />

Durchgänge der primaires der Rechten fanden am 20. und<br />

27. November 2016 statt, die der Linken am 22. und 29.<br />

Januar <strong>2017</strong>.<br />

Da die Franzosen solche Dinge entweder richtig oder<br />

gar nicht machen, wurden diese Vorwahlen genauso wie<br />

die eigentliche Wahl selbst durchgeführt: mit offiziellen<br />

Wahllisten, in Wahllokalen, die sich in Schulen oder<br />

anderen öffentlichen Gebäuden befanden, in zwei Durchgängen,<br />

wie bei der « richtigen » Präsidentschaftswahl,<br />

mit Flugblättern und Plakaten, unzähligen Umfragen<br />

sowie zahlreichen mehrstündigen Debatten in Funk und<br />

Fernsehen. Ein ganzes Programm also, das dazu geführt<br />

hat, dass Frankreich sich gerade in einem langen, sehr<br />

langen politischen Tunnel befindet, der im September<br />

2016 begonnen hat und von den Medien geschickt inszeniert<br />

wird. Ein Licht am Ende dieses Tunnels werden<br />

die Franzosen erst nach Abschluss der zweiten Runde der<br />

Präsidentschaftswahlen, also am 7. Mai sehen …<br />

Man kommt aber um die Feststellung nicht umhin,<br />

dass sie das lieben: Sie haben sich nicht nur zu Millionen<br />

für die politischen Debatten begeistert, die in den<br />

Medien ausgestrahlt wurden, sondern sie sind auch den<br />

Aufrufen gefolgt und haben bei diesen Vorwahlen ihre<br />

Stimme abgegeben. Der Reiz des Neuen vielleicht? Auf<br />

jeden Fall waren es so viele, dass die Angelegenheit<br />

sich letztendlich als rentabel erwiesen hat: Beim ersten<br />

Wahlgang der Les Républicains sind beispielsweise 4,3<br />

Millionen Wähler an die Urne gegangen. Und auch eine<br />

Woche später war die Wahlbeteiligung quasi dieselbe.<br />

Da jeder Wähler eine finanzielle Beteiligung von zwei<br />

Euro pro Wahlgang leisten musste, spülten die primaires<br />

17,2 Millionen Euro in die Kassen der glücklichen<br />

Partei. Die Kosten für die Organisation der beiden<br />

Wahlgänge werden auf 8 Millionen Euro geschätzt,<br />

also bleibt unterm Strich ein positiver Saldo von rund 9<br />

Millionen Euro. Die Partei hat angegeben, dass dieser<br />

Betrag der Wahlkampagne des designierten Kandidaten<br />

der Rechten für die kommende Präsidentschaftswahl,<br />

also François Fillon, zugutekommen wird. Als kleine<br />

Anekdote am Rande sei erwähnt, dass die Französische<br />

Post durch ihre Banktochter La Banque Postale ebenfalls<br />

von diesen primaires profitiert. Sie hatte den Auftrag, das<br />

eingenommene Geld zu verwalten und dafür mit den<br />

Republicains eine Provision ausgehandelt. Man schätzt,<br />

dass sie dabei 750 000 Euro verdient hat … Lukrative<br />

Vorwahlen also!<br />

Die primaires und Frankreich: Das ist demnach nun<br />

ein gutgehendes Geschäft. Sagen Sie aber bloß nicht zu<br />

einem Franzosen, man hätte in dieser Hinsicht das amerikanische<br />

Modell kopiert! Sie werden sofort die Antwort<br />

erhalten, dass ihr System anders sei, da es sich um primaires<br />

à la française handelt. Warten wir also die Präsidentschaftswahlen<br />

ab, um diese Zeit fundiert analysieren<br />

zu können. Das ist wohl besser.<br />

Es scheint allerdings, als seien diese französischen<br />

primaires zumindest in einer Beziehung anders als die<br />

jenseits des Atlantiks: Dort treten die Verlierer der Vorwahlen<br />

nämlich normalerweise von der politischen Bühne<br />

des Landes ab. In Frankreich ist offensichtlich genau das<br />

Gegenteil der Fall: Die primaires scheinen vor allem dazu<br />

zu dienen, eine Krise innerhalb der Partei zu beenden und<br />

letztendlich zu bestimmen, in welcher Reihenfolge man<br />

die Verlierer in der zukünftigen Regierung unterbringt …<br />

Die Zukunft wird zeigen, ob es sich dabei um einen weiteren<br />

Kulturschock handelt …<br />

Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2017</strong> · 95

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