Nr. 62 - Frühling 2017
Drôme: wandern auf den Spuren der Hugenotten Baie de Somme: Die Abbaye de Saint-Riquier Le Havre: 500 Jahre, das will gefeiert werden ! Bretagne: Brest und Roscoff Elsass: Kirrwiller: 520 Einwohner und die drittgrößte Music Hall Frankreichs Chantals Rezept: Poulet fermier basse température à l'ail
Drôme: wandern auf den Spuren der Hugenotten
Baie de Somme: Die Abbaye de Saint-Riquier
Le Havre: 500 Jahre, das will gefeiert werden !
Bretagne: Brest und Roscoff
Elsass: Kirrwiller: 520 Einwohner und die drittgrößte Music Hall Frankreichs
Chantals Rezept: Poulet fermier basse température à l'ail
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UNTERWEGS IN FRANKREICH Normandie<br />
war. Ein « großer Quai » (der Quai de Southampton, der später dafür<br />
berühmt wurde, dass er zahlreiche Künstler inspirierte) war seinerseits<br />
für den Handel vorgesehen. Die Städteplanung stellte von Anfang an<br />
den Hafen ins Zentrum und war auf Entwicklung angelegt, was ihr ein<br />
eindeutig modernes Aussehen verlieh. In den folgenden Jahrhunderten<br />
sollte sich dieser Eindruck noch verstärken.<br />
Im 18. Jahrhundert ließ der Hafen mit der Ausbreitung des internationalen<br />
Seehandels seine militärische Bestimmung zugunsten eines<br />
Handelshafens hinter sich. Wie in Nantes oder Bordeaux stapelten<br />
sich an den Quais nun bis dato unbekannte Waren wie Schokolade,<br />
Kaffee, Gewürze und Baumwolle. Dieser neue Reichtum – der jedoch<br />
manchmal, was man nicht vergessen sollte, auch mit dem schmutzigen<br />
Sklavenhandel einherging – führte dazu, dass im Norden ein neuer<br />
Stadtteil gebaut und neue Bassins für den Warenumschlag gegraben<br />
wurden (Bassin du Commerce und Bassin de la Barre). Als Symbol des<br />
gestiegenen strategischen Stellenwerts der Stadt baute man einen Gürtel<br />
mit Befestigungsanlagen à la Vauban, von denen heute noch zwei<br />
existieren: das Fort de Tourneville, das in ein künstlerisches Kreativzentrum<br />
verwandelt wurde, und das Fort de Sainte-Adresse, in dem<br />
sich heute die Jardins suspendus befinden. Das 19. und 20. Jahrhundert<br />
brachten dann, wie in vielen anderen französischen Hafenstädten auch,<br />
die Urbanisierung der Küste und die Entwicklung von Seebädern mit<br />
sich. Die Besonderheit von Le Havre war jedoch der Tiefseehafen, in<br />
den auch sehr große Schiffe unabhängig von den Gezeiten einfahren<br />
können, ohne Schleusen passieren zu müssen. Dies führte zur Einrichtung<br />
von transatlantischen Verbindungen, auf denen große Ozeandampfer<br />
die Stadt mit New York verbanden. Nach wie vor verstand<br />
man es also, sich an neue Gegebenheiten und neue Bevölkerungsgruppen<br />
anzupassen. Le Havre wurde unablässig größer. Es schien, als sei<br />
der Stadt eine strahlende Zukunft bestimmt.<br />
Doch das Schicksal meinte es anders. Im immer noch unverständlichen<br />
Eifer des Gefechtes war Le Havre am 5. und 6. September 1944<br />
den Bombardierungen der Alliierten ausgesetzt, die eigentlich « nur »<br />
das Ziel hatten, in der deutschen Garnison, die auf der Anhöhe der<br />
Stadt entstanden war, für Verwirrung zu sorgen, die Le Havre jedoch<br />
zur französischen Stadt mit den meisten Zerstörungen während des<br />
Zweiten Weltkrieges machten. Die während der Renaissance erbauten<br />
Zeugnisse der Stadt wurden vernichtet; sie war nur noch eine weitläufige<br />
Ruine. Doch dank des Materials Beton und eines umfangreichen<br />
Wiederaufbauprogramms, das dem Architekten Auguste Perret (1874-<br />
1954) anvertraut worden war, entwickelte Le Havre trotz – oder gerade<br />
wegen – dieser Widrigkeiten eine bislang in der Geschichte der<br />
französischen Architektur noch nie dagewesene Fähigkeit, sich völlig<br />
neu zu erfinden. Da sowieso alles neu aufgebaut werden musste, legte<br />
Perret großen Ehrgeiz an den Tag und errichtete eine ausgesprochen<br />
moderne Stadt, in der Raum, Komfort, Verkehr und Licht regierten.<br />
Das Rathaus, die Porte Océane und die Kirche Saint-Joseph mit ihrer<br />
107 Meter hohen Turmspitze, welche die Stadt wie ein New Yorker<br />
Wolkenkratzer dominiert, symbolisieren diese besondere Modernität,<br />
die Le Havre nach wie vor für sich beansprucht. In der Zwischenzeit<br />
haben zahlreiche internationale Architekten dasselbe Gespür für die<br />
Ausrichtung der Stadt bewiesen und das Werk von Auguste Perret<br />
damit fortgesetzt. Davon zeugt beispielsweise die 1982 vom brasilianischen<br />
Architekten Oscar Niemeyer (1907-2012) eingeweihte berühmte<br />
Kulturbühne Volcan, deren sanft geschwungene, runde Form<br />
auf poetische Art mit der strengen Linienführung der Gebäude von<br />
50 · Frankreich erleben · <strong>Frühling</strong> <strong>2017</strong>