FRANKREICH HEUTE Quand on aime la France … 78 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2018</strong>
Serie: Quand on aime la France (1) Roger Diederen ist der Direktor der Kunsthalle München. Er liebt es über alles, seine Leidenschaften für Kunst aller Art und für Frankeich zu teilen. Er ist im Herzen Europas, in den Niederlanden, an der Grenze zu Deutschland geboren und aufgewachsen. Er ist überzeugter Europäer und hat sein Leben der Kunst gewidmet. Sein Ziel: Durch Kunst einen Austausch entstehen zu lassen und eine ganz andere Auseinandersetzung mit unserer Welt zu ermöglichen. Offenheit, Toleranz und Neugier dem Anderen gegenüber sind Werte, die im Zentrum seiner Arbeit stehen. Damit haben er und sein Team die Kunsthalle zum Erfolg geführt und zu einem der renommiertesten Ausstellungshäuser gemacht, dessen Bedeutung weit über die Grenzen der bayerischen Hauptstadt hinausgeht. Roger Diederen, inwiefern würden Sie sagen, dass Ihre Herkunft eine Rolle in Ihrem Lebenslauf gespielt hat? Meine Herkunft ist tatsächlich ein sehr wichtiger Aspekt meiner Vita. Ich war schon immer ein Grenzgänger im buchstäblichen Sinn. Jeden Morgen fuhr ich mit dem Fahrrad von den Niederlanden aus durch einen kleinen Teil von Deutschland zur Schule, denn das war der kürzeste Weg. Tagtäglich radelte ich also viermal über die Grenze. Sie können sich vorstellen, dass der Begriff « Grenze » schon in meiner frühsten Jugend sehr präsent war – nicht nur als Hürde, sondern auch als Bereicherung. Aber es gibt noch etwas anderes: Als Kinder konnten wir zu Hause immer schon deutsches und belgisches Fernsehen sehen. Das war, lange bevor es Kabelfernsehen gab und daher nur in solchen Grenzregionen möglich. Die deutsche und die französische Sprache waren so von Anfang an Teil meines Lebens. Tatsächlich hatte ich schon als Jugendlicher eine große Schwäche für die belgische und die französische Kultur und Sprache. Ich hatte zunächst ernsthaft überlegt, Französisch als Fremdsprache zu studieren, entschied mich aber dann letztlich für Kunstgeschichte. Auch damit konnte ich meine Faszination für Frankreich pflegen. Nach meinem Studium in Amsterdam verschlug es mich für viele Jahre nach Amerika, wo ich an Museen in Los Angeles, Cleveland und New York tätig war. Dort lag mein kunsthistorischer Schwerpunkt auf der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts, wo Frankreich natürlich eine zentrale Rolle spielte. Sie sehen, dass mein Lebenslauf – sowohl beruflich als auch privat – von einem Weltbürgertum geprägt ist. In meiner Jugend waren die Grenzen zwischen Holland, Belgien, Deutschland und Frankreich zwar präsent, aber sie waren da, um überschritten zu werden. Die Generation meiner Eltern hatte noch Krieg mit Deutschland geführt. Doch wir kauften im deutschen Nachbardorf ein und hatten dort Freunde. Diese Entwicklung gilt es zu schätzen und zu schützen. Und für mich ist Kunst heute ein perfektes Kommunikationsmittel, um Menschen zueinander zu bringen. Lassen Sie uns konkreter über Ihre aktuelle berufliche Tätigkeit sprechen. Was beflügelt Sie? Ich versuche natürlich, mit den Ausstellungen, die ich mache, meine eigene Begeisterung für Kunst, Kultur und Geschichte zu vermitteln. Mein Ziel ist es, Menschen dazu zu bringen, durch Kunst über unsere Gesellschaft nachzudenken. Wie funktioniert sie, woher kommen wir, wohin gehen wir … Ich bin nicht so naiv zu glauben, mit einer Ausstellung die Welt verbessern zu können, aber wenn sie als Denkanstoß funktioniert und zum Hinterfragen mancher Dinge anregt, dann ist schon einiges erreicht. Dazu kann Kunst sehr wohl dienen. Kunst also nicht als elitäres Phänomen, sondern als Einladung zur Toleranz, Offenheit und Akzeptanz. Ja genau. Das sind Werte, die unsere heutige Welt sehr gut gebrauchen kann! Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2018</strong> · 79