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ZAP-2020-08

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Kolumne<br />

<strong>ZAP</strong><br />

nen Lebensunterhalt“ des Verbrauchers bzw. die<br />

„wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs“ des<br />

Schuldners „gefährden“.<br />

Für Nicht-Verbraucher und -Unternehmer (Wohnungseigentümergemeinschaften,<br />

Vereine, Kirchengemeinden,<br />

Behörden usw.) gilt das alles<br />

von vorneherein nicht; diesen steht das Leistungsverweigerungsrecht<br />

nicht zu.<br />

Wohnungseigentümergemeinschaften können in<br />

die missliche Lage kommen, dass Hausgelder<br />

nicht mehr bezahlt werden, der Energielieferant<br />

aber gleichwohl Anspruch auf seine Abschlagszahlungen<br />

hat und den auch durchsetzt. Man<br />

kann zwar darüber streiten, ob es sich bei der<br />

Pflicht zur Hausgeldzahlung um ein Dauerschuldverhältnis<br />

i.S.d. Art. 240 § 1 EGBGB handelt,<br />

und man darf vermuten, dass der V. Zivilsenat des<br />

BGH dies irgendwann in ein paar Jahren im<br />

Hinblick auf die Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts<br />

verneinen wird, gleichwohl wird<br />

es Wohnungseigentümer geben, die es damit<br />

einfach mal versuchen.<br />

In rechtlicher Hinsicht handelt es sich bei dem<br />

vorübergehenden Leistungsverweigerungsrecht<br />

eindeutig um eine Einrede, die zwar vorgerichtlich<br />

und gerichtlich vom Schuldner geltend gemacht<br />

werden kann, die gerichtliche Verfolgung von<br />

Forderungen, deren Bestand als solcher vom<br />

Gesetz nicht in Frage gestellt wird, aber nicht<br />

hindert. Das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen<br />

(Umstände, die auf die COVID-19-Pandemie<br />

zurückzuführen sind; Gefährdung des angemessenen<br />

Lebensunterhalts) kann der Gläubiger<br />

zulässigerweise im Prozess mit Nichtwissen bestreiten.<br />

Dann muss der Schuldner nach allgemeinen<br />

Beweisregeln diese ihm günstigen Tatsachen<br />

darlegen und beweisen. Gelingt ihm dies nicht,<br />

scheitert die Klage des Gläubigers nicht daran.<br />

Gelingt es ihm, ist die Klage als derzeit unbegründet<br />

zurückzuweisen – aber nur, wenn zum<br />

Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung<br />

die Regelung noch gilt.<br />

Ganz abstrus wird die Sache, wenn man Art. 240<br />

§ 1 Abs. 3 EGBGB in die Betrachtung einbezieht:<br />

Danach gilt das alles nicht, „wenn die Ausübung<br />

des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger<br />

seinerseits unzumutbar ist“. Was ist das jetzt<br />

rechtlich? Die Einrede gegen die Einrede? Allen<br />

Gläubigern ist jedenfalls dringend zu empfehlen,<br />

diesen Einwand sofort geltend zu machen.<br />

Für Rückstände aus der Zeit vor dem 8.3.<strong>2020</strong><br />

(oder vielleicht auch vor dem 11.3.<strong>2020</strong>, an dem<br />

die WHO die Situation zur Pandemie erklärt hat)<br />

kann das Moratorium sowieso nicht gelten. Es ist<br />

kein Grund ersichtlich, weshalb der Gläubiger<br />

diese nicht weiterhin verfolgen kann.<br />

Dem Gläubiger kann nur geraten werden, an<br />

seinem Beitreibungswesen nichts zu ändern.<br />

Schlimmstenfalls bekommt er für die Corona-<br />

Zeit keine Zinsen, allerschlimmstenfalls wird eine<br />

Klage als derzeit unbegründet (kostenpflichtig)<br />

zurückgewiesen. Aber auch das wird eher nicht<br />

passieren, weil die Gerichte derzeit neue Klagen<br />

wohl eher nicht zügig abarbeiten werden. Das<br />

gerichtliche Mahnverfahren wird sowieso nicht<br />

beeinflusst.<br />

Der Schuldner sollte sich gut überlegen, ob er<br />

nicht weitere Kosten zu seinen Lasten provoziert,<br />

wenn er Gebrauch von Art. 240 § 1 EGBGB macht.<br />

Umso verheerender ist das Signal, das der Gesetzgeber<br />

mit dieser aus juristischer Sicht wirkungslosen<br />

(und überflüssigen, es gibt schließlich<br />

Pfändungsschutzvorschriften) Regelung aussendet.<br />

Wer einen Brand löschen will, sollte auch den<br />

Wasserschaden bedenken. Was passiert nach<br />

dem 30.9.<strong>2020</strong>? Die Verlängerung der Verlängerung?<br />

Wird dann die vertragsbasierte Wirtschaft<br />

durch die Staatswirtschaft ersetzt? Deutschland<br />

wäre damit in einem bisher nicht gekannten<br />

Zustand der Rechtsunsicherheit angelangt: Niemand<br />

kann mehr sicher sein, dass abgeschlossene<br />

Verträge erfüllt werden. Denn die Pandemie<br />

trifft jeden und gibt jedermann einen Grund an<br />

die Hand, seine Zahlungen einzustellen. Aus der<br />

Vertragswirtschaft wird Willkürwirtschaft: Der<br />

Dumme ist, wer zahlt. Denn Pandemie hin oder<br />

her: Angesichts der Millionen und Abermillionen<br />

von Verträgen ist eine gerichtliche Überprüfung,<br />

ob hinter der Zahlungseinstellung wirklich die<br />

Pandemie steht, schlicht nicht möglich, schon gar<br />

nicht in nützlicher Frist. Ohne Vorkasse oder<br />

Barzahlung läuft dann nichts mehr.<br />

Rechtsanwalt MICHAEL BRÄNDLE, Freiburg<br />

372 <strong>ZAP</strong> Nr. 8 17.4.<strong>2020</strong>

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