Ausgabe wellhotel 1-2020

Das Fachmagazin für Hotellerie & Gastronomie, Tourismus & Freizeit, Wellness & Beauty Das Fachmagazin für Hotellerie & Gastronomie, Tourismus & Freizeit, Wellness & Beauty

08.04.2020 Aufrufe

Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ] Die Sehnsucht nach echten Sinneserlebnissen Prof. Dr. Monika Imschloß ist seit 2015 IFH Junior-Professorin für Marketing und Handel an der Universität zu Köln. Nach ihrem Abschluss in Psychologie dissertierte sie im Fachbereich des multisensorischen Marketings und spezialisierte sich während ihrer Zeit an der Universität Mannheim auf dessen Auswirkungen auf das Kundenverhalten. Auf der ITB in Berlin 2019 war sie Gast der Podiumsdiskussion über „New Luxury: Sensorik, Glück und Luxus”. Joachim Leiter von ADDITIVE spricht mit ihr über sensorisches Marketing, die enorme Bedeutung von Haptik und die Frage, warum Menschen überhaupt in den Urlaub fahren. Text: Joachim Leiter Foto: Mark Elsner „Warum fahren die Menschen in den Urlaub? Nicht um denselben Rollbraten wie daheim zu essen, sondern um neue sensorische Erfahrungen zu machen, die einem helfen, sich selbst zu entdecken.“ Monika Imschloß. Joachim Leiter: Was versteht man unter sensorischem Marketing? Joachim Leiter: Welche der fünf Sinne stehen hierbei im Fokus bzw. haben Ihrer Meinung nach das höchste Erfolgspotenzial im Marketing? Monika Imschloß: Sensorisches Marketing ist die Ansprache der Sinne; es geht um Maßnahmen, die auditiv, visuell, olfaktorisch, gustatorisch und taktil wahrgenommen werden. Dabei müssen die einzelnen Sinneswahrnehmungen strategisch differenziert werden. Beim olfaktorischen Sinn beispielsweise gibt es den Signature-Hotelduft, weiters den Zimmerduft, den Seifenduft oder im Handel den Umgebungsduft, Produktduft und zufällige Düfte. Bei auditiven Wahrnehmungen kann man Marken-Jingles, den Umgebungsklang oder den Klang, wie die Zimmertür zufällt, differenzieren. Beim Sehsinn geht es primär um Farbe, aber auch um Strukturen oder bei einer Hotel-Website um bewegte oder unbewegte Bilder, Bildqualität, Farbsättigung, Farbton. Wir haben viele verschiedene Parameter und jeder Parameter hat einen Einfluss darauf, wie wir etwas wahrnehmen. Die Farbe und die Farbsättigung meines Tees zum Beispiel hat Einfluss darauf, wie er mir schmeckt. Kurzum: Sensorisches Marketing bezieht sich auf die Ansprache oder Aktivierung aller Sinne. Monika Imschloß: Hier müsste man zuerst definieren, was mit Erfolg gemeint ist. Per se kommt es sicher auf den Kontext an, welche Sinne am stärksten wirken, das lässt sich nicht generalisieren. Im Lebensmittel-Bereich sind Geschmack und Geruch ausschlaggebend, bei manchen Produkten im Handel ist der Duft stärker im Vordergrund, bei anderen wiederum ist es eine Frage der richtigen Beleuchtung. Und wieder bei anderen ist es der auditive Sinn, der die Entscheidung antreibt: Hört der Kunde französische Musik, kauft er eher französischen Wein als italienischen. 26 WellHotel

Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ] Joachim Leiter: Ist das bewiesen? Lassen wir uns tatsächlich so stark beeinflussen? Wenn ja, wodurch? Joachim Leiter: Von welchen Unternehmen erhalten Sie Aufträge, was ist dabei genau Ihre Aufgabe? Joachim Leiter: In der Hotellerie ist meines Wissens sensorisches Marketing derzeit nicht weit verbreitet … Joachim Leiter: Welche konkreten Anwendungsfälle für sensorisches Marketing gibt es bei touristischen Angeboten und speziell in der gehobenen Hotellerie? Monika Imschloß: Ja, viele empirische Forschungsarbeiten belegen die Effek te der sensorischen Ansprache. Beispielsweise zeigt eine Studie, dass Kunden mehr französischen Wein kaufen, wenn im Supermarkt französische (vs. deutsche) Musik gespielt wird. Eine meiner eigenen Untersuchungen in Zusammenarbeit mit einem Lebensmitteleinzelhändler kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Kunden richten ihre Blicke eher auf französische (vs. italienische) Produkte, wenn im Laden französische (vs. italienische) Musik gespielt wird. Es scheint so zu sein, dass die Musik den Kunden mental das Konzept „Frankreich“ oder „Italien“ zugänglich macht und die Musik dadurch eine visuelle Aufmerksamkeitszuwendung induziert. Aber zurück zur Hotelbranche und zur Ursprungsfrage: Mir würde kein Argument einfallen, warum ein Sinneseindruck weniger wichtig sein sollte als ein anderer. Am ehesten könnte man überlegen, wo der Gast die meisten Berührungspunkte hat. Haptik als Teil der taktilen Erfahrung ist sicher hervorzuheben. Es ist der Sinn, der sich bei einem Baby im Mutterbauch als Erstes entwickelt und der einzige Sinn, mit dem wir Menschen die Welt aktiv begreifen. Haptik ist klassischerweise unser Wahrheitssinn. Alles was ich anfasse und dadurch „begreife“, ist wahr. Monika Imschloß: Derzeit erhalte ich vor allem Anfragen aus dem Handel und aus dem Servicebereich (Banken, Arztpraxen), vor Kurzem die erste Anfrage seitens einer Hotelkette. Bei allen gemeinsamen Forschungskooperationen geht es vor allem darum: zu verstehen, wie sensorische Reize oder auch digitale Aspekte wie zum Beispiel Displays wirken. Hierfür führen wir Experimente mit beziehungsweise in den Unternehmen durch. Monika Imschloß: Würde man jetzt damit beginnen, wäre man durchaus in einer günstigen Position und könnte einen neuen Standard setzen. Vor allem aber würde man sich differenzieren und auffallen. Monika Imschloß: Viele Hotels und Hotelketten haben wie bereits erwähnt ihre eigens kreierten „Signature Scents“. Diese Corporate Düfte kommen als Raumduft, Duschgels, Lotionen etc. zum Einsatz und sind im Shop vor Ort erhältlich. Dieser strategisch eingesetzte Duft unterstützt die Dimension der Hotelmarke und schafft eine bestimmte Atmosphäre für den Gast vor Ort. Mit sensorischem Marketing geht es darum, die positive Erfahrung des Hotelaufenthalts auch nach der Abreise zu Hause wieder tangibel zu machen. Der Aufenthalt soll also nicht nur eine Erinnerung sein, sondern präsent. Der Hotelier überlegt demnach, wie er das tolle Urlaubserlebnis wieder aktivieren kann. Zum Beispiel durch ein Geschenk zum Geburtstag: Ein Showergel mit Signature Duft holt automatisch das ganze Erleben vor Augen. Oder ich gebe dem Gast beim Check-out etwas Haptisches mit, einfach um in der Lebensrealität der Menschen als Hotelmarke weiterhin präsent zu sein. Monika Imschloß: „Je digitaler eine Gesellschaft wird, desto größer wird das Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Erlebnissen, wirklichen Interaktionen und eben sensorischem Erleben.“ ››› 27 WellHotel

Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ]<br />

Joachim Leiter: Ist das bewiesen? Lassen<br />

wir uns tatsächlich so stark beeinflussen?<br />

Wenn ja, wodurch?<br />

Joachim Leiter: Von welchen Unternehmen<br />

erhalten Sie Aufträge, was ist<br />

dabei genau Ihre Aufgabe?<br />

Joachim Leiter: In der Hotellerie ist<br />

meines Wissens sensorisches Marketing<br />

derzeit nicht weit verbreitet …<br />

Joachim Leiter: Welche konkreten Anwendungsfälle<br />

für sensorisches Marketing<br />

gibt es bei touristischen Angeboten<br />

und speziell in der gehobenen Hotellerie?<br />

Monika Imschloß: Ja, viele empirische Forschungsarbeiten belegen die<br />

Effek te der sensorischen Ansprache. Beispielsweise zeigt eine Studie, dass<br />

Kunden mehr französischen Wein kaufen, wenn im Supermarkt französische<br />

(vs. deutsche) Musik gespielt wird. Eine meiner eigenen Untersuchungen<br />

in Zusammenarbeit mit einem Lebensmitteleinzelhändler kommt zu<br />

ähnlichen Ergebnissen: Kunden richten ihre Blicke eher auf französische<br />

(vs. italienische) Produkte, wenn im Laden französische (vs. italienische)<br />

Musik gespielt wird. Es scheint so zu sein, dass die Musik den Kunden mental<br />

das Konzept „Frankreich“ oder „Italien“ zugänglich macht und die Musik<br />

dadurch eine visuelle Aufmerksamkeitszuwendung induziert.<br />

Aber zurück zur Hotelbranche und zur Ursprungsfrage: Mir würde kein<br />

Argument einfallen, warum ein Sinneseindruck weniger wichtig sein sollte<br />

als ein anderer. Am ehesten könnte man überlegen, wo der Gast die meisten<br />

Berührungspunkte hat.<br />

Haptik als Teil der taktilen Erfahrung ist sicher hervorzuheben. Es ist der<br />

Sinn, der sich bei einem Baby im Mutterbauch als Erstes entwickelt und der<br />

einzige Sinn, mit dem wir Menschen die Welt aktiv begreifen. Haptik ist<br />

klassischerweise unser Wahrheitssinn. Alles was ich anfasse und dadurch<br />

„begreife“, ist wahr.<br />

Monika Imschloß: Derzeit erhalte ich vor allem Anfragen aus dem Handel<br />

und aus dem Servicebereich (Banken, Arztpraxen), vor Kurzem die erste<br />

Anfrage seitens einer Hotelkette.<br />

Bei allen gemeinsamen Forschungskooperationen geht es vor allem darum:<br />

zu verstehen, wie sensorische Reize oder auch digitale Aspekte wie<br />

zum Beispiel Displays wirken. Hierfür führen wir Experimente mit beziehungsweise<br />

in den Unternehmen durch.<br />

Monika Imschloß: Würde man jetzt damit beginnen, wäre man durchaus<br />

in einer günstigen Position und könnte einen neuen Standard setzen. Vor<br />

allem aber würde man sich differenzieren und auffallen.<br />

Monika Imschloß: Viele Hotels und Hotelketten haben wie bereits erwähnt<br />

ihre eigens kreierten „Signature Scents“. Diese Corporate Düfte<br />

kommen als Raumduft, Duschgels, Lotionen etc. zum Einsatz und sind im<br />

Shop vor Ort erhältlich. Dieser strategisch eingesetzte Duft unterstützt die<br />

Dimension der Hotelmarke und schafft eine bestimmte Atmosphäre für<br />

den Gast vor Ort.<br />

Mit sensorischem Marketing geht es darum, die positive Erfahrung des<br />

Hotelaufenthalts auch nach der Abreise zu Hause wieder tangibel zu machen.<br />

Der Aufenthalt soll also nicht nur eine Erinnerung sein, sondern präsent.<br />

Der Hotelier überlegt demnach, wie er das tolle Urlaubserlebnis wieder<br />

aktivieren kann. Zum Beispiel durch ein Geschenk zum Geburtstag: Ein<br />

Showergel mit Signature Duft holt automatisch das ganze Erleben vor Augen.<br />

Oder ich gebe dem Gast beim Check-out etwas Haptisches mit, einfach<br />

um in der Lebensrealität der Menschen als Hotelmarke weiterhin präsent<br />

zu sein.<br />

Monika<br />

Imschloß: „Je<br />

digitaler eine<br />

Gesellschaft<br />

wird, desto<br />

größer wird<br />

das Bedürfnis<br />

nach zwischenmenschlichen<br />

Erlebnissen,<br />

wirklichen Interaktionen<br />

und<br />

eben sensorischem<br />

Erleben.“<br />

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