06.04.2020 Aufrufe

Orientation & Identity

Portäts internationaler Leitsysteme. 17 internationale Projekte zeigen, wie ein Weg zum Erlebnis wird und nicht zur anonymen Distanzüberwindung verkommt.

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Inszenierung von Wegsequenzen, die den Besucher von einer

räumlichen Sensation zur nächsten leitet, ohne dass er irgendwann

innehalten und sich aktiv orientieren müsste.

Die autonome Sprache der Architektur als Raumkunst zu definieren

war einer der unumstößlichen Grundsätze der Moderne, der alles

Zweidimensional-Ornamentale für überwunden erklären sollte.

Ähnlich verhält es sich mit der Abgrenzung von öffentlichen

und privaten Sphären durch die Gestaltung eines Erschließungssystems.

Auch hier gibt es kaum universelle Regeln, zu sehr ist gerade

diese Hierarchie der Privatheit von kulturellen Prägungen bestimmt.

Gemeinsam ist allen Kulturen aber die Schwelle als eines

der markantesten architektonischen Elemente. Schwellen erzeugen

in der Architektur ein komplexes System öffentlicher, halb öffentlicher

und privater Zonen mit vielen Nuancen zwischen diesen

groben Stufen. Die Schwelle ist immer ein besonderer Ort mit vielfältigen

Konnotationen. Sie trennt und verbindet zugleich, ist ein

Ort von Begrüßungs- und Verabschiedungszeremonien, Öffnung

und Barriere zugleich. Dass an diesem Punkt auch ein Riss durch

die Welt geht, verdeutlicht eine Wendung in Georg Trakls Gedicht

„Ein Winterabend“: „Schmerz versteinerte die Schwelle“ lautet die

Zeile, mit der Trakl die Notwendigkeit der Abgrenzung als Anlass

zur Trauer benennt.

Die Bandbreite an Aufgaben, die sich einer integral konzipierten

Signaletik stellen, ist damit skizziert. Aber wie sieht es mit den

Mitteln aus, die ihr zur Verfügung stehen? Gehen wir der Einfachheit

halber davon aus, dass Signaletik sich grundsätzlich auf zweidimensionale

Elemente beschränkt. Dass jedes dieser Elemente in

der Betrachtungssituation zwangsläufig wieder einen Raum zwischen

Betrachter und Zeichen aufspannt, der bei der Gestaltung

ein eigenes Thema darstellt, soll dabei mitgedacht bleiben. Nach

fünfhundert Jahren Buchdruck ist das Verhältnis zwischen dem

materiellem Träger und dem Zeichen aber heute klar konnotiert:

Das Buch als materielles Objekt verschwindet bei der Lektüre, die

Plakatwand tritt hinter dem Sujet zurück. Damit vollendet das zweidimensionale

Zeichen, auf Architektur appliziert, ein Zerstörungswerk,

das ihm seit der Erfindung des Buchdrucks nachgesagt wird:

„Dieses wird jenes vernichten“, lässt Victor Hugo in „Notre Dame“

einen seiner Helden über den Funktionsverlust der Kirchenfassade

als „Armenbibel“ angesichts des aufkommenden Buchdrucks

sagen. Frank Lloyd Wright hat diese Stelle in seiner Autobiografie

als Anlass dafür zitiert, über eine neue Architektur nachzudenken,

die keine Bedeutungen im literarischen Sinn mehr vermitteln

müsste, und damit die Zerstörung in eine Befreiung umgedeutet.

Nur wenige Richtungen der Moderne wie die De Stijl-Bewegung

versuchten, zu einer Verbindung von Zwei- und Dreidimensionalem

gelangen. Im De Stijl ist die treibende Kraft dafür die Suche

nach der maximalen Abstraktion, die sich in der Rückführung des

Dreidimensionalen in die Fläche zu bestätigen sucht. Historisch

betrachtet handelt es sich hier um die Ausnahme, die die Regel der

Moderne bestätigt, Architektur als autonome Raumkunst zu definieren.

Für eine verstärkte Verbindung von Zwei- und Dreidimensionalem

sprechen aber einige aktuelle Trends in der Architektur. Die

Überwindung des Funktionalismus hat ja keineswegs zum „Status

quo ante“ einer per se bedeutungsvollen Architektur zurückgeführt,

auch wenn das einige historisierende Formen der Postmoderne

eine Zeitlang zu erreichen hofften. Tatsächlich lässt sich der

aktuelle Zustand viel eher mit dem Begriff des Postfunktionalismus

bezeichnen, also mit dem Eingeständnis, dass die Funktion

kein primär bedeutungsstiftendes Merkmal der Architektur ist.

Robert Venturi hat schon in den 1960er Jahren die Grundlagen dieser

postfunktionalistischen Position zusammengefasst. Zwei Jahrhunderte

lang hätte sich die moderne Architekturtheorie (deren

Anfänge sich im späten 17. Jahrhundert ansetzen lassen) mit der

Frage befasst, welche Beziehung zwischen der architektonischen

Form und ihrem funktionellen Inhalt besteht: eine jahrhundertelange

Stoff-und-Form-Debatte, die von der „architecture parlante“

(Lequeus Kuhstall in Form einer Kuh) zur funktionalistischen Doktrin

des „Form follows function“ führt. Venturi diskreditiert diese

Doktrin endgültig, indem er sie als verkrampfte Suche nach einer

unmöglichen und sinnlosen Übereinstimmung ins Lächerliche

zieht. Lequeus Kuhstall ist für ihn ein Witz, den die moderne Architektur

nur nicht als solchen verstanden hätte. Stattdessen empfiehlt

Venturi den „Decorated Shed“ und sieht Architektur insgesamt

als artifizielles Zeichensystem. Damit ist der Weg zum freien

Spiel mit populären oder historischen Zeichenkonventionen frei,

wie ihn Venturi selbst beschreitet, aber auch zur dekonstruktivistischen

Auflösung aller Zeichensysteme in einen autonomen architektonischen

Formalismus.

Verstärkt wurden diese Trends durch die Forderung nach

Multifunktionalität und Variabilität von Bautypen. Was heute als

[20]

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