06.04.2020 Aufrufe

Orientation & Identity

Portäts internationaler Leitsysteme. 17 internationale Projekte zeigen, wie ein Weg zum Erlebnis wird und nicht zur anonymen Distanzüberwindung verkommt.

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ergibt sich die Notwendigkeit, permanent neue Grenzzeichen zu

setzen. Diese Zeichen sind einem ständigen Wandel unterworfen,

um sich sowohl abzuheben als auch bestimmten Gruppierungen

zugehörig zu erweisen. Wer innerhalb eines bestimmten Verteilungssystems

keinen Platz gefunden hat, kann bewusst eine Außenposition

einnehmen und die gesetzten Grenzen durch eine

provokative Erscheinung attackieren. Beispiele hierfür sind auf

gesellschaftlicher Ebene Punk-, Gothic- oder Hip-Hop-Kulturen

oder im Bereich der Marktangebote die so genannten Alternativoder

Billig-Angebote.

Die aktuellen Diskussionen zum Begriff der Identität verweisen

auf dessen zentrale Rolle innerhalb moderner Gesellschaften.

Von Identitätsverlust, Identitätsstörung, Identitätskrisen wird gesprochen.

Die Balance zwischen Kontinuität und Veränderung wird

damit als gestört beschrieben. Angetrieben wird die Auseinandersetzung

oft von einem Bild einer Welt, in der Orientierung den meisten

Menschen leicht gefallen sei. Die Welt hätte sich nur langsam

verändert. Selbst jede Neuerung sei einem so genannten „Wesen“

treu geblieben. Sollte doch einmal etwas aus dem Rahmen gefallen

sein, wurde es isoliert und ausgeschieden. Eine Form sollte nach

diesen Vorstellungen immer Vorrang genießen. Alternativen halfen,

als diskriminierte Formen, die Herrschaft einer Kultur der Mehrheiten

zu festigen.

Folgendem Problem sehen wir uns deshalb ausgesetzt. Auf

der einen Seite fordern sowohl Mangelerscheinungen als auch gesättigte

Märkte eine permanente Entwicklung neuer Alternativen,

während auf der anderen Seite Reviere durch immer neue Grenzziehungen

verteidigt werden wollen. Selbst jene Bereiche gesellschaftlichen

Handelns, die traditionell außerhalb marktwirtschaftlicher

Dominanz standen, werden heute unter dem Argument, nur

so überlebensfähig zu sein, kommerzialisiert.

Darüber hinaus sind wir angesichts der unterschiedlichen

Angebote von in sich geschlossenen Zeichensystemen mitunter

unsicher, welchem System wir vertrauen sollen und können. Der

Verdacht, dass selbst komplexe Welten nur geschaffen wurden, um

uns zu täuschen, drängt sich immer wieder auf. Da jedoch gerade

die Fähigkeit zur Selbsttäuschung uns unabhängig macht von der

uns ansonsten bestimmenden Welt, beziehen sich viele Menschen

in ihrer Orientierung auch dann auf abgehobene Zeichensysteme,

wenn kein Zweifel daran besteht, dass es sich dabei um Blendwerk

handelt. Identität bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass

Zeichen als Ausdruck einer so genannten Realität Bedeutung gewinnen,

sondern ihr Wert wird ausschließlich daran gemessen, inwieweit

sich diese im Zusammenhang eigener, momentaner Ziele

als Mittel zum Zweck benutzen lassen.

Die Stadt als Lebensraum und Kommunikationsmedium gewinnt

heute ihre Attraktivität gerade in der Überlagerung und Vielschichtigkeit

gegensätzlicher Zeichensysteme. Historische Relikte

lassen sich deshalb hervorragend als konstante Orientierungssysteme

nutzen, weil sie uns scheinbar nichts mehr zu sagen haben.

Wie ein übergestülptes Kleid erzählen aktuelle Zeichensysteme

von Handlungsoptionen. Kaum jemand zweifelt daran, dass jene

Bilder, die unser Handeln vorantreiben, uneinlösbare Utopien darstellen.

So wie in Wikipedia das Bild der Welt permanent umgeschrieben

wird, ist Identität heute nur noch als jeweils aktuelle

Form eines Energieflusses zu verstehen, der jenen Phänomenen,

die eine Zuwendung erhalten, bestimmte einschränkende oder

ausweitende Optionen eröffnet. Sich selbst treu zu bleiben wird zu

einer Hoffnung, die selbst die klassischen Leuchttürme der Orientierung

– Stars und Marken – zugunsten einer sich wandelnden

Form aufgeben.

Gestaltung im Sinne einer Weiterentwicklung von Zeichensystemen

kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale, leitende

und Orientierung stiftende Rolle zu. Sicherheit bieten die Formen

und Strukturen, die Veränderung unterstützen, ohne uns einem

Gefühl der Hilflosigkeit auszusetzen. Wirklich bleiben jene Entwürfe,

die wir uns anvertrauen.

Orientierung bedarf eines Ziels und einer Reihe von Hinweisen,

wie dieses Ziel zu erreichen sein könnte. Orientierung ist nur

nötig und möglich, wo sich mindestens zwei Optionen voneinander

unterscheiden lassen. Haben wir einmal einen Weg eingeschlagen,

bleiben wir diesem gerne so lange treu, bis wir über neue Möglichkeiten

stolpern. Wir prüfen nicht jedes verfügbare Zeichen, um

Entscheidungen zu treffen, vielmehr suchen wir oft lediglich nach

Hinweisen, die einen bereits eingeschlagenen Weg zu bestätigen

scheinen. Der Blick ist selektiv. Sollten uns Zeichen jedoch dazu

verleiten, Zielrichtungen zu ändern, so tendieren viele heute innerlich

dazu, ihre Gedankengebäude so umzubauen, dass Irrwege,

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