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NUN, #2 – Die bewegte Stadt

Ausgabe Nr. 2 Die bewegte Stadt Release 28. September 2018 Auflage 3.000 Exemplare Liebe Leserinnen und Leser, mit einer wahrhaft wilden Rutschpartie ist NUN, #1 in die Stadt geplumpst. Und sanft gelandet. Mitten zwischen euch. Wellen der Partizipation haben es in viele Richtungen getragen, neue Ideen, Geschichten und ihre Verfassenden zu uns gespült und aus dem Schwung der nullten Stunde direkt Bewegung in die nächste gebracht. In diesen Seiten knistert die Dürre des Sommers, eine Hitze und Trockenheit, wie sie die Pretorianer gut kennen, die diesen Frühling am See zu Gast waren. Es schwirrt die Luft über heißem Asphalt, der zäh und glühend unter der nassen, nackten Haut liegt. Läufer schwitzen bei Sonnenaufgang im spärlichen Schatten der kahlen Baumriesen im Lorrettowald. Schiffsschrauben durchwirbeln den schleimigen Algensalat von Kreuzlingen bis Schaffhausen. Es riecht nach den modrigen Blasen, die aus der knieseichten Vierländerpfütze aufsteigen. Wir heben den Blick in luftige Höhen, während die Wiesen gelb und der See grün werden, der Himmel blau glüht und die Haut der Seebewohner eine Jahrhundertbräune erlangt. Eine farblose Frau dreht sich träge, aber unermüdlich um die eigene Achse. Es ist ein Sommernächtetraum, den wir leben, wenn es quirlig wird nach Sonnenuntergang, wenn das Brennen nachlässt und Stimmen und Weißweinschorle die Gassen durchziehen, während die Fell- und Flossentiere das Ufer in Beschlag nehmen. Auf der Suche nach Heimat in der Fremde lernen wir welche kennen, die ihre hier gefunden haben und einen Hauch Orient in die Stadt bringen. Und während die Tage wieder kürzer werden, sind die Nächte lang für Horst, bunt wie eine Regenbogenfahneund ein Schlaraffenland für Naschkatzen. Ein Heft, eine Hommage an die Stadt am Wasser, an euch, die sie lebendig machen. Annabelle Höpfer und Miriam Stepper

Ausgabe Nr. 2
Die bewegte Stadt
Release 28. September 2018
Auflage 3.000 Exemplare

Liebe Leserinnen und Leser,

mit einer wahrhaft wilden Rutschpartie ist NUN, #1 in die Stadt geplumpst. Und sanft gelandet. Mitten
zwischen euch. Wellen der Partizipation haben es in viele Richtungen getragen, neue Ideen, Geschichten und ihre Verfassenden zu uns gespült und aus dem Schwung der nullten Stunde direkt Bewegung in die nächste gebracht. In diesen Seiten knistert die Dürre des Sommers, eine Hitze und Trockenheit, wie sie die Pretorianer gut kennen, die diesen Frühling am See zu Gast waren. Es schwirrt die Luft über heißem Asphalt, der zäh und glühend unter der nassen, nackten Haut liegt. Läufer schwitzen bei Sonnenaufgang im spärlichen Schatten der kahlen Baumriesen im Lorrettowald. Schiffsschrauben durchwirbeln den schleimigen Algensalat von Kreuzlingen bis Schaffhausen. Es riecht nach den modrigen Blasen, die aus der knieseichten Vierländerpfütze aufsteigen. Wir heben den Blick in luftige Höhen, während die Wiesen gelb und der See grün werden, der Himmel blau glüht und die Haut der Seebewohner eine Jahrhundertbräune erlangt. Eine farblose Frau dreht sich träge, aber unermüdlich um die eigene Achse. Es ist ein Sommernächtetraum, den wir leben, wenn es quirlig wird nach Sonnenuntergang, wenn das Brennen nachlässt und Stimmen und Weißweinschorle die Gassen durchziehen, während die Fell- und Flossentiere das Ufer in Beschlag nehmen. Auf der Suche nach Heimat in der Fremde lernen wir welche kennen, die ihre hier gefunden haben und einen Hauch Orient in die Stadt bringen. Und während die Tage wieder kürzer werden, sind die Nächte lang für Horst, bunt wie eine Regenbogenfahneund ein Schlaraffenland für Naschkatzen. Ein Heft, eine Hommage an die Stadt am Wasser, an euch, die sie lebendig machen.

Annabelle Höpfer und Miriam Stepper

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ausgabe 2<br />

spätsommer 2018<br />

<strong>Die</strong> <strong>bewegte</strong> <strong>Stadt</strong><br />

Ein Magazin für Kreuzlingen und Konstanz


1 EDITORIAL<br />

Liebe<br />

Leserinnen<br />

und Leser!<br />

Mit einer wahrhaft wilden Rutschpartie ist <strong>NUN</strong>, #1<br />

in die <strong>Stadt</strong> geplumpst. Und sanft gelandet. Mitten<br />

zwischen euch. Wellen der Partizipation haben es in<br />

viele Richtungen getragen, neue Ideen, Geschichten<br />

und ihre Verfassenden zu uns gespült und aus dem<br />

Schwung der nullten Stunde direkt Bewegung in die<br />

nächste gebracht.<br />

In diesen Seiten knistert die Dürre des Sommers, eine<br />

Hitze und Trockenheit, wie sie die Pretorianer gut<br />

kennen, die diesen Frühling am See zu Gast waren. Es<br />

schwirrt die Luft über heißem Asphalt, der zäh und<br />

glühend unter der nassen, nackten Haut liegt. Läufer<br />

schwitzen bei Sonnenaufgang im spärlichen Schatten<br />

der kahlen Baumriesen im Lorrettowald. Schiffsschrauben<br />

durchwirbeln den schleimigen Algensalat von<br />

Kreuzlingen bis Schaffhausen. Es riecht nach den modrigen<br />

Blasen, die aus der knieseichten Vierländerpfütze<br />

aufsteigen. Wir heben den Blick in luftige Höhen,<br />

während die Wiesen gelb und der See grün werden,<br />

der Himmel blau glüht und die Haut der Seebewohner<br />

eine Jahrhundertbräune erlangt. Eine farblose Frau<br />

dreht sich träge, aber unermüdlich um die eigene Achse.<br />

Es ist ein Sommernächtetraum, den wir leben, wenn<br />

es quirlig wird nach Sonnenuntergang, wenn das Brennen<br />

nachlässt und Stimmen und Weißweinschorle die Gassen<br />

durchziehen, während die Fell- und Flossentiere das<br />

Ufer in Beschlag nehmen. Auf der Suche nach Heimat<br />

in der Fremde lernen wir welche kennen, die ihre hier<br />

gefunden haben und einen Hauch Orient in die <strong>Stadt</strong><br />

bringen. Und während die Tage wieder kürzer werden,<br />

sind die Nächte lang für Horst, bunt wie eine Regenbogenfahne<br />

und ein Schlaraffenland für Naschkatzen.<br />

Ein Heft, eine Hommage an die <strong>Stadt</strong> am Wasser, an<br />

euch, die sie lebendig machen. Annabelle Höpfer und Miriam Stepper


D u<br />

fi n d est<br />

<strong>NUN</strong>,<br />

wertvoll<br />

und möchtest dazu beitragen,<br />

das Projekt langfristig in<br />

Kreuzlingen und Konstanz zu<br />

verankern?<br />

<strong>Die</strong>ses Heft ist ein geschenk an dich, an die stadt,<br />

an deine Nachbarschaft. alle inhalte und die gesamte<br />

Verwirklichung verdanken wir den unentgeltlichen<br />

beiträgen aller mitwirkenden.<br />

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aktiv die weiterentwicklung einer regionalen idee<br />

und junger talente, die etwas bewegen möchten.<br />

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Freunde, wenn du es ausgelesen hast, so hat das<br />

papier ein langes Leben.<br />

→ w ww.<strong>NUN</strong>-magaziN . D e/goeNNer


INHALT<br />

2<br />

20<br />

Jörg<br />

Bewegt mit und<br />

gegen sich selbst<br />

36<br />

Geil-o-mat<br />

Schlaraffenland auf Knopfdruck<br />

6<br />

Oben<br />

Eine Reportage aus<br />

der Fliegerszene<br />

24<br />

<strong>Die</strong> Anfänge<br />

des Regenbogens<br />

Prädikat Sündenpfuhl<br />

38<br />

Europa, wo bist du?<br />

Der Fotograf Florian Schwarz<br />

und seine Suche nach dem,<br />

was uns zusammen hält<br />

12<br />

27 Ansichten ...<br />

... einer wohlbekannten Frau<br />

26<br />

Claudia tanzt<br />

Ägyptischer Tanz<br />

in Kreuzlingen<br />

14<br />

Neulich auf dem<br />

Kinderspielplatz ...<br />

Interview zweier 7-Jähriger mit<br />

Insa Pijanka und Stefan Roth<br />

18<br />

8280 | 78467<br />

Quartiersprosa<br />

32<br />

Aus dem Keller<br />

mitten ins Herz<br />

des Grenzgebiets<br />

Der Horst Klub<br />

in Kreuzlingen<br />

44<br />

Bewégung,<br />

[die]<br />

<strong>Stadt</strong>poesie<br />

48<br />

<strong>Die</strong> Macht über<br />

den eigenen Tempel<br />

Geschichte einer<br />

Körpermodifikation<br />

Inhalt


3<br />

INHALT<br />

54<br />

Perspektive<br />

Fotografie<br />

74<br />

Wellenbummler<br />

Mit der Unterseelinie<br />

über den Rhein<br />

94<br />

Newcomer<br />

Ein Gespräch über flexibles<br />

Arbeiten und neue Bewegungsformen<br />

für Kopf und Körper<br />

56<br />

Schalom<br />

Ein jüdisches Portrait<br />

78<br />

Lieblingsfarben<br />

Ein Jugendaustausch<br />

über zwei Kontinente<br />

62<br />

Kelle Royal<br />

mit Gorbatschow<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> durch zwei<br />

Augen und vier Pfoten<br />

66<br />

Vrooom <strong>–</strong> Faster<br />

than Therapy<br />

Rummelbesuch<br />

ohne Führerschein<br />

82<br />

Ein Besuch bei den<br />

Damaszenern in Petershausen<br />

88<br />

Zwei Schwestern<br />

und ein Feigenblatt<br />

Ein Abschiedsgespräch<br />

92<br />

Wie der Wald<br />

zu laufen begann<br />

Ein Sprint durch die<br />

Zeit mit Peter Reiher<br />

100<br />

Tipps ums Eck<br />

Orte und Momente<br />

102<br />

Danke<br />

104<br />

Impressum<br />

104 Seiten Liebe<br />

zur <strong>Stadt</strong> und<br />

pures Vergnügen.<br />

Ein saisonales<br />

Produkt mit regionalem<br />

In- und<br />

Output.


DIE BEWEGTE STADT 4<br />

Das Leben rennt, es springt, stolpert,<br />

stürzt, tappt mit weißem Sneaker in<br />

die braune Pfütze, tänzelt über den<br />

schmalen Grad, taumelt vor Glück,<br />

streift das stinkende Häufchen um<br />

Haaresbreite, steht mit beiden Beinen<br />

im Augenblick. Es ist mal Trittbrettfahrer,<br />

mal Steuermann, aber stets in<br />

Veränderung, getragen von Begegnungen,<br />

Begegnenden, angetrieben von<br />

Ideen oder gejagt vom Fortschritt.<br />

Selbst der un<strong>bewegte</strong> Körper kann<br />

Meilen machen, selbst die rennenden<br />

Beine uns rückwärts drängen. Das<br />

ganze Leben ist eine einzige Bewegung,<br />

hin zu einem Punkt am fernen Horizont,<br />

der sich seinerseits mal näher,<br />

mal ferner zu befinden scheint.


5<br />

DIE BEWEGTE STADT<br />

Im Zeitraffer um uns herum, hat <strong>NUN</strong>,<br />

kleine Augenblicke für euch eingefangen,<br />

den Blick auf großen Herzen<br />

und kleinen Köpfen ruhen lassen und<br />

die Geschichten, die unseren Alltag<br />

durchwirbeln, in einer Momentaufnahme<br />

festgehalten.


OBEN 6<br />

OBEN<br />

→<br />

EINE REPORTAGE AUS<br />

DER FLIEGERSZENE<br />

Konstanz hat einen der ältesten<br />

Flugplätze Deutschlands. Auf<br />

dem weiten Grün zwischen<br />

Ortseinfahrt und Finanzamt<br />

tummeln sich Fliegerinnen und<br />

Flieger. Menschen, deren Freiheitsdrang<br />

sie immer wieder in<br />

die Luft aufsteigen lässt.<br />

Säntis<br />

Kurfürsten<br />

Arbon<br />

Rorschach<br />

Romanshorn<br />

Kreuzlingen<br />

Lindau<br />

Wasserburg<br />

Konstanz<br />

Reichenau<br />

Langenargen<br />

Friedrichshafen<br />

Meersburg<br />

Mainau<br />

Überlingen


7<br />

OBEN<br />

TEXT — Marc-Julien Heinsch<br />

ILLUSTRATION — Isabell Schmidt-Borzel<br />

FOTOS — Archiv Flughafen GmbH<br />

Mit einem Röhren springt der sechszylindrige Motor an.<br />

Dann läuft er ruhig und stetig. Propellerblätter durchschneiden<br />

die Luft. Schneller und immer schneller drehen sie sich, sind<br />

nur noch ein Flirren für das menschliche Auge. Matthias Baier<br />

dreht an Reglern und prüft Anzeigen. Er meldet sich über<br />

Funk beim Tower. Es kann losgehen. Langsam rollt die Cessna<br />

172 Reims Rocket um die Kurve. Dann liegt nur noch die<br />

weite grüne Startbahn vor ihr. Baier, hinter Sonnenbrille und<br />

Headset der Archetyp eines Piloten, drückt aufs Gas. 210 PS<br />

lassen die gut eine Tonne schwere Maschine vibrieren. Sie<br />

schießt über den Rasen, vorbei am Tower, und Baier zieht<br />

den Steuerknüppel, der eher dem Lenkrad eines Rennwagens<br />

ähnelt, zu sich. Geschwindigkeit und Höhenruder erheben<br />

das Flugzeug vom Rasen des Flugplatzes. Erst einen, dann drei,<br />

dann 15 Meter. Ich, der Reporter auf dem Co-Pilotensitz,<br />

schwitze. Mir wird im Wechsel heiß und kalt. Panik und Euphorie<br />

liefern sich ein Wettrennen durch meine Eingeweide,<br />

meine Synapsen feuern wie wild. Ob wir wohl kurz anhalten<br />

können? Kurz darauf schwebt die Cessna hoch über dem<br />

Untersee. Unter der Maschine, inmitten von glitzerndem<br />

Wasser, liegt die Reichenau und am blauen Horizont zeichnet<br />

sich, dicht unter der glühenden Sonne, die Silhouette der<br />

Hegau-Vulkane ab. Freiheit, ein wohliges Kribbeln in der Magengrube.<br />

<strong>Die</strong> Welt von oben. Ich werde langsam ruhig, kann<br />

meine Reporterrolle einnehmen. Mein Blick richtet sich von<br />

innen wieder nach außen.<br />

Baier im Pilotensitz kann sich ebenfalls ein wenig entspannen.<br />

Der Start ist geschafft. Neben der Landung der kniffligste<br />

Teil eines jeden Motorflugs. Baier arbeitet als Bundespolizist<br />

und fliegt seit 25 Jahren. Ein Mann mit guten Nerven. Doch<br />

noch immer bezeichnet er Start und Landung als Schwerstarbeit.<br />

28 Jahre lebt Baier, der gebürtiger Franke ist, bereits in<br />

Konstanz: „Ich kam als Fußgänger auf den Flugplatz und<br />

dachte: Das muss geil sein.“ Und als Pilot hat er ihn wieder verlassen.<br />

Ikarus, der uralte Menschheitstraum vom Fliegen.<br />

Bewegung im dreidimensionalen Raum, in einem Element,<br />

das wir nicht sehen, höchstens nach jahrzehntelanger Erfahrung<br />

fühlen können. Nach gut 100 Starts und Landungen in Begleitung<br />

eines Fluglehrers stand für Baier der erste Alleinflug<br />

an. „Nach deinem ersten Flug ohne Begleitung hast du ein<br />

anderes Selbstbewusstsein“, sagt der 47-Jährige, „du steigst aus<br />

und bist irgendwie befreit.“ Unter der Cessna zieht nun<br />

Singen vorbei. 1989 hat der Konstanzer Club der Flieger die<br />

Maschine vom Hessischen Rundfunk gekauft. Auf der blauweiß<br />

lackierten Nase prangt noch ein längst vergessenes Sendermaskottchen.<br />

35 aktive Piloten teilen sich im Verein die Cessna.<br />

1.000 Euro im Jahr zahlt jedes der insgesamt 75 Mitglieder dafür.<br />

Der Gipfel des Hohentwiel scheint nun so nah, dass ich beinahe<br />

die Besucher der Festungsruine zählen kann. Es ist ein<br />

erhabenes Gefühl in wenigen Minuten eine Strecke zurück<br />

zu legen, die einen im Auto eine halbe Stunde kostet. In einer<br />

weiten Kurve geht es gen Überlingen zurück zum See.<br />

Aus der Luft ist der Flugplatz Konstanz eine der größten<br />

freien Grünflächen im <strong>Stadt</strong>gebiet. Er misst 230.000 Quadratmeter,<br />

ist damit etwa so groß wie 21 Fußballfelder und hat<br />

eine lange Tradition. Im Januar 1910 experimentieren die beiden<br />

Luftfahrpioniere Ernst Schlegel und Bobby Züst auf dem<br />

Exerzierplatz im Nordwesten Konstanz’. Der Konstanzer Ernst<br />

Schlegel testet in den Folgejahren verschiedene selbstgebaute<br />

Flugmaschinen und eröffnet 1918 einen „Flughafen“ auf dem<br />

alten Exerzierplatz. 1919 ist Konstanz die erste süddeutsche<br />

<strong>Stadt</strong> mit öffentlichem Luftverkehr und es gibt sogar Passagierflüge<br />

zwischen Konstanz und Berlin. Ein Platz mit Geschichte<br />

also. Im Jahr 2018 gibt es von drei Vereinen und zwei Firmen<br />

→<br />

Bereits 1910 führten die Konstanzer<br />

Aviatiker Ernst Schlegel und<br />

Bobby Züst ihre ersten Flüge mit<br />

einer selbstgebauten „Flugmaschine“<br />

durch <strong>–</strong> die Geburtsstunde des<br />

Flugplatzes Konstanz. 1


OBEN<br />

8<br />

Segelflug-, Ultraleichtflug- und Motorflugbetrieb auf dem<br />

Platz. Linienflüge oder Zollabwicklung gibt es nicht mehr.<br />

Heute sieht man dem Platz seine Geschichte an. Hangars,<br />

Tower und die Vereinsgebäude wirken <strong>–</strong> positiv ausgedrückt <strong>–</strong><br />

historisch.<br />

Der Platz ist offensichtlich in die Jahre gekommen. Schilder<br />

an der Ortseinfahrt weisen auf Bodenseeforum, Museen<br />

und Parkmöglichkeiten hin. Vom Flugplatz ist nirgends die<br />

Rede. <strong>Die</strong> Tafel „Flugplatz Konstanz“ ist hinter dichtem Blattwerk<br />

kaum zu entziffern. Woran liegt das? <strong>Die</strong> Antwort ist<br />

kompliziert. Der Platz ist ein Politikum. In einer <strong>Stadt</strong>, die stetig<br />

wächst, zwischen Schweiz, Naturschutzgebiet und See aber<br />

wenig Raum hat, wird eine attraktiv gelegene Freifläche zum<br />

Objekt der Begierde städtebaulicher Gedankenspiele. Gewerbe<br />

könnte dort angesiedelt werden. Und weil das schon seit<br />

den Siebzigerjahren immer wieder im Gemeinderat diskutiert<br />

wird, hangelt sich die städtische Flughafengesellschaft<br />

Konstanz GmbH von einem kurzfristigen Pachtvertrag zum<br />

nächsten. Was wiederum erklärt, warum kein Investor bereit<br />

ist, in die Infrastruktur des Flugplatzes zu investieren. Seine<br />

Zukunft ist ungewiss. Doch in diesem Jahr soll <strong>–</strong> vielleicht endgültig<br />

<strong>–</strong> eine Entscheidung im Gemeinderat fallen. Langfristiger<br />

Erhalt als Flugplatz oder Erschließung und Bebauung.<br />

Langjährige Konstanzer teilen sich in Flugplatzbefürworter<br />

und -gegner.<br />

Zwei, die eine Schließung des Flugplatzes besonders schmerzen<br />

würde, sind Helge Loschan, 72 und Robert Leitner, 62.<br />

Wäre Loschan nicht ein Urgestein der Fliegerszene, dann<br />

könnte er die vakante Stelle des Traumschiffkapitäns besetzen.<br />

Schlohweißes Haar und gepflegter Schnauzbart treffen auf<br />

gebräunte Haut, strahlend weiße Zähne und einen sonoren<br />

Bariton. Ihm fehlen noch etwa 1.500 Flüge, dann hat er 30.000<br />

erfolgreiche Starts und Landungen in seiner Vita. Eine Menge,<br />

die sich durchaus mit Berufspiloten messen kann. In den Sechzigerjahren<br />

begann Loschan mit einer Schülergruppe das<br />

Segelfliegen. Damals in einem hölzernen Gestell aus Flügeln,<br />

Radbau und Rumpf. Ganz ohne Cockpit. „Mit Gummiseilen<br />

wurdest du da von insgesamt zwölf Mann von einem Hügel<br />

in die Luft befördert“, erinnert sich der 72-Jährige an seine<br />

fliegerischen Anfangstage, „da hast du die Flugsekunden gezählt.<br />

Nicht die Stunden. Das war der Kick der damaligen<br />

Zeit. Und eine Gemeinschaftsleistung. Niemand kam ohne<br />

die anderen in die Luft.“<br />

Robert Leitner ist Flugleiter und Landesbeauftragter für<br />

Luftaufsicht in Konstanz. Wenn Helge Loschan ein echter Flugkapitän<br />

ist, dann ist Leitner eher der Seebär der Lüfte. Zuerst<br />

etwas grummelig, aber mit Zweiwochenbart und zerknautschtem<br />

Grinsen ein begeisterter Erzähler: „Wenn du erst einmal<br />

oben bist, sind die Sorgen weit weg. <strong>Die</strong>se Freiheit, das ist einfach<br />

ein Faszinosum.“ Über Funk ist Leitner der Ansprechpartner<br />

für alle Flieger, die Konstanz einen Besuch abstatten<br />

oder von dort starten wollen. Mit Funksprüchen wie: „Guten<br />

Tag, hier Delta, Foxtrott, Delta, Alpha. Jetzt über Final Point“,<br />

melden sich die Flieger bei ihm.<br />

„Zu fliegen ist unglaublich erholsam und befreiend. Wenn<br />

ich in der Luft war, bin ich danach eine Woche lang entspannt.<br />

Aber dann will ich wieder hoch“, beschreibt Matthias Baier das<br />

Fliegen. Wieder mit Boden unter den Füßen, ist man noch<br />

immer wie im Rausch. Ein triumphierendes Grinsen schleicht<br />

sich ins Gesicht. <strong>Die</strong> Zwänge der Schwerkraft wurden besiegt.<br />

Für eine halbe Stunde war man der König der Lüfte. Oder zumindest<br />

des Luftraums. Man hat geleistet und überlebt, was<br />

der Mensch von Natur aus nicht können dürfte. <strong>Die</strong> Statistik<br />

zeigt, dass das Auto eigentlich das unsicherere Verkehrsmittel<br />

ist. Pro 100 Millionen Reisestunden sterben 25 Autofahrer,<br />

dahinter liegt das Flugzeug mit 16 Toten. Wie beim Autofahren<br />

gehen außerdem auch beim Fliegen mit zunehmendem technischen<br />

Fortschritt die Zahlen der Todesopfer zurück. Dennoch<br />

wiegen Flugzeugabstürze im kollektiven Gedächtnis schwerer<br />

als Autounfälle. Zumeist, weil Unglücke mit großen Passagierflugzeugen<br />

gleich eine große Zahl von Opfern fordern.<br />

<strong>Die</strong> potenzielle Gefahr beim Fliegen will Matthias Baier nicht<br />

kleinreden. Man müsse immer hochkonzentriert, in der Vorbereitung<br />

gewissenhaft und vor allem angesichts bestimmter<br />

Wetterlagen vernünftig sein. Ein englisches Sprichwort der<br />

Fliegerei lautet übersetzt: „Es gibt alte und kühne Piloten. Aber<br />

es gibt keine alten und kühnen Piloten.“<br />

Gerry Mayr gehört mit seinem Rekordstreben ganz sicher<br />

zu den kühnen Piloten. Er hält mehrere Weltrekorde und<br />

umkreiste beispielsweise mit einem Motorschirm den K2 in<br />

Pakistan, einen der höchsten Berge der Welt. Und mit über<br />

50 schickt Mayr sich an, trotz seiner Kühnheit alt zu werden.<br />

Er sagt: „Du musst dir klar sein, dass all die Technik ohne<br />

die Natur nichts ist. <strong>Die</strong> Luft muss dein Freund sein.“ Und<br />

auch Baier appelliert an die Vernunft der Piloten: „Ich würde<br />

beispielsweise nie bei Föhn an die Alpen heranfliegen. <strong>Die</strong> →


9<br />

Seit der Kaiserzeit behauptet<br />

sich die Bodenseeregion<br />

(getrieben durch Namen wie<br />

Dornier und Zeppelin) als<br />

fliegerisches Zentrum. In den<br />

20er Jahren steht am Konstanzer<br />

<strong>Stadt</strong>garten ein Dornier<br />

Delphin Flugboot für Rundflüge<br />

zur Verfügung. 2<br />

Unter Gesellschaften wie der<br />

Bodensee-Luftverkehrsgesellschaft<br />

Willy Truckenbrodt<br />

& Co. sowie dem<br />

Bodensee-Aero-Lloyd entstehen<br />

erste Flugpost- und<br />

Reiseflugverbindungen,<br />

auch im Wasserflugbetrieb. 3<br />

Nach Aufhebung des Nachkriegs-Flugverbots<br />

im Jahre<br />

1951 erlebt der Flugsport<br />

auch in Konstanz einen Aufschwung.<br />

<strong>Die</strong> kriegsgeplagten<br />

Bürger genießen die zurückgewonnene<br />

Freiheit, indem sie<br />

eigene Flugzeuge bauen und<br />

fliegen. Gelegentlich dienen<br />

auch Kamele als Flugbetriebshelfer.<br />

4


OBEN<br />

10<br />

INTERESSANTES<br />

ZUM FLUGPLATZ<br />

1) Der Verkehrslandeplatz ist eine der<br />

größten Grünflächen in Konstanz. <strong>Die</strong><br />

beanspruchte Fläche befindet sich auf<br />

hochwassergefährdetem Gebiet, welches<br />

zum Großteil nicht bebaubar und von<br />

naturschutzrechtlicher Bedeutung ist.<br />

2) Neben drei ansässigen Firmen und fünf<br />

Vereinen bietet der Landeplatz kontinuierlich<br />

Raum für Jugendarbeit, Forschung<br />

und Entwicklung <strong>–</strong> u.a. in Zusammenarbeit<br />

mit der Fachhochschule HTWG, der<br />

internationalen Schule Kreuzlingen/<br />

Konstanz sowie dem Max-Planck-Institut<br />

für Ornithologie.<br />

Der Bodensee als Sonderlandeplatz:<br />

Während der Seegfrörne 1963 landen<br />

Sportflugzeuge direkt auf dem Eis. 5<br />

3) Jedes Jahr durchlaufen an diesen Flugschulen<br />

und Vereinen bis zu 25 Piloten eine<br />

Flugausbildung. Daraus sind über 30 Berufspiloten<br />

aus allen Gesellschaftsschichten<br />

hervorgegangen, davon mindestens 12 Flugkapitäne.<br />

4) Der Flugplatz wird sowohl von Rettungsdiensten<br />

als auch Polizei und Grenzschutz<br />

für Standard-, Überwachungs- und Notfalleinsätze<br />

benötigt. Für hoffentlich nie<br />

eintretende Katastrophen bietet der Flugplatz<br />

als Lande-, Sammlungsplatz<br />

und/oder Zeltlager Sicherheitsreserven.<br />

Wettkämpfe und Treffen wie das internationale Bodensee-<br />

Freundschaftsfliegen von 1969 fördern Austausch, Kameradschaft<br />

und einen hohen Ausbildungsstandard. Sie sind bis<br />

heute fester Bestandteil jeder Flugsaison. 6<br />

5) Der Flugplatz Konstanz ist Teil der öffentlichen<br />

Infrastruktur und wird vielfältig<br />

genutzt. Neben privaten Flugbewegungen<br />

und Tourismus geht ein beachtlicher Anteil<br />

der Flugbewegungen auf Patienten- und<br />

Medikamententransport, Geschäftsreiseverkehr,<br />

Kurierdienste, Landvermessung,<br />

Infrastrukturüberwachung und Forschung<br />

zurück.<br />

6) Der Flugplatz dient großen Veranstaltungen<br />

und dem „Seenachtfest“ als kontrollierter<br />

Zeltplatz. Für viele Besucher stellt<br />

das ein ganz besonderes Highlight dar,<br />

welches andere Städte nicht bieten können.<br />

Infotext und Bildunterschriften:<br />

Simon Wippich<br />

BILDNACHWEISE:<br />

„Vogelschau“ auf die sommerliche<br />

Bodenseeinsel Reichenau. 7<br />

1+6) Archiv Flughafen-Gesellschaft<br />

Konstanz GmbH<br />

2+3) Archiv Flughafen-Gesellschaft<br />

Konstanz GmbH, Loschan<br />

4) Drefahl<br />

5) Archiv Arbeitskreis Luftverkehr<br />

Konstanz e.V.<br />

7) Eveline Rosenthaler


11<br />

OBEN<br />

Thermik ist dann viel zu gefährlich. Das heißt: Angst fliegt<br />

nicht mit, aber der Respekt.“<br />

Wir umrunden nun das Hörnle. <strong>Die</strong> Mainau, die Fähre und<br />

das Strandbad ziehen unter uns vorbei. Am Horizont ist das<br />

Bregenzer Seeufer und im Dunst des heißen Tages sachte<br />

das Zickzack der Alpen zu erkennen. Baier, der zuerst etwas<br />

stoisch und wortkarg wirkte, ist nun in seinem Element. Er<br />

grinst breit und sagt in seinem fränkischen Zungenschlag: „Ich<br />

bin schon überall in Europa geflogen. Aber hier ist es einfach<br />

am schönsten. Der See, die Alpen, das ist einfach unvergleichlich.“<br />

Ich kann ihm nur selig lächelnd beipflichten. Das Gefühl<br />

von Erhabenheit, das mich durchströmt, kann ich nicht in<br />

Wort fassen. Ich höre es mich dennoch versuchen. „Das ist der<br />

Wahnsinn“, lache ich ins Headset. Ich bin berauscht. Ganz<br />

so unvergleichlich wie für Baier ist die Fliegerei für Gerry Mayr<br />

nicht. Der Extremsportler bezeichnet die Luft als sein Element<br />

und sagt über das Fliegen: „Das hat ganz viel mit Adrenalin<br />

und Endorphinen zu tun. Das ist wie beim Sex. Wenn<br />

du das einmal gefühlt hast, willst du es immer wieder und kannst<br />

es einfach nicht mehr vergessen.“ Unter den Fliegern sei von<br />

der Kassiererin bis zum Professor alles dabei, aber „Flieger sind<br />

Alpha-Leute. Menschen mit einer großen Freiheitsliebe, die<br />

gerne führen und sich viel zutrauen.“ Eine der wenigen Pilotinnen<br />

in Konstanz ist die 47-jährige Minky Schweizer. 1992<br />

hat sie mit nur 22 Jahren das Fliegen begonnen. Sie leitet an<br />

einigen Tagen im Monat anstelle von Robert Leitner den Tower.<br />

Eine Theorie, warum es so wenige Pilotinnen gibt, will sie<br />

nicht aufstellen. Lieber spricht sie mit glühenden Augen über<br />

die Magie des Fliegens: „Es ist ja fast ein bisschen peinlich mit<br />

diesem Freiheitsgefasel. Aber wenn du Gas gibst und abhebst,<br />

willst du nie wieder etwas anderes. <strong>Die</strong> Welt von oben ist einfach<br />

so wunderschön.“ Langsam beginnt der Landeanflug über<br />

der Konstanzer Bucht und der Anblick raubt mir den Atem.<br />

In das Licht der Abendsonne getaucht liegen Kreuzlingen und<br />

Konstanz vor uns, während sich der Seerhein, Untersee und<br />

Obersee gen Horizont schlängeln. Es ist wirklich alles fern hier<br />

oben. Der Blick wird geweitet. Landes- und <strong>Stadt</strong>teilgrenzen<br />

verschwinden, Staus und Baustellen sind vergessen. Hoch über<br />

der Welt. Oben.<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Marc ging selbst in die Luft, um herauszufinden,<br />

warum seit Jahren so<br />

leidenschaftlich um den Flugplatz<br />

gestritten wird. Hoch oben fand er<br />

die Bodenseeregion wie einst Otto<br />

Dix „zum Kotzen schön“. Trotz Magengrummeln<br />

lässt ihn das Fliegervirus<br />

aber nicht mehr los. Er will wieder in<br />

die Luft.<br />

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27 ANSICHTEN<br />

2<br />

In über drei Millionen<br />

Umdrehungen sähen echte<br />

Augen in circa sechzehn<br />

Metern über dem See im<br />

Wesentlichen Blau.<br />

12<br />

3<br />

Was soll man als Konstanzerin<br />

von der riesigen Figur halten?<br />

War es größenwahnsinnig, eine<br />

Frauenfigur in der Hafeneinfahrt<br />

unseres Städtchens haben<br />

zu wollen wie die New Yorker;<br />

noch größenwahnsinniger gar,<br />

sie als „nicht so pathetisch“ und<br />

„etwas freizügiger“ zu bezeichnen?<br />

Zeugt es von Fortschrittlichkeit<br />

und Aufklärung, das „weltweit<br />

größte Denkmal für eine<br />

Prostituierte“ als Wahrzeichen<br />

der <strong>Stadt</strong> zu haben, oder ist<br />

eher das Gegenteil der Fall?<br />

TEXT — Heike Meyer<br />

1<br />

Wenn alles Narretei und<br />

Gaukelei ist, könnten<br />

die wahrhaft Mächtigen<br />

auch als Frauen verkleidete<br />

Männer sein.<br />

4<br />

Nacht- und Nebelaktion,<br />

grenzüberschreitende<br />

Zusammenarbeit, gecharterte<br />

Fähren. Was ein<br />

wahrer Schildbürgerstreich<br />

ist, muss den Mythos über<br />

die Jahre von Erzählung<br />

zu Erzählung weiter vergrößern.<br />

7<br />

Einer der stichhaltigsten<br />

Gründe, warum vornehmlich<br />

junge Bürger sich<br />

1993 gegen die Aufstellung<br />

der Skulptur im Hafen<br />

aussprachen, war, dass das<br />

für erste Rendezvous sehr<br />

stimmungsvolle Plätzchen<br />

auf der Rückseite des<br />

Sockelhäuschens nun zu<br />

viele Menschen anzog und<br />

deshalb alternative Ecken<br />

dafür gesucht werden<br />

mussten.<br />

5<br />

Uneinigkeit in den Quellen<br />

über die Drehgeschwindigkeit.<br />

Eigene Messungen bestätigen<br />

knapp vier Minuten. Möglicherweise<br />

drehte sie sich in den<br />

Anfangszeiten schneller.<br />

10<br />

Eine Leiter nehmen und<br />

hoch steigen oder den Papst<br />

suchen gehen, der für kurze<br />

Zeit im Bahnhof saß. So<br />

eine Figur muss man doch<br />

fühlen.<br />

8<br />

Prostituierte, Kurtisane,<br />

Hure, Nutte, Dirne,<br />

Hübschlerin. Zu Füßen<br />

dieser Frau beschwören<br />

unzählige Paare die<br />

Unendlichkeit ihrer Liebe.<br />

Ob die Schlösser irgendwann<br />

das Gewicht der<br />

Skulptur aufwiegen oder<br />

vorher verboten werden?<br />

11<br />

Zum Schutz des öffentlichen<br />

Anstandes ist verboten, auf<br />

Plätzen und sonstigen Orten<br />

der Prostitution nachzugehen.<br />

Unzucht in Konstanz<br />

wird aufgehoben. 29. Oktober<br />

2001.<br />

6<br />

<strong>Die</strong> Annahme liegt nahe,<br />

dass der Rundtisch<br />

elektrisch bewegt wird,<br />

wobei offengelegt werden<br />

sollte, wie viel Strom hierzu<br />

verbraucht wird und wer<br />

diesen bezahlt. Sollte aus<br />

ökologischen Gründen<br />

entschieden werden, die<br />

Drehung abzuschalten,<br />

könnte im Gemeinderat<br />

abgestimmt werden, in<br />

welcher Stellung sie fortan<br />

stehen soll.<br />

9<br />

Knie und Wade des rechten<br />

Beins sind sehr lebensecht<br />

gearbeitet, allerdings ist eine<br />

Kante zu sehen. Vermutlich<br />

entstehen solche bei Betongussfiguren<br />

wie bei den<br />

Gipsväschen, die in Grundschulen<br />

für Muttertag gebastelt<br />

werden.<br />

12<br />

Rund- oder Drehtische werden<br />

außer in Werkzeugmaschinen<br />

zur Präsentation von<br />

Gegenständen von allen<br />

Seiten eingesetzt. <strong>Die</strong> Betrachtenden<br />

können dadurch<br />

stehenbleiben und müssen<br />

sich nicht um den präsentierten<br />

Gegenstand herum<br />

bewegen.


13<br />

Den Vorwurf, dass sie magersüchtig<br />

ist, kann man ihr nicht<br />

machen. Der Hintern ist erstaunlich<br />

dick oder sie hat<br />

ein starkes Hohlkreuz. Nach<br />

25 Jahren Auf-der-Stelle-<br />

Stehen und Heben hat sie eine<br />

extrem stabile Rumpfmuskulatur<br />

ausgebildet, ansonsten<br />

hätte sie schon lange<br />

aufgrund eines Bandscheibenvorfalls<br />

ausfallen müssen.<br />

14<br />

Wikipedia verzeichnet<br />

bis 1900 sechs Töchter<br />

der <strong>Stadt</strong> Konstanz:<br />

Clara Egghart, Margarete<br />

Blarer, Marie Ellenrieder,<br />

Lilly Braumann-Honsell,<br />

Maria Beyerle, Margarita<br />

Schwarz-Gagg. Imperia war<br />

wohl Römerin und somit<br />

keine Tochter der <strong>Stadt</strong>.<br />

13 27 ANSICHTEN<br />

15<br />

Das Spiel mit Zeigen und<br />

Verhüllen gehört zur<br />

Erotik, vielleicht gar zum<br />

Frausein dazu.<br />

16<br />

Im Innern des Sockels:<br />

Leiter, Holzklappstuhl,<br />

ein Paket extra große<br />

Latexhandschuhe, Schaufel<br />

und Handbesen, eine<br />

Sprühflasche, Putzlappen.<br />

23<br />

„Entschuldigen Sie, wissen Sie,<br />

was die Dame da oben zu bedeuten<br />

hat?“ Was soll man da<br />

sagen, lesen Sie selbst.<br />

19<br />

Pegelstand 3,97.<br />

Pegelstand 4,08.<br />

Pegelstand 3,83.<br />

17<br />

„Sauberer isch’s konstanzerischer“<br />

war das Motto<br />

der <strong>Stadt</strong> wahrscheinlich<br />

etwa zur selben Zeit, als<br />

die Imperia auf ihren Sockel<br />

gehoben wurde.<br />

20<br />

Ihr Rock fällt sehr weich, doch<br />

die Ärmel sind eckig-steif.<br />

24<br />

„Imperia. Römische Lebedame<br />

und Muse. Skulptur<br />

(9 m hoch, 18 t schwer).<br />

Erbaut 1993 vom Bodmaner<br />

Bildhauer Peter Lenk<br />

nach einer Geschichte von<br />

Honoré de Balzac über<br />

das Konstanzer Konzil<br />

(1414<strong>–</strong>1418).“<br />

25<br />

Damit sich die Skulptur ruckelfrei<br />

dreht, wird der Drehkranz<br />

mit Hilfe einer Zentralschmieranlage<br />

beständig gefettet.<br />

Eine Ein-Kanal-Zeitschaltuhr<br />

steuert den Zyklus neuerdings<br />

schmierstoffsparend. Der<br />

Pumpen-Vorratsbehälter kann<br />

elektrisch über eine Akku-<br />

Fettpresse wieder aufgefüllt<br />

werden. Exakt wie ein Uhrwerk<br />

läuft die Maschinerie.<br />

21<br />

<strong>Die</strong> Zünfte schreiben vor,<br />

dass die Masken an Aschermittwoch<br />

weggepackt<br />

werden müssen und bis<br />

zum Beginn der nächsten<br />

Fasnacht am Abend des<br />

6. Januar (in der Regel) nicht<br />

mehr getragen werden<br />

dürfen. Imperia trägt ihre<br />

Narrenkappe selbstbewusst<br />

das ganze Jahr.<br />

26<br />

Eine statistische Untersuchung<br />

hat ergeben, dass 85 Prozent<br />

der Besucher/innen sich damit<br />

begnügen, vom Steg aus zu<br />

schauen, und nicht den Sockel<br />

umrunden, wobei vor allem<br />

Paare von hier aus häufig ein<br />

Selfie schießen. <strong>Die</strong>jenigen,<br />

die selbst eine Runde um die<br />

Imperia drehen, bewegen<br />

sich in 57 Prozent der Fälle mit<br />

der Imperia und damit gegen<br />

den Uhrzeigersinn, in 32 Prozent<br />

der Fälle gegen die Imperia<br />

und somit mit dem Uhrzeiger.<br />

Im Rest der Fälle gehen<br />

sie nur bis hinten und auf<br />

demselben Weg wieder zurück.<br />

18<br />

Ebenfalls bis 1900 verzeichnet<br />

Wikipedia 87 Söhne<br />

der <strong>Stadt</strong> Konstanz. Im<br />

Zusammenhang mit der<br />

Idee einer Frauenfigur im<br />

Hafen, der Aufstellung,<br />

der Finanzierung und dem<br />

Protest gegen die Imperia<br />

tauchen ausschließlich<br />

Männernamen auf.<br />

22<br />

Es soll Menschen geben, die<br />

gesehen haben, dass sie angehalten<br />

und geputzt wurde.<br />

Zuständigkeit, Ausführung<br />

und Putztechnik unbekannt.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

27<br />

An klaren Tagen scheint<br />

das Betongrau leuchtend<br />

warm. Ich wünsche mir<br />

Lippenstift, Lidschatten<br />

und ein farbiges Kleid.<br />

Touristenwege zu gehen lässt<br />

sie immer ein bisschen erholter<br />

werden. Heike folgte deshalb dem<br />

größten Strom der <strong>Stadt</strong> und stattete<br />

Imperia mehrere Besuche ab.<br />

Wie ihre Stimmung <strong>bewegte</strong> sich<br />

auch der Pegel während dieser Zeit<br />

kräftig nach unten und oben.


NEULICH AUF DEM KINDERSPIELPLATZ...<br />

14<br />

Neulich<br />

auf dem<br />

Kinderspielplatz<br />

…<br />

→<br />

INTERVIEW ZWEIER 7-JÄHRIGER<br />

MIT INSA PIJANKA UND STEFAN ROTH


15<br />

NEULICH AUF DEM KINDERSPIELPLATZ...<br />

TEXT — Veronika Fischer<br />

FOTOS — Jette-Marie Schnell<br />

ILLUSTRATION — Annabelle Höpfer<br />

Konrad und Frida bestellen in der Alten<br />

Badi einen Eisbecher mit Sahne und<br />

Smarties (iiih Sahne), Stefan ein großes<br />

Mineralwasser und Insa ein Weizen, dazu<br />

raucht sie selbstgedrehte Zigaretten.<br />

… trafen sich Insa Pijanka, die<br />

künftige Intendantin der<br />

Konstanzer Philharmonie, und<br />

Stefan Roth, der in Kreuzlingen<br />

das Symphonische und<br />

das Jugendblasorchester<br />

dirigiert. Na gut, nicht zufällig.<br />

Sondern auf Einladung von<br />

Frida und Konrad, beide sind<br />

sieben Jahre alt. Unterhalten<br />

haben sie sich bei herrlichstem<br />

Sonnenschein nebenan, in<br />

der Alten Badi, mit Blick auf<br />

den Kreuzlinger Hafen.<br />

KREUZLINGER<br />

PARK<br />

Lieblingsspielplatz mit<br />

Seilbahn, Piratenschiff und<br />

Planschbecken. In unmittelbarer<br />

Nähe befinden<br />

sich Minigolf, der Streichelzoo<br />

mit Schweinemama<br />

Emma und der See.<br />

Konrad: Habt ihr auch Kinder?<br />

Insa und Stefan: Nein.<br />

Konrad: Okay. Und Haustiere?<br />

Insa: Ich hatte als Kind eine Katze. Hätte<br />

ich auch gern wieder, leider fehlt mir dafür<br />

die Zeit. Meine Arbeit macht nicht<br />

einmal eine Katze mit.<br />

Frida: Ich hätte auch gern ein Haustier.<br />

Gerade haben wir in der <strong>Stadt</strong>bibliothek<br />

Bücher über Schildkröten geholt.<br />

Stefan: Mein Opa hatte auch eine Schildkröte.<br />

Sie lebte bei ihm im Garten. Wenn<br />

es warm war, kam sie raus und ist herumgelaufen.<br />

Frida: Schildkröten können 80 Jahre alt<br />

werden. Hast du sie von deinem Opa geerbt?<br />

Stefan: Nein, leider nicht. Eines Tages war<br />

sie verschwunden. Wer weiß, vielleicht ist<br />

sie ja immer noch irgendwo unterwegs …<br />

Konrad: Und wenn ihr ein Tier<br />

wärt, welches wärt ihr dann?<br />

Insa: Vermutlich eine Katze.<br />

Stefan: Das gefällt mir auch gut. Da kann<br />

man kommen und gehen, wann man<br />

will und irgendwer stellt einem immer<br />

was zum Essen hin.<br />

Insa: Ich finde allerdings auch das Konzept<br />

Winterschlaf ziemlich gut. Vielleicht<br />

also doch ein Bär?<br />

Frida: Ich wäre ein Vogel.<br />

Konrad: Und ich ein Hund. Ein ziemlich<br />

schneller, der um die ganze Erde rennen<br />

kann.<br />

Konrad: Mögt ihr Käse?<br />

Insa: Ja, sehr gerne.<br />

Stefan: Nein, obwohl ich Schweizer bin,<br />

mag ich Käse nur in flüssiger Form. Fondue,<br />

Raclette, Pizza <strong>–</strong> okay, aber sonst<br />

mag ich Käse nicht besonders.<br />

Frida: Und euer Lieblingseis?<br />

Insa: Erdbeer, wenn es gut gemacht ist.<br />

Stefan: Stracciatella!<br />


16<br />

Konrad: Von was habt ihr<br />

schon mal gekotzt?<br />

Insa: Also von allem Möglichen, leider …<br />

Stefan: Naja, ich sag’ es mal so: Kleiner<br />

Feigling. Da sollte man nicht mehr als 20<br />

davon trinken.<br />

Insa: Gut, da kann ich noch Tequila beisteuern.<br />

Das geht leider nie wieder. Endgültig<br />

vorbei.<br />

Frida: Was ist Tequila?<br />

Insa: Schnaps.<br />

Frida: Ich hab schon mal von Schokoeis<br />

gekotzt.<br />

Konrad: Habt ihr ein Auto?<br />

Stefan: Ja. Einen BMW.<br />

Insa: Ich fahre einen uralten Volvo V 70.<br />

Frida: Was arbeitet ihr eigentlich?<br />

Insa: Ich leite ab Herbst die Philharmonie<br />

in Konstanz und bin jetzt in Kassel<br />

Orchesterdirektorin.<br />

Stefan: Ich bin Dirigent.<br />

Konrad: Also seid ihr beide Chef von einem<br />

Orchester?<br />

Insa: Genau, nur bei meinem spielen Musiker,<br />

die fest dort arbeiten und Musik<br />

studiert haben.<br />

Stefan: Und bei mir im Jugendorchester<br />

kann jeder, der Spaß an einem Blasinstrument<br />

hat, mitspielen. Bei den Erwachsenen<br />

dann die guten.<br />

Konrad: Und die bekommen alle Geld?<br />

Stefan: Nein, Geld bekomme nur ich.<br />

Insa: Bei mir im Orchester verdienen alle<br />

Geld mit der Musik.<br />

Frida: Und wer bestimmt, was gespielt<br />

wird?<br />

Stefan: Ich.<br />

Frida: Aha. Du bekommst also das ganze<br />

Geld und bestimmst, was gespielt wird.<br />

Und was passiert eigentlich, wenn der<br />

Dirigent nicht da ist?<br />

Stefan: Dann freut sich das Orchester!<br />

Frida: Tanzt ihr auch gerne?<br />

Stefan: Nein.<br />

Insa: Ja! Sehr! Zu Musik aus den 80ern<br />

und 90ern oder Indie. Aber auch mal einen<br />

schönen Walzer. Nur meistens fehlt<br />

es dazu an Männern, die tanzen.<br />

Stefan: Ich sehe aus wie ein dancing Hippo.<br />

Das geht gar nicht.<br />

Frida: Habt ihr ein Lieblingslied, bei dem<br />

ihr unbedingt tanzen müsst?<br />

Insa: Ja, das wechselt aber ständig. Momentan<br />

ist es von Großstadtgeflüster<br />

„Fickt-Euch-Allee“.<br />

Stefan: Ich hör’ gern Clubmusik. Nach so<br />

einer Blasmusikprobe brauch’ ich Bass.<br />

Das hör’ ich dann im Auto.<br />

Konrad: Auf welchem<br />

Konzert wart ihr zuletzt?<br />

Insa: Also gestern war ich auf einem Symphoniekonzert<br />

von meinem Orchester<br />

in Kassel.<br />

Konrad: Nein, nicht sowas. Was Cooles!<br />

Insa: Also ich finde das schon cool! Aber<br />

ich war neulich auch bei Deichkind. Und<br />

als nächstes schaue ich mir Faber an.<br />

Konrad: <strong>Die</strong> mag ich auch beide!<br />

Stefan: Ich war zuletzt bei Michael Bublé.<br />

Insa: Der ist auch toll!<br />

Frida: Welches Instrument<br />

habt ihr als Kind gespielt?<br />

Stefan: Zwei Jahre Blockflöte. Und dann<br />

das Euphonium, eine Art kleine Tuba.<br />

Das tollste Instrument überhaupt!<br />

Insa: Ich hab’ Klavier gelernt. Und als<br />

zweites Instrument Gesang.<br />

Konrad: Ich spiele Schlagzeug. Spielt ihr<br />

immer noch?<br />

Beide: Leider viel zu selten.<br />

Konrad: Schade, sonst hätten wir eine<br />

Band machen können…<br />

Frida: Und was für Hobbys<br />

habt ihr sonst so?<br />

Insa: Segeln, Billard und Reisen. In Asien<br />

war ich viel, nach Neuseeland will ich unbedingt,<br />

am liebsten bin ich aber in Griechenland.<br />

Da ist es so wunderschön! Es<br />

ist so abwechslungsreich und entspannt.<br />

Ein echtes Herzensland. Wenn ich da bin,<br />

fühle ich mich sofort zuhause.<br />

Frida: Da waren wir auch mal. Wir haben<br />

da aber nix gemacht.<br />

Insa: Dafür ist es perfekt, ja.<br />

Stefan: Ich interessiere mich für Flugzeuge<br />

und Eisenbahnen. Mein Traum ist<br />

irgendwann eine richtige Modelleisen-


17<br />

NEULICH AUF DEM KINDERSPIELPLATZ...<br />

bahn im Keller. Leider habe ich absolut<br />

kein Talent zum Basteln, da habe ich zwei<br />

linke Hände.<br />

Konrad: Zeig mal deine Finger! Stimmt<br />

doch gar nicht. Ein Daumen ist links und<br />

einer rechts. Passt doch alles!<br />

Konrad: Was wolltet ihr werden,<br />

als ihr klein wart?<br />

Insa: Schon ganz früh wollte ich ans<br />

Theater. Als Opernsängerin, Maskenbildnerin<br />

oder Schauspielerin. Das war<br />

egal <strong>–</strong> Hauptsache Theater! Ich war schon<br />

mit acht Jahren im Kinderchor des Mannheimer<br />

Theaters und dann immer wieder<br />

mal dort. Das hat also früh angefangen<br />

und meine Eltern haben mich total<br />

unterstützt. Dann habe ich doch Jura<br />

studiert. Eine total dumme Idee. Drum<br />

hab’ ich dann zu Politischen Wissenschaften,<br />

Neuerer Geschichte, Wirtschafts-<br />

und Sozialgeschichte sowie Soziologie<br />

gewechselt und schon während<br />

des Studiums am Theater gearbeitet.<br />

Dort bin ich dann geblieben. Bis heute.<br />

Ich hatte den Luxus, dass ich den Job<br />

von ganz unten lernen konnte. Dadurch<br />

habe ich sehr viel gesehen <strong>–</strong> viel mehr,<br />

als wenn ich Kulturmanagement studiert<br />

hätte.<br />

Stefan: Ich wollte als Kind Lokomotivführer<br />

werden. Oder Pilot. Oder Müllmann,<br />

auch cool, weil man auf das fahrende<br />

Auto steigen darf.<br />

Frida: Und warum bist du das dann nicht<br />

geworden?<br />

Stefan: Ich habe dann doch ein Studium<br />

zum Oberstufenlehrer begonnen und<br />

dann Posaune studiert. Beides gleichermaßen<br />

eine Katastrophe. Heimlich habe<br />

ich mich dann zur Prüfung an der Musikhochschule<br />

in Maastricht angemeldet<br />

und meiner Mutter erst Bescheid gesagt,<br />

als ich dort bestanden hatte.<br />

Frida: Könnt ihr Witze erzählen?<br />

Stefan: Nein, ich kann keine Witze in einer<br />

Fremdsprache erzählen. Und Hochdeutsch<br />

ist für mich wie eine Fremdsprache.<br />

Insa: Ich kann mir leider keine Witze<br />

merken, obwohl ich Freunde habe, die<br />

sehr tolle erzählen können. Ich weiß leider<br />

immer nur den Lieblingswitz meines<br />

Vaters und der ist sehr kurz und dämlich.<br />

Stefan: Nicht die schlechteste Voraussetzung<br />

für einen Witz.<br />

Insa: Also: Treffen sich zwei U-Boote in<br />

der Wüste. Sagt das eine „Na?“, antwortet<br />

das andere „Na und?“<br />

Konrad: Häh? Check’ ich nicht. Ich kenn’<br />

einen! Fritzchen läuft um die Ecke. Was<br />

fehlt? Der Witz!<br />

Insa: Geht ein Blechbläser an einer Kneipe<br />

vorbei.<br />

Frida: Häh????<br />

Insa: Na gut, lassen wir das. Dafür seid<br />

ihr zu jung!<br />

ÜBER DIE AUTOREN<br />

Begleitet wurden Frida und Konrad,<br />

beide sieben Jahre alt, von ihren<br />

Mamas.<br />

Jette-Marie Schnell ist Mama von<br />

Frida und Fotografin in Kreuzlingen.<br />

Am liebsten macht sie Bilder von<br />

Menschen <strong>–</strong> wie auch in diesem Fall.<br />

Frida ist toproutiniertes Supermodel<br />

und weiß genau: „Nur noch ein Bild“<br />

heißt in Wirklichkeit „Noch mindestens<br />

zehn Mal knipsen …“<br />

Veronika Fischer ist Mama von<br />

Konrad und dem kleinen Arthur und<br />

arbeitet als Journalistin in und um<br />

Konstanz herum. Sie hört gerne Geschichten<br />

und schreibt diese dann<br />

auf (wie hier) <strong>–</strong> dabei gilt: je bunter,<br />

desto besser. Mit Konrad zusammen<br />

hat sie das Kinderbuch „Rudi Rakete<br />

und das Haus am Fluss“ geschrieben<br />

und illustriert.<br />

Insa Pijanka:<br />

ist derzeit Orchesterdirektorin am Staatstheater<br />

Kassel. Zusätzlich ist sie auch<br />

auf der Bühne und vor dem Publikum<br />

präsent. Sie führt durch Konzerte, Galaprogramme<br />

und Open Airs. Besonders<br />

am Herzen liegen ihr aber die etwas<br />

„abseitigen“ Wege des Staatsorchesters:<br />

Acht „Film ab!“-Programme, ABBA,<br />

QUEEN, SWING und DISCO sind längst<br />

Kult in Kassel und vermutlich auch bald<br />

in Konstanz.<br />

Stefan Roth:<br />

ist als Dirigent des Blasorchesters der<br />

Jugendmusik Kreuzlingen, des Symphonischen<br />

Blasorchesters Kreuzlingen sowie<br />

des Musikvereins Kradolf-Schönenberg,<br />

der Bürgermusik Untereggen und der<br />

Uniun da Musica Sagogn ausgesprochen<br />

erfolgreich. Nach der Teilnahme am 43.<br />

Schweizerischen Brass Band Wettbewerb<br />

in Montreux im November 2017 in der<br />

höchsten Stärkeklasse ist er seit März<br />

2018 neuer Dirigent der Liberty Brass<br />

Band Ostschweiz. Legendär ist das alljährliche<br />

Konzert des SBO auf Schloß<br />

Girsberg in Kreuzlingen. Das Konzert<br />

mit Blick über <strong>Stadt</strong> und See ist immer<br />

restlos ausverkauft.


8280 | 78467<br />

→<br />

QUARTIERSPROSA<br />

Der Emmishofer Zoll ist schon seit ein paar Jahren nicht mehr<br />

in Betrieb, doch als noch Tag für Tag Schweizer und Deutsche<br />

über die Grenze fuhren, da ereignete sich an einem <strong>Die</strong>nstag<br />

Mittag ein eigenartiger Vorfall, von dem in Kreisen der<br />

Zöllner Jahre später behauptet wurde, dies sei der ausschlaggebende<br />

Grund gewesen für die Stilllegung des Zolls. Roland<br />

Böckli stand neben seinem Zollhäuschen, winkte sorgfältig<br />

die Autos hindurch und hielt hin und wieder auch eins an. Nicht,<br />

weil ihm wirklich etwas verdächtig vorgekommen wäre,<br />

sondern weil er ganz genau wusste, dass in dem kleinen Gebäude<br />

mit den dunklen Scheiben gegenüber sein Vorgesetzter<br />

saß, der ihn beobachtete und für den es nichts Verdächtigeres<br />

gab als Unverdächtiges. Während Roland Böckli also<br />

dastand, an diesem lärmenden Strom, der durch den Zoll<br />

hindurchfloss wie der Rhein, nur aus Blech und mit einer höheren<br />

Schadstoffbilanz, da sah er auf einmal, wie sich auf der<br />

deutschen Seite ein blauer Passat mit Thurgauer Kennzeichen<br />

einreihte. „Sehr verdächtig“, murmelte er. Als es so weit war,<br />

winkte er ihn auf die Seite. Er trat an das Auto und wartete<br />

darauf, dass der Fahrer die Scheibe herunterließ. Mehrere Augenblicke<br />

vergingen, doch nichts tat sich. Roland Böckli<br />

zögerte, dann klopfte er zaghaft gegen das Fenster — nichts.<br />

Er trat einen Schritt zurück und versuchte, etwas durch die<br />

getönten Scheiben zu erkennen. Langsam wurde er nervös.<br />

Bis zu diesem Moment hatte er das Arbeitsrisiko seines<br />

Berufsstandes für sehr gering gehalten. Natürlich, an anderen<br />

Grenzen, zwischen anderen Ländern, sieht die Lage für<br />

Zöllner wieder ganz anders aus, viel gefährlicher, natürlich,<br />

doch an der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen,<br />

im Gräbele des Doppelbettes dieser deutsch-schweizerischen<br />

Ehe, da hatte er sich immer sicher und geborgen gefühlt.<br />

Doch in diesem Moment, vor diesem äußert verdächtigen Fahrzeug,<br />

da bekam er es auf einmal mit der Angst zu tun.<br />

Roland sah über seine Schulter und versuchte angestrengt,<br />

Blickkontakt mit einem seiner Kollegen herzustellen. Er sah<br />

zu Helge, der über einem Stapel Ausfuhrscheine gebeugt<br />

saß und sich an der Stirn kratzte, dann sah er zu Rolf, der gerade<br />

einen riesigen Flachbildfernseher inspizierte, und dann<br />

rüber zu Tommy, der gedankenverloren auf einem Klemmbrett<br />

herumkritzelte. Roland pfiff und Tommy sah auf.<br />

Gemeinsam standen sie nun vor dem Wagen und berieten<br />

sich. Sie waren zwei erfahrene Zöllner, diese Situation<br />

würden sie alleine lösen, ohne Verstärkung. Tommy klopfte<br />

Roland auf die Schulter. „Nur Mut!“ Dann legte Roland<br />

die Hand auf den Türgriff, atmete einmal tief ein und aus und<br />

öffnete die Tür.<br />

18<br />

Einen ganzen<br />

Nachmittag<br />

hatten sie den<br />

Wagen durch-<br />

8280<br />

sucht. Aus<br />

beiden Ländern<br />

hatte man<br />

Techniker rufen<br />

lassen, die<br />

Spurensicherung<br />

und dann, vor<br />

lauter Hilflosigkeit,<br />

Zeugenaufrufe<br />

per Flugblatt im ganzen Bodenseeraum verteilt. Doch<br />

der Sachverhalt konnte nie aufgeklärt werden. An jenem<br />

<strong>Die</strong>nstag Mittag hatte Rudolf Böckli die Fahrertür geöffnet,<br />

und die beiden Zöllner hatten ein leeres Auto vorgefunden.<br />

Niemand hatte darin gesessen. Es gab nicht einmal Anzeichen,<br />

dass jemals jemand darin gesessen hatte. Nur von außen<br />

war das Fahrzeug mit Schlamm bespritzt. Es hatte einige tiefe<br />

Dellen auf dem Dach, als wäre es erst kürzlich einem Hagelschauer<br />

ausgesetzt gewesen, obwohl es in den letzten zwölf<br />

Jahren tatsächlich kein einziges Gewitter in der Region<br />

gegeben hatte. Den Motor ließen sie eine Woche später bei<br />

einem KFZ-Mechaniker in Villingen-Schwenningen ausbauen,<br />

der lediglich herausfand, dass es sich um einen 4A<br />

handelte, der wohl zwischen den Jahren ’88 und ’89 verbaut<br />

wurde. Der Mechaniker hatte mit der Schulter gezuckt und<br />

den enttäuschten Ermittlern erklärt, dass es sich „bei der alten<br />

Schüssel“ auch sicher nicht um ein selbstfahrendes Auto<br />

handelte. <strong>Die</strong> Zöllner und deren Vorgesetzte hatten den sonderbaren<br />

Vorfall mehrere Monate untersucht, doch niemand<br />

kam zu einem Schluss, wie es ein Auto ohne Insassen bis an<br />

die Grenze geschafft hatte. Und wie das in Beamtenkreisen<br />

so ist, führte die eine Leerstelle zur nächsten, zu Unstimmigkeiten<br />

in den Akten, zu Ärgernissen, die zu größeren Ärgernissen<br />

führten und schlussendlich zur Schließung des Emmishofer<br />

Zolls. Roland Böckli gab den <strong>Die</strong>nst an der Grenze<br />

auf und übernahm die Fischerei seines Vaters in Bottighofen.<br />

Noch heute sieht man ihn manchmal, wie er in seinem<br />

Boot hinaus auf den See rudert, Netze auswirft und Stunden<br />

auf dem Wasser verbringt. Selbst wenn sie längst wieder<br />

eingeholt sind, schippert er noch weit hinaus, dorthin, wo der<br />

See die Grenzen der Länder verschwimmen lässt, dort, wo sie<br />

ineinander übergehen.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Caroline lebt schon nicht mehr in<br />

Konstanz, aber denkt noch oft daran.<br />

An die Menschen, die dort wohnen<br />

und die, die nie dort gewohnt<br />

haben. An die Begebenheiten, die<br />

sich dort zugetragen haben und<br />

auch die, von denen keiner mehr so<br />

genau sagen kann, ob sie wahr sind<br />

oder nicht.


19<br />

78467<br />

Herr Jacob war ein unscheinbarer Mann mit einem unscheinbaren<br />

Job, irgendwo im Industriegebiet, in einer der<br />

Straßen, in die man niemals zufällig gerät. Wenn man es recht<br />

betrachtet, dachte Herr Jacob, während er in der Linie 6<br />

auf dem Weg zur Arbeit saß und den Kopf an die Scheibe<br />

lehnte, gibt es im Industriegebiet keine einzige Straße, in die<br />

man zufällig gerät, denn keiner würde auf die Idee kommen,<br />

hierher zu fahren, um sich „einfach mal treiben zu lassen“, um<br />

„einfach mal verloren zu gehen und zu sehen, wo einen der<br />

Wind so hintreibt“. Nein, das würde keiner machen, denn der<br />

Wind im Industriegebiet riecht immer ein bisschen nach<br />

Auspuff und schiebt die Leute, die hier nicht wirklich etwas<br />

zu tun haben, eher raus als tiefer rein. Ins Industriegebiet<br />

fährt man mit einem genauen Ziel, das man in die Karten-<br />

Applikation seines Telefons<br />

eingibt und auf dem kürzesten<br />

Weg erreicht, ohne Umwege.<br />

Viele Leute fühlen sich<br />

nicht besonders wohl hier.<br />

<strong>Die</strong> sehen den vielen Beton,<br />

die Autos und die niedrigen,<br />

78467<br />

flachen Dächer und stellen<br />

das alles in ihren Köpfen<br />

neben die Pflastersteine aus<br />

der Niederburg oder die<br />

hübschen Häuschen mit Türmchen<br />

im Paradies, und ja,<br />

naja, sagen wir, eine Misswahl<br />

würde das Industriegebiet<br />

nicht gewinnen. Aber Herr<br />

Jacob gab nicht so viel auf<br />

Äußeres. Ihn erinnerte das<br />

Industriegebiet an seine Mutter. Sie hatte ihn und seinen<br />

kleinen Bruder alleine groß gezogen, viel und hart gearbeitet<br />

und sich selten beschwert, doch wenn sie abends<br />

nach Hause kam, sah er ihr die ganze Last an, die sie vom einen<br />

Tag in den nächsten schleppte. Sie hatte keine Zeit gehabt,<br />

um oft zum Frisör zu gehen, und nie viel Geld, um sich elegante<br />

Kleidung zu leisten. Doch für Herrn Jacob war sie die<br />

schönste Frau der Welt gewesen, die stärkste und auch die beste<br />

im abends Zudecken. Auch das Industriegebiet arbeitet hart,<br />

nur leider erkennt nicht jeder seine Schönheit. Ja, wenn Herr<br />

Jakob hier herfuhr, fühlte er sich immer ein bisschen zugedeckt.<br />

TEXT — Caroline Weigele<br />

Der Bus war der beste Ort, um in Gedanken zu versinken.<br />

Das leichte Ruckeln, das tiefe Brummen des Motors und die<br />

Landschaft, die vorbeizog, wie in einem Stummfilm, wirkten<br />

so beruhigend auf Herrn Jacob, dass er fast vergaß, auszusteigen.<br />

Er schreckte gerade noch rechtzeitig auf, schnappte<br />

seine Tasche und hoffte, dass keiner den Abdruck an der<br />

Scheibe entdecken würde, den seine Haare hinterlassen hatten,<br />

als er den Bus verließ.


JÖRG<br />

20<br />

Porträt eines wahrhaft<br />

<strong>bewegte</strong>n Menschen in<br />

einer nicht minder <strong>bewegte</strong>n<br />

<strong>Stadt</strong>: Jörg vor<br />

dem Trösch, im Herzen<br />

von Kreuzlingen.


21 JÖRG<br />

Jörg<br />

TEXT — Frédéric Bosshard, Manuel Güntert<br />

FOTOS — Mika Jaoud<br />

→<br />

BEWEGT MIT UND<br />

GEGEN SICH SELBST<br />

Zunächst einmal muss Jörg sich<br />

bewegen, denn er wird nicht mehr<br />

bewegt. Der Führerschein ist ihm<br />

entzogen worden, wieder einmal.<br />

Es handelt sich um ein wiederkehrendes<br />

Element in seinem Leben,<br />

denn bezüglich des Führerscheinentzugs<br />

durfte er schon die eine<br />

oder andere unschöne Erfahrung<br />

sammeln. Nicht dem Alkohol seien<br />

sie wirklich geschuldet gewesen,<br />

so Jörg, diese wiederholten Entzüge,<br />

sondern seinem Charme. Denunziert<br />

worden sei er. Seine Verführungskunst<br />

sei es eigentlich<br />

gewesen, die falsche Freunde veranlasst<br />

habe, ihn bei der Polizei<br />

anzuschwärzen. Schönere Autos<br />

habe er gehabt, immer Geld im<br />

Sack, so hätten es sich die Frauen<br />

mit Minirock und Strapsen gerne<br />

bei ihm im Auto bequem gemacht.<br />

Solcher Neid habe ihn einiges gekostet.<br />

Schon fünf Mal sei ihm das<br />

Billett abgenommen worden, und<br />

ohne gehe es nun einmal nicht.<br />

Niemals würde er selbst jemanden<br />

anzeigen, das entspreche so gar<br />

nicht seinem Wesen. →


JÖRG<br />

22<br />

Ein wenig kleingeistig geht es ihm dann halt doch zu in der<br />

kleinstädtischen Region, in der er fast sein ganzes Leben<br />

verbracht hat. Jörg beschreibt sich als kontaktfreudigen Charakter,<br />

als einen, der direkt auf seine Mitmenschen zugeht.<br />

In Ermatingen, wo er mittlerweile nach langen Jahren in Kreuzlingen<br />

lebt, schätzen ihn die jungen Menschen. Sie freuen<br />

sich immer, wenn sie ihn sehen, und auch er freut sich jedes<br />

Mal, wenn er erkannt wird. In Kreuzlingen, nach wie vor sein<br />

Lebensmittelpunkt, kennen sie ihn auch alle, ihn, den sie<br />

respektvoll mit Tony Montana ansprechen. Der Filmcharakter<br />

hat es ihm angetan.<br />

Ganz unproblematisch ist sein Verhältnis zu den Menschen,<br />

mit denen er verkehrt, allerdings nicht. Doch, es habe schon<br />

Ärger gegeben, das gibt er unumwunden zu. Wenn er zu viel<br />

getrunken habe, dann mangle es ihm mitunter an Unterscheidungsvermögen,<br />

was denn noch ein zulässiges Auf-jemanden-<br />

Zugehen und was schon aufdringlich sei. So könne er, ohne<br />

das selbst zu beabsichtigen, auf sein Gegenüber belästigend<br />

wirken. Das tue ihm jeweils leid, gibt er bedauernd zu Protokoll,<br />

er selbst meine das nie so. Aber ja, derartiges könne ihm<br />

passieren. Ihm seien schon Klagen über sich zu Ohren gekommen,<br />

vielleicht habe die eine oder andere sogar eine gewisse<br />

Berechtigung gehabt.<br />

Er hat darüber nachgedacht, wieder nach Zürich zu gehen,<br />

wo er seine Lehre absolvierte. An diese Tage in Zürich erinnert<br />

er sich gerne zurück. Anfangs waren die Züricher ihm<br />

gegenüber verschlossen, aber ein Bekannter öffnete ihm das<br />

Tor in die besten Kreise. Der Gedanke, eigentlich den besten<br />

Kreisen anzugehören, das ist einer, der ihn bis heute nicht mehr<br />

losgelassen hat. Obschon er seine Spuren in der Metropole<br />

hinterlassen hat, kennt ihn an der Limmat heute kaum mehr<br />

jemand. Er könnte da wieder ganz von vorne beginnen. Vielleicht<br />

würde ihm das guttun.<br />

Nur gehen tut er nicht. Er lässt seine Heimat nicht hinter<br />

sich. In dieser Hinsicht gibt sich auch dieser ansonsten <strong>bewegte</strong><br />

Mensch als Gewohnheitstier. Überhaupt, die Gewohnheit,<br />

seine Trinkerei, sie sei ihm im Grunde nicht viel mehr<br />

als eine Gewohnheit. Nur bringt, was er lapidar als Gewohnheit<br />

abtut, doch auch einiges an Härten mit sich. Aus seiner<br />

Familie wurden schon Klagen laut, er würde ein schlechtes<br />

Bild abgeben, die Art, wie er sich präsentiere, könne auf sie<br />

zurückfallen. Ein unvorteilhaftes Bild abgeben, das ist etwas,<br />

das der stilbewusste Jörg um jeden Preis vermeiden will. Dass<br />

negative Rückmeldungen nicht ganz ausbleiben, ist etwas,<br />

das ihm überaus zusetzt, und überdies etwas, das ihn tiefer<br />

in seinen Fluss hineintreibt. Gerade im Hinblick darauf, was<br />

böse Zungen über ihn verbreiten, erweist sich eine Region, in<br />

der die Leute vielleicht eine Spur mehr miteinander reden,<br />

als ihnen selbst lieb sein kann, mitunter als etwas eng für einen<br />

bewegenden Menschen.<br />

<strong>Die</strong> Karten stehen gut, dass man ihm begegnet, wenn man<br />

durch die erste Schweizer <strong>Stadt</strong> am See flaniert, denn Jörg ist<br />

in ihr stets unterwegs. Er muss sich bewegen, denn ihm ist<br />

es kaum mehr vergönnt, sich irgendwo niederzulassen. Ein<br />

Choleriker sei das, das weiß er über den Wirt eines Gasthauses<br />

zu berichten, der ihm ein Hausverbot erteilt hat. Er<br />

ist nicht der einzige. <strong>Die</strong>jenigen, die Jörg ein Hausverbot<br />

erteilen, sind ihm nicht einmal unbedingt böse gesonnen,<br />

auch diesbezüglich wird er von seinem Image eingeholt. Hier<br />

regiert eher das Kalkül. Dem Vergleich mit handfesten Geschäftsinteressen<br />

unterliegt noch der charmanteste Charme.<br />

Alles Feste und Festigende verflüssigt sich in Jörgs Leben<br />

fortlaufend, deshalb scheint es längst der Fluss selbst zu sein,<br />

der ihm Halt gibt. <strong>Die</strong> Frage wäre also, ob er, der unermüdlich<br />

von diesem Fluss vor sich her Getriebene überhaupt noch aus<br />

ihm steigen kann? Jederzeit könne er das, behauptet Jörg, es<br />

bedürfe dafür nur eines kleinen Anreizes. Einen ungeheuren<br />

Willen nenne er sein Eigen, wenn er denn wolle. Während er<br />

das so festhält, gestikuliert er wild mit seinen Fingern. Er ist<br />

auch dann bewegt, wenn er sich doch für einmal niedergelassen<br />

hat, so wie hier im Trösch, dem Kreuzlinger Begegnungszentrum,<br />

in dem wir uns mit ihm zum Kaffeetrinken getroffen<br />

haben.<br />

Ein paar Konzessionen hat das <strong>bewegte</strong> Leben auch ihm<br />

abgerungen. Früher habe sein Leben einer Achterbahn geglichen,<br />

heute seien es eher seine Tage, die einander gleichen. Einer<br />

verlaufe mittlerweile wie der andere, konstatiert er in einem<br />

Anflug leichten Bedauerns. Er hat durchaus schon darüber<br />

nachgedacht, seinen Fluss endgültig zu stoppen. Schon mehrfach<br />

habe ihn der Gedanke an Selbstmord ereilt. Das mag<br />

zunächst erschüttern und das will ernst genommen werden,<br />

doch ist dieser trübe Gedanke nicht eigentlich einer, der durch<br />

viele Köpfe wandert? Und der Fluss, der ihn am Leben gehalten<br />

hat, hat sich bislang immer als der stärkere erwiesen.<br />

Sowie ihn diese trüben Gedanken eingeholt haben, sie sind<br />

jedes Mal fortgerissen worden.<br />

Dabei könnte alles so einfach sein. Würde ihm einer seiner<br />

Brüder ein bisschen unter die Arme greifen, vieles würde sich<br />

umgehend wieder zum Besseren verändern. Den Führerschein<br />

bräuchte er natürlich wieder, eine ihm angemessene Arbeit <strong>–</strong><br />

und vielleicht auch wieder eine Frau. <strong>Die</strong>ses Mal sollte es eine<br />

sein, bei der auch ein <strong>bewegte</strong>r Mann den gesuchten und<br />

vielleicht auch benötigten Halt findet. Aber mit 61 Jahren geht<br />

ihm das doch nicht mehr ganz so locker von der Hand wie<br />

auch schon. <strong>Die</strong> Zeiten haben sich geändert und das wohl nicht<br />

nur zu seinen Gunsten. Glücklich machen würde er die Frauen<br />

immer noch, aber zu der einen oder anderen Konzession<br />

wäre er auch diesbezüglich bereit. Liegt denn letztlich nicht<br />

jeder Bewegung eine Widersprüchlichkeit zugrunde?<br />

Also lässt er das manchmal einengende Grenzgebiet immer<br />

wieder hinter sich. 36 kleinere und größere Reisen hat er auf<br />

dem Buckel. Bangkok, das war die bislang spektakulärste Reise,<br />

zumeist jedoch geht es in die nahe Ferne. Aber Jörg bewegt<br />

sich nicht nur in die Weite, sondern auch in Kreuzlingen intensiv.


23<br />

JÖRG<br />

ÜBER DIE AUTOREN<br />

Manuels Interesse an der Thematik,<br />

die sich dem Publikum hier darbietet,<br />

speist sich aus der simplen<br />

Frage, ob nicht immer im Hindernis<br />

der eigentliche Grund für die Bewegung<br />

zu verorten ist.<br />

Da Frédéric mit Jörg schon <strong>bewegte</strong><br />

Zeiten durchlebt hat, war es ihm<br />

ein Anliegen, diesen auffälligen Kreuzlinger<br />

und Konstanz-Freund von<br />

einer Seite zu zeigen, die uns bestenfalls<br />

daran erinnert, dass Menschen <strong>–</strong><br />

in ihren Nöten <strong>–</strong> oft nicht derart<br />

unterschiedlich sind, wie wir es<br />

glauben mögen.


DIE ANFÄNGE DES REGENBOGENS<br />

24<br />

<strong>Die</strong> Anfänge des<br />

Regenbogens<br />

→<br />

PRÄDIKAT<br />

SÜNDENPFUHL<br />

Für Homosexuelle<br />

war Konstanz<br />

schon seit den 60er<br />

Jahren ein Anziehungspunkt.<br />

Denn<br />

die <strong>Stadt</strong> bot<br />

schon damals eine<br />

ausgeprägte<br />

Schwulen- und<br />

Lesbenszene. Das<br />

hängt auch mit<br />

der Geschichte der<br />

<strong>Stadt</strong> zusammen.<br />

TEXT — Matthias Hiestand<br />

Wer durch das sommerliche Konstanz<br />

streift mit seinen vielen Cafés, Geschäften<br />

und kleinen Gässchen in der<br />

Altstadt, in denen sich die Touristen<br />

verirren, mag kaum glauben, dass diese<br />

<strong>Stadt</strong> einst mit dem Prädikat „Sündenpfuhl“<br />

beschrieben wurde und bundesweit<br />

einen eindeutigen Ruf genoss.<br />

Bereits zwischen den Weltkriegen war<br />

die <strong>Stadt</strong> an der Grenze für ihr Nachtleben<br />

im ganzen Land bekannt, und<br />

bis in die 70er Jahre hinein blieb dieses<br />

Etikett an ihr haften. Doch wie so<br />

oft, wenn eine <strong>Stadt</strong> eine negativ aufgeladene<br />

Beschreibung aufgedrückt<br />

bekommt, steht dahinter etwas vollkommen<br />

Anderes. Denn Konstanz war<br />

vor allem auch ein Ort, der mit einer<br />

Freiheit verbunden war, die vielleicht an<br />

anderen Ecken der Bodenseeregion so<br />

nicht zu finden war. Schon früh gab es in<br />

Konstanz Treffpunkte und Bars für<br />

Schwule und Lesben, und das zu einer<br />

Zeit, in der Homosexualität noch<br />

weit davon entfernt war, gesellschaftlich<br />

akzeptiert zu sein.<br />

„In Konstanz war die Luft schon<br />

freier zu atmen“, erinnert sich Michael<br />

Kuthe, wenn er an die 70er und 80er<br />

Jahre zurückdenkt. Der ehemalige <strong>Stadt</strong>archivar<br />

kam mit seinem ersten festen<br />

Freund 1972 nach Konstanz, nachdem<br />

er seine Ausbildung zum Archivar in<br />

Marburg abgeschlossen hatte. Zwar war<br />

der 1948 in Geislingen geboren und<br />

bei Göppingen aufgewachsene Schwabe<br />

nie stark in der Szene verwurzelt, da er


25<br />

DIE ANFÄNGE DES REGENBOGENS<br />

einen festen Partner hatte und „beide<br />

keine Tänzer waren“, doch erinnert er<br />

sich noch genau daran, wo sich Schwule<br />

und Lesben trafen <strong>–</strong> in der <strong>Stadt</strong>, die<br />

für viele Homosexuelle aus dem Umland,<br />

aber auch aus der nahen Schweiz und<br />

dem Vorarlberg ein Anziehungspunkt war.<br />

Da gab es den Pferdestall in der<br />

Kreuzlingerstraße, die Bar Einblick in<br />

der Hofhalde, die dort heute noch ist,<br />

aber auch einige private Bars, in die man<br />

nur nach einer Gesichtskontrolle hineinkam.<br />

Bekannt war auch das Gelände<br />

auf Klein Venedig und der <strong>Stadt</strong>garten<br />

als szenischer Treffpunkt. Eine feste Institution<br />

für Homosexuelle war die<br />

HIK, die Homosexuellen-Initiative-<br />

Konstanz, die auch das Rosa Zelt<br />

Festival organisierte, dessen Erlöse an<br />

die Aids-Hilfe Konstanz gingen. Bis<br />

heute sind vielen die Auftritte der Travestie-Gruppe<br />

rund um den Konstanzer<br />

Travestie-Künstler Tina Lord in Erinnerung<br />

geblieben.<br />

Mittendrin war damals auch Paul<br />

Schmidt*. Der 69-jährige stand früher<br />

oft selbst als Travestie-Künstler auf<br />

der Bühne. „In den späten 60er Jahren<br />

war das Rotlicht-Milieu eng mit der<br />

Homosexuellen-Szene verwoben“, erinnert<br />

er sich. Treffpunkt für alle war<br />

die Bar 1 2 3, die damals in der Bodanstraße<br />

(gegenüber des heutigen Lagos)<br />

zu finden war. Hier gingen Homosexuelle<br />

und Prostituierte ein und aus, man war<br />

miteinander befreundet. „Viele Dirnen<br />

in Konstanz waren hoch angesehen, man<br />

begegnete ihnen mit Respekt“, erinnert<br />

sich Schmidt. Das 1 2 3 eröffnete 1967<br />

und war damals der erste öffentliche<br />

Schwulenclub in der <strong>Stadt</strong>. „Das war<br />

unser Wohnzimmer“, erinnert sich<br />

Schmidt. Daneben gab es später das<br />

Rixi in der Hofhalde, die Boje in der<br />

Kreuzlingerstraße oder die „obere Sonne“<br />

in der Hussenstraße. Bekannt war vor<br />

allem die Bar Hollywood in der Stadelhofgasse,<br />

die von Tina Lord geführt<br />

wurde. In den Räumen des heutigen<br />

Restaurants Defne in der Theodor-<br />

Heuss-Straße befand sich das ABC <strong>–</strong><br />

ebenfalls ein beliebter Treffpunkt der<br />

Szene.<br />

Wenn Paul Schmidt zurückdenkt, so<br />

sieht er die Zeit von den 80ern bis in<br />

die 90er als die Jahre, in denen die Schwulenszene<br />

in Konstanz ihre größte Blüte<br />

hatte. Ein Höhepunkt war sicherlich der<br />

Christopher Street Day, der erstmals<br />

1992 in der <strong>Stadt</strong> veranstaltet wurde.<br />

Doch die Szene hat sich zurückgezogen.<br />

„Heute gibt es kaum mehr Bars<br />

für Homosexuelle, was auch an den hohen<br />

Pachtgebühren liegen mag“, meint<br />

Schmidt. „Ich denke, dass heute solche<br />

Bars kaum mehr gefragt sind, da Homosexualität<br />

heute als normal gilt und<br />

Homosexuelle wie auch Heterosexuelle<br />

zusammen tanzen“, fasst es Michael<br />

Kuthe zusammen. In Konstanz früher<br />

als anderswo. Und auch wenn die Zeit<br />

damals für Homosexuelle keineswegs<br />

einfach war, so konnte man sich in der<br />

größten <strong>Stadt</strong> am Bodensee in gewisser<br />

Weise heimischer fühlen als an<br />

anderen Orten der Region. „Probleme<br />

hatten mein Partner und ich nie“, sagt<br />

Kuthe. „Wir haben uns aber auch nicht<br />

pointiert schwul verhalten“, fügt er<br />

jedoch hinzu. Auf der Arbeit sei seine<br />

Homosexualität nie ein Problem gewesen,<br />

„ich wüsste aber nicht, wie es<br />

wäre, hätte ich eine ehrgeizige Karriere<br />

angestrebt“, gibt er zu bedenken. Auch<br />

wüsste er nicht, wie es ihm als Schwuler<br />

in einer anderen <strong>Stadt</strong> ergangen wäre,<br />

etwa in Meßkirch oder Biberach. Für ihn<br />

hat Konstanz, trotz seiner überschaubaren<br />

Größe, schon immer „einen anderen<br />

Rahmen“ geboten als andere überschaubare<br />

Städte. Und für Peter Schmidt<br />

war und ist Konstanz sogar noch viel<br />

mehr, nämlich eine „Großstadt in einer<br />

Kleinstadt“.<br />

* Name geändert<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Matthias hört sich gerne alte Geschichten<br />

über Städte und deren<br />

Bewohner an. Bei seinen Recherchen<br />

war er erstaunt, dass die <strong>Stadt</strong><br />

am Bodensee mal wegen ihrer<br />

schillernden Rotlicht-Szene deutschlandweit<br />

berüchtigt war.


CLAUDIA TANZT<br />

26<br />


27 CLAUDIA TANZT<br />

Claudia<br />

tanzt<br />

TEXT — Torben Nuding<br />

FOTO — Ines Njers<br />

ÄGYPTISCHER TANZ IN KREUZLINGEN<br />

<strong>Die</strong> Socken darf ich anlassen, die Augen<br />

sind geschlossen. Ich atme aus und<br />

lande auf einem Stuhl. Claudia sitzt<br />

mir gegenüber, sie begleitet mich durch<br />

meine erste Gyrokinesis-Stunde. Wir<br />

sind uns einig, dass es erkenntnisreich<br />

sein könnte, einen Text über Bewegung<br />

mit Bewegung zu beginnen. Es ist früher<br />

Nachmittag, wir sitzen im „tanz<br />

raum“ in der Münzgasse. Mittendrin in<br />

der Konstanzer Altstadt und doch merkwürdig<br />

entrückt. Der Raum ist ruhig.<br />

Claudia ist ruhig. Und ich bin es auch,<br />

zumindest mehr als sonst.<br />

Claudia, das war ein angenehmer<br />

Einstieg. Lass’ uns ein wenig<br />

plaudern. Bitte stell’ dich kurz vor.<br />

Mein Name ist Claudia Heinle, ich<br />

bin 51 Jahre alt, genieße mein Leben und<br />

studiere das Glücklich-Sein.<br />

Was bewegt dich?<br />

Mich bewegen Menschen. Menschen<br />

und Musik. Und Klang, Rhythmus, Kulturen,<br />

Bilder. <strong>Die</strong> Wüste. <strong>Die</strong> Berge.<br />

Berge? Das geht mir genau so <strong>–</strong><br />

aber Berge sind ja vielleicht das<br />

am wenigsten Bewegliche, was<br />

wir so um uns herum haben, oder?<br />

<strong>Die</strong> Berge und die Wüste vermitteln<br />

Ruhe. An solchen Orten wird äußere<br />

Bewegung von einer inneren Bewegung<br />

abgelöst. Bewegung ist immer in uns. Als<br />

Herzschlag und Blutdruck. Als Puls einer<br />

Zelle oder Hirnwelle. Bewegung ist immer<br />

da <strong>–</strong> nicht nur beim Tanz oder wenn<br />

wir aktiv sind.<br />

Da sind wir mitten im Thema.<br />

Was ist deine Idee von Bewegung?<br />

Ich würde das ex negativo definieren:<br />

als Gegenteil von Bewegungslosigkeit. Bewegungslosigkeit<br />

ist der Tod <strong>–</strong> Bewegung<br />

ist das Leben. Sie kann nach außen oder<br />

innen gerichtet sein, sichtbar oder unsichtbar.<br />

Bewegung ist etwas Kraftvolles.<br />

Etwas, das Kraft kosten, aber auch geben<br />

kann. Und wir als Menschen verorten unsere<br />

Bewegungen natürlich in größeren<br />

Bewegungszusammenhängen von Wasser,<br />

Wind, planetaren Umlaufbahnen und so<br />

weiter. Bewegung, das ist Schöpfung.<br />

Das ist ja eine sehr inklusive Idee<br />

von Bewegung: Alles ist eigentlich<br />

immer bewegt; wir alle als dauer<strong>bewegte</strong><br />

Menschen. Lass’ uns klein<br />

anfangen: Wie ist deine persönliche<br />

Bewegungsgeschichte?<br />

<strong>Die</strong> beginnt ganz früh <strong>–</strong> schon als Kind<br />

war ich gierig nach Bewegung. Ich bin auf<br />

ein Sportgymnasium gegangen und hatte<br />

einen immensen Bewegungsdrang. Retrospektiv<br />

kann ich sagen: Das kam aus<br />


CLAUDIA TANZT<br />

28<br />

einem Gefühl der Beschränkung. Ich habe<br />

mich damals in meinem Körper eingesperrt<br />

gefühlt und schnell gemerkt, dass<br />

mir Sport dabei hilft, diese Blockade<br />

zu überwinden. Bewegung hat mir auch<br />

dabei geholfen, mit Emotionen umzugehen.<br />

Wenn ich geschimpft wurde, wenn<br />

ich wütend war <strong>–</strong> oder traurig <strong>–</strong> immer<br />

dann hat mir der Sport am meisten geholfen<br />

<strong>–</strong> ohne bin ich erstarrt und ins<br />

Dunkle gefallen.<br />

Wie kommen wir von der Sportlerin<br />

Claudia zur Tänzerin? Ohne<br />

dem Tanz die sportliche Dimension<br />

absprechen zu wollen, aber<br />

da geht es ja um eine spezielle<br />

Idee von Bewegung.<br />

Als Kind habe ich rhythmische Gymnastik<br />

gemacht <strong>–</strong> und das wohl recht<br />

ambitioniert, zumindest wollten meine<br />

Lehrer mich gleich in eine Ballett-Förderklasse<br />

stecken. Meine Mutter hat das damals<br />

nicht erlaubt, wofür ich ihr heute<br />

sehr dankbar bin <strong>–</strong> weil diese Form des<br />

tänzerischen Ausdrucks sozusagen konträr<br />

zu ebenjener Bewegungssprache steht,<br />

die ich heute praktiziere. Tanz geriet für<br />

mich danach erstmal in Vergessenheit, ich<br />

habe mich anderweitig ausgetobt: Reiten,<br />

Surfen, Skifahren, da war alles dabei.<br />

Der Tanz kam dann erst einige Jahre<br />

später wieder in mein Leben, zum Ende<br />

meines Studiums <strong>–</strong> und auch da über<br />

Umwege. Innerhalb meines Fachgebiets<br />

Politik & Verwaltungswissenschaften habe<br />

ich mich mit dem Nahen Osten beschäftigt<br />

<strong>–</strong> die Region hatte immer schon einen<br />

großen Reiz auf mich ausgeübt. Als<br />

ich zwei Jahre als Erasmus-Studentin in<br />

Kopenhagen verbrachte, habe ich dort<br />

eine ägyptische Tanzkompanie auf der<br />

Bühne gesehen <strong>–</strong> und da war es um mich<br />

geschehen.<br />

Erzähl’!<br />

Bei diesem Auftritt kam alles mit einer<br />

großen Wucht zusammen. Mir war<br />

sofort klar, dass diese Rhythmen und<br />

diese Art der Bewegung mein Leben<br />

verändern werden. <strong>Die</strong> tanzenden Körper,<br />

die ich dort auf der Bühne gesehen<br />

habe, waren kraftvoll und frei. Frei in ihren<br />

Bewegungen und in ihrer Haltung. Das<br />

Seit 1996 hat Ägyptischer Tanz<br />

einen eigenen Raum.<br />

war jene Freiheit, die ich die ganze Zeit<br />

über gesucht hatte. Auf einmal gab es zu<br />

diesem diffusen Gefühl des Eingesperrt-<br />

Seins ein Gegenbild, einen Zielhorizont.<br />

Das hat sich mir ganz unmittelbar erschlossen.<br />

Danach habe ich mich sofort Hals<br />

über Kopf in dieses Thema gestürzt, mich<br />

für einen Workshop angemeldet und war<br />

bereits drei Wochen später bei einer Tanzwoche<br />

in England. In der Folgezeit habe<br />

ich alle finanziellen Mittel in Bewegung<br />

gesetzt, um so oft und so viel zu tanzen<br />

wie möglich. Und wie das Leben so spielt:<br />

Ich war mit meinem Studium fertig und<br />

besagte Kompanie war auf der Suche nach<br />

einer Managerin <strong>–</strong> das habe ich dann<br />

übernommen und gleichzeitig eine Tanzausbildung<br />

begonnen.<br />

Wie kam es zur ersten Auflage<br />

des „tanz raum“ in Kreuzlingen?<br />

Ich habe schon als Studentin in einem<br />

großen Haus in der Freihofstraße, in der<br />

Nähe des Zolls gewohnt. Und als der Tanz<br />

wieder in mein Leben kam, sah ich die<br />

große Freifläche im Erdgeschoss plötzlich<br />

als neuen Möglichkeitsraum <strong>–</strong> als<br />

Raum zum Tanzen. Damit ging alles los.<br />

<strong>Die</strong> klassische Do-It-Yourself-<br />

Geschichte. Mittenrein,<br />

mit allem, was dazugehört.<br />

Exakt! Mit Sinn und ohne Verstand!<br />

(lacht)


29<br />

CLAUDIA TANZT<br />

Schultern runter, Zehen hoch. Nach<br />

vorne rollen. Nach hinten rollen. Ich öffne<br />

meine Augen und soll durch Claudia hindurchschauen,<br />

woran ich häufiger erinnert<br />

werden muss. <strong>Die</strong> Anweisungen sind plastisch:<br />

Lege deinen Körper um einen prall<br />

gefüllten Ballon. Presse deinen Atem aus<br />

wie eine Zitrone. Paarweise Bewegungen,<br />

Arch & Curl. Von da aus geht es los in die<br />

Welt der Gyrokinesis. Bedenken meinerseits<br />

(„Entschuldigung, ich bin Bewegungslegastheniker“)<br />

werden unverzüglich ausgeräumt.<br />

Du verfügst über genügend Körperwissen.<br />

Jeder Mensch verfügt über<br />

genügend Körperwissen. <strong>Die</strong> Ganzheitlichkeit<br />

meint es mal wieder gut mit mir.<br />

Weshalb Ägypten? Weshalb<br />

diese Tanzsprache?<br />

An der ägyptischen Tanzsprache interessiert<br />

mich die jahrtausendealte Geschichte,<br />

die Mythen, die unglaubliche<br />

Reichweite. Tanz kann Kampf, Trance<br />

oder Ekstase sein. Er kann Gebet sein<br />

oder Exorzismus, Heilung, Ritual oder<br />

Ausdruck von Lebensfreude. Uralt und<br />

wahnsinnig aktuell. Tief und leicht. Im<br />

Tanz ist alles da <strong>–</strong> ich vermisse nichts.<br />

Der „tanz raum“ wird in diesem<br />

Jahr zwanzig Jahre alt. Lass’ uns<br />

eine kleine Zeitreise machen. Es<br />

ist 1998, wir sind in der Kreuzlinger<br />

Freihofstraße. Wer war<br />

dabei? Was waren die Highlights?<br />

Recht bald kam Caroline Chevat zum<br />

„tanz raum“, zunächst aus einem fotografischen<br />

Interesse, aber der Virus sprang<br />

direkt zu ihr über. Ihr Zugang zum Thema<br />

kam in erster Linie über den Rhythmus.<br />

Unser lieber Freund und Lehrer Ibrahim<br />

El-Minawi, ägyptische Perkussion-Legende,<br />

der anlässlich von Workshops oft bei<br />

uns in Kreuzlingen zu Gast war, war eine<br />

große Inspiration für sie. Und heute,<br />

zwanzig Jahre später, ist Caro eine wirkliche<br />

Koryphäe auf dem Gebiet ägyptischer<br />

Perkussion. Und von unseren Räumen<br />

in der Freihofstraße ging es dann<br />

in die Welt. Internationale Workshops,<br />

Auftritte, Musikaufnahmen, Studienreisen,<br />

Arbeitsaufenthalte in Frankreich,<br />

England, Norwegen, den Niederlanden,<br />

Ägypten und vielen anderen Ländern. In<br />

Ägypten sind wir Mitglied von drei verschiedenen<br />

Künstlerfamilien. Was man<br />

bei diesen Aufenthalten lernt, lässt sich<br />

nicht nur in Kategorien des Wissens beschreiben<br />

<strong>–</strong> man lernt dort auch eine Einstellung<br />

zum Leben.<br />

Claudia Heinle aus Schwaben,<br />

die in die Welt auszog, um ägyptischen<br />

Tanz zu lehren <strong>–</strong> gibt<br />

es da Ressentiments? Stichpunkt:<br />

kulturelle Zugehörigkeit?<br />

Nicht mehr <strong>–</strong> und das hängt nicht nur<br />

damit zusammen, dass ich in der „Szene“<br />

mittlerweile einen Ruf habe. Ich glaube,<br />

dass viele Leute merken, dass dieses Thema<br />

so tief in mir gelandet und angekommen<br />

ist, dass man das nicht in Frage stellen<br />

muss. Asiatische Pianisten werden ja auch<br />

nicht zwingend nach ihrer Beziehung zu<br />

Mozart oder Rachmaninoff befragt.<br />

Du bist viel unterwegs und<br />

arbeitest in wechselnden Konstellationen.<br />

Hast du das Bedürfnis<br />

nach Un<strong>bewegte</strong>m in deinem<br />

Claudia Heinle (auf den Bildern) und<br />

Caroline Chevat tanzen, entwicklen<br />

und performen nicht nur selbst,<br />

sondern lehren die <strong>bewegte</strong> Kunst<br />

auch allen, die sich von Rhytmus und<br />

Musik anstecken lassen möchten.<br />

<strong>bewegte</strong>n Leben? Gibt es eine<br />

Sehnsucht nach Konstanz?<br />

Nicht unbedingt. Ich bin mir selbst<br />

Fixpunkt und nehme mich ja immer mit<br />

auf meine Reisen und Begegnungen. Ich<br />

kann überall schlafen, ich kann mich<br />

überall einrichten, wo mir freundlich entgegengetreten<br />

wird. Aber natürlich finde<br />

ich es auch wunderschön, immer wieder<br />

an den Ort zurückzukommen, wo meine<br />

Freunde sind, wo ich nicht viel erklären<br />

muss, wo meine Heimat ist.<br />

<strong>Die</strong> letzte größere Produktion,<br />

die ich von dir gesehen habe,<br />

hieß „Doing Things“ <strong>–</strong> eine knappe<br />

Stunde enorm verdichtete Tanzund<br />

Musikperformance, die<br />

starke Emotionen verhandelt: Figuren<br />

von Trauer, Überwältigung,<br />

Niedergeschlagenheit, aber<br />

auch Überschwang und Lebensfreude.<br />

Wie gehst du nach so<br />

einer Aufführung von der Bühne?<br />

Glücklich und beseelt. Und frei. Danach<br />

will ich schnellstmöglich zu meinem<br />


CLAUDIA TANZT<br />

30<br />

Tanz und die Musik können<br />

auch einen Zugang zu alter<br />

Weisheit und Wissen über<br />

den eigenen Körper schaffen.<br />

Publikum und kommunizieren. Und ein<br />

Glas Wein und eine Zigarette (lacht).<br />

Nach wenigen Minuten fällt Claudia<br />

auf, dass sich meine linke Schulter in einer<br />

Fehlstellung befindet. Mit dieser Ansicht<br />

ist sie in guter Gesellschaft: Mein Orthopäde<br />

und mein Physiotherapeut sind gleicher<br />

Meinung. Ob ich das mit Gyrokinesis<br />

zum Besseren beeinflussen kann? Ganz<br />

unbedingt, sagt Claudia. Ganzheitliches<br />

Bewegungskonzept und so. Ich oute mich<br />

als Esoterik-Allergiker. Claudia lacht. Sie<br />

teilt meine Abneigung. Auch ihr geht esoterisches<br />

Gehabe auf den Geist. Gleichzeitig<br />

unterstreicht sie die Bedeutung von Spiritualität<br />

für ihr Leben und erklärt mir<br />

das anhand ihrer Beschäftigung mit der<br />

Tradition der Sufi-Tänze. Sie erzählt von<br />

der Fülle an körperlichem Wissen, das in<br />

diesen Tänzen steckt. Von Atemtechniken<br />

und wiederkehrenden Spiralbewegungen,<br />

die im Modus der Tranceerfahrung den<br />

Weg nach Innen öffnen.<br />

Claudia, du hast dich voll und<br />

ganz in dein Thema gestürzt: Du<br />

tanzt, choreografierst, unterrichtest<br />

und schreibst gerade<br />

sogar an einem Buch über Tanz<br />

und Ritual im alten Ägypten.<br />

<strong>Die</strong> unvermeidliche betriebswirtschaftliche<br />

Frage: Kann man<br />

davon leben?<br />

Man kann davon leben. Das ist die<br />

gute Nachricht. Aber die Wahrheit ist<br />

auch: Ich muss mit wenigen Mitteln<br />

auskommen und bin in meiner Arbeit<br />

auch auf den Goodwill von anderen<br />

Menschen angewiesen, meinem Vermieter<br />

beispielsweise. <strong>Die</strong> sogenannte<br />

ortsübliche Vergleichsmiete könnte ich<br />

für meine Räumlichkeiten sicher nicht<br />

bezahlen. Ich habe nicht das Gefühl,<br />

dass es mir an etwas mangelt, aber das<br />

ist vermutlich eher meiner Einstellung<br />

zum Leben geschuldet als einer objektiven<br />

Beurteilung. Tatsächlich lebe ich<br />

vermutlich am Existenzminimum, zumindest<br />

was die Finanzen betrifft.


31 CLAUDIA TANZT<br />

Du sagtest heute zu Beginn, dass<br />

Gyro das griechische Wort für<br />

Kreis sei. Lass’ uns zum Ende des<br />

Interviews den Kreis schließen<br />

und zum Anfang zurückkehren.<br />

Erzähl mir von Gyrokinesis.<br />

Gyrokinesis ist eigentlich ein Yoga-<br />

Konzept, das von dem Tänzer Julio<br />

Horvath entwickelt wurde. Was mich<br />

daran interessiert, sind die kreisförmigen<br />

und kraftvollen Bewegungen, die<br />

ich schon von der ägyptischen Tanzsprache<br />

kenne, vor allen Dingen von den<br />

Tänzen der Sufis. Gyrokinesis zielt aber<br />

anders als der Tanz auf eine stark therapeutische<br />

Ebene ab. Wenn der Rücken<br />

zwickt, gezwickt hat oder gar nicht erst<br />

anfangen soll zu zwicken, dann bist du<br />

bei Gyro richtig. Gyro ist eine von vielen<br />

Methoden einer ganzheitlichen Körperarbeit.<br />

Für Leistungssportler ebenso geeignet<br />

wie für Anfänger. Gyrokinesis ist<br />

Gymnastik. Und da meine Kurse ganz<br />

klein sind, habe ich genug Zeit, auf jeden<br />

einzelnen Teilnehmer einzugehen.<br />

Als Körperarbeiterin bist du im<br />

wahrsten Sinne des Wortes ganz<br />

nah dran an den Körpern und<br />

Bewegungen deiner Mittänzer<br />

und Schülerinnen. Da muss es<br />

eindrückliche Erlebnisse geben.<br />

Fällt dir eines ein?<br />

Ja. Da fällt mir Agneta ein. Agneta ist<br />

75 Jahre alt, sie kommt aus Schweden.<br />

Hat sie mal bei Abba gesungen?<br />

Nein, aber sie ist auch blond. Sie kam<br />

vor acht Jahren zu mir und wollte tanzen<br />

lernen. Ich sage das nicht oft, aber<br />

es war ein aussichtsloser Fall, sie konnte<br />

nicht einmal im Rhythmus laufen.<br />

Trotzdem kam sie jedes Jahr zweimal<br />

zu uns in die internationale Tanzwoche.<br />

Und siehe da: Agneta ist heute eine gute<br />

Tänzerin. Ich hatte mich getäuscht. Und<br />

bin sehr froh darüber, vor allem, weil<br />

ich mit Agneta eine neue Facette des<br />

Tanzens kennengelernt habe. Agnetas<br />

Antrieb zu tanzen ist nicht Lebensfreude.<br />

Agneta tanzt, um sich auf ihren Tod vorzubereiten.<br />

Claudia, wir haben uns selbst<br />

bewegt und über Bewegung<br />

gesprochen. Wo liegt denn die<br />

künftige Bewegung? Wie geht es<br />

mit dir weiter? Was steht an?<br />

Nach den Sommerferien beginnen<br />

meine regelmäßigen Gyrokinesis- und<br />

Tanzkurse wieder. Und dann steht unser<br />

zwanzigster „tanz raum“-Geburtstag<br />

an, der in diesem Herbst noch gefeiert<br />

werden will.<br />

Abschlussfrage: Der „tanz raum“<br />

ist eine schweizerische Firma.<br />

Du arbeitest viel in Genf und<br />

Zürich. Tanzen Schweizer anders?<br />

Nein, die Nationen-Grenze macht<br />

sich im tänzerischen Ausdruck nicht<br />

bemerkbar <strong>–</strong> und das gefällt mir außerordentlich<br />

gut. Auch, wenn manch einer<br />

gerne anderes unterstellen möchte: <strong>Die</strong><br />

Deutschen und die Schweizer sind sich<br />

doch recht ähnlich.<br />

MEHR INFOS<br />

→ www.tanz-raum.com


DER HORST KLUB IN KREUZLINGEN<br />

32<br />

Aus dem Keller<br />

mitten ins<br />

Herz des Grenzgebiets<br />

→<br />

DER HORST KLUB IN KREUZLINGEN


33<br />

DER HORST KLUB IN KREUZLINGEN<br />

TEXT — Amelie Köppl<br />

FOTOS — Tobias Haussmann<br />

„Wir waren angenervt von allen ‚offiziellen‘ Locations in<br />

Konstanz und wollten einfach unser eigenes Ding machen,“<br />

sagt Stefan Böker, besser bekannt als Keg heute über die<br />

Anfänge des Horst Klub. Bevor das 9Darter zu einer sagenumwobenen<br />

Klubgestalt auf einem nachts leergefegten Parkplatz<br />

hinter einem Einkaufszentrum wurde, hatten er und<br />

seine Band Bock, sich selbst und anderen Musikern eine Möglichkeit<br />

zu geben aufzutreten. In den einst gut genutzten<br />

Proberäumen der Jägerkaserne ging das Licht aus und auch<br />

das Contrast, die Kantine oder die Corso Bar waren nicht<br />

mehr der richtige Ort für ihre Konzerte, zu denen bis auf ein<br />

paar Ausnahmen kaum jemand gekommen ist.<br />

In diesem alten Proberaum an der Hafenstraße, das als<br />

9Darter schnell zu undergroundiger Bekanntheit gelangte,<br />

ging es im Gegensatz dazu immer wild her. Musik, Moshpit<br />

und Bier waren zusammen mit Punk- und Hardcore-Konzerten<br />

das Geheimrezept für zwei Jahre voll schweißgebadeter<br />

Nächte in diesem heruntergekommenen Proberaumkomplex<br />

hinter dem Lago-Center, der heute als Obdachlosenheim<br />

genutzt wird. Keg erinnert sich noch gut an diese Zeit: „Moe<br />

Schönegg und Dani Schreiber hatten die Idee, Garagenshows<br />

dort zu machen. Und die gingen durch die Decke: Davilla<br />

666, Acid Baby Jesus und so weiter. Abartig, ausverkauft, ein<br />

Riesenfest. Das war die Initialzündung, wieder auf die alte<br />

Schiene wie im Contrast zu wechseln.“<br />

„Das war immer so eine Idee, eines<br />

Tages den Keller dort freizuräumen und<br />

was draus zu machen.“<br />

Doch die große Chance währte nicht lange. <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> Konstanz<br />

drohte wegen der unsachgemäßen Nutzung des Gebäudes<br />

mit Rauswurf und Strafzahlungen. Mit der schließlich<br />

finalen Mahnung im Rücken, ging der Weg hoch auf den<br />

Gaissberg, in dem viele wichtige Szenemenschen zu dieser Zeit<br />

wohnten und groß geworden sind: „Das war immer so eine<br />

Idee, eines Tages den Keller (im Haus am Gaissberg) freizuräumen<br />

und was draus zu machen. Da sah’s schrecklich aus.<br />

Irgendwann haben die Punks, die zeitweise im Garten campiert<br />

haben, in einer Nacht und Nebelaktion den Anfang gemacht,<br />

den ganzen Müll von der Treppe in den Garten geräumt und<br />

angezündet. Den nächsten riesigen Aufräumakt hat, glaube<br />

ich, Dani Schreiber gemacht, in einer krassen Herkulesaktion.<br />

Und sobald der Keller dann frei war, haben wir einen Boden<br />

reingelegt, mit Hilfe von Freunden wie Wolfi eine Bar gezimmert<br />

und los ging’s ...“<br />

An unverputzten Wänden vorbei gelangte man plötzlich<br />

in eine Parallelwelt tief im Keller eines Hauses auf dem Kreuzlinger<br />

Gaissberg, die gemeinschaftlich von KonstanzerInnen<br />

und KreuzlingerInnen geschaffen wurde. Schon damals legten<br />

die Macher größten Wert auf krachende Sounds und luden<br />

Bands aus den USA, Europa und China, mit denen sie bekannt<br />

oder befreundet waren, zu sich an den beschaulichen<br />

Bodensee ein.<br />

„Wir hatten die Chance, eine<br />

offizielle Location zu mieten und<br />

haben sie genutzt.“<br />

Alle, die im Haus gewohnt haben, schenkten an der Bar<br />

aus und haben bei der Organisation der Konzerte zusammengearbeitet.<br />

Nach Feierabend ging die Party ein paar Stockwerke<br />

weiter oben noch weiter. Doch der Kult um den Gaissberg,<br />

der so voller unbegrenzter Möglichkeiten steckte,<br />

sprach sich schnell herum. Immer mehr Anfragen trudelten<br />

ein und früher oder später wurde einigen die ganze Feierei im<br />

eigenen Haus zu viel. „Wir hatten die Chance, eine offizielle<br />

Location zu mieten und haben sie genutzt,“ schließt Keg mit<br />

den guten alten Zeiten im Untergrund. Kurz darauf gründen<br />

sie einen Verein, der keinen geringeren Namen als B.A.D.<br />

K.i.d.S. e.V. trägt: Wir haben eine offizielle Geschäftsform<br />

gebraucht. <strong>Die</strong> Gründung eines Kulturvereins schien uns<br />

am sinnvollsten <strong>–</strong> ohne großes finanzielles Risiko und ohne<br />

Kommerzgedanken. Wir hatten nun monatliche Kosten wie<br />

die Miete zu decken und hofften auch auf finanzielle Unterstützung<br />

der <strong>Stadt</strong> Kreuzlingen.“ Wichtig war den Machern<br />

nicht der Gewinn, sondern ihrem Netzwerk von Musiker-<br />

Innen, das über die Jahre stetig gewachsen war, eine offizielle<br />

Plattform zu bieten.<br />

Seit 2014 schiebt niemand mehr Kaltgetränke über einen<br />

selbstgezimmerten klebrigen Klapptresen, doch die Quintessenz<br />

des Klubs von der im wahrsten Sinne des Wortes anderen<br />

Seite ist geblieben: Garage, Rock’n’Roll und Punk lassen die<br />

Herzen von Schweizer und deutschen Musikliebhabern lauter<br />

schlagen. Sogar Lesungen und Ausstellungen stecken mittlerweile<br />

zwischen den Zeilen des vielfältigen Programms.<br />

„Ob Anwalt oder Punk, im<br />

Horst Klub sind alle gleich.“<br />

<strong>Die</strong> Region um ein alternatives Kulturangebot bereichern,<br />

war schon immer ihr Ziel. „9Darter und Gaissberg waren<br />

Keller- oder Proberaumshows, das ist schon noch etwas direkter<br />

und intimer und wilder. Wir haben zwar noch die gleiche<br />

Herangehensweise, aber gleichzeitig ist der Horst im Vergleich<br />

zu früher eine professionelle Konzertlocation. Andere echte<br />

Profis würden dabei vielleicht die Augen verdrehen, aber yo.“<br />

Ein klassisches Publikum gibt es in der Kirchstraße 1 nicht.<br />

„Das Schöne ist, dass hier jeder willkommen ist. Der Grundgedanke<br />

war, (Sub-)Kultur für alle zu machen. Es sollte auch<br />

für alle bezahlbar bleiben. Ob Anwalt oder Punk, im Horst<br />

Klub sind alle gleich,“ findet Keg. Vor den üblichen Nachbar-<br />


DER HORST KLUB IN KREUZLINGEN 34<br />

Das Closing des Horst Klub im<br />

Haus am Gaissberg bestand<br />

aus Schall und Rauch. Doch<br />

nach dem verruchten Ende<br />

folgten nur noch heißere<br />

Nächte in neuen vier Wänden.<br />

A place called horst: 2014<br />

hat der Horst Klub eine neue<br />

Heimat in der Kirchstraße 1<br />

gefunden.<br />

„Andere echte Profis<br />

würden dabei vielleicht<br />

die Augen verdrehen,<br />

aber yo.“<br />

Sie kommen aus Berlin, machen<br />

irgendwas Okkultes zwischen<br />

Psychedelic, Garage und Surf:<br />

Canyon Spree bei ihrem Auftritt<br />

im aktuellen Horst Klub.


35<br />

DER HORST KLUB IN KREUZLINGEN<br />

schaftsquerelen ist aber auch das Horst nicht sicher: „Wir<br />

haben alles Mögliche versucht, um Beschwerden vorzubeugen.<br />

Ab und zu setzt man sich mit der <strong>Stadt</strong> an einen Tisch und<br />

redet. <strong>Die</strong> haben, glaube ich, zur Kenntnis genommen, dass wir<br />

uns hier sehr viel Mühe geben,“ sagt Benni Kreibich, den<br />

meisten besser bekannt als Bensen. „Das gehört ja irgendwie<br />

auch dazu.“<br />

„Wir hatten bisher eine<br />

unglaubliche Zeit. Viele gute Nächte<br />

mit vielen tollen Menschen“<br />

Für die Zukunft gibt es keine anderen Pläne, als einfach<br />

immer weiterzumachen. „Wir setzen hauptsächlich auf Shows,<br />

haben aber gerne auch mal etwas Abwechslung,“ überlegt<br />

Bensen. „Ich habe die letzten Jahre ziemlich viele Shows im<br />

Horst gemacht. Jetzt mach ich das Booking im Kulturladen<br />

und habe nicht mehr viel Zeit. Es ist schön zu sehen, wie Jüngere<br />

mit eigenen Einflüssen und Vorstellungen die Lücke schließen,“<br />

sagt er. „Kurz: Es soll eigentlich alles bleiben, wie es ist.“<br />

Statt an das große Geld glauben die selbsternannten Kulturaktivisten<br />

noch immer an ehrenamtliche Arbeit und daran,<br />

dass ihre Zeit und ihr Herzblut gut investiert sind. Für ein<br />

Weiterleben wurde auch kurz vor einem zu Anfang drohenden<br />

finanziellen Aus gekämpft, solidarisch tanzend und<br />

trinkend versteht sich. Schließlich ist der Horst Klub seit seinen<br />

schmutzigen Anfängen aus der deutsch-schweizerischen<br />

Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken. <strong>Die</strong> treibenden<br />

Kräfte wie Stefan „Keg“ Böker, Moritz „Moe“ Schönegg,<br />

Daniel Schreiber, Sandra Fluck, Tino Dittus und nicht zuletzt<br />

auch Bensen bereuen keine Sekunde: „Wir hatten bisher<br />

eine unglaubliche Zeit. Viele gute Nächte mit vielen tollen<br />

Menschen. Dinge wie eine Förderung der <strong>Stadt</strong> oder Stress mit<br />

dem Nachbarn werden da zweitrangig. Der Support von<br />

Unterstützern ist enorm. An der Stelle ein fettes Danke an alle<br />

Bands, Gäste, Helfer und Unterstützer. Ihr seid die Besten!“<br />

Leidenschaft ist bei den Machern<br />

oberstes Gebot: Aus einer Idee wurde<br />

eine fest in der Grenzlandschaft<br />

verankerte Kulturinstitution.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Vom ersten Semestertag an eng mit<br />

dem Kulturladen Konstanz verbunden,<br />

findet sich Amelie bis heute<br />

oft und gerne in konzertalen Off-<br />

Locations wieder, um neue Bands<br />

und neue Leute kennenzulernen.<br />

Neu!<br />

Verkaufsoffene<br />

Samstage:<br />

einmal im Monat,<br />

10 bis 14 Uhr<br />

monomeer öffnet seine Türen<br />

Termine 2018/19<br />

29. September<br />

17. November<br />

15. Dezember<br />

19. Januar<br />

16. Februar<br />

16. März<br />

• monomeer-Produkte zum Anfassen und Ausprobieren<br />

... natürlich mit Beratung und mit Verkauf<br />

• Sale! Produkte mit kleinen Macken<br />

und Einzelstücke zum Sonderpreis<br />

• Denttabs, Deo und Co. zum Abfüllen <strong>–</strong><br />

bring your own Gefäß<br />

Am 13. und 14.<br />

Oktober sehen<br />

wir uns auf der<br />

Fairgoods &<br />

Veggienale im<br />

Bodenseeforum.<br />

In den Räumen von monomeer: Gottlieb-Daimler-Straße 5, 2. Etage, 78467 Konstanz<br />

In Konstanz kostenfreie Lieferung. Neu: Verbessertes Shop-Check-out bei Bestellungen aus Konstanz.<br />

www.monomeer.de


GEIL-O-MAT<br />

36<br />

Geilo-mat<br />

Sonntagabend. Hungriger Blick. Der Kühlschrank und mein<br />

Magen sind leer, alle Geschäfte haben geschlossen, mein Blutzuckerspiegel<br />

rauscht dem Tiefpunkt entgegen und auch meine<br />

Stimmung hat bereits den Pegel zur Kratzbürstigkeit überschritten.<br />

Was Süßes muss her, aber schnell!<br />

Auf einem Spaziergang durch die Nachbarschaft entdecke<br />

ich endlich, wonach ich gesucht habe: einen alten, rostigen<br />

Kaugummiautomaten. Was sich durch die verkratzte, beschlagene<br />

Scheibe des Kästchens noch erkennen lässt, wirkt jedoch<br />

weniger vielversprechend. Das einst bunte Etikett von Wind<br />

und Wetter entstellt, und es lassen sich nur grob die Überreste<br />

des ehemaligen Schlaraffenlands im Inneren vermuten.<br />

Damals, da war das Plündern des örtlichen Kaugummiautomaten<br />

wie der erste eigene Einkauf in einem wunderbaren<br />

24-Stunden-Kiosk. Nostalgie-Brille auf. Das Klimpern der<br />

Pfennigstücke in der Hosentasche. Das Knirschen des Drehhebels.<br />

Das Abenteuerelement: Ist der nächste Kaugummi rot?<br />

Oder blau? Von Ameisen zerfressen?<br />

Was ist passiert mit all den Automaten? Verwahrlost hängen<br />

sie an Straßenecken, blasen Trübsal in Hausdurchgängen, beschmiert,<br />

zerkratzt, vergessen. Haben Kinder aufgehört Kaugummis<br />

zu kaufen? Sind Automaten ein aussterbendes Medium?<br />

Nein, die Automatenlandschaft ist doch heute vielfältiger als<br />

je zuvor. Was einem nicht so alles per Knopfdruck entgegen<br />

plumpst! Alkohol, Pizza, Eis, Zigaretten, Kondome, Duftbäumchen,<br />

Blumensträuße, Bücher, Wildtierfutter, Regenschirme,<br />

Reizwäsche, Krawatten, Legosteine, Postkarten, Briefmarken,<br />

Passbilder, Brot, Milch, Obst, Wurst und Käse, Medikamente,<br />

Fritten.<br />

Meine Neugier ist geweckt. Welche Schätze der Automatenkultur<br />

lassen sich wohl hier in der Gegend finden? Zu Beginn<br />

der Spurensuche in Konstanz und Kreuzlingen glänzen jedoch<br />

viele Automaten durch Abwesenheit. Ein Mehrwertsteuerautomat<br />

zum Beispiel, erst 2015 am Grenzübergang Emmishofen<br />

installiert, scheint wie vom Erdboden verschluckt. Der Automat<br />

sollte die Rückerstattung der Mehrwertsteuer für Schweizer<br />

Konsumenten in Deutschland erleichtern. Während die Einweihung<br />

der Maschine damals verstärkt in der regionalen<br />

Presse besprochen wurde, lassen sich für die Gründe ihrer<br />

Entfernung deutlich weniger Informationen finden. Auch die<br />

Zollbeamten auf beiden Seiten der Grenze schauen mich nur<br />

fragend an. „Nee, den gibt’s schon lange nicht mehr!“<br />

Insgesamt treffe ich bei meiner Spurensuche auf mehr<br />

misstrauische Fragen und verwirrte Mienen als auf Automaten.<br />

„Ein Automat? Hier?“ „Wieso wollen Sie das denn wissen?“<br />

Fündig werde ich dann aber doch, bei einer Fahrradwerkstatt:<br />

vor den Eingangstüren strahlt mir und (in Not geratenen) Radlern<br />

ein blauer Automat mit einer Auswahl von verschiedenen<br />

Fahrradschläuchen in unterschiedlichen Größen entgegen.<br />

Ohne Fahrradschlauch fährt es sich auch für Vollblutradler<br />

und E-Bike-Rentner nicht so geschmeidig um den Bodensee.<br />

Darum schließt der Ersatzschlauch to-go in einer Hochburg<br />

des Fahrradtourismus eindeutig eine Marktlücke. Das einzige<br />

Problem für Zweirad-Laien wie mich: Aufs Rad fummeln muss<br />

man das Ding dann aber auch selbst, sollte der angrenzende<br />

Laden samt Drahtesel-Experten geschlossen haben.<br />

Apropos fummeln: Skurril hauptsächlich durch deren Platzierung<br />

preisen bieder wirkende Automaten mit dem schnörkeligen<br />

Schriftzug „Hygienischer Schutz“ auf den Damentoiletten<br />

der Universität Konstanz billiges Sexspielzeug an.<br />

Mini-Vibratoren als Stressabbau der etwas anderen Art während<br />

der Prüfungsphase? Wieso nicht. Ein Automat mit passenden<br />

Pendants für die männliche Kundschaft findet sich eine Tür<br />

weiter auf dem Männerklo. Allerdings können die Herren der<br />

Schöpfung an diesem Automaten zusätzlich noch Kondome<br />

kaufen. Spätestens 2018 wäre das definitiv auch eine nützliche<br />

Ergänzung im Automaten der Damenfront. Ich fordere: Mehr<br />

(sicherer) Spaß für alle!<br />

An anderen Orten stoße ich auf Automaten, die weniger<br />

den Durchschnittsverbraucher im Sinn haben und stattdessen<br />

einen nüchternen Kontrast zum Kaugummikonsum darstellen:<br />

zum Beispiel der Spritzenautomat der Initiative „Perspektive<br />

Thurgau“ in Kreuzlingen*. Für ein paar Franken wirft der in<br />

Kooperation mit ansässigen Apotheken betriebene „Hygieneautomat“<br />

steril verpackte Spritzen-Sets und Kondome aus und<br />

unterstützt damit die Prävention von HIV, AIDS und Hepatitis-<br />

Infektionen.<br />

<strong>Die</strong> Automatenlandschaft in Konstanz und Kreuzlingen<br />

scheint sich stetig zu verändern. Angebote kommen und gehen.<br />

Warum also sterben regelmäßig Automaten aus? Warum geraten<br />

die praktischen „In case of emergency“-Maschinchen in<br />

unserer Jetzt-Sofort-Gesellschaft so in Vergessenheit? Liegt es<br />

wirklich daran, dass Kinder keine Süßigkeiten mehr kaufen?<br />

Wohl kaum. Daran, dass wir nicht wissen, wo wir in dringenden<br />

akademischen Notsituationen Sexspielzeug zum Stressabbau<br />

herbekommen, weil wir nicht wissen, wo der passende Automat<br />

dafür steht (und dass er überhaupt existiert)? Gut möglich,<br />

denn die wenigsten unkonventionellen Automaten sind auf<br />

Google Maps verzeichnet. Oder liegt es daran, dass Ideen wie<br />

der Mehrwertsteuerautomat zwar einen durchaus praktischen<br />

und realitätsnahen Hintergedanken haben, aber auf Dauer einfach<br />

nicht profitabel genug sind?<br />

Vielleicht haben wir aber auch einfach noch nicht den richtigen<br />

Automaten für unsere <strong>Stadt</strong> gefunden. Wie wäre es zum<br />

Beispiel mit einem Grillkohle- und Kartoffelsalatautomaten für<br />

die wirklich spontanen Sommerabende? Oder einem Sonnencreme-Spender<br />

und Luftmatratzenautomaten für die Last-<br />

Minute-Feierabendschwimminsel?<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Naschkatze Yasmin wollte eigentlich<br />

nur den örtlichen Süßigkeitenautomat<br />

plündern, stieß dann aber auf die<br />

ein oder andere Überraschung.<br />

*Automat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung leider außer Betrieb


37<br />

GEIL-O-MAT<br />

→<br />

SCHLARAFFENLAND AUF<br />

KNOPFDRUCK<br />

TEXT — Yasmin Auerswald<br />

ILLUSTRATION — Anna Maria Kiosse


EUROPA, WO BIST DU?<br />

38<br />

Europa<br />

,<br />

wo<br />

bist<br />

du?<br />

for tomorrow for tonight (#06)<br />

2018<br />

100 cm x 205 cm<br />

Plakat-print auf Holz kaschiert


39 EUROPA, WO BIST DU?<br />

→<br />

TEXT — Michael Lünstroth<br />

FOTOS — Florian Schwarz<br />

DER FOTOGRAF<br />

FLORIAN SCHWARZ<br />

UND SEINE SUCHE<br />

NACH DEM, WAS UNS<br />

ZUSAMMEN HÄLT<br />

Populisten bestimmen die<br />

Schlagzeilen, Nationalisten gewinnen<br />

wieder Wahlen in Europa.<br />

In Zeiten des bröselnden<br />

Zusammenhalts macht sich<br />

der Fotograf Florian Schwarz<br />

auf die Suche nach dem, was<br />

dieses Europa ausmacht. <strong>Die</strong><br />

Geschichte eines Mannes, der<br />

nicht still sitzen kann.<br />

Irgendwann im Herbst 2015 hält Florian Schwarz nichts<br />

mehr Zuhause. Er hat das Gefühl, raus in die Welt zu müssen,<br />

dorthin, wo gerade Geschichte geschrieben wird. Zuvor hatte<br />

der Fotograf im Fernsehen die Bilder von den Flüchtlingsströmen<br />

aus dem Nahen Osten nach Europa gesehen, hatte<br />

die Nachricht gehört, dass Ungarn sehr bald seine Grenzen<br />

für Flüchtlinge dicht machen würde. Am nächsten Tag sitzt<br />

er in einem Flugzeug nach Belgrad. Von dort fährt er weiter an<br />

die serbisch-ungarische Grenze, Schwarz wusste von einem<br />

letzten Schlupfloch für Flüchtlinge an einer Bahnlinie. „Es<br />

war etwa fünf Meter breit, das letzte Schlupfloch für tausende<br />

Menschen Richtung Westen. Unglaubliche Szenen haben sich<br />

da abgespielt“, erinnert sich Schwarz, 39 Jahre alt, an diese<br />

Momente.<br />

Spätestens da wird dem aus Konstanz stammenden Fotografen<br />

klar, dass eines seiner nächsten Projekte sich mit dem<br />

Thema Migration befassen wird. Nicht die großen Fluchtbewegungen<br />

aus Kriegsgebieten wie Syrien sollen im Mittelpunkt<br />

stehen (die hatte er in einem früheren Projekt schon<br />

behandelt), sondern die Migration innerhalb Europas. „Das<br />

ist ein Aspekt, der in der Gesamtbetrachtung des Themas<br />

zuletzt wenig beachtet wurde. Mich hat das aber interessiert:<br />

Wie steht es um die Migration innerhalb Europas? Wer wandert<br />

wohin und warum? Und was macht das mit den Menschen?“,<br />

erklärt Schwarz die Hintergründe. Im vergangenen Sommer<br />

hat er die Arbeiten (die auch diesen Text illustrieren) in der<br />

Ausstellung „Nicht Anfang nicht Ende“ in Konstanz und<br />

Kreuzlingen gezeigt. →


EUROPA, WO BIST DU?<br />

40<br />

Er reist tausende Kilometer quer<br />

durch Europa. Ohne Flugzeug.<br />

Das Projekt erklärt ganz gut, wie Florian Schwarz arbeitet.<br />

Er kann da ziemlich kompromisslos sein. Für „Nicht Anfang<br />

nicht Ende“ reiste er in den vergangenen fast zwei Jahren<br />

tausende Kilometer quer durch den Kontinent: einmal von<br />

Westen nach Osten, einmal von Norden nach Süden. Alles<br />

auf dem Landweg. Ohne Flugzeug. In Etappen ging es von<br />

der rumänischen Schwarzmeerküste bis zur portugiesischen<br />

Atlantikküste und von Nord-Norwegen bis nach Kreta. „Ich<br />

wollte wissen, wie das heutige Europa aussieht und wie es<br />

sich anfühlt“, sagt der 39-Jährige. An diesen „geografischen<br />

Eckpunkten“ seiner Reise hat er nach Geschichten gesucht <strong>–</strong><br />

und etliche gefunden.<br />

In Rumänien war er unterwegs mit Menschen, die in Kleintransportern<br />

Richtung Westen reisen. Auf der Suche nach Arbeit.<br />

In Portugal hat er eine Romafamilie begleitet, die gerade<br />

zwangsweise umgesiedelt wurde, in Norwegen zog er mit den<br />

Samen, den Ureinwohnern Nordskandinaviens, wenn man so<br />

will, zu den Sommerweidegründen ihrer Tiere, und auf Kreta<br />

traf er einen deutschen Aussteiger, der in einer alten Hippie-<br />

Höhle lebt. Entstanden sind an allen vier Orten außergewöhnliche<br />

Geschichten, die Florian Schwarz in berührenden<br />

Fotos dokumentiert hat. Möglich wurde das Projekt durch die<br />

Förderung der Städte Konstanz und Kreuzlingen und Stiftungen<br />

wie der Kulturstiftung des Kantons Thurgau.<br />

<strong>Die</strong> Kamera entdeckt Florian Schwarz<br />

erst spät für sich<br />

Dass Florian Schwarz überhaupt mal Fotograf werden<br />

würde, war lange nicht abzusehen. „Ich habe mich damit<br />

nicht beschäftigt, weil ich nicht dachte, dass es mir gefallen<br />

würde“, erzählt er. Erst im Frühsommer 2003 hatte er, mehr<br />

aus Langeweile denn aus Berufung, einen Fotoapparat in der<br />

Hand. „Das war eine alte Minolta meiner Mutter. In einem<br />

Fotogeschäft musste ich mir erstmal zeigen lassen, wie man<br />

da einen Film einlegt“, erinnert sich Schwarz. Heute, 15 Jahre<br />

später, kann er sich nicht vorstellen, die Kamera jemals wieder<br />

aus der Hand zu legen. „Fotografie ist meine Sprache“,<br />

sagt er. Es habe eben ein bisschen gedauert bis er sie gefunden<br />

habe. Sein Studium der Fotografie hatte Schwarz danach<br />

an der Königlichen Kunstakademie Antwerpen absolviert,<br />

später folgte ein Dokumentarfilmstudium in Schottland <strong>–</strong><br />

am Edinburgh College of Art.<br />

Gelernt hat der Künstler das Handwerk noch auf die<br />

klassische analoge Art. <strong>Die</strong> Entwicklung der Bilder, der Geruch<br />

der Chemikalien, das sei doch eine ganz greifbare Welt,<br />

findet Schwarz. Er sagt, ihm sei die körperliche Auseinandersetzung<br />

mit dem Bild wichtig. Schwarz’ Fotografien sind<br />

intensiv. Manchmal ganz nah dran, manchmal auch etwas zurückgenommen,<br />

aber sie lösen beim Betrachter immer etwas<br />

aus. „Ich arbeite wenig konzeptionell, sondern mehr aus dem<br />

Bauch heraus. Es ist diese instinktive Haltung zur Fotografie,<br />

die mich interessiert“, erklärt der gebürtige Konstanzer<br />

seinen Arbeitsstil. Kompromisslos ist ein anderes Wort, das<br />

fällt, wenn Schwarz über seine Arbeit spricht. Halbe Sachen<br />

sind sein Ding nicht. „Wenn ich etwas mache, dann mache ich<br />

es richtig. Sonst kann man es ja gleich lassen“, sagt er. <strong>Die</strong>se<br />

Haltung kann man sehr gut an seinen Projekten ablesen.<br />

Im Kern geht es bei Schwarz immer<br />

um die Frage des Mensch-Seins<br />

Seine erste größere Arbeit, noch während des Studiums,<br />

verschlug ihn nach Honduras. Über eine Non-Profit-Organisation<br />

hatte er Kontakt zu einem Resozialisierungsprojekt von<br />

Straßenkindern in einem Bergdorf in Honduras bekommen.<br />

Jungs von 5 bis 17 Jahren lebten dort. Schwarz arbeitete ein<br />

halbes Jahr mit den Waisenkindern, fotografierte sie in ihrem<br />

Alltag und ließ sie auch selber mit Einwegkameras knipsen.<br />

„Mich hat daran vor allem das partizipatorische Element<br />

gereizt. Ich wollte den Kindern eine Stimme verleihen, durch<br />

ihre eigenen Fotos“, erläutert Schwarz. Finanziert hatte er den<br />

Aufenthalt über ein Stipendium. Unter dem Titel „Is there a<br />

monster living under my bed“ (Lebt ein Monster unter meinem<br />

Bett?) entstand ein Künstlerbuch zu dem Projekt.<br />

Im Kern geht es bei Schwarz immer um zwei Dinge: <strong>Die</strong><br />

Frage des Mensch-Seins. Und die Erfahrung des Unterwegs-<br />

Seins. Was es mit einem macht, wenn man wirklich reist,<br />

wenn man also nicht nur seinen Ort, sondern auch seine<br />

Perspektive wechseln muss, das interessiert den Fotografen<br />

sehr. Belege dafür finden sich reichlich in seiner Vita. Für seine<br />

Diplomarbeit reiste er zum Beispiel elf Wochen lang auf den<br />

Spuren seines Großvaters <strong>–</strong> von Süddeutschland nach Sibirien.<br />

Im Zweiten Weltkrieg hatte Schwarz’ Opa diesen Weg auch<br />

machen müssen. „Ich hatte dieses alte Bild von meinem Opa<br />

gefunden in Wehrmacht-Uniform. Danach wollte ich immer<br />

mehr wissen und forschte weiter nach“, sagt Schwarz. So gelang<br />

es ihm, den Weg seines Großvaters nachzuzeichnen. Am<br />

Ende war er überwältigt von der Freundlichkeit, die ihm, dem<br />

Enkel „des Feindes“, entgegengebracht wurde.<br />

Der Makrokosmos im All,<br />

der Mikrokosmos um uns herum<br />

Gewissermaßen zu den Sternen griff Schwarz 2014 und<br />

2015: Damals war er mit seinem Projekt „deep dark pale blue“<br />

rund um den Globus unterwegs. Chile, USA, Südafrika, Teneriffa,<br />

Australien waren die Ziele seiner Reise. In all diesen<br />

Orten besuchte er Sternwarten und porträtierte die Regionen<br />

dort. Dabei ging es ihm nicht nur um den Nachthimmel der<br />

Orte, sondern auch um eine soziale Dimension. „Wir haben<br />

inzwischen die Möglichkeit weit entfernte Galaxien zu beobachten,<br />

aber was wissen wir eigentlich voneinander? Über<br />

das Leben der Menschen, die verschiedenen Kulturen und<br />

Umgebungen, in denen wir leben?“ umschreibt Schwarz<br />

den Ansatz dieses Projekts. Sein Leitmotiv bei der Arbeit<br />

lautete: „Je weiter wir die unendlichen Weiten des Weltalls<br />

erforschen, um so mehr denken wir darüber nach, was es bedeutet,<br />

Mensch zu sein.“ Schwarz will einen Bezug herstellen<br />

zwischen dem großen Makrokosmos im All und unserem<br />


ATELIER ZOBEL / ROSGARTEN STR. 4 / 78462 KONSTANZ / WWW.ATELIERZOBEL.COM<br />

41 WOHIN DU WILLST<br />

S T A D T F Ü H R E R .<br />

M A D E B Y P E T E R S C H M I D .<br />

Ohrringe und Ring<br />

designed by Peter<br />

Schmid. Gold, Silber<br />

und antike Murmel.


EUROPA, WO BIST DU?<br />

42<br />

for tomorrow for tonight (#04)<br />

2018<br />

100 cm x 205 cm<br />

Plakat-print auf Holz kaschiert


kleinen Mikrokosmos in unseren Leben. Ein hoher Anspruch,<br />

und man staunt immer wieder, wie Florian<br />

Schwarz es gelingt, ihn in seinen Arbeiten einzulösen.<br />

Heute muss er nicht mehr ganz weit weg in die Welt,<br />

um Themen für seine Arbeit zu finden. Das ist auch<br />

schwieriger geworden, weil er inzwischen Vater ist. Das<br />

Europa-Projekt war ihm ein Herzensanliegen, „weil es<br />

für viele so selbstverständlich ist, dahin gehen zu können,<br />

wo sie wollen. <strong>Die</strong> Wahrheit aber ist <strong>–</strong> für viele Menschen<br />

auch in Europa ist das aber überhaupt nicht so<br />

einfach. <strong>Die</strong> Freiheit, dahin gehen zu wollen, wo man<br />

will, hat selbst auf unserem kleinen Kontinent nicht jeder“,<br />

sagt der Fotograf. Über die Frage, ob er diesem Europa<br />

auf seiner Reise denn nun ein Stück näher gekommen<br />

sei, muss er nicht lange nachdenken. „Ja“, sagt er, „an<br />

allen Orten bin ich mit großer Offenheit empfangen<br />

worden. Wer das mal erlebt hat, der blickt mit anderen<br />

Augen auf die Menschen. Je länger ich unterwegs war,<br />

umso mehr hatte ich das Gefühl, dass wir alle doch<br />

mehr miteinander zu tun haben, als viele Leute heute<br />

oft denken.“ Nicht die schlechteste Botschaft in diesen<br />

unruhigen und zur Spaltung neigenden Zeiten.<br />

LINKS<br />

Projekt „Close by and far beyond“:<br />

→ www. tinyurl.com/ybe3o48b<br />

Projekt „Deep dark_pale blue“:<br />

→ www.tinyurl.com/ybaumd3z<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Michael reiste schon als Kind gerne<br />

und wunderte sich immer über die<br />

merkwürdigen Grenzen zwischen den<br />

Ländern. Später hielt er ein gemeinsames<br />

Europa für eine der besten<br />

politischen Visionen, die man haben<br />

kann. <strong>Die</strong> Projekte von Florian<br />

Schwarz haben ihm nochmal gezeigt,<br />

warum das so ist.


STADTPOESIE<br />

44<br />

TEXT — Barbara Marie Hofmann<br />

FOTOS —Mika Jaoud<br />

i)<br />

Bewegung, [die]__Substantiv, feminin ______________Das [Sich]<br />

bewegen von jemandem durch Veränderung der Lage, Stellung,<br />

Haltung.____________________________________Als Bewegung<br />

im physikalischen Sinne versteht man die Änderung des Ortes<br />

eines Beobachtungsobjektes mit der Zeit.______________________<br />

_____Für das [Sich]bewegen von etwas, einem Menschen, gibt<br />

es zwei Richtungen.__Näher und ferner.___________________<br />

Gefühle vollziehen sich oftmals in konzentrischen Kreisen, ein<br />

Abstand ist dafür erforderliche Voraussetzung._____________<br />

Das [Sich]wegbewegen von jemandem löst etwas aus.____________<br />

_______Eine Ergriffenheit, eine Rührung. Es erinnert an das gleichmäßig<br />

beschleunigte Fallen eines Steins. Unabänderlich und<br />

sicher in seinem Aufprall. Jemand, der im Schlaf spricht, hat nicht<br />

mehr Sehnsucht als einer, der es nicht tut.<br />

[Frage:] Was, wenn man aus dieser Bewegung gefallen ist? Wie kann<br />

man etwas aufhalten, von dem andere sagen, es sei der natürliche Lauf<br />

der Dinge, so wie Angst und Furcht und die Schwerkraft?<br />

[Frage:] Bedeutet Freiheit für manche wohl das unbewegt sein von<br />

den Dingen, die andere angehen. .Wie viel Raum gibt es neben mir<br />

für einen Zweiten? Wie viel Raum für die Welt?<br />

Definiere „Bewegung“. Definiere „dich“. Körperliche Aktivität ist für<br />

das normale Funktionieren des Organismus und für den Erhalt der<br />

Leistungsfähigkeit notwendig. Der Organismus passt sich an den Umfang<br />

und die Art der körperlichen Aktivität eines Menschen an. Je<br />

BEWÉGUNG, [DIE]<br />

SUBSTANTIV,<br />

FEMININ


45 STADTPOESIE<br />

nachdem, wie der Körper beansprucht wird, nimmt die Leistungsfähigkeit<br />

zu oder ab bzw. bleibt gleich. <strong>Die</strong> Körpersysteme funktionieren<br />

richtig, wenn sie ausreichend beansprucht werden.____________<br />

Das Emotionssystem funktioniert richtig, je mehr es erweitert wird.<br />

Wie das Netz einer Kreuzspinne. _________Der Körper hingegen<br />

wird anfälliger für Funktionsstörungen oder Erkrankungen, wenn die<br />

Organsysteme zu wenig beansprucht werden. Ebenso wie das Herz<br />

bei Kummer, verkümmert der Körper ohne Liebe oder eine Annäherung<br />

daran._ ____Bewegung ist, wenn ein Objekt mit der Zeit den<br />

Ort ändert und zwar relativ zu einem Bezugssystem oder Bezugskörper.<br />

__________________ Das Bezugssystem [du] wird bedeutungslos,<br />

man liebt sich aus. Ich habe mich von dir entfernt als ich an der<br />

Raststätte vor Bremen ausstieg.____________________________<br />

Bewegung steht auch für: Drehspiegelung im Raum, falsche Sichtweisen.<br />

Des Weiteren für: dich und mich, sie und ihn, sie und sie, ihn und<br />

ihn, es. Jetzt ist nichts mehr so, wie es früher einmal war. Bedeutungserklärungen<br />

verlieren ihre Bedeutung. <strong>Die</strong> erhobene Stimme des<br />

Menschen ist als beständiger Widerstand gegen den Stillstand zu<br />

sehen.<br />

<strong>Die</strong> Langzeitbelichtung einer statischen Gegebenheit bringt keine<br />

neuen Ergebnisse. In der Betrachtung halten alle kurz inne. __ Doch die<br />

Hoffnung: Mit der Zeit gewinnt man andere Ansichten. Bewegung<br />

bricht sich Bahn.


STADTPOESIE<br />

46<br />

ii.)<br />

Hast du je daran gedacht, deine Haut<br />

zu vergessen. <strong>Die</strong> Bewegung eines<br />

Lids, die eine Windstille verursacht.<br />

Hast du je daran gedacht, etwas zurückzulassen,<br />

wie einen leeren Koffer<br />

am Bahnsteig. Hast du je daran gedacht,<br />

einem Menschen zu begegnen,<br />

den du früher einmal kanntest. Jetzt<br />

ist da eine taube Fremdheit. Etwas zu<br />

bewegen ist eine schwerwiegende Sache.<br />

Was man weiß ist, dass es förderlich<br />

ist: die Bewegung des Atmens, der<br />

Vorgang des Körperlichen, der uns voranbringt.<br />

Aber meine Haut liegt<br />

unter deinem Auge, wie ein Teich mit<br />

Wimpernrand. Wie soll ich all das<br />

vergessen. Würde ich mir je verzeihen,<br />

wenn ich mich selbst verließe. Etwas<br />

zu bewegen ist eine schwerwiegende Sache.


Kunstraum Kreuzlingen<br />

47<br />

STADTPOESIE<br />

Thurgauische Kunstgesellschaft<br />

Kunstraum<br />

Florian Germann<br />

<strong>Die</strong> Stral 2<br />

Tiefparterre<br />

Florian Germann<br />

Videos<br />

Nice (2003)<br />

Enduro <strong>–</strong> Tests and Trainings (2004)<br />

Ausstellungen<br />

15. September <strong>–</strong> 25. November 2018<br />

Weitere Veranstaltungen: www.kunstraum-kreuzlingen.ch<br />

Kunstraum Kreuzlingen, Bodanstrasse 7a<br />

Fr 15<strong>–</strong>20 Uhr, Sa und So 13<strong>–</strong>17 Uhr<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Barbara Marie forscht gerne an<br />

flüchtigen Elementen. So auch<br />

Bewegung an sich. Was ist alles Bewegung?<br />

Wie bewegt sich ein Körper,<br />

wie ein Gefühl? Und was passiert,<br />

wenn wir [<strong>bewegte</strong>] Dinge betrachten,<br />

einmal faktisch, einmal lyrisch?<br />

Aus dieser Erforschung entstand ein<br />

Gedicht in zwei Teilen.<br />

UNSERE<br />

ÖFF<strong>NUN</strong>GSZEITEN<br />

Montag <strong>–</strong> Freitag:<br />

07.00 Uhr <strong>–</strong> 18.00 Uhr<br />

Samstag <strong>–</strong> Sonntag:<br />

08.00 Uhr <strong>–</strong> 18.00 Uhr<br />

STADTKIND KONSTANZ | Brauneggerstr. 31 | 78462 Konstanz |<br />

kontakt@stadtkind-konstanz.de | www.stadtkind-konstanz.de


DIE MACHT ÜBER<br />

DEN EIGENEN TEMPEL<br />

48<br />

<strong>Die</strong> Macht über<br />

den eigenen<br />

Tempel<br />

TEXT — Mandy Krüger<br />

FOTOS — Regula Kreis<br />

Narben.<br />

Jede ist einzigartig.<br />

Sie prägen unsere Körper.<br />

Verleihen ihm Charakter.<br />

Nur Verletzungen mit einer gewissen Tiefe<br />

lassen sie zurück.<br />

Für die einen sind sie ein Makel.<br />

Für andere Spuren des Erlebten.<br />

Denn Narben erzählen immer<br />

eine Geschichte.


49 DIE MACHT ÜBER<br />

DEN EIGENEN TEMPEL<br />

→<br />

GESCHICHTE EINER<br />

KÖRPERMODIFIKATION<br />

Manche Narben betrachtet man gerne. Erinnern an den<br />

letzten Surftrip. Wenn man sie im Spiegel sieht, schmeckt man<br />

wieder das Salz auf den Lippen, spürt die warme Sonne auf der<br />

Haut und den körnigen Sand zwischen Zehen. Ist zwar dumm<br />

gelaufen, war aber ein großartiger Urlaub. Dann gibt es Narben,<br />

die stehen für ein Schicksal. Für einen Kampf, den man gewonnen<br />

hat oder für eine Zeit, an die man sich lieber nicht erinnert, die<br />

einen aber zu dem gemacht hat, der man heute ist.<br />

Dorschs Narben sind eine bewusste Entscheidung. In breiten<br />

Linien bedecken sie ihr Gesicht auf beiden Seiten, über die<br />

Wangen hoch zu den Schläfen bis unter den Haaransatz. Wie<br />

weit tatsächlich, verbergen die dunklen, zu Dreads gedrehten<br />

Haare. Mal mehr, mal weniger verlaufen sie parallel zueinander,<br />

kreuzen sich und spiegeln die Formen ihrer Tätowierungen, die<br />

ihren Körper bis zum Hals hinauf bedecken. Ihre flächigen Tattoos<br />

bis zu den Fingerspitzen lassen Dorsch dabei angezogen<br />

wirken, obwohl sie ärmellos vor einem sitzt.<br />

Was bewegt einen Menschen dazu, sich das Gesicht aufschneiden<br />

zu lassen? „Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt und<br />

wie Menschen <strong>–</strong> meine Freunde, meine Eltern <strong>–</strong> auf die Narben<br />

reagieren“, beantwortet Dorsch schlicht die Frage nach dem<br />

Warum. Es ging ihr um dieses Kitzeln. <strong>Die</strong>ses Kitzeln, wenn man<br />

sich fragt, was passieren wird, wenn man etwas wirklich wagt.<br />

Gleichzeitig geht es aber auch darum: „Wie reagiere ich eigentlich<br />

auf die Reaktion der Menschen?“ Viele waren geschockt.<br />

„Der Rest fand es nicht unbedingt positiv, eher spannend oder<br />

es war ihnen egal.“ Nicht weniger war es ein Schnittpunkt (wortwörtlich)<br />

in Dorschs Leben. Als ihre bisher extremste Körpermodifikation<br />

<strong>–</strong> Bodymodification <strong>–</strong>, lösten die Narben in ihr<br />

etwas aus. Egal an welcher Stelle des Körpers man sie hat, Piercings<br />

und Tattoos vergisst man irgendwann (die Autorin kann<br />

das bestätigen). „Ich vergesse das auch. Ich vergesse immer,<br />

dass ich so aussehe. Aber ich vergesse nicht <strong>–</strong> und ich habe sie<br />

schon seit fast zwei Jahren <strong>–</strong> dass ich diese Narben habe.“ Zum<br />

einen liegt das daran, dass sie sich bei Wetterumschwüngen bemerkbar<br />

machen und die Haut dann zu spannen und jucken<br />

beginnt. Aber zum anderen, weil die Menschen einfach nicht<br />

wegschauen können. „Man wächst daran, denn man muss mit<br />

den Reaktionen zurecht kommen können. Ich glaube, ich gehe<br />

dadurch jetzt auch anders auf Menschen zu, womöglich offener.“<br />

Man sagt ja immer, dass es nicht allein um das Aussehen geht.<br />

„Aber spätestens mit solchen Narben im Gesicht, merkt man,<br />

wer es mit den inneren Werten wirklich ernst meint.“ →<br />

DAS BMX<br />

BodyModification eXchange<br />

NETwork e.V. <strong>–</strong> ist eine jährlich und<br />

vollkommen ehrenamtlich organisierte<br />

Zusammenkunft in Essen.<br />

Dort treffen sich Organisationen und<br />

Vereine aus aller Welt, die sich für die<br />

Anerkennung des Berufs des Piercers<br />

und Tätowierers einsetzen. Auch<br />

Dorsch engagiert sich dafür: „Auch<br />

wenn wir alle verrückt aussehen, so<br />

spießig sind wir dann doch, dass<br />

wir uns wünschen, es gäbe Regeln für<br />

sauberes und gutes Arbeiten.“ Apropos<br />

verrücktes Aussehen: In Russland<br />

gibt es übrigens einen Markt für<br />

Scarifications, die Schusswunden<br />

und Bärenangriffe imitieren. Das<br />

lernt man auch auf der BMX.<br />

→ www.BMXnet.org


DIE MACHT ÜBER<br />

DEN EIGENEN TEMPEL<br />

50<br />

Gelingt es den Menschen, sich von Äußerlichkeiten<br />

und Attributen wie „entstellt“ zu<br />

lösen, hat Dorsch schon spannende Begegnungen<br />

erlebt, allein durch die Narben in ihrem<br />

Gesicht. Einmal fasste ihr während einer<br />

Fahrt im Zug unvermittelt eine fremde Frau<br />

ins Gesicht. Sie wollte die Narben durch das<br />

Anfassen verstehen. „Ich fand das total schön,<br />

ohne jegliche Negativität und überhaupt nicht<br />

feindselig. Das passiert mir nicht oft, dass Menschen<br />

mir ohne Vorurteile begegnen. Darum<br />

ist es umso schöner, dass es manche können.“<br />

Eine besonderen Affinität zu Schmerzen<br />

hat Dorsch nicht. Im Gegenteil. Als Tätowiererin<br />

sitzt sie zwar direkt an der Quelle, aber:<br />

„Ich habe echt kein Bock mehr auf diesen<br />

Schmerz“, erzählt sie und lacht. „Wenn du täglich<br />

Menschen siehst, die sich dem aussetzen,<br />

sinkt die Motivation.“ Der anfängliche Endorphinschub<br />

bleibt mittlerweile einfach aus. Darum<br />

sind auch ihre Füße, als eine der wenigen<br />

freien Körperflächen, noch nicht tätowiert.<br />

Viele unterstellen ihr dennoch einen Drang<br />

zur Selbstverletzung. „Dabei gehöre ich nicht<br />

zu den jungen Menschen, die sich geritzt haben.“<br />

Das vermeintliche Vorurteil, dass jemand<br />

mit vielen Piercings, Tattoos oder Ziernarben<br />

<strong>–</strong> im Bodymod-Bereich Scarification<br />

genannt <strong>–</strong> eine pathologische Störung kompensiert,<br />

ist aber tatsächlich nicht unbegründet.<br />

Viele von Dorschs Kunden lassen sich<br />

über ihre Narben tätowieren. Hat sie jemanden<br />

mit Spuren offensichtlicher Selbstverletzung<br />

vor sich, fragt sie gezielt nach. Natürlich<br />

könnte man sagen, dass eine Tätowierung<br />

immer noch besser ist, als selbst zugefügte<br />

Schnitte. Am Ende ist die Selbstverletzung<br />

aber nur das Symptom und nicht die Ursache. Daran ändert<br />

auch das Tattoo nichts. Pauschalisieren lässt sich das trotzdem<br />

nicht. Denn ein Tattoo kann auch dazu beitragen mit einer solchen<br />

Vergangenheit abzuschließen: „Wenn man nicht mehr jeden<br />

Morgen die Narben sehen muss und erinnert wird, was für ein<br />

kaputter Jugendlicher man gewesen ist. Als Tätowierer kannst du<br />

dazu beitragen, dass sich ein Mensch wieder wohler in seinem<br />

Körper fühlt,“ erzählt Dorsch und ergänzt fröhlich: „Eigentlich<br />

bin ich nichts anderes als eine Friseurin.“<br />

„Menschen gehen so unterschiedlich mit den Dingen um. Ich<br />

finde es schade, dass man denjenigen, die irgendwas an sich verändern,<br />

immer gleich unterstellt, etwas zu kompensieren.“ Dorsch<br />

sieht dabei in dem Wunsch, etwas permanent an seinem Aussehen<br />

verändern zu wollen, grundsätzlich nichts Schlechtes.<br />

Viel mehr war sie von dieser Macht, seinen Körper nach den<br />

eigenen Vorstellungen verändern zu können, schon immer fasziniert.<br />

„Ich finde, man kann das ja auch voll nutzen. Bei manchen<br />

geht das vielleicht extremere Wege und aus mancher Sicht bin ich<br />

eben diesen extremen Weg schon gegangen.“ Das aber keineswegs<br />

willkürlich: „Ich finde die Kriegerthematik spannend. Das<br />

kann man jetzt kitschig finden. Ist es auch ein bisschen, aber ich<br />

mag Kitsch.“ Wobei man sich Dorsch schwer mit einer Sammlung<br />

Hummel-Figuren vorstellen kann.<br />

Als erste Inspiration für die Skarification dienten daher die<br />

typischen Ziernarben weiblicher Kriegerinnen im Amazonas.<br />

Wie das Tattoo hat auch Skarification ihren Ursprung in den<br />

Traditionen verschiedener Kulturen und Initiationsriten. Im<br />

Bodymod-Bereich nennen sich diejenigen, die sich in erster<br />

Linie mit Modifikationen traditionellen Ursprungs <strong>–</strong> Blackwork,<br />

Narben, Branding, gedehnte Ohrläppchen oder Unterlippen<br />

<strong>–</strong> beschäftigen, „Modernprimitives“. Dorsch fühlt sich<br />

diesem Teil der Bodymod-Welt am ehesten zugehörig und hat<br />

im Vorfeld ausgiebig zu rituellen Narben verschiedener Stämme<br />

recherchiert: „Ich hab mir Bücher ausgeliehen, um die ver-


51<br />

schiedenen Bedeutungen zu verstehen <strong>–</strong> vor allem bei Frauen.“<br />

Und tatsächlich ist es bei vielen Völkern gerade für Frauen typisch,<br />

Ziernarben im Gesicht und auf dem Schädel zu tragen;<br />

an sichtbaren Stellen, damit ihre Bedeutung erkennbar ist. Für<br />

diese Völker sind die Narben Statussymbole, wie ein teures Auto<br />

oder ein goldener Ring am Finger <strong>–</strong> nicht umsonst werden sie<br />

auch als Schmuck-, Kunst- oder Ziernarben bezeichnet. Auch<br />

Dorsch betrachtet sie als Schmuck, genauso wie die Piercings<br />

in ihrem Gesicht. „Natürlich wurden sie mir aber nicht mit<br />

einem angespitzten Stein auf Sandboden in die Haut geritzt.<br />

Sondern unter modernen, hochsterilen Umständen.“ Trommeln<br />

und Gesänge gab es übrigens auch nicht.<br />

Für ihre Gesichtsnarben entschied sich Dorsch schließlich<br />

für ein Muster, das zu ihrem gesamten Körperkonzept <strong>–</strong> ihrem<br />

Bodysuit <strong>–</strong> passt. <strong>Die</strong> Narben trug sie zuerst ein paar Tage als<br />

Filzstiftlinien im Gesicht, um ein Gefühl für sie zu bekommen.<br />

Denn durch die Anordnung der Linien veränderte sich auch<br />

ihr Gesichtsausdruck, so treten beispielsweise ihre Wangenknochen<br />

nun mehr hervor. Außerdem setzen die Narben das<br />

Muster ihrer Tätowierungen fort. <strong>Die</strong>se folgen einer speziellen<br />

Ästhetik, einer Weiterentwicklung des Blackworks: Ein schlichter<br />

Stil mit großen, schwarzen Flächen und einfachen Mustern,<br />

der den Körper und dessen Formen betont. „Das Schöne an<br />

diesem Stil ist, dass es nicht allein um das Motiv geht, sondern<br />

um den Körper, in den es gestochen wird. Das Tattoo arbeitet<br />

mit dem Körper.“ <strong>Die</strong>se sehr persönliche Herangehensweise<br />

schätzt Dorsch besonders, da es nicht mehr um den Künstler,<br />

sondern um die Person geht, die vor dem Tätowierer steht. Um<br />

den ganzen Prozess von der Entwicklung der Idee, über das<br />

freihändige Aufzeichnen direkt auf die Haut bis zum tatsächlichen<br />

Eindringen der Nadel. „Ich mag es besonders, wenn ich<br />

zum Beispiel zierlichen Frauen etwas Primitives, Grobes und<br />

Starkes tätowieren darf. Wenn Sie sich diesen Schritt trauen.<br />

Das sind immer die spannendsten Projekte.“ <strong>Die</strong>ser Kontrast ist<br />

es auch, den sie an sich selbst mag. Den Kontrast ihrer schmalen,<br />

relativ kleinen Statur zu den archaischen, großflächigen Tattoos.<br />

Das Besinnen auf die Anfänge der Körpermodifikation, auf<br />

das Ursprüngliche, geht bei Dorsch mit einem Auseinandersetzen<br />

mit dem eigenen Körper einher. „Es ist so ein schönes<br />

Gefühl, die Möglichkeit zu haben, seinen Körper zu verändern,<br />

etwas nur für sich machen zu können.“ Manchmal sind es schon<br />

Kleinigkeiten, die einem ein neues Lebensgefühl geben. Wie<br />

an heißen Tagen im Büro mit nackten Füßen über den kühlen<br />

Boden zum Kopierer zu gehen. Es hat etwas Befreiendes. Als<br />

Dorsch vor drei Jahren im Urlaub ihre Flipflops verlor, erging<br />

es ihr ähnlich. Da merkte sie, dass es ohne Schuhe viel schöner<br />

ist. Aus der Not wurde ein Selbstläufer und die Schuhe stehen<br />

nun meistens im Schrank. „Ich werde oft gefragt, ob es mir im<br />

Winter barfuß nicht zu kalt ist. Wie stellen sich die Leute denn<br />

meine Person vor? Dass ich mir verboten habe, jemals wieder<br />

Schuhe anzuziehen? Das ist so neurotisch“, erzählt sie und lacht.<br />

„Ich finde es spannend, dass Menschen einfach nicht verstehen<br />

können, wenn jemand nicht danach strebt, nach gängigem<br />

Verständnis schön sein zu wollen.“ Sich sogar nach diesem<br />


DIE MACHT ÜBER<br />

DEN EIGENEN TEMPEL<br />

52<br />

Verständnis bewusst entstellt. Das hat für sie den Ursprung in<br />

etwas, das sie als die „Ästhetik des Hässlichen“ bezeichnet. „Ich<br />

bin super fasziniert davon, wie Menschen zum Beispiel mit Deformationen<br />

umgehen. Man versucht sie immer anders wahrzunehmen,<br />

aber man ertappt sich selbst dabei, dass das nicht<br />

wirklich geht. Und jetzt stell dir vor, du hast das selber an dir<br />

und musst jetzt damit klar kommen.“ Weicht jemand äußerlich<br />

stark von der Norm ab, ist das für sie darum ein Anzeichen für<br />

einen starken, standfesten Charakter. Mit dem bewussten Arbeiten<br />

gegen gebräuchliche Schönheitsideale, wie das der makellosen<br />

Haut, möchte sie zugleich ein wenig die Schablone der<br />

Gesellschaft aufbrechen. Dass das auch provoziert, liegt in der<br />

Natur der Sache, ist aber<br />

nicht ihr Antrieb. „Das<br />

kann man mir jetzt glauben<br />

oder nicht, aber ich<br />

falle nicht gerne auf“, sagt<br />

sie und setzt sich etwas<br />

aufrechter, als sie hinzufügt:<br />

„Ja, ich gebe zu, ich<br />

habe selber dafür gesorgt,<br />

oft angeguckt zu werden.<br />

Andererseits wünsche ich<br />

mir aber auch eine Gesellschaft,<br />

in der ich das nicht<br />

mehr werde.“<br />

„Vielleicht ist bei mir<br />

einfach das Bedürfnis,<br />

Kontrolle über meinen<br />

Körper zu haben, extremer<br />

ausgeprägt. Andere<br />

müssen zum Beispiel<br />

immer perfekt gemachte<br />

Nägel haben, das finde ich<br />

dafür hart übertrieben.“<br />

Einen viel fraglicheren Zwang findet sie, dass so viele Frauen<br />

denken, sie müssten geschminkt aus dem Haus gehen. „Das<br />

findet man normal.“ Was ist schon normal und was nicht? „Im<br />

Bodymod-Bereich bin ich Standard. Schwarze Arme, gedehnte<br />

Ohren, Lippenteller <strong>–</strong> absoluter Standard.“ Es ist <strong>–</strong> wie immer <strong>–</strong><br />

eine Frage der Perspektive. Dem ist sich Dorsch sehr bewusst<br />

und froh darüber. „Ich habe das Glück, dass ich mich in sehr vielen<br />

unterschiedlichen Kreisen aufhalten darf. Ich möchte mich<br />

da nicht in einer Bodymod-Szene abschotten.“<br />

Wo fängt Bodymodification überhaupt an? Schönheitschirurgie,<br />

den Körper nach dem eigenen Ideal im Fitnessstudio<br />

zu formen oder durch bestimmte<br />

Ernährung zu beeinflussen<br />

<strong>–</strong> legt man den<br />

Begriff pedantisch auf die<br />

Goldwaage, ist dann nicht<br />

streng genommen schon<br />

das Rasieren, sei es Bart<br />

oder Beine, eine Modifikation<br />

des Körpers? „Das ist<br />

für mich die gleiche Ebene.<br />

Nur, dass die Eingriffe bei<br />

mir intensiver sind und länger<br />

bleiben.“ <strong>Die</strong>ses „länger<br />

bleiben“ führt dabei häufig<br />

zu der Frage, was denn ist,<br />

wenn sie das mal irgendwann<br />

bereut: „Das kann<br />

man doch immer fragen.<br />

Ich bereue zum Beispiel<br />

viel mehr, nicht früher mit<br />

Skateboarden angefangen<br />

zu haben und dass ich jetzt<br />

nie wirklich gut darin sein<br />

werde. <strong>Die</strong>ses Argument<br />

HINTERGRUND<br />

Dorsch kam ursprünglich zum<br />

Studieren nach Konstanz. Philosophie.<br />

Und lebte davor und<br />

zwischendurch in der deutschen<br />

Hauptstadt. Mittlerweile arbeitet<br />

Sie in einem Bodymod-Studio. Das war allerdings nicht so geplant. Aber<br />

eine Faszination für Nadeln und alles, was so ein bisschen morbid ist, hatte<br />

sie schon immer. Dazu zeichnet Dorsch sehr gern und ist grundsätzlich daran<br />

interessiert, Handwerk zu lernen. Und alles am liebsten selbst zu machen. Deswegen<br />

haben sie das Studio und dessen Mentalität gleich angesprochen: Hier<br />

bauen zum Beispiel alle ihre Maschinen selbst. „Das hatte sowas Herzliches<br />

und hat mich gepackt.“ So machte sie ihr Hobby neben dem Studium zum Beruf.<br />

Seitdem hat sie auch der See nicht mehr losgelassen. Sie hat viele Freunde in<br />

Konstanz-Kreuzlingen „Es ist eine<br />

unglaublich schöne <strong>Stadt</strong>. Der<br />

Bodensee mit den einzelnen<br />

Städten drum herum fühlt sich an<br />

wie Berlin mit seinen einzelnen<br />

Kiezen.“ So betrachtet, kann die Gegend hier also ganz schön spannend sein.<br />

Konstanz und Kreuzlingen sind dabei viel aufgeschlossener als man denkt.<br />

„Wenn man ein offener Mensch ist und selber Bock hat anzupacken, ist hier<br />

alles möglich, was man in Berlin auch machen kann.“ Konstanz und Kreuzlingen<br />

sorgen dafür, dass man mit dem, was man macht noch eine Plattform<br />

bekommt. Neue Konzepte und Kunstformen, unkonventionelle Theaterstücke<br />

und Projekte finden hier immer Publikum <strong>–</strong> man kann sich ausprobieren, Neues<br />

schaffen, die Menschen hier bewegen.


Follow us<br />

KÖRPER. TEMPEL. MACHT.<br />

‚Aber das hast du doch dann für immer‘ finde ich so blöd.<br />

Seinen Körper hat man doch auch für immer und trotzdem<br />

rauchen viele und trinken Alkohol. Das ist mit zwei<br />

Monaten Clean Eating auch nicht kompensiert.“<br />

Es ist ein Thema, das jeden bewegt. Allein dadurch, dass<br />

jeder einen Körper besitzt. „Ich sehe sehr gerne so aus<br />

und würde es immer wieder tun. Das gilt für die Narben<br />

und jedes einzelne Piercing.“ Dorsch kann trotzdem verstehen,<br />

dass nicht jeder einen Zugang dazu findet. Es ist<br />

schwer, durch Worte zu vermitteln, wie es ist, so auszusehen.<br />

„Selbst wenn ich dir die Arme schwarz tätowieren<br />

würde, wäre es für dich anders.“ Für den einen kann schon<br />

das winzig kleine Tattoo auf dem Oberarm ein aufregendes<br />

Erlebnis sein. Allein dadurch, dass jede Modifikation<br />

<strong>–</strong> ist sie noch so klein <strong>–</strong> mit Schmerz verbunden ist. Das<br />

macht etwas mit einem, auch wenn man es manchmal<br />

auch gar nicht gleich fassen kann. „Es geht um die Emotion,<br />

um das Gefühl, das es auslöst und nicht um einen logischen<br />

Grund.“ Wie verdammt stolz zu sein, sich getraut zu<br />

haben, über sich hinausgegangen zu sein. Es ist eine Erfahrung,<br />

und Erfahrungen haben Menschen schon immer<br />

verändert. Vielleicht fühlt man sich vollständiger als zuvor.<br />

Oder von gesellschaftlichen Dogmen befreit. Wie der Büroangestellte,<br />

der unter seiner Anzughose mit Bügelfalten<br />

vom Knöchel bis zur Hüfte tätowiert ist. „Ich finde, wenn<br />

das geht, wenn man soviel Macht nur dadurch hat, dass<br />

man eine Nadel in den Körper sticht <strong>–</strong> go for it! Dann muss<br />

man das doch machen.“<br />

Am Ende wird nicht jeder eine befriedigende Antwort<br />

auf das Warum gefunden haben. Aber nur deswegen sollte<br />

man nicht aufhören zuzuhören. Denn Narben erzählen<br />

Geschichten.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

26/10/17 18:04<br />

Vielen Dank an das Neuwerk<br />

eG Konstanz, die die Räume für<br />

das Fotoshooting zur Verfügung<br />

gestellt hat. → www.neuwerk.org<br />

Egal in welcher Form, Narben sind<br />

immer etwas zutiefst Persönliches;<br />

genauso wie die Gründe an seinem<br />

Körper etwas verändern zu wollen <strong>–</strong><br />

gleichzeitig hat dazu jeder eine Meinung<br />

einfach dadurch, dass jeder<br />

einen Körper besitzt. Mich haben die<br />

Gespräche, die aus der Idee zu<br />

diesem Text entstanden, am meisten<br />

bewegt.<br />

NICHT WENIGER ALS<br />

DIE PERFEKTE JEANS<br />

<strong>Die</strong> bunte Welt des Denim mit angesagten Marken.<br />

Absolut vielseitig. Für Sie und Ihn. Dazu ein lässig-moderner<br />

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Theaterkabarett Sa. 29. September 2018 20 Uhr<br />

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Musikkabarett Fr. 5. und Sa. 6. Oktober 2018 20 Uhr<br />

Tribute to Heinz de Specht* Abschiedstour<br />

Musikkabarett Fr. 26. Oktober 2018 20 Uhr<br />

Duo MeierMoser & der Huber «Don Quixote»<br />

Konzert Sa. 3. November 2018 20 Uhr<br />

Musique Simili «Le Vent d’Est <strong>–</strong> Wohin der Wind dich trägt...»<br />

Kindertheater ab 6 Jahren Mi. 21. November 2018 15 Uhr<br />

Theater Gustavs Schwestern*<br />

«Fritz Franz & Ferdinand <strong>–</strong> Ein Hühnermärchen»<br />

Musikkabarett Sa. 1. Dezember 2018 20 Uhr<br />

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PERSPEKTIVE<br />

54<br />

Sonntagnachmittag ist wohl<br />

einer der besten Momente,<br />

die schönen Seiten des Bodensees<br />

zu genießen. Tom seinerseits<br />

stand auf einer Brücke<br />

über dem Seerhein und genoss<br />

die Aussicht auf die Genießer.


55<br />

PERSPEKTIVE<br />

FOTO — Tom Hegen


SCHALOM<br />

56<br />

→<br />

JUDEN IN KONSTA NZ<br />

Im Judentum<br />

wird aktuell<br />

das Jahr 5779<br />

geschrieben.<br />

um 1330 ca. 300 <strong>–</strong> 400 Juden ⁑ 1435 12 jüdische Familien 1862 ⁑ „Gesetz der bürgerlichen<br />

Gleichstellung aller Israeliten“ (dieses Gesetz war der entscheidende Schritt in der<br />

bürgerlichen Emanzipation der Juden in Baden und so auch in Konstanz) 1900 565<br />

Juden <strong>–</strong> 2,5% der Bevölkerung ⁑ 1938 Reichspogromnacht bzw. Reichskristallnacht<br />

⁑ 1940 Sept. 120 Juden / Nov. 15 Juden ⁑ 1964 Neugründung der<br />

jüdischen Gemeinde in Konstanz 1990 ca. 70 Mitglieder (JSG<br />

Konstanz) ⁑ 2018 rund 300 Mitglieder<br />

(JSG Konstanz) 1


57 SCHALOM<br />

EIN JÜDISCHES PORTRAIT<br />

ROSCH HA-SCHANA<br />

Schalom.<br />

Jüdischer Neujahrstag.<br />

Wird am 1. Tischri gefeiert.<br />

TEXT — Anton Ehling<br />

ILLUSTRATION — Isabell Schmidt-Borzel<br />

Quelle: 1) Jüdische Gemeinden → www.tinyurl.com/y6wkp68a<br />

Am Vorabend des 9. November stand sie noch da, wie an jedem<br />

einzelnen Tag in den vorangegangenen 55 Jahren. Unaufgeregt<br />

und zurückgenommen, dem Altstadttreiben zur Seite<br />

gestellt. Neoromanische Zitate hier, Stilelemente der Renaissance<br />

dort. Unverkennbar ein Kind des Historismus, ein<br />

architektonisches Kleinod, ein Symbol ihrer Zeit. Imposant<br />

und durch ihre von der Straße rückversetzte Lage auch etwas<br />

majestätisch muss sie gewirkt haben, die Synagoge in der<br />

Konstanzer Altstadt. Ein steingewordener Ausdruck jüdischen<br />

Selbstverständnisses. 1883 eingeweiht und für über ein halbes<br />

Jahrhundert Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens in Konstanz,<br />

war sie zwar nicht das erste jüdische Gotteshaus in der<br />

<strong>Stadt</strong>, aber mitunter das Beeindruckendste.<br />

Doch an jenem 9. November im Jahr 1938 fand die über Jahrhunderte<br />

angestrebte bürgerliche Emanzipation der Juden in<br />

Deutschland, und so auch in Konstanz, ein jähes Ende. Was<br />

später als Reichspogrom- bzw. Reichskristallnacht Einzug<br />

ins kollektive Gedächtnis und Geschichtsbewusstsein einer<br />

ganzen Nation hielt, äußerte sich damals als brennendes<br />

Fanal einer Horde von am Leibe Uniformierter und im Geiste<br />

Deformierter. Der Anfang vom Ende der jüdischen Kultur in<br />

Deutschland?<br />

Unverhoffter Neuanfang<br />

Angesichts der Gräueltaten im Dritten Reich schien Jüdisches<br />

Leben auf lange Sicht nicht vorstellbar in Deutschland.<br />

Dass sich Überlebende des Holocaust oder deren Nachkommen<br />

nochmals für ein Leben im Land der Täter entscheiden<br />

könnten, war schier abwegig. Und doch kam es so. An vielen<br />

Orten in der jungen Bundesrepublik entstanden neue jüdische<br />

Kultus- bzw. Synagogengemeinden. So auch in Konstanz. Zu<br />

verdanken ist dies maßgeblich dem Engagement von Sigmund<br />

Schimon Nissenbaum, Holocaust-Überlebender aus Warschau,<br />

der sich nach seiner Internierung in süddeutschen<br />

KZ-Außenlagern befreien und nach Konstanz durchschlagen<br />

konnte. Auf seine Initiative hin wurde 1964 die jüdische<br />

Gemeinde als Israelitische Kultusgemeinde Konstanz neugegründet.<br />

Seit mehr als fünf Jahrzehnten bietet sie nun schon<br />

Jüdinnen und Juden ein kulturelles Zuhause. Ob orthodox<br />

oder progressiv-liberal, die Konstanzer Synagogengemeinde<br />

ist wie viele andere in Deutschland eine Einheitsgemeinde,<br />

die all die unterschiedlichen Glaubensauslegungen vereint. Wie<br />

erfolgreich die Gemeindearbeit in den letzten Jahren war,<br />

verdeutlicht die Zahl ihrer Mitglieder. Rund 300 jüdische Mitglieder<br />

zählt sie heute. Weit entfernt von der Größe aus der<br />

Blütezeit des Judentums in Konstanz zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

ist dies nicht mehr, als die Gemeinde für knapp 600<br />

Mitglieder den kulturellen wie rituellen Lebensmittelpunkt<br />

darstellte. Doch was hat zu dieser Erfolgsgeschichte geführt,<br />

und wie lässt es sich als Jude in Konstanz heute leben? →


SCHALOM<br />

58<br />

Zuzug aus dem Osten<br />

Einen großen Anteil an dem Anwachsen und Aufblühen der<br />

Gemeinde hatten die jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen<br />

Sowjetunion in den späten 1980er und 90er Jahren.<br />

Jedoch nicht ausschließlich, denn es gab und gibt nach wie<br />

vor auch alteingesessene Juden, deren Vorfahren seit jeher in<br />

Konstanz gelebt haben oder sich nach der Schoa erneut in<br />

Konstanz niederließen. <strong>Die</strong>se sehr besondere Zusammensetzung<br />

bestimmt das Bild der heutigen Gemeinde. Einer der<br />

davon viel erzählen kann und durch seinen familiären Hintergrund<br />

diese Entstehungsgeschichte selbst verkörpert, ist<br />

Arthur Bondarev. Als Kind jüdischer Einwanderer aus Kiew,<br />

der Hauptstadt der heutigen Ukraine, stellt er bereits die<br />

zweite Generation der jüdischen Migration aus dem Osten<br />

dar. Er ist stellvertretender Vorstand der Synagogengemeinde<br />

in Konstanz und vertritt diese nach Außen, bei festlichen<br />

Anlässen oder öffentlichen Veranstaltungen. So auch beim<br />

Richtfest am Neubau der Synagoge, wovon er im Anschluss<br />

hinübergeeilt ist in die Schottenstraße, in sein zweites Zuhause,<br />

in das er mich an diesem Tag eingeladen hat. Zu einem<br />

Pfefferminztee und ganz viel jüdischer Kultur.<br />

INFO<br />

<strong>Die</strong> Neue Synagoge in der Sigismundstraße<br />

8 soll im Frühjahr 2019 eröffnet<br />

werden. Weitere Infos dazu gibt es unter<br />

→ www.jsg-konstanz.de.<br />

PESSACH<br />

Gehört zu den wichtigsten Festen des<br />

Judentums. Es gedenkt des<br />

Auszugs aus Ägypten, also die Befreiung<br />

der Israeliten aus der Sklaverei.<br />

<strong>Die</strong> Synagoge im Wartezimmer<br />

Zwischen Fahrradladen und Dönerbude wirken die Räumlichkeiten<br />

der Gemeinde etwas fehl am Platz. Auf der Fahrradstraße<br />

davor radeln täglich hunderte Passanten vorbei, ohne<br />

wahrscheinlich je Kenntnis von der hier anwesenden Synagogengemeinde<br />

genommen zu haben, denn nichts deutet von<br />

außen darauf hin. Im Inneren erwarten einen schlichte und<br />

scheinbar profane Räumlichkeiten, die mehr an eine Arztpraxis<br />

erinnern als an den zentralen Ort der jüdischen Religionsgemeinschaft,<br />

mit der Synagoge im Wartezimmer. Doch bei<br />

genauerem Blick fallen die Wandkalender mit israelischen<br />

Fotomotiven oder der Glasschrank mit jüdischen Devotionalien<br />

wie Kippa oder Tefillin, den Gebetsriemen, auf. Jüdischer<br />

Pragmatismus schlägt den Mangel an passendem Raum. Verwundert<br />

ist man doch ein wenig, wie hier ein Gotteshaus<br />

untergebracht sein soll. Arthur erklärt aber, dass es weniger<br />

das Gebäude an sich ist, welches eine Synagoge definiert,<br />

sondern vielmehr eine Gruppe „von zehn jüdischen Männern,<br />

die sich an einem Ort versammeln und Gebete aus der Tora<br />

verlesen“. Dass dies an nahezu jedem beliebigen Ort möglich<br />

ist, klingt einleuchtend. Mit einem Toraschrein <strong>–</strong> selbstverständlich<br />

gen Jerusalem gerichtet <strong>–</strong> samt den zugehörigen Tora-<br />

Rollen, den Gebetsbereichen für Frauen und Männer und<br />

einem durch einen Vorhang abgetrennten Nebenraum mit<br />

ausreichend Tischen und Stühlen für das Kiddusch, das gemeinschaftliche<br />

Beisammensein nach dem Gebet, bieten die<br />

Räume alles, was die jüdische Gemeinde benötigt, um ihren<br />

Glauben und ihre Kultur zu praktizieren.<br />

Am Schabbat ist das<br />

Schreiben verboten<br />

So sieht das auch Arthur, der hier nahezu alles vorfindet, was<br />

für ihn und seinen orthodoxen Glaubensritus wichtig ist.<br />

Arthur ist in seinen Zwanzigern, in Düsseldorf aufgewachsen<br />

und zum Studium nach Konstanz gezogen. Hier studiert<br />

er Volkswirtschaftslehre an der Universität und wenn er davon<br />

erzählt, wird einem sofort klar, was es heißt ein jüdischorthodoxes<br />

Leben in einer mehrheitlich nicht-jüdischen<br />

Gesellschaft zu leben. „Es gibt sehr viele Klausuren, die sind<br />

bei uns in den Wirtschaftswissenschaften an einem Samstag,<br />

die kann ich nicht schreiben, weil sie am Schabbat sind. Und<br />

am Schabbat ist das Schreiben verboten.“ Findet eine Klausur<br />

in einem Semester nur samstags statt, muss er durchaus auch<br />

mal ein Jahr warten, um die Prüfung nachzuholen. Regelstudienzeit<br />

scheint da kaum machbar. <strong>Die</strong> Uni Konstanz und<br />

ihre Professoren zeigen jedoch auch Verständnis für seine<br />

religiösen Prinzipien, so verwundert manche auch reagieren,<br />

wenn er eine Klausur am Schabbat verweigert. Da liegt die<br />

Vermutung nahe, dass das alltägliche Leben in Konstanz noch<br />

weitaus gravierendere Einschränkungen bereithält, doch<br />

auch hier leitet ihn eine pragmatische Sicht der Dinge. „Natürlich<br />

kann man das immer von zwei Seiten betrachten. Einer<br />

negativen und einer positiven. Negativ gesehen gibt es Einschränkungen.<br />

Wenn ich aber ein Gebot habe, dass ich einhalten<br />

muss, sehe ich das als positive Herausforderung.“ Ob Einhaltung<br />

des Schabbat oder koscheres Leben, alles ist möglich,<br />

wenn auch nicht immer einfach. Für koschere Lebensmittel


59<br />

JOM K IPPUR<br />

Am 10. Tischri wird das<br />

Versöhnungsfest, der höchste<br />

jüdische Feiertag, gefeiert.<br />

muss man da schon mal nach Zürich fahren oder gleich im Ausland<br />

bestellen. Apropos grenzenlos. Über Jahrzehnte pflegte<br />

die Kreuzlinger und die Konstanzer Gemeinde einen regen Austausch.<br />

<strong>Die</strong>s ging so weit, dass sich vor allem von den 60er bis<br />

in die 80er Jahre hinein beide Gemeinden mit dem Gottesdienst<br />

abwechselten und darüber hinaus gemeinsame Veranstaltungen<br />

organisierten, bis die Kreuzlinger Gemeinde im Jahr<br />

2009 aufgelöst wurde, da sie zuletzt einfach zu wenige Mitglieder<br />

hatte. Mit der jüdischen Community in Zürich, eine der<br />

größten Europas, besteht hingegen wenig Kontakt. Da spielt<br />

schon eher Freiburg eine gewichtigere Rolle als Partnergemeinde<br />

innerhalb der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden<br />

(IRG Baden). Doch zurück zu dem, was es heißt, als Jude in<br />

Konstanz zu leben und seinen Glauben zu praktizieren. Für<br />

Arthur ist dieser so wichtig, dass er ihn als den Mittelpunkt<br />

seines Lebens ansieht, im Gegensatz zu Studium oder Beruf,<br />

die für ihn Mittel zum Leben sind. „Wenn ich davon überzeugt<br />

bin, dass die Tora und Gott alles erschaffen haben, dann<br />

bin ich eigentlich auf dieser Welt als Besucher und meine<br />

Aufgabe ist es, Gott zu dienen“, erklärt Arthur die Bedeutung<br />

des Glaubens für ihn. Für jemanden, der auf Religion und<br />

Glauben nicht viel gibt, mag dies befremdlich klingen. Wenn<br />

man Arthur aber so zuhört, entsteht das Bild eines Plans<br />

im Kopf, eines Lebensplans, der einen in gewisser Weise einschränken<br />

mag, jedoch auch Halt und Orientierung im Leben<br />

gibt. Als Jude in Konstanz <strong>–</strong> das passt. Doch Arthur war<br />

nicht immer so religiös wie heute. Aus seinem Elternhaus hat<br />

er keine jüdisch-religiöse Erziehung erfahren. Auch er musste<br />

dies alles erst einmal erlernen und erfahren, was es heißt strikt,<br />

→<br />

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Salmannsweilergasse 4 D-78462 Konstanz<br />

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SCHALOM<br />

60<br />

nach den Religionsgesetzen zu leben oder sich offen als Jude<br />

zu erkennen geben. Früher hatte er da mehr Vorbehalte, sich<br />

mit Kippa in der Öffentlichkeit zu zeigen. Heute ist dies für ihn<br />

selbstverständlich. Doch wie ist das mit den Mitmenschen<br />

um ihn herum? Wie reagieren Fremde, die ihm begegnen? Er<br />

hat hierzu einen ganz simplen Ratschlag, den im Alltag umzusetzen<br />

aber alles andere als einfach sein dürfte. „Je normaler<br />

das für einen ist, desto normaler ist das für das Umfeld, weil<br />

je mehr ich merke, dass wenn ich auf der Straße gehe und ich<br />

mich unwohl fühle, weil ich eine Kippa trage, desto mehr fühlt<br />

sich auch mein Umfeld unwohl.“ Er hat anscheinend einen<br />

stark ausgeprägten Fühler für das Verhalten der Menschen in<br />

seiner Umgebung. Beeinflussen lassen will er sich davon aber<br />

ohnehin nicht, ganz nach seinem Kriterium „ich möchte so frei<br />

leben, wie ich das selber bestimmen darf“. Besonders in<br />

Konstanz sieht er dabei keine Probleme. Er schätzt die <strong>Stadt</strong> als<br />

offenen und toleranten Ort. „Ich habe eigentlich immer die<br />

Erfahrung gemacht, zumindest in Konstanz, dass die Leute<br />

offen sind, auch wenn manche zunächst verunsichert sind, weil<br />

sie noch nie einen Juden getroffen haben. Aber nach den ersten<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Anton Ehling hat nach dem Besuch<br />

in der Synagogengemeinde eine<br />

Kippa geschenkt bekommen sowie<br />

eine Einladung, einmal den Schabbat<br />

in der Gemeinde mitzuerleben.<br />

LUNISOLAR-<br />

KALENDER<br />

<strong>–</strong><br />

DER JÜDISCHE<br />

KALENDER<br />

Der jüdische Kalender rechnet mit<br />

12 Mondmonaten à 29 bis 30 Tage/Monat.<br />

<strong>Die</strong> Tage haben keine feste Länge, sie<br />

gehen von Abend zu Abend.<br />

Anders als bei der Jahresrechnung des<br />

gregorianischen Kalenders (365 Tage)<br />

zählt das jüdische Jahr 354 Tage.<br />

Es beginnt im Herbst mit dem Tischri,<br />

der nach jüdischer Auffassung<br />

der Monat ist, in dem die Menschheit<br />

erschaffen wurde.<br />

SCHABBAT<br />

An jedem 7. Wochentag,<br />

jeweils von<br />

Freitagabend bis<br />

Samstagabend,<br />

ist Ruhetag.<br />

paar Worten hat sich das immer aufgelockert.“ Jedoch hat er<br />

auch schon leidvolle Erfahrung mit Antisemitismus machen<br />

müssen. „<strong>Die</strong>se Zeiten gab es auch, vor allem auch, als ich keine<br />

Kippa trug. <strong>Die</strong>se Leute wussten, dass ich Jude bin. Von dem<br />

her spielt es für mich auch keine Rolle, ob ich eine trage oder<br />

nicht.“ Im gleichen Atemzug ist es Athur aber wichtig zu<br />

erwähnen, dass es Einzelfälle waren. Wenn so etwas doch<br />

einmal vorkommt, wehrt er sich mit allen rechtlichen Mittel,<br />

die ihm zur Verfügung stehen. Mit Nachdruck in seiner<br />

Stimme schildert er einen Fall, bei dem er einen Unbekannten<br />

angezeigt hat, weil dieser einen antisemitischen Kommentar<br />

auf dem YouTube-Kanal der Gemeinde gepostet hatte. Doch<br />

nicht alle Gemeindemitglieder haben den Mut, sich mit<br />

dieser Vehemenz gegen Diskriminierungen zu wehren. Vor allem<br />

aus der ehemaligen Sowjetunion zugezogene Jüdinnen und<br />

Juden scheuen oftmals vor Behördengängen zurück, weil sie<br />

Angst haben, nicht verstanden zu werden, da einige noch<br />

nicht so gut deutsch sprechen, schildert Arthur die Vorbehalte<br />

mancher Gemeindemitglieder. In der Zusammenarbeit mit<br />

der Polizei hat er aber weitestgehend positive Erfahrungen<br />

gemacht. „Meine Meinung ist, und dies beruht auf den mir


61<br />

Mit uns kannst du nemmsen:<br />

CHANUKKA<br />

Acht Tage dauerndes,<br />

jährlich gefeiertes Fest.<br />

widerfahrenen Fällen, dass ich immer Unterstützung bekommen<br />

habe, vor allem hier in Konstanz haben wir ein sehr gutes<br />

Verhältnis zur Polizei.“ Auch dank dieser staatlichen Unterstützung<br />

fühlt er sich sicher in Deutschland. Er weiß jedoch<br />

auch von jüdischen Gemeindemitgliedern, um deren Sicherheitsgefühl<br />

es ganz anders bestellt ist. Viele fühlen sich<br />

aufgrund der rechtspopulistischen und nationalistischen<br />

Strömungen in Deutschland und Europa zunehmend unsicher<br />

und spielen mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern.<br />

Für Arthur kommt das derzeit aber nicht in Frage. Er fühlt sich<br />

wohl und sicher in der <strong>Stadt</strong>.<br />

Zudem freut er sich über eine baldige Rückkehrerin, eine imposante<br />

Erscheinung, an einem Ort, nur wenige Meter von<br />

ihrem alten Zuhause entfernt, erbaut für 55 Jahre und mehr.<br />

<strong>Die</strong> Neue Synagoge in der Sigismundstraße wird ein kühner,<br />

moderner Neubau, der den Blick in eine freudvolle Zukunft<br />

richtet und Jüdinnen, Juden und alle anderen unter einem<br />

Dach versammeln soll. Ein Haus. Eine Gemeinde. Eine Geschichte.<br />

Nun erzählt.<br />

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KELLE ROYAL MIT GORBATSCHOW<br />

62<br />

Kelle<br />

Royal<br />

mit<br />

DIE STADT DURCH ZWEI AUGEN UND VIER PFOTEN<br />

Gorbatschow<br />


63<br />

KELLE ROYAL MIT GORBATSCHOW<br />

Wenn die Menschen ihr<br />

letztes Bier getrunken<br />

haben, wird es ruhig am<br />

Seerhein. Doch nur für<br />

einen kurzen Moment.<br />

Dann schmatzt der Biber,<br />

Ratten wuseln hin und<br />

her und ein Reiher denkt<br />

laut.<br />

TEXT — Katharina Brenner<br />

GRAFIK — Annabelle Höpfer<br />

Der Bass wummert. Das Neuwerk strahlt sein Schwimmflügel-Orange<br />

in den noch dunklen Sonntagmorgen. Zwischen<br />

den Briefkästen am Eingang beobachtet Martin Luther als<br />

Stencil mit protestantischer Strenge, wer geht: ein Mann,<br />

Mitte 20, sehr schlank. In Jeans, weißem Shirt und Sneakern.<br />

Sein kinnlanges Haar umständlich zum Dutt bindend stolpert<br />

er über die Straße, betrunken, betört. Ein Taxi fährt zu schnell<br />

und gerade noch an ihm vorbei. Der Mann geht nach links. Ich<br />

gehe nach rechts <strong>–</strong> zwischen Scherben vorbei am Kies des Park<br />

and Ride. Alle Autos sind längst weg; zurück blieb allein ein<br />

verbeulter Toyota.<br />

Von hinten kommt ein Fahrrad angerattert. Kräftig muss die<br />

Lenkerin in die Pedale treten, um voranzukommen. Auf dem<br />

Gepäckträger des Damenrads sitzt ein junger Herr. Schüchtern<br />

umfasst er ihre Hüfte. Ihre dunklen Locken streifen seine<br />

Wangen. Kiss and Ride. Über dem Weg legt sich die Straße<br />

auf Betonpfeilern L.A.-mäßig in eine Kurve. Ein weiteres Taxi<br />

braust vorbei, doch ich gehe zu Fuß nach Hause und über die<br />

Straße zum Seerhein.<br />

Drei Jungs in Hoodies und Caps sitzen auf dem Betonboden<br />

am Ufer, neben ihnen eine Großfamilie aus Bierflaschen und<br />

Kurt Cobain in der Lautsprecherbox. „Ich verstehe mich nicht<br />

gut mit meinem Bruder“, sagt einer der Jungs. Alle drei nehmen<br />

einen Schluck Bier und schauen auf den Fluss. Kurt singt:<br />

„Our little group has always been and always will until the end.“<br />

Ich gehe weiter, und es riecht immer weniger nach Teen<br />

Spirit. Ein besonders früher Vogel pfeift ein kurzes Lied. Dann<br />

ist es ruhig. Keine Lautsprecher mehr. Keine Menschen. Doch<br />

ihre Spuren sind überall. Sie haben ihr Revier markiert. Halb<br />

leere, ganz leere und umgestoßene Wodka-, Wein-, Bier-, Sektund<br />

Martiniflaschen. Zerknüllte Plastikbecher und solche mit<br />

Asche darin. Chipstüten, Mülltüten, Cellophan, die Aluschale<br />

eines Einweggrills. Ein angeknabbertes Stück Pizza Hawaii in<br />

einer aufgeklappten Pappschachtel. Daneben Erbrochenes.<br />

Der Seerhein sieht aus wie ein Getränkeladen nach der<br />

Plünderung. Sitzt etwa einer der <strong>Die</strong>be da drüben im Schilf?<br />

Und isst Pizza? Ein Schmatzen ist deutlich zu hören. Dann<br />


KELLE ROYAL MIT GORBATSCHOW<br />

64<br />

ein Rascheln. Blätter beben. Jemand rüttelt am Strauch, als<br />

wäre er ein Kokosbaum, und wenn man nur fest genug rüttelt,<br />

fällt schon eine Nuss herunter. Da ist er! Ein Biber! Mit seinen<br />

scharfen Zähnen macht er sich über den Stamm her. Nagt, bis<br />

kleine Späne fallen. Doch der braune Hügel aus Fell wirkt etwas<br />

ungelenk, immer wieder rutscht er ab. Der Grund: Der Biber<br />

steht auf einer leeren Flasche Gorbatschow. Ein unwürdiger<br />

Anblick: der König des Seerheins auf Glasmüll. Auf der ganzen<br />

Welt ist nur ein Nager noch größer: das Capybara. Everybody’s<br />

Darling, Freund heißer Quellen, Star des Internets. Endlich hat<br />

der Biber eine Position gefunden. Er nagt. Aber nicht lange.<br />

Ein kleiner Snack am Morgen. Dann wackelt er mit seinem<br />

Körper schwer wie ein Kanu hinab zum Wasser. Gleitet geschmeidig<br />

hinein. Kompakter Kopf voraus, hinten winkt die<br />

Kelle royal zum Abschied.<br />

Wie nervös die Ratten am Ufer wirken im Vergleich zum<br />

majestätischen Biber! Sie wuseln hin und her, über Steine und<br />

Beton, huschen von der einen auf die andere Seite. Zwischendurch<br />

abrupte Stopps: Ist da was? Wär’ das was?<br />

Auf dem Wasser treibt eine Schwanenfamilie. <strong>Die</strong> sechs<br />

Kinder und ihre Eltern haben die Hälse nach hinten gebogen,<br />

ihre Köpfe auf Flaum und Federn abgelegt. Auch er dachte<br />

früher mal, er wäre ein hässliches Entlein. Stattdessen wurde<br />

er ein Fischreiher, schlaksig und zerzaust, ohne Lobby in der Märchen-<br />

und Kinderbuchabteilung. Gedankenverloren steht er im<br />

Wasser vor der Bischofsvilla. In Florida, so erzählte es ihm einmal<br />

ein Fisch, der hier vorbei schwamm, und den er wegen eben dieser<br />

abenteuerlichen Geschichte verschonte, denn der Fisch war auf<br />

dem Weg nach Amerika, vom Alpenrhein den Rhein hinunter,<br />

über den Atlantik, dieser ambitionierte Fisch also hatte ihm von<br />

Florida erzählt. Und von den Fischreihern, die dort leben. Pinke,<br />

glänzende Federn sollen sie haben und Flamingos heißen. Das<br />

klingt so viel schöner als Fischreiher, hatte er sich gedacht. Und<br />

in Florida, hatte der Fisch weiter geblubbert, da sollen besonders


65<br />

KELLE ROYAL MIT GORBATSCHOW<br />

viele Rentner leben. Leise, langsame Rentner, die früh schlafen,<br />

statt dieser jungen Leute mit ihren Cajóns und statt der Erasmus-Studenten,<br />

die meinen, an ihrem letzten Abend noch einmal<br />

von der Fahrradbrücke springen zu müssen. Rentner und<br />

Flamingos <strong>–</strong> wie wunderbar, denkt der Fischreiher und blickt<br />

sehnsuchtsvoll auf den Seerhein. Er träumt sich nach Florida,<br />

summt leise: „Orlando, I love you.“<br />

Drüben, auf der anderen Seite der Fahrradbrücke, schleicht<br />

ein Fuchs um eine Platane. Oder ist es doch eine besonders fette<br />

Katze? Ein Marder rennt unter einem Auto hervor. Ein Igel<br />

trippelt in einen Garten im Paradies. Es wuselt und kriecht<br />

und schwimmt und fliegt. Wir denken gerne in Kategorien<br />

wie Junge und Alte, Arme und Reiche, Touristen und Einheimische,<br />

Akademiker und Handwerker, wenn wir darüber<br />

sprechen, wem diese <strong>Stadt</strong> gehört. Währenddessen lachen sich<br />

die Tiere in ihre Flossen und Krallen: „Wem die <strong>Stadt</strong> gehört?<br />

Nachts gehört sie uns.“<br />

Ich stecke den Schlüssel ins Schloss, drehe ihn zweimal nach<br />

rechts. Das Licht im Aufzug flackert. Hinter dem schmutzigen<br />

Plastik der Neonröhre schwirren schwach drei, vier Fliegen<br />

umher. Ihre schmierigen grün glänzenden Körper werden bald<br />

am Boden liegen bei den anderen Toten.<br />

Draußen ist Schwarz bereits zu Blau geworden. Auch die<br />

Radfahrerin und ihr Mitfahrer dürften längst zuhause sein.<br />

Ich schließe das Schlafzimmerfenster, das auf Kipp steht, weil<br />

draußen jeder Paradiesvogel den anderen berichtet, wie er geschlafen<br />

und was er geträumt hat, welchen Wurm er heute gerne<br />

fressen würde und wie prekär die Lage auf dem Konstanzer<br />

Nistplatzmarkt ist. Für die Vögel mag der Tag beginnen, für<br />

mich beginnt jetzt die Nacht. Rollladen runter. Ab ins Bett. Ich<br />

summe „Orlando, I love you“, und frage mich, warum. Dämmere<br />

über der Suche nach einer Antwort ein.<br />

FWR_Tiere_Ad_4c_105x140.qxp_Layout 1 07.09.18 09:52 Seite 1<br />

FORUM % RORSCHACH<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Wir imitieren Tiere im Wasser und<br />

in der Luft, machen dabei aber<br />

eine deutlich schlechtere Figur als<br />

Fische, Vögel oder Nager, findet<br />

Katharina. Am Seerhein, diesem besonderen<br />

Flussabschnitt, kommen<br />

alle zusammen.<br />

Menagerie<br />

Tierschau aus der Sammlung Würth<br />

Bis 3. Februar 2019 · Eintritt frei<br />

Alle Kunstaktivitäten des Forum Würth<br />

www.forum-wuerth.ch<br />

Rorschach sind Projekte von Würth. []<br />

Robert Longo, Untitled (Tiger Head, No. 7), Detail, 2012, Sammlung Würth, Inv. 16200, © 2018 ProLitteris, Zürich


VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!<br />

66<br />

Vrooom <strong>–</strong><br />

Faster than<br />

Therapy!<br />

→<br />

RUMMELBESUCH OHNE FÜHRERSCHEIN<br />

TEXT — Christine Zureich<br />

FOTOS — Michael Reiner, Anja Mai, Familie Gebauer


67 VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!<br />

Ich bin ein ängstlicher Mensch. Viel rumgekommen,<br />

aber nicht gern unterwegs.<br />

Details? Ich fahre kein Auto. Habe nicht<br />

mal den Führerschein. Meine einzige Erfahrung<br />

am Steuer habe ich auf der Frühjahrsmesse<br />

am Döbele gemacht, Jahrzehnte<br />

her, als Teenie, im Autoscooter der<br />

Konstanzer Schaustellerfamilie Gebauer.<br />

Unfreiwillig war das, auf Druck der Peergroup;<br />

irgendwann war ich einfach eingeknickt,<br />

saß mit glühendem Gesicht und<br />

steifem Nacken in einem dieser kleinen<br />

Autos mit Rundumgummifuß<br />

und hatte Angst. Angst, von<br />

Jungs gerammt zu werden,<br />

Angst, mich doof anzustellen,<br />

Angst <strong>–</strong> die schlimmste von<br />

allen, <strong>–</strong> dass jemand meine<br />

Ängstlichkeit bemerken könnte.<br />

Meine Überlebensstrategie<br />

damals: eiernde Ausweichmanöver,<br />

die Hände ins Lenkrad<br />

gekrallt, dann langsam an den<br />

Rand fahren und mit eingezogenem<br />

Kopf abwarten, bis die<br />

Runde vorüber war. Doch, ich<br />

saß auch noch ein zweites Mal<br />

am Steuer, in einem richtigen<br />

Auto sogar, zur Abizeit muss<br />

das gewesen sein; mein Freund<br />

wollte mir „Fahrstunden“ im<br />

BMW seines Vaters geben, doch<br />

der Wagen bockte auf. In meinem<br />

Kopf spulte der Boxauto-<br />

Film ab; noch wochenlang<br />

mischten sich nachts im Traum<br />

die Bilder.<br />

Ich habe mich auf den Weg gemacht. Ein<br />

Nachmittag mit Heinz Gebauer und seiner<br />

Freundin im Kassenhäuschen ihres Autoscooters<br />

auf dem traditionsreichen Volksfest<br />

in Tuttlingen. Vordergründig ein Interview-Termin<br />

mit dem Geschäftsführer<br />

des Familienbetriebs. Auf meiner privaten,<br />

verdeckten Agenda: Konfrontationstherapie.<br />

Es ist wenig los, als ich das Häuschen<br />

betrete. Ein Sommergewitter hat die Festplatzbesucher<br />

Unterschlupf suchen lassen.<br />

„Nicht schlimm,“ sagt Heinz. „<strong>Die</strong> letzten<br />

Tage war das Wetter super, wir hatten<br />

richtig viel Betrieb, da ist eine Verschnaufpause<br />

auch mal gut.“ Der sportliche Mittvierziger<br />

zeigt mir auf seinem Smartphone<br />

Bilder vom Vorabend. <strong>Die</strong> Fahrbahn,<br />

von der Größe etwa eines mittleren Bolzplatzes,<br />

war rammelvoll. 16.000 Lichter,<br />

die blinken, Zickzacks in allen Farben.<br />

Glückliche Gesichter, nur wenige schauen<br />

verbissen. Oder ängstlich.<br />

Jahrmarkt, Messe, Rummel, Kerwe <strong>–</strong> über<br />

ganz Südwestdeutschland verteilt sind<br />

die Feste, deren Gestaltung und Organisation<br />

in der Hand von Familie Gebauer<br />

liegt. Heinz, seine Schwester Barbara und<br />

Losverkauf, Ende 1960er.<br />

Im Vordergrund Wilhelm Gebauer,<br />

Großvater von Heinz und Barbara.<br />

deren Mann, Ralph Vogt, mieten jeweils<br />

den ganzen Platz an und nehmen dann<br />

verschiedene Schausteller unter Vertrag.<br />

Für jeden Ort ein anderes Line-up. In<br />

Tuttlingen etwa gehört ein Feuerwerk am<br />

Freitagabend fest ins Programm.<br />

Immer dabei, an jedem Ort, in jedem Jahr:<br />

das Kinderkarussell. Und natürlich der familieneigene<br />

Auto-Scooter, Baujahr 1998,<br />

einer der größten und modernsten in<br />

Deutschland. Ein echtes Prunkstück.<br />

Wenn die Gebauers weiterziehen in ein<br />

paar Tagen, wird der Schwertransport allein<br />

für dieses Fahrgeschäft 24 Meter lang<br />

und 60 Tonnen schwer sein.<br />

„Das ideale Rummelwetter“, sagt Heinz,<br />

der mit seinem faltenlosen Gesicht, den<br />

blitzenden Augen zehn Jahre jünger aussieht,<br />

„ist 22 Grad und leicht bewölkt.<br />

Gerade in Konstanz gehen die Leute bei<br />

zu schönem Wetter lieber baden.“ Er lacht.<br />

Heinz kennt die Konstanzer gut, ist ja<br />

selber einer, auch wenn er unterwegs<br />

zuhause ist, neun Monate im Jahr. Konstanz<br />

ist seine Heimat, die Homebase,<br />

wo seine Freunde leben. Heinz grinst.<br />

„Einmal auf dem Döbele, da war ich 15,<br />

16 Jahre alt und saß das erste<br />

Mal im Scooterhäuschen an<br />

der Kasse, da war plötzlich der<br />

ganze Platz voll und mein Vater<br />

sagte: ‚Heute machen wir<br />

ein Riesengeschäft!‘. Nur lag<br />

mein Vater völlig daneben. Das<br />

waren alles Freunde von mir.<br />

Ich hab sie eingeladen, praktisch<br />

die ganze Schule...“ Seine<br />

Schule war das Bildungszentrum,<br />

heute Geschwister Scholl.<br />

Heinz und seine ältere Schwester<br />

Barbara <strong>–</strong> mit ihrem Mann<br />

betreibt sie heute einen Stand<br />

mit gebrannten Mandeln <strong>–</strong> waren<br />

früh selbständig. An den<br />

meisten Wochenenden reisten<br />

sie den Eltern hinterher, auch<br />

wenn sie manchmal lieber zu<br />

Hause geblieben wären wegen<br />

einer Party. Andererseits gab<br />

es unterwegs immer die anderen<br />

Schaustellerkinder und die<br />

Locals.<br />

Vor dem Fenster des Scooterhäuschens<br />

hat sich ein älterer Mann aufgebaut,<br />

70, 75 Jahre alt vielleicht. Er lächelt<br />

schüchtern, ein bisschen verlegen.<br />

„Das ist der Henry* “, sagt Heinz, „der<br />

kommt immer her, spricht aber nie.“ Er<br />

zwinkert dem Mann in der grauen Jacke<br />

zu. „Gell, wir kennen uns schon lange,<br />

Henry!“ ruft er. Henry nickt. „Wie lange<br />

schon, Henry?“ Henry zeigt mit beiden<br />

Händen an, wie klein Heinz beim ersten<br />

Treffen gewesen sein muss. Ein Baby. <strong>Die</strong><br />

Augen der beiden Männer treffen sich,<br />

ihre Gesichter leuchten auf.<br />

Er sei, sagt Heinz, immer froh, wenn sie<br />

nach einem Jahr wieder an einen Ort<br />


VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!<br />

68<br />

kämen und die vertrauten Gesichter sähen.<br />

Freundschaft. Kontakt. Das sind auch<br />

Werte, die für Heinz’ Freundin zählen.<br />

Man sieht es ihr an. Während ich Heinz<br />

interviewe, macht sie die Ansagen übers<br />

Mikro, gibt Chips aus. Dabei schenkt sie<br />

jedem das gleiche offene, ansteckende<br />

Lächeln, das auch immer wieder über<br />

Heinz’ Gesicht flackert. Man spürt es<br />

schnell, wenn man auf Menschen trifft,<br />

die Menschen lieben.<br />

Tuttlingen ist nicht die einzige <strong>Stadt</strong> mit<br />

einem festen Platz in der Jahresplanung<br />

der Gebauers. <strong>Die</strong> Familie gastiert immer<br />

an den gleichen Orten. „Mein Vater und<br />

sein Bruder hatten die Idee, den Gemeinden<br />

die Organisation und Ausrichtung der<br />

Volksfeste abzunehmen. Das war ganz neu<br />

damals. Sie haben die Bürgermeister angeschrieben<br />

und von dem Konzept überzeugt.“<br />

20, 25 Veranstaltungen machen sie pro<br />

Jahr, folgen einem Ablauf, einer Route,<br />

die Jahrzehnte zurückreicht. Im Unterwegssein<br />

also auch so etwas wie Stabilität,<br />

Routine. „Mit Jahrmarktromantik, wie man<br />

sich das so vorstellt, hat das alles hier sowieso<br />

nicht viel zu tun“, sagt Heinz. „Wir<br />

sind ein ganz normaler Betrieb, zahlen in<br />

Konstanz Gewerbesteuer und kriegen jeden<br />

Tag einen Stapel Post: Rechnungen,<br />

Verträge, Anfragen.“ Wie die Post sie denn<br />

finde, frage ich ihn. Heinz sieht wohl den<br />

Reiter mit Posthorn durch meinen Kopf<br />

galoppieren; er lacht. „Zu Hause in Konstanz<br />

natürlich“, sagt er. <strong>Die</strong> Familie hat<br />

dort ein Haus, mehrmals die Woche fährt<br />

ein Familienmitglied hin, um nach dem<br />

Rechten zu sehen und eben nach der Post.<br />

Auch mit einer anderen, wilden Vorstellung<br />

räumt Heinz schnell auf, als ich ihn<br />

nach Familienfehden unter den Schaustellern<br />

frage. Mir ist es schon peinlich, die<br />

Frage gestellt zu haben, als ich sie formuliere.<br />

Ein Klischee. Als wären sie Outlaws<br />

am Rande der Gesellschaft.<br />

„Das mag früher ja mal der Fall gewesen<br />

ein. Heute ist das Verhältnis eben wie zwischen<br />

anderen mittelständischen Betrieben<br />

auch. Wir zum Beispiel haben acht<br />

Lkw-Anhänger und drei Zugmaschinen;<br />

ein neuer Autoscooter, also ein einzelner<br />

Wagen, kostet 5.000 Euro; ein neues Karussell<br />

kommt auf 1,5 Millionen. Das sind<br />

Der erste Autoscooter der<br />

Gebauers, Mitte 1960er. Das Fahrgeschäft<br />

hatten sie von der Konstanzer<br />

Firma Brell übernommen,<br />

einem Boxauto-Pionier; noch<br />

heute fahren Scooter weltweit<br />

mit dem in Konstanz entwickelten<br />

Zwei-Säulen-System.<br />

Investitionssummen, die den Markt konsolidieren.<br />

Da ist kein Platz für schwarze<br />

Schafe, wir müssen alle solide arbeiten,<br />

betriebswirtschaftlich handeln.“<br />

Ein ganz normaler Betrieb also, ein ganz<br />

normaler Job? „Naja“, sagt Heinz, „man<br />

muss es schon lieben, dieses Geschäft, dieses<br />

Leben. Man muss Menschen mögen,<br />

die Besucher und die Mitarbeiter, sonst<br />

funktioniert es nicht. Ich habe sechs rumänische<br />

Festangestellte und etliche Saisonarbeiter.<br />

<strong>Die</strong> halten uns schon seit zehn<br />

Jahren die Treue, nicht selbstverständlich<br />

in einer schnell fluktuierenden Branche.“<br />

Er strahlt eine Zuversichtlichkeit und<br />

Zufriedenheit aus, die unerschütterlich<br />

scheint. „Das Tolle ist ja“, sagt er, „dass<br />

ich jeden Tag ganz viele verschiedene Jobs<br />

mache. Lkw-Fahrer, Handwerker, Manager...“<br />

Therapeut zählt er gar nicht auf.<br />

Heinz’ Freundin ruft von ihrem gepolsterten<br />

Drehstuhl zu uns rüber: „Einen<br />

Angestelltenalltag würdest du doch nicht<br />

aushalten!“ Sie weiß, wovon sie spricht.<br />

Selber arbeitet sie unter der Woche in<br />

einem ganz normalen Büro, einem ganz<br />

normalen Job. „Da würde dir was fehlen.“<br />

Am Fenster des Kassenhäuschens stehen<br />

drei Jungs, Teenies, sichtlich um eine<br />

Bad-Boy-Haltung bemüht. „Drei Chips“,<br />

sagt ihr Anführer, dunkler Flaum auf der<br />

Oberlippe, unterm Arm klemmen ihm<br />

zwei Einhörner aus Plüsch. „Das Schönste<br />

hier“, sagt Heinz’ Freundin, die ihre Wochenenden<br />

als Schaustellerin auf Zeit<br />

genießt, „ist, wie die Leute herkommen.<br />

Ganz anders als im Alltag: Sie bringen Zeit<br />

mit, wollen sich vergnügen. Egal aus welcher<br />

Schicht sie kommen, reich oder arm.“<br />

„<strong>Die</strong> Fahrgeschäfte fahren für alle gleich<br />

schnell“, sagt Heinz, die beiden lächeln<br />

einander an.<br />

„Manchmal“, fügt Heinz hinzu, „kommen<br />

alte Ehepaare und erzählen, wie sie<br />

sich vor Jahrzehnten auf dem Autoscooter<br />

kennengelernt haben.“ Auch seine Eltern,<br />

sagt Heinz, haben sich übers Fahrgeschäft<br />

kennengelernt.<br />

Seit mehr als 50 Jahren gehört Mutter<br />

Bärbel zur Familie und zum Betrieb. Inzwischen<br />

73 Jahre alt, ist sie immer noch<br />

dabei. In ihrem charmanten, superordentlichen<br />

Wohnwagen, mit gewölbten<br />


69 VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!


VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!<br />

70


71 VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!<br />

Dach und Messingdetails im Innenraum,<br />

macht sie wie vor 50 Jahren die Buchhaltung,<br />

kocht für ihre Familie und sitzt ab<br />

und an im Kassenhäuschen beim Kinderkarussell;<br />

früher ist sie auch Lkw gefahren.<br />

Ein bisschen kürzertreten, das sei schon<br />

in Ordnung, sagt sie, aber zur Ruhe setzen<br />

komme gar nicht in Frage. „Spätestens im<br />

März, nach der Winterpause“, sie lacht,<br />

„kommt so was wie Zugunruhe, wie bei<br />

den Vögeln, und dann freu ich mich wieder<br />

aufs Reisen.“<br />

Angefangen hat das Unternehmen Gebauer<br />

klein, bei null. „Mein Vater und<br />

mein Onkel kamen als Flüchtlinge aus<br />

Schlesien“, sagt Heinz, „ohne irgendwas,<br />

kein Besitz, kein Geld. Für acht Mark haben<br />

sie sich einen Baumstamm gekauft.“<br />

Heinz grinst, seine blauen Augen blitzen.<br />

„Sie haben ein Kettenkarussell daraus gebaut.<br />

Das war der Anfang!“<br />

Das erste der Gebauer Fahrgeschäfte existiert<br />

immer noch, im „Traumland“ auf der<br />

Bärenhöhle in der Nähe von Reutlingen.<br />

Heinz’ Onkel hat den Vergnügungspark<br />

gegründet. Ein visionäres Unterfangen<br />

damals. Er habe, nach den ersten Anfangserfolgen<br />

mit den reisenden Fahrgeschäften,<br />

alles auf eine Karte gesetzt und<br />

im Nichts diesen Park aufgebaut, mitten<br />

im Wald. „Egal was“, sei sein Motto gewesen,<br />

„Karusselle werden sich immer drehen!“,<br />

erläutert Heinz.<br />

Baby-Flug, ca. 1970. Ein Klassiker,<br />

für viele Kinder die erste Fahrt<br />

überhaupt. <strong>Die</strong> Flughöhe kann per<br />

Knopfdruck von jedem Piloten<br />

individuell gesteuert werden.<br />

Immer im Advent auf dem Konstanzer<br />

Augustinerplatz sitzt<br />

Mutter Bärbel Gebauer persönlich<br />

im Kassenhäuschen.<br />

Für Heinz war es nicht selbstverständlich,<br />

dieses Leben auf Achse weiterzuführen.<br />

Nach der Schule hat er erst eine Elektrikerlehre<br />

gemacht, ist dann aber doch ins elterliche<br />

Geschäft mit eingestiegen. Als 2011<br />

sein Vater plötzlich verstarb, übernahm er.<br />

Er wisse es ja auch zu schätzen, sich an<br />

verschiedenen Orten zuhause zu fühlen,<br />

ganz unterschiedliche Freundeskreise zu<br />

haben. „Man freut sich wahnsinnig, wenn<br />

man sich wiedersieht und, bevor es doof<br />

werden kann, reisen wir schon weiter.“<br />

Man kann sich vorstellen, dass es ihm<br />

leichtfällt, sich auf andere Menschen einzustellen,<br />

Freundschaften zu schließen.<br />

Aber wie ist es, will ich wissen, bei so viel<br />

Reisen mit dem Urlaub? Ist die freie Zeit<br />

im Winter für die Gebauers dann einfach<br />

nur mal Ankommen, Zuhause bleiben in<br />

Konstanz?<br />

Früher sei das tatsächlich so gewesen, sagt<br />

Heinz, aber jetzt reist er doch gerne. Im<br />

Januar verwirklicht er einen Traum und<br />

fliegt nach New York. „Mit der ganzen Familie“,<br />

sagt seine Freundin und lacht. „Weil<br />

wir ja sonst zu wenig Zeit zusammen verbringen.“<br />

Es schwingt null Zynismus mit<br />

in ihrer Stimme, kein verstecktes Augenrollen<br />

über die Familie des Anderen. Alle<br />

scheinen es zu genießen, das Zusammensein<br />

unterwegs. Einander.<br />

Dann erzählt Heinz von einem weiteren<br />

Traum, den er mal hatte, ein paar Jahre<br />

her; kein Fernwehtraum, einer für Zuhause,<br />

für Konstanz: ein weißes Riesenrad<br />

als festes Fahrgeschäft am Hafen, mit<br />

Blick auf den See, die <strong>Stadt</strong>, die Berge. Ein<br />

Hauch London für die Heimat am südlichen<br />

Rand der Republik.<br />

Inzwischen hat der Himmel aufgeklart,<br />

kein Regen mehr, kein Donnergrollen;<br />

die Menschen strömen wieder zu der<br />

Geisterbahn weiter hinten am Platz, dem<br />

Free Style nebenan und natürlich zum<br />

Publikumsmagneten, dem Autoscooter.<br />

Zeit für den praktischen Teil der Recherche.<br />

Ich darf mir aus Heinz’ vollen Händen<br />

ein paar Chips herausfischen, dann<br />

straffe ich die Schultern, klettere aus dem<br />

Häuschen und die Stufen zur Fahrbahn<br />

hinauf. Auf den Geländern an den Ecken<br />

sitzen junge Männer, checken ab, was<br />

geht. <strong>Die</strong> Musik scheint plötzlich lauter zu<br />

hämmern als zuvor, mein Puls pocht unter<br />

der Zunge.<br />

Ich steige ein. Einer von Heinz’ Hilfskräften<br />

schüttelt den Kopf; ich habe mir zielsicher<br />

ein Boxauto ausgesucht, das nicht<br />

fahren kann, zweite Reihe, hoffnungslos<br />

eingeparkt. Mein Gesicht brennt, als ich<br />

kompliziert über die Seite in einen anderen<br />

Wagen kraxle.<br />

Dann kommt die Ansage, Heinz’ geschulte<br />

Stimme wie ein Radiosprecher,<br />

tief und sonor: „Chips einwerfen und die<br />

Kinder festhalten. Es geht los!“ Mir fallen<br />

die Banner ein von der Hinfahrt auf den<br />

Autobahnbrücken: „Rennen können tödlich<br />

enden!“ Meine Hände zittern, als ich<br />

die Plastikmünze in den Schlitz stopfe.<br />

Mit einem Ruck setzt sich der Scooter<br />

in Bewegung. Ganz ohne Absicht manövriere<br />

ich mein lilametallic Boxauto<br />

rückwärts in eine Ecke. Hier könnte ich<br />

bleiben, unauffällig abwarten. Unsichtbar.<br />

Da tönt Heinz’ Stimme über den<br />

Lautsprecher, er gibt mir <strong>–</strong> Hallo Schamattacke!<br />

<strong>–</strong> Anweisungen. Ich schaue auf.<br />

Heinz lächelt, nickt mir zu, zeigt seinen<br />

aufgerichteten Daumen. Ich atme durch,<br />

lasse die Schultern fallen. Dann fahre ich<br />

mich frei.<br />

* Name geändert<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Christine ist in Tuttlingen sogar noch<br />

den Mond-Lift gefahren, einen<br />

chromblitzenden Klassiker, mit Kopfüber-Runden.<br />

Den Flugschein zu<br />

machen, kommt für sie trotzdem nicht<br />

in Frage.


VROOOM <strong>–</strong> FASTER THAN THERAPY!<br />

72<br />

Heinz Gebauer, sen. im Kassenwagen<br />

des ersten Autoscooters.<br />

Besondere Attraktion: Ein Mitarbeiter<br />

im Eisbärenkostüm, damals<br />

noch unschuldig und kein Symbol<br />

für den Klimawandel.<br />

Eines der frühen Karusselle, die<br />

Heinz sen. und seine Brüder in<br />

den 1950ern in Eigenregie entwarfen<br />

und aus Holz zimmerten.<br />

Barbara Gebauer und ihre Cousine<br />

Sanne auf einem nostalgischen<br />

Kinderkarussell, das heute noch,<br />

wie schon vor 60 Jahren, auf<br />

dem Weihnachtsmarkt in Ehingen<br />

(Donau) steht.<br />

Gebrannte Mandeln — der Geruch<br />

von Kirmes und Kindheit.<br />

Barbara Vogt-Gebauer am Süßwarenstand,<br />

Schwenningen 2018.


73<br />

<strong>Die</strong> Schiffschaukel war in den<br />

1950ern mit Kettenflieger,<br />

Kinderkarussell und Losverkauf<br />

das Standardprogramm, mit<br />

dem Heinz sen. Süddeutschland<br />

bereiste.<br />

MOntag<br />

Kölsch<br />

Abend<br />

<strong>Die</strong>nstag<br />

Aperitif<br />

Abend<br />

Der erste Autoscooter,<br />

Ort gewollter Crashs<br />

noch bis Ende der 1990er.<br />

Heinz Gebauer liebt seinen<br />

Job, der eigentlich mehrere<br />

Jobs in einem ist.<br />

MittwO ch<br />

Mexikaner<br />

Abend<br />

D O nnerstag<br />

Longdrink<br />

Abend<br />

Freitag<br />

Flaschen<br />

Abend<br />

s a M stag<br />

Pitcher<br />

Abend<br />

sOnntag<br />

Tatort<br />

Abend<br />

jeden 3.<br />

Samstag<br />

Jazz Session


LIEBLINGSFARBEN<br />

74<br />

Lieblingsfarben<br />

Einen Austausch zwischen Südafrika<br />

und Deutschland organisiert<br />

der junge Verein Bridging<br />

Gaps und hat es sich zum Ziel<br />

gesetzt, Rassismus im Alltag zu<br />

hinterfragen und durch intensive<br />

und länderübergreifende<br />

Jugendsozialarbeit aufzulösen.<br />

TEXT — Verena Greiß<br />

ILLUSTRATION — Miriam Stepper<br />

Mit einem strahlend breiten Grinsen legt Chesney eine<br />

neue Schallplatte seiner Oldie-Sammlung auf. Inmitten eines<br />

Pretorianischen Townships schallen die Klänge in den Hinterhof<br />

und treffen auf die südafrikanische Sonne. Chesney fühlt<br />

sich frei und schwingt seine Füße in Vorfreude zum Sound.<br />

Gerade hat er frisch die Schule abgeschlossen und steht mit<br />

18 Jahren an einem Wendepunkt in seinem jungen Leben. Im<br />

kommenden Jahr nimmt er sich Zeit herauszufinden, welchen<br />

Lauf es nehmen wird. Nur eines ist jetzt schon gewiss <strong>–</strong> in<br />

neun Monaten wird er das erste Mal die Grenzen von Südafrika<br />

überqueren und hinter sich lassen, um im Rahmen eines Austauschprogramms<br />

nach Konstanz zu fliegen. <strong>Die</strong>sen interkontinentalen<br />

Schritt hat ein neuer Wegbegleiter <strong>–</strong> die Organisation<br />

Bridging Gaps e.V. <strong>–</strong> ermöglicht. Chesney ist einer von zehn<br />

Jugendlichen, die bei diesem Projekt dabei sein werden. <strong>Die</strong><br />

freudige Erwartung in ihm wird begleitet von der Aufregung vor<br />

Unbekanntem. Ein fremdes Land, eine neue Kultur. Chesneys<br />

Bild von Deutschland ist sehr vage. Im TV wird selten über<br />

das Land berichtet und Suchergebnisse zeigen nur Karten und<br />

vereinzelt Wahrzeichen aus der Hauptstadt.<br />

<strong>Die</strong> Organisation Bridging Gaps e.V. wurde 2014 von der ehemaligen<br />

Konstanzer Studentin Juliane Hoss ins Leben gerufen.<br />

Während eines Auslandsstudiums in Pretoria, Südafrika, ließen<br />

ihr die Themen der Diskriminierung und des Rassismus keine<br />

Ruhe, und sie entschied sich, selbst aktiv zu werden. Sie sieht<br />

die Kategorisierung von Menschen in bestimmte Gruppen als<br />

→<br />

EIN JUGENDAUSTAUSCH<br />

ÜBER ZWEI KONTINENTE


75<br />

LIEBLINGSFARBEN<br />

Ursache vieler sozialer Probleme. Ihr Wunsch ist es, dass jeder<br />

in einer Gesellschaft leben kann, in der er sich zugehörig fühlt<br />

und teilhaben kann. „Viele Menschen in Südafrika sind sich<br />

einig, dass Rassismus weiterhin ein großes Problem ist und<br />

glauben, dass nur die jüngeren Generationen die Chance haben,<br />

das zu verändern. Wir haben uns jedoch zunehmend gefragt,<br />

wie junge Menschen das schaffen sollen, da sie ja mit den gleichen<br />

Vorurteilen aufwachsen und darüber hinaus kaum Kontakt<br />

zu anderen sozialen Gruppen haben. Wir wollten eine Plattform<br />

für Jugendliche schaffen, die ihnen die Möglichkeit gibt,<br />

sich auszutauschen“, erklärt Juliane Hoss die Beweggründe.<br />

Mit vielfältigen Projekten engagiert sich das Programm nun,<br />

um gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen und setzt sich<br />

dabei für ein gerechtes Umfeld ein. <strong>Die</strong> Organisation bietet<br />

Jugendlichen eine Plattform zum Austausch, begleitet sie auf<br />

ihrem Bildungsweg und in ihrer individuellen, persönlichen<br />

Entwicklung.<br />

So gab es in Südafrika bereits zwölf Camps mit mehr als<br />

250 Jugendlichen. Darüber hinaus bilden die Organisatoren<br />

wiederum einige Teilnehmer zu Multiplikatoren aus, die später<br />

selbst Aktivitäten und Workshops für andere anleiten werden.<br />

Eine erste gemeinsame Begegnungsphase hatte für Chesney<br />

über Weihnachten 2017 stattgefunden, als zehn Konstanzer<br />

Schülerinnen und Schüler nach Pretoria reisen durften, um<br />

ihre südafrikanischen Austauschpartner kennenzulernen und<br />

mit gemeinsamen Workshops und Projekten zu starten.<br />

Jetzt, ein dreiviertel Jahr später ist die Zweite mit den Partnern<br />

am Bodensee in vollem Gang und die Pretorianischen Jugendlichen<br />

besuchen ihre Projektpartner in Konstanz.<br />

Genau darauf hatte Chesney verheißungsvolle Monate gewartet.<br />

Seine bruchstückhaften Vorstellungen können endlich<br />

lebendig werden.<br />

Chesney, 18, aus Pretoria, sagt über<br />

sich selbst “I’m the most positive<br />

person you will find”.<br />

Das Herz von Kershia (l.), 18, aus Pretoria<br />

schlägt mit riesiger Begeisterung<br />

für das Konzept von Bridging Gaps.<br />

Grace, 16 (r.) aus Konstanz wusste nicht<br />

viel über Südafrika, bis das Musikvideo<br />

“distance” des Künstlers Omarion<br />

ihre große Neugier für das Land<br />

auslöste. Ihr Fazit: Sprache kann Menschen<br />

nah zusammenbringen.<br />

Es ist einer der ersten Konstanzer Frühlingstage, die Sonne<br />

steht noch tief und taucht das Seerheinufer in ein schummrig<br />

rotes Licht. Auf der Wiese um ein Feuer sitzt die bunt durchmischte,<br />

junge Truppe. Zehn Pretorianische und zehn Konstanzer<br />

Jugendliche und jeweils eine Handvoll Betreuer, die sich<br />

mit vollem Herzen ehrenamtlich engagieren.<br />

Sie reflektieren im Gespräch die zwei zwischenzeitlich vergangenen<br />

Wochen beim Grillen oder “Braaien”, wie es aus südafrikanischem<br />

Munde tönt. Den aufsteigenden Rauch durchzieht<br />

eine erfüllte und zugleich wehmütige Stimmung, denn es<br />

ist ihr letzter gemeinsamer Abend, morgen heißt es Abschied<br />

nehmen. Hinter diesen lebhaften Mädchen und Jungen liegt eine<br />

tiefgehend bereichernde und verbindende Zeit.<br />

Der Austausch war gefüllt mit zahlreichen Workshops, Teambuildings<br />

und interaktiven Spielen. Ziel war es, kreativ zu werden,<br />

Ideen zu erarbeiten und nach außen zu tragen. Dabei hatten<br />

sie die Möglichkeit, an die Erfahrungen der vorangegangenen<br />

ersten Begegnungsphase in Südafrika anzuknüpfen. Zu Beginn<br />

erkundeten sie zusammen den urbanen Raum bei einer <strong>Stadt</strong>führung.<br />

Ungewohnt ruhig und sauber, war der erste Eindruck<br />

für südafrikanische Sinne. Zum Staunen brachten sie die unzähligen<br />

Fahrräder und der Anschein, dass die Menschen nur<br />

bei Sonnenschein aus ihren Häusern kämen.<br />

Bei Gruppenarbeiten und Planspielen lernten die Teilnehmenden,<br />

ein kritisches Bewusstsein für Machtverhältnisse<br />

und soziale Ungerechtigkeit in einer globalisierten Welt zu<br />

entwickeln. →


LIEBLINGSFARBEN<br />

76<br />

In zwei Theaterworkshops wurde die Thematik des Alltagsrassismus<br />

spielerisch aufgegriffen und geeignete Reaktions- und<br />

Umgangsformen entwickelt. <strong>Die</strong> Jugendlichen konnten unter<br />

anderem durch Improvisationstheater ihre eigene Körperwahrnehmung<br />

und das Bewusstsein für Gestik und Mimik<br />

stärken und sogar mutig der breiten Öffentlichkeit ihre gewonnenen<br />

Erkenntnisse präsentieren. In der fotografischen Studie,<br />

dem “Photovoice Project” war ihre Meinung zu globalen<br />

Ungleichheiten gefragt: Mit Kameras ausgestattet zogen die<br />

Teilnehmenden durch die Innenstadt am Bodensee, um ihre<br />

Botschaften visuell festzuhalten, welche in Form einer Ausstellung<br />

einen öffentlichen Rahmen bekamen. Bei einem Ausflug<br />

nach Stuttgart lernten die Besucher und Gastgeber Neues<br />

zur Geschichte Deutschlands kennen und nahmen bewusst<br />

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ländern und<br />

Kulturen wahr.<br />

Besonders bewegend auf mehreren Ebenen war für alle die<br />

zweite Woche: ein Achtsamkeitstag, eine Yogastunde, Mindset-<br />

Übungen rund um effektives Zuhören, klare Kommunikation<br />

und das bewusste Entfalten einer Gruppendynamik. Emotional<br />

rückten die Jugendlichen näher zusammen. Beim “Privilege<br />

Walk”, einem sogenannten Bounding-Spiel, arbeiteten sie an<br />

sehr persönlichen Fragen und wahrhaftigen Antworten, die<br />

Privilegien und Nachteile eines jeden greifbar machen, etwaige<br />

Masken abbauen und Sorgen nehmen konnten.<br />

Für Kershia aus Pretoria war es ein Geschenk, so frei vom<br />

Herzen sprechen zu dürfen und positiven Zuspruch zu spüren.<br />

Sie fasst zusammen: “People will forget what you said, but they<br />

will never forget, how you made them feel.” Getreu diesem<br />

Motto steht Kershia jeden Tag mit einem Lächeln auf und trägt<br />

es in die Welt hinaus. Durch dieses Projekt werden sich die<br />

Jugendlichen nicht nur ihrer eigenen sozialen Position und Privilegien<br />

bewusst, sie wachsen auch persönlich und stärken<br />

ihr Selbstbewusstsein. Der beidseitige Austausch ist ein voneinander<br />

Lernen auf Augenhöhe und auf emotional wertvolle<br />

Weise. Für zwanzig junge Menschen aus Südafrika und Deutschland<br />

entstand so in nur kurzer Zeit und trotz unterschiedlicher<br />

kultureller Backgrounds eine tiefe Verbundenheit. Greta, 16<br />

Jahre alt und Teilnehmerin aus Konstanz, beschreibt, dass die<br />

neu gewachsene Verbindung eine ist, die sie nicht einmal mit<br />

langjährigen Freunden in dieser Form bisher erleben konnte.<br />

<strong>Die</strong> Jugendlichen haben sowohl inhaltlich als auch methodisch<br />

gelernt, für ihre Meinung einzustehen und dennoch tolerant<br />

und offen gegenüber anderen Ansichten zu sein. Sie konnten<br />

ein besseres Verständnis für strukturelle und globale Ungleichheiten<br />

entwickeln. Und haben aktuelle gesellschaftliche Probleme<br />

in ihrem wirtschaftlichen, politischen und historischen<br />

Kontext verstehen gelernt.<br />

Ein großer Wunsch aller ist es nun, diese Offenheit und die<br />

neuen Erkenntnisse als Vorbilder in ihr jeweiliges Umfeld weiterzutragen,<br />

eine Gemeinschaft zu erschaffen, welche keinen ausschließt<br />

sowie weiteren Jugendlichen einen solchen Austausch<br />

zu ermöglichen, um Grenzen zu überschreiten. Es sind mehr<br />

als Worte, die ihnen ihre Betreuer mitgegeben haben: “I need to<br />

speak up and be the difference that I want to see in the world.”<br />

Greta, 16, aus Konstanz<br />

wünscht sich, ein Leben lang<br />

mit den neu gewonnenen<br />

Freunden aus Südafrika in<br />

Kontakt zu bleiben und, gemeinsam<br />

die Zukunft von<br />

Bridging Gaps mitzugestalten.<br />

<strong>Die</strong> intensive Begegnungsphase hat hell leuchtende Spuren<br />

in ihren Herzen hinterlassen und wortwörtlich den Horizont<br />

erweitert, der sich in tiefem Blau über den Seerhein erstreckt.<br />

Hier sitzen die Jugendlichen nun in ihren letzten gemeinsamen<br />

Stunden in kleinen Grüppchen nach einem ausgiebigen<br />

Braai zusammen mit afrikanischen Rhythmen aus der Box am<br />

Feuer. Musik, zu der sie so einige Abende wild und frei nach<br />

Herzenslust getanzt haben. So klingt auch der letzte Abend allmählich<br />

aus und zuhause in Pretoria warten die Schallplatten<br />

auf Chesney. Er ist nicht nur Musikliebhaber, in ihm steckt auch<br />

eine poetische Ader und so verabschiedet er sich mit den Worten:<br />

“If you’re too proud to follow rivers, you will never reach<br />

the sea.” (inspiriert vom Song „River“ von Amelie Sande). Vor<br />

diesem Austausch dachte Chesney noch, Reisen sei nichts für<br />

ihn <strong>–</strong> diesen Glauben hat er nun über Bord geworfen, wird<br />

erst einmal sein Heimatland Südafrika erkunden und all seine<br />

gesammelten Erfahrungen in die Entscheidung seiner Zukunft<br />

aufnehmen.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Für Verena ist es wie nach Hause<br />

kommen, wenn sie das „rollende R“<br />

der Südafrikaner hört. Sie hatte das<br />

Glück, während ihrer Konstanzer<br />

Studienzeit ein Semester in Kapstadt<br />

zu verbringen. Seitdem zieht<br />

es sie immer wieder zurück zur<br />

“Rainbow Nation”.


Für den Arbeitsweg, die Einkaufstour<br />

oder den kurzen Ausflug:<br />

Mit dem neuen Fahrrad-Mietsystem<br />

konrad machen die <strong>Stadt</strong>werke<br />

Konstanz das mobile Leben in Konstanz<br />

noch einfacher. An 15 Mietstationen,<br />

die über das gesamte<br />

<strong>Stadt</strong>gebiet verteilt sind, stehen<br />

150 Fahrräder zur Verfügung,<br />

die man sich einfach und flexibel<br />

leihen kann. Rund um die Uhr, an<br />

24 Stunden, sieben Tage die Woche.<br />

77 BRIDGING GAPS<br />

frei bewegen <strong>–</strong> www.konrad-konstanz.de<br />

ANMELDUNG<br />

MIT KONRAD<br />

FLEXIBEL<br />

UNTERWEGS<br />

ERGÄNZUNG DES<br />

NAHVERKEHRS<br />

Mit konrad ergänzen die <strong>Stadt</strong>werke den<br />

Öffentlichen Nahverkehr: Ein zentraler<br />

Punkt ist dabei die Vernetzung mit dem<br />

Roten Arnold. Das Fahrrad-Mietsystem<br />

bildet eine ideale Ergänzung für die<br />

<strong>Stadt</strong>buslinien und leistet damit auch<br />

einen Beitrag zur Verkehrsentlastung in<br />

Konstanz.<br />

Der <strong>Stadt</strong>bus, das schon bestehende<br />

Transportrad-Mietsystem TINK und die<br />

Fahrräder werden damit eng verknüpft.<br />

Deshalb sind viele Stationen auch an<br />

Verkehrsnotenpunkten wie Bahnhöfen,<br />

dem Döbele oder der Fähre, aber etwa<br />

auch an Uni und HTWG zu finden. Weitere<br />

Pluspunkte: Mit dem Rad fährt man<br />

leicht am Stau vorbei, ist umweltfreundlich<br />

unterwegs und tut auch noch etwas<br />

für seine Gesundheit.<br />

BONUS FÜR<br />

STADTWERKE-KUNDEN<br />

Das Ausleihen der Räder erfolgt online<br />

unter www.konrad-konstanz.de und über<br />

die App „Mein Konstanz“, die Rückgabe<br />

ist an jeder beliebigen Station möglich.<br />

Pro halbe Stunde kostet das Ausleihen<br />

einen Euro bis maximal neun Euro für<br />

24 Stunden.<br />

<strong>Die</strong> Stammkunden der <strong>Stadt</strong>werke erhalten<br />

die erste halbe Stunde jeder Fahrt<br />

kostenfrei. Dazu gehören treue Stromund<br />

Gaskunden, Saison- und Jahreskarteninhaber<br />

der Fähre sowie Inhaber<br />

einer Halbjahres- oder Jahreskarte beziehungsweise<br />

einer Abo-Jahreskarte für<br />

den Bus.<br />

Vor dem ersten Anmieten eines Mietrades<br />

ist es notwendig, sich kostenlos als<br />

Nutzerin oder Nutzer zu registrieren.<br />

Das dauert nur wenige Minuten und<br />

geht am einfachsten über den „Anmelden“-Button<br />

(auf www.konrad-konstanz.de<br />

und über die „Mein Konstanz“-App).<br />

Sobald der Account freigeschaltet ist,<br />

kann es losgehen. Einfach zur nächsten<br />

konrad-Station gehen und den Code für<br />

den Bordcomputer mittels SMS oder<br />

App anfordern. <strong>Die</strong> Anleitung, wie es<br />

genau geht, findet sich direkt an den<br />

Stationen, auf den Rädern oder unter<br />

www.konrad-konstanz.de.<br />

Nach der Nutzung wird das Rad an eine<br />

der konrad-Stationen zurückgebracht,<br />

an die Station angeschlossen und die<br />

Fahrt am Bordcomputer beendet.<br />

Seit August 2018 gehört auch TINK<br />

mit 26 Transporträdern zum<br />

konrad und somit zu den <strong>Stadt</strong>werke<br />

Konstanz. In Konstanz<br />

stehen die TINK-Räder an 13 TINK-<br />

Stationen zur Verfügung und<br />

werden auch online oder über die<br />

MeinKonstanz App gebucht.<br />

Alle News und Details unter<br />

www.konrad-konstanz.de.


WELLENBUMMLER<br />

78<br />

„Was war einer der bewegendsten<br />

Lebensmomente für Sie?“<br />

Er schaut seine Frau an, die ihm<br />

gegenüber sitzt. Sie grinsen<br />

sich an. „Als ich dich kennengelernt<br />

habe.“<br />

Wellenbummler<br />

→<br />

MIT DER UNTERSEELINIE<br />

ÜBER DEN RHEIN<br />

TEXT — Amanda Shala<br />

ILLUSTRATION — Isabell Schmidt-Borzel<br />

<strong>Die</strong> Unterseelinie zwischen Kreuzlingen und Schaffhausen<br />

verbindet Einheimische, Durchreisende und Seensüchtige.<br />

<strong>Die</strong> Grenze, die sie passiert, ist dabei nicht sichtbar.<br />

Steg 9, unser Schiff legt ab. Auf dem türkisklaren Wasser<br />

spiegelt sich der ganze Himmel. Richtung Rhein verändert<br />

sich die Farbe. Das Wasser wirkt dunkler. Fast wie Tinte.<br />

„Aber Konstanz und Kreuzlingen sind doch eine <strong>Stadt</strong>!“<br />

Das ältere Paar erzählt mir, wie sie vor ein paar Jahren<br />

nach Kreuzlingen gezogen sind. Sie wollten näher an ihren<br />

Freunden in Konstanz sein. Früher war das viel komplizierter<br />

nach Konstanz zu reisen, wegen der Polizisten an der Grenze.<br />

„<strong>Die</strong> Grenze gibt es ja gar nicht mehr. Wegen Schengen und<br />

so.“ Was verbindet Konstanz und Kreuzlingen? „Vieles. <strong>Die</strong><br />

Einkauferei oder das Gas. Wir tauschen unser Gas aus.“ Früher<br />

hatte das Paar viele Studierende bei sich im Haus. „Eine<br />

wunderschöne Zeit! Damals lebte mein Vater noch. <strong>Die</strong> jungen<br />

Leute haben ihm das Holz die Treppen hochgetragen und<br />

im Garten geholfen. Das war in den 70ern.“ „Was war einer<br />

der bewegendsten Lebensmomente für Sie?“ Er schaut<br />

seine Frau an, die ihm gegenüber sitzt. Sie grinsen sich an.<br />

„Als ich dich kennengelernt habe.“ Damals war er 18, sie 22.<br />

Heute ist sie 77. „Ich bin vier Jahre älter als mein Mann.“ Das<br />

Seminargebäude, in dem er Lehramt studierte, war damals<br />

abgebrannt. „Meine Eltern hatten ein Zimmer frei und haben<br />

meinen Mann bei sich wohnen lassen. Ich habe in der französischen<br />

Schweiz eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht.<br />

Als ich zu meinen Eltern nach Hause bin, habe ich meinen<br />

Mann kennengelernt.“ Anfangs waren sie nur befreundet.<br />

<strong>Die</strong> Zeiten waren andere. Bei den Eltern durfte man nicht so<br />

viel. „Wenn Sie noch einmal in die Zeit zurückreisen könnten,<br />

noch einmal 18 sein, würden Sie etwas anders machen?“ „Wir<br />

wollten schon immer mal nach Amerika. Den Wunsch haben<br />

wir uns erfüllt. Viermal waren wir schon dort. Wir haben viele<br />

Rundreisen gemacht.“<br />

Auf dem Deck treffe ich zwei Männer, die sich angeregt auf<br />

Englisch unterhalten. Der jüngere kommt aus Südafrika und<br />

ist zu Besuch in der Schweiz. In Deutschland war er auch schon.<br />

Sein Deutschlehrer von der Uni stammt aus München. Sein<br />

älterer Begleiter kommt gebürtig aus den USA. Damals kam<br />

er mit seiner Frau aus Südafrika nach Zürich. “Switzerland<br />

was in-between. Between South Africa and the USA. My wife<br />

and I, we discovered Switzerland together. Now we’re applying<br />

for Swiss citizenship.” “How come you’ve decided to take<br />

this ship, to move from one point to another?” “Physically,<br />

it’s not an actual movement. We took the ship from this point<br />

and now we’re back at the exact same point”, erklärt mir der<br />

junge Mann. Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede fallen<br />

ihm zwischen Südafrika und Deutschland auf, frage ich ihn.<br />

“Both countries are beautiful. But it’s a different kind of beauty.<br />

In South Africa, the landscape is different. The colours are<br />

blending in. Here, the colours are stronger. Everything is more<br />

green and blue.” Ich frage sein Gegenüber, was aus seiner<br />

Sicht die beiden Länder verbindet. “You know, everything is a<br />

bit tidier in Switzerland. The grass is more cut and the fences<br />

are a bit higher. But the boarder is artificial. This is one region.<br />

Everyone speaks a similar language. They share a common<br />

history.” →


79 WELLENBUMMLER<br />

Am 19. Mai 1864 wurde die<br />

Schweizerische Dampfbootgesellschaft<br />

Untersee und<br />

Rhein gegründet. Seit 1936<br />

heißt sie Schweizerische<br />

Schifffahrtsgesellschaft Untersee<br />

und Rhein. 1<br />

Überlingen<br />

Meersburg<br />

Langenargen<br />

Friedrichshafen<br />

Mainau<br />

Lindau<br />

Konstanz<br />

Bodenseeforum<br />

Bregenz<br />

Arbon<br />

Romanshorn<br />

Kreuzlingen<br />

Konstanz<br />

Gottlieben<br />

Reichenau<br />

Ermatingen<br />

Mannenbach<br />

Quellen: 1) Schweizerische Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein → www.urh.ch/de/geschichte | 2) Schweiz Tourismus <strong>–</strong> MySwitzerland.com<br />

→ www.tinyurl.com/ybd3k4wo | 3) Schweizerische Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein: Aktuell → www.urh.ch/de/<br />

Am 23. Juli 2018 wurde die<br />

Strecke zwischen <strong>Die</strong>ssenhofen<br />

und Stein am Rhein aufgrund<br />

von Niedrigwasser „bis auf<br />

weiteres“ gesperrt. 3<br />

Gaienhofen<br />

Hemmenhofen<br />

Wangen<br />

Öhningen<br />

Stein am Rhein<br />

<strong>Die</strong>ssenhofen<br />

Büsingen<br />

Schaffhausen<br />

Rheinfall<br />

Berlingen<br />

Steckborn<br />

Mammern<br />

Auf einer 50 km langen<br />

Strecke verkehren<br />

von April bis Oktober<br />

die Kursschiffe täglich<br />

in beide Richtungen<br />

zwischen Schaffhausen<br />

und Konstanz/Kreuzlingen.<br />

2


WELLENBUMMLER<br />

<strong>Die</strong> Grenze ist eine geographische.<br />

In den Köpfen der Menschen<br />

existiert sie nicht.<br />

Bei der großen Insel wird es lauter. Menschen bewegen sich<br />

in einer Traube nach oben. Ich begebe mich unter das Deck.<br />

Ein älteres Paar sitzt an einem Holztisch am Fenster. Der Mann<br />

schaut konzentriert auf Notebook und Bücher. „Darf ich Sie<br />

fragen, an was Sie da arbeiten?“ „Ich schreibe an einem Band.<br />

400 Jahre evangelische Kirche in Scherzingen.“ „Sind Sie<br />

Historiker?“ „Naja, so nebenbei. Ich war mal Lehrer.“ Er lacht.<br />

Wir kommen ins Gespräch. „Was bewegt Sie an das andere<br />

Ufer?“ Er arbeitet gerne auf dieser Strecke, ist fast jeden Tag<br />

hier. „Wieso ausgerechnet diese Strecke? Was reizt Sie an<br />

dieser?“ Sie ist malerisch. Es gibt einfach keine Schönere. „Hier<br />

kann ich abschalten. Auch wenn mal mehr los ist. Den Rest<br />

kann ich ausblenden.“ Hier unten hat er seine Ruhe. Ich frage<br />

ihn, um was es konkret in seinem Buch geht. „In unserer<br />

Gemeinde, da gibt es eine Kirche. Und diese wurde als erste<br />

für die Reformierten vor 400 Jahren gegründet.“ Auch aus<br />

Konstanz waren sie geflüchtet. „Wegen den Katholiken haben<br />

wir kuriose Grenzverhältnisse. Aber wir sind dennoch eine<br />

Region. <strong>Die</strong> Grenze merkt man ja fast gar nicht.“ Historiker<br />

ist er aber mehr nebenbei. Biologie ist seine Passion. Es ist<br />

der Schutz der Artenvielfalt, der ihn antreibt. Auch heute ist<br />

er aktiv, 13 Jahre nach der Pensionierung. „Wenn Sie zurückdenken,<br />

denken Sie, Sie hätten etwas anders machen wollen?“<br />

„Überhaupt nicht. Ich hatte sehr viel Glück in meinem Leben.<br />

Es sind immer Aufgaben an mich herangekommen, die ich gerne<br />

angenommen habe. Auch wenn manche Überraschungen<br />

dabei waren. Meine Frau ist meine Lektorin.“ Er schmunzelt<br />

heiter über seinen Scherz.<br />

„Nächste Station: Berlingen! Steigen Sie ein, bitte!“ Ich<br />

blicke aus dem Fenster. Kleine Punkte am Horizont. Wie weit<br />

weg alles scheint, wenn man auf dem Wasser gleitet.<br />

Ich gehe zu zwei jungen Matrosen, die uns am Anfang unserer<br />

Reise so freundlich begrüßt haben. „Hätten Sie Zeit für ein<br />

kurzes Gespräch?“ Etwas verhalten stimmt der Kollege zu.<br />

„Arbeiten Sie schon länger auf dem Schiff?“ „Ich bin saisonal<br />

angestellt, nur im Sommer hier. Das ist jetzt meine zweite<br />

80<br />

Saison.“ Gebürtig ist er aus einem Dorf nahe Zürich. Ich merke,<br />

auf dem Schiff ist viel Bewegung. <strong>Die</strong> Menschen sind Reisende<br />

aus unterschiedlichen Ecken. „Gab es auch mal kuriose Momente<br />

für Sie auf dem Schiff?“ Das Gesicht wirkt ernster. „<strong>Die</strong><br />

Schifffahrt ist auch immer mit einem Risiko verbunden. Da<br />

kann schnell etwas passieren. Jemandem wird schlecht oder<br />

jemand rutscht aus und bricht sich etwas. Es sind viele ältere<br />

Menschen auf dem Schiff. <strong>Die</strong> vertragen nicht mehr so viel.“<br />

<strong>Die</strong> Strömungen flussaufwärts sind am stärksten.<br />

Der zweite Kollege kommt dazu. Heute ist sein Geburtstag.<br />

„Glückwunsch!“ Dass er auf dem Schiff gelandet ist, war reiner<br />

Zufall, erzählt er. „Ich habe einen Jahresvertrag hier und hoffe,<br />

dass er verlängert wird. Das kann man aber nie steuern. Im<br />

Winter habe ich in einer Werft gearbeitet und Motoren ersetzt.<br />

Für mich war das interessant, weil ich davor noch nie in<br />

diesem Bereich gearbeitet habe.“ Davor war er in der Pflege<br />

für körperlich und geistig Behinderte tätig. Wieso der Wechsel?<br />

Damals haben sie seine Anmeldung an der Schule „versemmelt“.<br />

Er wollte eigentlich Sozialpädagoge werden. Was ihn besonders<br />

freut an seinem Beruf, ist die Bewegung und der<br />

Kontakt mit den Menschen. „Ich bin hier Kassierer. Jeder kommt<br />

bei mir vorbei. Man sieht hier jeden Tag etwas Neues. Heute<br />

zum Beispiel, da hatte ich einen Mann, der ganz nah bei mir<br />

stand. Der hatte kein Gefühl für Distanz. Das war komisch,<br />

aber ich fand’s auch lustig.“<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Amanda wollte die Geschichten der<br />

„älteren“ Generation von Konstlingen<br />

und Umgebung erzählen und<br />

traf dabei auf Menschen, die viel<br />

bewegt hat <strong>–</strong> und die nie aufgehört<br />

haben, sich selbst zu bewegen.<br />

Baujahr 1970<br />

MS SCHAFFHAUSEN<br />

Länge 50 m → Breite 9,3 m<br />

Tiefgang leer 125 cm<br />

max. Tragkraft 700 Personen<br />

Verdrängung leer 190 t


81<br />

Das Kreuzlinger Kulturzentrum<br />

Es bewegt sich etwas!<br />

Pilotprojekt im ehemaligen Schiesser-Areal:<br />

Das neue Mehrspartenhaus.<br />

Immer die neusten Bilder: instagram.com/kultigs<br />

Agenda Stand 28. September 2018<br />

28.09. 20:00 Ralf Schlatter und Michael Wernli <strong>–</strong> Steingrubers Jahr<br />

Spoken Word und E-Gitarre (Theater an der Grenze)<br />

04.10. 20:00 Kult-X-Kino <strong>–</strong> Lean on Pete (Filminitiative Kreuzlingen)<br />

14.10. 20:00 Sergey Onischenko <strong>–</strong> Make like a tree <strong>–</strong> Reihe Sad Songs Make Me Happy (Horst Klub)<br />

18.10. 20:00 Kult-X-Kino <strong>–</strong> The bookshop (Filminitiative Kreuzlingen)<br />

03.11. 21:00 JUG <strong>–</strong> Goran Kovacevic & Baro Drom Orkestar (kultling)<br />

15.11. 20:00 Kult-X-Kino <strong>–</strong> Menashe (Filminitiative Kreuzlingen)<br />

16.11. 20:00 Kult-X-Kino <strong>–</strong> The Rising Sun (Filminitiative Kreuzlingen/Tanzzentrum Kreuzlingen)<br />

Live-Tanz-Performances und Gespräch mit Julia Kimoto<br />

18.11. 16:00 Filmpodium <strong>–</strong> Dogville <strong>–</strong> 2003/Lars von Trier <strong>–</strong> Einführung Marina Schütz,<br />

St. Gallen (Filminitiative Kreuzlingen/Kunstraum Kreuzlingen)<br />

23.11. 20:00 Patrick Frey <strong>–</strong> Dormicum (KIK <strong>–</strong> Kabarett in Kreuzlingen)<br />

29.11. 20:00 Kult-X-Kino <strong>–</strong> La novia del desierto (Filminitiative Kreuzlingen)<br />

16.11. 20:00 Oldseed (Craig Bierring) <strong>–</strong> Reihe Sad Songs Make Me Happy (Horst Klub)<br />

13.12. 20:00 Kult-X-Kino (Filminitiative Kreuzlingen)<br />

Details und weitere Veranstaltungen: www.kult-x.ch und facebook.com/kultigs<br />

Kult-X | Hafenstrasse 8 | 8280 Kreuzlingen | buero@kult-x.ch


VOM ZAUBERN UND NASCHEN<br />

82<br />

Mein Fahrrad stelle<br />

ich an der verglasten<br />

Hausecke ab, über<br />

der vor Kurzem noch<br />

das Schild einer Pizzeria<br />

lockte und sich<br />

jetzt in schlanker<br />

Schrift ein neuer Name<br />

und eine Telefonnummer<br />

entlang schlängelt.<br />

Ich wage einen<br />

Blick nach drinnen:<br />

EIN BESUCH BEI DEN DAMASZENERN<br />

IN PETERSHAUSEN<br />


83<br />

VOM ZAUBERN UND NASCHEN<br />

TEXT — Luisa Johannes<br />

ILLUSTRATION — Mia Schmid<br />

Hinter dem Kühlschrank, mitten im Eingangsbereich,<br />

kniet jemand und klebt<br />

sorgfältig eine Säule neben der Theke<br />

ab. Der Mann ist über und über mit<br />

Farbklecksen bedeckt. Seine Erscheinung<br />

fügt sich in die Umgebung ein, wie<br />

die Färbung eines Chamäleons. Überall<br />

liegen Zeitungen und Werkzeuge,<br />

Kabel schauen aus der Decke heraus<br />

und alle Möbel stehen kreuz und quer.<br />

Als er mich bemerkt, lächelt er etwas<br />

verlegen, unterbricht zögerlich seine<br />

Arbeit und winkt mich herein.<br />

Im Inneren des gerade entstehenden Restaurants<br />

halten sich neben dem Farbbetupften<br />

noch weitere Personen auf.<br />

Jemand schaut hinter der Theke hervor,<br />

ein anderer kehrt Reste von Putz und<br />

Tapete zusammen. Obwohl ich die<br />

konzentrierte Arbeitsatmosphäre unterbreche,<br />

begrüßen mich alle höflich.<br />

Der Mann, der mich herein gewunken<br />

hat, heißt Mohanad. Er und Alaa bilden<br />

das Gründer-Duo des neuen syrischen<br />

Restaurants. Mohanad deutet in den<br />

Raum nebenan und ich sehe Alaa. Beide<br />

gleichen unverwechselbar den Porträtzeichnungen,<br />

die ihre Visitenkarten zieren.<br />

Auch Alaa winkt mir, als er mich sieht,<br />

und deutet mir an, einen Augenblick Geduld<br />

zu haben. Zeit, um den Blick weiter<br />

schweifen zu lassen. Ich beobachte Maria,<br />

eine lebhafte Spanierin und sehr herzliche<br />

Erscheinung. Sie ist mit Alaa in einen<br />

Bildschirm vertieft, und wie ich später<br />

erfahren werde, kümmert sie sich als<br />

Buchhalterin um die „Berge aus Papier“,<br />

welche die Neueröffnung auftürmt.<br />

Alle Anwesenden sprechen arabisch,<br />

ich verstehe kein einziges Wort. Alaa<br />

gestikuliert mit dem Mann, der bei<br />

meiner Ankunft den Putz gekehrt hatte.<br />

Daraufhin fragt dieser, ob ich etwas<br />

Saft trinken will. Ich bedanke mich und<br />

ziehe ein einfaches Wasser vor. Er fragt<br />

erneut, ob ich ganz sicher keinen Saft<br />

will und ich lehne wieder dankend ab.<br />

Ich nehme das Wasser entgegen, als<br />

Alaa zu mir kommt und sich vorstellt:<br />

„Hallo ich bin Alaa.“ sagt er und fragt:<br />

„Trinkst’ du gar keinen Saft?“ Verunsichert<br />

muss ich ein bisschen lachen und<br />

erkläre, dass ich so gut wie nie Saft<br />

trinke, während mich meine Gedanken<br />

fragen, ob es in Syrien vielleicht üblich<br />

ist, zur Begrüßung Saft zu trinken und<br />

unhöflich, seinem Gastgeber diesen<br />

auszuschlagen? Er hebt die Schultern<br />

und auch er lacht, als er mir einen Stuhl<br />

im Fenster anbietet. „Setzt dich,“ sagt<br />

er, „Was kann ich’ für dich tun?“<br />

„Kannst du mir erzählen, wie Mohanad<br />

und du, wie ihr euch kennen gelernt<br />

habt?“ Erneut lächelt er und beginnt,<br />

dass vor gut einem Jahr, als er noch im<br />

Flüchtlingsheim in der Luisenstraße<br />

wohnte, ein Mann namens Dominik<br />

kam, mit der Idee, eine Gruppe zu<br />

gründen. Eine Gruppe, in der man sich<br />

über Kultur, Religion und Politik austauschen<br />

kann. Oder in der man einfach<br />

zusammen sein kann und alle diese<br />

Dinge außen vor lässt. Dominik, sagte<br />

er, wolle etwas Neues machen und sie<br />

seien alle eingeladen <strong>–</strong> Alaa, seine Mitbewohner<br />

und die Nachbarn und jeder<br />

soll seine Freunde mitbringen. „Beim<br />

ersten Treffen im Café Mondial waren<br />

wir sechs Personen, beim zweiten Mal<br />

schon 20.“ erzählt Alaa. „Und so habe<br />

ich Mohanad getroffen. Auch er wohnte<br />

in der Luisenstraße. Wir sprechen die<br />

gleiche Sprache und haben uns gleich gut<br />

verstanden.“ Heute bilden die beiden<br />

Männer das Herzstück des Unternehmens,<br />

das sowohl ein Lokal betreibt als<br />

auch weiterhin auf Veranstaltungen für<br />

die Gäste kocht.<br />

„Und wann habt ihr angefangen zusammen<br />

zu kochen?“ Bei irgendeinem<br />

Treffen im Café Mondial hatten sie vorgeschlagen,<br />

syrisches Essen zu kochen,<br />

um den anderen ein Stück arabischer<br />

Kultur zu zeigen. „Und dann haben wir<br />

gekocht, einfach so.“ Wieder lächelt er<br />

und zieht die Augenbrauen gemeinsam<br />

mit seinen Schultern nach oben. „Und<br />

hast du in einer Ausbildung gelernt zu<br />

kochen?“ frage ich weiter. „Nein, nein.“<br />

grinst Alaa und erzählt, dass er, bevor<br />

er vor drei Jahren nach Deutschland gekommen<br />

ist, in Syrien IT-Fachinformatiker<br />

für Systemintegration gelernt hat<br />

und auch in Libyen ein paar Jahre als<br />

Manager einer großen Fima für Marmor<br />

und Granit gearbeitet hat. „Alles, was<br />

ich über das Essen und Kochen weiß,<br />

hat mir meine Mama beigebracht.“<br />

sagt er, zugleich stolz und ein bisschen<br />

bescheiden. „Hast du viel Kontakt<br />

mit ihr?“ frage ich. „Ja, jeden Tag!“<br />


VOM ZAUBERN UND NASCHEN 84<br />

antwortet er. Familie hat einen sehr<br />

hohen Stellenwert in seiner Heimat.<br />

Auch Alaa ist mit seinen 25 Jahren nicht<br />

nur stolzer Restaurantbesitzer, Unternehmer<br />

und Weitgereister, er ist auch<br />

frisch gebackener Papa. Seine Tochter<br />

ist 3 Jahre alt, und vor ein paar Wochen<br />

wurde sein Sohn geboren.<br />

„Und Mohanad, hat er Koch gelernt?“<br />

„Ja, er hat in Syrien gelernt zu kochen,<br />

aber in Deutschland hat er eigentlich<br />

nur als Maler gearbeitet. Sein Vater war<br />

Maler, er hat ihm alles gezeigt, und Mohanad<br />

hat es dann mir gezeigt.“ Er erzählt,<br />

dass sie im Restaurant alles selbst<br />

gemacht haben, den Boden, die Wände,<br />

und er fragt mich, wie mir die Decke<br />

gefällt, während ich die schwarzen und<br />

weißen Quadrate betrachte, die wie ein<br />

Spielfeld über dem Raum schweben.<br />

Mein Blick bleibt an den goldenen<br />

arabischen Schriftzeichen hängen, die<br />

die dunkel gestrichenen Wände zieren.<br />

Alaa erklärt mir, dass Mohanads Hände<br />

nicht nur im Streichen geübt sind, vor<br />

allem ist er der Meister der Küche und<br />

das mit nur sieben funktionstüchtigen<br />

Fingern. In dreien der rechten Hand hat<br />

er nach einer tiefen Verletzung kein Gespür<br />

mehr. Ich spiele gedanklich durch,<br />

wie hinderlich das beim Umgang mit<br />

Fritteuse, mit Kochmessern und anderem<br />

Werkzeug sein muss. Doch, wo andere<br />

ein Problem sehen würden, ist für<br />

Alaa und Mohanad das Glas halb voll. <strong>–</strong><br />

„Wer mit tauben Fingern das Messer<br />

führt, spürt es ja rechtzeitig, wenn er<br />

sich in die gesunde Hand schneidet“,<br />

sagt Alaa scherzend und meint es doch<br />

genau so.<br />

Alaa erzählt von einem Essen, das er und<br />

Mohanad für 15 Personen im Bürgerbüro<br />

gekocht haben, und dass sie alles,<br />

was sie zubereitet haben auch präsentieren<br />

durften. „Es war das beste Buffet<br />

meines Lebens.“ sagt er, „Es gab selbstgemachten<br />

Joghurt und drei Tische<br />

voller Süßigkeiten.“ Er zeigt mir Fotos<br />

auf seinem Handy und strahlt über das<br />

ganze Gesicht. „Wir haben die ganze<br />

Nacht gearbeitet, alles frisch eingekauft<br />

und zubereitet.“ Nach diesem Treffen<br />

sei ihnen die Idee gekommen, mit einer<br />

Art Imbiss-Auto durch Deutschland zu<br />

fahren. Um Menschen zu treffen, für<br />

sie zu kochen und allen etwas von ihrer<br />

Kultur zu zeigen. „Wir kochen genau wie<br />

Zuhause. Wir spielen mit Dekoration,<br />

mit Farben. Wir wollen es alles genau wie<br />

Zuhause machen.“ Alaa erklärt, dass das<br />

mit dem Auto nicht geklappt habe, weil<br />

die Auflagen zu hoch gewesen seien und<br />

dass sie sich deshalb hier an der Ecke<br />

Petershauser Park eingerichtet haben.<br />

Unterwegs ist er dennoch viel, war in<br />

Berlin, Halle (Saale), in Dortmund, aber<br />

auch in Wien und in Madrid, in Belgien<br />

und Holland. Er und Mohanad seien<br />

sehr am Reisen interessiert, weil sie sich<br />

wünschen, noch mehr von Deutschland<br />

zu sehen. Er sagt, es sind die Menschen,<br />

die er kennen lernen will, in deren Heimat<br />

er jetzt lebe und denen er etwas von seiner<br />

Heimat geben möchte.<br />

„Woher kommst du Alaa?“ „Aus Damaskus.“<br />

„Und Mohanad?“ „Er kommt aus der<br />

Nähe von Damaskus, die <strong>Stadt</strong> heißt<br />

Homs.“ Ihre Herkunft scheint also Namensgeber<br />

des Restaurants zu sein.<br />

‚<strong>Die</strong> Damaszener <strong>–</strong> <strong>Die</strong> aus Damaskus<br />

Stammenden‘ „Warte!“, unterbricht Alaa<br />

meine Gedanken. „Ich werde dir etwas<br />

zeigen,“ nimmt einen Schlüssel und geht<br />

nach draußen. Nach wenigen Minuten<br />

kommt er zurück mit einem kleinen<br />

Stapel Spielkarten und einem Päckchen,<br />

in dem sich, der Schrift nach zu urteilen,<br />

eine arabische Süßigkeit befinden muss.<br />

„Hier probiere das!“, sagt er und hält<br />

mir ein kleines, mit Schokolade überzogenes<br />

Etwas vor die Nase. Ich bedanke<br />

mich höflich und lege es einen kurzen<br />

Moment zur Seite, weil ich mich frage,<br />

was er mit den Karten vorhat. Will er<br />

jetzt mit mir Karten spielen?<br />

Er lässt mich eine Karte ziehen. Ich soll sie<br />

mir gut merken und vermute zu wissen,<br />

was er vorhat. Es ist die Herz 10. Er nimmt<br />

die Karte verdeckt an sich und steckt<br />

sie ungesehen wieder in den Stapel, beginnt<br />

zu mischen und grinst mich an. Er<br />

teilt den Stapel, mischt jedes kleinere<br />

Bündel einzeln, zieht ein paar Karten<br />

heraus, legt sie auf den Tisch und dann<br />

zurück auf den wieder zusammenge-<br />


85<br />

ةفيفخلا تابجولا لوانتو رحسلا نم<br />

Zwischen zwei Türmen <strong>–</strong><br />

Eine Ausstellungsreihe<br />

9. September <strong>–</strong> 9. Dezember 2018<br />

Eröffnung: 8. September, 16 Uhr<br />

Turm zur Katz<br />

Kulturzentrum am Münster<br />

Wessenbergstraße 43<br />

78462 Konstanz<br />


VOM ZAUBERN UND NASCHEN 86<br />

mischten Stapel. Ich habe den Überblick<br />

verloren und bezweifle, dass Alaa meine<br />

Karte nach dem wilden Misch- und<br />

Teilungsvorgang wieder findet. Er zieht<br />

eine Karte mitten aus dem Stapel und<br />

schaut sie an. Dann schaut er mich an<br />

und zeigt sie mir. Meine Arme kribbeln<br />

ein bisschen vor Aufregung. Enttäuscht<br />

sage ich ein etwas zu laut: „Oh nein, das<br />

ist nicht meine Karte!“ Es ist eine Kreuz<br />

Dame. „Ich weiß!“ sagt er ganz unbeirrt<br />

und hält sie mir hin. „Jetzt musst du<br />

sie halten und fest dabei an deine Karte<br />

denken!“ Ich folge seiner Bitte und stelle<br />

mir die Herz 10 bildlich vor. „Kannst<br />

du mir noch deine Lieblingsfarbe verraten?“<br />

unterbricht Alaa meine Konzentration.<br />

„Rot“ antworte ich, ohne zu<br />

zögern. „Und dein Geburtsdatum?“ Ich<br />

nenne ihm den Tag im November. „Oh,<br />

Mohanad hat auch im November Geburtstag!“,<br />

sagt Alaa, während er meine<br />

rote Herz 10 aus der Mitte des Stapels<br />

herauszieht, den er zuvor ganz unbewegt<br />

in der Hand hielt. Er lacht laut,<br />

weil ich vor Überraschung und Entzückung<br />

in die Hände geklatscht haben<br />

muss. „Siehst du“, sagt er „genau das ist<br />

die Reaktion, die ich an Menschen so<br />

sehr liebe. Wenn ich ihnen einen Trick<br />

zeige oder wenn ich sie von meinem<br />

Essen probieren lasse, dann ist das<br />

Schönste für mich deren Überraschung,<br />

wenn sie klatschen und zufrieden sind.<br />

Dann bin ich glücklich.“ Wir beide la-<br />

chen. Ich frage, wo er den Kartentrick<br />

gelernt habe, und er erzählt, wie er in<br />

Damaskus einen Sommer lang in einem<br />

Zirkus ausgeholfen hatte und ein Zauberer<br />

des Ensembles ihm in jeder Pause<br />

Tricks zeigte. So lange, bis er sie selbst<br />

zaubern konnte.<br />

„Wann werdet ihr das Restaurant eröffnen?“,<br />

frage ich ihn, nachdem er<br />

die Karten weggepackt hat. „Vielleicht<br />

diese oder nächste Woche, wir werden<br />

sehen.“ Er grinst. „Wenn wir fertig sind,<br />

werde ich dich anrufen oder dir schreiben,<br />

dann bist du eingeladen und kannst kommen.<br />

Es wird ein großes Buffet geben<br />

und du kannst essen, was du willst und<br />

bezahlen, was du willst.“ „Ach ja?“, frage<br />

ich erstaunt. „Ja, alle sind dann herzlich<br />

eingeladen, bei uns zu sein und mit uns<br />

zu feiern! Das Geld ist egal, es geht um<br />

die Freude und den Spaß! Einmal, in<br />

der Nähe von Berlin, habe ich auf einer<br />

Hochzeit für 100 Personen ganz umsonst<br />

gekocht.“ Er erzählt, dass Hochzeiten<br />

die besten Veranstaltungen sind<br />

und Geburtstage, weil dann die Gastgeber<br />

keine Zeit haben zu kochen oder<br />

alles vorzubereiten, deshalb möchte er<br />

das für sie tun. „Das ist unsere Philosophie,“<br />

sagt er. „Wenn du feierst, kannst<br />

du uns anrufen, wir kommen und kochen<br />

in deiner Küche für dich und deine<br />

Gäste. Wenn deine Küche zu klein ist,<br />

dann kochen wir hier und bringen unser<br />

Essen zu dir.“<br />

„Warum habt ihr euch von all den Orten,<br />

an denen ihr schon gewesen seid, ausgerechnet<br />

Konstanz ausgesucht?“, will ich<br />

wissen. „Konstanz ist unsere Heimat,“<br />

sagt Alaa. „Hier ist es groß und klein<br />

zugleich. <strong>Die</strong> Ruhe hier findest du an<br />

keinem anderen Ort und in keiner anderen<br />

<strong>Stadt</strong>.“<br />

Als er mich zur Tür bringt, gehen wir an<br />

Mahmmod vorbei, der bei meiner Ankunft<br />

gekehrt hatte. „Er hat auch mit<br />

Mohanad und mir in der Luisenstraße<br />

gewohnt, und er ist immer da und hilft<br />

uns.“ Alaa sagt etwas auf Arabisch und<br />

boxt Mahmmod liebevoll auf die Schulter.<br />

Der knufft Alaa in die Seite und<br />

beide lachen. Auch Mohanad gesellt<br />

sich einen Augenblick zu uns. Es wird<br />

auf Arabisch und Deutsch gesprochen<br />

während wir inmitten eines Neubeginns<br />

stehen. Wir alle lachen, und bevor<br />

ich gehe, gibt Alaa mir seine Telefonnummer.<br />

„Danke, dass ich kommen<br />

durfte!“, sage ich im Hinausgehen und<br />

winke. „Komm bald wieder!“, ruft Alaa<br />

mir nach.<br />

Auf dem Heimweg vernasche ich die<br />

kleine Süßigkeit, die Alaa mir vor seiner<br />

Zauberei gegeben hatte. Voller Vorfreude<br />

auf das, was gerade Form und Farbe<br />

annimmt und bewegt von der Herzlichkeit<br />

der jungen Männer, schwinge<br />

ich mich auf mein Fahrrad und radle in<br />

Richtung See nach Hause.


87<br />

ةفيفخلا تابجولا لوانتو رحسلا نم<br />

Kunst bewegt!<br />

Neue Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau<br />

Helen Dahm <strong>–</strong><br />

Ein Kuss der ganzen Welt<br />

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ZWEI SCHWESTERN UND EIN FEIGENBLATT 88<br />

TEXT — Miriam Stepper<br />

FOTO — Anja Mai<br />

Auf der derzeit schwindenden<br />

Fassade des ehemaligen Vincentius<br />

Krankenhauses an der<br />

Konstanzer Laube strahlt seit<br />

Juli 2018 das überlebensgroße<br />

Konterfei zweier Ordensschwestern<br />

in Richtung Altstadt.<br />

Eine kurze Geschichte<br />

über 128 Jahre Klinikalltag,<br />

an deren Ende dieses Wandbild<br />

entstand.


89<br />

Zwei<br />

Schwestern<br />

und ein<br />

Feigenblatt<br />

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→<br />

EIN ABSCHIEDSGESPRÄCH<br />

Hände treffen sich diesseits und jenseits der weiten Maschen<br />

eines Eisengitters und schütteln einander herzlich. Zwei Ordensschwestern<br />

vor der Absperrung blicken durch die Baustellenzäune<br />

auf das ehemalige Krankenhaus dahinter. Für den Moment<br />

glänzen ihre Augen im Wiedersehensglück, zwischen brennender<br />

Sonne und Baggerstaub. Wiedersehen mit einem Ort, der<br />

nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Wohnort für insgesamt<br />

111 Schwestern, über 128 Jahre verteilt, gewesen ist. Schwester<br />

Johanna und Schwester Ursula-Maria haben sich mit dem Seehas<br />

auf den Weg gemacht vom Kloster Hegne zurück an ihren langjährigen<br />

Wirkungsort im alten Vincentius. Durch eine Lücke<br />

im Zaun führt der Weg heute durch den Liefereingang der<br />

Küche, vorbei an OP-Sälen in die Eingangshalle und bis zum<br />

Herzstück Ihres Arbeitsplatzes in die leergeräumte Kapelle.<br />

Schwester Johanna hat 35 Jahre und Schwester Ursula-Maria<br />

achteinhalb Jahre in den dicken<br />

Mauern der Klinikanlage gearbeitet,<br />

gewohnt, gelebt. „Ich weiß gar<br />

nicht so recht, ob ich hier überhaupt<br />

rein will“ hatte Schwester<br />

Ursula-Maria bei der Anfahrt noch<br />

gezögert „Aber jetzt ist es in Ordnung“,<br />

sagt sie <strong>–</strong> auch ein wenig<br />

zu sich selbst. „Wenn ich hier herkomme,<br />

bin ich daheim“ lächelt<br />

auch Schwester Johanna. Den Feigenbaum<br />

hinter dem Haus hat sie selbst gepflanzt und kichert<br />

in der Erinnerung, wie er Jahr um Jahr mit dem Haus verwuchs.<br />

Genau wie sie. Der Baum trägt schwere Früchte und üppige<br />

Blätter in diesen tropischen Sommertagen und lehnt sich in<br />

den Schatten des denkmalgeschützen Altbaus.<br />

„Wenn ich hier<br />

herkomme,<br />

bin ich daheim.“<br />


ZWEI SCHWESTERN UND EIN FEIGENBLATT<br />

90<br />

Patienten haben hier Hüften bekomme, Knie und Kinder.<br />

Einige Schwestern, die hier gearbeitet haben, wurden selbst in<br />

diesem Krankenhaus geboren, früher bevor das Klinikum nach<br />

und nach ein reines Fachzentrum für Orthopädie wurde.<br />

Schwester Johanna selbst kam damals mit einem Bandscheibenvorfall<br />

als Patientin ins Klinikum und half zum Zeitvertreib<br />

beim Gläserspülen aus. Sie durfte<br />

schließlich bleiben. Zeitweise waren<br />

bis zu 14 Schwestern im OP, in der<br />

Pflegedienstleitung, in Küche, Verwaltung<br />

und Seelsorge beschäftigt,<br />

doch es wurden immer weniger. „Wir<br />

waren zum Schluss nur noch zu dritt“,<br />

erzählt Schwester Ursula-Maria, „das<br />

war ein Gefühl von: es kommt jetzt<br />

auf jede einzelne an, es kommt jetzt<br />

auf mich an“. Schwester Johanna war<br />

die letzte und verließ das Vincentius<br />

mit der Auflösung des Konvents im<br />

November 2016 bevor es im Frühjahr<br />

2018 vollständig geräumt wurde.<br />

Junge Ärzte, Zivis und die Ordensschwestern<br />

haben wie eine bunte WG<br />

im obersten Stockwerk des Altbaus<br />

gewohnt. „Das runde Fensterle ganz<br />

oben unter dem Dach, war unser<br />

Bad“. Gegessen haben sie in der Cafeteria<br />

der Klinik und wenn Zeit war<br />

oder ihnen der Sinn spontan nach<br />

Pizza stand, haben sie in der kleinen<br />

Kochnische unter dem Dach selbst<br />

gekocht. „Da gab es keinen Plan, wer<br />

wann an der Reihe ist, das hat sich<br />

einfach so ergeben.“ Sie haben es genossen,<br />

mitten unter jungen Leuten<br />

zu wohnen, im Herzen der <strong>Stadt</strong>, im<br />

Geschehen. „Morgens einfach ins<br />

weiße Kleid schlüpfen und rübergehen“.<br />

Um fünf Uhr in der Früh begann achteinhalb Jahre lang der<br />

Klinikalltag mit Frühdienst für Schwester Ursula-Maria in der<br />

„Reparaturwerkstatt“, wie sie die Orthopädie nennt. Übergabe<br />

aus der Nachtschicht, Patienten besuchen, beim Waschen helfen<br />

und die erste OP des Tages um 7.30 Uhr vorbereiten.<br />

Der Begriff Krankenschwester meint im Allgemeinen Pflegerinnen<br />

im Gesundheitswesen, rührt aber in seiner ursprünglichen<br />

Aussage von Ordensschwestern einer religiösen Gemeinschaft<br />

her, die lange Zeiten alleinig mit der Krankenpflege betraut<br />

waren. Hin und wieder, erzählt Schwester Johanna, verlangte ein<br />

Patient ihr gegenüber nach einer Schwester. Dem ist sie stets mit<br />

Humor begegnet: „Ich bin die einzige Schwester hier, die anderen<br />

sind alle Frauen.“ <strong>Die</strong> Zusammenarbeit war stets auf Augenhöhe,<br />

herzlich und entspannt. Auch der Professor ging mit den<br />

Schwestern zum Essen und hat sogar an der Weihnachtsfeier im<br />

„Morgens<br />

einfach ins weiße<br />

Kleid schlüpfen<br />

und rübergehen.<br />

<strong>–</strong><br />

Dann bin ich<br />

einfach für<br />

den Patienten<br />

da, als ich,<br />

als Mensch.<br />

<strong>–</strong><br />

Immer wenn<br />

etwas war, eine<br />

schwere Entscheidung<br />

anstand,<br />

kamen sie zu mir.“<br />

Chor mitgesungen. „Sehr viel Neugierde und Offenheit“ habe<br />

Schwester Ursula-Maria erlebt, gerade im alltäglichen Miteinander<br />

mit Kollegen war Raum, selbst für Klischeefragen, warum<br />

eine der beiden im weißen und eine um schwarzen Schleier unterwegs<br />

sei. „Ganz einfach, den weißen kann ich in die Waschmaschine<br />

stecken und der schwarze ist Handwäsche“ lautet des<br />

Rätsels pragmatische Lösung.<br />

Im Vincentius war das Pflegepersonal<br />

bunt durchmischt, ob weißer<br />

Schleier oder Kittel, die Gemeinschaft<br />

war immer gut, familiär, heimelig. Das<br />

haben sie alle besonders an dem kleinen<br />

Haus geschätzt. „Ich konnte ein<br />

Stück an der Geschichte weiterschreiben“<br />

fasst Schwester Ursula-Maria<br />

ihre achteinhalb Jahre vor Ort stolz<br />

zusammen. Sie ging bereits 2015 nach<br />

ihrer berufsbegleitenden Palliativ-<br />

Weiterbildung zurück nach Hegne. Es<br />

blieb Schwester Johanna, bis ein Jahr<br />

vor dem Auszug. „Wir vermissen Sie<br />

sehr“, schrieb kürzlich das alte Team<br />

in einem Brief aus dem neuen Haus<br />

im Klinikum Konstanz, samt einer<br />

Einladung doch einmal dort vorbeizukommen.<br />

„<strong>Die</strong> haben sich halt an<br />

mich gewöhnt“ lächelt Schwester Johanna<br />

verschmitzt.<br />

Wie unergründlich sich die Wege<br />

des Zufalls manchmal zwischen alltägliche<br />

Gewohnheiten schieben,-<br />

schildert sie eher beiläufig mit einer<br />

Kliniknacht, als sie sich bereits entkleidet<br />

und in ihrem Bett im Nachbargebäude<br />

niedergelassen hatte,<br />

als ihr urplötzlich aufging, dass sie<br />

vergessen hatte, die Liednummern<br />

für den Frühgottesdienst am nächsten<br />

Morgen an die Tafel zuheften.<br />

„Also bin ich nochmal rübergeschlichen<br />

und, da höre ich es stöhnen aus den Waschräumen.<br />

Ich konnte nicht unterscheiden, ist es Frau oder Mann, also<br />

bin ich auf Katzenpfoten geschlichen und da lag eine<br />

Patientin, schwerverletzt. Hatte sich die Pulsadern selbst mit<br />

der Schere zerschnitten. Dabei war ihr das Werkzeug hinter<br />

die Toilette gerutscht und sie versuchte es wiederzubeschaffen“,<br />

erklärt Schwester Johanna seelenruhig. „Also musste ich das<br />

Anstecken der Lieder vergessen“ <strong>–</strong> um ein Leben zu retten.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit als Krankenschwester und ihre Rolle als Ordensträgerinnen,<br />

waren und sind stets untrennbar verwoben. „Gleichgültigkeit<br />

habe ich schon erlebt, gegenüber dem Schwestersein“,<br />

beantwortet Schwester Ursula-Maria die Frage, wieviel Ordensschwester<br />

in der Krankenschwester stecke. „Dann bin ich einfach<br />

für den Patienten da, als ich, als Mensch“.


91<br />

PREMIEREN<br />

<strong>Die</strong> kleine Kapelle des Vincentius war ein Ort der Begegnung,<br />

des Austauschs, aber auch der konzentrierten Stille. „Einmal kam<br />

ein Mann, er war noch ganz jung und hatte eine schwere Operation<br />

am nächsten Tag vor sich, sicher eine Stunde lang, saß er so<br />

da, schweigend in den Holzbänken. Normalerweise habe ich um<br />

20 Uhr zugeschlossen, aber er war so in sich versunken, da habe<br />

ich in aller Ruhe gewartet. Das werde ich nie vergessen“, schildert<br />

Schwester Johanna die Bedeutung der Kapelle für das Krankenhaus.<br />

Früher kamen auch viele Anwohner aus der Nachbarschaft<br />

in den Gottesdienst in der Klinik. Später, als es immer weniger<br />

Gottesdienste gab, gingen die Schwestern ihrerseits zur Messe<br />

der Pfarrei nebenan. Überhaupt, war man hier pragmatisch eingestellt,<br />

menschlich und nahbar. Im Beichtstuhl, der mehr an eine<br />

winzige holzverkleidete Sauna erinnert, haben sie Zwiebeln gelagert.<br />

„Kühl und dunkel, optimal zur Überwinterung von Amaryllis.<br />

Zur Beichte muss sich doch niemand in diesen engen Raum<br />

zwängen, man kann doch miteinander reden, von Angesicht zu<br />

Angesicht“, erklärt Schwester Johanna.<br />

Einen Ort der Ruhe gefunden, haben die Schwestern, wie auch<br />

andere Kollegen auch auf der Dachterrasse des Gebäudes. Und<br />

einen einmaligen Blick hatten sie jedes Jahr auf das Feuerwerk<br />

beim Seenachtfest vor der Kulisse des beleuchteten Münsters.<br />

Eine sichtlich glückserfüllte Tradition, die Schwester Johanna als<br />

Fotografie, die die Nachtwachen des Krankenhauses ihr geschenkt<br />

haben, auch mit in ihr neues Zuhause in Hegne genommen hat.<br />

Das Inventar der Kapelle ist zu großen Teilen ins Kloster<br />

Zoffingen umgezogen, auch die bunten Glasfenster sollen dort ein<br />

neues Zuhause bekommen. Eine kleine Figur der Mutter Gottes<br />

stand all die Jahre im Vorgarten des Vincentius in einer kleinen<br />

Grotte. „Immer im Frühjahr habe ich sie herausgenommen und<br />

gebadet“, lacht Schwester Johanna, vielleicht selbst vom inneren<br />

Bild amüsiert, „und schön gemacht“. Sie hat ihnen viel bedeutet,<br />

dem Personal und den Anwohnern. „Immer wenn etwas war,<br />

eine schwere Entscheidung anstand,“ erzählt sie, kamen sie zu<br />

ihr, „bitte eine Kerze, Schwester Johanna“. Viele Kerzen haben sie<br />

angezündet, vor dieser Figur, die nun im Vorgarten des Klosters<br />

Zoffingen steht, an einem Platz, den man sowohl aus den Fenstern<br />

des neuen Pflegeheims sehen kann, als auch vom Aufzug aus.<br />

Auch das bedeutet ihnen viel.<br />

Was sie dem Haus, das es bald nicht mehr als Gebäude, sicher<br />

aber in vielen Herzen noch geben wird, mit auf den Weg geben<br />

wollen? Manches ist nicht in Worte zu fassen, Schwester Johanna<br />

findet dennoch welche: „Ich durfte 35 Jahre hier sein, ich war hier<br />

daheim.“<br />

Und, da die beiden Schwestern das<br />

Gelände kennen, wie kaum jemand, finden<br />

sie in einem unbemerkten Moment, ungeachtet<br />

des lückenlosen Bauzauns, den<br />

Weg und tauchen zum Unmut der Baustellenaufsicht<br />

im eingezäunten Innenhof<br />

wieder auf. Sie kennen das Haus und<br />

seine Schlupfwinkel, wie ein Zuhause<br />

und lassen es schlussendlich mit sichtlich<br />

<strong>bewegte</strong>n Gesichtern hinter sich.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Das Krankenhaus hat Miriam erstmals<br />

betreten, als es Anfang Juli 2018<br />

bereits leer stand und gerade zum<br />

Kunstobjekt für 100 Künstler wurde,<br />

die ein letztes Mal Leben, Farbe<br />

und Bewegung in die alten Mauern<br />

brachten. Ein gewiss würdiger Abschied<br />

für diesen Ort, der voll kurzer<br />

und langer Lebensgeschichten<br />

steckt.<br />

ab 05.10.18<br />

Scheffelhalle, Singen<br />

<strong>Die</strong> Reis´<br />

URAUFFÜHRUNG<br />

Schauspiel von Gerd Zahner<br />

Regie Mark Zurmühle<br />

ab 06.10.18<br />

Werkstatt<br />

Your Very Own<br />

Double Crisis<br />

Club<br />

Ein übersetztes Klagelied<br />

von Sivan Ben Yishai<br />

Regie Nicola Bremer<br />

ab 19.10.18<br />

<strong>Stadt</strong>theater<br />

Von<br />

Mäusen und<br />

Menschen<br />

Schauspiel nach John Steinbeck<br />

Regie Didi Danquart<br />

ab 20.10.18<br />

Werkstatt<br />

Eine Art<br />

Liebeserklärung<br />

Monolog von Neil LaBute<br />

Regie Oliver Vorwerk<br />

ab 03.11.18<br />

Werkstatt<br />

Der<br />

Reichsbürger<br />

Monolog von<br />

Annalena und Konstantin Küspert<br />

Regie Wolfgang Hagemann


WIE DER WALD ZU LAUFEN BEGANN<br />

92<br />

TEXT — Florian Roth<br />

ILLUSTRATION — Beni Merk<br />

Wie der<br />

Wald zu<br />

laufen<br />

begann<br />

Von frühmorgens bis spätabends, der „Loretto“ scheint immer<br />

in Bewegung zu sein. Frischluftschnaufende, grünfarbtöneaufsaugende<br />

Sportler, wohin man schaut. Bei jedem Wetter<br />

durchstreifen sie die kleineren und größeren Wege, die<br />

Konstanz’ beliebten <strong>Stadt</strong>wald wie ein Spinnennetz durchziehen.<br />

Hier ein Grüppchen Golden Girls beim Walken und<br />

Talken, dort zwei untersetzte Jogger bei der Paarlauftherapie,<br />

da hinten ein einsamer Mountainbiker am Single-Trail. Was<br />

hat die dicke Buche an der Weggabelung im Laufe der Jahrzehnte<br />

wohl schon alles gesehen? Wie viele Läufer haben in<br />

der großen Allee schon gegen die Pfunde vom Weihnachtsessen<br />

oder den Kater vom Vorabend gekämpft? Wie haben sich im<br />

Laufe der Zeit die Menschen verändert, die kreuz und quer<br />

jagen zwischen Tannenhof, Eichhornstraße und Hörnle?<br />

Gerne würde man die alten Baumriesen befragen, was sie von<br />

der ganzen Bewegung um sich herum so halten und dabei vielleicht<br />

die eine oder andere Anekdote aus ihren Wipfeln kitzeln.<br />

→<br />

EIN SPRINT DURCH DIE ZEIT<br />

MIT PETER REIHER


93<br />

WIE DER WALD ZU LAUFEN BEGANN<br />

Jugendliche wählen können. Für althergebrachte Bereiche wie<br />

die Leichtathletik führt das schnell zu Nachwuchsproblemen.<br />

Mehr Kooperationen mit Schweizer Vereinen könnten helfen,<br />

kommen aber nur langsam vom Fleck. So macht das Bodensee-Stadion<br />

am Rande des Lorettowaldes auch einen ziemlich<br />

verlassenen Eindruck. Kein Mensch auf der Aschenbahn.<br />

Bewacht von mächtigen Bäumen hält die Betonschüssel ihren<br />

Dornröschenschlaf. Nur ein, zweimal im Jahr wacht sie wirklich<br />

auf, wenn im Sommer Festivals stattfinden.<br />

Wir treffen Peter Reiher. Für ihn ist der Lorettowald seit<br />

Jahrzehnten das zweite Wohnzimmer. Hier trainierte der<br />

begeisterte Leichtathlet über lange Jahre für seine Wettkämpfe,<br />

oft mehrmals täglich. Tief atmet er die Waldluft ein. „Für<br />

mich war das immer der perfekte Ort, was will man mehr?“<br />

Aufgewachsen in der DDR, floh Reiher wenige Wochen vor<br />

dem Mauerbau 1961 in den Westen, zwei Jahre später fuhr er<br />

mit seinem Fiat für einen Ausflug an den Bodensee: „Ich<br />

wusste sofort, hier will ich bleiben, hier will ich leben.“ Bald<br />

wurde das Laufen zu Reihers großer Leidenschaft, er nahm<br />

an internationalen Wettkämpfen teil, 1970 gewann er den<br />

Hundert-Kilometer-Lauf von Biel, einige Jahre später die<br />

Europameisterschaft im Berglauf in Kitzbühel. „Dann bin ich<br />

halt in der Welt rumgezischt, Marathons gelaufen, Knochen<br />

kaputt gemacht, aber es war immer schön.“ Mindestens fünfzig<br />

Wochenenden im Jahr war er unterwegs. Unter der Woche<br />

zog er seine Runden unter dem Laubdach des Lorrettowaldes.<br />

Laufen war damals noch ein seltenes Phänomen: „Morgens<br />

im Lorettowald <strong>–</strong> keiner. Abends im Lorettowald <strong>–</strong> niemand.“<br />

Im Laufe der Zeit veränderte sich das Laufen, wurde<br />

immer populärer. An vielen Orten schossen Läufer wie Pilze<br />

aus dem Boden. „Früher gab’s in ganz Deutschland vier<br />

oder fünf Marathons im Jahr, heut an jedem Wochenende bald<br />

zehn. Der Sport hat einen ganz anderen Wert bekommen.<br />

Wenn ich früher beim Berlin-Marathon mitgelaufen bin, war<br />

das draußen an der Avus-Rennstrecke, unter Ausschluss der<br />

Öffentlichkeit. Heut ist Remmi-Demmi.“ Auch in Konstanz<br />

konnten mit Veranstaltungen wie dem Altstadtlauf, der dieses<br />

Jahr bereits zum 34. Mal stattfindet, immer mehr Menschen<br />

fürs Laufen begeistert werden.<br />

Dem Laufen ist der heute 78-Jährige stets treu geblieben,<br />

auch wenn er selbst kniebedingt irgendwann aufs Rennrad<br />

umsteigen musste. Mit dem fährt er, soweit es das Wetter irgendwie<br />

zulässt, jeden Vormittag durch das Thurgau. „Ich<br />

würde mit niemandem auf der Welt tauschen. Ich hab’ ein<br />

herrliches Leben. Keine Unfälle verschuldet, nur ein paar<br />

gebrochene Schlüsselbeine und geklaute Räder.“ Am Nachmittag<br />

berät er mit großer Freude Nachwuchssportler zum<br />

passenden Schuhwerk in seinem kleinen Laufsportladen.<br />

„Mit den Jungen kann man gut über Sport und alles Mögliche<br />

reden, mit den Alten dreht sich oft alles nur um irgendwelche<br />

Wehwehchen und Krankheiten.“ Wenn es ihm in Konstanz zu<br />

eng wird, macht er seinen Laden zu und reist für ein paar<br />

Tage nach Berlin, schnuppert ein bisschen Großstadtluft. „Als<br />

ich damals ankam in Konstanz, hatte ich meine Probleme<br />

mit der Mentalität. Manchmal hab ich mir gewünscht, es gäbe<br />

hier die Landschaft des Bodensees und die Mentalität der<br />

Berliner.“ Im Laufe der Zeit veränderte sich die <strong>Stadt</strong>, vor allem<br />

mit der Universität ist sie offener geworden. Heute kommt<br />

Reiher gern wieder zurück an seinen See, in seinen Wald, in<br />

dem er jeden Stein und jeden Baum kennt. Vom Oberdeck der<br />

Therme schaut er zu, wie sich der Lindwurm aus Läufern am<br />

Uferweg zum Hörnle schiebt. „Manche kriechen eher, aber heut<br />

laufen halt eigentlich alle, die Jungen und die Alten, die Dünnen<br />

und die Dicken, das ist doch schön!“<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Obwohl nicht mal halb so alt wie<br />

sein drahtiger Interviewpartner,<br />

musste sich Florian ganz schön<br />

ranhalten bei der gemeinsamen<br />

Runde durch den Lorettowald. Ab<br />

sofort will er seine Feierabendradler<br />

wieder häufiger durch Feierabendradeln<br />

ersetzen.<br />

Trotz des Laufbooms hat sich der Spitzensport am See<br />

zumeist recht schwer getan und das, obwohl vor allem über<br />

die Hochschulen viele junge, sportbegeisterte Menschen<br />

hierher kamen: „Viele junge Leute würden gerne in Konstanz<br />

bleiben, gerade für Sportler ist das wunderbar hier. Doch<br />

es gibt einfach zu wenige Jobs, darum ziehen sie wieder weg<br />

und für die Sportvereine ist das ein großes Problem.“ Außerdem<br />

fehlen zugkräftige Sponsoren wie Industrieunternehmen,<br />

so dass die die Sportvereine stark von einzelnen<br />

Gönnern abhängig sind. Hinzu kommt eine immer weiterwachsende<br />

Zahl an Sportarten, zwischen denen Kinder und


NEWCOMER<br />

94<br />

In der<br />

Drehung<br />

Katze, Kobra, Heuschrecke,<br />

Herabschauender Hund <strong>–</strong><br />

die Namen sind manchmal so<br />

schräg wie Bananen, machen<br />

den Körper aber gleichermaßen<br />

biegsam und den Geist ruhig.<br />

→<br />

EIN GESPRÄCH ÜBER FLEXIBLES<br />

ARBEITEN UND NEUE BEWEGUNGS-<br />

FORMEN FÜR KOPF UND KÖRPER<br />

Alexandra (30), Susanna (33)<br />

und Lisie (28) praktizieren<br />

Yoga und wünschen sich für<br />

die <strong>Stadt</strong> ein breites und offen<br />

zugängliches Angebot. Sie<br />

möchten stadtweit unterschiedliche<br />

Stile ausprobieren und<br />

sich dadurch weiterentwickeln.<br />

Aus diesem Bedürfnis heraus<br />

haben sie etwas Neues gestartet.<br />

Gemeinsam gestalten sie<br />

ihr Umfeld aktiv und sprechen<br />

darüber, wie Yoga sie bewegt,<br />

was ihnen ihr Projekt bedeutet<br />

und was es für Konstanz und<br />

Kreuzlingen bedeuten kann.<br />

TEXT — Isabel Schneider<br />

FOTOS — Michael Reiner


95<br />

NEWCOMER<br />

Ihr drei habt zusammen eine virtuelle<br />

Yogaplattform für Konstanz<br />

und Kreuzlingen gegründet.<br />

Ist das ein Schritt dahin, Arbeit<br />

zu investieren in die <strong>Stadt</strong>, in ihre<br />

Kulturlandschaft, und sich dadurch<br />

eher zuhause zu fühlen?<br />

Lisie: Für mich war lange Zeit wichtig,<br />

dass ich da, wo ich lebe, auch etwas bewege.<br />

Ich habe zum Beispiel mit Susanna<br />

zusammen die letzten zwei Jahre im K9<br />

den Dokuwinter organisiert. Das ist auch<br />

aus einem Eigenbedarf heraus entstanden.<br />

Und auch weil ich denke, wenn<br />

ich irgendwo lebe und mich bewegt ein<br />

Thema, emotional oder politisch, dann<br />

bin ich wahrscheinlich nicht die Einzige.<br />

Oftmals bin ich aber die, die am aktivsten<br />

ist, rede dauernd darüber und engagiere<br />

mich. Da sind wir alle drei eher so Macher-<br />

Typen, die sich sagen: Das ist cool, das<br />

könnte was werden, und dann machen<br />

wir das jetzt einfach.<br />

Alexandra: Da, wo man lebt, ist man<br />

nicht direkt zuhause. Ich habe das Gefühl,<br />

es kommt immer darauf an, wie viel<br />

man sich reingibt, in den Ort und in die<br />

Projekte, die da sind. In die Menschen,<br />

die da sind. Ich habe im Ausland viele<br />

Menschen kennengelernt, die sich von<br />

ihrer Heimat wegbewegt haben an einen<br />

anderen Ort, wo sie es lebenswerter empfunden<br />

haben. Da habe ich gemerkt: Es<br />

ist einfach zu fliehen. Aber wie wäre es,<br />

das, was viele suchen, selber zu kreieren<br />

an dem Ort, an dem du eigentlich wohnst<br />

und da wirklich etwas zu bewegen?<br />

Susanna: Wenn du willst, dass es ein<br />

großes Yogaangebot in deiner <strong>Stadt</strong> gibt,<br />

dann mach was.<br />

Lisie: Ich finde es unheimlich wichtig,<br />

Sachen dahin zu bringen, wo du bist<br />

und nicht immer dahin zu gehen, wo<br />

die Dinge sind. Gerade bei Themen, die<br />

deine Umwelt betreffen, oder <strong>–</strong> um Yoga<br />

reinzubringen <strong>–</strong> deinen Umgang mit<br />

deiner Umwelt, kannst du nicht darauf<br />

warten, dass es zu dir kommt. Oder<br />


NEWCOMER<br />

96<br />

<strong>Die</strong> drei Gründerinnen drehen gemeinsam<br />

an einem Ball und leben<br />

das selbstbestimmte Arbeiten,<br />

das sie sich und der Gesellschaft<br />

von Morgen wünschen.


97 NEWCOMER<br />

immer wegfahren, um an einem Festival<br />

oder einem Seminar teilzunehmen. Wenn<br />

solche Sachen hier vor Ort stattfinden,<br />

hilft dir das, sie in deinen Alltag zu integrieren.<br />

Erst wenn das alles bei dir zuhause<br />

und in deinem eigenen Kopf wirklich jeden<br />

Tag stattfindet, dann wird es echt.<br />

Alexandra: Das finde ich ein richtig<br />

schönes Bild, mit dem Örtlichen, das auch<br />

der Moment ist. Genau da hängt Yoga ein.<br />

<strong>Die</strong> Idee eurer Gründung ist,<br />

Yogastudios in der Region zu<br />

vernetzen. Denkt ihr, das trägt<br />

auch insgesamt zur Vernetzung<br />

der Yogaszene bei?<br />

Susanna: Eine richtige Yogaszene gibt<br />

es hier nicht. Es ist nicht so, dass man sich<br />

auch mal untereinander kennenlernt oder<br />

unterschiedliche Stile ausprobiert. Das ist<br />

das Coole daran, einmal lernt man unterschiedliche<br />

Stile kennen, aber auch die<br />

<strong>Stadt</strong>, die vielen kleinen Yogastudios, und<br />

vielleicht einfach neue Leute.<br />

Lisie: Ich glaube nämlich, diese Szene<br />

gäbe es, wenn es den Yogapass gibt. Denn<br />

es gibt massig Leute, die interessiert sind,<br />

lehren, lernen und sich austauschen möchten,<br />

aber die finden sich nicht. Ein<br />

Stammtisch oder etwas Ähnliches findet<br />

nicht statt. Jede Szene braucht ihren Treff,<br />

um sich auszutauschen, und um zu netzwerken.<br />

Um Sachen aufzubauen und zu<br />

verwirklichen.<br />

Alexandra: Es hat schon vorher ähnliche<br />

Projekte gegeben, aber da ging die<br />

Initiative immer zentral von einem Yogastudio<br />

aus. Darum hat das wohl nicht geklappt.<br />

Wir sind ‚neu‘ in der Szene und<br />

betreiben kein eigenes Studio. Dadurch<br />

ist das Ganze neutraler.<br />

Lisie: Das ist etwas, was dezentral<br />

funktioniert und virtuell lebt. Das Ziel ist<br />

auch, dass Gemeinschaftsveranstaltungen<br />

stattfinden können. Draußen oder drinnen.<br />

Wir wünschen uns Events mit allen<br />

von allen, bei denen dann die Yogainteressierten<br />

als Gemeinschaft zentral nach<br />

außen hin auftreten.<br />

Wie arbeitet ihr <strong>–</strong> dezentral?<br />

Trefft ihr euch, habt ihr ein<br />

gemeinsames Büro?<br />

Alexandra: Das funktioniert alles auf<br />

Whatsapp <strong>–</strong> dezentral. Aber langsam<br />

strukutrieren wir uns, oder wir versuchen<br />

es. Wir haben ein paar Apps. Wir haben<br />

Piratenpad, wir haben eine dropbox, zwei<br />

E-Mail-Adressen... es ist immer wieder<br />

Chaos. Aber wir kriegen es hin.<br />

Lisie: Wir haben wenig Erwartungen<br />

daran, wie es läuft.<br />

Alexandra: Ja! Das ist so schön.<br />

Lisie: Weil wir alle drei keine Ahnung<br />

davon haben, wie man ein Business startet.<br />

Aber wir machen das einfach und wir<br />

geben uns Mühe.<br />

Susanna: Auf dem Weg hierher dachte<br />

ich, wir haben wirklich einen straffen<br />

Zeitplan, wir sind alle viel unterwegs, jeder<br />

normale Mensch hätte dieses Treffen<br />

jetzt verschoben. Aber wir machen einfach.<br />

Und es funktioniert irgendwie.<br />

Lisie: Es funktioniert, weil wir unterschiedliche<br />

Kompetenzen haben und<br />

uns gleichzeitig keine Rollen gegeben<br />

haben. Jeder fühlt sich gleich verantwortlich.<br />

Ein Vorteil unserer Generation<br />

ist vielleicht auch das Vernetztsein. Wir<br />

müssen nicht alles können, denn wir<br />

kennen Leute, die es können. Und wir fragen<br />

eher mal um Hilfe, statt alles hinter<br />

verschlossenen Türen zu machen und<br />

die Idee nicht aus den Fingern zu lassen.<br />

Auch wenn wir das Gefühl haben, dass<br />

die Gesellschaft mehr Konkurrenz und<br />

mehr Individualismus fördert, sind wir<br />

eigentlich durch die sozialen Medien und<br />

die ganze Vernetzung viel mehr in einer<br />

Gemeinschaft als noch vor 50 Jahren <strong>–</strong><br />

das kann zu Konkurrenz führen, aber<br />

wenn du es richtig herum drehst, dann<br />

führt es zu mehr Zusammenarbeit. Das<br />

ist schon ein neues Arbeiten.<br />

Ihr arbeitet also anders als in<br />

einem herkömmlichen Job?<br />

Alexandra: Wir investieren alle unheimlich<br />

viel in das Projekt. Dabei steht<br />

bei jeder auch viel Persönliches an, alles<br />

hat seinen Rahmen und seine Zeit.<br />

Lisie: Was ich jetzt sehe, im Vergleich<br />

zu meinem alten Job, ist die Freiheit,<br />

sich selbst zu organisieren. Es gibt keine<br />

festen Bürozeiten, sondern es ist für alle<br />

ok, wenn ich nur zwei Stunden am Tag<br />

in das Projekt investiere, aber danach<br />

ein Ergebnis vorzuweisen habe, das uns<br />

voranbringt. Das habe ich persönlich in<br />

meinem Job kolossal vermisst. Das war<br />

mehr so: „Es ist gut, dass du da bist, dafür<br />

bezahlen wir dich.“ Das hat so nicht<br />

funktioniert für mich. Mein Leben kann<br />

nicht nur aus einer Sache bestehen. Es<br />

muss Platz geben. Es ist mir wichtig,<br />

entscheiden zu können, wann ich wieviel<br />

investieren möchte in etwas. Alles andere<br />

ist keine Lebensoption.<br />

Susanna: Wenn Alexandra und Lisie<br />

für unser Projekt arbeiten, dann pusht<br />

mich das. Wenn ich nur für mich arbeite,<br />

verschiebe ich eine Aufgabe schonmal.<br />

Aber für uns erledige ich das dann gerne<br />

und denke mir, die andern beiden freuen<br />

sich.<br />

Alexandra: Wir haben unter uns abgemacht,<br />

dass du dich rausziehst, wenn<br />

du gerade nicht magst oder wenn es dir<br />

zuviel ist. Dann übernimmt jemand anderes<br />

die Aufgabe. Ich fühle mich dann<br />

unterstützt und weiß, ich bin getragen in<br />

der Gruppe.<br />

Lisie: Selbstbestimmtes Arbeiten wirkt<br />

motivierend und fördert die Produktivität<br />

enorm. In die Zukunft gedacht sind wir<br />

die Arbeitgeber von morgen. Wir haben<br />

jetzt die Chance, unsere Vorstellungen<br />

von Arbeit zu verändern und dann auch<br />


NEWCOMER<br />

98<br />

unsere Arbeitswelt selbst zu erschaffen.<br />

Wir können ein Einfluss sein, wenn wir<br />

das wahrnehmen und dabei auf unsere<br />

Bedürfnisse achten.<br />

Alexandra: Wir können etwas bewegen.<br />

Lisie: Ich wünsche mir, dass die Menschen<br />

mitbekommen, dass wir anders<br />

arbeiten. Wir sind alle mehr oder weniger<br />

aus normalen Jobs rausgegangen,<br />

um das zu machen, was wir wirklich<br />

wollen. Das kann inspirieren.<br />

Alexandra: Wir fassen das auch unter<br />

den Begriff “fair business” und versuchen,<br />

das Prinzip an die Leute weiterzugeben,<br />

mit denen wir in Kontakt kommen, und<br />

es in uns selbst aufzubauen.<br />

Wie gestaltet ihr faires Arbeiten?<br />

Alexandra: Wir möchten zum Beispiel<br />

beim Sponsoring nur mit Firmen zusammenarbeiten,<br />

die selbst nachhaltig und<br />

fair arbeiten. Nur solchen Firmen möchten<br />

wir als Werbeplattform dienlich sein.<br />

Susanna: <strong>Die</strong> Zusammenarbeit mit<br />

den Yogalehrern funktioniert so, dass wir<br />

uns am Anfang mit allen getroffen und<br />

sie gefragt haben, was sie sich wünschen.<br />

Wir haben dann alle Ideen und Inputs<br />

gesammelt. Auch bei der Preisstruktur,<br />

dabei, ob es eine Gebühr geben soll,<br />

wie sich die Yogastudios an dem Projekt<br />

beteiligen, fragen wir die Yogalehrerinnen<br />

direkt und versuchen eine faire Lösung<br />

zu finden. Dadurch, dass wir selbst<br />

Yoga unterrichten, wollen wir eben auch<br />

nicht, dass der Markt kaputt gemacht wird<br />

oder sich die Yogalehrerinnen unter ihrem<br />

Preis verkaufen müssen.<br />

Alexandra: Da bringen wir eine Wertschätzung<br />

für den Beruf mit. Wir versuchen,<br />

finanziell transparent zu bleiben.<br />

Lisie: Fairness bedeutet auch, eine<br />

individuelle Lösung zu finden. Eine faire<br />

Lösung ist eben eine, die nicht pauschalisiert,<br />

sondern dem Gegenüber entspricht<br />

und auf dessen Bedürfnisse Rücksicht<br />

nimmt.<br />

Ist Yoga ein Weg, sich selbst<br />

nicht so ernst zu nehmen?<br />

Alexandra: Total! Am Anfang hatte<br />

ich das Gefühl, das ist alles super serious,<br />

super ernst. Dabei stimmt das gar nicht.<br />

Lisie: Gerade bin ich an einem Punkt,<br />

da versuche ich zu beobachten, was ich<br />

so denke, und mich dabei zu erwischen.<br />

Da gibt es diese innere Stimme, die die<br />

ganze Zeit rumquakt. Das versuche ich<br />

zu erkennen, mich bei negativen Gedanken<br />

zu ertappen, und die dann nicht so<br />

ernst zu nehmen. Mir hilft Yoga, dieses<br />

Gequake von mir zu trennen, von dem,<br />

was ich an mir mag. Es gibt diese Lisie,<br />

die mir gefällt, und es gibt die, die immer<br />

Randale macht.<br />

Alexandra: <strong>Die</strong>sen inneren Kritiker<br />

habe ich auch gut kennengelernt. Aber es<br />

wird ruhiger, wenn man auch diesen Teil<br />

von sich annimmt.<br />

Lisie: Yoga hat mich dahin gebracht,<br />

wo ich jetzt bin. Ich denke, man kann<br />

sich da rausholen, was man möchte, auch<br />

nur die Bewegung. Yoga macht einfach<br />

was mit dir, weil es so anders ist als unser<br />

normales Leben. Vom Tempo her, von<br />

den Prioritäten, von dem, über das gesprochen<br />

wird und den Gedanken, die<br />

kommen oder nicht kommen.<br />

Alexandra: <strong>Die</strong>se körperliche Bewegung,<br />

die bewegt auch dein inneres<br />

Leben. <strong>Die</strong> Körperübungen macht man<br />

einfach nur, damit der Körper dazu fähig<br />

ist, für längere Zeit in einer Asana, also in<br />

einer Körperhaltung, zu verweilen. Nur<br />

deshalb üben wir körperlich, damit wir<br />

nachher fähig sind, eine Stunde lang im<br />

Schneidersitz auf dem Boden zu sitzen.<br />

Beobachte deinen Atem <strong>–</strong> das war’s. Du<br />

bist ruhiger. Durch diese körperlichen<br />

Übungen beruhigt sich der Geist.<br />

Lisie: Dadurch, dass dein Körper in<br />

so vielen ungewohnten Positionen hängt,<br />

kannst du nur schwer an etwas anderes<br />

denken. Du musst dich konzentrieren,<br />

zentrieren, und schauen, wie sich das anfühlt.<br />

Und dabei nicht vergessen zu atmen.<br />

Da kann der Kopf schon nicht mehr. Dann<br />

ziehst du halt für eineinhalb Stunden den<br />

Stecker, klar sitzt du dann nachher anders<br />

da. Wenn wir es auf die Spitze treiben,<br />

dann könntest du wahrscheinlich auch<br />

während dem Crossfit Yoga betreiben in<br />

dem Moment, in dem du dich konzentrierst<br />

auf dich und deinen Körper und atmest,<br />

deinen Körper benutzt und es dich<br />

anstrengt. Du brauchst etwas, das dich<br />

so sehr rausreißt, dass der Kopf ausgeht.<br />

Letztlich geht es darum.<br />

Alexandra: Das ist auch das, was Adrenalinjunkies<br />

machen. Da brauchst du<br />

immer etwas Krasseres, um wieder in<br />

diesen Off-Modus zu kommen, wo einfach<br />

alles ausgeschaltet ist. Das suchen<br />

so viele, dieses Off.<br />

Lisie: Ich glaube, die Erkenntnis, dass<br />

es bei deiner Bewegung um den Off-<br />

Moment geht, das ist das Wertvolle. Im<br />

besten Fall soll Sport dich bereichern auf<br />

eine ganz unbewusste Art und Weise, weil<br />

es dir danach irgendwie besser geht.<br />

Danke für diese neue Perspektive<br />

auf Bewegung und Körperlichkeit,<br />

den Einblick in ein anderes<br />

Arbeiten und in die Entstehung<br />

eines Projekts, das Yogabegeisterte<br />

in Konstanz und Kreuzlingen<br />

näher zusammenbringt.


INTERESSANTES<br />

Susanna ist selbstständige Ernährungsberaterin.<br />

Yoga ist ihr im Zusammenhang<br />

mit Ernährung sehr wichtig, darum hat sie<br />

die Ausbildung zur Yogalehrerin gemacht.<br />

Alexandra ist ursprünglich aus Untergäri im<br />

Kanton Zug und arbeitet als Flugbegleiterin<br />

und Yogalehrerin. Ab Herbst studiert sie anthroposophische<br />

Pädagogik in Dornbach<br />

bei Basel. Lisie ist Architektin und hat vor<br />

Kurzem Ihren Job in einem Winterthurer Architekturbüro<br />

gekündigt. Jetzt überlegt sie,<br />

wie sie Arbeiten neu gestalten kann.<br />

Yogapass nennen sie ihr gemeinsames Unternehmen,<br />

das es Menschen in der Region<br />

Kreuzlingen/Konstanz ermöglicht, Unterrichtseinheiten<br />

zu buchen und diese in<br />

verschiedenen Studios mit unterschiedlichen<br />

Stilen und Schwerpunkten zu nutzen.<br />

99<br />

ZEBRA<br />

NEWCOMER<br />

KINO<br />

FESTIVAL SEASON<br />

2018<br />

15.<br />

KONSTANZER<br />

kurz.<br />

film.<br />

spiele.<br />

20. <strong>–</strong> 21. 10. 2018<br />

STADTTHEATER [KN]<br />

WWW.KURZFILMSPIELE .DE<br />

DAS KURZFILMFESTIVAL<br />

AM BODENSEE<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Isabel wollte diesen Beitrag sofort<br />

machen <strong>–</strong> Yoga, Frauen, die ein Unternehmen<br />

gründen <strong>–</strong> im Gespräch<br />

hat sie erst verstanden, wie sehr Körperlichkeit<br />

und Bewegung zu<br />

ihrem Wohlbefinden beitragen, und<br />

zwar immer schon.<br />

Sitzen, atmen, Konzentration,<br />

Fokus auf das eigene Fleisch<br />

und Blut. Es geht um Haltung<br />

beim Yoga und ganz allgemein<br />

für Alexandra, Susanna und Lisie.<br />

<strong>Die</strong> des Körpers und, die im<br />

Innen <strong>–</strong> zwei, die unweigerlich<br />

zusammenhängen.<br />

SHIVERS<br />

FILM FEST CONSTANCE<br />

22. - 27. 11. 2018<br />

ZEBRA KINO KONSTANZ<br />

WWW.SHIVERS.DE


TIPPS UMS ECK<br />

100<br />

Geheimtipps gerne an:<br />

tippsumseck@nun-magazin.de<br />

Tipps ums Eck<br />

1. Buntes Kochen für graue Tage: Bio,<br />

vegan, bunt, gesund, vielseitig und lecker<br />

<strong>–</strong> alles in einer Schüssel gibt es beim<br />

Buddha Bowl Kochkurs im Café Mondial in<br />

Konstanz. Gemeinsam in ausgelassener,<br />

entspannter Runde kreiert ihr eurer<br />

ganz individuelles Soulfood in allen Farben<br />

des Regenbogens und so, wie es<br />

euch schmeckt. Lebensmittelkosten pro<br />

Person zzgl. Kursbeitrag auf Spendenbasis.<br />

Infos und Anmeldung bis 03.10.2018:<br />

www.soulfood-nutrition.de/veranstaltungen<br />

Café Mondial<br />

Zum Hussenstein 12, Konstanz<br />

Sa, 06.10.2018, 19 <strong>–</strong> 22 Uhr<br />

2. Unbewegt menschlich: Vermenschlichte<br />

Tierwesen, maskierte Menschenwesen,<br />

Figuren in mechanischen Bewegungsabläufen:<br />

Allesamt scheinen sie damit beschäftigt,<br />

sich auf melancholisch skurrile<br />

Weise zu hinterfragen. Figuren Johannes<br />

Hepps und deren Eigenleben zwischen<br />

Ernst, Komik und scheinbarer Unbeholfenheit<br />

könnt ihr vom 12. <strong>–</strong> 21.10.2018<br />

in der Neuwerk Kunsthalle erleben. Erheiternde<br />

und zugleich bedrückende, befremdliche<br />

und doch zutiefst vertraute<br />

Facetten des alltäglichen Daseins.<br />

Neuwerk Konstanz<br />

Vernissage: Do, 11.10.2018, 20 Uhr<br />

Infos: www.kunsthalle.neuwerk.org<br />

3. Kein Katzenjammer: FATCAT sind acht<br />

Musiker aus Freiburg im Breisgau, die sich<br />

2013 als Studenten der Jazz & Rock Schule<br />

zu einer Funkband zusammengefunden<br />

haben und seit dem prallen “New Funk”<br />

durch die Kellerclubs und großen Bühnen<br />

jagen. „Korpulente Beats, stramme Horns,<br />

deftige Soli - und als Sahnehäubchen eine<br />

unvergleichliche Soul-Stimme.“ schreibt<br />

Backstage pro. Infos und Tickets:<br />

www.k9-kulturzentrum.de<br />

Kulturzentrum K9<br />

Hieronymusgasse 3, Konstanz<br />

Fr, 12.10.2018<br />

4. Südafrika rockt in Fürstenberg: Als The<br />

Parlotones sich 1998 in Johannesburg zusammenfanden,<br />

hatten sie keine Ahnung,<br />

dass sie eine der größten Rock´n Roll<br />

Storys schreiben würden, die Südafrika<br />

bis dato erlebt hatte. Über 600.000 verkaufte<br />

Alben; Gold und Platin-Auszeichnungen,<br />

Auftritte bei der WM 2010 und<br />

Konzerte in Europa, Russland, USA, Australien,<br />

Japan oder Russland. <strong>Die</strong>se Band<br />

hat einiges erlebt und bewegt.<br />

Kulturladen Konstanz<br />

Tickets gibt es direkt vor Ort<br />

oder online z.B. bei eventim.<br />

Di, 16.10.2018<br />

5. Leckereien für die Ohren: Das verspricht<br />

Punkt3 bei der Plattentaufe at Kunstraum<br />

im Kunstraum Kreuzlingen mit Musik<br />

in feinster Balance von Süße und Säure.<br />

Für jedermanns Genuss sorgen möchte<br />

der AlltagsbeköstigungsJazz als Dreigängemenü<br />

mit Saxophon, Bass und Schlagzeug.<br />

<strong>Die</strong> schmackhafteste Melange seit<br />

der Erfindung des Jazz.<br />

Kunstraum Kreuzlingen<br />

Bodanstrasse 7A, Kreuzlingen<br />

Infos und Karten www.punktdrei.ch<br />

So, 21.10.2018 von 16 <strong>–</strong> 23 Uhr<br />

6. In größeren Dimensionen gedacht:<br />

Leichtgewichtigen Wissenskonsum gibt es<br />

beim Cosmic Talk im Kosmos an der Europaallee<br />

in Zürich. Einmal im Monat<br />

stellt sich Ben Moore, der Astrophysik<br />

an der Universität Zürich lehrt sowie<br />

als Buchautor und Kolumnist tätig ist,<br />

den banalen und unendlichen Rätseln<br />

der Wissenschaft und unseres irdischen<br />

Daseins. Eine humorvolle und unterhaltsame<br />

Reise durch aktuelle Forschungsergebnisse<br />

und technischen Fortschritt mit<br />

dem Popstar der Astrophysik im Kosmos.<br />

Kosmos Zürich<br />

Lagerstrasse 104, 8004 Zürich<br />

Karten und Infos unter:<br />

www.kosmos.ch/programm/reihen<br />

18.10.2018, 15.11.2018, 20.12.2018<br />

jeweils um 20.30 Uhr<br />

7. Street Art: In der vhs-Galerie präsentiert<br />

der Konstanzer Graffiti Künstler<br />

Emin Hasirci alias RUSL unter dem<br />

Titel further aktuelle Arbeiten auf Leinwand.<br />

Emin hat gemeinsam mit der<br />

<strong>Stadt</strong> Konstanz schon Projekte wie das<br />

partizipative, den <strong>Stadt</strong>raum aufwertenden<br />

Urban-Art-Kunstevent an der<br />

historischen Marktstätte durchgeführt.<br />

Vom 06.10. <strong>–</strong> 01.12.2018 gibt es zum<br />

ersten Mal seine Arbeiten in Konstanz in<br />

einer Einzelausstellung zusehen.<br />

VHS Galerie Konstanz<br />

Katzgasse 7, 78462 Konstanz<br />

Weitere Infos auf www.rusl1.de<br />

06.10. <strong>–</strong> 01.12.2018<br />

8. 83 Begegnungen beim gemeinsamen<br />

Essen: Menschen kennenlernen und dich<br />

ungezwungen austauschen? Auf eine besonders<br />

feine Weise, kannst du das im<br />

Rahmen vom Projekt „83 integriert“. Es<br />

gibt nämlich etwas, das neben Lachen,<br />

alle Menschen gerne tun: Essen. Deshalb<br />

kann es auch die perfekte Basis für neue<br />

Begegnungen sein: Ganz egal, ob früh<br />

oder spät, Kaffeekränzchen oder Teestunde,<br />

im Garten, der eigenen oder einer<br />

öffentlichen Küche, ob als Gastgeber<br />

oder Gast. Bis zum 11.11.2018 läuft die<br />

Aktion „Zsamme schmeckts bessr“.<br />

Café Mondial<br />

Zum Hussenstein 12, Konstanz<br />

Anmeldung bis zum 11.11.2018<br />

Infos unter: www.83integriert.de


101<br />

TIPPS UMS ECK<br />

Konstanz<br />

4<br />

Wollmatinger Straße<br />

Oberlohnstraße<br />

2<br />

Reichenaustraße<br />

Schänzlebrücke<br />

Rhein<br />

Reichenaustraße<br />

Theodor-Heuss-Straße<br />

Mainaustraße<br />

Seerhein<br />

Fahrradbrücke<br />

Europastraße<br />

8<br />

Grenzbachstraße<br />

1<br />

3<br />

Obere Laube Untere Laube<br />

7<br />

Rheinbrücke<br />

Bodensee<br />

TIPPS — Gesamte Redaktion<br />

LANDKARTE — Isabell Schmidt-Borzel<br />

Kreuzlinger Str.<br />

Unterseestrasse<br />

Kreuzlingen<br />

Tägerwilerstrasse<br />

Konstanzertrasse<br />

6<br />

Bahnhofstrasse<br />

Hauptstrasse<br />

5<br />

Egelseestrasse<br />

Hauptstrasse<br />

Hafenstrasse<br />

Seetalstrasse


TOLLE MENSCHEN<br />

102<br />

D a n k e<br />

Alexander Reb Korrektorat. Amanda Shala Text.<br />

Amelie Köppl Text. Anja Mai Fotografie. Anna<br />

Büschges Akquise. Anna Maria Kiosse Illustration.<br />

Anna Martinez Rodriguez, Kulturamt Konstanz Planung<br />

Release und Ausstellung. Anton Ehling Text. Aylin<br />

Öngün Text. Barbara Marie Hofmann Text. Beni<br />

Merk Illustration. Benjamin Nieberle Technischer<br />

Support. Caroline Weigele Text. Christina<br />

Reck Cover-Illustration. Christine Zureich Text.<br />

Cornelia Ludwig Text. Daniel Etbühler Text.<br />

Dorena Raggenbass, <strong>Stadt</strong> Kreuzlingen Support.<br />

Stefan Lohwasser, Druckhaus Müller OHG Betreuung der<br />

Extraklasse. Eva Hunger Coaching. Florian Roth<br />

Text. Florian Schwarz Fotografie. Frédéric<br />

Bosshard Text. Frida Interview. Hanna Keuerleber<br />

Siebdrucke. Heike Meyer Text und Korrektorat. Ines<br />

Njers Fotografie. Inken Barz Illustration. Isabel<br />

Schneider Text und Juristische Beratung. Isabell<br />

Schmidt-Borzel Infografik und Reinzeichnung.<br />

Isabelle Caroline Lips Korrektorat. Jeannine<br />

Pfaffe Einarbeitung Akquise. Jehona Miftari Text.<br />

Jette-Marie Schnell Fotografie. Jörg Straub<br />

Fahrradkurier und Film. Julia Stepper Fotografie.<br />

Katharina Brenner Text. Konrad Interview.


103 TOLLE STADT<br />

Luisa Johannes Akquise, Text. Lukas Letsche<br />

Kooperation und Siebdrucke. Mandy Krüger Text.<br />

Manuel Fleig Fotografie und Siebdruck.<br />

Manuel Güntert Text. Manuel Gussmann<br />

Fotografie. Marc-Julien Heinsch Text.<br />

Marcel Kantimm, Hanix Magazin Expertise. Marco<br />

Böhme, faktor Magazin Expertise. Markus Schwer<br />

Fotografie. Matthias Hiestand Text. Mia Schmid<br />

Illustration. Mika Jaoud Fotografie. Michael<br />

Lünstroth Text und Expertise. Michael Reiner<br />

Fotografie. Niklas Knezevic Film. Regine Weißinger<br />

Support Förderungen. Regula Kreis Fotografie.<br />

Simon Wippich Infotext. Simone Warta Korrektorat.<br />

Stefan Gritsch Film. Stephanie Kaiser<br />

Korrektorat. Tanja Hofmann Akquise. Thomas<br />

Küttner, Druckhaus Müller OHG Druckvorstufe. Tobias<br />

Hausmann Fotografie. Tom Hegen Fotografie.<br />

Tomasz Robak Sprecher und Film. Torben Nuding<br />

Text. Verena Greiß Text. Veronika Fischer Text.<br />

Yannic Seitz, HTWG Konstanz Technischer Support<br />

Tonstudio. Yasmin Auerswald Text.<br />

Wir danken allen, die uns Fachwissen und Leidenschaft geschenkt haben, für Greifbares und Unbegreifliches<br />

und ungebremste Unterstützung. Wir danken unseren Anzeigenkunden, die Teil der Geschichten der <strong>Stadt</strong> sind<br />

und vor allem allen, die das <strong>NUN</strong>, lesen, darin schmökern, es teilen und ihren Nachbarn schenken.<br />

Auch für zahlreiche Mails, Briefe, Online-Bewertungen, Einladungen und Besucher, die uns erreicht haben,<br />

möchten wir uns von Herzen bedanken. Ihr seid alle ein Stückchen <strong>NUN</strong>,.


IMPRESSUM<br />

104<br />

<strong>NUN</strong>, Magazin<br />

Ausgabe 2/Spätsommer 2018<br />

Druck:<br />

Druckhaus Müller, Langenargen<br />

Herausgeber & Redaktion:<br />

Annabelle Höpfer, Miriam Stepper<br />

Art Direktion, Layout:<br />

Annabelle Höpfer<br />

Layout, Reinzeichnung:<br />

Isabell Schmidt-Borzel<br />

Autoren:<br />

Amanda Shala, Amelie Köppl, Anton Ehling,<br />

Barbara Marie Hofmann, Caroline Weigele, Christine<br />

Zureich, Florian Roth, Frédéric Bosshard, Heike<br />

Meyer, Isabel Schneider, Katharina Brenner, Luisa<br />

Johannes, Mandy Krüger, Manuel Güntert, Marc-<br />

Julien Heinsch, Matthias Hiestand, Michael Lünstroth,<br />

Miriam Stepper, Torben Nuding, Verena Greiß,<br />

Veronika Fischer, Yasmin Auerswald<br />

Fotografen & Illustratoren:<br />

Anja Mai, Anna Maria Kiosse, Annabelle Höpfer,<br />

Beni Merk, Familie Gebauer, Florian Schwarz,<br />

Flughafen GmbH, Ines Njers, Isabell Schmidt-Borzel,<br />

Jette-Marie Schnell, Manuel Gussmann, Mia<br />

Schmid, Mika Jaoud, Michael Reiner, Miriam Stepper,<br />

Regula Kreis, Tobias Hausmann, Tom Hegen<br />

Titelmotiv:<br />

Christina Reck<br />

Bewegungsillustration S.4:<br />

Anna Maria Kiosse<br />

Foto Editorial:<br />

Julia Stepper<br />

Korrektorat:<br />

Alexander Reb, Heike Meyer, Isabelle Caroline Lips,<br />

Simone Warta, Stephanie Kaiser<br />

Papier:<br />

Papier Inhalt: 100 g/m² h`frei weiß Maxi Offset<br />

Papier Umschlag: 250 g/m² h`frei weiß Maxi Offset<br />

Schriften:<br />

Practice (Optimo), Moderat (Tighttype)<br />

Auflage:<br />

3.000 Stück<br />

Copyright:<br />

Alle enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Ein Nachdruck der Texte und Fotos<br />

des <strong>NUN</strong>, Magazins <strong>–</strong> auch im Internet <strong>–</strong> ist nur mit<br />

schriftlicher Genehmigung des Herausgebers<br />

gestattet. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen<br />

Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung der<br />

Herausgeber strafbar.<br />

Gönnerabo:<br />

Du findest <strong>NUN</strong>, wertvoll und möchtest etwas<br />

zurückgeben? Unter www.nun-magazin.de/goenner<br />

kannst du ein Gönnerabo erwerben.<br />

Anzeigenanfragen:<br />

-> anzeigen@nun-magazin.de<br />

Kontakt:<br />

Grafikstudio Annabelle Höpfer<br />

Brauneggerstr. 34a<br />

D<strong>–</strong>78462 Konstanz<br />

www.nun-magazin.de / www.nun-magazin.ch<br />

-> mail@nun-magazin.de<br />

<strong>NUN</strong>, #3 erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2019<br />

unter dem Titelthema Zehnfingerhelden und widmet<br />

sich den Händen als Wunderwerkzeug in unterschiedlichsten<br />

Bereichen.<br />

Anzeigenakquise:<br />

Anna Büschges, Luisa Johannes, Jeannine Pfaffe,<br />

Mandy Krüger, Tanja Hofmann


<strong>NUN</strong> ist<br />

Schluss.<br />

Ran an<br />

die Jobs.<br />

Wir sind der Marktführer für Klinik-Informationssysteme für das<br />

Schweizer Gesundheitswesen, unseren Sitz haben wir hier in Konstanz.<br />

Als offenes, innovatives Unternehmen bieten wir attraktive Arbeitsbedingungen,<br />

ein hochmodernes Umfeld und ein entspanntes Arbeitsklima.<br />

Bist du bereit, dich für uns ins Zeug zu legen?<br />

Mehr Einblick und Informationen findest du auf:<br />

www.arbeitenbeiines.de<br />

Klinik-Informationssystem<br />

für das Schweizer<br />

Gesundheitswesen → Made in Konschtanz

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