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NUN, #4 – Wildwuchs

Ausgabe Nr. 4 Wildwuchs Release 26. September 2019 Auflage 3.000 Exemplare Sonderedition s/w auf Naturpapier Druck: Vereinzelte Farbbögen im Zufallsmix Print bestellen: www.nun-magazin.de/goenner Liebe Leserinnen und Leser, Natur und wuchernde Wildnis – Worte die man eher farbtrunken und bunt vor Augen hat. Uns haben sie dazu inspiriert, diese Vielfalt in eine schwarz-weiße Sonderausgabe zu packen. Das vierte Heft feiert den Wildwuchs. Den, der uns umgibt und den, der in uns keimt und stetig neue Ideen aufblühen lässt. Da wirken unzähmbare Kräfte, und doch mag es uns in digitaler Allmächtigkeit bisweilen erscheinen, als würde die Welt durch Menschenhand bewegt, als hätten wir sie fest im Griff. Dann genügt eines dieser zunächst unscheinbaren Sommergewitter und schon sehen wir, wie die Natur mit dem kleinen Finger über alles hinwegfegt, das wir eben noch unter Kontrolle hatten. Wildwuchs, das sind Wind und Wetter, Sehnsüchte und Möglichkeiten, die in unseren Köpfen tanzen oder ruhen. Ein Mond, der die Weltmeere bewegt, bewegt auch uns. Körper und Erde sind die gleichen Elemente. Als Menschen verändern wir die natürliche Umgebung seit jeher, greifen ein und formen sie, wie der (fotografische) Blick von oben sichtbar macht. Und nicht weniger Einfluss übt die Natur auf uns aus, lässt uns das Klima in Nuancen bis in den kleinsten Zeh spüren. Oder wiegt uns im See wie ein Ruhepo(o)l. Mit all seinen Zuständen, Farben und Einflüssen. Vom Schänzle bis zur Tägerwiler Badi verschwimmen wir selig treibend die Grenzen. Da, wo die Stadt sich das Land krallt, setzen wiederum Menschen Keimgut in die urbanen Fugen und begrünen so manchen toten Winkel mit neuem Moos. Eine hierzulande sehr bekannte Weinsorte ist nicht nur Natur aus dem Labor, sondern auch der rankende Beweis für schmackhafte Züchtung. Und dazwischen stets die Frage: Sind Grenzen der Versuch, den wilden Wuchs zu zähmen oder braucht alles Schöne sein graues Gegenstück? Lest selbst und vor allem, stellt Fragen, denn sie sind die Samen für spätere Ernte. Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen. Annabelle Höpfer und Miriam Stepper

Ausgabe Nr. 4
Wildwuchs
Release 26. September 2019
Auflage 3.000 Exemplare
Sonderedition s/w auf Naturpapier
Druck: Vereinzelte Farbbögen im Zufallsmix
Print bestellen: www.nun-magazin.de/goenner

Liebe Leserinnen und Leser,

Natur und wuchernde Wildnis – Worte die man eher farbtrunken und bunt vor Augen hat. Uns haben sie dazu inspiriert, diese Vielfalt in eine schwarz-weiße Sonderausgabe zu packen. Das vierte Heft feiert den Wildwuchs. Den, der uns umgibt und den, der in uns keimt und stetig neue Ideen aufblühen lässt. Da wirken unzähmbare Kräfte, und doch mag es uns in digitaler Allmächtigkeit bisweilen erscheinen, als würde die Welt durch Menschenhand bewegt, als hätten wir sie fest im Griff. Dann genügt eines dieser zunächst unscheinbaren Sommergewitter und schon sehen wir, wie die Natur mit dem kleinen Finger über alles hinwegfegt, das wir eben noch unter Kontrolle hatten. Wildwuchs, das sind Wind und Wetter, Sehnsüchte und Möglichkeiten, die in unseren Köpfen tanzen oder ruhen. Ein Mond, der die Weltmeere bewegt, bewegt auch uns. Körper und Erde sind die gleichen Elemente.
Als Menschen verändern wir die natürliche Umgebung seit jeher, greifen ein und formen sie, wie der (fotografische) Blick von oben sichtbar macht.
Und nicht weniger Einfluss übt die Natur auf uns aus, lässt uns das Klima in Nuancen bis in den kleinsten Zeh spüren. Oder wiegt uns im See wie ein Ruhepo(o)l. Mit all seinen Zuständen, Farben und Einflüssen. Vom Schänzle bis zur Tägerwiler Badi verschwimmen wir selig treibend die Grenzen.
Da, wo die Stadt sich das Land krallt, setzen wiederum Menschen Keimgut in die urbanen Fugen und begrünen so manchen toten Winkel mit neuem Moos. Eine hierzulande sehr bekannte Weinsorte ist nicht nur Natur aus dem Labor, sondern auch der rankende Beweis für schmackhafte Züchtung. Und dazwischen stets die Frage: Sind Grenzen der Versuch, den wilden Wuchs zu zähmen oder braucht alles Schöne sein graues Gegenstück?
Lest selbst und vor allem, stellt Fragen, denn sie sind die Samen für spätere Ernte. Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen.

Annabelle Höpfer und Miriam Stepper

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AUSGABE 4<br />

SPÄTSOMMER 2019<br />

<strong>Wildwuchs</strong><br />

Ein Magazin für Konstanz und Kreuzlingen


Warum ist dieses <strong>NUN</strong>, schwarz-weiß und<br />

auf Naturpapier gedruckt?<br />

Wir haben uns die Frage gestellt:<br />

Was brauchen wir beim Gestalten wirklich?<br />

Ist Farbe notwendig oder können wir an<br />

dieser Stelle Ressourcen einsparen und<br />

stattdessen in Naturpapier investieren?<br />

Du siehst hier ein <strong>NUN</strong>, bei dem verschiedenfarbige<br />

Bögen wild und zufällig<br />

in die Druckmaschine gemischt wurden.<br />

JedesHeft ist einzigartig. Für uns ist diese<br />

Sonderausgabe der Versuch bewusster<br />

Reduktion und bewussten Umgangs mit der<br />

Natur und dem Luxus der Möglichkeiten.<br />

Was denkst du?<br />

Nicht nur zum Thema Farbe oder keine.<br />

Auch zum Projekt <strong>NUN</strong>, <strong>–</strong> denn als ehrenamtlich<br />

entstehendes Magazin ist eure<br />

Rückmeldung für das gesamte Team nicht<br />

nur sehr wertvoll, sondern auch eine<br />

Möglichkeit zur (natürlich ebenso kritischen)<br />

Wertschätzung.<br />

Schreib uns an: mail@nun-magazin.de<br />

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es uns, auch neue Ideen und Ableger wachsen<br />

zu lassen.<br />

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1<br />

EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen und Leser!<br />

Natur und wuchernde Wildnis <strong>–</strong> Worte die man eher farbtrunken und bunt vor Augen hat. Uns haben sie dazu<br />

inspiriert, diese Vielfalt in eine schwarz-weiße Sonderausgabe zu packen. Das vierte Heft feiert den <strong>Wildwuchs</strong>.<br />

Den, der uns umgibt und den, der in uns keimt und stetig neue Ideen aufblühen lässt.<br />

Da wirken unzähmbare Kräfte, und doch mag es uns in digitaler Allmächtigkeit bisweilen erscheinen, als würde<br />

die Welt durch Menschenhand bewegt, als hätten wir sie fest im Griff. Dann genügt eines dieser zunächst unscheinbaren<br />

Sommergewitter und schon sehen wir, wie die Natur mit dem kleinen Finger über alles hinwegfegt,<br />

das wir eben noch unter Kontrolle hatten. <strong>Wildwuchs</strong>, das sind Wind und Wetter, Sehnsüchte und Möglichkeiten,<br />

die in unseren Köpfen tanzen oder ruhen. Ein Mond, der die Weltmeere bewegt, bewegt auch uns. Körper und<br />

Erde sind die gleichen Elemente. Als Menschen verändern wir die natürliche Umgebung seit jeher, greifen ein und<br />

formen sie, wie der (fotografische) Blick von oben sichtbar macht. Und nicht weniger Einfluss übt die Natur auf uns<br />

aus, lässt uns das Klima in Nuancen bis in den kleinsten Zeh spüren. Oder wiegt uns im See wie ein Ruhepo(o)l.<br />

Mit all seinen Zuständen, Farben und Einflüssen. Vom Schänzle bis zur Tägerwiler Badi verschwimmen wir selig<br />

treibend die Grenzen.<br />

Da, wo die Stadt sich das Land krallt, setzen wiederum Menschen Keimgut in die urbanen Fugen und begrünen<br />

so manchen toten Winkel mit neuem Moos. Eine hierzulande sehr bekannte Weinsorte ist nicht nur Natur aus<br />

dem Labor, sondern auch der rankende Beweis für schmackhafte Züchtung. Und dazwischen stets die Frage: Sind<br />

Grenzen der Versuch, den wilden Wuchs zu zähmen oder braucht alles Schöne sein graues Gegenstück?<br />

Lest selbst und vor allem, stellt Fragen, denn sie sind die Samen für spätere Ernte.<br />

Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen.<br />

Annabelle Höpfer und Miriam Stepper


INHALT<br />

2<br />

6<br />

Wurzelgemüse,<br />

Wildkräuter<br />

und Honigwaben.<br />

Heute Essen wie damals<br />

14<br />

Trockenübung<br />

Zur Bedeutung des Wassers<br />

in uns und um uns herum<br />

27<br />

Bauanleitung<br />

Trockentoilette<br />

36<br />

nach dem baden<br />

Aktgedicht<br />

38<br />

Wer Müller sagt,<br />

muss auch<br />

Thurgau sagen<br />

oder die Geschichte<br />

von Steckling 58<br />

28<br />

Esst mehr krummes Obst<br />

Liebe geht durch den Samen<br />

16<br />

Was ist eigentlich Natur?!<br />

Antworten im O-Ton der<br />

Erwachsenen von Morgen<br />

22<br />

Geheime Gärtlein<br />

Poetische Interventionen<br />

in der Stadt<br />

30<br />

Alpstein <strong>–</strong> Ansturm<br />

und Abgeschiedenheit<br />

Zwei, die miteinander gehen<br />

42<br />

Ein <strong>Wildwuchs</strong> gegen<br />

sich selbst und der Trost<br />

der Trostlosigkeit<br />

Der Mensch,<br />

ein Grenzüberschreiter<br />

Inhalt


3<br />

INHALT<br />

50<br />

Stadtpoesie<br />

90<br />

Wundertüte<br />

Er, sie, es sucht und findet<br />

54<br />

2000 Watt<br />

Gegen den Strom schwimmen<br />

60<br />

Perspektive<br />

Fotografie<br />

64<br />

Von einer, die auszog,<br />

den Rückweg zu lieben<br />

Erfahrungsbericht<br />

aus 7.000 Kilometern Entfernung<br />

70<br />

Schwanenbahnen<br />

Zwei Meister ihrer Disziplin beim<br />

Fototermin zum Trockenschwimmen<br />

74<br />

Ein Baumpfad schleicht<br />

sich in die Ohren<br />

Zwei Wurzelwichte erzählen von ihrer<br />

Reise ins grüne Herz der Stadt<br />

78<br />

Die Illusion der<br />

natürlichen Vielfalt<br />

Ein Gespräch zwischen Bäumen<br />

82<br />

die grüne kuppel<br />

Stadtprosa<br />

86<br />

Newcomer<br />

Kaffee, Kühe und Kompostklo <strong>–</strong> Ruhe<br />

und Kuchen in tierischer Gesellschaft<br />

92<br />

Tipps ums Eck<br />

Orte und Momente<br />

94<br />

Danke<br />

96<br />

Impressum<br />

96 Seiten Liebe<br />

zur Stadt und<br />

pures Vergnügen.<br />

Ein saisonales<br />

Produkt mit regionalem<br />

In- und<br />

Output.


WILDWUCHS 4


5 WILDWUCHS<br />

Dieses große, runde, blaue Ding. Die Natur<br />

in geballter Form <strong>–</strong> ein Planet voll grüner,<br />

saftiger Wiesen und Felder, trockener, sandiger<br />

Wüste, endlichen Eisschichten, scharfkantigen<br />

Felsen in der Brandung. Unsere Lebensgrundlage,<br />

ein perfektes, undurchschaubares,<br />

feingliedriges Gefüge, in dem wir allerhöchstens<br />

eine winzige Ameise sind. Es ist brandheißes<br />

Thema in diesen Tagen, das Klima und<br />

die wuchernden Ideen, wie wir das Desaster,<br />

das wir mitverursacht haben, eindämmen oder<br />

gar umkehren können. Was wir aber zwischen<br />

all dem zeigen möchten, ist die pure Energie,<br />

die unser Lebensumfeld für uns bedeutet.<br />

Wir leben in einer grünen Oase voll Pracht<br />

und Fülle, Essbares wächst an unzähligen<br />

Bäumen und Sträuchern frei zugänglich.<br />

Da hängen wilde Brombeeren, Hollerblüten im<br />

Überfluss, Nüsse, die unsere Velos knacken,<br />

Fische und trinkbares Süßwasser. Alles da und<br />

mehr als genug davon. Auf wenigen Quadratkilometern<br />

blühen sämtliche Farben des Regenbogens,<br />

leuchtet schneebedecktes Alpenpanorama,<br />

wartet fruchtbares Ackerland, Bäume,<br />

Sümpfe und eine riesige, randvolle Badewanne.


WURZELGEMÜSE, WILDKRÄUTER UND …<br />

6<br />

Wer schon immer mal wissen wollte, wie vor Tausenden von Jahren gekocht<br />

und gegessen wurde, wird fündig in Dingelsdorf. Dort lässt es sich speisen<br />

wie zur Steinzeit. Mit Zutaten aus heimischen Feldern und Wäldern sowie<br />

Werkzeugen und Keramik wie aus den steinzeitlichen Pfahlbaudörfern am<br />

Bodensee wird über dem offenen Feuer gekocht. Experimentelle Archäologie<br />

nennt sich das und eignet sich gleichermaßen für Forscherinnen und<br />

Feinschmecker.


7 WURZELGEMÜSE, WILDKRÄUTER UND …<br />

Wurzel<br />

gemüse,<br />

Wild<br />

kräuter<br />

und<br />

Honig<br />

waben<br />

.<br />

→<br />

HEUTE ESSEN WIE DAMALS


WURZELGEMÜSE, WILDKRÄUTER UND …<br />

8<br />

TEXT — Veronika Fischer<br />

FOTO — Giorgio & Louise Krank<br />

Es ist Abend. Die Luft des Sommers<br />

schwirrt über den Spitzen des goldgelben<br />

Grases, Bienen summen. Dazwischen<br />

stapfen ein paar Schäfchen mit rundgebogenen<br />

Hörnern durch die Wiesen. Mittendrin<br />

sitzen Menschen um ein Feuer. Sie<br />

lachen, erzählen sich Geschichten und<br />

warten auf das gemeinsame Essen. In der<br />

Glut steht ein Topf mit einem nahrhaften<br />

Eintopf. Ein Bild, so alt wie die Menschheit<br />

selbst. Auch das Rezept für den Eintopf<br />

1 existiert bereits mehrere tausend<br />

Jahre.<br />

Dass wir im Heute sind, merkt man nur daran,<br />

dass die Menschen Trekkingschuhe<br />

tragen und ab und zu ein Foto mit ihrem<br />

Handy machen. Ansonsten scheint die<br />

Welt zeitlos in diesem Moment. Als würde<br />

sie nichts ahnen von der Klimakrise,<br />

vom Bienensterben und vom Plastik in<br />

den Weltmeeren. Gerade wirkt es, als<br />

könne sie nichts aus der Bahn werfen.<br />

Es herrscht eine Ruhe, als wäre es schon<br />

immer so gewesen.<br />

Den Pfahlbaustall kann man von der Straße<br />

aus sehen, wenn man in Richtung Dingelsdorf<br />

unterwegs ist. Hier schlafen Herberts<br />

Schäfchen.<br />

Es ist ein besonderer Ort <strong>–</strong> man ahnt es<br />

schon, wenn man sich ihm nähert. Die<br />

kleinen Schafe grasen um einen Stall herum,<br />

der wirkt, als wäre er aus der Zeit<br />

gefallen, da er den alten Pfahlbauten nachempfunden<br />

ist. Diese Holzhäuser auf Stelzen<br />

über dem Wasser machten vor 6.000<br />

Jahren hier rund um den Bodensee über<br />

100 Siedlungen aus.<br />

Das erzählt der Gastgeber am Lagerfeuer.<br />

Herbert: Bart, Gummistiefel, fester Händedruck,<br />

donnernde Stimme. Er weiß, wie<br />

man Feuer macht und Bäume fällt, daran<br />

besteht kein Zweifel, wenn man ihn sieht.<br />

Verblüffend ist dann aber, wie schnell er<br />

Feuer macht. Zwei Schläge auf einen Stein<br />

und der Funke ist entzündet. Herbert lacht,<br />

denn das ist eine seiner leichtesten Übungen.<br />

Er ist Steinzeitexperte und seine<br />

Geschichte als solcher beginnt vor fast<br />

sechzig Jahren, als er nach der Schule in<br />

Wallhausen einen alten Mann auf dem<br />

Heimweg von der Schule beobachtete,<br />

der Dinge am Ufer sammelte. Was aussah,<br />

1<br />

Linsen, Einkorn, Emmer, Dinkel und<br />

Gerste am Vortag in Wasser einweichen.<br />

Gemüsebrühe aus wilden Möhren, Pilzen,<br />

Zwiebeln und Salz ansetzen. Die Getreidemasse<br />

hinzugeben, köcheln lassen.<br />

Den entstehenden Schaum abschöpfen,<br />

er färbt den Eintopf grau. Bohnen und<br />

Erbsen hinzugeben, ziehen lassen.


9<br />

WURZELGEMÜSE, WILDKRÄUTER UND …<br />

wie gewöhnliche Steine, waren aber Relikte<br />

von Bewohnern eines Steinzeitdorfs:<br />

Scherben von Töpfen, Spitzen von Pfeilen,<br />

Schlagsteine, Beile. Dinge, die vor Tausenden<br />

von Jahren zum Alltag der Menschen<br />

hier am See gehörten. Der kleine Herbert<br />

begann selbst zu suchen und fand schon<br />

am ersten Tag zwei Pfeilspitzen. Diese Begeisterung<br />

für eine Welt in einer anderen<br />

Zeit hat ihn bis heute nicht mehr verlassen.<br />

Bislang hat Herbert mehr als 5.000 Oberflächenfunde<br />

gesammelt. Wenn das Wasser<br />

im Winter zurückgeht, spült der See in<br />

jedem Jahr eine neue Erdschicht frei, in<br />

der die Funde über die Jahrtausende konserviert<br />

wurden. An Land wären sie schon<br />

lange zu Staub zerfallen, hier am Bodensee<br />

kommen sie Schicht um Schicht zum<br />

Vorschein.<br />

Am Wasser entlang laufen, den Blick<br />

schweifen lassen, die Ruhe spüren, das ist<br />

für Herbert Entspannung. Mittlerweile ist<br />

er Rentner, seinem Beruf als Koch geht er<br />

aber immer noch nach. Vor sechs Jahren<br />

hatte er nämlich eine Idee. Er wollte Menschen<br />

mit seiner Leidenschaft in Berührung<br />

bringen, sie für die Steinzeit begeistern.<br />

Für die Fundstücke, die im Dingelsdorfer<br />

Museum liegen, für den Pfahlbauverein.<br />

Für die Erkenntnisse und das Wissen,<br />

das er sich angeeignet hat, Jahr um<br />

Jahr, Fundstück um Fundstück. Er weiß,<br />

wie die Menschen in der Spätsteinzeit<br />

lebten, wie sie jagten, was sie aßen. Und<br />

dieses Wissen will er weitergeben. Als<br />

Koch ist ihm natürlich klar, wie das funktioniert:<br />

Liebe geht ja bekanntlich durch<br />

den Magen …<br />

Also begann Herbert zu kochen wie in der<br />

Steinzeit. Mit Gefäßen, die er anhand der<br />

am Ufer gefundenen Scherben nachtöpfern<br />

ließ. Mit ursprünglichen Zutaten.<br />

Mit Werkzeugen, die er selbst anfertigte.<br />

Er lernte Birkenteer zu kochen, den Allzweckkleber<br />

der Steinzeit, und bemerkte,<br />

dass die Menschen vor 6.000 Jahren<br />

all das, was seine Hobbys ausmacht, zum<br />

Überleben brauchten: Sie gingen zur Jagd<br />

und imkerten <strong>–</strong> genau wie Herbert. Gejagt<br />

wurde damals mit Pfeil und Bogen,<br />

also lernte er auch das und positioniert<br />

mittlerweile die Pfeile mit höchster Präzision<br />

am Zielobjekt. Geimkert wurde damals<br />

in hohlen Baumstämmen, auch sie<br />

sind Funde aus dem See. Herbert tauschte<br />

einige seiner Bienenkästen gegen das<br />

Steinzeitmodell und stellte fest: So gehaltene<br />

Bienen sind nahezu zahm, und<br />

man kann sich ihnen ohne Imkeranzüge,<br />

Rauch und Bedenken nähern.<br />

All diese Bestandteile fügte Herbert zusammen,<br />

und sie wurden Teil eines Konzeptes:<br />

Das Steinzeitdinner war erfunden.<br />

Hinzu kamen Sabine und Katrin aus dem<br />

Pfahlbauverein, und gemeinsam wurde ein<br />

Event geschaffen: Sabine ist für die Kräuterwanderung<br />

verantwortlich. Von ihr<br />

lernt man, was am Wegesrand wächst<br />

und essbar ist. Wilde Möhre, Schafgarbe,<br />

Wiesenknopf, Rotklee, Majoran, Wiesenlabkraut,<br />

Löwenzahn, Spitzwegerich,<br />

→<br />

Etwas, das sich aus heutiger Perspektive<br />

wie Steinzeit anfühlt, aber keineswegs<br />

so alt ist, ist das Fotografieren mit einer<br />

analogen Kamera. In diesem Fall einer<br />

Hasselblad 500 cm.<br />

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WURZELGEMÜSE, WILDKRÄUTER UND …<br />

10<br />

Herbert ist leidenschaftlicher Imker.<br />

Bei seinem Steinzeitbienenprojekt<br />

kann er sich dem Volk ohne Rauch und<br />

Schutzanzug nähern (siehe Titelbild) <strong>–</strong><br />

die Bienen sind viel ruhiger als in den<br />

heutzutage gebräuchichen Kästen.


11<br />

week<br />

end<br />

store<br />

Die Heidschnucken sehen dem<br />

Urschaf, das bereits in der Steinzeit<br />

gehalten wurde, sehr ähnlich.<br />

TAM TAM<br />

weekend-store<br />

Hohenhausgasse 2<br />

78462 Konstanz<br />

Do 10<strong>–</strong>13 & 14<strong>–</strong>18 Uhr<br />

Fr 10<strong>–</strong>13 & 14<strong>–</strong>18 Uhr<br />

Sa 10<strong>–</strong>18 Uhr<br />


WURZELGEMÜSE, WILDKRÄUTER UND …<br />

12<br />

2<br />

Der Rehrücken wird am Vortag in einer<br />

Marinade aus Öl, Senf und Honig eingelegt<br />

und bei Zimmertemperatur aufbewahrt, aus<br />

dem Kühlschrank aufs Feuer würde er zäh<br />

werden. Das Fleisch wird auf Haselnussstöcke<br />

aufgespießt, die mit einer Salzlake getränkt<br />

wurden, so erhält es von innen Würze. Dann<br />

auf dem offenen Feuer kurz und scharf<br />

anbraten.<br />

TERMINE:<br />

Pfahlbauverein Dingelsdorf:<br />

→ So, 6. Oktober 2019:<br />

Sonntagsführung 14<strong>–</strong>16 Uhr<br />

→ So, 6. Oktober 2019:<br />

Bienenprojekt zu Gast beim Herbstfest in<br />

Unteruhldingen<br />

→ Fr, 11. Oktober 2019, 19.30 Uhr:<br />

10 Jahre Pfahlbauverein Dingelsdorf mit einem<br />

Vortrag von Dr. Helmut Schlichtherle: „Monumentale<br />

Wandmalereien aus den Pfahlbausiedlungen<br />

am Bodensee. Europäische Dimensionen<br />

ihrer Zeichen- und Bildersprache.“<br />

→ Sa<strong>–</strong>So, 12.<strong>–</strong>13. Oktober 2019: 10 Jahre<br />

Pfahlbauverein Dingelsdorf <strong>–</strong> Führungen<br />

und Workshops<br />

→ So, 3. November 2019:<br />

Sonntagsführung 14<strong>–</strong>16 Uhr<br />

→ So, 1. Dezember 2019:<br />

Sonntagsführung 14<strong>–</strong>16 Uhr<br />

Melisse, Minze, Gundermann, Storchenschnabel,<br />

Beinwell und weitere Kräuter<br />

wandern in ihre Körbe. Zurück am Feuer<br />

werden sie gezupft und mit Steinzeitmessern<br />

klein gehackt, sie entfalten ihr<br />

volles Aroma. Es duftet nach Wiese, nach<br />

Sommer, nach barfuß im Gras. Die Mischung<br />

wird in Tongefäße gefüllt. Sobald<br />

der Eintopf fertig gekocht ist und vom<br />

Feuer genommen wird, werden die Kräuter<br />

darauf verteilt. Das ist aber noch nicht<br />

die fertige Mahlzeit.<br />

Als Highlight präsentiert Herbert einen<br />

butterzarten Rehrücken 2 , der auf dem<br />

Feuer gegrillt wird. Das Tier hat er selbst<br />

erlegt. Zwar nicht mit Pfeil und Bogen,<br />

aber mitten im Wald. Zeit für sein Plädoyer<br />

gegen Mastvieh, Antibiotikavergabe<br />

und Massentierhaltung. Dann geht<br />

es wieder weiter mit Facts aus der Jungsteinzeit:<br />

Salz gab es damals schon, es war<br />

eines der wichtigsten Handelsgüter und<br />

kam aus Österreich, Dänemark, Oberitalien<br />

oder dem Pariser Becken. Auch<br />

gewöhnliche Feuersteine hatten zum Teil<br />

eine Reise hinter sich, die Menschenkräfte<br />

an ihr Limit bringt. Überhaupt war<br />

das Leben in der Steinzeit gezeichnet von<br />

Strapazen und dramatischen Todesfällen.<br />

Siehe Ötzi, der bekannteste Steinzeitler,<br />

dem in Bozen ein ganzes Museum gewidmet<br />

wurde. Dessen Museumsbelegschaft<br />

war im vergangenen Sommer übrigens<br />

in Dingelsdorf zum Steinzeitdinner,<br />

und manche Mitarbeiter von ihnen hatten<br />

Tränen in den Augen, da sie zum ersten<br />

Mal schmecken und fühlen konnten, was<br />

sie sonst Tag für Tag in der Theorie beschäftigt.<br />

Es geht beim Steinzeitdinner aber nicht<br />

um eine authentische Erfahrung <strong>–</strong> von<br />

den rauen Lebensbedingungen der damaligen<br />

Zeit ist es meilenweit entfernt. Ein<br />

solches Festmahl mit mehreren Gängen<br />

ist absolut kein realistisches Abbild, das<br />

betont Herbert mehrfach. Ihm geht es<br />

um die Wissensvermittlung und die Sensibilisierung.<br />

Auch in Schulen oder für<br />

Firmen oder Vereine gibt der Pfahlbauverein<br />

verschiedene Workshops und Events.<br />

Nun aber das Beste: der Nachtisch! 3 Er<br />

wird von Katrin liebevoll zubereitet und<br />

besteht aus einer Sahnecreme <strong>–</strong> Milchvieh<br />

wurde in der Steinzeit übrigens gehalten,<br />

Hühner hingegen brachten erst<br />

die Römer an den Bodensee. Als Topping<br />

gibt es Haselnüsse und eine Wildbeerenmischung,<br />

und dann der krönende Abschluss:<br />

Auf jedes Schüsselchen kommt<br />

ein Stück goldgelbe Honigwabe, die von<br />

den Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

des Steinzeitdinners selbst bei den Bienen<br />

geholt werden darf.<br />

Jetzt spricht keiner mehr. Mit dem Mund<br />

voller Süß hört man auf einmal nur noch<br />

das Knistern der Flammen und weiß,<br />

dass man ab diesem Tag nie mehr nur<br />

noch nach Schneckenhäusern am Seeufer<br />

suchen wird.<br />

STEINZEITDINNER:<br />

29 € pro Person, inkl. Getränke.<br />

Auch als Geschenkgutschein möglich.<br />

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3<br />

Quarkspeise: Quark, Joghurt und<br />

geschlagene Sahne mischen (Mengenangaben<br />

nach Gefühl!), Perlgraupen aufkochen,<br />

abkühlen und unterheben. Unmengen<br />

Honig hinzugeben und kleingeschnittene<br />

Äpfel unterheben. Haselnüsse<br />

und Waldbeeren darauf verteilen.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Veronika unterhält sich gerne mit<br />

vielen Leuten und macht sich dabei<br />

Notizen in ein kleines schwarzes<br />

Buch. Zum Steinzeitdinner wurde<br />

sie von Herbert überredet, weil er es<br />

nicht ertragen konnte, dass jemand,<br />

der in Dingelsdorf lebt, sich nicht mit<br />

der Steinzeit auskennt. Das Thema<br />

ist jetzt auf jeden Fall gegessen.


13<br />

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Silber, Palladium und Diamanten.


TROCKENÜBUNG 14<br />

T r o c k e<br />

TEXT — Janne Tüffers<br />

Nach dem dritten<br />

Schlummern tapse ich erst zur blauen Gießkanne<br />

und dann zum <strong>Wildwuchs</strong> auf meiner Fensterbank.<br />

Gebe mein Bestes und einen großen Schluck Wasser<br />

dazu, damit runde, gesunde Tomaten entstehen.<br />

Etwa 95 Prozent einer reifen Tomate bestehen aus<br />

Wasser <strong>–</strong> etwa 95 Prozent hängen von mir und meiner<br />

morgendlichen Routine ab. Den Rest macht die Sonne.<br />

Für Frühstück ist keine Zeit. An der Uni angekommen<br />

blicke ich mein verschlafenes Ich im verspiegelten<br />

Aufzug an. Mal wieder kurz vor knapp.<br />

Mal wieder so kräftig in die Pedale getreten, dass<br />

mir von der Oberlippe meines Spiegelbilds kleine<br />

Tröpfchen entgegenglitzern, als ich rauf ins Büro<br />

fahre. Schwitzen ist nur ein Beispiel für all die grandiosen<br />

Dinge, die der menschliche Körper mit Hilfe<br />

von Wasser leisten kann. Wasser sorgt dafür, dass<br />

Nährstoffe dorthin gelangen, wo wir sie benötigen,<br />

es bestimmt die Größe und Struktur von Proteinen<br />

und Nukleinsäuren, ist aktiv in vielerlei biochemischen<br />

Reaktionen und lässt uns schwitzen. Hitzeregulation.<br />

Ich weiß das zu schätzen, wische mir<br />

das salzige Wasser dennoch aus dem Gesicht. Auf<br />

meiner heutigen Tagesordnung steht ein Termin<br />

mit einem Wissenschaftler, um folgender Fragestellung<br />

nachzugehen: Können Bakterien die Korallenriffe<br />

retten? Pünktlich am Schreibtisch und<br />

trotzdem zu spät. Den Zeitpunkt für die Rettung<br />

haben wir verpasst. Nennen wir es Bewahrung.<br />

Schutz für das, was noch übrig ist. Der Klimawandel<br />

sorgt nicht nur dafür, dass sich das erwärmte Wasser<br />

ausdehnt und der Meeresspiegel steigt, sondern<br />

auch, dass empfindliche Ökosysteme wie Korallenriffe<br />

sterben. Und zwar schnell. Ein enormer Anteil<br />

der menschengemachten Hitze fließt in die Ozeane,<br />

etwa 80 Prozent der zusätzlichen Wärme im Klimasystem<br />

wurden bislang von den Weltmeeren aufgenommen.<br />

Könnte das Meer doch nur schwitzen.<br />

Nach Feierabend fahre ich für einen Sprung ins<br />

kühle Nass an den See, um das Potenzial meines<br />

ersten und vielleicht letzten Sommers in Konstanz<br />

auszuschöpfen. Weil die Leitfähigkeit von Wasser<br />

25 Mal höher ist als die von Luft, geben wir Körperwärme<br />

im Wasser schneller ab. Baden ist die perfekte<br />

Abkühlung. Und Baden ist eine Erweiterung<br />

meines niederrheinisch geprägten aktiven Wortschatzes.<br />

Baden im Bodensee ist wie schwimmen<br />

anderswo. Vielleicht planschen. Aber baden bedeutet<br />

so viel mehr als „sich im Wasser aufhalten“.<br />

Ein Bad ist ein Ritual. Es dient der Reinigung und<br />

fördert die Gesundheit. Auch die der Seele. Baden<br />

ist Kultur. Vielleicht ist das nicht jedermanns erste<br />

Assoziation, wenn ich mit dem ausgeblichenen Bikini<br />

aus Schulzeiten ins Wasser stolpere. Aber Bäder <strong>–</strong><br />

das sind antike Thermen. Das ist die Überzeugung<br />

von der heilenden Wirkung des Wassers. Diese sogenannte<br />

Hydrotherapie soll neben allerlei gesundheitlichen<br />

Vorzügen wie einer Verbesserung der<br />

Venenfunktion, Gewebeentwässerung, Aktivierung<br />

des Stoffwechsels und der Niere auch Stress reduzieren<br />

und zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen.<br />

Letzteres klappt ganz gut. Ich jedenfalls bin<br />

jedes Mal aufs Neue begeistert darüber, glasklar<br />

meine strampelnden Füße unter der Oberfläche erspähen<br />

zu können. Freue mich immer wieder wie eine<br />

Schneekönigin über die weißen Gipfel am Horizont.<br />

Trotz oder vielleicht<br />

genau wegen dieser Begeisterung oute ich mich<br />

immer wieder als neu in der Gegend. Ich habe den<br />

Rheinfall besucht, als ich Lust dazu hatte, statt darauf<br />

zu warten, dass die doppelten Wassermassen<br />

herabstürzen. Ich kann nicht beurteilen, wann der<br />

Kiesstrand der Schmugglerbucht mehr Platz bietet,<br />

als er sollte. Ich bevorzuge, mit meinen Füßen auf<br />

festem Boden zu stehen, statt auf einem SUP oder<br />

Snowboard, denn ich weiß nicht, wie das geht.<br />

Mein gesamtes bisheriges Leben lang ist mir entgangen,<br />

dass es ein Bodenseeschifferpatent gibt.<br />

Ich werde das Gefühl nicht los, das Wasser sei anders<br />

um mich herum als um die Konstanzer. Oder<br />

vielleicht die Konstanzer um das Wasser. Ich rede<br />

nicht von einem Außerkraftsetzen physikalischer<br />

Gesetze. Stehe ich brusttief im Wasser, tragen meine<br />

Füße so nur noch etwa 10 Prozent meines Körpergewichts.<br />

Das gilt für alle gleichermaßen <strong>–</strong> der Auftrieb<br />

entspricht dem Gewicht der vom Körper verdrängten<br />

Wassermasse. Stattdessen meine ich eine<br />

Vertrautheit mit diesem Element, die in meinen<br />

wenigen Monaten hier am See noch nicht zu mir


15<br />

TROCKENÜBUNG<br />

n ü b u n g<br />

übergeschwappt ist. Der ich auf den Grund gehen<br />

möchte. Gegen meine Ahnungslosigkeit stecke ich<br />

jetzt also meine Nase in Bücher, um in die Sphären<br />

des Wassers einzutauchen. Um diese Faszination<br />

für den See und dessen Wasser und dessen Reise<br />

in den See zu verstehen. Um mich als See-lerin zu<br />

integrieren. Ich lerne, dass jedes Wassermolekül<br />

zwischen den Bindungen, die ein Sauerstoffatom<br />

mit zwei Wasserstoffatomen verknüpfen, in einem<br />

104,5-Grad-Winkel geknickt ist. Neben mir tropft<br />

der See aus Bikinis, die in der Bibliothek über<br />

dem Geländer hängen. Leise, aber laut genug, um<br />

mich von meiner Recherche abzubringen, bevor<br />

ich richtig begonnen habe. Kaum jemand denkt<br />

bei Wasser an ein Molekül. Betrachtet es objektiv.<br />

Wasser ist Plätschern und Rauschen, Sprudeln und<br />

Blubbern, Strudel in Swimmingpools und Schaumbärte<br />

in Badewannen. Wasser ist Urlaub und Entspannung,<br />

Nieselregen und Luft anhalten, Schneeengel<br />

und Wellenreiten. Wasser ist „mindestens<br />

zwei Liter täglich trinken“ und „beim Zähneputzen<br />

den Wasserhahn zudrehen“, Calippo Cola und die<br />

glibberige Mitte der Tomate, Wasserbombenschlachten<br />

und Bootsfahrten. Wasser sind Erlebnisse und<br />

Erinnerungen, Ängste und Träume, Übernatürliches<br />

und trotzdem die pure Natur. Und in dieser Region<br />

ist Wasser eben auch die Mittagspause im See.<br />

Baden, Planschen, Schwimmen. Die direkte Berührung.<br />

Immersion, das Eintauchen des Körpers in<br />

ein flüssiges Medium. Das Eintauchen in eine fremde<br />

Umgebung, die ein Gefühl der Schwerelosigkeit<br />

vermittelt, weil die Dichte von Wasser mehr als<br />

800 Mal so hoch ist wie die von Luft. Der See <strong>–</strong> mit<br />

der Betonung auf der, der See, der eine See, welcher<br />

See sonst <strong>–</strong> ist allgegenwärtig, wenn auch nicht immer<br />

sichtbar. Andererseits ist es selbst dann egal,<br />

ob man sich durch den Nebel kämpft oder in den<br />

Schnee flieht; die durch Kondensation entstandenen<br />

Tröpfchen in der Luft auf sich nimmt oder Abwechslung<br />

zwischen den Eiskristallen sucht. Der Rhythmus<br />

der Stadt wird vom Wasser bestimmt. Mehr noch<br />

als sowieso und überall. Ohnehin ist Wasser in allen<br />

möglichen Situationen und Aggregatzuständen, Formen<br />

und Kontexten ständig um uns herum. Kein<br />

Wunder auf dem „blauen Planeten“: Die Weltmeere<br />

machen 71 Prozent der Erdoberfläche aus, weitere<br />

3,5 Prozent sind Eis und Schnee. Der Bodensee <strong>–</strong><br />

wenn auch schwer vorstellbar <strong>–</strong> ist hier nicht weiter<br />

erwähnenswert. Allerdings habe ich, wie vermutlich<br />

die meisten, diesen blauen Planeten viel zu wenig<br />

blau vor Augen. All die Weltkarten an Klotüren und<br />

in WG-Fluren und in eingestaubten Atlanten bilden<br />

die Wirklichkeit nicht ab. Die Oberfläche einer Kugel<br />

in ein Rechteck zu packen, funktioniert einfach<br />

nicht. Und trotzdem ist das Bild in meinem Kopf<br />

blau genug, um zu wissen: Das Wasser und die Bedingungen,<br />

die seinen Kreislauf ermöglichen, charakterisieren<br />

die Erde. Umso mehr charakterisiert<br />

das Wasser diese Region. Der Wasserkreislauf, die<br />

ständige Bewegung, der Wechsel von einem Aggregatzustand<br />

in den anderen scheint hier enger<br />

mit den Bewegungen der Menschen verknüpft als<br />

anderswo.<br />

Doch hier, vor mir der<br />

Stapel Bücher voller Zahlen und Fakten und Überlegungen,<br />

neben mir die nassen Bikinis voller Sonnencremereste<br />

und Selbstverständlichkeit und Wohlgefühl,<br />

wird mir klar: See-lerin werde ich wohl nicht<br />

durch Informationen. Auch nicht durch einen Segelschein<br />

oder Skiausrüstung. Vermutlich geht das nur<br />

durch das Wasser selbst. Sozialisation durch Baden.<br />

Sich im Wasser aufzuhalten hat eine ähnliche Wirkung<br />

wie eine Umarmung oder eine Massage. Der sogenannte<br />

hydrostatische Druck entspannt die Muskeln<br />

und stärkt das Immunsystem. Quasi wie Kuscheln.<br />

Baden bedeutet: Glückshormone durch Schwerelosigkeit,<br />

Kräftigung durch Wasserdruck und ein ruhigerer<br />

Herzschlag. Daran kann ich mich gewöhnen.<br />

Vielleicht stärkt diese Gewohnheit die Bindung zu<br />

dem Element, in dem wir immerhin neun Monate<br />

lang heranwachsen. Das bis zu 70 Prozent unseres<br />

Körpergewichts ausmacht. Vielleicht kann ich sie<br />

dann noch bewusster genießen, die beruhigende<br />

Wirkung von der scheinbar unendlichen Farbpalette<br />

zwischen Türkis, Azur, Cyan und Himmelblau,<br />

von Weite und Wellen. Und die unberechenbaren<br />

Tiefen, die so tief gar nicht sein müssen, um unberechenbar<br />

zu sein. Manchmal reichen für den Nervenkitzel<br />

ein Meter und ein Fisch, der auch ein Blatt<br />

gewesen sein könnte.


WAS IST EIGENTLICH NATUR?<br />

16


17 WAS IST EIGENTLICH NATUR?<br />


WAS IST EIGENTLICH NATUR?<br />

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19 WAS IST EIGENTLICH NATUR?<br />


WAS IST EIGENTLICH NATUR?<br />

20


21<br />

kONsTANzer<br />

kurz.<br />

film.<br />

spiele<br />

A Best of 15 Years!<br />

23. <strong>–</strong> 27.10.2019<br />

zebra kino kN<br />

ÜBER DIE ILLUSTRATORIN<br />

Stefanie hat ein Atelier mit einer blauen<br />

Tür. Dort gibt es viele Pinsel und<br />

Farben, und wenn sie nicht gerade selber<br />

malt und zeichnet, machen Kinder<br />

und Erwachsene bei ihr einen Kunstkurs.<br />

Früher hat Stefanie in Berlin<br />

gelebt, sich „Stefanie Seltsam“ genannt<br />

und in einem Comic-Club ihre<br />

Figuren bunte Abenteuer erleben<br />

lassen. Seither wollte sie immer mal<br />

wieder einen Comic zeichnen, wusste<br />

aber nicht so recht worüber. Da traf<br />

es sich gut, dass Veronika bei einem<br />

Kaffee von ihrer Kindercomicidee erzählte.<br />

Gerade erscheint jetzt also ihr<br />

gemeinsames Buch „Gedanken auf<br />

der Achterbahn“ <strong>–</strong> ein Handbuch zum<br />

Philosophieren mit Kindern, mit<br />

Diaologen wie diesem hier und dazu<br />

Begleittexte für Erwachsene.<br />

www.kurzfilmspiele.de


GEHEIME GÄRTLEIN<br />

22<br />

Geheime<br />

Gärtlein<br />

Die Kreuzlinger Künstlerin Anna Appadoo<br />

zaubert kleine Welten in Wilmas Streichholzschachtelsammlung,<br />

die sie auf Ebay<br />

fand. Kurioserweise lebte Wilma in Konstanz<br />

<strong>–</strong> die Streichhölzer reisten also durch<br />

die ganze Welt, um hier Geschichten zu<br />

erzählen: diese heißt „Der Moosmann“.<br />

→<br />

POETISCHE<br />

INTERVENTIONEN<br />

IN DER STADT


23 GEHEIME GÄRTLEIN<br />

Eine Gartentour soll es werden. Keine konventionelle, so viel ist klar. Das offizielle<br />

Stadtgrün hätte man in kürzester Zeit abgehakt. Nein, Fabian wird mir<br />

eigene Pflanzungen zeigen, angelegt im öffentlichen Raum. Sie wachsen vor<br />

unseren Augen und sind doch fast unsichtbar.<br />

TEXT — Christine Zureich<br />

COLLAGE — Anna Appadoo<br />

Endlich läuft die Brunnenschale<br />

wieder über, die Moose in den Fugen<br />

und Rissen im Kopfsteinpflaster waren<br />

über den regenarmen Winter ausgetrocknet.<br />

Jetzt, wo das Spritzwasser sie<br />

wieder benetzt, beginnen sie zu sprießen,<br />

leuchten: kleine Sterne, hellgrün<br />

gegen die grauen Flusswacken. Rote<br />

Laternchen, tuftige Polster. Wenn man<br />

erst mal hinschaut, sich hinunterbeugt,<br />

verblüfft die Vielfalt der Farben und<br />

Formen, die landschaftsartige Wirkung.<br />

Wie Parkanlagen en miniature, wunderschöne<br />

Gärten, an denen man im Alltag<br />

achtlos vorbeigeht, sie vielleicht sogar<br />

unbeabsichtigt zertritt.<br />

„Die Moose waren vom Dach einer<br />

Kirche gefallen“, sagt Fabian, mit dem<br />

ich an diesem nassen Morgen im Mai<br />

vom Münsterplatz aus zu einem mehrstündigen<br />

Rundgang durch die Stadt<br />

starte. Fabian ist ein Gärtner ohne Land,<br />

nicht mal einen Balkon hat er an seiner<br />

Wohnung. Dafür scheint er jede Ritze in<br />

der Stadt zu kennen, jeden Stein, jeden<br />

Streifen Straßenbegleitgrün. Überall sieht<br />

er Möglichkeiten, Spielraum. Ein sehr<br />

künstlerischer Blick auf die Welt. Fabian<br />

ist Musiker, ein kreativer Mensch, auch<br />

wenn er nicht gärtnert.<br />

„Erst finde ich eine Pflanze“, sagt<br />

er, „dann einen Platz, wo sie wachsen<br />

kann. Natürlich muss es passen, die Bedingungen,<br />

die Ökologie. Unter dem<br />

Brunnen kann das Moos gut gedeihen.<br />

Die Maschinen der Stadtreinigung kommen<br />

nicht hin und das Gießen erledigt<br />

sich von selbst.“ Fabian versucht für<br />

seine Pflanzen pflegeleichte Lösungen<br />

zu finden. Letztes Jahr, in der großen<br />

Hitze, ist er trotzdem an manchen Tagen<br />

zwei Mal mit dem Rad unterwegs gewesen<br />

zum Wässern. Ob ihm das nicht<br />

zu viel werde, frage ich. Er hebt die<br />

Schultern, grinst. „Sich kümmern“, antwortet<br />

er, „ist eine schöne Art, Zeit zu<br />

verbringen.“<br />

Als Jugendlicher auf dem Land, bevor<br />

er zum Musikstudium in die Stadt →


GEHEIME GÄRTLEIN<br />

24<br />

zog, hat Fabian mit einem Freund zusammen<br />

‚Ecological Upgrading‘ praktiziert.<br />

So haben sie es damals genannt, wenn<br />

sie Wildblumen vermehrt haben, die<br />

Samen in Felder und Wiesen gestreut, wo<br />

es ja oftmals nur noch grün war in den<br />

80ern und 90ern und nicht mehr bunt,<br />

vom hartnäckigen Löwenzahn abgesehen.<br />

Das allgemeine Bewusstsein für die Bedeutung<br />

von Blüten und Pflanzen, für ökologische<br />

Diversität ist seither rapide gewachsen;<br />

das grüne Nischenthema ist<br />

längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.<br />

„Jede Blüte zählt“, steht auf<br />

den Plastikpickern, die in den kleinen<br />

städtischen Grünabschnitten stecken, für<br />

die mein Kopf keine griffigere Formulierung<br />

findet als ‚Hundeklo‘. Eine Partei hat<br />

sie aufgestellt, es ist kurz vor der Kommunalwahl.<br />

„Eigentlich ja nett, die Aktion“, sagt<br />

Fabian. „Nur: Um hier zu pflanzen, haben<br />

sie andere Blumen entfernt, vielleicht gar<br />

nicht erkannt, dass hier schon Schöllkraut<br />

wächst, an der Laube wurden sogar<br />

Beete zertrampelt für einen Fototermin.“<br />

Man will zeigen, wo man selber<br />

Hand anlegt, anpflanzt gegen das Bienensterben.<br />

Öffentlichkeitswirksam, sichtbar.<br />

Anders als Fabian, der sehr leise und<br />

unauffällig ans Werk geht. Laut auf sich<br />

und seine Pflanzaktivitäten aufmerksam<br />

zu machen ist nicht sein Ding, weswegen<br />

er im Text einen anderen Namen erhalten<br />

hat; auch was er tut, entzieht sich dem<br />

plakativen Labeling. Zu leise ist es und<br />

fein, um ‚Guerilla Gardening‘ genannt zu<br />

werden.<br />

Fabian pflanzt Gewächse, die nicht<br />

sofort alle Blicke auf sich ziehen. Keine<br />

Farbfeuerwerke, keine Exoten. Das meiste<br />

könnte genau an dieser Stelle auch sowieso<br />

wachsen, als Spontanvegetation.<br />

Zimbelkraut, Mauerpfeffer, Veilchen,<br />

Wildgerste. Moos. Eine philosophische<br />

Frage: Muss ein Garten sich sichtbar<br />

abheben von dem, was wir ‚Natur‘ nennen,<br />

um als Garten bezeichnet zu werden?<br />

Reicht schon die absichtsvolle Handlung<br />

des Gärtners?<br />

„Wenn es besonders schön aussieht,<br />

dann ist es wahrscheinlich nicht von mir.“<br />

Fabian grinst. Er hat Humor, auch ganz<br />

praktischen, setzt schon mal Gemüseabschnitte<br />

zwischen Wiesenknäuelgras<br />

und Giersch am Straßenrand. Rote Beete,<br />

Karotte, Petersilie. Fabian kauft sein Gemüse<br />

auf dem Wochenmarkt und verwendet,<br />

was er nicht isst, in seinen Beeten.<br />

Eins seiner Gartenprinzipien: kein Geld<br />

ausgeben. Nicht aus Geiz, sondern weil<br />

schon genug da ist.<br />

„Gemüseabschnitte oder Wurzelstücke<br />

lassen sich ganz einfach vegetativ<br />

vermehren. Aus dem ‚Abfall‘ entwickelt<br />

sich eine lebensfähige, komplette<br />

Pflanze. Ein Wunder. Nur in die Erde setzen<br />

und schon wächst sie wieder. Topinambur<br />

zum Beispiel. Damit kann man seinen<br />

Nachbarn nachhaltig eine Freude machen.<br />

Der wächst zu üppigen Büschen,


25<br />

GEHEIME GÄRTLEIN<br />

blüht ähnlich wie Sonnenblumen.“ In<br />

einem offiziellen Beet am Augustinerplatz<br />

wird es in den nächsten Wochen<br />

durch Fabians Intervention topinamburgelb<br />

fremdblühen. Ein Kommentar, ein<br />

Augenzwinkern, Kritik sogar am gesellschaftlichen<br />

Umgang mit öffentlichem<br />

Raum? Wir unterhalten uns beim Gehen<br />

über diese Facette der Frage: Wem<br />

gehört die Stadt? Denn über die Pflanzund<br />

Pflegekonzepte wird nicht demokratisch<br />

entschieden, zuständig ist die<br />

Verwaltung, die <strong>–</strong> neben begrenzten<br />

Ressourcen <strong>–</strong> auch ihre eigenen Vorstellungen<br />

von Stadtgrün hat. Bodendecker.<br />

Tulpen für die Touristen. Und an Muttertag<br />

steht dann in der Zeitung, dass es<br />

strafbar sei, Sträuße in den Stadtbeeten<br />

zu pflücken.<br />

Wie im Übrigen auch der umgekehrte<br />

Fall, also wenn jemand nichts<br />

nimmt, sondern etwas pflanzt im öffentlichen<br />

Raum. Eine Grauzone, das wilde<br />

Grün. Streng genommen ist der Tatbestand<br />

der Sachbeschädigung erfüllt,<br />

aber seit die praktische Beschäftigung<br />

mit Pflanzen wieder im Trend ist, vor<br />

allem im urbanen Raum, nehmen sich<br />

sogar ehrbare Rentner Baumspiegeln an<br />

und pflanzen überall im Stadtgebiet<br />

Primeln, Zinnien und Stiefmütterchen, ohne<br />

eine Genehmigung einzuholen, und in<br />

der Regel, ohne Strafe fürchten zu müssen<br />

(wenn nicht ausgerechnet Hanf in offiziellen<br />

Blumenkästen wuchert, wie es einmal<br />

in Tübingen der Fall war). Für viele<br />

Stadtbewohner ist das Straßenbeet der<br />

erste Akt zivilen Ungehorsams im Leben.<br />

Für manchen alternativen Gärtner wiederum<br />

kommt diese „brave“ Aneignung des<br />

öffentlichen Raums einer Fortsetzung<br />

von Gartenzwergspießertum auf neuem,<br />

umkämpftem Terrain gleich. Schließlich<br />

ist Garten auch ins Beet gesetzte Weltanschauung.<br />

Eins von Fabians Ensembles<br />

an einem Baumspiegel wurde ausgerupft,<br />

dort wachsen jetzt Tulpen, Hyazinthen,<br />

Erdbeeren; ein Staketenzäunchen<br />

schreit: Privat! Hier pflanze ich. Wir sprechen<br />

darüber, wie leicht es ist, dies als<br />

provinziell zu belächeln, sich über die Borniertheit<br />

aufzuregen. Biedere Blumen!<br />

Wie schwer manchmal real vegetierende<br />

Diversität auszuhalten ist; auch für hippe →


GEHEIME GÄRTLEIN<br />

Urbanites eine Übung, über die eigene Begrenztheit<br />

hinauszuwachsen, menschlich<br />

und ästhetisch.<br />

Ich will von Fabian wissen, ob ihn mal<br />

jemand angeraunzt habe beim Pflanzen,<br />

stelle mir einen Wanderstock vor und ein<br />

wallendes Lodencape. Fabian schüttelt<br />

den Kopf. Nur beim Leinsamenwerfen <strong>–</strong><br />

Motten hatten sich im heimischen Küchenschrank<br />

darüber hergemacht, zu<br />

schade, in den Kompost zu geben, genau<br />

richtig für die Aussaat <strong>–</strong> , da sei er ein<br />

paar Mal angesprochen worden. „Aufgebrachte<br />

Leute fragten, ob ich derjenige<br />

sei, der Gift gegen Hunde ausstreut.“ An<br />

Sähen dachten die Leute offenbar nicht,<br />

zu sehr aus unserem Alltagsbewusstsein<br />

verschwunden diese Bewegung. Fabian<br />

führt mich an ein paar Stellen, an denen<br />

der Lein vom Vorjahr schon blüht. Hellblau.<br />

Ich gestehe, noch nie zuvor Flachsblüten<br />

gesehen zu haben. „Dabei hat Lein unsere<br />

Stadt im Mittelalter wohlhabend gemacht“,<br />

Fabian grinst. „Die Flachsfaser,<br />

Konstanzer Leinwand.“ Schön anzusehen<br />

ist sie, die pflanzliche Traditionspflege.<br />

Erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt,<br />

wie etwas Vergängliches, Zartes wie<br />

eine Blüte etwas Dauerhaftes wie Geschichte<br />

und Kultur transportieren kann.<br />

Gebäuden und Denkmälern wird von<br />

vornherein ein größerer Stellenwert beigemessen.<br />

Fabian wünscht sich seitens<br />

der Verwaltung und auch von Passanten<br />

eine Sensibilisierung für Blüten in der<br />

Stadt. „Oft werden sie achtlos ausgerissen,<br />

abgeknickt, gemäht, bevor sie Samen<br />

bilden können. Samen sind aber wichtig,<br />

auch als Nahrung für Vögel. Danach<br />

gerne schneiden, das tut den Pflanzen<br />

gut.“<br />

Wir gehen weiter, Richtung Schnetztor.<br />

Rund um die gusseisernen Poller, die<br />

mit Ketten das Trottoir von der Fahrbahn<br />

abgrenzen, ein feiner Ring Boden, kaum<br />

ein paar Millimeter breit, und doch wächst<br />

hier Schnittlauch. Ich bin beeindruckt.<br />

26<br />

Allerdings korrigiert Fabian mich. Kein Garten.<br />

Er hat den Schnittlauch dort nicht<br />

gepflanzt, er hat ihn entdeckt und vermehrt.<br />

Ein paar Stängel blühen gerade<br />

am anderen Ende der Laube. „Tatsächlich<br />

kann diese Art von Gärtnerei jeder machen.<br />

Sie kostet buchstäblich nichts. Die<br />

standortgerechten, resilienten Pflanzen<br />

sind geschenkt.“<br />

Ein paar Meter weiter am Parkplatz<br />

Laube, einem unwirtlichen Ort, zeigt<br />

Fabian mir die winzigen Ableger vom Gelben<br />

Mauerpfeffer, die er in den sandigen<br />

Saum zwischen Bordstein und Parkplatzpflaster<br />

gesetzt hat. Wie kleine lyrische<br />

Kommentare. Selbst hier gedeiht Schönheit.<br />

Normalerweise überfallen mich an<br />

solchen fürs Auto eingerichteten Orten<br />

Lost and Lonely-Gefühle, aber jetzt,<br />

wo ich überall diese Spuren entdecke ...<br />

Nein, es sind keine Insta-tauglichen<br />

Gartenszenen, und doch kleine, kraftvolle<br />

Eingriffe, die das tun, was ich sonst<br />

von Kunst erwarte: Sie verändern meinen<br />

Blick aufs Alltägliche. Tausendmal begangene<br />

Wege, Straßen, Grünstreifen. Und<br />

sie erweitern meinen Begriff von Garten.<br />

Neudefinition: Garten ist ... eine Beziehung<br />

kultivieren zum Boden, auf dem wir<br />

leben.<br />

-<br />

In ihrer ersten Fassung lag mehr Pathos in der Schilderung von<br />

Fabians Poetic Gardening. Beim Durchsehen kommentierte dieser<br />

aber: „Bitte nicht zu melodramatisch. Plants teach not to be<br />

dramatic, I think.“ Also beschloss sie, auf die Pflanzen zu hören.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Aus Sehnsucht nach mehr Grün in<br />

der Großstadt hat Christine als<br />

Studentin in Frankfurt am Main das<br />

Gärtnern begonnen. Aus Sehnsucht<br />

nach mehr Großstadt wiederum hat<br />

sie in Konstanz einen Urban Gardening<br />

Roman („Garten, Baby!“, 2018, Ullstein<br />

fünf, Berlin) geschrieben.


27<br />

BAUANLEITUNG TROCKENTOILETTE<br />

TEXT — Kornelius Maurath<br />

INFOGRAFIK — Kerstin Stepper<br />

M A L<br />

PROBESITZEN?<br />

KANNST DU BEI<br />

CAFÉ SELMA.<br />

MEHR DAZU<br />

AUF S. 88.<br />

ÜBER DIE AUTOREN<br />

Auf 10m 2 hat es Kerstin gezogen nach<br />

Abschluss ihres Studiums in Konstanz.<br />

Mit Kornelius bewohnt sie derzeit das<br />

gemeinsam gebaute Tiny House: Wuki<br />

ist ein autark konzipierter Holzbau mit<br />

Komposttoilette und steht temporär<br />

neben drei weiteren Mini-Häusern<br />

mitten in Berlin Weissensee auf dem<br />

Areal einer Kirchenruine:<br />

instagram.com/wuki_berlin<br />

Kornelius sorgt auch hauptberuflich<br />

für sauberes Abwasser und baut in<br />

den Weiten Brandenburgs abseits des<br />

öffentlichen Kanalsystems Pflanzenkläranlagen.


ESST MEHR KRUMMES OBST<br />

28<br />

→<br />

ESST MEHR KRUMMES OBST<br />

FOTO — Quentin Pehlke


29 ESST MEHR KRUMMES OBST<br />

-<br />

Wir schwimmen im Überfluss, produzieren mehr als wir essen können und sehen vor<br />

lauter perfekten Tomaten auf den Augen viel zu selten die Ästhetik und den Wert des<br />

Wildgewucherten. <strong>–</strong> Eine fotografische Dankbarkeitserklärung an krumme See-Gurken<br />

und den hungrigen Blick auf die knackigen Schätze unserer Region. Wo sind sie gewachsen?<br />

Unter der Sonne oder dem Glas? Haben Hände sie geerntet oder Maschinen?<br />

Wurden sie auf Rollbändern durch Fabrikhallen geschoben oder von furchigen Fingern<br />

getragen? Wir leben an einem Ort, der uns zeigt, welche Früchte die Felder zur Jahreszeit<br />

tragen. Bekommen nebenan Erntefrisches ohne Netze, Folien und Aufkleber, in dem<br />

der Schweiß und die Liebe derer stecken, die es gesät, gegossen und geerntet haben.


ALPSTEIN<br />

30<br />

Alpstein<br />

Ansturm<br />

und<br />

Abgeschiedenheit<br />

→<br />

ZWEI, DIE MITEINANDER GEHEN


31<br />

ALPSTEIN<br />

TEXT — Florian Roth<br />

FOTO — Nico Jenni<br />

KARTE — Isabell Schmidt-B.<br />

1. Nicht immer ernstgenommen<br />

Wie eine bergige Insel liegt der Alpstein<br />

da, umschlungen von Bodensee,<br />

Rhein und Thur. An seiner längsten Stelle<br />

ist er gerade mal 28 Kilometer lang,<br />

richtig breit ist er mit 13 Kilometern auch<br />

nicht, und die zweieinhalbtausend Meter<br />

seines höchsten Zipfels, des Säntis,<br />

können erst recht nicht mit den mächtigen<br />

Gipfeln mithalten, von denen es<br />

sonst in den Schweizer Alpen nur so<br />

wimmelt, weshalb er von manchen Alpinisten<br />

auch nicht ganz ernstgenommen<br />

wird. Dennoch birgt das Alpsteinmassiv<br />

eine ganz eigene und äußerst vielfältige<br />

Bergwelt. Vielfältig auch im Wortsinn,<br />

denn im Lauf der Jahrmillionen warfen<br />

dort Plattenverschiebungen zahllose<br />

Falten in die Erdkruste, die dem Alpstein<br />

spektakuläre Felsbänder, Bergrücken<br />

und Täler schenkten.<br />

2. Der weiße Hut geht verloren<br />

Im Alpstein treffen sich die drei Kantone<br />

Sankt Gallen, Appenzell-Innerrhoden<br />

und Appenzell-Ausserrhoden, die<br />

sich in der Geschichte untereinander<br />

nicht immer grün waren. Regelmäßig<br />

stritten sie über Jagdrechte, Grenzziehungen<br />

und alles Mögliche. Als im Zuge<br />

der Reformation die Ausserrhoder vom<br />

„rechten Glauben“ abfielen, pflasterten<br />

die Innerrhoder die Berge mit Kreuzen<br />

und katholischen Kapellen zu. Und im<br />

Jahr 1895 musste das Schweizer Bundesgericht<br />

höchstrichterlich entscheiden,<br />

dass auch den Ausserrhodern ein Anteil<br />

am Säntisgipfel zustand. Gleichzeitig<br />

ist der Alpstein wichtiger geografischer<br />

Bezugspunkt für die gesamte Bodensee-<br />

Region. Vor allem wenn im Frühling<br />

mediterrane Stimmung am Bodensee<br />

aufkommt, erinnert der Blick zum<br />

schneebedeckten Säntis daran, dass wir<br />

immer noch am Fuß der Alpen leben. →


ALPSTEIN<br />

32


33 ALPSTEIN


ALPSTEIN<br />

34<br />

Altenalp<br />

Seealpsee<br />

Nicos kleine Alpsteinrunde (rund 4h)<br />

Ebenalp<br />

Leider trägt der Alpstein nur noch im<br />

Winter einen weißen Hut: Bis vor<br />

wenigen Jahrzehnten waren die oberen<br />

Bereiche mehr als das halbe Jahr<br />

schneebedeckt.<br />

3. Einheimische und Rückkehrer<br />

Geologisch gesehen ist der Alpstein ein<br />

Eigenbrötler. Während die meisten<br />

umliegenden Berge aus Granit geformt<br />

sind, handelt es sich beim Alpstein um<br />

ein Kalksteinmassiv. Unzählige Pflanzen<br />

und Tierarten sind zwischen den drei<br />

Hauptbergketten des Alpsteins zu Hause,<br />

allein die Namen der über tausend<br />

Blütenpflanzenarten machen Lust auf<br />

eine botanische Bergwanderung: Alpensonnenröschen,<br />

Schweizer Mannschild,<br />

Männertreu, graues Felsblümchen, Weißzunge.<br />

König der Tierwelt an den steilen<br />

Felswänden des Alpsteins ist ohne Zweifel<br />

der Steinbock. Wie im Großteil der<br />

Alpen hatte der Mensch ihn fast schon<br />

ausgerottet. (Tragischerweise wurde<br />

ihm zum Verhängnis, dass er im steilen<br />

Gelände besser klettert als alle seine<br />

natürlichen Feinde <strong>–</strong> und darum entspannt<br />

stehen blieb, wenn die Jäger mit<br />

ihren Flinten angekeucht kamen.) In<br />

den Fünfzigerjahren wurden einige Steinböcke<br />

aus Graubünden ausgesetzt, vor<br />

allem um der neugebauten Ebenalp-Seilbahn<br />

zu einer Touristenattraktion zu<br />

verhelfen. Die Jagd auf die Steinböcke<br />

wurde streng verboten, sodass sich die<br />

Tiere rasch vermehrten und heute die<br />

Chancen gut stehen, dass man auf einer<br />

Wanderung durch den Alpstein einer<br />

Herde über den Weg läuft. Dagegen gibt<br />

es gerade einmal zwei Exemplare von<br />

den mindestens genauso beeindruckenden<br />

Steinadlern. Das liegt aber nur<br />

daran, dass ein Paar dieser beeindruckenden<br />

Vögel ein Revier von rund hundert<br />

Quadratkilometern benötigt, fast exakt<br />

die Größe des Alpstein-Gebietes.<br />

„Ond wenn d’ of<br />

em Säntis schtooscht,<br />

isch der nüd<br />

en wohre Troscht“<br />

(Julius Ammann <strong>–</strong> Hämmetlied, 1930)<br />

4. Zwischen Ansturm<br />

und Rückzug<br />

Bahnhof<br />

Wasserauen<br />

Seit Jahrhunderten zieht es die Menschen<br />

in den Alpstein, um den Niederungen<br />

des Tallebens zu entfliehen. Im Jahr 1658<br />

ließ sich der Appenzeller Pfarrer Paulus<br />

Ulmann in einer Höhle in der steilen Felswand<br />

am Ebenalpstock nieder, um<br />

dort als Eremit zu leben. Nach dem Tod<br />

Ulmanns taten es ihm in den nachfolgenden<br />

150 Jahren noch über zwanzig<br />

Männer gleich und bewohnten in Abgeschiedenheit<br />

das sogenannte Wildkirchli.<br />

Mit dem Aufblühen des Alpinismus im<br />

19. Jahrhundert kamen dann auch immer<br />

mehr Auswärtige in den Alpstein. Es<br />

entstanden Gasthöfe, Wanderwege und<br />

Bergkirchen (letztere insbesondere,<br />

damit sich der gesellschaftlich erwartete<br />

sonntägliche Kirchgang mit dem Bedürfnis<br />

nach Bergen und Bewegung vereinen<br />

ließ). Zumindest am Wildkirchli<br />

ist es erstmal mit Rückzug und Einsamkeit<br />

vorbei, seit im Jahr 2015 das benachbarte<br />

Gasthaus Äscher auf der Titelseite<br />

der amerikanischen Ausgabe des<br />

„National Geographic“-Magazins mit<br />

der Unterschrift „Places of a Lifetime“<br />

abgebildet wurde. Dem nachfolgenden<br />

Ansturm internationaler Touristen<br />

konnte das langjährige Wirtsehepaar<br />

des Gasthauses nicht standhalten und<br />

gab die Pacht ab <strong>–</strong> ein warnendes Beispiel<br />

wie der Massentourismus die<br />

langgewachsene Kulturlandschaft der<br />

Alpen oft über Nacht verändert. Dennoch<br />

findet man auch heute, trotz des neuerlichen<br />

Äscher-Hypes, ohne Probleme<br />

ganz ruhige und wilde Ecken im Alpstein<br />

<strong>–</strong> wenn man nur ein wenig sucht.<br />

ÜBER DEN AUTOR UND FOTOGRAF<br />

Beim letzten Treffen des <strong>NUN</strong>,-Kollektivs<br />

kennengelernt, haben sich Florian und<br />

Nico, als Schreiberling und Lichtbildner,<br />

dazu entschlossen, diese gemeinsame<br />

Wanderung zu unternehmen. Für Nico ist<br />

der Alpstein wie ein vertrauter Freund,<br />

schon oft hat er ihn besucht und in seinen<br />

Ecken biwakiert. Mit im Gepäck auf dieser<br />

Tour für <strong>NUN</strong>, die analoge Rollei und eine<br />

Rolle Film, gerade klein genug für die<br />

Hüfttasche des Rucksacks.<br />

Florian beschäftigt sich in seiner Arbeit mit<br />

Naturgefahren meist leider nur vom Zürcher<br />

Schreibtisch aus und ist deshalb froh,<br />

wenn er am Wochenende durch die Berge<br />

in der Umgebung streifen kann. In seinem<br />

Notizblock zeugen noch große Wasserflecken<br />

vom strömenden Regen, in dem die Wanderung<br />

der beiden begann. Schon bald<br />

aber war die Sonne durch die Wolken gekommen<br />

und der Alpstein zeigte sich von<br />

seiner schönsten Seite.


35<br />

HEIRATSANTRAG<br />

ALPSTEIN RING<br />

TEXT — Veronika Fischer<br />

Im Seitenlicht des Mondes<br />

da sah ich dich<br />

und meine Welt stand<br />

bling!<br />

Ich fragte mich<br />

wo du wohl wohntest,<br />

mein Herz zog es dort<br />

hin.<br />

Du ludst mich ein<br />

auf Milch in Honig<br />

und kraultest meinen siebten<br />

Sinn …<br />

Wir träumen uns<br />

ein Nest im Schilf,<br />

traust du dich und kaufst mir den<br />

Ring?<br />

Ja!<br />

Die Antwort auf die Frage von <strong>NUN</strong>, #3, Seite 95.<br />

Herzlichen Glückwunsch an Sylvia und Johannes.


NACH DEM BADEN<br />

36<br />

nach dem baden<br />

→<br />

AKTGEDICHT<br />

geküsst haben wir im wasser und jetzt, jetzt ziehst<br />

du mich taumelnd richtung wiese, wo du mich<br />

hinten, ganz hinten <strong>–</strong> du weißt schon <strong>–</strong> du ziehst<br />

mich ins gras, wo es wuchert, hinten am zaun<br />

legst du mich ins gras und es ist mohn, der seine<br />

schwarzen samen verliert, in der luft blühender<br />

duft und ab und zu wehen weiße flocken von<br />

bäumen.<br />

hinten am zaun, wo die brombeeren ranken, legst<br />

du mich ins gras und schiebst deine hände in<br />

mein höschen und ich feuchte dir entgegen, nasses<br />

haar vom baden und du schiebst den stoff,<br />

zentimeter für zentimeter nach unten, und ich<br />

auch, meine hände in deiner hose legen frei, wie<br />

wild wächst es empor, dein hart und weich, behaart,<br />

drängt sich an mich und mich an dich und<br />

leise, ganz leise flüstere ich in dein ohr, was ich<br />

will und du, du siehst mich an und bist still.<br />

eben waren wir noch baden, haben gelacht<br />

im wasser, ich seerheinfrau und du<br />

TEXT — Franziska Schramm


37 NACH DEM BADEN<br />

leichtmatrose in badehose, eben noch mit<br />

den fischen küssen geübt und nun im gras,<br />

das leise zupft und sticht auf der haut und<br />

hier hinten schaust du mich an und machst<br />

nicht viel mit mir außer deinen atem an meinem<br />

hals, verrückt, wie du das machst, wie<br />

du mich an dich ziehst, deine hände auf<br />

meiner haut, an meiner hüfte, beerenleicht<br />

deine küsse, deine zunge, dein geschmack,<br />

der rostige drahtzaun, in den ich meine hände<br />

lege, als du mich umfasst und vorsichtig<br />

in mich rankst, wir atmen, dann sehen<br />

wir uns an.<br />

am liebsten liebe ich dich <strong>–</strong> und das weißt du <strong>–</strong><br />

wie wild gewordenes kraut. also sprießen wir ineinander,<br />

fordernd, heftig, schwitzend, alles flockt,<br />

alles samt aus, und es ist der mohn, der in seinen<br />

schwarzen kapseln explodiert, aussamt in alle richtungen,<br />

als könnte er es nicht erwarten, nackt,<br />

es flockt, es treibt, alles wächst in uns zusammen,<br />

der herzschlag der erde, atem, würmer und asseln,<br />

nesselhohes kleid, käferkrabbeln,<br />

blütentropfen, alles klopft in uns,<br />

hier hinten am zaun, wir treiben,<br />

es keucht, ich komme. jetzt.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Franziska Schramm schreibt Gedichte<br />

und Kurzgeschichten<br />

und tritt damit bei Poetry Slams<br />

und Lesebühnen auf.


WER MÜLLER SAGT, …<br />

38<br />


39<br />

WER MÜLLER SAGT, …<br />

Dass an den sonnenverwöhnten Ufern<br />

des Bodensees bester Wein wächst und<br />

gedeiht, ist gemeinhin bekannt und nicht<br />

zu übersehen. Doch dass die weltweit erfolgreichste<br />

Weißwein-Neuzüchtung ihren<br />

Ursprung in Tägerwilen im Kanton Thurgau<br />

hat, wissen wohl die wenigsten. Und<br />

das, obwohl der Wein seine Herkunft bereits<br />

im Namen trägt <strong>–</strong> der Müller-Thurgau.<br />

Doch eins nach dem anderen.<br />

Die Natur wächst nur scheinbar wild. Nur<br />

das überlebt, was der umgebenden<br />

Wildnis trotzt, sich anzupassen und zu<br />

vermehren vermag. Eine Wissenschaft,<br />

die dieses natürliche System effizient unter<br />

die Lupe nimmt, brachte vor über<br />

100 Jahren eine Rebsorte auf sonnige<br />

Hanglagen und bis heute in unsere Weinkeller:<br />

die Müller-Thurgau-Rebe. Sie<br />

ist der Inbegriff von Natur aus dem Labor.<br />

Gezüchteter <strong>Wildwuchs</strong>, der in unsere<br />

Kultur- und Landschaftsräume rankt und<br />

diese in der Bodenseeregion und weit<br />

darüber hinaus entscheidend prägt.<br />

Als der Botaniker und Önologe Hermann<br />

Müller aus Tägerwilen im Jahre 1876<br />

einem Ruf an das Institut für Pflanzenphysiologie<br />

an der Preussischen Lehr- und<br />

Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und<br />

Gartenbau in Geisenheim (Hessen) folgte,<br />

ahnte er sicher noch nicht, was ihm Jahre<br />

später gelingen würde und wovon erst<br />

nachfolgende Winzergenerationen und<br />

Weingenießer profitieren konnten. In seinem<br />

14-jährigen Wirken als Professor und<br />

Leiter des Instituts experimentierte er mit<br />

zahlreichen Kreuzungsversuchen der unterschiedlichsten<br />

Rebsorten. Allein die<br />

Vorprüfung der einzelnen Neuzuchten<br />

dauerte bis 1890. Als er im Jahr darauf<br />

das Angebot zur Gründung einer Versuchs-<br />

und Lehranstalt für Obst-, Weinund<br />

Gartenbau in Wädenswil am Zürichsee<br />

erhielt, zog es ihn in seine Schweizer<br />

Heimat zurück. Aus Geisenheim ließ er<br />

sich derweil rund 150 Sämlinge schicken.<br />

Darunter auch der Steckling mit der<br />

Zucht-Nr. 58. Nach der allmählichen Vermehrung<br />

der Stecklinge fand 1901 eine<br />

erstmalige Veredelung auf Unterlagsreben<br />

statt, und der Weg zu den ersten, reblausresistenten<br />

Ertragsanlagen war bereitet.<br />

Wie ein Irrtum zur<br />

Erfolgsgeschichte<br />

wurde<br />

Trotz der erfolgreichen Züchtung und<br />

Weiterentwicklung des Stecklings 58 gab<br />

es ein kleines Problem. Als es daran ging,<br />

die ersten 22.000 veredelten Setzlinge,<br />

sogenannte Pfropf-Reben, in der Schweiz<br />

und im Ausland zu verteilen, sollte anstelle<br />

der Zuchtnummer ein passender<br />

Name gemäß der Kreuzung her. Müller<br />

war sich jedoch nach all den Jahren, dem<br />

Umzug in die Schweiz und den vielen<br />

gleichzeitig laufenden Experimenten unsicher,<br />

welche Eltern-Rebsorten er für<br />


WER MÜLLER SAGT, …<br />

40<br />

diese Kreuzung verwendet hatte. Der<br />

Riesling als Muttersorte galt als sicher,<br />

doch wer war der „Vater“? Versuche, diesen<br />

eindeutig zu bestimmen, scheiterten damals.<br />

So verständigte man sich auf den Silvaner<br />

als wahrscheinlichste väterliche<br />

Möglichkeit und nannte die neue Sorte<br />

Riesling x Silvaner. Wie sich erst 1957 in<br />

einer gentechnischen Analyse herausstellte,<br />

ist allerdings gar kein Silvaner-<br />

Erbgut in der Müller’schen Neuzüchtung<br />

enthalten. Heißester Kandidat war infolgedessen<br />

der Chasselas (Gutedel). Doch<br />

auch jener wurde letztendlich 1998 als<br />

Vater der Sorte widerlegt und der tatsächliche<br />

schlussendlich eindeutig identifiziert:<br />

eine Sorte mit dem wohlklingenden<br />

Namen Madeleine Royale. Der Name<br />

Riesling x Silvaner blieb aber bis heute in<br />

Teilen der Schweiz erhalten. Insbesondere<br />

im deutschen Raum wird bereits seit 1913,<br />

und seit einigen Jahren auch im Kanton<br />

Thurgau, die Rebsorte nach ihrem Entdecker<br />

bzw. Züchter als Müller-Thurgau-Rebe<br />

bezeichnet.<br />

Aufstieg und Fall<br />

des Müller-Thurgau<br />

In einem so traditionsreichen Gewerbe<br />

wie dem Weinbau ist es als Newcomer<br />

unter den Rebsorten nicht immer so einfach,<br />

Fuß zu fassen oder besser Wurzeln<br />

zu schlagen. Nach den ersten angelegten<br />

Versuchsanlagen in den 1930er-Jahren<br />

dauerte es noch einige Jahrzehnte, bis die<br />

Rebsorte in den erlauchten Kreis der anerkannten<br />

und zum Anbau empfohlenen<br />

Rebsorten aufsteigen konnte. Entscheidend<br />

dafür war in Deutschland die Eintragung<br />

in die Sortenliste des Saatgutverkehrsgesetzes<br />

1969. Von da an ging es<br />

jedoch steil die Weinberge hinauf. Bis<br />

Mitte der 1970er-Jahre wuchs die Anbaufläche<br />

des Müller-Thurgau an, bis er<br />

wenige Jahre später schließlich die am<br />

weitesten verbreitete Rebsorte Deutschlands<br />

war. Diese Erfolgsgeschichte wurde<br />

dem Wein aber gleichermaßen zum Verhängnis,<br />

denn in einer Zeit, in der das<br />

Credo „Masse statt Klasse“ hieß, fand<br />

sich der Müller-Thurgau schnell in einer<br />

Abwärtsspirale wieder. Angetrieben von<br />

Winzern, die sich von hoher Ertragsmenge<br />

mehr versprachen als von Qualität<br />

<strong>–</strong> Stichwort Liebfrauenmilch und der<br />

Untergang des deutschen Weißweins <strong>–</strong><br />

und von Weinskandalen wie dem Glykol-<br />

Skandal 1985. Obwohl nicht unmittelbar<br />

darin involviert, hatte auch der Müller-<br />

Thurgau, als Basis für die meisten Massenweine,<br />

von da an mit einem negativen<br />

Image zu kämpfen und musste in den<br />

1990er-Jahren seine Spitzenposition in<br />

den Weingärten zugunsten des Rieslings<br />

wieder aufgeben.<br />

Wiederentdeckung<br />

und Vorzüge<br />

von Steckling 58<br />

Auch wenn es der Zeitgeist einst mit<br />

dem Rivaner, wie die Müller-Thurgau-Rebe<br />

häufig genannt wird, nicht so gut meinte,<br />

war dies noch lange kein Grund, die Trauben<br />

in den Sand zu stecken. Mit einem sich<br />

immer stärker entwickelnden Qualitätsbewusstsein<br />

bei Weinproduzenten und<br />

-genießern schien das Todesurteil besiegelt.<br />

Doch es kam ganz anders: In den vergangenen<br />

Jahren haben viele Winzer die<br />

Vorzüge der Rebsorte in der Herstellung<br />

von Qualitäts- und Prädikatsweinen in<br />

unseren Breiten erkannt. Da wären zum<br />

Beispiel die hohe Anpassungsfähigkeit an<br />

Klima und Boden, die gute Reifung auch<br />

in etwas nasseren Sommern oder die geringe<br />

Blütenempfindlichkeit. Mit gezielter<br />

Ertragsreduzierung im Weinberg, gepaart<br />

mit der frühen Reife der Trauben,


lassen sich durchaus hochklassige, zumeist<br />

milde und säurearme Weine keltern.<br />

Zwar dient der Müller-Thurgau wegen<br />

seiner geringen Lagerungsbeständigkeit<br />

nur bedingt als vermögensbildendes Anlageobjekt,<br />

glänzt aber mit früher Trinkreife<br />

und sanft muskierter Süffigkeit. Dass<br />

man seine Vorzüge nicht nur im badischthurgauischen<br />

Grenzland schätzt, zeigt<br />

seine nationale wie internationale Popularität.<br />

Mit über 22.000 Hektar ist der<br />

Müller-Thurgau heute die weltweit erfolgreichste<br />

Weißweinneuzüchtung und<br />

hat seinen Weg von der Schweiz aus in<br />

die entferntesten Länder wie Japan oder<br />

Neuseeland angetreten. Hier und heute<br />

ist er aber vor allem wesentlicher Bestandteil<br />

weinseliger Abende an See- und<br />

Flussufern und in den zahlreichen Weinlokalen<br />

rund um den Bodensee.<br />

41<br />

30. August <strong>–</strong> 13. Oktober 2019<br />

„empty garden“ Ursula Palla<br />

Schriftbilder Zsuzsanna Gahse<br />

26. Oktober <strong>–</strong> 17. November 2019<br />

Werkschau Thurgau 2019<br />

Kunstraum Kreuzlingen<br />

& Tiefparterre<br />

Bodanstrasse 7a<br />

8280 Kreuzlingen<br />

Fr 15 <strong>–</strong> 20 Uhr<br />

Sa + So 13 <strong>–</strong> 17 Uhr<br />

kunstraum-kreuzlingen.ch<br />

DSCHONNIE<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Alexander Reb hat sich allein schon<br />

des Namens wegen berufen gefühlt<br />

der Entstehungsgeschichte der bedeutendsten<br />

Rebsorte am Bodensee<br />

nachzuspüren. Seine besonderen<br />

Müller-Thurgau-Empfehlungen teilt<br />

er gerne auf Nachfrage unter<br />

der.rebmeister@gmail.com<br />

<strong>Wildwuchs</strong> ist auch<br />

im Theater an der Grenze<br />

zu sehen und zu hören:<br />

Kabarett Sa. 02. November 2019 20 Uhr<br />

Stefan Waghubinger<br />

«Jetzt hätten die guten Tage kommen können»<br />

Kabarettistische Lesung Fr. 15. November 2019 20 Uhr<br />

Schwester Cordula «Schwester Cordula liebt Heimatromane:<br />

Unsern Bub, den kriegst Du ned!»<br />

Kindertheater ab 5 Jahren Mi. 20. November 2019 15 Uhr<br />

Theater Gustavs Schwestern +<br />

«Konrad, das Kind aus der Konservenbüchse»<br />

→<br />

Kurzfilme von Charles Chaplin Sa. 23. November 2019 20 Uhr<br />

Wanderkino The Rink und The Cure <strong>–</strong> live vertont<br />

Theaterkabarett Fr. 29. November 2019 20 Uhr<br />

Judith Bach «Claire alleene»<br />

+<br />

in Mundart<br />

Hauptstrasse 55a . Kreuzlingen . www.theaterandergrenze.ch<br />

VK: Kreuzlingen Tourismus, Tel +41(0)71 672 38 40 / www.starticket.ch


EIN WILDWUCHS GEGEN SICH SELBST<br />

42


43 EIN WILDWUCHS GEGEN SICH SELBST<br />

EIN<br />

WILDWUCHS<br />

GEGEN SICH<br />

SELBST UND DER<br />

TROST DER<br />

TROSTLOSIGKEIT<br />

→<br />

DER MENSCH, EIN GRENZÜBERSCHREITER


EIN WILDWUCHS GEGEN SICH SELBST<br />

44<br />

Wir stehen auf einer Brücke und blicken auf das Zollamt b<br />

bedingt, der sich unseren skeptischen Blicken offenbart, u<br />

wir mal: Romantik. Grenzen haben ja unter anderem den Z<br />

einzuhegen. Die wilden Grenzüberschreiter, die wir wären, w<br />

tenden Trennlinien unter eine gewisse Kontrolle gebracht.<br />

TEXT — Manuel Güntert<br />

FOTO — Michael Reiner, Mika Jaoud


45<br />

EIN WILDWUCHS GEGEN SICH SELBST<br />

bei der Autobahn herunter. Ein schöner Ort ist das nur<br />

und doch entbehrt er nicht einer eigentümlichen … sagen<br />

Zweck, den <strong>Wildwuchs</strong>, der wir Menschen potentiell sind,<br />

wenn es keine Grenzen gäbe, werden durch diese verpflich-<br />

So sind Grenzen eigentlich das überaus widersprüchliche<br />

Produkt ihrer gewollten Überschreitung <strong>–</strong> das Produkt eines<br />

<strong>Wildwuchs</strong>es, der sich selbst zähmt. Wir zivilisierten Menschen,<br />

die wir uns selbst unter Aufbietung (fast) aller unserer<br />

Kräfte domestiziert haben, und die wir uns nach wie vor domestizieren,<br />

sind wir denn nicht, und gerade deshalb, selbst<br />

<strong>Wildwuchs</strong> geblieben? Denn wären wir nicht irgendwie wildwüchsig<br />

geblieben, bräuchten wir doch auch keine Grenzen<br />

mehr! Wenn wir uns nun durch Grenzziehung vor uns selbst<br />

schützen, arbeiten wir zwar mit, aber gerade deshalb immer<br />

auch ein bisschen gegen uns. Das bedeutet, und man sollte das<br />

nicht für möglich halten: Dieser <strong>–</strong> unser <strong>–</strong> <strong>Wildwuchs</strong> wächst<br />

immer auch an und gegen sich selbst.<br />

Natürlich werden Grenzen von Menschenhand errichtet<br />

und gezogen, weshalb sie überaus künstlich sind. Das gilt<br />

insbesondere für diese Landgrenze hier, denn die natürliche<br />

Grenze, der Fluss, verläuft ein gutes Stück hinter dem Zollamt.<br />

Noch etwas ist hier künstlich und von Menschenhand erschaffen<br />

worden: Unter der Brücke fahren Autos hindurch, die, vom<br />

Zoll kommend, langsam anrollen, dann sukzessive beschleunigen,<br />

bevor schließlich auf der Autobahn Richtung Zürich das<br />

Gaspedal durchgetreten wird <strong>–</strong> zumindest soweit die nicht unerheblichen<br />

Schweizer Bußen das nicht verhindern.<br />

Wir registrieren, uns an einem überaus widersprüchlichen<br />

Ort aufzuhalten. Zu unserer Linken satte Grünflächen so weit<br />

das Auge reicht, und dann, wenn der Blick langsam nach rechts<br />

schweift, steht da mittendrin ein Zollamt. Quasi ins Grüne gesetzt.<br />

Daneben sind Grünflächen planiert worden für Parkplätze,<br />

für eine Autobahn, für einen Autobahnzubringer, für Anreihung<br />

von Kreisverkehren. Ein Auto schießt nach dem anderen unter<br />

der Brücke durch. Das sorgt für schlechte, ja für graue Luft. Es<br />

scheint, als sei der <strong>Wildwuchs</strong> hier doppelt gebändigt worden:<br />

durch die besagte Grenze und durch die noch besagteren Betonflächen,<br />

die einen reibungslosen Verkehrsfluss gewährleisten.<br />

Die steigenden Temperaturen <strong>–</strong> sind sie etwa die Rache der<br />

Wildnis für ihre Bändigung? Die so schwachen Pflanzen, die den<br />

so starken Asphalt und den Beton durchdringen <strong>–</strong> stehen sie<br />

sinnbildlich für den unvermeidbaren Rückschlag der Natur?<br />

Nur: Wenn vermeintlich schwache Pflanzen imstande sind, das<br />

zu durchbrechen, was sie einmal gebändigt hat, dann sind und<br />

waren sie in Wahrheit immer schon stärker, denn sonst wäre es<br />

ihnen doch gar nicht möglich? Was also hätte man denn tun<br />

sollen? Immerhin kann man das Wilde nicht einfach wachsen<br />

lassen. Oder? →


EIN WILDWUCHS GEGEN SICH SELBST<br />

46


47<br />

Jede satte grüne Landschaft ist<br />

auf die grauen Flecken angewiesen,<br />

um überhaupt als das geschätzt<br />

werden zu können, was sie erst dadurch<br />

wird.<br />


EIN WILDWUCHS GEGEN SICH SELBST<br />

48


49 EIN WILDWUCHS GEGEN XXXX XXXXX SICH SELBST XXXX<br />

Hier zeigen uns Pflanzen, wie mächtig er tatsächlich ist, ihr<br />

Wuchswille, den wir beherrschen wollen <strong>–</strong> oder eher: müssen.<br />

Und natürlich wissen wir um seine Macht, ich meine, wir fühlen<br />

ihn doch in aller Kraft <strong>–</strong> nach wie vor wuchert er in uns. Schließlich<br />

müssen wir ihn andauernd kontrollieren. Und wir spüren,<br />

dass der <strong>Wildwuchs</strong>, den wir in uns beherrschen müssen, ständig<br />

dazu neigt, sich seiner Kontrolle zu entziehen, also gewissermaßen<br />

die Grenzen zu durchbrechen, die wir ihm gesetzt haben.<br />

Das wiederum, und der nie ganz zu schließende Kreis schließt<br />

sich ein bisschen, erfordert ja erst die Grenzen.<br />

Jetzt flimmert die Luft, die schlechte, die graue. Aber das<br />

kann sie auch nur aus einem Grund: Sie ist von guter, von grüner<br />

Luft durchsetzt. Das erst, diese gegenseitige Durchdringung,<br />

bringt die Luft zum Flimmern. So verschwimmen die<br />

klaren Konturen, die sich in nur trügerischer Deutlichkeit vor<br />

uns abgezeichnet haben. Die Angewiesenheit des Einen auf das<br />

Andere, zeigt uns das nicht, dass allem, was sich erfolgreich<br />

etabliert <strong>–</strong> und das ist ja sowohl der Grenze wie auch der Verkehrsanlage<br />

gelungen <strong>–</strong>, immer schon eine Art Rückstoß oder<br />

Rückschlag zu sich selbst eingeschrieben ist? Versuchen wir<br />

also die Grenze, das Graue, das Öde, das Hässliche, das Eintönige<br />

und das Trostlose nicht als Gegensatz zum Grenzlosen,<br />

zum Grünen, zum Interessanten, zum Schönen, zum Bunten<br />

und zum Trost zu sehen, sondern als deren unerlässliche Bedingung<br />

und damit auch: deren Ermöglichung.<br />

Wie sonst soll uns Differenzierung überhaupt möglich sein?<br />

Man kann doch das Grüne auch nur von Orten aus wirklich als<br />

solches erkennen, die noch nicht oder nicht mehr grün sind,<br />

die entweder grau geblieben oder geworden sind. Jede satte<br />

grüne Landschaft ist auf die grauen Flecken angewiesen, um<br />

überhaupt als das geschätzt werden zu können, was sie erst dadurch<br />

wird. Wo alles grün ist <strong>–</strong> da ist nichts mehr grün. Wenn<br />

sich die Lungenflügel mit grauer, staubiger Luft füllen <strong>–</strong> um<br />

wie viel besser fühlt sich dann erst die Reinigung durch die<br />

grüne Luft an. Nur die schmutzigen, hässlichen und zudem<br />

überaus schlecht riechenden Flecken bringen das, was glänzen,<br />

schmecken und wohl duften soll, wirklich zum Vorschein. Bevor<br />

wir wieder gehen, wird uns endlich bewusst, dass wir die<br />

ganze Zeit über am richtigen Ort gestanden sind. Erhalten wir<br />

uns also das Trostlose <strong>–</strong> sonst wird es wirklich trostlos.<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Manuel hat diesen Text geschrieben,<br />

da er darauf aufmerksam machen<br />

will, dass die Bedingung des Unbedingten<br />

das Bedingte ist <strong>–</strong> und bleibt.<br />

unsere Klassiker und einige feine<br />

neue Bierkreationen erwarten euch:<br />

HELLES, INSELGOLD, WEIZEN,<br />

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JAMES BLONDE, HOPPEI grüngehopft,<br />

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<strong>–</strong> das Bier für die besonderen Momente <strong>–</strong><br />

BRAUWERKSTATT AM VÖGELISBERG 7, 78479 INSEL REICHENAU<br />

WWW.REICHENAU-INSELBIER.DE . INSTAGRAM_ INSELBIER@INSELBIER<br />


STADTPOESIE<br />

50<br />

atem<br />

Etwa 17 Mal pro Minute<br />

atmet ein Mensch.<br />

Pro Tag atmen wir 12000 Liter an Luft ein und aus.<br />

Der Sauerstoffgehalt der Luft liegt bei 21 %.<br />

Ausgeatmete Luft enthält noch immer 16 % Sauerstoff.<br />

Der Körper, der menschliche,<br />

nimmt daraus nur einen kleinen Teil auf.<br />

Von den 8,5 Litern pro Minute eingeatmeter Luft<br />

sind etwa 5% Sauerstoff,<br />

der vom Körper aufgenommen wird.<br />

Abschätzung des menschlichen Atmens<br />

Jeder Atemzug ist eine Abspaltung von Luft<br />

eine Siebung von Sauerstoff<br />

Die Schwerfälligkeit des Tages hebt sich auf zwischen Nase und Mund<br />

Der Körper, der menschliche, ist ein warmes Wesen<br />

Der Geruch von Haut wie warme Steine<br />

benetzt von einem<br />

feinen Staub des Tages.<br />

TEXT — Barbara Marie Hofmann


51 STADTPOESIE<br />

forschung an flüchtigen elementen<br />

notizen der autorin<br />

[morgens im zelt am himalaja]<br />

vor allem die schneehöhe ist etwas zu heiß<br />

höhe und masse<br />

dichte und tiefe temperaturen<br />

etwas zu messen so wie<br />

die menge von wasser die<br />

beim schmelzen von schnee entsteht<br />

ein zentiliter<br />

ist eine ausdauernde angelegenheit<br />

wir verwenden einheiten um uns einander zu vergleichen<br />

wenn ich zum schnee zurückkehre dann denke ich<br />

eine decke kann von unterschiedlicher dichte sein<br />

morgens im zelt am himalaya<br />

bei windstillen bedingungen<br />

durchdringt kosmische strahlung die obersten schichten<br />

eine sorte teilchen<br />

aus klarem licht gemacht<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Barbara Marie Hofmann liebt die<br />

Facetten der Sprache: Sie schreibt<br />

Gedichte und Theaterstücke, performt<br />

auf der Bühne ihre Spoken<br />

Poetry mit elektronischer Musik<br />

und arbeitet aktuell an interdisziplinären<br />

Projekten mit Tanz, Musik<br />

und Theater in verschiedenen Sprachen.<br />

2019 hat sie den Förderpreis<br />

Junge Kunst! der Stadt Konstanz in<br />

der Sparte Literatur erhalten.


STADTPOESIE<br />

52<br />

Sinn<br />

Glockenschläge taumeln übern See<br />

bis an den Kiosk. Joghurt. Mango. Litschi.<br />

Sie lallt es nach. Morgen wird sie zwei.<br />

Die Kasse klingelt, Papa sagt ihr: Erdbeer.<br />

Sie klopft, sie hält die Ohren an den Tisch,<br />

sie kleckert, lacht, ruft nach der Mutter.<br />

Sandalen kratzen stolpernd durch den Kies.<br />

Wer spricht von Wunder? Sie hört Entenflattern.<br />

In ihrer Sprache, die noch werden wird<br />

denkt sie: im Kiesstaub flüstert ihr das Licht.<br />

Sie zeigt noch immer gerne mit der Hand.<br />

Jetzt staunt sie in ein leeres Schneckenhaus<br />

und nur die Wolke, weiß in weitem Blau,<br />

bleibt weiter stumm in ihrem Implantat.<br />

TEXT — Thomas Bissinger


53<br />

Anzeige<br />

Druckhaus Müller


2000 WATT<br />

54<br />

2000 Watt<br />

→<br />

GEGEN DEN STROM SCHWIMMEN<br />

Es ist Silvester 2018 in Konstanz. Raketen schmücken die Luft, das<br />

Raclettegerät läuft auf Hochtouren und ich erhalte Neujahrsgrüße<br />

aus Andalusien. Gedanken zum alten Jahr kreisen in meinem Kopf<br />

und der Blick ins neue ermuntert zu guten Vorsätzen. Vorsätze,<br />

die meist nur ein paar Tage anhalten, trotzdem fasse ich drei: 2019<br />

fliege ich nicht, 2019 gönne ich mir maximal an zwei Tagen pro Woche<br />

Fleisch oder Fisch und 2019 finde ich heraus, worunter unsere<br />

Natur am meisten leidet. Die Natur, die mir so vieles schenkt <strong>–</strong> frische<br />

Luft beim Sport, gute Ideen beim Grübeln, ein Lachen beim<br />

Beobachten. Was ist das, das kaputt macht, was mir so am Herzen<br />

liegt? Dieser Frage gehe ich auf den Grund, um mit mehr Wissen<br />

besser zu verstehen und hoffentlich klüger und nachhaltiger entscheiden<br />

und handeln zu können.


55 2000 WATT<br />

TEXT — Eva Maria Höpfer<br />

GRAFIK — Isabell Schmidt-Borzel<br />

1<br />

„Wir leben 2000 Watt. Gut leben mit weniger Energie“, S. 4 + 5 → www.tinyurl.com/y2t27qzh<br />

Ich mache mich auf die Suche: Was leistet eine Stadt, die wie<br />

Konstanz den Klimanotstand ausruft, für das Klima? Im<br />

Energienutzungsplan 2018 werde ich fündig. Zehn Städte der<br />

Bodenseeregion verfolgen das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft.<br />

Konstanz ist eine davon. Die Schweizer Schwesterstadt gehört<br />

zwar nicht dazu, zieht aber tatkräftig am gleichen Strang: Als<br />

Energiestadt nutzt und fördert Kreuzlingen explizit einheimische<br />

und erneuerbare Energien und trägt so zum Klimaschutz<br />

und zu einer nachhaltigen Zukunft bei. Sowohl der Energienutzungsplan<br />

Konstanz als auch der Energierichtplan der<br />

Stadt Kreuzlingen schreiben sich diese 2000 Watt auf die Flagge.<br />

Was hat es damit auf sich? Wie kann ich mir das vorstellen?<br />

Eine Vision mit weitreichenden Konsequenzen<br />

2000 Watt. Das wäre der durchschnittliche kontinuierliche<br />

Energieverbrauch pro Person, den unsere Erde gut verkraften<br />

könnte. Forscher der Eidgenössischen Technischen<br />

Hochschule Zürich (ETH) haben berechnet, dass wir mit<br />

einem Verbrauch von 2000 Watt emissionsloser, erneuerbarer<br />

Energie die Klimaerwärmung begrenzen könnten. Enegieverbrauch<br />

meint dabei nicht nur die Endenergie (z.B. Strom), die<br />

meine Musikanlage, mein Kochtopf und meine Bohrmaschine<br />

verbrauchen, sondern rechnet die sogenannte Primärenergie<br />

dazu. Das ist die Energie, die benötigt wird, um meine Endenergie<br />

überhaupt bereitstellen zu können. Zwei Beispiele:<br />

Ich verbrauche beim Aufladen meines Handys Atomstrom plus<br />

die Energie, die ich zum Umwandeln von Uran in Atomstrom<br />

benötige. Und zu meinem Benzinverbrauch für die Tankfüllung<br />

meines Autos rechne ich die Umwandlungsenergie von Rohöl<br />

zu Benzin dazu.<br />

2000 Watt <strong>–</strong> eine Vision mit weitreichenden Konsequenzen<br />

für Umwelt und Stadtentwicklung. Ich frage mich, wie weit<br />

Konstanz und Kreuzlingen von diesem Ziel entfernt sind. Derzeit<br />

verbrauchen der durchschnittliche Deutsche und Schweizer<br />

permanent zwischen 4500 und 6500 Watt an Primärenergie<br />

zum Heizen, Kühlen, (Fort-)Bewegen, für elektronische Datenverarbeitung,<br />

Telekommunikation oder Beleuchtung. Das<br />

unser Herz<br />

1-2 Watt<br />

schwere körperliche Arbeit<br />

200 Watt<br />

Wat ist Watt? Ein Watt ist die physikalische Einheit für Leistung. 1<br />

→ Der Energienutzungsplan der Stadt Konstanz zeigt<br />

konkrete Wege zu einer nachhaltigen, emissionsarmen<br />

Energieversorgung in Konstanz auf, mit der in Konstanz bis<br />

2050 die 2000-Watt-Gesellschaft erreicht werden soll.<br />

→ Das vom Schweizerischen Trägerverein Energiestadt<br />

nach anspruchsvollen Kriterien verliehene Label Energiestadt<br />

erhält eine Gemeinde oder Stadt, die sich kontinuierlich<br />

für eine effiziente Nutzung von Energie, den Klimaschutz und<br />

erneuerbare Energien sowie umweltverträgliche Mobilität<br />

einsetzt.<br />

→ Der Energierichtplan ist ein verbindliches Planungsinstrument<br />

der Stadt Kreuzlingen und koordiniert beispielsweise<br />

das Wärmeangebot und die Wärmenachfrage in<br />

Kreuzlingen.<br />

ist, als würde ich konstant mit sechs Staubsaugern zeitgleich<br />

einen Teppich saugen. In anderen Ländern, wie beispielsweise<br />

Bangladesch, liegt der durchschnittliche Verbrauch bei<br />

weniger als 1000 Watt, also rund einem Sechstel des unseren.<br />

Liegt dieser immense europäische Mehrverbrauch an<br />

unserer Wohlstandsgesellschaft? Unserer Konsumsucht? Meine<br />

90-jährige Oma Lilli sagt, „Euch gohd’s zguad!“ Und tatsächlich,<br />

sie hat recht: In ihrer Jugend, den 1950er-Jahren, lag<br />

der Primärenergieverbrauch in der Schweiz bei 2000 Watt.<br />

Seitdem ist er beständig gestiegen. Verrückt <strong>–</strong> wir haben energieeffizientere<br />

Gebäude, Geräte und Fahrzeuge mit neueren<br />

Technologien als vor rund 70 Jahren und verbrauchen mehr<br />

als doppelt so viel Energie. Ob das mit dem Rebound-Effekt<br />

zu tun hat? Dieser meint nicht den abgeprallten Basketball nach<br />

einem misslungenen Korbwurf, sondern unsere Tendenz,<br />

effizientere Geräte häufiger oder länger zu benutzen. Die neue<br />

Energiesparlampe lasse ich einfach die ganze Nacht über<br />

brennen, ist ja energiesparend. Und das Geld, das ich bei der<br />

zweimonatigen Aktion „bike to work“ spare, investiere ich<br />

in eine Flugreise nach Marokko. Der Rebound hat auch bei mir<br />

→<br />

Bergetappe mit dem Rennrad<br />

400 Watt<br />

Staubsaugen<br />

1000 Watt


2000 WATT<br />

56<br />

erst kürzlich wieder zugeschlagen: Im Büro wandern Massen<br />

an Papier in die Tonne. Im Vergleich zu Zeiten der Papiererfindung<br />

benötigt dessen Herstellung heute nur noch ein Hundertstel<br />

an Material und Energie, ist also deutlich effizienter.<br />

Und ich drucke mehr als je zuvor.<br />

Sind wir so unkreativ?<br />

Ich lese im Energienutzungsplan Konstanz: „Sollten sich<br />

bei Energieerzeugung und -verbrauch in Konstanz keine weitreichenden<br />

Veränderungen einstellen, werden die gesetzten<br />

Klimaschutzziele schon ab den frühen 2020er-Jahren verfehlt.“<br />

Der Kreuzlinger Stadtrat Ernst Zülle sieht das laut Kreuzlinger<br />

Zeitung ähnlich: „Läuft alles weiter wie bisher, ist die<br />

Ziellücke beim CO 2<br />

-Absenkpfad offensichtlich“. Na prima!<br />

Sind wir so unkreativ, so inkonsequent? Warum fällt es uns so<br />

schwer, unseren Energieverbrauch zu senken? Ich glaube<br />

nicht, dass es uns an Ideen zum Energiesparen fehlt, aber wir<br />

dürfen daran glauben, dass unser Beitrag etwas wert ist.<br />

Wie beim Wählen jede Stimme zählt, zählt beim Klimaschutz<br />

jedes gesparte Grad in der Wohnung und jeder gefahrene<br />

Kilometer mit dem Fahrrad, der nicht dem Rebound zum<br />

Opfer fällt.<br />

Um dies zu unterstützen, versuchen die Energiepläne von<br />

Konstanz und Kreuzlingen Strategien zu etablieren, die uns<br />

helfen sollen, unseren Energieverbrauch um zwei Drittel zu<br />

senken und vier unserer sechs Staubsauger abzustellen.<br />

Mit Wissen beginnt der Wandel, oder warum<br />

bei uns im Treppenhaus eigentlich die ganze<br />

Nacht über das Licht brennt?<br />

Noch ist in vielen unserer Konstanzer und Kreuzlinger<br />

Stadtgebieten das Potenzial zur Optimierung der Energieversorgung<br />

hoch. Es gibt aber bereits gute Ansätze zur<br />

Verbesserung: So wird beispielsweise in der Wohnanlage<br />

Benediktenhof Konstanz beim Bahnhof Petershausen durch<br />

ein Contracting zwischen Bauherrn und den Stadtwerken<br />

Konstanz die Energie aus Abwasserkanälen nachhaltig zum<br />

Heizen und Kühlen der Wohnräume genutzt. Contracting<br />

bedeutet: Ein Wohnraumeigentümer bindet seinen Energieanbieter<br />

vertraglich an eine hocheffiziente Energieerzeugung<br />

und Senkung des CO 2<br />

-Ausstoßes. Ich zwinge quasi meinen<br />

Energieanbieter vertraglich dazu, mir nachhaltige Energie<br />

zu liefern.<br />

Kostenlose Energieberatungen, unter anderem zum<br />

Thema Contracting, bieten die Region Kreuzlingen oder die<br />

Energieagentur der Stadt Konstanz: Wie kann ich meinen<br />

Verbrauch reduzieren? Wie geht energieeffizientes Bauen oder<br />

energetische Sanierung? Kann überschüssige Energie z.B.<br />

aus Abwasserkanälen nachhaltig für die Beheizung und Kühlung<br />

meiner Wohnräume genutzt werden, wie es im Benediktenhof<br />

gemacht wird?<br />

Energieeffizienz nachhaltig steigern <strong>–</strong><br />

ohne Rebound<br />

Den Großteil, nämlich gut die Hälfte unserer durchschnittlich<br />

verbrauchten 5500 Watt, könnten beide Städte beim<br />

Bau und Unterhalt von Gebäuden einsparen. Sie setzen sich<br />

daher für strenge Baustandards zugunsten einer positiven<br />

Energiebilanz bei Neubauten und Modernisierungen von<br />

Rebound-Effekt: Wenn effizientere und günstigere Lösungen<br />

zu verstärkter Nutzung führen <strong>–</strong> statt einer<br />

Kerze brennt der Kronleuchter mit fünf LED-Leuchten.<br />

Die ursprüngliche Energieeinsparung prallt an unserem<br />

Nutzungsverhalten ab.<br />

Gebäuden ein. Das bedeutet, Gebäude und insbesondere deren<br />

Fenster müssen optimal isoliert werden, um im Winter<br />

Heizenergie zu sparen. Oder bestehende Gebäude werden mit<br />

einer verbesserten Anlagentechnik ausgestattet, durch die<br />

erneuerbare Energien genutzt und gespeichert oder gleichzeitig<br />

Strom und Wärme erzeugt werden können. So wird<br />

beispielsweise die Abwärme eines Motors für Heizzwecke und<br />

zur Warmwasserbereitung genutzt.<br />

Und hiermit lande ich bei der Frage: Woher stammt meine<br />

Energie überhaupt? „Innovative Energiesysteme“ ist das<br />

Stichwort, das mich im Konzept der Energiestadt Kreuzlingen<br />

neugierig macht. Ein Gedankenexperiment: Stell dir vor,<br />

du generierst deine Heizwärme und deinen Strom in sonnenreichen<br />

Monaten dank Solaranlagen auf deinem Dach. Für<br />

den Nacht-Tag-Ausgleich installierst du einen Kurzzeitspeicher,<br />

der die am Tag gewonnene Energie speichert und so auch<br />

in der Nacht nutzbar macht. Während der sonnenarmen Monate<br />

hingegen, in denen sich kaum Sonnenenergie gewinnen<br />

lässt, stehen dir zentrale Langzeitspeicher zur Verfügung. In<br />

diesen Speichern wird während der dunklen Jahreszeit durch<br />

Windenergie erzeugter Wasserstoff gespeichert. Dieser Wasserstoff<br />

kann wiederum, je nach Verbrauch, durch clevere emissionsschwache<br />

Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen zunächst<br />

in mechanische Energie und anschließend in Strom für dein<br />

Waffeleisen und Wärme für dein Vollbad umgewandelt<br />

werden. Bei sehr hohem Energiebedarf stehen dir ergänzend<br />

Kleinwindanlagen aus der Umgebung zum Ausgleich zur<br />

Verfügung. So würde sich unsere Energiegewinnung auf Dauer<br />

nicht erschöpfen. Ein innovatives Energiesystem <strong>–</strong> und eine<br />

realistische Vision der Energiestadt Kreuzlingen.


57 2000 WATT<br />

2<br />

„Wir leben 2000 Watt. Gut leben mit weniger Energie“, S. 4 + 5 → www.tinyurl.com/y2t27qzh<br />

Und wie sieht die Realität aus? In den Energiekonzepten<br />

von Konstanz und Kreuzlingen finde ich Vorstöße zum Heizen<br />

mit erneuerbarer Energie, beispielsweise mit Seewasserwärmenutzung.<br />

Das bedeutet, dass wir in Zukunft idealerweise<br />

den Bodensee zur Wärmegewinnung nutzen könnten <strong>–</strong> in<br />

Mansfield (Großbritannien) wird bereits ein ganzes Krankenhaus<br />

mit Wärme und Kälte aus Seewasser betrieben, indem<br />

Wärmepumpen und Klimageräte des Spitals dem See indirekt<br />

Wärme entziehen oder zuführen. Und das Elektrizitätswerk<br />

der Stadt Zürich beliefert unter anderem das Stadthaus Zürich,<br />

das Kongresshaus, das Hotel Park Hyatt und die Gebäude<br />

der NZZ mit aus Züriseewasser gewonnener 100 % erneuerbarer<br />

Energie. Warum also nicht auch bei uns?<br />

CO 2<br />

-Emissionen im Verkehrsbereich<br />

reduzieren <strong>–</strong> mit schlauen Lösungen<br />

Unsere beiden Städte verfolgen zusätzlich zur Reduktion<br />

auf 2000 Watt das Ziel, den Anteil fossiler Energien wie<br />

Braunkohle, Steinkohle oder Erdöl von 90 % auf 25 % zu reduzieren.<br />

Dafür sind vor allem schlaue verkehrstechnische<br />

Lösungen gefragt, die zu einer stärkeren Nutzung des Langsamverkehrs<br />

und des ÖPNV führen. Wie es wohl wäre, wenn<br />

mein 80-jähriger Patenonkel aus Petershausen, der nicht mehr<br />

gut zu Fuß ist und seine viel genutzte, aber vor Kurzem<br />

aufgelöste Bushaltestelle vor seiner Türe sehr vermisst, mit<br />

dem autonom fahrenden Elektroauto zum Blutabnehmen<br />

gefahren würde? Oder wenn die zahlreichen Tagesgäste und<br />

Besucher mittels Mitfahrgelegenheit in die Region kämen?<br />

Mit Leihrad, Elektrobus oder Solar-Wassertaxi ginge es weiter<br />

zum individuellen Zielort. Staufrei in die verkehrsberuhigte<br />

Innenstadt und zurück mit dem Zug vom zentralen und länderübergreifenden<br />

Bahnhof <strong>–</strong> alles mit demselben Mobilitätsangebot.<br />

→<br />

USA<br />

12 000 Watt<br />

Europa<br />

6000 Watt<br />

Bangladesch<br />

500 Watt<br />

Ungefährer Energieverbrauch<br />

pro Kopf im<br />

weltweiten Vergleich. 2<br />

Durchschnitt weltweit<br />

2200 Watt<br />

Dein Konstanzer Fachhandel für plastikfreie<br />

Kosmetik, Haushaltswaren und Bürobedarf<br />

Online einkaufen mit kostenloser Auslieferung in Konstanz<br />

oder vorbeikommen an den verkaufsoffenen Samstagen von 10 bis 14 Uhr am<br />

• 28. September • 26. Oktober • 23. November • 14. Dezember<br />

Nachlass<br />

auf Deinen<br />

Einkauf<br />

vor Ort<br />

(bitte Coupon<br />

mitbringen)<br />

oder<br />

online mit<br />

dem Code<br />

wildwuchs<br />

Gottlieb-Daimler-Straße 5, 78467 Konstanz, 2. Etage<br />

info@monomeer.de, www.monomeer.de


2000 WATT<br />

58<br />

6000 Watt<br />

Durchschnittlicher kontinuierlicher<br />

Energieverbrauch p. P. in Europa:<br />

Das ist, als würden wir konstant<br />

mit sechs Staubsaugern zeitgleich<br />

einen Teppich saugen.<br />

Mit dem Rad in die Arbeit statt mit<br />

dem Auto ins Fitnessstudio<br />

Ich erreiche das Ende des Energienutzungsplans und stoße<br />

auf einen Punkt, der unsere bequemen Egos adressiert: Den<br />

größten Teil der Endenergie verbrauchen wir in unseren Wohngebäuden<br />

und als Konsumenten. Wie können wir nun unserer<br />

Natur etwas Gutes tun? Jeder im Einzelnen, als Mieter, Eigentümer,<br />

als Mensch in der Stadt? Ich denke an:<br />

→ Insel-Shopping:<br />

Mit dem Rad zur Reichenau oder ins Tägermoos und sich<br />

vor der Hoftüre der Erzeuger am regionalen und saisonalen<br />

selbstbedienen. Einfach den Fahrradkorb vollmachen<br />

und garantiert direkt autofreie Früchte genießen.<br />

→ Reichenauer Salatstube oder<br />

Restaurant Kuhhorn in Tägerwilen:<br />

Lecker, nicht nur saisonal und nachhaltig einkaufen <strong>–</strong><br />

sondern auch so essen gehen, gleich ums Eck.<br />

→ Energie schaffen anstatt<br />

sie zu verbrauchen:<br />

Die grenzüberschreitenden Tage der offenen Gärten<br />

(Konstanz, Reichenau, Kreuzlingen, Tägerwilen) informieren<br />

im Frühjahr und Frühsommer zu Pflanzen,<br />

die unsere heimischen Insekten und Vögel nutzen und<br />

wir pflanzen können. www.offene-gaerten-konstanz.de.<br />

→ Lebensmittel fairteilen:<br />

Mitnehmen oder Abgeben übriggebliebener genießbarer<br />

Lebensmittelreste, damit möglichst wenig (eingeflogene)<br />

Lebensmittel weggeworfen werden. Fair-Teiler gibt es einige<br />

in unserer Region.<br />

Z.B. Konstanz: Verteiler am Palmenhaus, Zum Hussenstein 12<br />

Kreuzlingen: verwertBAR, Brunnenstrasse 15<br />

→ Einmachen statt wegwerfen:<br />

Die Einmach-AG trifft sich einmal im Monat im Café<br />

Mondial, um sich gemeinsam ans Eingemachte zu machen.<br />

→ Rezeptideen für z.B. altes Brot<br />

liefert der in Winterthur gegründete<br />

Verein RestEssBar:<br />

www.restessbar.ch/de/rezepte<br />

→ Reparieren statt konsumieren:<br />

Mit der kaputten Kaffeemaschine zum Flicken ins Repair<br />

Café Kreuzlingen oder Konstanz. Wenn nix mehr geht,<br />

auf LED-Leuchten, A+++ Kühlschränke und Kaffeemaschinen<br />

mit intelligenter Abschaltautomatik umstellen oder<br />

auch mal was Gebrauchtes aufpeppen.<br />

→ Tink, Konrad oder Mobility statt SUV.<br />

→ Besuch da?<br />

Eine Tour mit der Solarfähre oder dem Tretboot statt<br />

mit dem Diesel-Tanker.<br />

→ Wurzelkinder Konstanz oder Kreuzlingen:<br />

Mit jedem zusätzlichen Menschen werden mehr Ressourcen<br />

verbraucht und mehr CO 2<br />

freigesetzt <strong>–</strong> geniale Angebote<br />

helfen der zukünftigen Generation, sich spielerisch<br />

zu kritischen Konsumenten und zu naturverbundenen,<br />

energie- und ressourcensparenden Persönlichkeiten zu entwickeln.<br />

→ Umdenken, Ziele setzen<br />

und Zeit umverteilen:<br />

Eine bestimmte Zeit lang möglichst energiesparend<br />

reisen und nichts kaufen, was nicht absolut notwendig ist.<br />

Die dadurch eingesparte Zeit in die nächste Fahrraddemo<br />

oder den kommenden Klimastreik investieren und dabei<br />

interessante Gespräche mit naturverbundenen Personen<br />

führen.<br />

→ Weniger stromsaugende Glitzerei<br />

in der Herbst- und Weihnachtszeit und das dadurch eingesparte<br />

Geld für den Klimaschutz spenden statt es für<br />

Luxuskonsum auszugeben.


59 2000 WATT<br />

Wissen, das mich vor dem Zubettgehen nochmal<br />

an den Alle-Jahre-Wiederverwendbar-Baum<br />

gehen lässt, um die LED-Lichterkette auszustecken,<br />

bevor ich zum Stoßlüften in mein Schlafzimmer<br />

tappe, das alles andere als gut isoliert ist. Aber zumindest<br />

bin ich mir darüber im Klaren und werde<br />

so besser meinen dicken Schlafanzug anziehen, anstatt<br />

die Heizung weiter aufzudrehen.<br />

3<br />

Verbraucherzentrale NRW e.V.: → tinyurl.com/y6g6gzy6 | 4 Verbraucherzentrale NRW e.V.: → www.tinyurl.com/y2z9bq9q<br />

5<br />

n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH: → www.tinyurl.com/y5ud2mef<br />

Zurück zu meinen Vorsätzen für das Jahr 2019. Mein persönliches<br />

Ziel ist neuer Wissensraum in meinem Kopf. Die<br />

Klimaerwärmung stellt unser Weltbild mehr als je zuvor in<br />

Frage. Umweltschutzgedanken umwirbeln meine Wohlfühlgewohnheiten.<br />

Was unsere westlichen Gesellschaften antreibt<br />

<strong>–</strong> Wirtschaftswachstum und steigendes Bruttoinlands<br />

produkt <strong>–</strong> korreliert stark mit steigenden CO 2<br />

-Emissionen.<br />

Wir stecken mitten im Zielkonflikt. Statt eines „immer mehr“<br />

wünsche ich mir ein „immer gerechter“, quasi einen Bruttoinlandsquotienten,<br />

der abbildet, welches Land seine immer<br />

knapper werdenden Ressourcen am gerechtesten verteilt.<br />

Auch wenn wir leider weit davon entfernt sind, diesen Quotienten<br />

einzuführen oder Trump von Paris statt von Pittsburgh<br />

zu überzeugen, zeigt mir die Entwicklung unserer beiden<br />

Städte, dass im Kleinen umweltfreundliche Maßnahmen<br />

geschaffen werden, um dem Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft<br />

näher zu kommen. Das klappt nicht perfekt, aber es klappt<br />

dann besonders gut, wenn wir intelligent mit unseren begrenzten<br />

Ressourcen umgehen. Wenn wir uns fragen, welche<br />

Konsumgüter und -tätigkeiten unsere gemeinsame Lebensqualität<br />

nachhaltig verbessern. Die gute Nachricht: Ein Leben<br />

in der 2000-Watt-Gesellschaft kann genauso viel Lebensqualität<br />

beinhalten <strong>–</strong> CO 2<br />

-reduzierte Lebensqualität. Dafür<br />

gibt es bereits kreative und intelligente Alternativen und<br />

viele weitere können noch gefunden werden <strong>–</strong> ein Feuer im<br />

Hof oder selbstgebastelte Laternen statt Raketen, Ökostrom<br />

fürs Raclette, Schwarzwaldhütte statt Andalusien und Bienenwachsreste<br />

statt Blei gießen.<br />

LED-Lampe<br />

12 Watt<br />

statt<br />

Glühlampe<br />

75 Watt<br />

→ ca. 63 kWh bei 1000 h/p.a. Energieeinsparung<br />

und ca. 175 € Kostenersparnis in 10 Jahren 3<br />

2 min 24 h<br />

Stoßlüften statt Dauerlüften<br />

→ ca. 13 000 kWh/p.a. Energieeinsparung in<br />

einem Einfamilienhaus mit 130 m 2<br />

und ca. 23 500 € Kostenersparnis in 30 Jahren 4<br />

D U<br />

M Ö C H T EST<br />

WISSEN, WIE VIEL<br />

WATT DU VER-<br />

BRAUCHST? MACH<br />

DEN TEST!<br />

→ tinyurl.com/<br />

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Wärmedämmung<br />

→ ca. 2800 kWh Energieeinsparung in einem<br />

Einfamilienhaus mit 150 m 2 und Gasheizung<br />

und ca. 240 € Kostenersparnis pro Jahr 5<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Eva lebt in Zürich, ist mit Füßen<br />

und Herzen aber regelmäßig in<br />

ihrer zweiten Heimat am Bodensee.<br />

In ihrem Beruf setzt sie sich für<br />

innovative Bildungsgestaltung ein.<br />

In diesem Jahr versucht sie ihre eigene<br />

Bildung zu gestalten und<br />

speziell dem klimafreundlichen Wohnen,<br />

(Fort-)Bewegen oder Kommunizieren<br />

auf den Grund zu gehen.<br />

Ein Grad kühler statt Heizung aufdrehen<br />

→ ca. 1350 kWh/p.a. Energieeinsparung in einem<br />

Einfamilienhaus mit 150 m 2 und Gasheizung<br />

und ca. 115 € Kostenersparnis pro Jahr 5


PERSPEKTIVE<br />

60<br />

Wilder Wald säumt Ackerland<br />

Mit dem Auftreten der Landwirtschaft hat der<br />

Mensch die Erde nachweislich maßgeblich verändert.<br />

Über Jahrtausende hinweg wanderten Jäger<br />

und Sammler auf der Suche nach Nahrung darüber.<br />

Zu dieser Zeit lebten erst rund fünf Millionen Menschen<br />

auf dem Planeten.<br />

Das änderte sich mit dem Übergang zu einer Kultur<br />

des Ackerbaus und der Viehzucht vor etwa 10.000<br />

Jahren. Der Mensch wurde sesshaft. Er rodete Wälder<br />

für Ackerflächen, nutzte Feuer als Energiequelle und<br />

entwickelte Techniken zur Zubereitung und Aufbewahrung<br />

von Nahrungsmitteln. Mit dem Aufkommen<br />

der Landwirtschaft wuchs die Menschheit bis zum<br />

Beginn unserer Zeitrechnung auf etwa 300 Millionen<br />

heran.<br />

Rodungen von Wäldern und die Umwandlung von<br />

Gras- in Ackerland sind die größte räumliche Umgestaltung<br />

der Erdoberfläche in der Geschichte der<br />

Menschheit. Heute wird auf rund 40 % der Landfläche<br />

unserer Erde Landwirtschaft betrieben. In<br />

Deutschland nutzen wir sogar über die Hälfte des<br />

Bodens dafür.


FOTO UND TEXT — Tom Hegen<br />

61 PERSPEKTIVE


PERSPEKTIVE<br />

62


Fischfarmen im Mittelmeer<br />

63 PERSPEKTIVE<br />

Um den Bedarf der erwarteten 9 Milliarden Menschen<br />

zu decken, müssen bis 2050 weltweit rund 70 %<br />

mehr Nahrungsmittel produziert werden. Das bedeutet,<br />

dass die zukünftige Lebensmittelindustrie produktiver<br />

denn je werden muss. Die Aufzucht von Tieren in<br />

Aquakulturen ist die am schnellsten wachsende Lebensmittelindustrie<br />

der Welt.<br />

Im Jahr 2014 lieferte die Fischwirtschaft 44,1 % der<br />

für den menschlichen Verzehr erzeugten Fische. Fischfarmen<br />

sind eine effiziente Alternative zur Zucht großer<br />

Fischmengen anstelle der Wildfischerei. Andererseits<br />

werden Aquakulturen oft wegen den negativen<br />

Folgen auf ihre Umwelt, ihre Auswirkungen auf die Biodiversität<br />

und den Einsatz von Antibiotika zur Vorbeugung<br />

von Infektionen kritisiert.<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Nicht erst seit seinem Master an der<br />

HTWG Konstanz bereist Tom Hegen<br />

die Welt. Als Fotograf und Designer<br />

erforscht und zeigt er die Auswirkungen<br />

der menschlichen Anwesenheit<br />

auf der Erde und die Beziehung<br />

zwischen Mensch und Natur. In<br />

seinen Luftaufnahmen konzentriert<br />

Tom sich auf Landschaften, die<br />

durch menschliche Eingriffe stark<br />

verändert worden sind. Er möchte<br />

den Blick des Betrachters für die<br />

erstaunlichen Kräfte sensibilisieren,<br />

die unsere Umwelt beeinflussen.


Von<br />

einer,<br />

die<br />

auszog,<br />

den<br />

Rückweg<br />

zu<br />

lieben.<br />

→<br />

ERFAHRUNGSBERICHT<br />

AUS 7.000 KILOMETERN<br />

ENTFER<strong>NUN</strong>G


65<br />

VON EINER, DIE AUSZOG …<br />

Manchmal muss man weit in die<br />

Ferne reisen, um zu erkennen, wie<br />

wunderbar die eigene Heimat ist.<br />

Isabelle-Jasmin Roth, gebürtige<br />

Konstanzerin, ist vor zehn Jahren<br />

nach Indien ausgewandert und<br />

lebt mittlerweile mit Mann, Hund<br />

und Katze in Goa. Ein Erfahrungsbericht<br />

aus 7.000 Kilometern Entfernung<br />

über die Freude, nach Hause<br />

zu kommen.<br />

„Cha i bitteee zaahle?“; der nickt nur freundlich und versteht. Ich<br />

kann nicht anders und muss schmunzeln: Meine beiden Leben<br />

auf weniger als zehn Quadratmetern vereint, mit all ihren kuriosen<br />

und vertrauten Eigenheiten, die sie zu dem machen, was<br />

sie sind: Heimat. Ich lasse Kaffee und Kakophonie hinter mir,<br />

und mache mich, voller Vorfreude auf meine Eltern, die mich<br />

ohne Ausnahme jedes Mal winkend und fotografierend am<br />

Flughafen in Zürich abholen, und der Frage, was es wohl zum<br />

Abendessen geben wird, auf zum Gate.<br />

Bloß weg von hier!<br />

Die Vorfreude auf die süddeutsche Heimat ist ein relativ neues<br />

Phänomen für mich. Obwohl ich hier geboren und aufgewachsen<br />

bin (oder vielleicht gerade deswegen), war für viele<br />

Jahre der erste Gedanke an Konstanz untrennbar verbunden<br />

mit „Bloß weg von hier!“. Zu eng(stirnig), zu klein(geistig), einfach<br />

nicht mein Ding. Für mich galt die Devise: Hinaus in die<br />

Welt <strong>–</strong> je weiter weg, desto besser! Als ich mit 17 die Bücher<br />

von Helge Timmerberg, Deutschlands bestem und abenteuerlustigstem<br />

Reise-Autor, entdeckt habe, war klar, dass ich der<br />

kleinstädtischen Idylle den Rücken zu kehren hatte, um dorthin<br />

zu gehen, wo alles anders ist als dass was ich bisher kannte.<br />

Kein Wunder also, dass es mich nach kurzen Abstechern an<br />

den Unis in Bayreuth und Heidelberg nach Indien verschlagen<br />

hat <strong>–</strong> ein Land, das alles Gekannte auf den Kopf stellt, nur um<br />

es dann nochmals gehörig durchzuschütteln, und alle Beteiligten<br />

gleich mit dazu. Honey, I’m home!<br />

TEXT — Isabelle Jasmin Roth<br />

ILLUSTRATION — Isabell Schmidt-Borzel<br />

Von Vorfreude und<br />

Vorratskammern<br />

„Dear ladies and gentlemen, the boarding for flight LX 4201 to<br />

Zurich is now open. Please proceed to the gate immediately.“<br />

Ich sitze in einem Café mit vier kleinen Tischen im Flughafen<br />

von Abu Dhabi, als die Durchsage durch die Lautsprecher tönt;<br />

mein Ticket für die Weiterreise bereits gezückt in der einen,<br />

eine zu heiß gebrühte Tasse Cappuccino in der anderen Hand.<br />

Am Tisch zu meiner Rechten hat sich eine fröhliche, farbenfrohe<br />

und lautstarke Familie aus Indien eingefunden, die, wie<br />

ich unweigerlich mitbekomme, in Kürze 13 weitere Stunden<br />

nach New York City fliegen wird. Voller Aufregung wird durcheinander<br />

diskutiert, bestellt, und wild gestikuliert; die Vorfreude<br />

auf das, was nach dem nächsten Flug kommen mag, ist<br />

ansteckender als ein Grippevirus im Kindergarten. Am Tisch<br />

zu meiner Linken analysiert ein älteres Ehepaar hingegen im<br />

vertrauten schweizerdeutschen Sing-Sang detailliert und nüchtern<br />

die Abendbrot-Optionen der heimischen Vorratskammer.<br />

Er ist wohl in Gedanken bereits zu Hause, denn er fragt den Kellner<br />

Einmal Indien, immer Indien<br />

(oder niemals wieder)<br />

Jeder, der schon einmal in Indien war, weiß, dass es kein Fleck<br />

für Reisende mit schwachen Nerven, geräuschempfindlichen<br />

Ohren, perfektionistischen Gemütern oder sensiblen Mägen<br />

ist. Es wimmelt nur so von Menschen, Tieren, Sprachen, Gerüchen,<br />

Göttern, Geistern und Ideen, und hinter jeder Ecke<br />

wartet eine neue, interessante, manchmal komische und oftmals<br />

traurige Geschichte. Selbst die kleinsten Kleinigkeiten, die<br />

in Deutschland relativ einfach und unkompliziert zu erledigen<br />

sind, können in Indien zur physischen und psychischen Herausforderung<br />

werden (und machen damit das Land meiner Meinung<br />

nach zur besten Charakterschule der Welt). Und trotzdem,<br />

und genau dahinter verbirgt sich Mama India’s berühmter<br />

Zauber, klappt zum Schluss doch alles immer irgendwie, wenn<br />

auch über viele (und aus deutscher Sicht absolut unnötige) Umwege.<br />

Nur eine extra Portion Geduld und ein guter Schuss Humor<br />

können den Verstand dann noch in Schach halten (eine<br />

Eigenschaft, die sich in allen Situationen des Lebens als sehr<br />

hilfreich erweist). In Indien lernt man, dass man nichts und niemanden<br />

kontrollieren kann und dass alles genau dann passiert,<br />

wenn es zu passieren hat <strong>–</strong> egal ob man es so will, oder eben<br />


VON EINER, DIE AUSZOG …<br />

66<br />

nicht. Der absolute Kontrast also zu meinem jugendlichen Leben<br />

in Konstanz, und damit genau das Richtige. So hatte etwa die<br />

Straße in der Hauptstadt Neu Delhi, in der ich meine erste Wohnung<br />

mit 23 Jahren bezog, mehr Einwohner als die gesamte<br />

Altstadt von Konstanz; und anstatt des Kirchturmläutens,<br />

welches bei gekippten Fenstern bis in mein Kinderzimmer vordrang,<br />

hämmerten sich nun die parallelen Gesänge und Gebete<br />

der indischen Tempel und Moscheen über deren Lautsprecher<br />

zu jeder Tages- und Nachtzeit in meine neue Realität.<br />

Eine Fern-Beziehung<br />

mit der Heimat<br />

Eine der ersten Fragen, die ein Inder einer blonden Ausländerin<br />

stellt, ist: „Where are you from?“, worauf ich antworte: „Germany!“,<br />

wissend, dass als nächstes kommt: „Oh, great, and where<br />

in Germany?“, und dann sage ich: „Konstanz!“, was die meisten<br />

Inder nicht kennen, und daher fragen „Is this near Munich?<br />

Or Berlin? Or Düsseldorf?“ (lustigerweise kennen fast alle Inder<br />

Düsseldorf), worauf ich geographisch gefestigt korrigiere:<br />

„No, no, more left, and in the South … you know, right at the<br />

Swiss border! You can walk from Germany to Switzerland! We<br />

can see the Alps on a clear day! And it has a lake, a really beautiful<br />

lake, Austria and Germany and Switzerland share it! And<br />

the boarders are all open, so you can just walk over into from<br />

Germany to Switzerland, no border control, and it is really beautiful<br />

in the summer, we take the boat out and swim!“ Die Reaktion<br />

darauf ist immer, wirklich immer: „Wow, really? Show<br />

me a picture!“ Dann zücke ich mein Smartphone so schnell<br />

wie einen Revolver zum freundschaftlichen Duell, und google<br />

Konstanz, zeige Bilder vom Bodensee bei Tag und in der Nacht,<br />

Fotos von der Rheinbrücke und der Imperia-Statue (manchmal<br />

auf Nachfrage der Herren auch mit Zoom-in auf das Dekolleté,<br />

„Really, this is in a public space? How cool is your city!“), und<br />

vielleicht öffne ich sogar eine Landkarte, und deute auf den<br />

kleinen Punkt zwischen Ober- und Untersee, und erkläre, wo<br />

die Schweiz mit Kreuzlingen beginnt, und wo genau Deutschland<br />

endet. Und dann erzähle ich von Konstanz wie von einem


67<br />

fernen Märchenland, und wie wir zur Schulzeit in der Mittagspause<br />

zur Abkühlung einfach von der Fahrradbrücke in den<br />

Rhein gesprungen sind; und vom Hemdglonker-Umzug, an<br />

dessen Ende wir, gut betrunken und in weiß gekleidet, jedes<br />

Jahr im Konzil landeten; und von Abenden mit Gitarren, Bier<br />

und Schnaken an der Seestraße; von Weinfesten und heimlichem<br />

Rauchen (inklusive der jugendlichen Selbstüberschätzung,<br />

dass die Eltern es nie merken); von Rock am See-Festivals in<br />

einem Stadion, das sich über das Jahr hinweg als langweilige<br />

Schulsport-Folterkammer tarnte, und Dieter Thomas Kuhn-<br />

Konzerten („What, he really retired 20 times already, and then<br />

still came back on stage?“). Und während ich so erzähle und erkläre,<br />

denke ich: „Heiligsblechle <strong>–</strong> meine Heimat ist ja wirklich<br />

wunderbar.“<br />

Lebens- und<br />

Landesgrenzen<br />

Das wollten meine Schwiegereltern nun auch aus erster Hand<br />

erfahren. Nachdem ich den nettesten Inder aller Zeiten in einer<br />

einwöchigen Aneinanderreihung von farbenfrohen, gold-glitzernden<br />

und Schlaraffenlandartigen Festivitäten <strong>–</strong> meine ganz<br />

persönliche Märchen-Hochzeit quasi <strong>–</strong> geheiratet habe, zu der<br />

meine ganze Familie nach Neu Delhi reiste, war es nun an der<br />

Zeit für den offiziellen Gegenbesuch. Von der indischen Mega-<br />

Metropole in die süddeutsche Kleinstadt <strong>–</strong> was kann da schon<br />

schiefgehen? Als sich der Bodensee während der Fahrt vom<br />

Züricher Flughafen in Richtung deutscher Grenze zum ersten<br />

Mal in unseren Blick schmiegte, das blaue Wasser keck die<br />

Sonne auf der Oberfläche balancierend, die Kurven des Ufers<br />

geschmeidiger gebogen als der Rücken einer Katze, lachte mein<br />

Schwiegervater laut auf, und fragte mit einer unüberhörbaren<br />

Prise Spot im Unterton: „Warum nochmal bist du von hier<br />

weggezogen?“ Natur pur <strong>–</strong> die Schönheit der Gegend hatte<br />

ja bereits den durch sein Buch „Siddhartha“ in Indien ebenfalls<br />

bekannten Hermann Hesse sehr inspiriert. Während wir<br />

uns darüber unterhielten, ob in unserem streng durchgeplanten<br />

Urlaubsprogramm (mit Stationen in Stein am Rhein, Meersburg,<br />

Reichenau und Mainau) noch Zeit für das Hesse-Museum<br />

in Gaienhofen wäre, waren wir bereits in Kreuzlingen<br />

angelangt. Als mein Vater mit seinem SUV ganz entspannt die<br />

Länder unter den Reifen wechselte, kreischte meine Schwiegermutter:<br />

„You don’t need to show your passport?!“ Der nette Zollbeamte,<br />

der uns aus der Entfernung freundlich durchwinkte,<br />

hätte in ihrer Heimat weniger Grund gehabt, sich seines Berufes<br />

derart zu erfreuen. Indien hat historisch gesehen keine<br />

einzige Landesgrenze, abgesehen von den Meeren rechts, links<br />

und südlich des Landes, die nicht aus einem Krieg mit dem jeweiligen<br />

Nachbar geboren wurde oder ein direktes Abschiedsgeschenk<br />

der englischen Kolonialherren war. Kaschmir, das<br />

quasi in der Mitte durch die sogenannte ‚Line of Control‘ zwischen<br />

Indien und Pakistan aufgeteilt wurde, ist bis heute daher<br />

leider ein aktiver und von einer Befriedung weit entfernter<br />

Konfliktherd. Die Tatsache, dass wir gemütlich von Konstanz<br />

→<br />

UNSERE<br />

ÖFF<strong>NUN</strong>GSZEITEN<br />

Montag <strong>–</strong> Freitag:<br />

07.00 Uhr <strong>–</strong> 18.00 Uhr<br />

Samstag <strong>–</strong> Sonntag:<br />

08.00 Uhr <strong>–</strong> 18.00 Uhr<br />

STADTKIND KONSTANZ |<br />

Brauneggerstr. 31<br />

78462 Konstanz<br />

kontakt@stadtkind-konstanz.de<br />

www.stadtkind-konstanz.de


VON EINER, DIE AUSZOG …<br />

68<br />

nach Kreuzlingen radeln können, vorbei an meist unbemannten<br />

Schranken und leeren Zollhäuschen, und uns stattdessen auf die<br />

Überwindung anderer, geographisch unabhängiger Grenzen<br />

des Lebens fokussieren können, ist <strong>–</strong> im weltweiten Vergleich<br />

betrachtet <strong>–</strong> absoluter Luxus. Es braucht erst indische Schwiegereltern,<br />

um diese großartige Errungenschaft zu sehen und zu<br />

würdigen.<br />

Gott zum Gruß,<br />

gut zu Fuß<br />

Diese Einsicht traf auch in einem weiteren Fall zu: der schwiegerelterlichen<br />

Entdeckung der Konstanzer Altstadt. Wer hier durch<br />

die Gassen und Straßen spaziert, die Augen nach oben, und<br />

die Füße über das Kopfsteinpflaster gelenkt, folgt der Devise:<br />

„Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft <strong>–</strong> oder springt einem<br />

Fahrradfahrer aus dem Weg.“ Wenn die roten Stadtbusse<br />

ihre Passagiere bereits per Ansage vor wildgewordenen Pedalrittern<br />

warnen, ahnt man, dass mit den umweltfreundlichen<br />

Flitzern und ihrer immerwährenden Vorfahrt nicht zu spaßen<br />

ist. Nicht so meine Schwiegereltern <strong>–</strong> in Neu Delhi fahren nur<br />

diejenigen mit dem Fahrrad, die sich keinen Roller, geschweige<br />

denn ein Auto leisten können. Wer läuft, der spart noch für<br />

den Drahtesel! Als sich die ganze Familie also für eine Konstanzer<br />

Stadtführung verabredete, galt es daher zu allererst zu<br />

klären, wo es sicher ist zu laufen (Fußgängerweg) und wo akute<br />

Velo-Gefahr im Vollzug ist (Fahrradweg). So mussten meine<br />

Schwiegereltern immer wieder auf die ‚richtige Bahn‘ gebracht<br />

werden, um ihre Sicherheit <strong>–</strong> und vielleicht auch die der Fahrradfahrer<br />

zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz marschierten wir<br />

gemeinsam, alle touristischen Highlights der Altstadt und potentielle<br />

Rad-Rowdys fest im Visier, durch die schöne Altstadt<br />

und betrachteten faszinierende Wandbilder auf mittelalterlichen<br />

Hausfassaden, lauschten den betörenden Tönen der Münsterorgel,<br />

deren älteste Teile bereits 1520 installiert worden waren,<br />

und lernten die wahre Geschichte hinter der Imperia-Statue kennen.<br />

Viele der wirklich interessanten Legenden und Begebenheiten<br />

waren auch für mich komplett neu. Steinzeit-Siedlung?<br />

Römer-Festung? Die einzige Papstwahl nördlich der Alpen?<br />

Leader des Leinenhandel? Lichterspiel im Zweiten Weltkrieg ?<br />

All das ließ uns aufrichtig staunen. So wurde die indisch-deutsche<br />

Stadtführung mit den Schwiegereltern zur interkulturellen,<br />

unterhaltsamen, und <strong>–</strong> glücklicherweise <strong>–</strong> fahrradunfallfreien<br />

(Wieder-)Entdeckung der eigenen Heimat.<br />

sagenumwobenen indischen Mekka der europäischen Hippie-<br />

Generation der 1970er-Jahre, kannten wir den kleinsten Bundesstaat<br />

des Landes (1,4 Millionen Einwohner leben insgesamt in<br />

Goa; in Neu Delhi sind es etwa 28,5 Millionen) bereits recht gut.<br />

Oftmals waren wir zuvor für ein langes Wochenende aus der<br />

Hauptstadt angereist, um die perfekte Mischung aus Strand,<br />

Palmen und Party mit Freunden aus aller Welt zu genießen.<br />

Was ich allerdings erst mit der Zeit bemerkte, war, wie sehr<br />

das Leben dem in Konstanz ähnelt. Mit Ausnahme von regelmäßigen<br />

Besuchen von Schlangen, Affen und anderem Getier<br />

<strong>–</strong> in Konstanz nur in Verkleidung an Fastnacht zu erwarten <strong>–</strong><br />

kennen wir viele Menschen in unserem Dorf namens Assagao<br />

persönlich (den Fischer, der jeden Morgen mit seinem Roller<br />

und einer Box frisch gefangenen Fischs von Tür zu Tür fährt,<br />

oder die nette deutsche Hippie-Dame, die das beste Brot in<br />

Nord-Goa backt), sind aktiv in lokalen Vereinigungen und<br />

Projekten, und grüßen entfernte Bekannte mit einem freundlichen<br />

Kopfnicken auf der Straße und im Restaurant. Dieses<br />

Gefühl von Community, mit wenig Anonymität und viel<br />

Support, ist ein Leben wie einer idyllischen Kleinstadt. Wie in<br />

Konstanz. Die neue Heimat ist die alte Heimat wie durch ein<br />

Kaleidoskop betrachtet, auf jeden Fall farbenfroher, tropischer<br />

und mit nachmittäglicher Siesta, aber in vielen Punkten sehr<br />

ähnlich. Die gigantischen Sonnenuntergänge sehen zumindest<br />

gleichermaßen spektakulär aus.<br />

Hanv boro asa, Ho Narro<br />

und Heiligsblechle<br />

Wenn ich nun zuhause am Strand oder an meinem Schreibtisch<br />

in Goa sitze und meinen alljährlichen Flug nach Zürich buche,<br />

setzt die Vorfreude auf mein anderes Zuhause schon lange im<br />

Voraus ein. Ich träume dann von Spaghetti-Eis auf der Marktstätte<br />

(meiner Meinung nach die wichtigste Erfindung gleich<br />

nach Elektrizität und der Kaffeemaschine), von langen Spaziergängen<br />

am Ufer entlang über die Grenze, wo das scharfe S der<br />

Straßenschilder zu einem Doppel-S verschmilzt, und lauen<br />

Abenden am Rheinufer, die Schulfreunde lachend, die Weingläser<br />

klirrend (wir sind mittlerweile zu alt, um ganze Flaschen<br />

auszutrinken), umgeben von Mücken, Memories und all den<br />

Möglichkeiten, die das Leben bereits gebracht hat und hoffentlich<br />

noch bringen wird. Ich kann mich wirklich glücklich<br />

schätzen <strong>–</strong> dank Indien habe ich mittlerweile nicht nur eine,<br />

sondern zwei Heimaten.<br />

Let’s Go(a)!<br />

„Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.<br />

Lerne nur das Glück ergreifen: Denn das Glück ist immer da.“<br />

Als mein Mann und ich vor zwei Jahren nach Goa zogen, dem


Der<br />

gefährliche<br />

See Wetterextreme<br />

und Unglücksfälle<br />

an Bodensee<br />

und Alpenrhein<br />

27. Juni bis<br />

29. Dezember<br />

2019<br />

Kulturzentrum<br />

am Münster<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Di <strong>–</strong> Fr, 10 <strong>–</strong> 18 Uhr<br />

Sa, So & Feiertag,<br />

10 <strong>–</strong> 17 Uhr<br />

Isabelle Jasmin Roths Welt ist bunt<br />

und ziemlich lustig: Wenn sie nicht<br />

gerade in ihrer Wahlheimat Goa um<br />

die Häuser, Strände oder Palmen<br />

zieht, dann liest, schreibt oder reist<br />

die gebürtige Konstanzerin durch<br />

Indien, und berät dort Fußball-Clubs,<br />

Startups und Institutionen. Einmal<br />

im Jahr kommt sie zurück an den Bodensee,<br />

nur um jedes Mal aufs Neue<br />

festzustellen, dass die alte und die<br />

neue Heimat mehr gemeinsam haben,<br />

als man auf den ersten Blick erahnen<br />

mag.<br />

www.rosgartenmuseum.de


SCHWANENBAHNEN<br />

70<br />

FOTO — Jette Marie Schnell, LICHT — Micha Kübler<br />

TEXT — Veronika Fischer<br />

SCH<br />

WAN<br />

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BAHN<br />

EN<br />


71 SCHWANENBAHNEN<br />

ZWEI MEISTER IHRER DISZIPLIN BEIM FOTOTERMIN<br />

ZUM TROCKENSCHWIMMEN


SCHWANENBAHNEN<br />

72<br />

-<br />

Für eine Nacht verwandelte sich das Kreuzlinger Schwimmbad Egelsee in eine absurde<br />

Welt. Chiara Strickner, die kürzlich bei der Schweizmeisterschaft Gold erschwamm,<br />

erhielt in ihrem zweiten Wohnzimmer Besuch von Adalbert, dem Schwan<br />

aus dem Reichenauer Heimatkundemuseum. Zwei Schwimmende von exzeptioneller<br />

Art also, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen gemeinsam<br />

vor der Kamera. Als Sinnbild für das meisterhafte und leichtfüßige Durchkämmen<br />

des Wassers Bahn um Bahn <strong>–</strong> ob im Becken oder See.


73<br />

ILLO<br />

KONSTANZ<br />

VOL 01<br />

27.09. →<br />

17.11.2019<br />

Turm zur Katz<br />

Kulturzentrum am Münster<br />

Wessenbergstr. 43<br />

78462 Konstanz<br />

Tel.: +49 . 7531 . 900 900<br />

Mail: kulturamt@konstanz.de<br />

Facebook: Turm zur Katz<br />

Instagram: turmzurkatz<br />

Öffnungszeiten und Preise:<br />

Di → Fr 10 <strong>–</strong> 18 Uhr<br />

Sa & So 10 <strong>–</strong> 17 Uhr<br />

3 €, erm. 2 €<br />

(1. Sonntag im Monat frei)


EIN BAUMPFAD SCHLEICHT SICH IN DIE OHREN<br />

74<br />

Ein Baumpfad<br />

schleicht sich in<br />

die Ohren<br />

→<br />

ZWEI WURZELWICHTE ERZÄHLEN VON<br />

IHRER REISE INS GRÜNE HERZ DER STADT<br />

TEXT — Albert Kümmel-Schnur, Anke Klaaßen<br />

ILLUSTRATION — Isabell Schmidt-Borzel<br />

Seit 1999 lädt der Waldkindergarten Konstanz Stadtkinder in den<br />

Schwaketenwald ein. In freier Natur spielen sie ohne vorgefertigte<br />

Spielzeuge, bei Wind und Wetter, auf Tuchfühlung mit der Erde,<br />

den Pflanzen, den Tieren. Zum 20-jährigen Jubiläum des Waldkindergartens<br />

entstand die Idee, auch den umgekehrten Weg zu<br />

gehen: den Wald in die Stadt zu holen. Seit Mai 2019 führt nun<br />

ein Erzählpfad an neu gepflanzten Bäumen entlang durch Konstanz.<br />

Eine Geschichte verbindet die zwölf Pflanzstellen, insgesamt<br />

30 junge Bäume, und lädt Groß und Klein zum Verweilen ein.<br />

Ausgehend von Klein-Venedig geht ein beschilderter Weg durch<br />

das Paradies über die Fahrradbrücke bis auf die andere Rheinseite<br />

zum Zähringer Platz.<br />

Die Baumpfad-Geschichte handelt von zwei Wurzelwichten: der<br />

manchmal etwas naseweisen Mara und ihrem jüngeren Bruder<br />

Mats. Die beiden verlieren ihren Wohnbaum im Wald bei einem<br />

Sturm, stranden in der Stadt und versuchen zurück in den Wald<br />

zu gelangen.<br />

Die Autoren der Erzählung, Anke und Albert, haben im Folgenden<br />

ein fiktives Interview mit Mats und Mara geführt. Ob es wirklich<br />

fiktiv ist, da sind sich die beiden gar nicht mehr so sicher. Denn während<br />

des Schreibens erwachten Mats und Mara mehr und mehr<br />

zum Leben.


Auszug aus der Geschichte<br />

„Der Wald kommt in die Stadt“<br />

Eine uralte, knochige Eiche wächst<br />

ganz tief im Wald. Schon viele Sommer<br />

und Winter reckt sie ihre starken Äste der<br />

Sonne entgegen. In dieser Eiche wohnen<br />

Mats und Mara. Sie sind Wurzelwichte,<br />

die Eiche sorgt für sie und sie sorgen für<br />

ihre Eiche. Menschen können sie nicht sehen,<br />

nur Tiere und Pflanzen, der Wind, das<br />

Wasser und die Erde. Das liegt aber nicht<br />

daran, dass Wurzelwichte unsichtbar wären.<br />

Wurzelwichte sind einfach nur sehr<br />

klein und sehr scheu. Menschen sind meistens<br />

viel zu laut und viel zu unachtsam,<br />

um sie wahrzunehmen.<br />

Mit allen Lebewesen können Wurzelwichte<br />

in deren eigener Sprache sprechen.<br />

Sie hören dem kleinen Bach zu, wie er kichert<br />

und sich freut, wenn er im Frühjahr<br />

über die vielen runden Kiesel springt. Sie<br />

lauschen dem feuchten Moos und hören<br />

sein erleichtertes Seufzen, wenn es sich<br />

wieder dehnen und strecken kann, nachdem<br />

der Schritt eines Tieres oder eines<br />

Menschen es fest zusammengedrückt hat.<br />

Sie hören sogar, wie die Raupen in ihren<br />

Kokons davon träumen, als bunte Schmetterlinge<br />

von Blüte zu Blüte zu fliegen.<br />

Wurzelwichte haben keine besseren<br />

Augen oder schärferen Ohren als andere<br />

Lebewesen. Wurzelwichte nehmen sich einfach<br />

mehr Zeit. Geduldig hören sie zu, geduldig<br />

schauen sie hin. So lange, bis sie verstehen,<br />

was die leisen und lauten Stimmen<br />

der Waldbewohner sagen.<br />

Doch heute Nacht passiert Mats und<br />

Mara etwas Schlimmes. Während sie in<br />

ihrer kuscheligen Baumhöhle schlafen, fegt<br />

ein Sturm durch den Wald. Die alte, morsche<br />

Eiche knarrt und ächzt. Der Eichelhäher<br />

ruft warnend, wie er es immer macht,<br />

wenn Gefahr droht. Doch gegen einen Sturm<br />

kann auch ein Eichelhäher nichts ausrichten.<br />

Die Eiche fällt …<br />

Zunächst einmal <strong>–</strong> was sind<br />

denn eigentlich Wurzelwichte?<br />

Mara: Wir sind sehr klein, für viele<br />

Menschen unsichtbar. Und auch eher<br />

langsam … Oder ihr Menschen seid<br />

schnell. Eins von beiden. Bei uns im<br />

Wald, wo wir herkommen, kümmern wir<br />

uns um die Bäume. Wir hören ihnen zu,<br />

verstehen ihre Worte. Das kann manchmal<br />

ganz schön lange dauern. Bäume<br />

→<br />

75<br />

FÜR WECHSLER<br />

FÜR EINSTEIGER<br />

FÜR QUERDENKER<br />

DIE STADT ZUM SEE.<br />

HAT SCHÖNE VIELE STELLEN. #schönekonstanzerstellen


EIN BAUMPFAD SCHLEICHT SICH IN DIE OHREN<br />

76<br />

sind ja oft sehr alt, einige sind schon fast<br />

1.000 Jahre auf der Erde. Da haben sie<br />

natürlich auch mehr Zeit zum Reden.<br />

Wir können aber auch mit allen anderen<br />

Waldwesen in deren Sprachen sprechen<br />

und sie hören.<br />

Aus welchen Arten von<br />

Bäumen setzt sich der<br />

Baumpfad zusammen?<br />

Mara: Das sind einige Bäume, die wir<br />

aus dem Wald kennen: Feldahorn, Weißdorn,<br />

Robinie und Winterlinde. Es gibt<br />

aber auch Bäume, von denen hatten wir<br />

noch nie etwas gehört: eine Magnolie,<br />

Zieräpfel, der japanische Schnurbaum. <strong>–</strong><br />

Der wird ganz viel gepflanzt in letzter<br />

Zeit, weil er ein Klimawandelgehölz ist.<br />

Viele Menschen glauben, dass diese Bäume<br />

die Erderwärmung besser vertragen.<br />

Allerdings ist nicht ganz klar, wie gut<br />

diese Bäume in das Ökosystem passen.<br />

Mats: Öko, Öko, Öko … Du redest<br />

schon, wie einer von diesen Typen mit<br />

den wichtigen Wörtern.<br />

Mara (lacht): Naja <strong>–</strong> ich meine, dass<br />

halt nicht immer sicher ist, ob die Insekten<br />

und Pflanzen, die hier leben, sich mit<br />

den neuen Pflanzen verstehen.<br />

Mara: Gepflanzt wurden diese Bäume<br />

von Leuten, die auch Häuser bauen.<br />

Mats: Als wir in der Stadt angekommen<br />

waren, wollten wir einfach nur so<br />

schnell wie möglich zurück in unseren<br />

Wald. Die Bäume des Baumpfads zeigten<br />

uns den Weg. Sie haben uns Buchstaben<br />

als Hinweise verraten. Alle zusammen ergeben<br />

ein Zauberwort. Weil wir das Rätsel<br />

gelöst haben, konnten wir am Schluss<br />

endlich wieder zurück in den Wald. Und<br />

ihr könnt das Zauberwort auch herausfinden,<br />

wenn ihr den Baumpfad entlanggeht.<br />

Mehr verrate ich euch nicht.<br />

Die Stationen eures Abenteuers<br />

kann man also auf dem Baumpfad<br />

nachreisen. Wer darf sich<br />

denn den Baumpfad angucken<br />

und warum?<br />

Mats: Jeder!<br />

Mara: Also auf jeden Fall Kinder.<br />

Erwachsene aber auch. Wir haben diese<br />

Reise auch nicht an einem Tag geschafft,<br />

ihr könnt euch also die Stationen vielleicht<br />

einteilen, auf mehrere Etappen. So<br />

habt ihr genug Zeit zum Lesen. Und zum<br />

Zuhören. Und zum Gucken und Riechen<br />

und Fühlen. Das ist gar nicht so einfach<br />

in der Stadt, weil oft so viel los ist. Auch<br />

die Orte um die Bäume herum sind<br />

spannend <strong>–</strong> manchmal ist ein Spielplatz<br />

direkt nebenan, manche Bäume stehen<br />

in einem Hinterhof, da ist es ruhiger.<br />

Und einige leben direkt an einer Straße.<br />

Da ist es natürlich etwas schwieriger<br />

zuzuhören.<br />

Und was habt ihr auf eurer<br />

Baumpfad-Reise noch erfahren?<br />

Mats: Auch die Bäume haben uns<br />

furchtbar spannende Dinge erzählt <strong>–</strong><br />

über den Klimawandel, darüber wie<br />

Bäume miteinander sprechen. Und auch,<br />

dass es für Stadtbäume gar nicht so einfach<br />

ist, da sie ohne den Wald oft einsam<br />

sind. Wir haben erfahren, dass es für<br />

manche Tiere anstrengend in der Stadt<br />

ist, weil auch nachts Lichter brennen.<br />

Oder was Bäume in einer Baumschule<br />

lernen. Wie Bäume die Luft wieder sauber<br />

machen. Und dass die Menschen<br />

manchmal so ordentlich sind, dass Tiere<br />

da gar keinen Platz mehr haben. Wir<br />

dachten am Anfang, es gibt nur wenige<br />

Pflanzen und Tiere hier in der Stadt. Aber<br />

das ist gar nicht so, es ist nur anders als<br />

im Wald. Wir haben viele Tiere kennengelernt<br />

und Freunde gefunden: die Kröte,<br />

eine Erdhummel, einen Maulwurf, eine<br />

Taube, einen Regenwurm, eine Fledermaus,<br />

einen Mauersegler, eine Gammaeule<br />

und einen Rosenkäfer.<br />

Mara: Die hätten wir alle nicht getroffen,<br />

wären wir im Wald geblieben.<br />

Das ist das Schöne daran.<br />

Können wir noch mehr über<br />

eure Erlebnisse hören?<br />

Mara: Ja, wenn ihr unsere Geschichte<br />

lest. Dann könnt ihr euch mit uns und<br />

einem Mauersegler in die Lüfte erheben<br />

und die Stadt von oben sehen. Ihr erfahrt<br />

auch alles über das Mädchen mit<br />

den Blubberblasen <strong>–</strong> Mariele. Und über<br />

Zieräpfel, manche könnt ihr sogar direkt<br />

vom Baum essen. Sie sind ganz klein und<br />

säuerlich und ähneln den ursprünglichen<br />

Äpfeln. Denn Apfelbäume stammen gar<br />

nicht von hier, sie sind aus den Wäldern<br />

in Kasachstan nach Europa gekommen...<br />

Mara: Am besten geht ihr den Baumpfad<br />

selbst und erfahrt, was es heißt,<br />

Augen und Ohren offen zu halten, den<br />

Bäumen in der Stadt zu lauschen und<br />

vielleicht sogar Baumworte zu hören.<br />

WIE FINDE ICH MATS UND MARA IN DER STADT?<br />

Der Baumpfad setzt sich aus zwölf Stationen, die vom Sealife ins Paradies und<br />

dann über die Fahrradbrücke bis zum Zähringer Platz führen, zusammen.<br />

Zwölf Bäume, die von der WOBAK, dem Spar- und Bauverein sowie der Stadt<br />

Konstanz gepflanzt wurden, sind anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums<br />

des Waldkindergartens Konstanz („Wurzelkinder“) mit Schildern versehen worden,<br />

auf denen QR-Codes zur Geschichte der aus dem Wald in die Stadt vertriebenen<br />

Wurzelwichte Mats und Mara führen. Man kann die Geschichten vor Ort über<br />

Smartphone abrufen, auf der Website des Kindergartens unter:<br />

→ www.waldkindergarten-konstanz.de/story/projekt.html<br />

aufrufen oder daheim unter der Adresse:<br />

→ www.waldkindergarten-konstanz.de/story/Geschichte.pdf<br />

als pdf herunterladen. Die Stationen haben eine Reihenfolge, sind aber auch je<br />

einzeln und ohne Beachtung der Reihenfolge verständlich und nutzbar.<br />

Wer den Weg als ganzen läuft, kann gemeinsam mit Mats und Mara ein kleines<br />

Rätsel lösen, dessen Ergebnis die Wichte wieder in den Wald führt. Gleichzeitig<br />

lernt man einige Orte in der Stadt kennen, die eher versteckt und abseits<br />

der üblichen Pfade liegen. Mit Mats und Mara die Stadt Konstanz zu erkunden,<br />

heißt deshalb auch, einen ganz neuen Blick auf die Stadt zu werfen.<br />

ÜBER DIE AUTOREN<br />

Albert: Zwei seiner Kinder haben<br />

den Waldkindergarten besucht <strong>–</strong><br />

eine schönere Kindergartenzeit<br />

hätte er sich für die beiden nicht<br />

wünschen können. Zu seiner eigenen<br />

Geburt wurde damals eine Walnuss<br />

in die Erde im Garten seiner<br />

Eltern gesetzt. Auf die Nüsse dieses<br />

Baums freut sich die ganze Familie<br />

noch immer jedes Jahr.<br />

Anke: Ihre Tochter besucht ebenfalls<br />

den Konstanzer Waldkindergarten <strong>–</strong><br />

und wenn sie nicht schon zu groß<br />

wäre, würde die Filmemacherin<br />

und Autorin am liebsten selbst dort<br />

hingehen. Neben Bäumen hatte<br />

sie schon immer eine besondere Beziehung<br />

zu Naturgeistern <strong>–</strong> auch ihr<br />

erstes Kinderbuch „Das Nebelmännle<br />

vom Bodensee“ handelt von einem<br />

solchen.


77 EIN BAUMPFAD SCHLEICHT SICH IN DIE OHREN<br />

Petershausen<br />

12 11<br />

8<br />

9<br />

10<br />

3<br />

Paradies<br />

6 7<br />

Untere Laube<br />

2<br />

4<br />

5<br />

Altstadt<br />

Schweizer Grenze<br />

Obere Laube<br />

1<br />

MATS UND MARA STATIONEN<br />

Ort Adresse Baum<br />

1 Sealife Winterlinde<br />

2 Friedrich-Pecht-Weg 2 Zierapfel<br />

3 Fischenzstr. 3 Feldahorn<br />

4 Maria-Ellenrieder-Str. 3 Weißdorn<br />

5 Maria-Ellenrieder-Str. 5-11 Zierapfel<br />

6 Morinckweg 1-3, 2-4 Japanischer Schnurbaum<br />

7 Wallgutstr. 16-18 Winterlinde<br />

8 Petershauser Str. 21 Weißdorn<br />

Ort Adresse Baum<br />

9 Ernst-Bärtschi-Weg 8-10/ Japanischer Schnurbaum<br />

Pauline-Gutjahr-Weg<br />

10 Moltkestr. 1-3/ Magnolie<br />

Eisenbahnstr. 1, 1a-11<br />

11 Luisenstr. 2-6/ Zierapfel<br />

Konrad-Witz-Str. 1-5<br />

12 „Zähringer Hof“ Robinie<br />

(Wollmatinger Str.)


DIE ILLUSION DER VIELFALT<br />

78<br />

TEXT — Mandy Krüger<br />

FOTO — privat<br />

„Diese hier haben in vier Wochen kein<br />

Licht mehr. Deswegen investieren sie sehr<br />

viel Energie, um möglichst früh <strong>–</strong> noch<br />

in der Kälte <strong>–</strong> ihre Blätter auszutreiben.<br />

Damit sie noch Licht bekommen, bevor<br />

oben zu ist“, erzählt Uli Burchardt und<br />

zeigt abseits von einem Waldweg auf ein<br />

paar niedrige Sträucher und Pflanzen,<br />

die im Schatten eines beeindruckenden<br />

Baumstammes wachsen. „Die wissen das.<br />

Ich weiß nur nicht, warum. Aber gerade<br />

hier im Lorettowald kann man es richtig<br />

schön sehen.“ Mein Blick folgt seinem<br />

Arm, der zuerst auf den Boden und anschließend<br />

weit über unsere Köpfe nach<br />

oben zeigt. Es ist einer der ersten warmen<br />

Frühlingstage in diesem Jahr. Die Sonne<br />

scheint durch das Blätterdach der Bäume<br />

und taucht alles um uns in gelblich grünes<br />

Licht. Wir setzen uns irgendwo mitten<br />

im Lorettowald auf eine Bank. Den Ort für<br />

unser Gespräch hat Burchardt gewählt,<br />

das Thema ich. Natur. Genauer: der Wald.<br />

Als gelernter Landwirt und<br />

studierter Forstwirt ist Uli Burchardt<br />

ein spannender Gesprächspartner. Er ist<br />

aktuell Oberbürgermeister in Konstanz.<br />

Als Förster, der hier aufgewachsen ist,<br />

weiß er, welche wichtige Rolle Wälder<br />

für die Städte spielen <strong>–</strong> ganz besonders<br />

dieser: „Der Lorettowald ist ein Stadtheiligtum.<br />

Er ist Teil des genetischen Codes<br />

der Stadt Konstanz. Über den Lorettowald<br />

gibt es tausend interessante Dinge<br />

zu erzählen, er ist der einzige rehwildfreie<br />

Wald in Baden-Württemberg, weil<br />

er umschlossen ist von Stadt und See.<br />

Dadurch hat der Lorettowald besonders<br />

gute Bedingungen, sich artenreich zu entwickeln,<br />

weil er keine Verbissschäden hat“,<br />

erzählt Burchardt und fügt hinzu: „Am<br />

Lorettowald ist außerdem interessant,<br />

dass er ein völliges Kunstprodukt ist.“<br />

„Kunstprodukt“ <strong>–</strong> an dem Wort<br />

bleibe ich hängen. Verkörpert der Wald<br />

doch für mich die Natur in ihrer reinsten<br />

Form. Aber Burchardt erklärt: „Hätte<br />

man der Natur in diesem Wald ihren Lauf<br />

gelassen, dann würden hier nur Buchen<br />

stehen.“ Dabei zeigt er wieder auf einen<br />

großen Baum in der Nähe, den ich daraufhin<br />

genauer betrachte. Die Rinde des<br />

Baumes ist bleigrau und ganz glatt.<br />

Von der Parkbank aus kann ich von unten<br />

gerade noch erkennen, dass die Blätter<br />

in der Baumkrone tropfenförmig und<br />

etwa Handteller groß sind. Burchardt<br />

erklärt mir weiter, dass die Buche in<br />

unserer Region der konkurrenzstärkste<br />

Baum ist. Würde der Mensch nicht<br />

eingreifen, wäre ganz Süddeutschland im<br />

Wesentlichen von Buchen bedeckt. Eine<br />

ihrer Besonderheiten ist, dass sie eine<br />

plastische Krone haben, die dafür sorgt,<br />

dass in ihrem Schatten nur wenige andere<br />

Pflanzen wachsen können <strong>–</strong> unter<br />

anderem allerdings andere Buchen, denn<br />

diese kommen auch mit Schatten gut<br />

zurecht und zeigen selbst bei wenig Licht<br />

noch eine hohe Wuchsleistung. Das bedeutet<br />

zum Beispiel, wenn neben einer<br />

Buche ein Baum umfällt, kann sie selbst<br />

im hohen Alter noch einen Ast in die frei<br />

gewordene Lücke schieben und so das<br />

ganze Licht für sich beanspruchen. „Die<br />

anderen Bäume können das nicht. Eine<br />

Eiche zum Beispiel kann mit 100 Jahren →


79 DIE ILLUSION DER VIELFALT<br />

Die<br />

Illusion<br />

der<br />

natürlichen<br />

Vielfalt<br />

→<br />

EIN GESPRÄCH ZWISCHEN BÄUMEN


XXXXX DIE ILLUSION XXXXXDER VIELFALT<br />

80<br />

nicht einfach die Form ihrer Krone verändern.<br />

Die Buche schafft das. In einem<br />

naturgemäßen Buchenwald stehen solche<br />

Oschis“, sagt Burchardt und formt mit<br />

beiden Armen den ausladenden Umfang<br />

eines imaginären Stammes. „Buchen zu<br />

verstehen, zu sehen wie die das machen,<br />

finde ich unglaublich spannend. Es ist ein<br />

täglicher Überlebenskampf um Licht. Der<br />

eine macht den anderen fertig. So ist das.“<br />

Im Lorettowald gibt es allerdings<br />

sehr wenige Buchen. Dafür hat der<br />

Mensch gesorgt. Stattdessen gibt es Lärchen,<br />

Ahorn, Eichen, Kiefern und auch<br />

Kirschen. Der Waldbau ist für Burchardt<br />

die Königsdisziplin der Forstwirtschaft:<br />

„Das Waldökosystem ist ein multidimensionales<br />

Wirkungsgefüge. Tausende<br />

von Viechern, Insekten, Pilze, Bakterien,<br />

Symbiosen und Einflussfaktoren bis<br />

hin zu Meteorologie, Sonne, Luft, Wasser<br />

und Niederschläge, Windbewegungen,<br />

Pflanzenarten und und und <strong>–</strong> das wirkt<br />

alles aufeinander ein.“ Es sei so komplex,<br />

dass niemand es wirklich bis in das<br />

letzte Prozent verstehen kann, da ist er<br />

sich sicher. Aber wir haben gelernt, den<br />

Wald mittels Licht zu beeinflussen, und<br />

können ihn zumindest in eine gewisse<br />

Richtung lenken. „Nicht alles, was im<br />

Wald ist, ist Natur. Der Lorettowald ist<br />

ein Kultur-Wald. Ein ganz toller Wald<br />

mit einer tollen Mischung. Das ist genau<br />

wie mit unseren Naturschutzgebieten,<br />

wie das Wollmatinger Ried <strong>–</strong> eine historisch<br />

entstandene Kulturlandschaft,<br />

die wir Menschen erhaltenswert finden.“<br />

Ich finde den Gedanken spannend,<br />

dass in unserer Region <strong>Wildwuchs</strong> <strong>–</strong><br />

also Natur ohne menschliches Eingreifen<br />

<strong>–</strong> auf eine Buchen-Monokultur<br />

hinauslaufen würde und frage mich,<br />

was dann der eigentliche „Plan“ der Natur<br />

ist. Vielfalt scheint es nicht zu sein. Was<br />

so betrachtet sehr interessant ist, da wir<br />

doch immer das Gefühl, mehr noch<br />

das Bedürfnis haben, dass Natur vielfältig<br />

sein müsse, um möglichst natürlich zu<br />

sein. „Wir Menschen sind ja ein bisschen<br />

wie Schrebergärtner. Am liebsten hätten<br />

wir einen Wald, einen Obstgarten und<br />

einen Weinberg. So ist Natur aber nicht“,<br />

erwidert Burchardt darauf. „Also was ist<br />

die Maxime der Natur? Ein Wettbewerb<br />

auf Leben und Tod, in dem Effizienz gewinnt.<br />

Immer.“ <strong>–</strong> Wie die Buche mit ihrer<br />

Ausdunkelungs-Taktik oder die Ratten,<br />

Mäuse oder Kaninchen, die sich in kurzer<br />

Zeit schnell vermehren können. Andere<br />

Lebewesen sind dagegen langfristiger orientiert,<br />

wie Säugetiere, die nur ein oder<br />

zwei Junge bekommen. „Diese Strategien<br />

sind ganz, ganz unterschiedlich, aber<br />

letztlich gewinnt immer der, der schneller<br />

oder stärker ist. Größer oder klüger.<br />

Am Ende eben der, der mit den gegebenen<br />

Ressourcen am besten klar kommt“,<br />

resümiert Burchardt.<br />

Wenn nun unsere Wälder und<br />

Naturschutzgebiete, die für viele, wie<br />

auch für mich, den Inbegriff der Natur<br />

und Natürlichkeit darstellen, nur durch<br />

das Eingreifen des Menschen erhalten<br />

bleiben können, ist das dann noch echte<br />

„Natur“? Das ist eine weitere Frage, die<br />

ich mir und Burchardt stelle. Und wo<br />

liegt dann die Grenze zum Künstlichen?<br />

„Da kommt man ja schnell zu der Frage,<br />

ob der Mensch ein Teil der Natur ist.<br />

Für mich ist klar, dass er das ist. Ob er<br />

allerdings ein ‚Unfall‘ der Natur ist,<br />

das weiß ich nicht“, sagt er und lacht.<br />

Burchardt gibt außerdem zu bedenken,<br />

dass schließlich auch jedes Obst, das<br />

wir essen, streng genommen ein Kunstprodukt<br />

sei. Wenn man das dem Zufall<br />

überließe, komme da ja kein Boskop<br />

raus, sondern eben irgendwas. Ob Himbeeren,<br />

Brombeeren, Äpfel oder Birnen <strong>–</strong><br />

irgendwann kam der Punkt, an dem der<br />

Mensch beschlossen hat, dass diese Sorte<br />

gut schmeckt und dass er mehr davon<br />

möchte. „Das klingt für viele Leute,<br />

als würde man an der Natur rumfummeln.<br />

Die Wahrheit ist, diese sogenannten<br />

‚Sorten‘ sind schon immer Kunstprodukte.<br />

Wir haben nie was anderes gegessen.<br />

Das gilt es weiter zu entwickeln.<br />

Es ist nicht das, was gestern war, immer<br />

gut und das, was morgen kommt, immer<br />

schlecht. Es ist erheblich komplizierter.“<br />

Burchardt denkt dabei vor allem an den<br />

Bio-Landbau, der nur mit modernen,<br />

widerstandsfähigen Sorten möglich ist,<br />

die so gezüchtet werden, dass sie ohne<br />

Pestizide bestehen können.<br />

„Der Mensch hat als Teil der<br />

Natur auch ein Recht, die Natur zu nutzen.<br />

Das bedeutet wie bei jedem anderen<br />

Lebewesen auch, dass er dabei auf Kosten<br />

von anderen lebt.“ Genau wie jeder<br />

Baum, jede Pflanze und jedes Tier. Der<br />

Biber sei seiner Meinung nach das beste<br />

Beispiel, denn er mache sich <strong>–</strong> ähnlich<br />

wie der Mensch <strong>–</strong> seinen Lebensraum:<br />

„Wenn man einen Biber an Land laufen<br />

sieht, der sieht aus, als würde er gleich<br />

umfallen. Der ist nicht gut zu Fuß. Der<br />

ist gut im Wasser.“ Darum staut er sich<br />

einen See. Und in seinem See ist der<br />

Biber der Boss. „Ein total faszinierendes<br />

Viech. Daran sieht man, dass es auch in<br />

der Zoologie Lebewesen gibt, die ihren<br />

Lebensraum gestalten. Auch wir leben auf<br />

Kosten unseres Lebensraumes. Und das<br />

ist ok. Nur haben wir viel mächtigere Instrumente<br />

als der Biber, um die Natur<br />

zu verändern. Darum müssen wir erheblich<br />

vorsichtiger und erheblich klüger da<br />

ran gehen.“<br />

Mit der Frage nach der Grenze<br />

zum Künstlichen ist Burchardt selbst<br />

noch nicht fertig. Er beugt sich vor, stützt<br />

die Unterarme auf die Knie und schaut<br />

konzentriert auf seine nun verschränkten<br />

Hände, während ich meinen Gedanken<br />

zu Ende bringe: Gibt es dann diese Kategorie<br />

überhaupt noch, wenn man sie bis<br />

auf das einzelne Molekül herunterbricht?<br />

„Im Prinzip denke ich schon, dass natürlich<br />

auch ein Kunststoff Natur ist. Wir<br />

stellen ihn aus Erdöl her. Trotzdem ist<br />

Plastik für mich nicht gleichwertig, weil<br />

es ein Vorrat ist, den wir verbrauchen.<br />

Und wir haben keinen Plan für den Zeitpunkt,<br />

wenn dieser Vorrat zu Ende ist“,<br />

sagt Burchardt und legt nach: „Wir können<br />

so, wie wir jetzt leben, objektiv nicht<br />

weiter wirtschaften. Aber dennoch haben<br />

Menschen auch ein Existenzrecht und<br />

müssen sich das nehmen, was sie brauchen.<br />

Aber weil wir mächtig genug wären,<br />

diesen Wald hier einfach zuzubetonieren,<br />

und weil das ein Biber eben nicht kann,<br />

müssen wir uns das richtige Maß sehr<br />

genau überlegen. Wir werden nie keine<br />

Natur verbrauchen. Aber wir lernen jedes<br />

Jahr besser, mit weniger Verbrauch<br />

zu leben.“<br />

„Letztlich bin ich überzeugt<br />

davon, dass wir die Natur nicht zerstören<br />

können. Egal, welche brutale Gewalt<br />

wir anwenden, das gelingt uns nicht. Was<br />

wir zerstören, ist unsere Umwelt. Also<br />

die Natur, wie wir sie für uns zum Leben<br />

brauchen.“ Wenn ein Berghang abrutscht,<br />

macht das der Natur nichts. Der natürliche<br />

Kreislauf geht einfach weiter. „Dann<br />

ist zwar zuerst alles tot, aber irgendwann<br />

regnet’s da drauf, es fängt langsam an<br />

sich zu zersetzen, dann entsteht ein bisschen<br />

Boden, irgendwann scheißt ein<br />

Vogel drauf, dann fängt ein Samen an zu<br />

keimen und es entsteht langsam wieder<br />

ein Wald. Für die Natur ist das völlig okay.<br />

Für den Menschen, der da sein Haus<br />

hatte, ist es natürlich dramatisch.“


XXXXX XXXXX<br />

Es ist ein Gedanke, den ich seltsam<br />

beruhigend finde; dass der Mensch am Ende<br />

wahrscheinlich doch nicht soviel Macht besitzt,<br />

wie er denkt. Dass mit uns nicht alles<br />

endet, sondern die Natur uns überdauern<br />

wird, wenn wir keine Lösung finden. Gleichzeitig<br />

macht gerade das aber auch deutlich,<br />

wie groß unsere Verantwortung ist.<br />

INFO<br />

Burchardt hat als Kind schon in der Landwirtschaft mitgearbeitet,<br />

die dazugehörige Lehre war da naheliegend.<br />

Es folgte das Studium der Forstwirtschaft mit allen Grundlagen<br />

der Botanik, Zoologie, Ökologie. Nach dem zweiten<br />

Praktikum war aber klar, dass der gehobene Dienst in der<br />

Bayerischen Staatsforstverwaltung nicht das Richtige für<br />

ihn ist. Er wollte sich stattdessen im Forstbereich als Gutachter<br />

selbstständig machen. Doch dann kam ein Manufactum-Katalog<br />

dazwischen, er gelangte vom Wald in<br />

die Wirtschaft und anschließend ins Konstanzer Rathaus.<br />

Er glaubt, bis heute von seinen Erfahrungen im Forst<br />

zu profitieren. Dennoch trifft er als OB mit Blick auf eine<br />

ganze Stadtgesellschaft manchmal Entscheidungen,<br />

die er als praktizierender Forstwirt anders getroffen hätte.<br />

Grundsätzlich denkt er, „dass Wald und Stadtentwicklung<br />

viel miteinander gemeinsam haben. Für beides muss<br />

man ein Auge haben, denn man kann beides nicht wirklich<br />

steuern. Aber wir haben in der Waldwirtschaft über<br />

Jahrhunderte gelernt, dass nur die Mischung Stabilität<br />

bringt. Und in einer Stadt ist es genauso.“<br />

Nikolas Chamfort / französische Revolution<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Mandy ist seit der ersten Ausgabe als <strong>NUN</strong>,-<br />

Autorin dabei. Seit drei Jahren arbeitet sie<br />

bei der Stadt Konstanz und trifft dabei regelmäßig<br />

Bürgermeister Buchardt. Fürs <strong>NUN</strong>,<br />

war es ihr ein Anliegen, eine andere Seite<br />

von ihm kennenzulernen und mit ihm nicht<br />

als OB, sondern als Forstwirt zu plaudern.<br />

Daraus entstand ein persönliches Gespräch,<br />

in dem die beiden lange über den Naturbegriff<br />

philosophierten. Grundsätzlich glaubt<br />

Mandy, dass es über jeden Menschen viele<br />

spannende Geschichten zu erzählen gibt und<br />

hält dabei Ausschau nach dem nicht immer<br />

ganz Offensichtlichen im Bekannten.<br />

GARTENFORUM<br />

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Durch die Leidenschaft<br />

lebt der Mensch,<br />

durch die Vernunft<br />

existiert er bloß.<br />

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DIE GRÜNE KUPPEL<br />

82<br />

TEXT — Markus Reich<br />

ILLUSTRATION — Fabian Halder


83 DIE GRÜNE KUPPEL<br />

die grüne kuppel<br />

→<br />

STADTPROSA<br />

Sie würden ihr Ziel nicht auf dem gewöhnlichen Weg<br />

erreichen. Dafür fehlten ihnen die nötigen Mittel. Bereits<br />

für die Violette Kuppel musste man viel Geld haben, aber um<br />

in einer Grünen Kuppel zu leben, brauchte es unvorstellbare<br />

Reichtümer. Niemals würden sie diese aufbringen. Sie und ihre<br />

Tochter würden nie grüne Luft atmen! Aber genau das mussten<br />

sie. Denn Lara hatte schweres Asthma und der von Sorgenfalten<br />

gezeichnete Arzt hatte erklärt, dass ihre Tochter unbedingt<br />

eine entsprechende Umgebung benötigte. Nun, sie<br />

waren innerhalb von drei Jahren von der Schwarzen zur Grauen<br />

Kuppel vorgedrungen. Aber hier steckten sie unweigerlich<br />

fest! Weiterzukommen war trotz aller Anstrengungen unmöglich.<br />

Zumindest auf dem offiziellen Weg. Sie mussten sich<br />

etwas einfallen lassen, denn lange würde Lara in der grauen<br />

Luft nicht mehr überleben. Natürlich waren da die Druckkammern.<br />

Die Luft darin war violette Luft, die bereits um<br />

vieles besser war als graue. Aber sie musste vierzig Stunden<br />

arbeiten, um ihrer Tochter eine Stunde Erleichterung zu verschaffen.<br />

Und nach nur einer Nacht, in der Lara graue Luft<br />

atmen musste, ging es ihr so schlecht, dass ihr Gesicht blau<br />

anlief.<br />

Die am nächsten gelegene Region mit grüner Luft hieß<br />

Bodensee. Gigantische Kuppeln überspannten die entsprechenden<br />

Gebiete. Im Jahr 2324 wurde die erste Kuppel errichtet.<br />

Darin befand sich eine ausreichende Menge an Pflanzen,<br />

die eine exzellente Luftqualität garantierten. Aber es konnte<br />

natürlich stets nur eine begrenzte Anzahl Menschen in solch<br />

einer grünen Oase leben, der kostbare Raum war limitiert. Ein<br />

perfides System, welches den Reichen ein gesundes Dasein<br />

ermöglichte und deren Lebenserwartung gegenüber dem Rest<br />

der Menschheit erhöhte. Ein großer Teil der Beiträge, die<br />

entrichtet werden mussten, um die herrliche Luft zu atmen,<br />

wurde aufgewendet, um unberechtigte Eindringlinge abzuhalten.<br />

Die grünen Zonen waren sehr reich und damit äußerst<br />

mächtig: Sie wurden zu gut gesicherten Festungen! Auf normalem<br />

Weg würden sie nie Zugang bekommen! Also mussten<br />

sie eine andere Möglichkeit finden. Sie durften nicht aufgeben!<br />

Laras Leiden war ihr jeden Tag eine qualvolle Mahnung<br />

und unnachgiebige Forderung.<br />

Niemals würden sie genug Geld besitzen, um auch nur einen<br />

Tag ihres Lebens grüne Luft atmen zu dürfen. Nicht einmal<br />

eine grüne Stunde würden sie sich leisten können. Die violette<br />

Luft in der Druckkammer war bereits mehrfach besser als<br />

graue Luft. Es war ihr unmöglich, sich vorzustellen, wie die<br />

grüne Luft duften würde, welch ein Genuss es sein musste,<br />

sie einatmen zu dürfen. Ebenso unvorstellbar wie die Tatsache,<br />

dass die natürliche Umgebung vor wenigen Jahrhunderten<br />

auf der gesamten Erde grüne Luft gewesen war. Eine Welt →


DIE GRÜNE KUPPEL 84<br />

ohne Kuppeln. Die violette, graue oder schwarze Luft hatte<br />

es damals nur in einigen Großstädten gegeben. Man hatte<br />

von Smog gesprochen, wenn die Luft bei ungünstigen Wetterverhältnissen<br />

schmutzig und dunkel wurde. Heute war das für<br />

den überwiegenden Teil der Menschheit der Normalzustand.<br />

Illegal in eine Grüne Kuppel einzudringen, war nahezu unmöglich.<br />

Die Erfolgsquote lag bei 1 zu 1.000.000 <strong>–</strong> und<br />

wem es dennoch gelang, der wurde rasch aufgespürt und in<br />

die berüchtigte und weit entfernte schwarze Luftregion<br />

Dystopia abgeschoben, aus der es kein Entkommen gab. Sie<br />

musste einen anderen Weg gehen: Sie plante jemanden zu<br />

finden, der ihr helfen würde <strong>–</strong> und sich innerhalb der Kuppel<br />

befand. Nur wie konnte sie diese Person überzeugen, ihr<br />

zu helfen? Gerade ihr und keinem anderen in dem Heer aus<br />

Verzweifelten.<br />

Es erschien ihr grausam, aber sie wusste keinen anderen<br />

Weg: Sie musste jemanden innerhalb der Grünen Kuppel<br />

finden, dessen Tochter gestorben war, die in etwa gleichalt<br />

gewesen war wie ihr leidendes Kind. Bei einem Privilegierten,<br />

dem bereits selbst solch ein Unglück widerfahren war,<br />

würde sie auf Anteilnahme und Interesse hoffen können. Es<br />

war ein Plan, der ihr missfiel, aber welch andere Chance hatte<br />

sie schon <strong>–</strong> und sie wusste, sie würde alles für ihre leidende<br />

Tochter tun. Alles! Ein Blick auf Laras blaues Gesicht genügte.<br />

Der rasselnde, mühsame Atem quälte sie so, dass sie sich<br />

seit Jahren immer wieder dabei ertappte, wie sie die Atemzüge<br />

ihrer Tochter mit ihren eigenen synchronisierte und versuchte<br />

selbst tiefer Luft zu holen, um Lara Erleichterung zu<br />

verschaffen. Natürlich vergeblich. Jedes einzelne Mal, wenn<br />

sie sich dabei ertappte, war sie verzweifelt. Wie viele Nächte<br />

hatte sie wachgelegen und war Atemzug für Atemzug dem<br />

schleppenden Keuchen ihrer Tochter gefolgt <strong>–</strong> und hatte die<br />

Ungerechtigkeit der Welt verflucht!<br />

Lange suchte sie vergeblich, bis sie einen Hacker aufspürte,<br />

dem sie Lara vorstellte. Er recherchierte gründlich und nach<br />

sieben qualvollen Monaten, in denen sie sich nie sicher war, ob<br />

Lara überleben würde, fand er endlich ein reiches Paar, dessen<br />

Tochter kürzlich verstorben war. Der Hacker stellte den Kontakt<br />

her und schließlich folgte eine Einladung in die Bodensee<br />

Kuppel. Das Paar war so reich, dass es sich leisten konnte, für<br />

Mutter und Tochter den Gastaufenthalt zu bezahlen.<br />

Es war der glücklichste Moment ihres Lebens, als Lara und<br />

sie das erste Mal grüne Luft atmeten. Es waren unvergleichliche,<br />

kostbare Augenblicke, die eine Ewigkeit beinhalteten.<br />

Vergeblich versuchte sie diese wertvolle Zeitspanne der Ankunft,<br />

der ersten Atemzüge, festzuhalten. Nach einer Woche<br />

verschwand die blaue Farbe von Laras Lippen und es erschien<br />

ein ungekannter Glanz in ihren Augen. Dies war die größte<br />

Freude ihres Lebens! Der Alptraum hatte ein Ende gefunden;<br />

nur war da immer noch die abscheuliche Angst, dass sie dieses<br />

Paradies irgendwann wieder verlassen mussten.<br />

Die Minuten und Tage rasten dahin, doch das Glück schien<br />

so flüchtig und fragil. Sie hatten nicht darüber gesprochen,<br />

wie lange sie bleiben durften, und sie traute sich nicht, danach<br />

zu fragen. Sie wollte keine Gewissheit über die Dauer<br />

ihres Glücks erhalten. So konnte sie weiterträumen und hoffen,<br />

dass dieser Aufenthalt nie enden würde.<br />

Sechs Monate lebten sie bereits hier. Mit Argwohn und<br />

Freude sah sie, wie das Paar jeden Tag mehr Gefallen an Lara<br />

fand. An einem Abend, Lara schlief bereits, verhielten sich<br />

die Gastgeber anders als sonst und sie fürchtete, es würde sich<br />

etwas Entscheidendes ereignen.<br />

Sie erhielt ein Angebot: Lara durfte bleiben. Es gab nur eine<br />

Bedingung. Für sie selbst stand ein Fluggefährt bereit, dass<br />

sie nach Dystopia, in die Zone ohne Wiederkehr, bringen würde.<br />

Sie wollten Lara für sich. Ganz für sich allein. Sie hatten sie<br />

gerade eben gefragt, ob sie bereit sei, dieses Opfer zu bringen.<br />

Die Endgültigkeit der Entscheidung ließ sie auf dem Sofa,<br />

das mitten auf der Terrasse stand, erstarren. Vor ihr erstreckte<br />

sich das kostbare, leuchtende Wasser des Sees. Noch konnte<br />

sie mit jedem Atemzug die herrliche Luft einsaugen. Wie viele<br />

dieser Augenblicke waren ihr noch vergönnt? Eintausend?<br />

Hundert? Wie in Trance nickte sie und erhob sich. Ein letzter<br />

Blick über die Idylle: sanfte Wellen, das Vogelgezwitscher<br />

und diese köstliche Frische <strong>–</strong> und ganz weit oben das Dach der<br />

Kuppel, hinter der ...<br />

Und abermals ging alles sehr schnell. Ungelesen unterschrieb<br />

sie ein Dokument. Ihr eigenes Schicksal drohte<br />

sie zu überwältigen, denn niemand überlebte lange in der<br />

ewigen schwarzen Zone Dystopia. Sie schien zu schwach,<br />

es zu ertragen. Alles drehte sich, auf dem Wasser wirbelten<br />

tausend funkelnde Sterne, überall leuchtend helles Grün;<br />

und die sanften, harmonischen Geräusche der sie wie selbstverständlich<br />

umgebenden Natur. Benommen schleppte sie<br />

sich die wenigen Meter von der Terrasse zu dem Fluggefährt.<br />

Wohlweislich stützte der Pilot sie. Er legte ihr den Gurt an,<br />

den sie selbst nicht lösen konnte. Sie schloss die Augen und<br />

atmete nochmals tief ein. Diesen Augenblick musste sie festhalten!<br />

Dort oben, wenige Meter entfernt, schlief friedlich und<br />

leise atmend ihre Tochter.<br />

ÜBER DEN AUTOR<br />

Markus Reich ist Autor, lebt in Konstanz,<br />

liebt den See und die Natur,<br />

ist viel unterwegs und weit gereist.<br />

Fische hat er selten in den Händen,<br />

den Stift dafür umso öfter, und so erschien<br />

2018 sein Buch „Tante Bella<br />

und die Grünpflanzenkomissarin“.


85<br />

SCHRITT FÜR SCHRITT<br />

HINTER UNSEREM MOTTO „MEHR KONSTANZ IM LEBEN“<br />

STECKT MEHR ALS NUR EINE WERBEPHRASE. DAS WOLLEN<br />

WIR ZEIGEN, WENN ES UM ÖKOLOGISCHE NACHHALTIG-<br />

KEIT, KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ GEHT. DENN ZUALLER-<br />

ERST SIND WIR VOR ORT VON DIESEN THEMEN BETROFFEN.<br />

Nachhaltigkeit ist ein ziemlich ausgelutschtes Wort, könnte<br />

man sagen. Aber es umschreibt am besten, worum es bei unserem<br />

Handeln gehen sollte <strong>–</strong> um das in die Zukunft denken, das<br />

Wissen um endliche Ressourcen, um eine sukzessive Änderung<br />

von Gewohnheiten. Als Stadtwerke sehen wir hier zweierlei Verpflichtungen:<br />

zum einen, Strukturen zu ändern und den Menschen<br />

die Möglichkeit zu geben, klimafreundlicher zu leben.<br />

Denn unsere Kompetenz liegt in der regionalen Versorgung,<br />

ob mit Strom, Gas oder Trinkwasser, mit Fährverbindungen, mit<br />

dem Stadtbusverkehr in Konstanz, der Telekommunikation oder<br />

lokalen Wärmekonzepten. Wir kennen die Situation vor Ort, wir<br />

kennen die Menschen vor Ort, wir selbst sind hier zu Hause.<br />

Besser werden<br />

Zum anderen müssen wir unser eigenes Handeln in Frage stellen<br />

und sehen, wo wir besser werden können. Und ja <strong>–</strong> das ist nicht<br />

einfach, auch wenn diese Themen alles andere als neu für uns<br />

sind. In der Vergangenheit haben wir bereits viel getan: Dazu<br />

zählen 100 Prozent Ökostrom für Konstanz, ein preisgekröntes<br />

Mieterstrommodell, die sukzessive Nachrüstung der Busflotte<br />

mit der gegenwärtig anspruchsvollsten Abgasnorm Euro 6, der<br />

Bau einer gasbetriebenen Fähre oder der Betrieb des Fahrradmietsystems<br />

konrad sowie des Lastenradsystems TINK.<br />

→ WIE ES VORAN GEHT, DARÜBER<br />

BERICHTEN WIR AB SOFORT JEDES<br />

JAHR TRANSPARENT IN UNSEREM<br />

FORTSCHRITTSBERICHT:<br />

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FORTSCHRITTSBERICHT<br />

Künftige Projekte<br />

Aber es ist auch klar, dass das zählt, was die Zukunft erfordert.<br />

So sind viele Projekte in der Pipeline: etwa der Förderantrag<br />

für sechs Elektrobusse oder das Konzept für ein klimaneutrales<br />

Quartier „Hafner“. Und wir arbeiten ständig daran, die<br />

Erzeugung erneuerbarer Energien vor Ort auszubauen, indem<br />

wir Projekte rund um Nahwärmenetze, Kraft-Wärme-Kopplung<br />

(Blockheizkraftwerke), Abwasserwärme, Solarthermieund<br />

Photovoltaikanlagen sowie vieles mehr realisieren.<br />

Wir sind uns bewusst, dass es hierbei viele Anspruchsgruppen<br />

geben wird, die von uns Handeln erwarten. Diese Ansprüche<br />

verstehen wir und werden versuchen, sie so gut wie möglich<br />

umzusetzen, auch wenn dies manchmal länger dauert und<br />

kontroverse Diskussionen erfordert. Und das tun wir, ohne<br />

wirtschaftliche Risiken einzugehen. Denn auch das bedeutet<br />

Nachhaltigkeit.<br />

Blühende Stadtwerke<br />

Auch innerhalb des Konzerns ist das Thema lebendig. Von der<br />

Belegschaft ging die Initiative „ökologische Nachhaltigkeit“<br />

aus. Sie ist besetzt mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus<br />

verschiedenen Bereichen, die das Thema Umwelt- und Klimaschutz<br />

bei den Stadtwerken weiter vorantreiben. Denn die<br />

Menschen, die bei uns arbeiten, fragen sich beruflich wie auch<br />

als Privatpersonen, wie wir mit unserer Umwelt umgehen wollen.<br />

Deshalb werden beispielsweise unsere Grünflächen auf<br />

dem Betriebsgelände sukzessive zu blühenden Blumenwiesen<br />

und damit neue Heimat für Insekten. Erste Bienenvölker eines<br />

Mitarbeiters haben dort bereits ihren Platz bei einer Photovoltaikanlage<br />

gefunden, so dass wir nun rund 120.000 Bienen<br />

mehr auf unserem Gelände haben. Dies ist zwar nur ein kleiner<br />

Schritt im Vergleich zu dem, was in Zukunft getan werden<br />

muss <strong>–</strong> aber mit jedem Schritt geht es ein Stück weiter voran.


NEWCOMER<br />

86<br />

Kaffee, Kühe, Kompostklo.<br />

Warum habt ihr hier eigentlich kein Café? <strong>–</strong> Keine Zeit, mach<br />

doch du eins auf! So beginnt die Geschichte des Cafés Selma.<br />

Oder vielleicht hat sie auch schon viel früher begonnen, mit einem<br />

Landwirtschaftspraktikum auf dem Hættelihof.<br />

TEXT — Heike Meyer<br />

FOTO — Julia Stepper<br />

Ein Bauernhof zwischen See und Uni<br />

Der Hættelihof im Hockgraben ist ein ungewöhnlicher Hof,<br />

nicht draußen auf dem Land, sondern sehr stadtnah, mitten<br />

im Vogelschutzgebiet. Hier wird Landwirtschaft aus Überzeugung<br />

betrieben, Tierhaltung, Landschaftspflege und pädagogische<br />

Angebote sorgen für ein buntes Ganzes. Nach Demeterrichtlinien<br />

wird Rindfleisch erzeugt und direkt vermarktet,<br />

auch Apfelsaft und weitere Produkte werden angeboten. Leonie<br />

Horn hat sich gleich in den Hof verliebt, als sie dort ein Praktikum<br />

für ihr Studium der ökologischen Landwirtschaft machte.<br />

Ein halbes Jahr hat Leonie überlegt, was sie mit ihrem<br />

Studium und ihrem Leben anfangen will, bevor sie sich für die<br />

Eröffnung eines Hofcafés entschied und von Witzenhausen<br />

zurück nach Konstanz kam. „Ich denke schon lange, dass es<br />

schön wäre, die Landwirtschaft mit einem Cafébetrieb zu<br />

verbinden“, erzählt sie, und dass sie jetzt eben umgekehrt Café<br />

mit Landwirtschaft verbinde. „Erwerbskombination“ nennen<br />

das die Fachleute. Doch ob ihr das Café auf dem Hættelihof<br />

ausreicht, weiß sie noch nicht. Eigentlich möchte sie das, was<br />

sie im Studium gelernt hat, auch anwenden können und die ökologische,<br />

nachhaltige Landwirtschaft voranbringen. In ihrer<br />

Bachelorarbeit gestaltete sie Informationstafeln für fachfremde<br />

Besucher des Universitätshofs, und eine ähnliche Mission hat<br />

sie noch immer. „Für mich persönlich ist Bildung über Landwirtschaft<br />

der Schlüssel für alles. Denn ich denke, man muss<br />

als allererstes den Menschen die Augen öffnen, wie Landwirtschaft<br />

überhaupt funktioniert und warum die ökologische,<br />

kleinbäuerliche die nachhaltigste und unterstützenswerteste<br />

ist“, erklärt Leonie. In diesem Sinne versteht sie ihr Café Selma<br />

als Ort, an dem interessierte Gäste mit ökologischer Landwirtschaft<br />

und den Hoftieren in Kontakt kommen können.<br />

Vom Kirmesstand zur Kuchentheke<br />

Der Hættelihof entwickelt sich ständig weiter, und der Landwirt<br />

Thomas Schumacher und seine Frau Ute Paluch sind<br />

offen für neue Ideen. Gemeinsam mit Leonie haben sie überlegt,<br />

wie so ein Hofcafé aussehen könnte <strong>–</strong> nur einen Raum<br />

dafür gab es eigentlich nicht. Da war es ein Glück, dass Freunde<br />

Leonie einen alten Bauwagen verkauften, den sie zu einem<br />

Fasnachtswagen hatten umbauen wollen, was nie geschah. Sie<br />

hatten ihn ihrerseits von der Schaustellerfamilie Gebauer erworben,<br />

die die Plastikchips für ihren Autoscooter daraus verkaufte.<br />

Praktischerweise aus einer Klappe an der Längsseite<br />

des Wagens heraus, was Leonie für ihr Vorhaben natürlich zugute<br />

kam. Die alte Aufschrift, das runde Dach <strong>–</strong> der Bauwagen<br />

sah so originell aus, dass Leonie zuerst dachte, sie lässt ihn so,<br />

wie er ist. Aber das ist eins der Dinge, die dann doch anders<br />

kamen als gedacht: Von Grund auf neu machen ist einfacher,<br />

als viele kleine Reparaturen und Umbauten. Deshalb stand<br />

Anfang dieses Jahres der Bauwagen nackt auf dem Hof und


87 NEWCOMER<br />

→<br />

RUHE UND KUCHEN IN TIERISCHER GESELLSCHAFT<br />

wurde von fleißigen Arbeitern mit neuer Farbe versehen. Rechtzeitig,<br />

wenn es warm wird, sollte das Café eröffnet werden,<br />

und deshalb schufteten Leonie und ihre Freunde unermüdlich:<br />

diffusionsoffene Unterspannbahn, Längslattung, Dämmung,<br />

Fenster ... Es gibt viel zu tun, wenn aus einem alten Bauwagen<br />

ein Café werden soll. „Durchgängig beim Umbau geholfen<br />

hat mir ein Freund, der Schreiner ist. Den habe ich auch bezahlt“,<br />

sagt Leonie. „Aber es waren so viele Leute, die an den<br />

unterschiedlichsten Stellen geholfen haben, teils langjährige<br />

Freunde, manche, die von weiter weg extra hierhergekommen<br />

sind, manche, die zufällig etwas von meinem Projekt mitbekommen<br />

haben und auf mich zugekommen sind. Ohne diese<br />

riesige Hilfsbereitschaft hätte das nie geklappt“, ergänzt sie<br />

noch immer ganz überwältigt.<br />

Doch alles hilft nichts, wenn die benötigten Genehmigungen<br />

nicht da sind. Das Veterinäramt ist zwar einverstanden, auch<br />

von der Naturschutzbehörde gibt es keine grundsätzlichen Bedenken,<br />

und Leonie hat die für den Gastrobereich notwendigen<br />

Schulungen absolviert. Doch auf die Idee, dass man für<br />

das Aufstellen eines Bauwagens eine Baugenehmigung braucht,<br />

muss man erst einmal kommen. Jede Stadt hat letztlich ihre<br />

eigenen Regelungen und bis man alle Informationen zusammen<br />

und alle Stellen abgeklappert hat, dauert es, selbst wenn man<br />

wie Leonie hartnäckig bleibt und sich ständig und überall umhört.<br />

Deshalb werden zunächst nur die Helferkaffeetassen auf<br />

der neugebauten Theke abgestellt, die selbstgenähten Sonnensegel<br />

warten noch auf ihren Einsatz.<br />

Bei den Schafen ist gut Kirschen essen<br />

Als ich Ende Juni 2019 auf dem Hættelihof vorbeischaue, steht<br />

der Bauwagen noch nicht an der Stelle, wo er eigentlich hingehört.<br />

Es ist weiterhin unklar, wann die Eröffnung stattfinden<br />

kann, und deshalb ist bei Leonie ein bisschen die Luft raus.<br />

Sie verdient ihr Geld erst einmal damit, dass sie auf dem Hof<br />

mitarbeitet. Glücklicherweise ist in der Landwirtschaft viel<br />

zu tun, so dass Thomas und Ute ihre Hilfe gebrauchen können.<br />

Für das Café ist im Großen und Ganzen alles fertig. Der Bauwagen<br />

ist so gut ausgestattet, dass man ihn auch als Gerätelager<br />

bezeichnen könnte. Von Ofen über Spülmaschine bis Kühlvitrine<br />

hat Leonie alles gebraucht gekauft, weil es billiger ist,<br />

aber auch nachhaltiger. Auch eine Komposttoilette ist schon<br />

fertiggestellt <strong>–</strong> Studierende haben sie im Rahmen eines Nachhaltigkeitsprojekts<br />

gebaut. Nur der Wasseranschluss im Bauwagen<br />

fehlt noch und das Problem mit den lästigen Fliegen<br />

muss gelöst werden, doch Leonie ist zuversichtlich, dass sie beides<br />

hinbekommt, wenn sie es erstmal schriftlich hat, dass sie<br />

aufmachen darf.<br />

Um uns zu unterhalten, schlägt Leonie vor, dass wir es uns<br />

auf der Wiese neben den Schafen gemütlich machen, und<br />

nimmt eine Decke, Apfelsaft und leckere Kirschen vom Hof<br />


NEWCOMER<br />

88<br />

mit. Kuchen soll es geben, denn sie bäckt gern, erzählt sie,<br />

und Landjäger, damit es auch Erzeugnisse direkt vom Hof gibt.<br />

Milch wird hier nicht produziert, so dass sie die einkaufen<br />

muss. Wo und wie, das muss sie noch herausfinden. Auch Eier<br />

legen die Hofhühner bisher nicht genug, doch wenn bald das<br />

geplante Hühnermobil da ist, können die Eier von Huhn<br />

Selma und ihren Kolleginnen direkt in den Kuchenteig wandern.<br />

Alles, was nicht auf dem Hof erzeugt werden kann, möchte<br />

Leonie in Bioqualität und so regional wie möglich einkaufen,<br />

auch wenn sie zunächst keine Biozertifizierung anstrebt.<br />

Junge Familien trifft man auf dem Hof schon oft an, denn<br />

es gibt hier Kindergeburtstagsfeiern, Familientage und<br />

weitere Angebote für Kinder und Eltern. Ganz in der Nähe<br />

in den Wohnheimen leben Studierende, auch von der Uni<br />

ist es durch den Hockgraben nicht weit. „Für die Menschen,<br />

die in der Stadt wohnen und arbeiten, will ich einen Ort<br />

schaffen“, erklärt Leonie, „ganz nah zum Zentrum, aber mitten<br />

in der Natur.“ Eine grüne Oase. Sie wundert sich, dass viele<br />

in der Region den Hof gar nicht kennen, und hofft, dass sie<br />

den Weg hierher finden. Damit hätte sie nicht nur genug<br />

Kundschaft, damit das Café sich trägt, sie käme auch ihrem<br />

Ziel, Menschen in Kontakt mit ökologischer Landwirtschaft<br />

zu bringen, ein Stück näher. Ich fühle mich auf alle Fälle sehr<br />

weit weg von meinem Alltag und dem Trubel in der Stadt,<br />

während wir im Gras sitzen und den Schafen zusehen. In<br />

wenigen Minuten mit dem Fahrrad zum Auftanken bei Biokaffee<br />

fahren? Eine gute Idee!<br />

Wiesenblumen und Sonnenschein<br />

Und plötzlich geht alles ganz schnell. Ein paar Tage nach unserem<br />

frühsommerlichen Gespräch neben der Schafwiese<br />

steht fest, dass am 16. Juli die Eröffnung sein soll. Es ist dann<br />

natürlich doch noch mehr Arbeit als gedacht. Leonie legt<br />

Öffnungszeiten fest, druckt und verteilt Werbekarten, bäckt<br />

noch ein bisschen zur Probe, gräbt Gräben für Wasserleitungen,<br />

versetzt den Bauwagen an den richtigen Platz auf dem<br />

Hof, malt Schilder, bringt sie an und so weiter. Die Hofbetreiber,<br />

die Freunde und Bekannten freuen sich mit ihr, dass<br />

es nun doch endlich losgehen kann, und packen alle noch<br />

einmal mit an. Natürlich gibt es Zwischenfälle, die nicht eingeplant<br />

waren: Das Sonnensegel will sich nicht recht spannen<br />

lassen, der Traktor muss ausgerechnet in der Zeit repariert<br />

werden und ist einen halben Tag lang nicht einsetzbar, so<br />

dass vor der Eröffnung noch eine Nachtschicht nötig ist, damit<br />

alles einladend und schön ist. Doch es lohnt sich und am<br />

großen Tag ist das Gelände im Vergleich zu meinem ersten<br />

Besuch kaum mehr wiederzuerkennen. Die Sonne, die sich<br />

in den letzten Tagen ein bisschen rar gemacht hatte, strahlt<br />

mit den Wimpeln und Leonie um die Wette, als die ersten<br />

Gäste im Café eintreffen. Der Ansturm ist alleine gar nicht zu<br />

bewältigen, so dass Leonie zwischendurch auf sechs helfende<br />

Hände zurückgreifen muss, die mitanpacken: Der befreundete<br />

Gärtner liefert nicht nur den Salat, sondern wäscht ihn auch<br />

gleich noch, Leonies Eltern kochen zwischendurch den Kaffee<br />

und besorgen noch mehr Stühle.<br />

Als ich ankomme, ist der Cafébetrieb etwa eineinhalb<br />

Stunden alt. Junge und ältere Menschen sitzen auf den ganz<br />

unterschiedlichen Möbeln und entspannen sich hier im<br />

Grünen. Ich schaue mir die Liegestühle und den Bistrotisch<br />

an und hoffe, einen der gemütlichen Sitzplätze zu ergattern,<br />

während ich mich anstelle. Die Theke ist ganz schön hoch, gut,<br />

dass mit Paletten eine Treppe und Standfläche geschaffen<br />

wurden, sonst müsste ich meine Bestellung wie ein Kleinkind<br />

aufgeben, ohne Leonie hinter der Theke sehen zu können.<br />

Ein kurzer Spaziergang von der Uni hat mich in der Mittagspause<br />

hergeführt, deshalb freue ich mich sehr, dass zur Eröffnung<br />

nicht nur Kuchen, sondern auch knusprige Focaccia<br />

mit buntem Salat angeboten wird, die zusammen mit der<br />

Hoflimonade, die wie alles andere hier selbst gemacht ist, ein<br />

leckeres Mittagessen abgibt. Beim Blick hinter die Theke<br />

erinnert nichts mehr an einen Bauwagen, man schaut in eine<br />

perfekt ausgestattete Küche. Alles wirkt sehr freundlich, hell<br />

und durchdacht. Es dauert ein bisschen, bis ich meine Bestellung<br />

erhalte, denn die Abläufe sind noch nicht eingespielt, aber<br />

so kann ich in Ruhe die Kuchen- und Keksauswahl anschauen<br />

und mir schon einmal die Mandelkekse für die Nachspeise<br />

auswählen. Ich lese, dass es zudem Hofeistee, der mich auch<br />

neugierig macht und zum Probieren einlädt, sowie koffeinfreien<br />

Getreidekaffee gibt. Eine ganze Menge zu entdecken<br />

auf der Karte des Cafés Selma, denke ich und nehme mir vor,<br />

hier öfter eine Auszeit zu nehmen.<br />

Mit meiner Salatschüssel setze ich mich auf eine mit Wiesenblumen<br />

geschmückte Palettenbank, wo schon eine ehemalige<br />

Kollegin sitzt, die ich zufällig hier treffe. Sie freut sich, dass sie<br />

auf dem Hof jetzt so leckeren Kuchen bekommen kann, denn<br />

sie ist regelmäßig hier, weil sie eine Patenkuh hat, um die sie<br />

sich kümmert. Eine Kuh, die keine Hörner hat und deshalb<br />

gemobbt wird, erfahre ich. Damit ist der Bezug zur Landwirtschaft<br />

abermals hergestellt, auch wenn ich auf einen Spaziergang<br />

zu den nahen Hoftieren verzichte.<br />

Es herrscht reges Treiben an diesem 16. Juli, immer wieder<br />

kommen neue Gäste an. Manche zu Fuß, viele mit dem Rad,<br />

ein alter Mann fährt mit dem E-Rollstuhl auf den Hof. Zwei<br />

schwangere Frauen mit Fahrradanhängern entdecken den<br />

Fahrradparkplatz, der bisher noch ungenutzt ist, weil alle Räder<br />

anderswo Platz fanden. Nur der Autoparkplatz, der vorschriftsgemäß<br />

eingerichtet wurde, bleibt leer. Die Gäste gratulieren<br />

zur Eröffnung, lachen, plaudern, probieren, loben<br />

und genießen. Leonie allerdings kommt nicht zur Ruhe und<br />

das ist ja gut, denn genau so hat sie es sich gewünscht. Einzig<br />

die Fliegen surren immer noch durch den Bauwagen. Doch<br />

was soll’s: Leonie wird einen weiteren Versuch starten, sie los<br />

zu werden. Und vielleicht gehören Fliegen zu einem Hofcafé<br />

auch dazu.<br />

ÜBER DIE AUTORIN<br />

Vielleicht mache ich einfach ein Café<br />

auf, hat Heike schon öfter gesagt,<br />

wenn im Beruf irgendetwas nicht so<br />

lief, wie sie es sich gewünscht hat.<br />

Dass es von diesem Traum zur<br />

Wirklichkeit ein anstrengender und<br />

manchmal steiniger Weg sein kann,<br />

hat sie beim Schreiben dieses Texts<br />

gelernt, aber auch, dass es sich<br />

lohnen kann, es zu tun.


NEWCOMER<br />

Gedankenreise in die Kunst<br />

Bildstein|Glatz, LOOP, Installation vor der Kartause Ittingen, 2017<br />

www.kunstmuseum.ch<br />

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Mic Night“ für Krzl + KN. Ich freue<br />

mich auf eure Post. Kathrin<br />

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Menschen der Stadt: wir, beide Anfang Dreißig, möchten<br />

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Tipps ums Eck<br />

Geheimtipps gerne an:<br />

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1. Interkulturelle Woche: Grenzüberschreitende<br />

Aktion mit Ausstellungen, Konzerten,<br />

Filmvorführungen und Lesungen.<br />

Highlights: Im Begegnungszentrum DAS<br />

TRÖSCH gibt es ein leckeres interkulturelles<br />

Dinner mit Improtheater; das<br />

Zebra Kino zeigt die sehenswerte Doku<br />

„The Remains <strong>–</strong> nach der Odyssee“.<br />

DAS TRÖSCH<br />

Hauptstrasse 42, Kreuzlingen<br />

Zebra Kino<br />

Joseph-Belli-Weg 5, Konstanz<br />

Fr, 27.09. <strong>–</strong> So, 06.10.2019<br />

www.kreuzlingen.ch<br />

2. Benefiz-Veranstaltung mit mongolischem<br />

Essen & Film: Der Schweizer Verein Bayasgalant<br />

unterstützt in der mongolischen<br />

Hauptstadt Ulaanbaatar Kinder und ihre<br />

Eltern aus armen Verhält nissen mit dem<br />

Ziel, ihnen eine bessere Zukunftsperspektive<br />

zu bieten.<br />

Kulturbistro Zu Tisch!<br />

Marktgasse 5, Bischofszell<br />

www.bayasgalant.ch<br />

Sa, 05.10.2019<br />

Das Buffet kostet 20 CHF (ohne<br />

Getränke), für den Film wird eine<br />

Kollekte von 25 CHF vorgeschlagen<br />

3. Malworkshop für Erwachsene: Einmal<br />

pro Monat öffnet Künstlerin und Zeichnerin<br />

Stefanie Seltner ihr Atelier und lädt<br />

zum unbeschwerten Kreativsein mit Acrylfarben<br />

und anderen Materialien ein.<br />

Atelier Seltner<br />

Obere Laube 73, Konstanz<br />

www.atelier-seltner.de<br />

Sa, 12.10., Sa, 09.11. und Sa, 14.12.2019<br />

jeweils 10<strong>–</strong>14 Uhr<br />

4. Mit der Drehorgelfrau auf der alten Landstraße:<br />

Historikerin Frauke Dammert<br />

schlüpft in die Rolle der Drehorgelfrau<br />

und nimmt Interessierte mit auf einen<br />

Spaziergang durch die Geschichte Kreuzlingens.<br />

Startpunkt ist der Hauptzoll; die<br />

Tour endet mit einem wärmenden Punsch<br />

im Klosterhof von St. Ulrich.<br />

Hauptzoll Kreuzlingen<br />

www.kreuzlingen.ch<br />

Mi, 23.10.2019, 18<strong>–</strong>20 Uhr<br />

5. hörBAR im Gewölbekeller: Radiofeatures<br />

sind oft aufwendig produziert <strong>–</strong> und haben<br />

völlig zu Recht in Konstanz ein eigenes<br />

Veranstaltungsformat. In der hörBAR im<br />

Gewölbekeller kann man gemeinsam lauschen,<br />

mitdenken und diskutieren.<br />

Kulturzentrum am Münster<br />

Wessenbergstr. 43, Konstanz<br />

www.raum3.info<br />

Do, 24.10.2019, Mi, 20.11.2019,<br />

Do, 30.01.2020, jeweils 20 Uhr<br />

6. Pop-up Space auf der farm: Auf dem<br />

ehemaligen Siemens-Areal in der Bücklestraße<br />

in Konstanz tut sich was <strong>–</strong> hier<br />

entsteht ein Pop-up Space für Kreativ<br />

linge, KünstlerInnen und MacherInnen!<br />

Wer auf der Suche nach einem Raum<br />

zum Ausprobieren, Herzeigen und Experimentieren<br />

ist, kann sich um „Ackerland“<br />

auf der farm bewerben.<br />

Treibhaus<br />

Bücklestr. 3<strong>–</strong>5, Gebäude 6, Konstanz<br />

www.konstanz.farm<br />

November 2019 bis Februar 2020<br />

7. Lindy Hop-Workshop: Ein Wochenende<br />

voller Swing in Konstanz! Freitagabend<br />

gibt’s die Eröffnungsparty im K9, Samstag<br />

und Sonntag Lindy Hop-Workshops für<br />

Anfänger und Fortgeschrittene im STEPraum<br />

konsTANZ.<br />

Kulturzentrum K9<br />

Hieronymusgasse 3, Konstanz<br />

STEPraum konsTANZ<br />

Obere Laube 55, Konstanz<br />

Fr, 08.<strong>–</strong>So, 10.11.2019<br />

www.swinginkonstanz.de<br />

8. Winterzimmer: Am zweiten Adventswochenende<br />

erwarten euch handgemachte<br />

Unikate beim kleinsten und unaufgeregtesten<br />

Weihnachtsmarkt der Stadt Konstanz.<br />

Zehn Aussteller stellen ihre Produkte<br />

zur Schau, es gibt leckere Verpflegung und<br />

die ein oder andere Überraschung.<br />

Hofhaus im Paradies<br />

www.zweizimmerimhof.de<br />

Sa, 07.12.2019<br />

14<strong>–</strong>19 Uhr<br />

9. Stammtisch im Gewächshaus: Im Gewächshaus<br />

des Vereins Permakultur in<br />

Allensbach ist jeder und jede willkommen<br />

mitzugärtnern. Wer mag, kann eine einzelne<br />

Parzelle pachten oder bei Gemeinschaftsprojekten<br />

mit anpacken. Sonntags<br />

gibt es einen Stammtisch zum Gärtnern,<br />

Plaudern und Ernten − gegen eine<br />

Spende kann Gemüse mit nach Hause genommen<br />

werden.<br />

Gewächshaus am Ende<br />

der Nägelriedstraße<br />

Allensbach-West<br />

www.permakultur-allensbach.de<br />

jeden Sonntag, 14<strong>–</strong>18 Uhr<br />

10. Adventsfenster Tägerwilen: Auf einen<br />

Plausch mit Nachbarn, Fremden und<br />

Freunden trifft man sich im Advent in<br />

Tägerwilen. Jeden Abend wird ein anderes<br />

kreativ gestaltetes Fenster in der<br />

Ortschaft beleuchtet und bestaunt.<br />

Tägerwilen<br />

www.adventsfenster-taegerwilen.ch<br />

So, 01.12.<strong>–</strong>Di, 24.12.2019,<br />

jeweils ab 18 Uhr


9<br />

93 TIPPS UMS ECK<br />

Konstanz<br />

1<br />

Oberlohnstraße<br />

6<br />

Wollmatinger Straße<br />

Reichenaustraße<br />

Schänzlebrücke<br />

Rhein<br />

Reichenaustraße<br />

Theodor-Heuss-Straße<br />

Mainaustraße<br />

Seerhein<br />

Europastraße<br />

8<br />

Fahrradbrücke<br />

Obere Laube Untere Laube<br />

3<br />

5<br />

Rheinbrücke<br />

Grenzbachstraße<br />

Bodensee<br />

7<br />

4<br />

TIPPS — Gesamte Redaktion<br />

LANDKARTE — Isabell Schmidt-Borzel<br />

Kreuzlinger Straße<br />

10<br />

Unterseestrasse<br />

2<br />

Kreuzlingen<br />

Tägerwilerstrasse<br />

Konstanzertrasse<br />

Bahnhofstrasse<br />

1<br />

Hauptstrasse<br />

Egelseestrasse<br />

Hauptstrasse<br />

Hafenstrasse<br />

Seetalstrasse


TOLLE MENSCHEN<br />

94<br />

D a n k e<br />

Albert Kümmel-Schnur Text. Alexander<br />

Reb Text. Alex Wucherer Illustration.<br />

Andrea Temme Strategie und Mentoring.<br />

Anke Klaaßen Text. Anna Appadoo Collage.<br />

Barbara Marie Hofmann Text. Christine<br />

Zureich Text. Eva Maria Höpfer Text. Fabian<br />

Halder Illustration. Florian Roth Text.<br />

Francisco Telles Text. Franziska Schramm<br />

Text und Superwoman-Support. Giorgio Krank<br />

Fotografie. Heike Meyer Text, Lektorat und<br />

Korrektorat. Isabell Schmidt-Borzel Illustration<br />

und Infografik. Isabelle Caroline Lips Lektorat.<br />

Isabelle Jasmin Roth Text. Janne Tüffers<br />

Text. Jette Marie Schnell Fotografie.<br />

Julia Stepper Fotografie. Julien Burckhardt<br />

Kreativer Macher. Katja Heller Betreuung Interreg<br />

Förderung. Kathrin Rochow Anzeigenakquise.


95 TOLLE STADT<br />

Kerstin Stepper Infografik. Kornelius<br />

Maurath Text. Louise Krank Fotografie.<br />

Mandy Krüger Text. Manuel Güntert Text.<br />

Markus Reich Text. Micha Kübler<br />

Fotografie-Licht. Michael Reiner Fotografie.<br />

Mika Jaoud Fotografie. Nico Jenni Fotografie.<br />

Niklas Knezevic Vertonung. Quentin Pehlke<br />

Fotografie. Simone Warta Lektorat und<br />

Korrektorat. Stadt Kreuzlingen Partnerschaft<br />

und Support. Stadt Konstanz Partnerschaft<br />

und Support. Stefan Lohwasser Druckbetreuung.<br />

Stefanie Seltner Illustration. Tom Hegen Text<br />

und Fotografie. Thomas Bissinger Text.<br />

Veronika Fischer Text.<br />

Wir danken allen, die uns Fachwissen und Leidenschaft geschenkt haben,<br />

für Saatgut, für stetiges Gießen und Erntehilfe.<br />

Wir danken unseren Anzeigenkunden, die Teil der Geschichten der Stadt sind und vor allem allen,<br />

die das <strong>NUN</strong>, lesen, darin schmökern, es teilen und ihren Nachbarn schenken.<br />

Auch für zahlreiche Mails, Briefe, Online-Bewertungen, Einladungen und Besucher, die uns erreicht haben,<br />

möchten wir uns von Herzen bedanken. Ihr seid alle ein Stückchen <strong>NUN</strong>,.


IMPRESSUM<br />

96<br />

<strong>NUN</strong>, Magazin<br />

Ausgabe 4/Spätsommer 2019<br />

Druck:<br />

Druckhaus Müller, Langenargen<br />

Herausgeber & Redaktion:<br />

Annabelle Höpfer, Miriam Stepper<br />

Art Direktion, Layout:<br />

Annabelle Höpfer<br />

Satz und Infografik:<br />

Isabell Schmidt-Borzel<br />

Superwoman, Fördermanagement:<br />

Franziska Schramm<br />

Autoren:<br />

Albert Kümmel-Schnur, Alexander Reb, Anke Klaaßen,<br />

Barbara Marie Hofmann, Christine Zureich, Eva<br />

Maria Höpfer, Florian Roth, Franziska Schramm, Heike<br />

Meyer, Isabelle Jasmin Roth, Janne Tüffers, Kornelius<br />

Maurath, Mandy Krüger, Manuel Güntert, Markus<br />

Reich, Tom Hegen, Veronika Fischer<br />

Fotografen & Illustratoren:<br />

Anna Appadoo, Alex Wucherer, Fabian Halder, Giorgio<br />

Krank, Isabell Schmidt-Borzel, Jette Marie Schnell,<br />

Julia Stepper, Kerstin Stepper, Louise Krank, Michael<br />

Reiner, Mika Jaoud, Miriam Stepper, Nico Jenni,<br />

Quentin Pehlke, Stefanie Seltner, Tom Hegen<br />

Papier:<br />

Enviro Top Recycling Papier, Munken Print Cream,<br />

IGEPA Caribic<br />

Schriften:<br />

Practice (Optimo), Moderat (Tighttype)<br />

Auflage:<br />

3.000 Stück<br />

Copyright:<br />

Alle enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Ein Nachdruck der Texte und Fotos<br />

des <strong>NUN</strong>, Magazins <strong>–</strong> auch im Internet <strong>–</strong> ist nur mit<br />

schriftlicher Genehmigung der Herausgeber<br />

gestattet. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen<br />

Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung der<br />

Herausgeber strafbar.<br />

Gönnerabo:<br />

Du findest <strong>NUN</strong>, wertvoll und möchtest etwas<br />

zurückgeben? Unter www.nun-magazin.de/goenner<br />

kannst du ein Gönnerabo erwerben.<br />

Anzeigenanfragen:<br />

-> anzeigen@nun-magazin.de<br />

Titelmotiv:<br />

Miriam Stepper<br />

Aufmacherillustration S. 4:<br />

Alex Wucherer<br />

Foto Editorial:<br />

Quentin Pehlke<br />

Korrektorat:<br />

Heike Meyer, Simone Warta, Isabelle Caroline Lips<br />

Anzeigenakquise:<br />

Kathrin Rochow<br />

<strong>NUN</strong>, wird gefördert von:<br />

Kontakt:<br />

<strong>NUN</strong>, GbR<br />

Annabelle Höpfer und Miriam Stepper<br />

Brauneggerstr. 34a<br />

D<strong>–</strong>78462 Konstanz<br />

www.nun-magazin.de/ch<br />

-> mail@nun-magazin.de<br />

<strong>NUN</strong>, #5 erscheint im Frühling 2020 unter dem<br />

Titelthema „dasein“ und widmet sich Geschichten<br />

von Menschen aus der ganzen Welt, die alle auf<br />

ihre individuelle Art für Kurz oder Lange hier oder<br />

anderswo sind.<br />

Die Stadt Kreuzlingen und das Kulturamt Konstanz sind Partner<br />

von <strong>NUN</strong>, und unterstützen somit die Interreg-Förderung.


STORE & GALERIE<br />

Konstanz<br />

78462 Konstanz | Gerichtsgasse (gegenüber dem Landgericht KN) | +49 (0)7531 916 33 00 | www.leica-store-konstanz.de | www.leica-galerie-konstanz.de<br />

Öffnungszeiten: Mo - Fr 10.00 bis 18.30 Uhr, Sa 09.30 bis 14.00 Uhr<br />

Aktuelle Ausstellung<br />

FOCUS: WERNER BISCHOF<br />

AUSSTELLUNG 30. August bis 17. November 2019, der Eintritt ist frei<br />

ÖFF<strong>NUN</strong>GSZEITEN Montag bis Freitag 10.00 <strong>–</strong> 18.30 Uhr,<br />

Samstag 09.30 <strong>–</strong> 14.00 Uhr oder nach Vereinbarung<br />

Bild: Germany. Friedrichshafen. 1945 © Werner Bischof / Magnum Photos

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