31.03.2020 Aufrufe

ELMA_Magazin_ApriMai2020

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

76 DAS WOLLEN WIR WISSEN<br />

URALTE GESCHLECHTERROLLEN<br />

BESTIMMEN UNSER VERHALTEN<br />

Es gibt Muster, die sich erstaunlich<br />

oft wiederholen. Die meisten Männer<br />

können zum Beispiel besser einparken.<br />

Aber nicht, weil sie die begabteren<br />

Autofahrer sind, Richtung<br />

und Bewegung liegen ihnen einfach<br />

im Blut. Aber fragen sie den gleichen<br />

Mann einmal, ob er weiß, wo der Sohnemann<br />

nach dem letzten Training<br />

seine Fußballschuhe hingeschmissen<br />

hat – mit dem Mama-Memory kann<br />

er definitiv nicht mithalten. Frauen<br />

sind nämlich seit Urzeiten, so der<br />

Wissenschaftsautor Jürgen Brater, in<br />

der Lage, weit verstreute, aber unbewegliche<br />

Dinge in einem bestimmten<br />

Areal wiederzufinden – in und um<br />

ihre Höhle sozusagen.<br />

WIR HABEN AUS VERSEHEN DIE<br />

EVOLUTION ÜBERHOLT<br />

So manches ist fest in unserem Erbgut<br />

verankert. Wenn wir Stress haben,<br />

gerät unser Körper in Alarmbereitschaft.<br />

Fight or Flight – das Adrenalin<br />

steigt, die Härchen stellen sich auf,<br />

damit wir größer wirken, was heutige<br />

Säbelzahntiger in Form von Chefs<br />

oder Finanzbeamten leider nicht<br />

sonderlich beeindruckt. Wir fürchten<br />

uns vor kleinen Spinnen, sitzen aber<br />

in aller Ruhe in Autos, die 200 km/h<br />

schnell sind. Wir hantieren mit Silvesterböllern,<br />

machen aber einen Satz,<br />

wenn uns eine Blindschleiche begegnet.<br />

Kinder haben eine angeborene<br />

Angst vor Fremden und spucken von<br />

Anfang an Bitteres wieder aus, langen<br />

aber unbedarft in Steckdosen oder<br />

rennen auf die Straße. Einen offenen<br />

Kamin assoziieren wir mit Behaglichkeit,<br />

wir sitzen nicht gern mit dem<br />

Rücken zur Tür, ein dunkler Keller<br />

macht uns Angst, und wenn einer<br />

aus der „Sippe“ gähnt und damit<br />

die Schlafenszeit einläutet, ziehen<br />

wir alle nach. Und da interessiert es<br />

unseren Körper überhaupt nicht, dass<br />

wir gerade in einem wichtigen Mee-<br />

ting sitzen. Wir können nicht anders.<br />

Unsere Software hinkt eindeutig der<br />

Realität hinterher.<br />

WIE IN GRAUER VORZEIT<br />

Besonders eindrucksvoll ist das Erbe<br />

unserer Ahnen, wenn es um Partnerwahl<br />

und Nachwuchs geht. Frauen<br />

stehen auf Männer, die groß sind und<br />

einen guten sozialen Stand haben. Er<br />

soll uns beschützen und versorgen<br />

können – auch etwas, was wir gerne<br />

leugnen, was uns aber längst von Wissenschaftlern<br />

nachgewiesen wurde.<br />

Genau wie die Tatsache, dass Männer,<br />

wenn es ums Heiraten geht, sich selten<br />

für Barbies entscheiden, sondern<br />

eher für Frauen mit breiteren Hüften<br />

und gesundem Aussehen. Schließlich<br />

soll die zukünftige Mutter seiner Kinder<br />

die Geburt der Nachfahren überleben<br />

– zum Erhalt seiner Gene.<br />

Stimmen jetzt noch die Pheromone,<br />

die Duftbotenstoffe, die sich sogar<br />

durch Parfum nicht täuschen lassen,<br />

dann verliebt man sich – und zwar<br />

genau so lange, wie es dauert, bis<br />

eine Frau schwanger ist. Forscher der<br />

Universität Wuppertal haben herausgefunden,<br />

dass bereits nach sechs<br />

Monaten die rosarote Brille schon<br />

wieder deutlich realistischere Farben<br />

annimmt.<br />

VOR DEM HINTERGRUND UNSE-<br />

RER AHNEN FÄLLT ES LEICHTER<br />

ZU VERSTEHEN<br />

Eine schwangere Neandertalerfrau<br />

hatte es bei der Geburt übrigens<br />

um nichts leichter als der weibliche<br />

Homo sapiens heute. Das relativ große<br />

Gehirn unserer Babys forderte<br />

schon damals seinen Preis. Dass die<br />

liegende Position für diese Situation<br />

nicht die optimale ist, wird uns heute<br />

langsam wieder klar. Zu den Relikten<br />

der Urzeit gehört auch, dass Frauen<br />

nach einer spontanen Geburt alles<br />

andere als müde sind. Genau wie die<br />

Tatsache, dass bereits wenige Tropfen<br />

reichen, um ein Neugeborenes<br />

im wahrsten Sinne des Wortes zu<br />

stillen. Schließlich kann es sein, dass<br />

die frischgebackene Mama Neandertaler<br />

ihr Baby erst einmal in Sicherheit<br />

bringen muss. Was auch erklärt,<br />

warum Muttermilch bei Stress grundsätzlich<br />

versiegt: Es ist wenig sinnvoll,<br />

dass sie aus der Brust spritzt,<br />

während einem der Höhlenbär auf<br />

den Fersen ist.<br />

Die Sippe bietet Sicherheit. Und deswegen<br />

schlafen Säuglinge auch am<br />

besten, wenn sie auf dem Arm liegen,<br />

um sie herum friedliches Gemurmel.<br />

Ein eigenes, ganz stilles Zimmer widerspricht<br />

ihrer Natur. Kein Wunder<br />

also, dass ein Baby, das sich alleingelassen<br />

fühlt, fürchterlich weint.<br />

Woher soll es auch wissen, dass in<br />

ein modernes Kinderzimmer in der<br />

Regel keine fremde Horde einmarschiert?<br />

Und was so ein verzweifeltes<br />

Weinen mit uns macht, hat jeder<br />

schon mal am eigenen Leib erlebt:<br />

Instinktiv suchen wir das verlassene<br />

Kind – und wenn es mitten in einer<br />

belebten Fußgängerzone ist.<br />

ALLES EINE FRAGE DES<br />

BLICKWINKELS<br />

Vor dem Hintergrund unserer Ahnen<br />

in uns wird so manches klar. Haben<br />

Sie sich zum Beispiel schon einmal<br />

gefragt, warum gerade Jungs es in<br />

den ersten Schuljahren oft so schwer<br />

haben? Die Antwort ist eigentlich<br />

ganz einfach: Stillsitzen ist in ihren<br />

genetischen Anlagen gar nicht vorgesehen.<br />

Sie sind angehende Jäger und<br />

als solche darauf programmiert, sich<br />

zu bewegen. Interessant dabei ist: Besonders<br />

wichtig für die Gruppe waren<br />

die Jungs, die jede Bewegung, jeden<br />

noch so leisen Ton registrierten und<br />

mit Alarmbereitschaft reagierten.<br />

Denn sie sicherten das Überleben<br />

der Sippe. Dass sie in unserer Gesellschaft<br />

als hyperaktiv gelten, ist nur<br />

ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen<br />

unserem Erbgut und den Bedingungen<br />

der modernen Welt.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!