27.03.2020 Aufrufe

hinnerk April/Mai 2020

Seit 1993 ist hinnerk das queere Stadtmagazin für Hamburg, Bremen und Hannover. hinnerk hat dabei nicht nur einen queeren Blick auf gesellschaftliche Themen wie die Gleichstellung Homo-, Bi-, Trans*- und Intersexueller, sondern bietet auch einen auf diese Zielgruppe angepassten Zugang zu kulturellen Themen.

Seit 1993 ist hinnerk das queere Stadtmagazin für Hamburg, Bremen und Hannover. hinnerk hat dabei nicht nur einen queeren Blick auf gesellschaftliche Themen wie die Gleichstellung Homo-, Bi-, Trans*- und Intersexueller, sondern bietet auch einen auf diese Zielgruppe angepassten Zugang zu kulturellen Themen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

14 GESUNDHEIT<br />

INTERVIEW<br />

SEXUALITÄT<br />

IST EIN<br />

GRUNDBEDÜRFNIS<br />

– Nähe in Zeiten von Corona<br />

Die COVID-19-Krise trifft<br />

einen Bereich schwulen<br />

Lebens ins Mark: das Sexleben. Besonders<br />

in den sozialen Netzwerken<br />

scheint es nur noch zwei Seiten zu<br />

geben. Die einen gerieren sich als<br />

teflonbeschichtete Ignoranten, die<br />

anderen als argumentativ bis an<br />

die Zähne bewaffnete Moralblockwarte.<br />

Was macht Corona mit der<br />

Sexualität, was kann besonders<br />

schwuler Mann lernen, was droht<br />

eventuell für die Zeit danach. Wir<br />

telefonierten mit Sexualpädagoge<br />

(gsp) Marco Kammholz aus Köln.<br />

Corona und Sex, geht das<br />

überhaupt?<br />

Sexualität ist nicht vollends aus dem<br />

Leben verbannt und das ist erfreulich!<br />

Verändert haben sich ganz sicher das<br />

Sexualverhalten und die Phantasien vieler<br />

Menschen. Frequenz, Partnerwahl, Praktiken,<br />

Gespräche über und Aushandlung<br />

von Sex, das Erleben von Intimität, all das<br />

findet aktuell unter völlig außergewöhnlichen<br />

Bedingungen statt. Das betrifft<br />

unweigerlich den sexuellen Alltag und die<br />

sexuellen Abenteuer, auch von schwulen<br />

und bisexuellen Männern.<br />

Manche haben gerade keinen Sex mehr<br />

oder nur noch mit einem Partner. Anderen<br />

ist ob der Umstände schlichtweg die Lust<br />

oder Potenz vergangen. Manche wählen<br />

genauer aus oder schlafen<br />

vor allem mit sich selbst.<br />

Viele ändern nun gezwungenermaßen<br />

ihr Datingverhalten.<br />

Man kann, auch wenn’s das Vögeln<br />

nicht ersetzt, tatsächlich immer noch<br />

masturbieren, Pornos schauen, Camsex<br />

machen und sich Sexting widmen. Oder<br />

sich in einer bzw. bestimmten ausgewählten<br />

sexuellen Beziehungen ausleben.<br />

In den offiziellen Regelungen geht es<br />

darum, alle nicht notwendigen Kontakte<br />

einzustellen. Nun ist die spannende Frage:<br />

Zählt die Befriedigung des sexuellen<br />

Grundbedürfnisses zu den notwendigen<br />

Kontakten? Und wenn ja, in welcher Form<br />

und mit wem? Es gibt viele Menschen, die<br />

ohne Probleme eine längere Zeit auf Sex<br />

verzichten, ganz ohne Corona-Krise. Aber<br />

alle müssen sich plötzlich neu mit ihrer<br />

Partnerschaft, ihren Affären oder ihren<br />

Beziehungskonstellationen, mit der Organisation<br />

ihres Sexlebens und der Äußerung<br />

ihrer sexuellen Wünsche beschäftigen.<br />

In einem Interview hatte der<br />

medizinische Referent der Deutschen<br />

Aidshilfe (DAH) schwulen<br />

Analverkehr und schwule Saunen<br />

problematisiert. Sogar queere<br />

Medien interpretierten das als „DAH<br />

warnt vor Analsex und Saunen“.<br />

Hast du eine Erklärung für die um<br />

sich greifende Sexfeindlichkeit, die<br />

leider auch homophobe Ressentiments<br />

bedient?<br />

Ich denke,<br />

wir erleben im<br />

Moment, wie wir uns<br />

von anderen körperlich<br />

distanzieren müssen,<br />

und das betrifft Sexualität<br />

dann auch. Feindlichkeit ist dafür nicht<br />

unbedingt nötig, aber sie ist derzeit spürund<br />

sichtbar. Ich halte die Empfehlungen<br />

der DAH – zumindest nach dem aktuellen<br />

Wissensstand – für nachvollziehbar, sofern<br />

man sich auf die medizinische Dimension<br />

dieser Maßnahmen konzentriert. Dennoch<br />

sind sie bizarr. Die DAH steht, wie viele<br />

schwule Angebote, für eine Haltung, die<br />

informierte, individuelle Risikoabschätzung,<br />

egal bei welchem Sexualverhalten, unterstützt.<br />

Dazu zählt auch die Entstigmatisierung<br />

promisker Lebensweisen oder die<br />

Bejahung von flüchtigen Sexualkontakten<br />

als legitime Lustbefriedigung. Insgesamt<br />

also für einen liberalen Umgang mit Sexualität.<br />

Ich glaube, die jetzige Situation stellt<br />

diese Ansätze auf die Probe. Daher auch<br />

die Irritation über die Empfehlung der DAH,<br />

sich sexuell im Moment eher zu mäßigen,<br />

anstatt auch Auskunft zu geben, wie man<br />

weiter sexuell aktiv sein kann. Aus medizinischer<br />

Sicht mag es naheliegend, aus<br />

epidemiologischer notwendig erscheinen,<br />

Menschen zu sexuellem Verzicht aufzufordern,<br />

wir wissen aber, dass die sexuellen<br />

Bedürfnisse diesen Anforderungen eben<br />

nicht immer entsprechen. Vielmehr gehen<br />

sie in den präventiven Schutzmaßnahmen<br />

nie vollständig auf, sondern treten mit<br />

FOTO: VVG

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!