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Schaeffer: Wie können wir denn leben?

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Francis <strong>Schaeffer</strong><br />

<strong>Wie</strong><br />

<strong>können</strong> <strong>wir</strong><br />

<strong>denn</strong> <strong>leben</strong>?<br />

Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur


Francis <strong>Schaeffer</strong><br />

<strong>Wie</strong><br />

<strong>können</strong> <strong>wir</strong><br />

<strong>denn</strong> <strong>leben</strong>?<br />

Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur


Die frühere Ausgabe dieses Buches enthielt zahlreiche Abbildungen, die aus<br />

rechtlichen, technischen und qualitativen Gründen nicht in diese Neuausgabe<br />

aufgenommen wurden. Hinzugefügt wurden Zwischenüberschriften und am<br />

Rand herausgestellte Kernaussagen. Auch sämtliche Fußnoten wurden vom<br />

deutschen Herausgeber ergänzt.<br />

Statt der Abbildungen im früheren Buch stellt der Betanien Verlag im<br />

Internet eine entsprechende Bilddokumentation mit zahlreichen Farbabbildungen<br />

zur Verfügung, abrufbar unter: www.betanien.de/schaeffer<br />

Oder scannen Sie mit Ihrem Mobilgerät folgenden QR-Code, um zur<br />

Bilddokumentation zu gelangen:<br />

1. Auflage der Neuausgabe 2014<br />

Originaltitel: How Should We Than Live?<br />

© Francis <strong>Schaeffer</strong>, 1976<br />

Erschienen und © des Vorworts bei Crossway Books, Wheaton, Illinois<br />

© der deutschen Übersetzung:<br />

Betanien Verlag 2014<br />

Postfach 1457 · 33807 Oerlinghausen<br />

www.betanien.de · info@betanien.de<br />

Erste deutsche Ausgabe beim Hänssler-Verlag, 5 Auflagen 1977 – 2000<br />

Ursprünglich übersetzt durch »litera«, Christliche Verlags-Agentur<br />

Überarbeitung und Lektorat: Hans-Werner Deppe<br />

Korrektur und redaktionelle Beratung: Joachim Schmitsdorf<br />

Cover: 18prozent.de mit einem Foto von © samott – Fotolia.com<br />

Satz: Betanien Verlag<br />

Druck: Scandinavianbook, Arhus (Dänemark)<br />

ISBN 978-3-935558-37-2


Inhalt<br />

Vorwort zur Ausgabe von 2005 7<br />

1 Das Rom der Antike 11<br />

2 Das Mittelalter 21<br />

3 Die Renaissance 42<br />

4 Die Reformation 56<br />

5 Die Reformation – ihre Aus<strong>wir</strong>kungen 76<br />

6 Die Aufklärung 90<br />

7 Der Beginn der modernen Wissenschaft 99<br />

8 Das Versagen von Philosophie und Wissenschaft 113<br />

9 Moderne Philosophie und moderne Theologie 137<br />

10 Moderne Kunst, Musik, Literatur und Film 152<br />

11 Unsere Gesellschaft 172<br />

12 Manipulation und die neue Elite 194<br />

13 Die Alternativen 215<br />

Ein besonderes Nachwort 225<br />

Nachbemerkungen zur deutschen Neuauflage 229<br />

Zeittafel mit Seitenangaben 233


Vorwort<br />

Zur Ausgabe von 2005<br />

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählte Francis <strong>Schaeffer</strong><br />

zu den einflussreichsten Christen überhaupt. Er war ein Mann<br />

von einer bemerkenswerten Breite an kulturellen Interessen und von<br />

bestechender Einsicht in das nachchristliche, postmoderne Denken<br />

und Leben. Aber er war auch ein Mann mit einem tiefen Anliegen<br />

für Menschen und für ihre Suche nach Wahrheit, Sinn und Schönheit<br />

des Lebens. Wenn sich ein Thema als roter Faden durch alle 24<br />

Bücher zieht, die <strong>Schaeffer</strong> veröffentlichte, dann dieses: Es gibt eine<br />

»absolute Wahrheit«; sie ist in der Bibel offenbart, und zwar durch<br />

den wahren Gott, der »keine Illusion« ist. Was <strong>wir</strong> mit dieser Wahrheit<br />

anfangen, hat weitreichende Konsequenzen auf jeden Bereich<br />

unseres Lebens und unserer Gesellschaft.<br />

Dieses Buch <strong>Wie</strong> <strong>können</strong> <strong>wir</strong> <strong>denn</strong> <strong>leben</strong>? war <strong>Schaeffer</strong>s 19. Buch<br />

und gehört eindeutig zu seinen wichtigsten. Es ist eine Frucht aus<br />

<strong>Schaeffer</strong>s <strong>leben</strong>slangem Studium des westlichen Denkens, der<br />

abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte im Licht biblischer<br />

Wahrheit und christlicher Weltanschauung. Es wurde Mitte der<br />

1970er Jahre geschrieben, als christliche und säkulare Führungspersonen<br />

zu verstehen versuchten, wie es zur Kulturrevolution der 1960er<br />

Jahre gekommen war und was diese Entwicklung für die Zukunft<br />

der Christenheit und des Abendlandes bedeutet. <strong>Schaeffer</strong>s These<br />

lautete: Wenn <strong>wir</strong> erkennen wollen, wie <strong>wir</strong> <strong>denn</strong> heute <strong>leben</strong> <strong>können</strong><br />

und sollen (diese Frage stellten sich die Israeliten in Hesekiel 33,10 angesichts<br />

ihrer sündigen Vergangenheit), dann müssen <strong>wir</strong> zunächst<br />

verstehen, welche kulturellen und intellektuellen Kräfte uns im Verlauf<br />

der Geschichte dahin gebracht haben, wo <strong>wir</strong> heute sind. So<br />

beginnt <strong>Schaeffer</strong> seine scharfsinnige Analyse mit dem Römischen<br />

Reich und dessen Untergang und kommt über das Mittelalter, die<br />

7


Vorwort: Eschatologie gehört zum Evangelium<br />

Renaissance, Reformation und Aufklärung schließlich zum 20. Jahrhundert,<br />

wo er einen prüfenden Blick auf den prägenden Einfluss<br />

von Kunst, Musik, Literatur und Film <strong>wir</strong>ft.<br />

Hier ist <strong>Schaeffer</strong>s Kulturanalyse, die Generationen christlicher<br />

Verantwortungsträger tief geprägt hat, heute noch genauso relevant<br />

wie in den 1970er Jahren. Oft klingen <strong>Schaeffer</strong>s Einsichten wie prophetische<br />

Warnungen vor dem moralischen, geistlichen und intellektuellen<br />

Niedergang unserer Zeit. Er stellt heraus, dass die Menschen<br />

des 20. Jahrhunderts durch den zerstörerischen Einfluss der nachchristlichen<br />

Kultur jeder Grundlage für Wahrheit, Werte, Sinn und<br />

Hoffnung beraubt worden sind und stattdessen zwei »kümmerliche<br />

Werte« geblieben sind: »persönlicher Friede und Wohlstand … ohne<br />

Rücksicht auf die möglichen Folgen für Kinder und Enkel kinder«<br />

(Kapitel 11).<br />

<strong>Schaeffer</strong> sah auch den postmodernen Zusammenbruch aller<br />

Grundlagen für absolute moralische Normen voraus. An deren Stelle<br />

treten, wie <strong>Schaeffer</strong> es nannte, »willkürliche Absolute«, die von einer<br />

professionellen und technokratischen Elite auferlegt werden (z. B. ein<br />

»Abtreibungsrecht«, das von Juristen und Medizinern gestützt <strong>wir</strong>d).<br />

Eine weitere Folge ist, dass jegliche Grundlagen für eine Sexualethik<br />

über Bord geworfen wurden, und die Konsequenzen kommen heute<br />

im Kampf für die »Homo-Rechte« zum Tragen.<br />

<strong>Wie</strong> <strong>können</strong> <strong>wir</strong> <strong>denn</strong> <strong>leben</strong>? bietet denjenigen Lesern, die <strong>Schaeffer</strong><br />

noch nicht kennen, eine Gesamtschau seiner besten Einsichten in<br />

die biblische Wahrheit und deren Bedeutung für die gesamte Kultur<br />

und den Lauf der Menschheitsgeschichte. Somit bietet dieses Buch<br />

eine ideale Einführung in <strong>Schaeffer</strong>s Denken und Werke. Drei weitere<br />

grundlegende Werke <strong>Schaeffer</strong>s sind Gott ist keine Illusion (»The<br />

God Who Is There«), Preisgabe der Vernunft (»Escape From Reason«)<br />

und Und er schweigt nicht (»He Is There And He Is Not Silent«).<br />

<strong>Schaeffer</strong>s persönliche Frage an uns – <strong>Wie</strong> <strong>können</strong> <strong>wir</strong> <strong>denn</strong> <strong>leben</strong>?<br />

– ist heute besonders dringlich, da <strong>wir</strong> er<strong>leben</strong>, wie Wahrheit<br />

und Moral immer mehr zerfallen und untergehen. Welche Alternativen<br />

bietet <strong>Schaeffer</strong>? Die Bindung an Gottes Wort, das Gottes<br />

Wahrheit ist. Der hingebungsvolle Dienst an einer Gesellschaft, die<br />

ohne das Evangelium verloren und dem Untergang geweiht ist. Das<br />

aufopferungsvolle Aus<strong>leben</strong> der Wahrheit inmitten all der geistigen,<br />

moralischen und kulturellen Kämpfe unserer Zeit. Das Leben in der<br />

8


Vorwort: Eschatologie gehört zum Evangelium<br />

Kraft und Gegenwart des Gottes, der keine Illusion ist und der nicht<br />

schweigt, sondern durch sein offenbartes Wort spricht. Dieses Wort<br />

sollen <strong>wir</strong> in allen Bereichen unseres Lebens und unserer Kultur bezeugen.<br />

So endet <strong>Schaeffer</strong> mit den Worten: »Dieses Buch wurde in<br />

der Hoffnung verfasst, dass diese Generation sich von … den Wegen<br />

des Todes abwenden und <strong>leben</strong> möge.« Kaum jemand hat diese Botschaft<br />

klarer auf den Punkt gebracht und sie schlüssiger dargelegt als<br />

Francis <strong>Schaeffer</strong>. Wer dieses Buch gelesen hat, dem <strong>wir</strong>d neu klar<br />

geworden sein, wie <strong>wir</strong> <strong>leben</strong> <strong>können</strong> und sollen.<br />

Lane T. Dennis,<br />

Verlagsleiter bei Crossway Books, 2005<br />

9


Kapitel 1<br />

Das Rom der Antike<br />

Geschichte und Kultur sind wie ein Fluss. Dieser Fluss hat seinen<br />

Ursprung in den Gedanken der Menschen. Jeder Mensch besitzt ein<br />

einzigartiges Geistes<strong>leben</strong>, und die Gedanken der Menschen bestimmen<br />

ihre Handlungen. Das gilt für ihr Wertsystem wie für ihre Kreativität;<br />

für ihre gemeinschaftlichen Handlungen – wie zum Beispiel<br />

politische Entscheidungen –, ebenso wie für ihr persönliches Leben.<br />

Die Ergebnisse ihres Denkens fließen durch ihre Finger oder über<br />

ihre Zunge in die äußere Welt. Das gilt für Michelangelos Meißel<br />

ebenso wie für das Schwert eines Diktators.<br />

Alle Menschen haben bestimmte Denkvoraussetzungen, und ihr<br />

Leben <strong>wir</strong>d von diesen Denkvoraussetzungen stärker geprägt, als sie<br />

sich selbst bewusst sein mögen. Wenn <strong>wir</strong> hier von Denkvoraussetzungen<br />

sprechen, dann meinen <strong>wir</strong> damit die grundlegende Weltanschauung<br />

eines Menschen, die Brille, durch die er die Welt sieht. Jeder<br />

Mensch hat grundlegende Auffassungen darüber, wie die Welt,<br />

d.h. das, was <strong>wir</strong>klich existiert, aussieht. Alles, was ein Mensch tut<br />

und sagt, <strong>wir</strong>d davon bestimmt. Seine Denkvoraussetzungen liefern<br />

auch eine Grundlage für seine Werte und deshalb für seine Entscheidungen.<br />

»<strong>Wie</strong> ein Mensch denkt, so ist er« (Spr 23,7). Das ist <strong>wir</strong>klich eine<br />

profunde Wahrheit. Ein Einzelner ist nicht nur das Produkt der auf<br />

ihn ein<strong>wir</strong>kenden Kräfte. Er hat einen Geist, eine innere Gedankenwelt.<br />

Dann, nachdem er gedacht hat, kann er in der äußeren Welt<br />

handeln und sie beeinflussen. Oft sehen Leute nur die Bühne der<br />

äußeren Handlung und vergessen den Schauspieler, der »im Geiste<br />

wohnt« und deshalb der wahre Akteur in der äußeren Welt ist. Die<br />

innere Gedankenwelt bestimmt die äußere Handlung.<br />

Die meisten Menschen übernehmen die Denkvoraussetzungen<br />

ihrer Familie und der umgebenden Gesellschaft auf die gleiche Weise,<br />

wie ein Kind sich mit Masern ansteckt. Wer aber mit Weisheit da-<br />

11


Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

rüber nachdenkt, <strong>wir</strong>d erkennen, dass man seine Denkvoraussetzungen<br />

sorgfältig auswählen muss, und zwar entsprechend dem Weltbild,<br />

das man für richtig hält. Wenn alle Möglichkeiten erforscht<br />

und erwogen sind, bleiben nicht mehr viele Alternativen übrig: Zwar<br />

treten die verschiedenen Weltanschauungen in zahlreichen Variationen<br />

auf, doch gibt es grundsätzlich nur wenige verschiedene Weltanschauungen<br />

oder Grundvoraussetzungen. Diese grundlegenden<br />

Alternativen werden deutlich, wenn <strong>wir</strong> uns mit dem Fluss der Vergangenheit<br />

beschäftigen.<br />

Um zu verstehen, an welchem Punkt <strong>wir</strong> in der heutigen Welt<br />

mit unseren intellektuellen Ideen und mit unserem kulturellen und<br />

politischen Leben angelangt sind, müssen <strong>wir</strong> in der Geschichte drei<br />

Linien der Entwicklung verfolgen: die philosophische, die naturwissenschaftliche<br />

und die religiöse. Die Philosophie bemüht sich um<br />

intellektuelle Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens.<br />

Der Bereich der Naturwissenschaft hat zwei Teile: erstens die Erforschung<br />

der Struktur des physischen Universums und zweitens die<br />

praktische Anwendung der Forschungsergebnisse in der Technik.<br />

Die Richtung der Naturwissenschaft <strong>wir</strong>d durch das philosophische<br />

Weltbild der Wissenschaftler bestimmt. Die religiösen Anschauungen<br />

der Menschen bestimmen gleichermaßen die Richtung ihres eigenen<br />

Lebens und ihrer Gesellschaft.<br />

Rom – der Ursprung des Abendlandes<br />

Wenn <strong>wir</strong> die Vergangenheit betrachten, um daraus zu lernen, vor<br />

welchen Dilemmas <strong>wir</strong> heute stehen, könnten <strong>wir</strong> bei den Griechen<br />

anfangen – oder noch vor ihrer Zeit. Wir könnten bei den<br />

drei Hochkulturen der Antike anfangen, die am Euphrat, am Indus<br />

und am Nil lagen. Wir werden jedoch bei den Römern beginnen<br />

(und dem Einfluss, den die Griechen auf sie ausübten), weil die römische<br />

Zivilisation der direkte Vorfahre der modernen westlichen<br />

Welt ist. Seit den ersten Eroberungen der römischen Republik bis in<br />

unsere Zeit üben die Gesetzgebung und das politische Gedankengut<br />

Roms starken Einfluss auf Europa und die gesamte westliche Welt<br />

aus. Überall, wohin die westliche Zivilisation vordrang, trug sie den<br />

Stempel Roms.<br />

12


Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

Um zu verstehen,<br />

an welchem<br />

Punkt <strong>wir</strong> heute<br />

angelangt sind,<br />

müssen <strong>wir</strong> in der<br />

Geschichte drei<br />

Linien verfolgen:<br />

die philosophische,<br />

die naturwissenschaftliche<br />

und die religiöse.<br />

Rom war in vielerlei Hinsicht groß, aber es hatte keine Antwort<br />

auf die grundlegenden Fragen, die alle Menschen sich stellen. Ein<br />

Großteil römischen Denkens und römischer Kultur war von griechischem<br />

Denken beeinflusst, insbesondere nachdem die Römer im<br />

Jahre 146 v. Chr. die Herrschaft über Griechenland erlangten. Die<br />

Griechen versuchten ursprünglich, ihre Gesellschaft auf den Stadtstaat<br />

zu gründen, die Polis. Der Stadtstaat bestand<br />

– in Theorie und Praxis – aus all denen, die<br />

als Bürger anerkannt waren. Alle Werte erhielten<br />

ihren Sinn durch den Bezug auf die Polis. Als Sokrates<br />

(469 – 399 v. Chr.) vor die Wahl gestellt wurde,<br />

zu sterben oder aus der Gemeinschaft verbannt<br />

zu werden, die seinem Leben Sinn gab, entschied er<br />

sich deshalb für den Tod. Aber die Polis scheiterte,<br />

weil sich zeigte, dass sie nicht genügte, um eine Gesellschaft<br />

darauf gründen zu <strong>können</strong>.<br />

Die Griechen – und später auch die Römer –<br />

versuchten, ihre Gesellschaft auf ihren Göttern aufzubauen.<br />

Aber diese Götter waren nicht groß genug,<br />

<strong>denn</strong> sie waren endlich und begrenzt. Selbst alle ihre Götter<br />

zusammengenommen waren nicht unendlich. Die Götter im griechisch-römischen<br />

Denken waren in Wirklichkeit über<strong>leben</strong>sgroßen<br />

Männern und Frauen gleich, die sich von menschlichen Wesen nicht<br />

grundsätzlich unterschieden. Ein Beispiel von Tausenden, die man<br />

anführen könnte, ist die Statue des betrunkenen und urinierenden<br />

Herkules – dem Schutzgott der antiken Stadt Herculaneum, die zusammen<br />

mit Pompeji beim Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 n. Chr.<br />

zerstört wurde. Ihre Götter repräsentierten keine Göttlichkeit, sondern<br />

eine vergrößerte Menschlichkeit. <strong>Wie</strong> die Griechen kannten<br />

auch die Römer keinen unendlichen Gott. Aus diesem Grund hatten<br />

sie keinen hinlänglichen Bezugspunkt für ihr Denken. Mit anderen<br />

Worten: Sie hatten nichts, das groß oder dauerhaft genug war, um ihnen<br />

als Bezugspunkt für ihr Denken oder Leben dienen zu <strong>können</strong>.<br />

Daher war ihr Wertesystem nicht stark genug, um den Belastungen<br />

des Lebens standzuhalten, sei es im Bereich des Einzelnen oder der<br />

Gesellschaft. Alle ihre Götter zusammengenommen vermochten es<br />

nicht, ihnen eine ausreichende Grundlage für Leben, Moral, Werte<br />

und endgültige Entscheidungen zu verleihen. Diese Götter waren<br />

13


Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

von der Gesellschaft, die sie geschaffen hatte, abhängig, und als diese<br />

Gesellschaft zusammenbrach, gingen die Götter mit ihr unter. Deshalb<br />

müssen <strong>wir</strong> sagen, dass das griechisch-römische Experiment, auf<br />

der Basis einer elitären Republik eine gesellschaftliche Harmonie zu<br />

etablieren, letzten Endes scheiterte.<br />

Von den Göttern zu den Gott-Kaisern<br />

Zur Zeit Julius Cäsars (100 – 44 v. Chr.) wandte sich Rom einem autoritären<br />

System zu, in dessen Mittelpunkt Cäsar selbst stand. Vor<br />

Cäsars Zeit war es dem Senat nicht möglich, die Ordnung aufrechtzuerhalten.<br />

Bewaffnete Banden terrorisierten die Stadt Rom, und<br />

Machtkämpfe unterbrachen die normalen Regierungsgeschäfte.<br />

Individuelle Interessen hatten Vorrang vor Gemeininteressen, ganz<br />

gleich, wie hochentwickelt die Staatsmaschinerie auch gewesen sein<br />

mag. Deshalb akzeptierte das Volk in seiner Verzweiflung eine totalitäre<br />

Regierung. <strong>Wie</strong> Plutarch (46 – 120 n. Chr.) es in seinen Kaiserviten<br />

ausdrückte, machten die Römer Cäsar zum Diktator auf<br />

Lebenszeit, »in der Hoffnung, dass die Regierung eines Einzelnen<br />

ihnen nach so vielen Bürgerkriegen und nach so viel Unheil eine<br />

Atempause verschaffen würde. Es war in Wirklichkeit eine wahrhaftige<br />

Tyrannei, <strong>denn</strong> seine Macht war nicht nur absolut, sondern auch<br />

zeitlich unbeschränkt.<br />

Nach Cäsars Tod kam sein Großneffe Octavian (63 v. Chr. –<br />

14 n. Chr.) an die Macht. Er war durch Adoption zu Cäsars Sohn<br />

geworden und wurde bei seiner Einsetzung zum Alleinherrscher in<br />

Augustus, »der Erhabene« umbenannt. Der große römische Dichter<br />

Vergil (70 – 19 v. Chr.) war ein Freund des Augustus; er schrieb die<br />

Aeneis, um zu zeigen, dass Augustus ein von den Göttern eingesetzter<br />

Führer sei und dass Roms Sendung darin bestünde, Frieden und<br />

Zivilisation in der Welt zu verbreiten. Weil Augustus nach außen<br />

und innen hin den Frieden sicherte und die äußere Form der Verfassungsmäßigkeit<br />

wahrte, gewährten ihm Römer aller Klassen die<br />

absolute Macht, damit das politische System, die Wirtschaft und das<br />

Alltags<strong>leben</strong> wieder hergestellt und gesichert werden konnten. Seit<br />

12 v. Chr. war er unter dem Titel »Pontifex Maximus« Oberhaupt<br />

der Staatsreligion und drängte jedermann, den »Geist Roms und das<br />

14


Genie des Kaisers« zu verehren. Später wurde diese Verehrung für alle<br />

Einwohner des Reichs zur Pflicht, und noch später herrschten die<br />

Kaiser als Götter. Augustus versuchte, moralische Maßstäbe und die<br />

Ordnung der Familie gesetzlich festzulegen; spätere Kaiser bemühten<br />

sich um beeindruckende Gesetzesreformen und Wohlfahrtsprogramme.<br />

Aber ein menschlicher Gott ist ein schlechtes Fundament,<br />

und Rom ging unter.<br />

Es ist wichtig zu erkennen, wie sehr die Fähigkeit der Menschen,<br />

die Lasten des täglichen Lebens zu meistern, von ihrer Weltanschauung<br />

abhängt. Die damaligen Christen vermochten der religiösen<br />

Vermischung (dem Synkretismus) und den Schwächen der<br />

römischen Kultur zu widerstehen, und das spricht für die Stärke der<br />

christlichen Weltanschauung. Diese Stärke hatte ihren Ursprung<br />

darin, dass Gott ein unendlicher und persönlicher<br />

Gott ist und dass er gesprochen hatte: im Alten<br />

Testament, im Leben und den Lehren Jesu Christi<br />

und im zu dieser Zeit entstehenden Neuen Testament.<br />

Er hatte auf eine Weise gesprochen, dass<br />

Menschen ihn verstehen konnten. Deshalb hatten<br />

die Christen nicht nur ein Wissen über das Universum<br />

und über die Menschheit, das sie von selbst<br />

nicht hätten herausfinden <strong>können</strong>, sondern sie hatten<br />

absolute, universell gültige Werte, nach denen<br />

sie ihr Leben ausrichten und die Gesellschaft und<br />

Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

Die Christen hatten<br />

absolute, universell<br />

gültige Werte, nach<br />

denen sie ihr Leben<br />

ausrichten und die<br />

Gesellschaft und<br />

den Staat, in dem<br />

sie lebten, beurteilen<br />

konnten.<br />

den Staat, in dem sie lebten, beurteilen konnten. Ihre Weltanschauung<br />

gab ihnen eine ausreichende Grundlage, um die Würde und<br />

den Wert eines einzelnen Menschen als ein nach dem Bilde Gottes<br />

geschaffenes Wesen anzuerkennen.<br />

Vermutlich hat niemand aus unserer Generation die innere<br />

Schwäche Roms zur Zeit der Cäsaren so deutlich vor Augen geführt<br />

wie Federico Fellini (1920 – 1993) in seinem Film Satyricon. Er erinnert<br />

uns daran, dass man die klassische Welt nicht romantisieren<br />

darf, <strong>denn</strong> sie hat die logische Konsequenz ihrer Weltanschauung<br />

sowohl grausam als auch dekadent ausgelebt.<br />

Eine Kultur oder ein einzelner Mensch mit einer schwachen weltanschaulichen<br />

Grundlage kann nur so lange bestehen, wie der Druck<br />

nicht zu groß ist. Als Beispiel <strong>können</strong> <strong>wir</strong> uns eine römische Brücke<br />

vorstellen. Die Römer bauten Rundbogen-Brücken über zahlreiche<br />

15


Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

Flüsse Europas. Zwei Jahrtausende lang wurden diese Brücken von<br />

Menschen und Wagen problemlos überquert. Aber führe man heute<br />

mit schwerbeladenen Lastwagen über diese Brücken, würden sie<br />

Wenn Druck<br />

und Belastung<br />

steigen und sie kein<br />

ausreichendes<br />

Fundament besitzen,<br />

stürzen sie<br />

einfach ein wie eine<br />

römische Brücke.<br />

einstürzen. Ähnlich verhält es sich mit dem Leben<br />

und den Wertsystemen Einzelner und ganzer<br />

Kulturen, wenn sie sich auf nichts Stärkeres als<br />

ihre eigene Begrenztheit, ihre eigene Endlichkeit<br />

stützen <strong>können</strong>. Sie <strong>können</strong> bestehen, solange der<br />

Druck nicht zu groß ist, aber sobald die Belastung<br />

steigt – wenn sie dann kein ausreichendes Fundament<br />

besitzen, stürzen sie einfach ein wie eine römische<br />

Brücke unter dem Gewicht eines modernen<br />

Sattelschleppers. Kultur und Freiheiten des<br />

Menschen sind zerbrechlich. Wenn keine ausreichende Grundlage<br />

für sie vorhanden ist, dann ist es bei großer Belastung nur noch eine<br />

Frage der Zeit (und manchmal dauert es nicht lange), bis es zum Zusammenbruch<br />

kommt.<br />

Rom – innerlich schwach und äußerlich stark<br />

Das Römische Reich war gewaltig – sowohl in seinem geografischen<br />

Umfang als auch als Militärmacht. Es umfasste einen großen Teil<br />

der damals bekannten Welt. Seine Straßen führten überall hin: nach<br />

Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika. Das Denkmal zu Ehren<br />

Kaisers Augustus in Turbi (in der Nähe des heutigen Monte Carlo)<br />

erinnert daran, dass er die Straßen nördlich des Mittelmeers eröffnete<br />

und die stolzen Gallier besiegte. Römische Legionen passierten<br />

die römische Stadt Augusta Praetoria (Norditalien, heute als Aosta<br />

bekannt), überquerten die Alpen und stiegen das Rhonetal in der<br />

Schweiz herab, an den Gipfeln der Dents du Midi vorbei bis zu dem<br />

Ort, der heute Vevey heißt. Eine Zeitlang hielten die Helvetier –<br />

die keltischen Einwohner der heutigen Schweiz – sie in Schach und<br />

unterjochten die stolzen Römer. Auf einem Gemälde des schweizerischen<br />

Malers Charles Gleyre (1806 – 1874), das jetzt im Kunstmuseum<br />

in Lausanne hängt, sieht man die gefangenen römischen Soldaten,<br />

die Hände auf den Rücken gebunden, wie sie sich beugen, um<br />

sich unterjochen zu lassen.<br />

16


Dieser Zustand dauerte jedoch nur kurze Zeit an. Nichts konnte<br />

die römischen Legionen zurückhalten, weder schwieriges Gelände<br />

noch feindliche Armeen. Nachdem die Römer durch Agaunum<br />

(heute St. Maurice VS) und vorbei an den Gipfeln der Dents du Midi<br />

gezogen waren und am Genfer See entlang zum heutigen Vevey<br />

gelangten, marschierten sie über die Hügel und<br />

eroberten Aventicum, die alte Hauptstadt der Helvetier,<br />

die heute Avenches heißt.<br />

Ich mag Avenches sehr. Dort befinden sich einige<br />

meiner liebsten römischen Ruinen nördlich<br />

der Alpen. Hier sollen einmal 40.000 Römer gelebt<br />

haben (obwohl mir diese Zahl etwas zu hoch<br />

erscheint). Heute ragen die Ruinen der römischen<br />

Mauern aus den Weizenfeldern hervor. Man kann<br />

sich vorstellen, wie ein römischer Legionär, der sich<br />

mühsam vom Norden nach Hause geschleppt hatte,<br />

dann vom Hügel auf Avenches herabblickte –<br />

Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

Niemand kümmerte<br />

es, was man<br />

anbetete, solange<br />

der Anbeter nicht<br />

die Einheit des<br />

Staates störte,<br />

deren Mittelpunkt<br />

die formale<br />

Anbetung des<br />

Kaisers war.<br />

auf ein kleines Rom, wenn man so will, mit Amphitheater, Theater<br />

und Tempel. Die Goldbüste des Mark Aurel, die dort gefunden wurde,<br />

ist Zeuge für den römischen Reichtum in Avenches. Nach und<br />

nach hielt das Christentum im römischen Avenches Einzug. Beweis<br />

dafür liefert eine Untersuchung der damaligen Friedhöfe: Die Römer<br />

verbrannten ihre Toten, die Christen begruben sie. Zwischen<br />

Hadrianswall, mit dem sich die Römer auf der britischen Insel die<br />

widerspenstigen Schotten vom Leib hielten, und den römischen Befestigungen<br />

am Rhein und in Nordafrika, am Euphrat und am Kaspischen<br />

Meer findet man viele Denkmäler und Städte ähnlich wie<br />

Turbi, Aosta und Avenches.<br />

Zwei Gründe für die Christenverfolgung<br />

Rom war grausam, und seine Grausamkeit lässt sich am besten aus<br />

den Ereignissen ersehen, die in der Arena in Rom selbst stattfanden.<br />

Zuschauer auf den Sitzplätzen über dem Schauplatz der Arena sahen<br />

Kämpfen zwischen Gladiatoren zu und erlebten, wie Christen wilden<br />

Tieren vorgeworfen wurden. Wir dürfen nicht vergessen, warum<br />

die Christen getötet wurden. Sie wurden nicht getötet, weil sie Jesus<br />

17


Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

anbeteten. In der römischen Welt gab es zahlreiche verschiedene Religionen.<br />

Dazu gehörten der Mithras-Kult, eine populäre persische<br />

Form des Zoroastrismus, der Rom um das Jahr 67 v. Chr. erreicht<br />

hatte. Niemand kümmerte es, was man anbetete, solange der Anbeter<br />

nicht die Einheit des Staates störte, deren Mittelpunkt die formale<br />

Keine totalitäre<br />

Macht, kein autoritärer<br />

Staat kann<br />

jene tolerieren, die<br />

einen absoluten<br />

Maßstab besitzen,<br />

nach dem sie<br />

diesen Staat und<br />

seine Handlungen<br />

beurteilen.<br />

18<br />

Anbetung des Kaisers war. Die Christen wurden<br />

getötet, weil sie als Rebellen galten. Seit Cäsars<br />

Zeit hatten die Juden Immunität genossen, doch<br />

diese ging den Christen nun verloren, da sie von<br />

den jüdischen Synagogen zunehmend abgelehnt<br />

wurden.<br />

Wir <strong>können</strong> das Wesen ihrer Rebellion auf<br />

zwei Arten ausdrücken. Erstens <strong>können</strong> <strong>wir</strong> sagen,<br />

dass sie Jesus als Gott anbeteten, und sie beteten<br />

allein den unendlichen und persönlichen Gott an.<br />

Was die Kaiser nicht tolerieren wollten, war die<br />

Exklusivität, mit der die Christen ausschließlich<br />

den einen Gott anbeteten. Das galt als Landesverrat. Während der<br />

Regierungszeit Diokletians (284 – 305) und während des 3. Jahrhunderts<br />

sah man ihren Glauben als Bedrohung der Einheit des Staates<br />

an, als sich in den höheren Gesellschaftsschichten viele Menschen<br />

zum Christentum bekehrten. Hätten sie Jesus und den Kaiser angebetet,<br />

wäre ihnen nichts geschehen, aber sie lehnten alle Formen von<br />

Synkretismus strikt ab. Sie verehrten den Gott, der sich im Alten Testament,<br />

durch Christus und im nunmehr vervollständigten Neuen<br />

Testament offenbart hatte. Und sie beteten ihn als den einzigen Gott<br />

an. Sie ließen keine Vermischung zu: alle anderen Götter wurden als<br />

falsche Götter angesehen.<br />

Zweitens <strong>können</strong> <strong>wir</strong> den Grund, warum die Christen verfolgt<br />

wurden, auch auf eine andere Weise ausdrücken: Keine totalitäre<br />

Macht, kein autoritärer Staat kann jene tolerieren, die einen absoluten<br />

Maßstab besitzen, nach dem sie diesen Staat und seine Handlungen<br />

beurteilen. Die Christen hatten einen solchen absoluten Maßstab<br />

in der Offenbarung Gottes. Weil die Christen einen absoluten,<br />

universal gültigen Maßstab hatten, nach dem sie nicht nur die persönliche<br />

Ethik, sondern auch das Verhalten des Staates beurteilen<br />

konnten, galten sie als Feinde des totalitären Roms und wurden den<br />

wilden Tieren vorgeworfen.


Ein Ende in Dekadenz und Apathie<br />

Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

Als ihr Reich sich zerrieb, gaben die dekadenten Römer sich einem<br />

Durst nach Gewalt und der Befriedigung ihrer Sinnlichkeit hin. Das<br />

lässt sich besonders an ihrer zügellosen Sexualität ablesen. In Pompeji<br />

zum Beispiel – etwa ein Jahrhundert, nachdem die Republik der<br />

Vergangenheit angehörte –, stand der Phalluskult im Vordergrund.<br />

Statuen und Gemälde von überbordender Sexualität schmückten die<br />

Häuser der Wohlhabenden. Das soll nicht heißen, dass alle Kunst<br />

in Pompeji dieser Natur war, aber die sexuellen Darstellungen sind<br />

unverblümt offenkundig.<br />

Obwohl Kaiser Konstantin der Christenverfolgung ein Ende<br />

setzte und das Christentum zunächst im Jahre 313 eine erlaubte und<br />

später dann im Jahre 381 sogar die offizielle Staatsreligion wurde,<br />

ging die Mehrzahl der Leute ihre alten Wege. Das hervorstechende<br />

Merkmal des späten Reiches ist die Apathie. Das lässt sich beispielsweise<br />

an dem Mangel an Kreativität in den Künsten dieser Zeit<br />

feststellen. Der im 4. Jahrhundert errichtete Konstantins bogen in<br />

Rom schneidet bei einem Vergleich mit den Skulpturen aus dem<br />

2. Jahrhundert, die von Denkmälern aus der Zeit des Kaisers Trajan<br />

stammen, sehr schlecht ab. Die Elite gab ihr intellektuelles<br />

Leben zugunsten ihres Gesellschafts<strong>leben</strong>s auf. Die offiziell geförderte<br />

Kunst war dekadent und die Musik wurde zunehmend bombastisch.<br />

Selbst die Portraits auf den Münzen wurden von immer<br />

schlechterer Qualität. Das ganze Leben war von der vorherrschenden<br />

Apathie gekennzeichnet.<br />

Die Wirtschaft Roms litt unter der Last verschärfter Inflation<br />

und einer aufwändigen Regierung, und als es <strong>wir</strong>tschaftlich immer<br />

mehr bergab ging, wurde die Herrschaft des Staates aufgrund des<br />

Steuerdrucks immer autoritärer, um der Apathie entgegenzu<strong>wir</strong>ken.<br />

Da niemand mehr bereit war, freiwillig zu arbeiten, musste der Staat<br />

in dieser Hinsicht oft eingreifen, wodurch Freiheiten verlorengingen.<br />

So wurden zum Beispiel Gesetze verabschiedet, die Kleinbauern<br />

dauerhaft an ihr Land banden, das sie von Großgrundbesitzern<br />

gepachtet hatten (Kolonate). Aufgrund der allgemeinen Apathie und<br />

der sich daraus ergebenden Konsequenzen und auch wegen der unterdrückenden<br />

Kontrolle und Bürokratisierung hielten es wenige für<br />

wert, die alte Zivilisation zu retten.<br />

19


Kapitel 1 · Das Rom der Antike<br />

Der Untergang Roms ist nicht äußeren Kräften, wie zum Beispiel<br />

der Invasion der Barbaren, zuzuschreiben. Rom hatte keine ausreichende<br />

innere Grundlage; die Barbaren führten den Zusammenbruch<br />

lediglich zu seiner Vollendung, und so wurde Rom allmählich<br />

zu einer Ruine.<br />

20


Kapitel 2<br />

Das Mittelalter<br />

Mit dem Zusammenbruch der römischen Ordnung und den Invasionen<br />

der Barbaren kam eine Zeit der sozialen, politischen und intellektuellen<br />

Umwälzungen. Im Bereich der Kunst gerieten im Mittelalter<br />

zahlreiche künstlerische Techniken in Vergessenheit, zum Beispiel<br />

die Verwendung der Perspektive, wie <strong>wir</strong> sie in den Gemälden<br />

und Mosaiken der Römer finden. Römische Gemälde waren voller<br />

Leben. Die frühe Kunst des Christentums war auch voller Leben.<br />

Auf den Wänden der Katakomben finden <strong>wir</strong> Figuren, die zwar einfach,<br />

aber realistisch dargestellt sind. Mit den Begrenzungen, die<br />

ihnen durch die verfügbaren Mittel visueller Darstellung auferlegt<br />

waren, stellten sie Menschen doch als <strong>wir</strong>kliche Menschen in einer<br />

<strong>wir</strong>klichen Welt dar.<br />

Zwischen dem »Leben«, das <strong>wir</strong> in der frühen christlichen Kunst<br />

finden, und dem <strong>leben</strong>digen Christentum der frühen Kirche lässt<br />

sich eine Parallele ziehen. Führungspersonen wie Ambrosius von<br />

Mailand (339 – 397) und Augustinus (354 – 430) legten großes Gewicht<br />

auf ein wahres, biblisches Christentum. Später wandte sich die<br />

Kirche immer mehr von der Lehre der Schrift ab, und das wurde von<br />

einer Veränderung in der Kunst begleitet. Interessante Beispiele von<br />

<strong>leben</strong>diger Kunst nach frühchristlichem Muster im Mittelalter sind<br />

die Mosaiken in der Basilika San Lorenzo in Mailand. Diese Mosaiken<br />

stammen vermutlich aus der Mitte des 5. Jahrhunderts. Die<br />

Menschen, die auf diesen Mosaiken dargestellt wurden, waren keine<br />

bloßen Symbole, sondern <strong>wir</strong>kliche Personen.<br />

Michael Gough beschreibt in seinem Buch The Origins of Christian<br />

Art (»Der Ursprung christlicher Kunst«; 1973) den Übergang<br />

vom »naturalistischen Realismus zu einer Bevorzugung des Phantastischen<br />

und Un<strong>wir</strong>klichen«. Er weist auch darauf hin, dass bis zur<br />

Mitte des 6. Jahrhunderts »die letzten Überreste des Realismus aufgegeben<br />

worden waren«. Die anschließend aufkommende byzantini-<br />

21


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

sche Kunst zeichnete sich durch formalistische, stilisierte, symbolische<br />

Mosaike und Heiligenbilder aus. Das Positive daran war, dass<br />

die Künstler ihre Mosaike und Ikonen als christliches Zeugnis für<br />

den Betrachter anfertigten; viele, die an diesen Kunstwerken arbeiteten,<br />

zeichneten sich durch ihre Hingabe aus und bemühten sich um<br />

geistliche Werte. Als negativ hingegen müssen <strong>wir</strong> bewerten, dass sie<br />

in ihrer Auffassung von geistlichem Leben sowohl die Natur als auch<br />

das real Menschliche beiseite drängten.<br />

Byzantinische Kunst im Osten, Mönchtum im Westen<br />

Seit dem Jahre 395 war das Römische Reich in Ost (Byzanz bzw.<br />

Konstantinopel) und West (Rom) geteilt. Der byzantinische Stil entwickelte<br />

sich im Osten und breitete sich allmählich zum Westen hin<br />

aus. Diese Kunst besaß eine <strong>wir</strong>kliche Schönheit, aber zunehmend<br />

wurde nur noch religiösen Motiven Bedeutung beigemessen, und<br />

Menschen wurden nicht als <strong>wir</strong>kliche Menschen dargestellt, sondern<br />

als Symbole. Das fand im 9., 10. und 11. Jahrhundert seinen Höhepunkt.<br />

Die Darstellung der Natur wurde weitgehend aufgegeben.<br />

Noch schlimmer – das <strong>leben</strong>dige menschliche Element wurde beseitigt.<br />

Das stand, wie gesagt, im Gegensatz zu den frühen christlichen<br />

Gemälden in den Katakomben, die, wenn auch auf einfache Weise,<br />

<strong>wir</strong>kliche Menschen in einer <strong>wir</strong>klichen, von Gott geschaffenen Welt<br />

darstellten.<br />

Ravenna in Norditalien war das westliche Zentrum byzantinischer<br />

Mosaike und ein Zentrum, das dem Ostkaiser Justinian seine<br />

Größe verdankte, wenngleich Justinian Ravenna selbst nie besuchte.<br />

Justinian, der von 527 bis 565 in Konstantinopel regierte, errichtete<br />

viele Kirchen im Osten, wovon die Hagia Sophia in Konstantinopel,<br />

die im Jahre 537 eingeweiht wurde, die berühmteste ist. Bei dem Bau<br />

dieser neuen Kirchen wurde der Innenraum betont, besonderer Wert<br />

wurde auf Licht und Farbe gelegt.<br />

Während dieser Zeit war im Westen eine allgemeine Abnahme<br />

an Gelehrsamkeit festzustellen, doch durch die aufkommenden<br />

Mönchsorden, die zuerst unter Benedikt von Nursia (ca. 480 – 547)<br />

und auf Basis seiner Benediktinerregel entstanden, blieben viele historische<br />

Dinge erhalten. Benedikt selbst errichtete ein Kloster auf<br />

22


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

dem Monte Cassino in der Nähe der Hauptstraße von Neapel nach<br />

Rom. In den Klöstern wurden die alten Manuskripte abgeschrieben<br />

und dann Abschriften von den Abschriften angefertigt. Dank der<br />

Mönche wurde die Bibel zusammen mit Teilen griechischer und lateinischer<br />

Klassiker aufbewahrt. Weil manche alte Musik ständig<br />

wiederholt wurde, blieb sie in Erinnerung und erhalten. Ein Teil der<br />

Musik stammte von Ambrosius, 374 – 397 Bischof von Mailand, der<br />

den antiphonalen Psalmgesang (d. h. Wechselgesang mit Vorsänger<br />

und Antwortchor) und Kirchenlieder einführte.<br />

Trotzdem wurde das vormalige Christentum, wie <strong>wir</strong> es im Neuen<br />

Testament finden, allmählich verfälscht. Ein humanistisches Element<br />

wurde hinzugefügt: In zunehmendem Maße wurde der Autorität<br />

der Kirche der Vorrang gegenüber den Lehren<br />

der Bibel gegeben. Der Glaube an eine Erlösung des<br />

Menschen, die allein auf der Grundlage des Werkes<br />

Christi möglich war, wurde immer mehr zugunsten<br />

eines Erlösungskonzeptes preisgegeben, demzufolge<br />

der Mensch den Verdienst Christi »verdiente«.<br />

Wenngleich sich diese humanistischen Elemente<br />

etwas von den humanistischen Elementen der späteren<br />

Renaissance unterschieden, so weisen beide doch das gemeinsame<br />

Merkmal auf, dass der Mensch sich etwas zu eigen machen<br />

will, was in Wirklichkeit Gott zusteht. Bis zum 16. Jahrhundert bestand<br />

ein Großteil des Christentums darin, diese Verdrehungen der<br />

ursprünglichen biblischen Lehre des Christentums entweder anzunehmen<br />

oder zu abzulehnen.<br />

In zunehmendem<br />

Maße wurde der<br />

Autorität der Kirche<br />

der Vorrang gegenüber<br />

den Lehren<br />

der Bibel gegeben.<br />

Christentum oder Heidentum?<br />

Die genannten Verfälschungen biblischer Lehre schufen kulturelle<br />

Elemente, die im klaren Gegensatz zu dem stehen, was <strong>wir</strong> sonst als<br />

christliche oder biblische Kultur bezeichnen könnten. Eine der faszinierendsten<br />

Fragestellungen der Mittelalterforschung ist: Welche<br />

Aspekte des komplexen kulturellen Erbes des Westens wurden betont<br />

oder unterdrückt und in welchem Zusammenhang steht diese<br />

Betonung oder Unterdrückung zu der moralischen und rationalen<br />

Reaktion der Menschen auf den christlichen Gott, den anzubeten<br />

23


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

sie behaupteten? Es wäre falsch zu behaupten, das damalige Denkund<br />

Lebensmuster sei nicht christlich gewesen. Genauso wenig kann<br />

man leugnen, dass diese Muster fremde oder halbfremde Elemente<br />

beinhalteten, einige griechischen und römischen Ursprungs, andere<br />

von regionalem heidnischen Ursprung; manchmal sogar verdunkelten<br />

sie die darunterliegenden christlichen Grundstrukturen.<br />

Das war und ist kein besonderes Problem des Mittelalters. Seit<br />

der Zeit der Frühkirche, als das Christentum noch eine kleine Minderheitsbewegung<br />

war, hatten die Gläubigen sich stets gefragt: <strong>Wie</strong><br />

<strong>können</strong> sie dem Gebet Christi, dass sie in der Welt, aber nicht von<br />

der Welt sein mögen (Johannes 17), Folge leisten? Welche Haltung<br />

sollten sie zu materiellem Besitz und weltlichem Lebensstil einnehmen?<br />

Nicht nur zu apostolischer Zeit, sondern auch noch Generationen<br />

später waren die Gläubigen für ihre offenherzige Großzügigkeit<br />

bekannt. Selbst ihre Feinde mussten dies zugeben.<br />

In einem anderen Bereich stellte sich die Frage nach der Beziehung<br />

zwischen Gottes Gesetz und dem Willen des Staates, insbesondere<br />

wenn diese miteinander in Konflikt gerieten. Für die Zeit<br />

der Christenverfolgungen im Römischen Reich ist das Verhalten des<br />

römischen Militärkommandeurs Mauritius ein gutes Beispiel einer<br />

möglichen Reaktion: Als er den Befehl erhielt, mit seiner Legion eine<br />

Christenverfolgung durchzuführen, überreichte er seinem Untergebenen<br />

seine Insignien, um sich somit auf die Seite der Christen zu<br />

stellen und mit ihnen getötet zu werden. Dies trug sich im Rhonetal<br />

in der Schweiz im Jahre 286 n. Chr. an einem riesigen Felsen unter<br />

den Gipfeln der Bergkette Dents du Midi zu. Der kleine Ort St.<br />

Maurice im Wallis ist nach Mauritius benannt worden.<br />

Im intellektuellen Bereich schließlich ergab sich durch das Gebet<br />

Christi aus Johannes 17 die Frage, ob es erbauend sei oder nicht,<br />

nichtchristliche klassische Autoren zu lesen. Tertullian (160 – 240)<br />

und Cyprian (gest. 258) waren entschieden dagegen, aber sie waren<br />

in der Minderheit. Es ist interessant zu beobachten, dass im Bereich<br />

der Musik eine strenge Haltung vorherrschte. Der Grund für<br />

das Verschwinden der Traditionen römischer Musik zu Beginn des<br />

Mittelalters lag darin, dass die Kirche die gesellschaftlichen Veranstaltungen<br />

und die damit verbundenen heidnischen religiösen Praktiken<br />

ablehnte. Somit verschwanden die alten römischen Musiktraditionen.<br />

24


Die zwiespältige Wirtschaft des Mittelalters<br />

Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

Das eigentliche Mittelalter definiert jeder auf eigene Weise; <strong>wir</strong> bezeichnen<br />

hier damit die Zeit von ungefähr 500 bis 1400. In dieser<br />

Epoche reagierte man auf verschiedene Art und Weise auf die oben<br />

genannten Fragen. Was materiellen Besitz angeht, schwankte das<br />

Pendel zwischen einer völligen Missachtung des Gebotes, bescheiden<br />

zu <strong>leben</strong> und sich um die Armen, Waisen und Witwen zu kümmern,<br />

und einer extremen Auslegung desselben Gebotes – in dem Ideal des<br />

Mönchtums verkörpert –, überhaupt kein Geld zu besitzen. Einerseits<br />

kam es zu dem Extremfall, dass der päpstliche Hof wegen seiner<br />

Habgier allgemein verurteilt wurde. Das Evangelium nach der Mark<br />

Silber, ein satirisches Spottgedicht aus der berühmten mittelalterlichen<br />

Textsammlung Carmina Burana aus dem 12. Jahrhundert, stellt<br />

den Papst dar, wie er seine Kardinäle dazu anhielt, die streitenden<br />

Parteien am päpstlichen Gerichtshof zu schröpfen; dabei wurden die<br />

Lehren Christi bewusst karikiert: »Denn ich habe euch ein Beispiel<br />

gegeben, auf dass ihr auch Gaben empfangt, wie ich sie empfangen<br />

habe« (in satirischer Anspielung auf Joh. 13,15); und: »Selig sind die<br />

Reichen, <strong>denn</strong> sie werden gefüllt werden; selig sind die, die da haben,<br />

<strong>denn</strong> sie sollen nicht leer ausgehen; selig sind die Wohlhabenden,<br />

<strong>denn</strong> ihnen gehört der Hof von Rom.«<br />

Johannes von Salisbury (ca. 1115 – 1180), ein Freund von Thomas<br />

Becket und kein Feind der Hierarchie der Kirche, erklärte einem<br />

Papst frei ins Gesicht, dass die Leute glaubten,<br />

die römische Kirche, die Mutter aller Kirchen, benehme sich<br />

mehr wie eine Stiefmutter als wie eine Mutter. Die Schriftgelehrten<br />

und Pharisäer sitzen da und muten den Schultern der Menschen<br />

Lasten zu, die zu schwer zu tragen sind. Sie behängen sich<br />

selbst mit schöner Kleidung und beladen ihre Tische mit kostbarem<br />

Geschirr; ein Armer findet selten Zutritt …<br />

Inmitten all dieser Missstände verbot Franz von Assisi (ca. 1182 – 1226)<br />

seinen Nachfolgern, überhaupt Geld anzunehmen, da er wusste, wie<br />

sehr Geld zur Korruption führen kann. Selbst wenn die Oberschicht<br />

der Kirche keineswegs von Schuld frei war, so bemühte sie sich trotz<br />

allem darum, die zerstörerischen Aus<strong>wir</strong>kungen von maßlosen Leih-<br />

25


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

geschäften in Schach zu halten, zuerst durch ein allgemeines Verbot<br />

und später durch eine Begrenzung der Zinsen auf eine allgemein akzeptable<br />

Höhe.<br />

Von säkularen Herrschern unterstützt, bemühte sich die Kirche<br />

auch darum, gerechte Preise durchzusetzen, womit Preise gemeint<br />

waren, die die Ausbeutung anderer Menschen durch gierige Manipulation<br />

oder das Horten von Waren während einer Zeit der Knappheit<br />

verhinderten. Über den Erfolg dieser <strong>wir</strong>tschaftlichen Kontrollversuche<br />

im Namen der Nächstenliebe kann man sich streiten, aber es wäre<br />

falsch zu behaupten, es bestünde kein Unterschied zwischen einer<br />

Gesellschaft, die zumindest wiederholte öffentliche Anstrengungen<br />

macht, Gier und <strong>wir</strong>tschaftliche Grausamkeit zu begrenzen, und einer<br />

Gesellschaft, die den ausgefuchstesten <strong>wir</strong>tschaftlichen Ausbeuter<br />

ihrer Mitbürger zu verherrlichen pflegt.<br />

Als Gesamtbild betrachtet war die Wirtschaftslehre des Mittelalters<br />

nicht völlig schlecht. Sie lobte die Tugend ehrlicher, gut<br />

ausgeführter Arbeit. Das kommt am besten in der wunderschönen<br />

Miniaturmalerei im spätmittelalterlichen Stundenbuch (Horarium)<br />

zum Ausdruck. Das waren private Gebetsbücher, die für jeden Monat<br />

Illustrationen typischer Beschäftigungen enthielten. Das berühmteste<br />

solcher Bücher gehörte dem Herzog Jean de Berry und<br />

wurde von den Brüdern Paul, Johan und Hermann von Limburg<br />

um etwa 1400 erstellt. Das gleiche Thema wurde in einer Serie von<br />

Reliefs aus dem frühen 14. Jahrhundert auf dem Campanile (Glockenturm<br />

der Kathedrale) in Florenz illustriert.<br />

Und wenn Alter oder Krankheit das Arbeiten unmöglich machten,<br />

so versorgte die Kirche die Gesellschaft mit einem beeindruckenden<br />

Netz von Krankenhäusern und anderen Wohlfahrtseinrichtungen.<br />

In Siena diente eines dieser Krankenhäuser noch bis in<br />

die 1980er Jahre seinem ursprünglichen Zweck: das berühmte Hospital<br />

Santa Maria della Scala. Gleich neben dem Haupteingang im<br />

Erdgeschoß – zur Zeit der Abfassung dieses Buches noch die Frauenstation<br />

des Hospitals – sind Fresken aus dem 15. Jahrhundert zu<br />

sehen, die Szenen des mittelalterlichen Krankenhauses darstellten.<br />

Wenn die Patienten des 20. Jahrhunderts dort für die Fortschritte<br />

der modernen Medizin dankbar waren, konnten sie zur gleichen<br />

Zeit den guten Geschmack der alten Maler von Siena bewundern.<br />

Heute erwarten <strong>wir</strong> vom Staat, dass er Krankenhäuser und Wohl-<br />

26


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

fahrtseinrichtungen betreibt, und diese Erwartung unterstreicht eine<br />

große Veränderung der Macht des heutigen Staates im Vergleich<br />

zu seinem mittelalterlichen Gegenstück. Aber der Staat, sei er stark<br />

oder schwach, war für die Kirche stets ein Problem, besonders wenn<br />

es um Fragen moralischer Prinzipien ging. Diesem Bereich wollen<br />

<strong>wir</strong> uns jetzt zuwenden.<br />

Kirche und Staat im Mittelalter<br />

Die Situation des Mittelalters war einfacher und zugleich komplexer,<br />

als sie es einst für den römischen Offizier Mauritius gewesen war.<br />

Sie war deshalb einfacher, weil Europa als das Königreich Christi<br />

angesehen wurde. Die christliche Taufe hatte deshalb nicht nur eine<br />

geistliche, sondern auch eine gesellschaftliche und politische Bedeutung:<br />

Sie eröffnete den Eingang in die Gesellschaft. Nur ein Getaufter<br />

war ein voll akzeptiertes Mitglied der europäischen Gesellschaft.<br />

In diesem Sinne war ein Jude eine Nichtperson, und deshalb war es<br />

ihm möglich, Beschäftigungen nachzugehen (wie zum Beispiel Leihgeschäften),<br />

die ansonsten verboten waren. Aber wenn die Kirche<br />

den Staat taufte oder weihte, so wurde dadurch das Problem für das<br />

Gewissen nur noch komplizierter, <strong>denn</strong> eine Regierung, die allem<br />

Anschein nach der Gesellschaft dient, kann gerade aus diesem Grunde<br />

die Gesellschaft hintergehen. Das galt und gilt natürlich auch für<br />

die Kirche als Organisation.<br />

Zu diesem Thema die vermutlich größte künstlerische Studie,<br />

die zur Zeit des Mittelalters angefertigt wurde, ist der Bildzyklus Allegorie<br />

von guter und böser Regierung von Ambrogio Lorenzetti (ca.<br />

1290 – 1348), den er in den Jahren 1338/39 als Freskenreihe in der Ratskammer<br />

Saal der Neun des großen Palazzo Pubblico (Rathauses) in<br />

Siena anfertigte. Lorenzetti unterscheidet ganz klar zwischen guter<br />

und böser Regierung: Auf der einen Seite stellt er dar, wie der Teufel<br />

über alle Untaten präsidiert, die die Gemeinschaft zerstören, und<br />

auf der anderen Seite finden <strong>wir</strong> die christlichen Tugenden, die aus<br />

allen den Tätigkeiten erwachen, die die Einheit zwischen Menschen<br />

unter Gott manifestieren (dazu gehört auch ehrliche Arbeit). Im Vergleich<br />

zu unserer eigenen Zeit ist es interessant zu beobachten, dass<br />

ein Merkmal einer guten Regierung darin besteht, dass eine Frau in<br />

27


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

aller Sicherheit allein auf der Straße gehen kann, während sie unter<br />

einer bösen Regierung angegriffen, vergewaltigt oder beraubt werden<br />

kann. Der Maler wusste jedoch sehr wohl von Sienas eigener turbulenter<br />

Stadtpolitik: Zwar kann der Ursprung von guter und böser<br />

Regierung genau getrennt werden, doch in der Realität vermischen<br />

die Menschen beides zu einem wilden Haufen guter und böser Absichten.<br />

Wenn <strong>wir</strong> uns die Wirklichkeit der mittelalterlichen Situation<br />

ansehen, dann <strong>können</strong> <strong>wir</strong> ebenso positive wie negative Aspekte der<br />

kirchlichen Errungenschaften in finanziellen Fragen feststellen. Die<br />

Kirche lieferte zwar oft Modellvorbilder für effektive Wirtschaft und<br />

Politik, doch war sie so sehr in die weltlichen Dinge des Mittelalters<br />

verwickelt, dass es für sie oft schwierig war, das Salz ihrer Gesellschaft<br />

zu sein. Landverwaltung und verschiedene Arten von Pionierarbeit<br />

in der Land<strong>wir</strong>tschaft wurden von den gleichen Mönchsorden<br />

unternommen, die einst zur Zeit ihrer Gründung nicht den Profit,<br />

sondern die Armut zu ihrem Ideal gemacht hatten. Suchen <strong>wir</strong> nach<br />

einem Modell einer effektiv zentralisierten Monarchie mit einem<br />

leistungsfähigen Verwaltungsapparat, brauchen <strong>wir</strong> nicht weiter als<br />

zum kirchlichen Gerichtshof in Rom zu blicken. Der Papst – »Diener<br />

der Diener« – war ironischerweise zur Zeit des Höhepunktes päpstlicher<br />

Macht zwischen 1100 und 1300 der effektivste Monarch des<br />

Mittelalters.<br />

Würden <strong>wir</strong> die Diskussion hier abbrechen, wäre sie nur eine<br />

Karikatur der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Denn die<br />

Kirche bildete zwar ein Beispiel für absolute Macht, doch bildete<br />

sie auch eine beeindruckende, wenngleich auch vereitelte Herausforderung<br />

an die absolute Alleinherrschaft. Die parlamentarischen<br />

Versammlungen des Mittelalters sind weithin bekannt, aber die wenigsten<br />

wissen, dass der Konziliarismus in der spätmittelalterlichen<br />

Kirche eine weitere starke Kraft der Dezentralisierung darstellte. Der<br />

Konziliarismus verkörperte eine <strong>Wie</strong>dererweckung der Idee, dass die<br />

<strong>wir</strong>kliche Autorität der Kirche nicht einem einzelnen Bischof – dem<br />

Papst – gegeben sei, sondern allen Bischöfen gemeinsam – einem<br />

Konzil. So setzte das Konzil von Konstanz (1414 – 1418) gleich drei<br />

rivalisierende Päpste ab und machte damit einer skandalösen Epoche<br />

der Kirchengeschichte ein Ende. Gleichzeitig erklärte man, die Autorität<br />

des Konzils rühre direkt von Christus her, und alle Menschen<br />

28


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

(einschließlich des Papstes) stünden in Fragen des Glaubens und der<br />

Kirchenreform unter der Autorität des Konzils. Der Konziliarismus<br />

verlor jedoch langsam seine Kraft und verschwand; letztlich übernahm<br />

in der Kirche Roms nicht das Prinzip des Konziliarismus die<br />

Vorherrschaft, sondern das der Monarchie.<br />

Die Kirche stritt sich oft mit säkularen Herrschern über die<br />

Grenzen zwischen der Macht der Kirche und der Macht des Staates.<br />

Gerade dadurch hat sie – so paradox es auch erscheinen mag – die<br />

Entwicklung einer Tradition von politischer Theorie gefördert, die<br />

das Prinzip der Begrenztheit und Verantwortung der Regierung betonte.<br />

Mit anderen Worten: Die staatliche Macht hatte eine Grenze,<br />

die in diesem Fall von der Kirche gesetzt war. In den großen Kathedralskulpturen<br />

von Chartres und vieler anderer gotischer Kathedralen<br />

spielt das Thema der Monarchie, die durch das Priestertum und das<br />

prophetische Amt reguliert <strong>wir</strong>d, eine bedeutende Rolle.<br />

Der Einfluss der klassischen Philosophie<br />

Bei dem<br />

maroden Glauben,<br />

der immer weniger<br />

auf der Bibel und<br />

immer mehr auf<br />

kirchlicher Autorität<br />

beruhte, war es für<br />

das griechische und<br />

römische Denken<br />

allzu einfach, durch<br />

diese Risse<br />

einzudringen.<br />

Um unsere Analyse zu vervollständigen, müssen <strong>wir</strong> uns auch mit<br />

dem Verhältnis zwischen christlichem und klassischem<br />

Denken im Mittelalter beschäftigen. Die<br />

Schriften und Werke der griechischen und römischen<br />

Denker, von der die Renaissance und nachfolgende<br />

Kulturepochen so sehr geprägt wurden,<br />

waren von mittelalterlichen Gelehrten bewahrt,<br />

gelesen und diskutiert worden und somit verfügbar.<br />

<strong>Wie</strong> ging das Mittelalter mit seinem heidnischen<br />

Kulturerbe um? Hier ist wichtig zu beachten:<br />

Zwar lehnten frühe Christen wie Cyprian (gest.<br />

258) und Tertullian (160 – 240) klassische griechische<br />

und römische Gelehrsamkeit strikt ab, doch<br />

für Paulus waren sie keineswegs so verpönt. Wenn<br />

es seinem Zweck diente, zitierte er griechische Autoren<br />

genauso, wie er bei anderer Gelegenheit subtile rabbinische<br />

Argumentationsweisen heranzog, die er als Schüler des großen Rabbi<br />

Gamaliel (gest. vor 70 n. Chr.), des Enkels des noch größeren<br />

Rabbi Hillel (ca. 70 v. Chr. – 10 n. Chr.) beherrschte. Ambrosius<br />

29


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

(339 – 397), Hieronymus (347 – 419) und Augustinus (354 – 430) folgten<br />

hierin Paulus statt Tertullian und lernten klassische Weisheit zu<br />

schätzen und zu gebrauchen. In der Tat bemühten sie sich darum,<br />

sie zu zähmen und in einen majestätischen Lehrplan christlicher<br />

Bildung aufzunehmen, der bis zur Renaissance allgemein befolgt<br />

wurde. Aber: Ein starker christlicher Glaube einerseits kann vielleicht<br />

mit nichtchristlichem Gedankengut umgehen, ohne Kompromisse<br />

zu schließen, doch bei maroden Glauben andererseits, der<br />

immer weniger auf der Bibel und immer mehr auf der Autorität<br />

kirchlicher Proklamationen beruhte, war es für das griechische und<br />

römische Denken allzu einfach, durch diese Risse einzudringen.<br />

Bereits im 13. Jahrhundert hatte der berühmte Thomas von Aquin<br />

(1225 – 1274) unter dem Einfluss von Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)<br />

begonnen, einer Theologie die Tür zu öffnen, in der die menschliche<br />

Vernunft auf gleiche Höhe erhoben wurde wie Gottes Offenbarung<br />

(die so genannte Scholastik).<br />

Karl der Große und die Karolinger<br />

Wir werden uns damit später in Einzelheiten beschäftigen. Aber zunächst<br />

müssen <strong>wir</strong> uns als Abschluss unserer »Blitztour« durch die<br />

Jahrhunderte des Mittelalters einige der größten künstlerischen Leistungen<br />

dieser Epoche ansehen – Leistungen, die vor allem auf die<br />

Kirche zurückgehen. Wenn <strong>wir</strong> uns daran erinnern, dass diese Kirche<br />

in Europa allumfassend war, so sollte es uns nicht überraschen,<br />

dass sie mit der Gesellschaft als Ganzes zusammenarbeitete, besonders<br />

mit ihren Führungspersonen, um ihre künstlerischen Denkmäler<br />

hervorzubringen. Das <strong>wir</strong>d besonders bei einer der größten Gestalten<br />

des Mittelalters, Karl dem Großen (742 – 814), und der nach<br />

ihm benannten karolingischen Kultur deutlich.<br />

Karl der Große, der Sohn Pippins, wurde im Jahre 768 König der<br />

Franken und am Weihnachtstag des Jahres 800 von Papst Leo III. in<br />

Rom zum Kaiser gekrönt. Er war ein gewaltiger Mann mit kolossaler<br />

Energie. Er war auch ein großer Feldherr und stets auf Kriegszug.<br />

Nachdem er über einen großen Teil des westeuropäischen Gebietes,<br />

das früher zum Römischen Reich gehörte, die Kontrolle gewonnen<br />

hatte, war seine Krönung durch den Papst im römischen Stil kein<br />

30


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

Problem mehr. Seinerseits stärkte er die Kirche auf vielerlei Weise: Er<br />

gab dem Papst eine starke Landbasis in Italien und unterstützte auch<br />

die angelsächsischen Missionare in den Gebieten, die er eroberte, insbesondere<br />

unter den germanischen Stämmen. Karl der Große machte<br />

die Abgabe des Zehnten zur Pflicht und somit standen Gelder für<br />

die Etablierung einer Kirchenverwaltung zur Verfügung. Er baute<br />

auch beeindruckende Kirchen, unter ihnen die Pfalzkapelle von Aachen,<br />

die im Jahre 805 eingeweiht wurde (heute Hauptbestandteil<br />

des Aachener Doms). Karl lebte bis ins hohe Alter in der Kaiserpfalz<br />

von Aachen.<br />

Unter Karl dem Großen wurde die Kirche eine allgemeine kulturelle<br />

Kraft. Kirche und Staat arbeiteten in der Ausübung ihrer<br />

Macht zusammen und kulturell bestand zwischen beiden Bereichen<br />

eine enge Wechselbeziehung. Gelehrte wurden in ihrer Arbeit gefördert,<br />

und wenn sie auch nicht viel Neues erarbeiteten, brachten<br />

sie durch ihren Fleiß, Enthusiasmus und systematische Verbreitung<br />

viele Dinge in Bewegung. Gelehrte kamen von überall aus Europa<br />

zum Hofe Karls des Großen; Alkuin (735 – 804) zum Beispiel kam<br />

von York in Nordengland, als er bereits 50 Jahre alt war. Er wurde<br />

Karls Ratgeber, Leiter der Hofschule in Aachen und zog einen<br />

ganzen Kreis von Gelehrten an, die sich dort zu ihm gesellten. Karl<br />

der Große lud Sänger aus Rom an seinen Hof und gründete eine<br />

Gesangsschule, die er persönlich überwachte. Kurz gesagt: Karl der<br />

Große und seine gelehrten Höflinge legten ein Fundament für eine<br />

Einheit der Gedankenwelt in Westeuropa. Diese Einheit wurde<br />

zweifelsohne durch die Erfindung der schönen karolingischen Minuskelschrift<br />

– eine Handschrift, die weithin kopiert wurde – gefördert.<br />

Aber man beachte, dass alle Gelehrten Karls des Großen Kleriker<br />

waren. Bildung war kein Allgemeingut. In der englischen Sprache<br />

ist dieser Zusammenhang noch festgehalten: Das Wort »clerk«<br />

(Sekretär, Schreiber) ist mit dem Wort »cleric« (Kleriker, Geistlicher)<br />

verwandt. Obwohl Karl der Große selbst lesen lernte, konnte er anscheinend<br />

nie schreiben.<br />

Mit dem Auf<strong>leben</strong> des Gelehrtentums zur Zeit der Karolinger<br />

lebten auch die Künste wieder auf. Leute aus späteren Jahrhunderten<br />

bestaunten die kostbaren und exquisiten Juwelen, religiösen Gegenstände<br />

und Bücher. Die meisten davon – wie zum Beispiel ein Talisman<br />

Karls des Großen, der eine Reliquie enthielt, oder ein Buchde-<br />

31


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

ckel aus Elfenbein mit einem Relief der Kreuzigungsszene – betonen<br />

die religiöse Orientierung des künstlerischen Aufbruchs jener Zeit.<br />

Musik und Architektur<br />

Wenn <strong>wir</strong> uns mit der Kultur des Mittelalters beschäftigen, dürfen<br />

<strong>wir</strong> die Musik nicht vergessen. Papst Gregor I. (Papst von 590 – 604)<br />

vereinheitlichte die Musik der Westkirche systematisch. Der gregorianische<br />

Choral ist nach ihm benannt, dieser einstimmige, unpersönliche,<br />

mystische und jenseitige Gesang. Von etwa 1100 – 1300 gab es<br />

den Trobador, was »Erfinder« oder »Finder« bedeutet. Trobadore waren<br />

hauptsächlich höfische Dichter und Musiker in Südfrankreich,<br />

die eine Blütezeit der säkularen Musik herbeiführten. Die Zeit von<br />

1150 – 1300 war die Epoche einer Musik, die Ars antiqua genannt wurde<br />

und in der verschiedene Formen polyphoner Kompositionen entwickelt<br />

wurden. Die Instrumente des Mittelalters waren Psalterium<br />

(eine Art Leier), Flöte, Schalmei (ein Doppelrohrblatt-Holzblasinstrument),<br />

Trompete und Trommel. Das allgemeine Volksinstrument<br />

war die Sackpfeife (auch Dudelsack genannt). In den Kirchen gab<br />

es große Orgeln und auch kleinere, tragbare Orgeln. Mit dem Aufkommen<br />

der Ars nova im 14. Jahrhundert in Frankreich und Italien<br />

wurden Komponisten erstmals mit Namen bekannt. Guillaume de<br />

Machaut (ca. 1300 – 1377), Stiftsherr der Kathedrale zu Reims, ist der<br />

hervorstechende Vertreter der französischen Ars nova-Musik; der bekannteste<br />

italienische Musiker des 14. Jahrhunderts war Francesco<br />

Landini (1325 – 1397) aus Florenz.<br />

Wenn <strong>wir</strong> von den künstlerischen Leistungen des Mittelalters<br />

sprechen, so denken <strong>wir</strong> gewöhnlich an die Architektur. Es wäre unmöglich,<br />

von dem allmählich erwachenden kulturellen Denken des<br />

Mittelalters zu sprechen, ohne sich die Entwicklungen der Architektur<br />

in einigen Einzelheiten anzusehen. Wir wollen mit dem ersten<br />

großen mittelalterlichen Stil beginnen – dem romanischen Stil des<br />

11. Jahrhunderts, dessen wesentliche Merkmale der Rundbogen, dicke<br />

Mauern und das düstere Innere sind. Durch die ersten Entwicklungen<br />

in romanischer Architektur gab es einen Sprung nach vorn.<br />

Weil der romanische Stil, wie schon der Name sagt, einen Rückblick<br />

auf den römischen Stil bedeutet, hatte er früheren Kirchen viel zu<br />

32


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

verdanken – wie der karolingischen Aachener Pfalzkapelle (9. Jahrhundert),<br />

die nach dem Vorbild der San Vitale in Ravenna (6. Jahrhundert)<br />

gebaut worden war, und solchen frühchristlichen Kirchen<br />

wie Sankt Paul vor den Mauern in Rom (4. Jahrhundert). Aber während<br />

sich die italienischen Architekten genauestens an den alten römischen<br />

Stil hielten – wie beim römisch-byzantinischen Markusdom<br />

in Venedig, dessen Plan aus dem 11. Jahrhundert stammt, – so <strong>können</strong><br />

<strong>wir</strong> in den französischen und englischen Kirchen eine schöpferische<br />

Anpassung erkennen, durch die der Stil nicht einfach römisch,<br />

sondern romanisch wurde. Ein gutes Beispiel dafür sind in Frankreich<br />

die Basilika von Vézelay aus dem 11. und 12. Jahrhundert und<br />

die Abteikirche von Fontevrault aus dem 12. Jahrhundert.<br />

In England kam der entscheidende Augenblick mit der Invasion<br />

der Normannen im Jahre 1066. Die St.-John-Kapelle im White Tower<br />

des Tower von London wurde um 1080 errichtet. Die Kathedrale von<br />

Winchester wurde zwischen 1079 und 1093 erbaut, und die Kathedrale<br />

von Durham wurde 1093 begonnen. Hauptsächlich hier finden<br />

<strong>wir</strong> das Rippengewölbe – wenn <strong>wir</strong> an den Säulen entlang aufwärts<br />

blicken, sehen <strong>wir</strong> die Rippen in der Decke. In dem Kreuzrippengewölbe<br />

der Durham-Kathedrale waren alle Elemente zur Ausbildung<br />

der Gotik enthalten.<br />

Die Erfindung der Gotik<br />

Im Jahre 1140 überwachte Abt Suger den Bau der Abteikirche von<br />

Saint-Denis. Heute ist die Kathedrale von einem ziemlich deprimierenden<br />

Vorort von Paris umgeben, doch sie ist eines der beeindruckendsten<br />

Kulturgüter der Welt, <strong>denn</strong> hier wurde der gotische Stil<br />

geboren. Dadurch machte die aufkommende Kultur des Mittelalters<br />

einen großen Sprung vorwärts. Wer immer es auch war, der den<br />

Chor von Saint-Denis entwarf – er erfand den gotischen Stil. Hier<br />

wurde die Gotik geboren, mit ihren Spitzbögen, ihrem Anschein der<br />

Schwerelosigkeit durch großflächige, hohe Fenster mit ihren Lichtgaden<br />

(d. h. die Fenster sind hoch in die Wand gesetzt, so dass das<br />

Licht von oben einfallen kann). Als neues Motiv tauchte die Fensterrose<br />

auf, und der Seitenschub durch das lastende Dach wurde von<br />

Strebebögen aufgefangen, was dünnere Wände und größere Fenster<br />

33


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

ermöglichte. In der Kathedrale von Chartres, im Jahre 1194 begonnen,<br />

sehen <strong>wir</strong> den gotischen Stil in Vollkommenheit: den Spitzbogen,<br />

den Strebebogen und das Rippengewölbe. Fernerhin finden <strong>wir</strong><br />

in Chartres gute Beispiele für den Fortschritt in der Bildhauerei, vor<br />

allem in der Westfassade. Man kann die Frühgotik und die klassische<br />

Hochgotik auf 1150 – 1250 datieren, die Spätgotik (die besonders<br />

überladen war, vor allem in England) auf 1250 – 1500.<br />

In Florenz findet sich gotische Kunst seit dem 13. Jahrhundert.<br />

Arnolfo di Cambio (1232 – 1302), der dort seit 1266 den alten Palast<br />

(Palazzo Vecchio) baute und 1294 die Kathedrale begann, arbeitete<br />

im gotischen Stil. Obwohl die florentinische Gotik nie eine vollends<br />

ausgebildete Gotik war, so hatte die Frühgotik von Nord- und Mitteleuropa<br />

doch ihren Einfluss. Santa Trinita (zweite Hälfte des 13.<br />

Jahrhunderts), Santa Maria Novella (1278 – 1360), Santa Croce (begonnen<br />

1295) wurden alle im gotischen Stil gebaut, und die Loggia<br />

dei Lanzi (1376 – 1382) gehört in die Spätgotik. Das Baptisterium San<br />

Giovanni (die Taufkirche der Kathedrale) wurde zwar im romanischen<br />

Stil erbaut, doch die Reliefs der bronzenen Südtür (1330 – 1336)<br />

von Andrea Pisano (ca. 1290 – 1348), wurden in gotischem Stil ausgeführt.<br />

In Lorenzo Ghibertis (1378 – 1455) Nordtür, die er in der Zeit<br />

zwischen 1403 und 1424 anfertigte, sind die Tafelrahmen immer<br />

noch gotisch, wenngleich auch sehr viel mehr Freiheit bezüglich des<br />

dargestellten Objektes gegeben war. Als Ghiberti das wundervolle<br />

Ostportal (1425 – 1452) schuf – von Michelangelo »Goldene Tür zum<br />

Paradies« genannt und daher als Paradiespforte bekannt –, waren die<br />

gotischen Rahmen völlig verschwunden, und die Renaissance stand<br />

in voller Blüte. Der Übergang von der Gotik zur Renaissance kann<br />

an den wunderbaren Portalen des Baptisteriums am deutlichsten gesehen<br />

werden.<br />

Der Wandel zu Renaissance und Reformation<br />

Während des Übergangs vom romanischen Stil zur Gotik nahm der<br />

Marienkult in der Kirche Aufschwung. Die romanischen Kirchen<br />

waren nicht der Jungfrau gewidmet, aber umso mehr gilt das für die<br />

gotischen Kirchen in Frankreich. Hier <strong>können</strong> <strong>wir</strong> erneut eine wachsende<br />

Spannung sehen und fühlen: Die Geburtswehen des Mittelal-<br />

34


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

ters waren von einem erwachenden kulturellen und intellektuellen<br />

Leben und einer erwachenden Frömmigkeit gezeichnet. Zur gleichen<br />

Zeit jedoch bewegte sich die Kirche weiter von den Lehren der frühen<br />

Christenheit fort, und die Verfälschungen biblischer Lehre nahmen<br />

zu. Später verfolgte das europäische Denken zwei getrennte und<br />

entgegengesetzte Linien, die beide unser heutiges Denken prägen:<br />

die humanistischen Elemente der Renaissance einerseits und die auf<br />

der Bibel beruhende Lehre der Reformation andererseits.<br />

Wenn <strong>wir</strong> uns mit der Renaissance beschäftigen, müssen <strong>wir</strong> zwei<br />

Fehler vermeiden. Erstens: Wir dürfen nicht glauben, vor der Renaissance<br />

sei alles völlig düster gewesen. Diese falsche Vorstellung erwuchs<br />

aus den Vorurteilen der Humanisten (zur Zeit der Renaissance<br />

und der späteren Aufklärung), denen zufolge alles Gute mit der<br />

Geburt des Humanismus begann. Das Spätmittelalter war vielmehr<br />

eine Zeit zunehmender Geburtswehen. Zweitens: Die Renaissance<br />

war zwar eine reiche und wunderbare Zeit, doch dürfen <strong>wir</strong> nicht<br />

glauben, dass alles, was sie hervorbrachte, gut für den Menschen war.<br />

In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und bis ins 12. Jahrhundert<br />

hinein kam vieles in Bewegung, was die <strong>wir</strong>tschaftliche Grundlage<br />

für den Höhepunkt mittelalterlicher Kultur im 13. Jahrhundert<br />

legte. Die Bevölkerung wuchs, Dorfgemeinschaften schlossen sich<br />

zusammen, was die land<strong>wir</strong>tschaftliche Produktion steigerte, und<br />

Städte wurden in verkehrsgünstigen Schachbrettstrukturen angelegt.<br />

Selbst die Kreuzzüge führten zu <strong>wir</strong>tschaftlicher Expansion.<br />

Um 1100 setzte sich der zweirädrige Karrenpflug durch – ein Hauptelement<br />

in dem Vorgang, den Historiker als land<strong>wir</strong>tschaftliche Revolution<br />

bezeichnen. Italienische Städte wurden durch orientalischen<br />

Handel reich und flämische Städte durch Textilien. Allmählich befreiten<br />

sich die Städte von feudalen Zwängen und erlangten ein unterschiedliches<br />

Maß an Freiheit, das in den stolzen Rathäusern seinen<br />

Ausdruck fand, die im 14. und 15. Jahrhundert errichtet wurden.<br />

Allmählich kamen die frühen Universitäten auf. Im späten<br />

13. Jahrhundert gab es Universitäten in Paris, Orleans, Toulouse,<br />

Montpellier, Cambridge, Oxford, Padua, Bologna, Neapel, Salerno,<br />

Salamanca, Coimbra und Lissabon. Diese Universitäten boten<br />

eine Bildung an, die mit der rein kirchlichen Bildung rivalisierte.<br />

Die einheimischen Landessprachen wurden mehr und mehr auch<br />

zum Schreiben gebraucht; so wurden zum Beispiel Teile der Bibel<br />

35


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

ins Französische übersetzt. Im 10. und 11. Jahrhundert wurden »der<br />

Gottesfrieden« und später »die Waffenruhe Gottes« verkündet. Das<br />

waren zumindest Versuche (wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg),<br />

die Kriege zwischen den Adligen in Grenzen zu halten. Und die romanische<br />

und später die gotische Architektur stellten natürlich einen<br />

großen Fortschritt in den Annalen menschlichen Denkens und<br />

menschlicher Errungenschaften dar.<br />

Bei alledem müssen <strong>wir</strong> <strong>denn</strong>och erkennen, dass es schließlich<br />

eine Veränderung gab, die den Namen Renaissance (französisch für<br />

In der Renaissance<br />

fand eine Veränderung<br />

statt, durch<br />

die der Mensch sich<br />

selbst zum Mittelpunkt<br />

aller Dinge<br />

machte<br />

»<strong>Wie</strong>dergeburt«) verdient. Aber <strong>wir</strong> müssen uns<br />

darüber im Klaren sein, dass es keine <strong>Wie</strong>dergeburt<br />

des Menschen war; vielmehr war es eine<br />

<strong>Wie</strong>dergeburt einer Vorstellung über das Wesen<br />

des Menschen. Hier fand eine Veränderung statt,<br />

durch die der Mensch sich selbst zum Mittelpunkt<br />

aller Dinge machte, und diese Veränderung fand<br />

ihren Ausdruck in den Künsten. Das Wort Renaissance,<br />

»<strong>Wie</strong>dergeburt«, lässt sich für diese Epoche<br />

nicht so offensichtlich auf die politische, <strong>wir</strong>tschaftliche oder soziale<br />

Geschichte anwenden, obgleich eine Veränderung des Denken sich<br />

auf alle diese Bereiche aus<strong>wir</strong>kt. Aber selbst in Bereichen, wo dieses<br />

Wort ohne Einschränkung gilt, sollte man daraus nicht schließen,<br />

dass jeder Aspekt dieser <strong>Wie</strong>dergeburt einen Gewinn für die<br />

Menschheit bedeutete.<br />

Thomas von Aquin und Aristoteles<br />

Normalerweise rechnet man das 14., 15. und frühe 16. Jahrhundert<br />

zur Renaissance; aber um sie zu verstehen, müssen <strong>wir</strong> uns mit Ereignissen<br />

beschäftigten, die diese Entwicklungen herbeiführten, insbesondere<br />

die Entwicklung der Philosophie im Mittelalter. Das bedeutet<br />

wiederum, dass <strong>wir</strong> uns mit dem Denken von Thomas von<br />

Aquin (1225 – 1274) vertraut machen müssen. Thomas von Aquin war<br />

Dominikaner. Er studierte an den Universitäten von Neapel und Paris,<br />

und später lehrte er in Paris. Er war der größte Theologe seiner<br />

Zeit, und sein Denken herrscht immer noch in einigen Kreisen der<br />

katholischen Kirche vor. Der Beitrag, den Thomas von Aquin für<br />

36


das westliche Denken leistete, ist natürlich viel umfassender, als <strong>wir</strong><br />

es hier darstellen <strong>können</strong>, aber sein Menschenbild ist für uns von<br />

Bedeutung. Thomas glaubte, der Mensch habe gegen Gott rebelliert<br />

und sei deshalb gefallen; aber sein Verständnis vom Sündenfall war<br />

unvollständig. Er meinte, der Sündenfall habe den Menschen nicht<br />

als Ganzes, sondern nur zum Teil betroffen. Seiner Auffassung nach<br />

war zwar der Wille des Menschen gefallen oder verdorben, der Intellekt<br />

jedoch nicht. Somit konnten sich die Menschen auf ihre eigene<br />

menschliche Weisheit verlassen, und deshalb stand<br />

es ihnen frei, die Lehren der Bibel mit den Lehren<br />

der nichtchristlichen Philosophen zu vermischen.<br />

Das <strong>wir</strong>d sehr gut von einem Fresko illustriert,<br />

das 1365 von Andrea da Firenze (gest. 1379) in der<br />

Spanischen Kapelle der Klosteranlage Santa Maria<br />

Novella in Florenz gemalt wurde. Thomas von<br />

Aquin sitzt auf einem Thron im Zentrum des Freskos,<br />

und auf einer niederen Stufe des Bildes sind<br />

Aristoteles, Cicero (106 – 43 v. Chr.), Ptolemäus (aktiv<br />

121 – 151 n. Chr.), Euklid (aktiv um 300 v. Chr.)<br />

Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

Thomas von Aquin<br />

meinte, der Sündenfall<br />

habe den<br />

Menschen nicht<br />

als Ganzes, sondern<br />

nur zum Teil<br />

betroffen und der<br />

Intellekt sei nicht<br />

verdorben.<br />

und Pythagoras (ca. 570 – ca. 500 v. Chr.) auf die gleiche Stufe gestellt<br />

wie Augustinus. Eine solche Einstufung führte dazu, dass die<br />

Philosophie allmählich von der Offenbarung – nämlich der Bibel –<br />

getrennt und die Philosophen immer unabhängiger, autonomer<br />

wurden.<br />

Thomas von Aquin stützte sich vor allem auf einen der größten<br />

griechischen Philosophen: Aristoteles (384 – 322 v. Chr.). Im Jahre<br />

1263 hatte Papst Urban IV. verboten, an den Universitäten Aristoteles<br />

zu studieren. Thomas von Aquin gelang es, die Anerkennung von<br />

Aristoteles wieder durchzusetzen, und so nahm die alte nichtchristliche<br />

Philosophie ihren ehemaligen Platz wieder ein.<br />

Um zu verstehen, was das be<strong>wir</strong>kte, lohnt es sich, Raffaels<br />

(1483 – 1520) Fresko Die Schule von Athen (ca. 1510, im Vatikan) anzusehen,<br />

um einige der Diskussionen und Einflüsse zu begreifen, die in<br />

der Zeit der Renaissance folgten. In der Schule von Athen stellte Raffael<br />

Platon mit einem nach oben zeigenden Finger dar; das bedeutet,<br />

dass Platon dem Universellen, dem abstrakten Urbild, dem absoluten<br />

Ideal (der platonische »Idee«) den Vorrang vor den konkreten,<br />

individuellen Dingen gab. Bei Platon sind die individuellen Dinge<br />

37


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

»Die Schule von Athen« von Raffael (Ausschnitt). Oben links mit erhobenem Finger<br />

Platon, rechts daneben mit nach unten ausgestreckter Hand Aristoteles.<br />

von dem höheren Universellen abhängig. Aristoteles hingegen ist<br />

mit nach unten ausgestreckten Fingern dargestellt, was bedeutet: Im<br />

Gegensatz zu seinem Lehrer Platon gab Aristoteles den individuellen<br />

Einzeldingen den Vorrang und hielt sie für unabhängig von einem<br />

universellen Ideal oder Urbild. In seinem Denken ist vielmehr das<br />

Universelle abhängig von konkreten Dingen, das Allgemeine ist eine<br />

Abstraktion des Besonderen. Mit konkreten, individuellen Dingen<br />

meinen <strong>wir</strong> die Gegenstände um uns herum; ein bestimmter Stuhl<br />

ist ein individuelles Einzelding, ebenso wie jedes Molekül, aus dem<br />

38


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

dieser Stuhl besteht. Jede einzelne Person ist auch ein individuelles<br />

Einzelding – <strong>wir</strong> selbst also auch! 1 Thomas von Aquin brachte diese<br />

aristotelische Betonung der individuellen Dinge in die Philosophie<br />

des Spätmittelalters und förderte damit die Voraussetzungen für die<br />

humanistischen Elemente der Renaissance und das grundlegende<br />

Problem, das daraus erwuchs.<br />

Dieses philosophische Problem, das Universalienproblem, <strong>wir</strong>d in<br />

der Theologie oft als Konflikt zwischen Natur und Gnade bezeichnet.<br />

Wenn man allein beim Menschen und den individuellen Dingen in<br />

der Welt anfängt, dann steht man vor dem Problem, wie man diesen<br />

individuellen Dingen irgendeinen letztlichen und ausreichenden<br />

Sinn geben kann. Das wichtigste individuelle Ding für den Menschen<br />

ist der Mensch selbst. Worin besteht der Zweck des Lebens,<br />

welche Grundlage kann es für Moral, Werte und Gesetze geben –<br />

ohne einen letztlichen Sinn für eine Person (für mich, einem Individuum)?<br />

Wenn man von einer individuellen Handlung anstatt von<br />

einem universellen Ideal ausgeht, wie kann man dann sicher sein, ob<br />

diese Handlung richtig oder falsch ist? Die Spannung zwischen Natur<br />

und Gnade kann wie folgt dargestellt werden:<br />

1<br />

(Diese und alle weiteren Fußnoten wurden vom deutschen Herausgeber der<br />

Neuausgabe ergänzt.) Die Fachbegriffe in der Ontologie (Seinslehre) von Platon<br />

bzw. Aristoteles lauten in der Philosophie das Allgemeine und das Einzelne. Da<br />

der Autor dieses Thema und diese Begriffe noch häufiger erwähnen <strong>wir</strong>d, war<br />

es in der Übersetzung nicht einfach, stets dieselben Begriffe sprachlich passend<br />

zu verwenden. Es wurden mehrere Begriffspaare verwendet, die hier tabellarisch<br />

gegenübergestellt sind. Zum Verständnis: Der Unterschied zwischen den beiden<br />

Sichtweisen besteht vor allem in der Frage, in welcher Beziehung das Allgemeine<br />

und das Einzelne zueinander stehen (das so genannte Universalienproblem) – ob<br />

das Einzelne vom Allgemeinen abhängig ist oder umgekehrt.<br />

Platon:<br />

Was auf der anderen Seite steht, ist<br />

abhängig von dem, was hier steht.<br />

das Allgemeine<br />

das Urbild (dessen Konkretisierung<br />

das Abbild ist)<br />

die Idee<br />

das Universelle<br />

Aristoteles:<br />

Was auf der anderen Seite steht, ist<br />

abhängig von dem, was hier steht.<br />

das Einzelne<br />

das Abbild (dessen Abstraktion<br />

das Urbild ist)<br />

das konkrete Ding, Einzelding<br />

das Besondere oder Individuelle<br />

39


Kapitel 2 · Das Mittelalter<br />

Gnade, das Höhere:<br />

Gott der Schöpfer; der Himmel<br />

und himmlische Dinge;<br />

das Unsichtbare und dessen<br />

Einfluss auf der Erde; die<br />

Einheit oder das Universelle<br />

oder Absolute, das der Existenz<br />

und Moral Sinn verleiht.<br />

Natur, das Niedere:<br />

Das Geschaffene; Erde und<br />

irdische Dinge; das Sichtbare,<br />

das sich normalerweise<br />

im Universum von Ursache<br />

und Wirkung abspielt; was<br />

der Mensch als Mensch auf<br />

der Erde tut; Vielfalt oder<br />

konkrete Dinge oder die individuellen<br />

Handlungen des<br />

Menschen.<br />

Allein vom Menschen ausgehend vermochte der Humanismus der<br />

Renaissance – und überhaupt der Humanismus bis heute – nicht, zu<br />

universalen Absoluten zu gelangen, die der Existenz und der Moral<br />

Sinn verleihen könnten.<br />

Die Lehre des Thomas von Aquin hatte eine positive Seite: Vor<br />

ihm wurde die normale Alltagswelt und unser Verhältnis zur Welt<br />

abgewertet. Doch diese Dinge sind wichtig, weil Gott die Welt geschaffen<br />

hat. Mitte des 13. Jahrhunderts hatten manche gotischen<br />

Bildhauer bereits begonnen, Blätter, Blumen und Vögel darzustellen,<br />

und sie bemühten sich, diesen Figuren eine naturgetreuere Erscheinung<br />

zu geben. Dank Thomas von Aquin wurde der Welt und dem<br />

Platz des Menschen in der Welt eine größere Bedeutung als zuvor<br />

beigemessen. Aber die negative Folge seiner Lehre war, dass den einzelnen<br />

Dingen, dem Individuellen, immer mehr Selbständigkeit zugeschrieben<br />

wurde, und konsequenterweise ging der Sinn der individuellen<br />

Dinge allmählich verloren. Wir <strong>können</strong> uns das so vorstellen,<br />

dass die Bedeutung der individuellen Dinge allmählich immer mehr<br />

zunahm, bis sie schließlich alles waren und somit ihren übergeordneten<br />

Sinn verschlangen, so dass er völlig verschwand.<br />

Zwei Dinge schufen also die Grundlage für die nachfolgenden<br />

Entwicklungen: erstens das allmählich erwachende kulturelle Denken<br />

und die erwachte Frömmigkeit des Mittelalters und zweitens<br />

eine zunehmende Verfälschung der biblischen und urkirchlichen<br />

Lehre. Humanistische Elemente waren eingedrungen. So hatte zum<br />

Beispiel die Autorität der Kirche Vorrang vor der Lehre der Bibel;<br />

40


Zeittafel mit Seitenangaben<br />

Ereignisse und Epochen (v. Chr.)<br />

3500-2500 Antike Hochkulturen des Alten<br />

Vorderen Orient, 12<br />

509-264 Frührömische Republik, 12<br />

480-350 Goldenes Zeitalter Griechenlands,<br />

13<br />

146 Griechenland fällt an Rom, 13<br />

130-60 Unruhen in Rom; Akzeptanz<br />

eines Diktators, 14<br />

67 Mithras-Kult in Rom, 18<br />

44 Caesar <strong>wir</strong>d ermordet, 14<br />

31 Augustus siegt bei Actium und<br />

<strong>wir</strong>d Kaiser, 14<br />

29-19 Virgil schreibt die Aeneis, 14<br />

12 Augustus Pontifex Maximus, 14<br />

~6 Jesus Christus <strong>wir</strong>d geboren, 18<br />

Ereignisse und Epochen (n. Chr.)<br />

27-64 Frühchristliche Mission, 24<br />

60-70 Christenverfolgung unter Nero,<br />

18<br />

69 Avenches ist römische Kolonie, 17<br />

79 Der Ausbruch des Vesuv zerstört<br />

Pompeji, 13, 19, 47<br />

Personen (v. Chr.)<br />

~ 629-588 Jeremia, 191<br />

~ 580 Pythagoras, 37<br />

~ 469-399 Sokrates, 13<br />

~ 427-347 Platon, 37ff, 53f<br />

384-322 Aristoteles, 30, 36ff, 43, 53, 84,<br />

99ff, 145<br />

~ 300 Euklid, 37<br />

~ 287-212 Archimedes, 101<br />

~198-117 Polybiuos, 82<br />

106-43 Cicero, 37, 44<br />

100-44 Julius Cäsar, 14, 18<br />

70-10 n.C. Rabbi Hillel, 29<br />

63-14 n.C. Augustus Caesar, 14ff, 214 ,216<br />

Personen (n. Chr.)<br />

JESUS CHRISTUS, 18, 65, 71,<br />

98, 146, 222<br />

50-120 Plutarch, 14<br />

233


Zeittafel mit Seitenangaben<br />

120 Bau des Hadrianswalls , 17<br />

290-300 Reformen unter Diokletian, 18<br />

303-313 Christenverfolgung unter Diokletian,<br />

18<br />

313 Konstantins Toleranzedikt billigt<br />

das Christentum, 19; Bau des<br />

Konstantinsbogens, 19<br />

381 Das Christentum <strong>wir</strong>d Reichsreligion<br />

Roms, 19<br />

395 Das Römische Reich zerfällt in<br />

Ost und West, 22<br />

410, 455 Zerstörung Roms durch Barbaren,<br />

20<br />

476 Ende des Römischen Westreichs,<br />

19-21<br />

537 Justinian erbaut die Hagia Sophia,<br />

22<br />

~ 600 Gregorianischer Gesang, 32<br />

800 Der Papst krönt Karl den Großen<br />

zum Kaiser, 30<br />

805 Bau der Pfalzkapelle in Aachen, 31<br />

800-1000 Blütezeit der Byzantinischen<br />

Kunst, 22<br />

11. Jh. »Gottesfriede und Waffenruhe<br />

Gottes«, 36<br />

1066 Die Normannen erobern England,<br />

33<br />

11.-12. Jh. Wirtschaftlicher Aufschwung, 35f<br />

12. Jh. Romanische Architektur, 32<br />

1095-1204 Kreuzzüge, 35<br />

12.-14. Jh. Trobadore und ars antiqua, 32;<br />

Papst auf dem Höhepunkt der<br />

Macht, 28; Zunahme der Marienverehrung,<br />

34; Kritik an päpstlichen<br />

Exzessen: Evangelium von<br />

der Mark Silber, 25<br />

1140-1250 Gotik: Abt Suger baut Saint<br />

Denis (ab 1140), 33; Chartres (ab<br />

1194), 34<br />

13. Jh. Aufkommen der Universitäten, 35<br />

127-151 Ptolemäus aktiv, 37<br />

161-180 Mark Aurel, 17<br />

160-240 Tertullian, 24, 29f<br />

258 Martyrium des Cyprian, 24<br />

~ 286 Martyrium des Mauritius, 24, 27<br />

339-397 Ambrosius von Mailand, 29<br />

347-419 Hieronymus, 30<br />

354-430 Augustinus, 21, 30, 37<br />

~ 480-547 Benedikt von Nursia, Benediktinerregel,<br />

22<br />

527-565 Justinian, Ostkaiser, 22<br />

590-604 Papst Gregor I., 32, 46<br />

735-804 Alkuin von York, 31<br />

751-768 Pippin der Franke, 30<br />

768-814 Karl der Große, Frankenkönig<br />

und Kaiser, 30f<br />

1048-1122 Omar Khayyam, 99<br />

1115 Ivo von Chartres gestorben, 29,<br />

34<br />

~ 1115-1180 Johannes von Salisbury, 25<br />

~ 1119-1170 Thomas Becket, 25<br />

~ 1175-1253 Robert Grosseteste, 100<br />

~ 1181-1226 Franz von Assisi, 25<br />

1214-1294 Roger Bacon, 100<br />

1225-1274 Thomas von Aquin 30, 36ff, 43,<br />

53f, 58, 100, 157<br />

234


Zeittafel mit Seitenangaben<br />

1263 Urban IV. verbietet Aristoteles, 37<br />

1250-1450 Parlamentarische Versammlungen<br />

des Mittelalters, 28; Spätgotik<br />

und Florentiner Gotik; 34, Ars<br />

nova in Frankreich und Italien, 32<br />

1300-1321 Dantes Göttliche Komödie, 43<br />

1304 Giottos Jüngstes Gericht, 42<br />

1338-39 Lorenzettis Allegorie von guter<br />

und böser Regierung, 27;<br />

~ 1340 Petrarca ersteigt den Mont Ventoux,<br />

45<br />

~ 1350 Boccaccios Decamerone, 44<br />

1378-1417 Großes Schisma: Gegenpäpste<br />

und Konziliarismus, 28f<br />

1380 John Wyclif übersetzt das Neue<br />

Testament ins Englische, 41<br />

1415 Johannes Hus auf dem Scheiterhaufen,<br />

56<br />

1375-1444 Salutati und Bruni Kanzler von<br />

Florenz, 44<br />

1424-25 Masaccio malt Adam und Eva in<br />

der Brancacci-Kapelle, 47<br />

1425-52 Ghiberti gestaltet die Paradiespforte<br />

des Baptisteriums in Florenz,<br />

34, 46-47<br />

1432 Van Eyck: Die Anbetung des Lammes,<br />

48<br />

1434 Brunelleschi: Einweihung der<br />

Kuppel der Kathedrale von Florenz,<br />

45f<br />

~ 1436 Van Eyck: Die Madonna des<br />

Kanzlers Rolin, 48<br />

1439 Konzil von Florenz, 44<br />

~ 1450 Fouquet: Die rote Jungfrau, 50<br />

1453 Konstantinopel fällt an die Türken,<br />

44-45, 54<br />

1469-92 Lorenzo der Prächtige, 54;<br />

Neo-Platonismus des Ficino, 54<br />

1494-98 Savonarola predigt, 57<br />

1501 Petrucci druckt Noten, 49<br />

1504 Michelangelo: David, 51f<br />

1510 Raffael: Die Schule von Athen, 37,<br />

53, 60<br />

~ 1513 Machiavelli: Der Fürst, 82<br />

1516 Erasmus’ Herausgabe des griechischen<br />

Neuen Testaments, 60f<br />

1517 Luthers Thesenanschlag, 57f, 70,<br />

73, 101<br />

1240-1302 Cimabue, Lehrer Giottos, 42<br />

1265-1321 Dante, 42ff, 60, 158<br />

~ 1267-1337 Giotto, 42, 45, 56, 158<br />

~ 1304-1377 Guillaume de Machaut, 32<br />

1304-1374 Petrarca, 44f, 56<br />

1313-1375 Boccaccio, 44, 56<br />

~ 1320-1384 Wyclif, 41, 56f, 72<br />

1325-1397 Landini, 32<br />

1369-1415 Johannes Hus, 41, 56, 72<br />

1377-1446 Brunelleschi, 45ff, 56<br />

1378-1455 Ghiberti, 34, 46<br />

1389-1464 Cosimo di Medici, 52<br />

1400-1474 Guillaume Dufay, 46<br />

1401-1428 Masaccio, 47f<br />

1404-1472 Alberti und die Perspektive, 46<br />

1409-1457 Lorenzo Valla, 58<br />

1444-1510 Botticelli, 54<br />

1450-1521 Josquin des Prez, 49<br />

1452-1519 Leonardo da Vinci, 46, 53ff, 73,<br />

101, 123, 136, 191<br />

~ 1466-1536 Erasmus, 60f<br />

1469-1527 Machiavelli, 82<br />

1471-1528 Dürer, 69ff<br />

1475-1543 Kopernikus, 99ff, 108<br />

1475-1564 Michelangelo, 11, 34, 46, 51ff, 60,<br />

73, 169<br />

1483-1520 Raffael, 37ff, 53, 60, 73<br />

1483-1546 Martin Luther, 57-72, 101<br />

235


Zeittafel mit Seitenangaben<br />

1519-36 Michelangelo: Die Gefangenen, 51<br />

1523 Zwingli Reformator in Zürich, 58<br />

1534 Heinrich VIII. und die Reformation<br />

in England, 58<br />

1536 Calvin: Institutio, 57f, 101<br />

1543 Kopernikus: De Revolutionibus,<br />

101; Vesalius: De Fabrica, 101<br />

1564 Calvin stirbt, 57f<br />

Michelangelo stirbt, 73<br />

Galilei <strong>wir</strong>d geboren, 100f<br />

Beza <strong>wir</strong>d Calvins Nachfolger, 67<br />

1620 Bacon: Novum Organum, 101,<br />

104f<br />

1632 Galilei <strong>wir</strong>d von der Inquisition<br />

verurteilt, 100<br />

1633 Rembrandt: Die Kreuzaufrichtung,<br />

74<br />

1637 Descartes: Discours de la méthode,<br />

107, 122<br />

1644 Rutherford: Lex Rex, 79<br />

1643-47 Westminster Bekenntnis, 62<br />

1648 Pascal entwickelt das Barometer,<br />

106<br />

1651 Hobbes: Leviathan, 107<br />

1662 Royal Society von London, 107<br />

1687 Newton: Prinzipien, 105<br />

1688 Unblutige Revolution in England,<br />

90<br />

1690 Locke: Versuch über den menschlichen<br />

Verstand, 80<br />

1733-34 Voltaire: Briefe über die Englische<br />

Nation, 90<br />

1741 Händel: Messias, 69<br />

1730-80 Erweckungen in Großbritannien<br />

und Amerika, 89<br />

Die Aufklärung, 90ff<br />

1755 Erdbeben von Lissabon und<br />

Voltaires Klage darüber, 92<br />

1762 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag,<br />

124<br />

1776 Unabhängigkeitserklärung der<br />

USA, 80, 93f; Gibbon: Verfall und<br />

Untergang des Römischen Imperiums,<br />

193<br />

ab 1750 Industrielle Revolution, 85<br />

1781 Kant: Kritik der reinen Vernunft,<br />

130<br />

1489-1565 Wilhelm Farel, 60f, 65<br />

1494-1547 Franz I., 55, 57<br />

1500-1571 Cellini, 46<br />

1509-1564 Johannes Calvin, 57ff, 78, 83, 101<br />

1511-1574 Vasari: Das Leben der Maler,<br />

Bildhauer und Architekten, 48<br />

1514-1564 Vesalius, 99, 101<br />

1519-1605 Theodore Beza, 67<br />

1546-1601 Tycho Brahe, 101<br />

1561-1626 Francis Bacon, 101, 104, 110<br />

1564-1642 Galilei, 100f, 105<br />

1571-1630 Johannes Kepler, 105<br />

1583-1625 Orlando Gibbons, 69<br />

1585-1672 Heinrich Schütz, 68<br />

1596-1650 Rene Descartes, 107, 122<br />

1600-1661 Samuel Rutherford, 79f, 181<br />

1606-1669 Rembrandt, 74f<br />

1623-1662 Blaise Pascal, 105ff<br />

1627-1691 Robert Boyle, 107<br />

1632-1704 John Locke, 80f, 165<br />

1637-1707 Dietrich Buxtehude, 68<br />

1642-1727 Isaac Newton, 105ff<br />

1685-1750 J. S. Bach, 68<br />

1685-1759 G. F. Händel, 68f<br />

1689-1702 Wilhelm III. von Oranien, 90<br />

1694-1778 Voltaire, 90ff, 125<br />

1703-1791 John Wesley 87, 89, 97, 226<br />

1707-1788 Charles Wesley, 69<br />

1711-1776 David Hume, 126<br />

1712-1778 Rousseau, 123-132, 157, 182<br />

1714-1770 George Whitefield, 89<br />

1723-1794 John Witherspoon 80<br />

1724-1804 Immanuel Kant, 123, 129ff, 148<br />

1729-1781 Lessing, 126<br />

236


Zeittafel mit Seitenangaben<br />

1787 Verfassung der USA, 82, 183f<br />

1789-92 Französische Revolution, 90ff<br />

1789 Erklärung der Menschen- und<br />

Bürgerrechte, 92<br />

1792 »Zweite« Franzöische Revolution,<br />

93, Revolutionskalender, 93<br />

1792-94 Terrorherrschaft, 91, 124f<br />

1794 Marquis de Condorcet: Historische<br />

Skizze des Fortschritts des<br />

menschlichen Geistes, 91f<br />

1798 Malthus: Das Bevölkerungsgesetz,<br />

86<br />

1799-1815 Napoleon <strong>wir</strong>d Diktator, 91f, 94<br />

1800 Reformierte presbyterianische<br />

Kirche in den USA schließt Sklavenbesitzer<br />

aus, 89<br />

1807 Sklavenhandel in Großbritannien<br />

abgeschafft, 88<br />

1817 Ricardo: Die Grundsätze der politischen<br />

Oekonomie, 86<br />

1830-33 Lyell: Principles of Geology, 117<br />

1833-34 Sklaverei im gesamten britischen<br />

Empire verboten, 88<br />

1845-52 Große Hungersnot von Irland,<br />

Trevelyans unterlassene Hilfeleistung,<br />

86<br />

1848 Marx und Engels: Manifest der<br />

Kommunistischen Partei, 98<br />

1855 Büchner: Kraft und Stoff, 116<br />

1859 Darwin: Über die Entstehung der<br />

Arten, 118; Dickens: Eine Geschichte<br />

aus zwei Städten, 88<br />

1860 Burckhardt: Die Kultur der<br />

Renaissance in Italien, 75<br />

1872 Bagehot: Physics and Politics, 120<br />

1881 Holmes: The Common Law, 181<br />

1899 Haeckel: Die Welträthsel, 117<br />

1905 Einsteins Relativitätstheorie, 108f,<br />

162; Robert: Die Gerechtigkeit<br />

erhebt die Völker, 77, 181<br />

1906 Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung,<br />

146<br />

1906-07 Picasso: Demoiselles d’Avignon, 155<br />

1912 Duchamp: Akt, eine Treppe herabsteigend<br />

Nr. 2, 157<br />

1914-18 Erster Weltkrieg, 120<br />

1917 Revolutionen in Russland, 94-96<br />

1919 Barth: Der Römerbrief, 145<br />

1740-1814 Marquis de Sade, 128, 196<br />

1743-1826 Thomas Jefferson, 81<br />

1748-1832 Bentham, Vater des Utilitarismus,<br />

85<br />

1749-1832 Goethe, 126, 141, 182<br />

1758-1794 Robespierre, 92, 94, 124<br />

1759-1833 W. Wilberforce, 88, 226<br />

1769-1821 Napoleon, 91ff<br />

1770-1827 Beethoven, 127, 158f<br />

1770-1831 Hegel, 131ff, 157<br />

1770-1850 W. Wordsworth, 127<br />

1780-1845 Elizabeth Fry, 87, 226<br />

1791-1867 Michael Faraday, 108<br />

1798-1857 Auguste Comte, 165<br />

1801-1855 Lord Shaftesbury, 87, 226<br />

1804-1872 Feuerbach, 116f<br />

1807-1882 Garibaldi, 94<br />

1809-1882 Charles Darwin, 118ff<br />

1813-1855 Kierkegaard, 123, 125, 132ff, 143ff,<br />

157<br />

1813-1883 Richard Wagner, 116, 141<br />

1818-1883 Karl Marx, 98, 179<br />

1820-1903 Herbert Spencer, 119<br />

1822-1895 Louis Pasteur, 135<br />

1825-1895 T. H. Huxley, 119<br />

1831-1879 J. C. Maxwell, 108<br />

1839-1906 Paul Cezanne, 154<br />

1840-1926 Claude Monet, 153, 166<br />

1841-1935 Oliver Wendell Holmes, 181f<br />

1844-1900 Nietzsche 150f, 159, 180<br />

1848-1903 Paul Gauguin, 128, 154<br />

1856-1939 Sigmund Freud, 143, 194<br />

1862-1918 Claude Debussy, 160<br />

1866-1944 W. Kandinsky, 154<br />

1870-1924 V. I. Lenin, 94ff<br />

1872-1970 Bertrand Russell, 135<br />

1874-1951 A. Schoenberg ,158ff<br />

1874-1965 Winston Churchill, 220<br />

1879-1953 Joseph Stalin, 177f, 194, 209f, 221<br />

1879-1955 Albert Einstein, 108f, 162, 165<br />

1881-1973 Pablo Picasso, 155f, 163<br />

1882-1971 I. Strawinsky, 158<br />

1883-1945 Anton Webern, 160<br />

237


Zeittafel mit Seitenangaben<br />

1922 Eliot: Waste Land, 163<br />

1926 Whitehead: Science and the Modern<br />

World, 102<br />

1922-43 Mussolini, Faschismus in Italien,<br />

82<br />

1927 Heisenberg formuliert die<br />

Unschärferelation, 109, 162<br />

1932 Huxley: Schöne Neue Welt, 140<br />

1933 Machtergreifung Hitlers und der<br />

Nazis, 120, 188, 215<br />

1934 Barth: Barmer Theologische Erklärung,<br />

145<br />

1938 Chamberlain: Münchner Abkommen,<br />

220; Sartre: Der Ekel, 168<br />

1942 Camus: Der Fremde, 168<br />

1945 C. S. Lewis: Die böse Macht, 206<br />

1945-46 Nürnberger Prozesse, 182<br />

1947 Camus: Die Pest, 168<br />

1948 Kinsey: Das sexuelle Verhalten des<br />

Mannes, 188<br />

1953 Russland interveniert in DDR, 97<br />

1958 Polanyi: Personal Knowledge , 165<br />

1961 Der evolutionäre Humanismus<br />

hrsg. von J. Huxley, 140<br />

1964 Berkeley-Proteste und Free Speech<br />

Movement, 173f<br />

1965 Tarsis: Ward 7, 207<br />

1967 Beatles: Sergeant Pepper, 141<br />

1968 Russland interveniert in der<br />

Tschechoslowakei, 97, 178f<br />

1969 Woodstock und Altamont, 175<br />

1971 Skinner: Jenseits von Freiheit und<br />

Würde, 195<br />

1972 Monod: Zufall und Notwendigkeit,<br />

205<br />

1973 Im Prozess Roe v. Ward entscheidt<br />

der Oberste Gerichtshof<br />

der USA für das Abtreibungsrecht,183ff<br />

Solschenizyn: Der Archipel Gulag,<br />

221; Bell: Die nachindustrielle<br />

Gesellschaft, 190; Bronowski: Der<br />

Aufstieg des Menschen, 119<br />

1974 Abtreibungsbroschüre Our Future<br />

Inheritance: Choice or ChanceI in<br />

England, 184, 202<br />

1883-1969 Karl Jaspers, 138ff<br />

1886-1965 Paul Tillich, 149<br />

1886-1968 Karl Barth, 145ff<br />

1888-1965 T. S. Eliot, 163<br />

1889-1945 Adolf Hitler, 82, 120, 188, 194,<br />

209, 215, 220<br />

1889-1976 M. Heidegger, 138f, 142, 145<br />

1891-1953 S. Prokofjew, 95<br />

1893-1976 Mao Tse-tung, 177<br />

1894-1963 Aldous Huxley, 14f, 173<br />

1898-1979 Herbert Marcuse, 174, 189<br />

1899-1963 C. S. Lewis, 206<br />

1901-1976 Andre Malraux, 142<br />

1904-1989 Salvador Dali, 143f<br />

1904-1990 B. F. Skinner, 194ff<br />

1905-1980 Jean-Paul Sartre, 114, 137ff, 145,<br />

148, 168, 170<br />

1912-1992 John Cage, 160ff<br />

1913-1960 Albert Camus, 137f, 145, 168, 170,<br />

205<br />

1915-1973 Alan Watts, 174<br />

1916-2004 Francis Crick, 194, 197-204<br />

1917-2008 A. Solschenizyn, 95, 177f, 221<br />

1926-1997 Allen Ginsberg, 174<br />

1928-2007 K. Stockhausen, 160<br />

1970 Jimi Hendrix stirbt im Alter von<br />

27 Jahren.<br />

238


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Warrens Bestrebungen und der »Transformation« von Gemeinden<br />

und Gesellschaft erfahren. Überraschend sind dabei nicht nur die<br />

auftauchenden bekannten Namen aus dem Evangelikalismus, sondern<br />

auch die Zielstrebigkeit der Führungspersonen, die sich offenbar<br />

völlig dem Ziel, eine neue (pseudo-christliche) Weltordnung zu<br />

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In Hesekiel 33,10 fragten die Israeliten angesichts ihrer<br />

sündigen Vergangenheit: <strong>Wie</strong> <strong>können</strong> <strong>wir</strong> <strong>denn</strong> <strong>leben</strong>?<br />

Um zu erkennen, wie <strong>wir</strong> heute <strong>leben</strong> <strong>können</strong>, müssen<br />

<strong>wir</strong> verstehen, welche kulturellen und intellektuellen<br />

Kräfte uns im Lauf der Geschichte dahin gebracht<br />

haben, wo <strong>wir</strong> heute sind. <strong>Schaeffer</strong>s scharfsinnige<br />

Analyse spannt den Bogen vom antiken Rom und<br />

dessen Untergang über Mittelalter, Renaissance,<br />

Reformation und Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert,<br />

das sich als Sackgasse der Geistes- und Kulturgeschichte<br />

erweist: Die Auflösung aller absoluten Werte und<br />

Wahrheiten durch Kultur und Wissenschaften schlägt<br />

sich massiv in allen Lebensbereichen nieder und<br />

überlässt uns einem Vakuum der Hoffnungslosigkeit.<br />

Welche Mächte und Eliten nutzen diese Leere nun aus?<br />

Oft klingen <strong>Schaeffer</strong>s Einsichten wie prophetische<br />

Warnungen vor dem moralischen, geistlichen und<br />

intellektuellen Niedergang und den antichristlichen<br />

Machenschaften unserer Zeit. Aber auch die Antwort,<br />

wie <strong>wir</strong> in einer solchen Welt zur Ehre Gottes und<br />

hoffnungsvoll <strong>leben</strong> <strong>können</strong>, zeigt er klar auf.<br />

ISBN 978-3-935558-37-2<br />

9 783935 558372

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