ZAP-2020-07
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Fach 18, Seite 1732<br />
Neuerungen in der Eingliederungshilfe<br />
Sozialrecht<br />
Einzelfalls bestimmen (Gesichtspunkte wie z.B. das persönliche Umfeld der leistungsberechtigten<br />
Person werden besonders erwähnt) und nach Abs. 2 S. 1 den Wünschen des Leistungsberechtigten zu<br />
entsprechen ist, soweit die Wünsche „angemessen“ sind. Unabhängig von der Frage, ob Wünsche<br />
überhaupt mit dem Verdikt der Unangemessenheit versehen werden können – jeder darf sich grds.<br />
alles wünschen – steckt dahinter, wie sich aus der Vermutungsregelung in Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2<br />
deutlich ergibt, eine wirtschaftliche Sichtweise. Als unangemessen gilt ein Wunsch (gesetzliche<br />
Fiktion ohne Möglichkeit, diese zu widerlegen), wenn und soweit die Höhe der Kosten die einer<br />
vergleichbaren Leistung vertragsgebundener Leistungserbringer unverhältnismäßig übersteigt, wenn<br />
der Bedarf auch dadurch gedeckt werden kann. Anders als bisher setzt der Mehrkostenvorbehalt also<br />
nicht mehr an der Form der Leistungserbringung an (ambulant, stationär, teilstationär); entscheidend<br />
ist allein, welche Kosten für vertragsgebundene Leistungserbringer, sei es für stationäre, teilstationäre,<br />
ambulante oder sonstige Leistungsformen, zur Deckung der Bedarfe entstünden. Eine Ausnahme<br />
sieht das Gesetz allerdings vor: Ist eine von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichende<br />
Leistungsgestaltung nicht zumutbar, ist ein Kostenvergleich nicht durchzuführen.<br />
Speziell für die mit der Wahl der Wohnform verbundenen Kosten sieht § 104 Abs. 3 SGB IX –<br />
abweichend vom ursprünglichen Gesetzentwurf und eingeführt nach Beschlussempfehlungen des<br />
Ausschusses für Arbeit und Soziales (vgl. BT-Drucks 18/10523, S. 4, 61 ff.) – eine eigene Regelung vor:<br />
Bestehen nach den persönlichen, familiären und örtlichen Verhältnissen der vom Hilfebedürftigen<br />
gewählten Wohnform keine Bedenken, dass der bestehende Bedarf nicht gedeckt werden kann, dann<br />
ist der gewünschten Wohnform – außerhalb von „besonderen Wohnformen“ (gemeint ist die bisher<br />
als stationäre Unterbringung bezeichnete Wohnform) –„der Vorzug zu geben“, wenn dies von der<br />
leistungsberechtigten Person gewünscht wird. Die dafür erforderlichen Assistenzleistungen (§ 113<br />
Abs. 2 Nr. 2 SGB IX) sind, wenn dies die leistungsberechtigte Person wünscht, in Bezug auf die<br />
Gestaltung persönlicher Beziehungen und die persönliche Lebensplanung nicht gemeinsam zu<br />
erbringen (§ 116 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX).<br />
Mit dieser Sonderregelung zum Kostenvergleich bei unterschiedlichen Wohnformen wird auch auf<br />
dieser Ebene für die Eingliederungshilfe die Abkehr von der einrichtungsbezogenen Leistungserbringung<br />
vollzogen. Für die Betroffenen positiv ist zudem die Berücksichtigung ihres Wunsch- und<br />
Wahlrechts auch in Bezug auf die Form der Leistungserbringung, d.h. wahlweise gemeinsam mit<br />
anderen (§ 116 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX, sog. Pool-Lösung) oder individuell. Dies bedeutet in der Praxis, dass<br />
sich der Träger der Eingliederungshilfe z.B. nicht auf den Standpunkt stellen kann, mehrere behinderte<br />
Menschen müssten ihre Ausflüge oder Einkäufe abstimmen, damit sie gemeinsam durch nur eine<br />
Assistenzperson begleitet werden müssen. Es steht den behinderten Menschen vielmehr frei, über die<br />
Art der Gestaltung ihrer persönlichen Lebensplanung autonom und frei von Kostenerwägungen zu<br />
entscheiden. Was es allerdings bedeutet, dass der Wohnform „der Vorzug“ zu geben ist, bleibt offen. Ist<br />
eine bindende Entscheidung gemeint, wenn die Voraussetzungen vorliegen, oder hat der Träger nach<br />
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden? Auch die Ausführungen in der Ausschussbegründung<br />
(S. 62) helfen nicht weiter, wenn auch vieles dafür sprechen dürfte, dass beim Vorliegen der übrigen<br />
Voraussetzungen eine bindende Entscheidung für eine Leistung in der vom behinderten Menschen<br />
gewählten Form zu erfolgen hat.<br />
370 <strong>ZAP</strong> Nr. 7 1.4.<strong>2020</strong>