ZAP-2020-07

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Fach 18, Seite 1726 Neuerungen in der Eingliederungshilfe Sozialrecht • Nach dem derzeitigen gesetzlichen Konzept führt dieser Mehrbedarf allerdings dazu, dass sich die Menschen, die in der Werkstatt o.Ä. ihr Mittagessen einnehmen, finanziell deutlich besser stellen dürften als nach der alten Rechtslage. Denn bislang wurde, weil Kosten für das Mittagessen auch im Regelbedarf eingerechnet wurden, ein entsprechender Abzug beim Regelbedarf vorgenommen, d.h. die behinderten Menschen hatten unter dem Strich nicht mehr Geld zur Verfügung. Selbst wenn ein Abzug vom Regelbedarf weiter praktiziert würde (dagegen könnte allerdings schon sprechen, dass nach § 42b Abs. 1 SGB XII in Abs. 2 nur Bedarfe aufgeführt sind, die gerade nicht vom Regelbedarf abgedeckt seien), bliebe allerdings im Umfang des Mehrbedarfs ein Plus beim behinderten Menschen. • Weitere Folgeprobleme dieser strukturellen Änderung kristallisierten sich bereits vor Inkrafttreten der Änderungen zum 1.1.2020 heraus. Denn bis 31.12.2019 haben die Träger der Sozialhilfe für die Bezieher von Eingliederungshilfeleistungen in stationären Einrichtungen regelmäßig deren Renten auf sich übergeleitet, weil sie als Einkommen des Hilfebeziehers leistungsmindernd zu berücksichtigen waren; die Rentenüberleitung vereinfachte insoweit das Verfahren und diente der Realisierung des Erstattungsanspruchs des nachrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers gegenüber dem Träger der Rentenversicherung (§ 104 Abs. 1 SGB X). An dieser Rentenüberleitung konnten die Träger der Eingliederungshilfe ab 1.1.2020 nicht festhalten, weil jede leistungsberechtigte Person an die Einrichtung die Kosten für den Lebensunterhalt und das Wohnen zu zahlen hat und keine vollständige „Übernahme“ aller Aufwendungen mehr durch den Sozialleistungsträger erfolgt. Da seit April 2004 Rentenzahlungen für den laufenden Monat nicht mehr zum Monatsanfang, sondern am Monatsende erfolgen, wäre mit dem Monat der Umstellung eine einmalige Finanzierungslücke entstanden, weil für den laufenden Monat zwar ein Bedarf besteht, dieser aber erst zum Monatsende (mit der Rentenzahlung) gedeckt werden könnte. • Der Gesetzgeber hat erkannt, dass diese „Rentenlücke“ eine Vielzahl von Leistungsberechtigten betrifft und zu unbilligen Härten führen würde. Um verwaltungsaufwändige Lösungen, wie z.B. die flächendeckende Vergabe von Überbrückungsdarlehen, zu vermeiden, ist mit dem Gesetz zur Änderung des SGB IX und des SGB XII vom 30.11.2019 (BGBl I, S. 1948 ff.) in § 140 SGB XII eine Übergangsregelung geschaffen worden. Hinweis: § 140 SGB XII führt dazu, dass die Bezieher von Eingliederungshilfeleistungen und Renten für den Umstellungsmonat ihre Rente nicht zur Deckung ihres existenziellen Bedarfs nach dem 3./4. Kapitel des SGB XII einzusetzen haben, d.h. es findet in diesem Monat keine Berücksichtigung der Rente als Einkommen nach § 82 SGB XII statt. c) Unterkunft und Heizung § 42a SGB XII regelt die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als Teil des notwendigen Lebensunterhalts zur Sicherung des Existenzminimums gem. § 27a Abs. 1 S. 1 SGB XII. Für Bezieher von Eingliederungshilfe, die in stationären Einrichtungen (sog. besonderen Wohnformen) leben, enthalten § 42a Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 und 6 SGB XII Sonderregelungen, die auch für Bezieher von Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII gelten, die in einer besonderen Wohnform leben (§ 35 Abs. 5 S. 1 SGB XII). § 42a Abs. 5 S. 1 SGB XII berücksichtigt als Bedarfe für die Unterkunft die tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind. Sie gelten als angemessen, wenn sie die Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete von Einpersonenhaushalten am Ort der Einrichtung nicht überschreiten (§ 42a Abs. 5 S. 3 SGB XII). Das Gesetz differenziert insoweit zwischen Aufwendungen für den persönlichen Wohnraum (Nr. 1), Zuschlägen für Voll- oder Teilmöblierung (Nr. 2) sowie den Aufwendungen für die Gemeinschaftsräume nach 364 ZAP Nr. 7 1.4.2020

Sozialrecht Fach 18, Seite 1727 Neuerungen in der Eingliederungshilfe einem Anteil, der sich aus der für die Nutzung der Gemeinschaftsräume vorgesehenen Anzahl an Personen ergibt (Nr. 3). Zwischen der leistungsberechtigten Person und dem die Unterkunft überlassenden Leistungserbringer ist ein Vertrag über die Überlassung von Wohnraum zu schließen. Soweit sich der Leistungserbringer zugleich auch zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen verpflichtet, ist das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) weiterhin anwendbar (vgl. § 1 WBVG). Ansonsten gelten die §§ 549 ff. BGB. Vertraglich zu vereinbaren sind auch die in § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII benannten Zusatzkosten. Eine Durchbrechung der Trennung zwischen existenzsichernden Lebensunterhalts- und den Fachleistungen findet sich jedoch in § 42a Abs. 6 SGB XII: Denn übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen die Angemessenheitsgrenze um mehr als 25 %, umfassen die Fachleistungen (also die Eingliederungshilfe) diesen Aufwand (§ 42a Abs. 6 S. 2 SGB XII). Diese Leistungen sind vom Eingliederungshilfeträger zu übernehmen (§ 113 Abs. 5 SGB IX). Praxistipp: Im Fall der die Angemessenheitsgrenze um mehr als 25 % übersteigenden Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft ist ein Antrag auf Übernahme dieser Kosten beim Träger der Eingliederungshilfe zu stellen. Da die Regelungen über die Zuständigkeit für die Fachleistung Eingliederungshilfe und die existenzsichernden Leistungen nicht identisch sind, können unterschiedliche Träger zuständig sein. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass die übersteigenden Kosten „automatisch“ vom Eingliederungshilfeträger übernommen werden. 4. Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen Nach § 19 Abs. 3 SGB XII in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung (a.F.) wurden Leistungen der Eingliederungshilfe nur gewährt, soweit der leistungsberechtigten Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nach Maßgabe der §§ 85 ff., 90 SGB XII nicht zumutbar war. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung waren lediglich „kleinere Barbeträge“ oder sonstige Geldwerte als Vermögen geschützt; diese beliefen sich nach § 1 der VO zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB IX a.F. auf 2.600 € für den Leistungsberechtigten selbst und 256 € für jede Person, die vom Leistungsberechtigten überwiegend unterhalten worden ist bzw. 614 € zusätzlich für den Ehegatten oder Lebenspartner. Weiteres Vermögen war nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn dessen Einsatz eine Härte bedeuten würde (§ 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII), was für Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel (also z.B. Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege) insb. dann der Fall war, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert wurde (§ 90 Abs. 3 S. 2 SGB XII). Diese Regelungen führten dazu, dass behinderte Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe benötigten, faktisch kein relevantes Vermögen ansparen konnten und auch mit dem behinderten Menschen zusammenlebende Ehe- oder Lebenspartner mit ihrem Einkommen und Vermögen für die Deckung behinderungsbedingter Aufwendungen aufzukommen hatten. Das dauerhafte Angewiesensein auf existenzsichernde Leistungen auch im Alter war damit vorprogrammiert. Seit 1.1.2020 nimmt das Gesetz für den Begriff des Einkommens auf die Regelungen des Steuerrechts Bezug (§ 135 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 2 Abs. 2 EStG) und sieht vor, dass von der leistungsberechtigten Person ein Beitrag zu den Aufwendungen (des Eingliederungshilfeträgers für die Fachleistungen) zu erbringen ist, wenn das Einkommen einen bestimmten Wert (abhängig von der Art des Einkommens eine Prozentzahl x der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV) übersteigt (§ 136 Abs. 2 SGB IX). Die Bezugsgröße für die alten Bundesländer beträgt seit 1.1.2020 38.220 €, für die neuen Bundesländer 36.120 €. ZAP Nr. 7 1.4.2020 365

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Neuerungen in der Eingliederungshilfe<br />

einem Anteil, der sich aus der für die Nutzung der Gemeinschaftsräume vorgesehenen Anzahl an<br />

Personen ergibt (Nr. 3). Zwischen der leistungsberechtigten Person und dem die Unterkunft überlassenden<br />

Leistungserbringer ist ein Vertrag über die Überlassung von Wohnraum zu schließen.<br />

Soweit sich der Leistungserbringer zugleich auch zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen<br />

verpflichtet, ist das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) weiterhin anwendbar<br />

(vgl. § 1 WBVG). Ansonsten gelten die §§ 549 ff. BGB. Vertraglich zu vereinbaren sind auch die in § 42a<br />

Abs. 5 S. 4 SGB XII benannten Zusatzkosten.<br />

Eine Durchbrechung der Trennung zwischen existenzsichernden Lebensunterhalts- und den Fachleistungen<br />

findet sich jedoch in § 42a Abs. 6 SGB XII: Denn übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen<br />

die Angemessenheitsgrenze um mehr als 25 %, umfassen die Fachleistungen (also die Eingliederungshilfe)<br />

diesen Aufwand (§ 42a Abs. 6 S. 2 SGB XII). Diese Leistungen sind vom Eingliederungshilfeträger zu<br />

übernehmen (§ 113 Abs. 5 SGB IX).<br />

Praxistipp:<br />

Im Fall der die Angemessenheitsgrenze um mehr als 25 % übersteigenden Aufwendungen für die Kosten<br />

der Unterkunft ist ein Antrag auf Übernahme dieser Kosten beim Träger der Eingliederungshilfe zu<br />

stellen. Da die Regelungen über die Zuständigkeit für die Fachleistung Eingliederungshilfe und die<br />

existenzsichernden Leistungen nicht identisch sind, können unterschiedliche Träger zuständig sein.<br />

Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass die übersteigenden Kosten „automatisch“<br />

vom Eingliederungshilfeträger übernommen werden.<br />

4. Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen<br />

Nach § 19 Abs. 3 SGB XII in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung (a.F.) wurden Leistungen der<br />

Eingliederungshilfe nur gewährt, soweit der leistungsberechtigten Person und ihren nicht getrennt<br />

lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und<br />

Vermögen nach Maßgabe der §§ 85 ff., 90 SGB XII nicht zumutbar war. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII<br />

in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung waren lediglich „kleinere Barbeträge“ oder sonstige Geldwerte als<br />

Vermögen geschützt; diese beliefen sich nach § 1 der VO zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9<br />

SGB IX a.F. auf 2.600 € für den Leistungsberechtigten selbst und 256 € für jede Person, die vom<br />

Leistungsberechtigten überwiegend unterhalten worden ist bzw. 614 € zusätzlich für den Ehegatten<br />

oder Lebenspartner. Weiteres Vermögen war nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn dessen Einsatz<br />

eine Härte bedeuten würde (§ 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII), was für Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel<br />

(also z.B. Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege) insb. dann der Fall war, soweit eine angemessene<br />

Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert<br />

wurde (§ 90 Abs. 3 S. 2 SGB XII). Diese Regelungen führten dazu, dass behinderte Menschen,<br />

die Leistungen der Eingliederungshilfe benötigten, faktisch kein relevantes Vermögen ansparen<br />

konnten und auch mit dem behinderten Menschen zusammenlebende Ehe- oder Lebenspartner mit<br />

ihrem Einkommen und Vermögen für die Deckung behinderungsbedingter Aufwendungen aufzukommen<br />

hatten. Das dauerhafte Angewiesensein auf existenzsichernde Leistungen auch im Alter<br />

war damit vorprogrammiert.<br />

Seit 1.1.<strong>2020</strong> nimmt das Gesetz für den Begriff des Einkommens auf die Regelungen des Steuerrechts<br />

Bezug (§ 135 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 2 Abs. 2 EStG) und sieht vor, dass von der leistungsberechtigten Person<br />

ein Beitrag zu den Aufwendungen (des Eingliederungshilfeträgers für die Fachleistungen) zu erbringen<br />

ist, wenn das Einkommen einen bestimmten Wert (abhängig von der Art des Einkommens eine<br />

Prozentzahl x der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV) übersteigt (§ 136 Abs. 2 SGB IX). Die<br />

Bezugsgröße für die alten Bundesländer beträgt seit 1.1.<strong>2020</strong> 38.220 €, für die neuen Bundesländer<br />

36.120 €.<br />

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