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ZAP-2020-07

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Fach 18, Seite 1722<br />

Neuerungen in der Eingliederungshilfe<br />

Sozialrecht<br />

II.<br />

Änderungen im Einzelnen<br />

1. Eingliederungshilfe ist antragsabhängig<br />

Seit 1.1.<strong>2020</strong> werden Leistungen der Eingliederungshilfe nur noch auf Antrag gewährt (§ 108 SGB IX);<br />

bislang genügte das Bekanntwerden eines Bedarfs (sog. Kenntnisgrundsatz, § 18 SGB XII). Der<br />

Gesetzgeber hat diese Änderung damit begründet, dass vor der Bewilligung einzelner Leistungen<br />

zunächst ein Gesamtplanverfahren (§§ 19, 21 SGB IX i.V.m. §§ 117 ff. SGB IX) durchzuführen sei, also ein<br />

strukturiertes Verfahren unter Beteiligung des behinderten Menschen und der verschiedenen<br />

Leistungsträger. Er geht davon aus, dass in diesem Verfahren auch auf eine Antragstellung hingewirkt<br />

wird (BT-Drucks 18/9522, S. 282 zu § 108). Auch wenn sicherlich dem behinderten Menschen keine<br />

Leistung gegen seinen Willen „aufgedrückt“ werden darf, ist doch das durch das BTHG erfolgte<br />

Abwenden vom Kenntnisgrundsatz als dem in der Sozialhilfe maßgeblichen Zugangskriterium für<br />

Leistungen ein Rückschritt und das Gegenteil des gesetzgeberischen Ziels, Leistungen – weiterhin –<br />

niedrigschwellig zugänglich zu machen. Der in der Gesetzesbegründung geschilderten „Problematik“,<br />

dass im Anwendungsbereich des Kenntnisgrundsatzes Leistungen erst ab Kenntnis, bei Antragstellung<br />

aber rückwirkend auf den Ersten des Antragsmonats zu erbringen seien, hätte bei einer vergleichbaren<br />

Rückwirkungsfiktion auch für den Monatsersten der Kenntniserlangung Rechnung getragen<br />

werden können.<br />

Probleme wird es sicherlich in der Übergangszeit geben: Wer schon laufende Leistungen der Eingliederungshilfe<br />

erhält, musste bei fortbestehendem Bedarf bislang nicht gesondert die Weitergewährung<br />

beantragen. Es genügte, dass der Sozialhilfeträger vom fortbestehenden Bedarf wusste.<br />

Da Leistungen der Eingliederungshilfe regelmäßig zeitabschnittsweise bewilligt werden, muss ein<br />

Fortzahlungsantrag gestellt werden, um Zahlungslücken zu vermeiden.<br />

Rechtlich noch nicht geklärt ist auch die Frage, wie zu verfahren ist, wenn in einem gerichtlichen<br />

Verfahren, das 2019 noch nicht abgeschlossen war, um den Anspruch auf eine Leistung selbst<br />

gestritten wird, also eine Leistung, die sich der behinderte Mensch noch nicht selbst beschafft hat, und<br />

bislang der Sozialhilfeträger den Anspruch abgelehnt hat (und deshalb Beklagter des Verfahrens<br />

ist). Da – einen Erfolg der Klage unterstellt – in diesem Moment der Sozialhilfeträger nicht mehr<br />

Rehabilitationsträger ist (vgl. §§ 6, 241 Abs. 8 SGB IX), sondern die Leistungen vom Träger der<br />

Eingliederungshilfe zu erbringen wären, sind verschiedene Lösungen denkbar. Denn eine gesetzgeberische<br />

Überlegung zu dieser Frage kann den Materialien nicht entnommen werden und Übergangsregelungen<br />

fehlen.<br />

Man könnte vertreten, der Eingliederungshilfeträger sei bloßer Funktionsnachfolger des Sozialhilfeträgers<br />

und würde daher auch in das noch laufende Verfahren eintreten – dann würde allenfalls<br />

das Rubrum eines Urteils entsprechend anzupassen sein (eine Klageänderung nach § 99 SGG liegt<br />

nicht vor; vgl. dazu nur BSG, Urt. v. 18.1.2011 – B 4 AS 108/10 R, BSGE 1<strong>07</strong>, 217) und verurteilt werden<br />

könnte der Träger der Eingliederungshilfe. Dies würde voraussetzen, dass man von einem unveränderten<br />

Inhalt der nun im 2. Teil des SGB IX geregelten Leistungen im Vergleich zu den §§ 53 ff.<br />

SGB XII ausginge (was in Bezug auf die Leistungserbringung in „stationären Einrichtungen“ –dazu<br />

unter 3 – fast ausgeschlossen scheint).<br />

Anders wäre es ggf. dann, wenn man den gesetzgeberischen Willen verfahrensrechtlich nachvollzieht:<br />

Er schaffte einen neuen Träger für neue Leistungen, die keine Fürsorgeleistungen mehr sind und die<br />

nur noch antragsabhängig erbracht werden – er macht also einen harten Schnitt. Dann hätten sich<br />

mit dem Entfallen der Zuständigkeit für Aufgaben der Eingliederungshilfe ab 1.1.<strong>2020</strong> die Bescheide des<br />

Sozialhilfeträgers ggf. erledigt (§ 39 SGB X) und – da es an einer Entscheidung des Trägers der<br />

Eingliederungshilfe über die dann neu zu beantragende Leistung fehlte – wäre die Klage abzuweisen.<br />

Entsprechende Fragen stellen sich auch im Zusammenhang mit § 14 SGB IX: Liegt mit dem Zu-<br />

360 <strong>ZAP</strong> Nr. 7 1.4.<strong>2020</strong>

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