ZAP-2020-07
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<strong>ZAP</strong><br />
Kolumne<br />
Kolumne<br />
Der Zugang zu Gerichtsentscheidungen<br />
Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist<br />
der Zugang zu aktuellen Gerichtsentscheidungen<br />
sehr wichtig, um ihre Mandanten richtig beraten<br />
zu können, aber auch, um Haftungsrisiken zu<br />
vermeiden.<br />
In vielen Verfahren sind die Entscheidungsgründe<br />
nicht nur im Einzelfall von Interesse, sondern<br />
betreffen eine Vielzahl von Fällen. Doch für viele<br />
Rechtsanwälte ist es schwierig, an Gerichtsentscheidungen<br />
zu kommen, oftmals blockiert die<br />
Gerichtsverwaltung den Zugang auch zu anonymisierten<br />
Entscheidungen, insb. mit dem Argument<br />
der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – und<br />
das obwohl bei einer ordentlichen Anonymisierung<br />
keine Namen genannt und oftmals auch zutreffende<br />
Verfremdungen des Sachverhalts vorgenommen<br />
werden.<br />
Auch für die Medien sind Gerichtsentscheidungen<br />
von hohem Interesse, wie gerade die Auseinandersetzung<br />
des Ehemanns der Bundesfamilienministerin<br />
mit dem Verwaltungsgericht Berlin<br />
gezeigt hat. KARSTEN GIFFEY hatte versucht, die<br />
Veröffentlichung des Urteils zu verhindern, in<br />
dem das VG Berlin entschieden hatte, dass er als<br />
Beamter aus dem öffentlichen Dienst wegen<br />
Arbeitszeit- und Reisekostenbetrugs entfernt<br />
wird. Mit klaren Worten hat das VG Berlin (Beschl.<br />
v. 27.2.<strong>2020</strong> – 27 L 43/20) dieses Ansinnen zu<br />
Recht abgelehnt.<br />
Die Entscheidung betrifft zwar nur den Zugang<br />
der Medien zu der Gerichtsentscheidung, das VG<br />
Berlin verweist aber auch auf einen vielen Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälten nicht bekannten<br />
Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom<br />
5.4.2017 (IV AR [VZ] 2/16).<br />
Der Leitsatz dieses Beschlusses soll noch einmal<br />
mitgeteilt werden:<br />
„In Zivilsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren<br />
nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte<br />
Abschriften von Urteilen und Beschlüssen<br />
erteilen, ohne dass dies den Anforderungen an die<br />
Gewährung von Akteneinsicht gem. § 299 Abs. 2<br />
ZPO unterliegt.“<br />
Der BGH begründet dies mit der öffentlichen<br />
Aufgabe der Gerichte, Gerichtsentscheidungen<br />
zu veröffentlichen. Fast schon gebetsmühlenartig<br />
wiederholen die Gerichte die Argumentation des<br />
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Stattgebender<br />
Kammerbeschl. v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15, NJW<br />
2015, 3708) und des Bundesverwaltungsgerichts<br />
(BVerwG, Urt. v. 26.2.1997 – 6 C 3/96, BVerwGE 104,<br />
105), die (auszugsweise) ausgeführt haben:<br />
„Aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht,<br />
dem Demokratiegebot und<br />
dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt grds. eine<br />
Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikationsveröffentlichung<br />
würdiger Gerichtsentscheidungen.<br />
… Der Bürger muss zumal in einer zunehmend<br />
komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung<br />
bringen können, welche Rechte er hat und welche<br />
Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten<br />
eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn<br />
annähernd vorhersehbar sein. Ohne ausreichende<br />
Publizität der Rechtsprechung ist dies nicht möglich.“<br />
Der BGH wie auch die beiden anderen obersten<br />
Gerichte BVerfG und BVerwG stellen klar, dass es<br />
zur Begründung der Pflicht der Gerichte, der<br />
Öffentlichkeit ihre Entscheidungen zugänglich<br />
zu machen und zur Kenntnis zu geben, bei der<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 7 1.4.<strong>2020</strong> 325