ZAP-2020-07

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Fach 11, Seite 1572 Elternunterhalt: Angehörigen-Entlastungsgesetz Familienrecht Beschl. v. 20.10.2015 – 18 UF 5/15, FamRZ 2016, 825). Weiter steht dem Elternteil ein Anspruch auf ein Taschengeld in Form der sozialrechtlich gewährten Barbeträge zu, also des angemessenen Barbetrags nach § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII (BGH, Urt. v. 21.10.2012 – XII ZR 150/10, FamRZ 2013, 203; BGH, Beschl. v. 17.6.2015 – XII ZB 458/14, FamRZ 2015, 1594 mit Anm. BORTH; BGH, Beschl. v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14, NJW 2016, 2122) sowie des Zusatzbarbetrags nach § 133a SGB XII (BGH, Urt. v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, FamRZ 2010, 1535). Denn der in einem Heim lebende Elternteil muss auch für seine persönlichen, von den Leistungen der Einrichtung nicht umfassten Bedürfnisse Geld zur Verfügung haben, denn sonst könnte er nicht etwa Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften und Schreibmaterial und sonstige Kleinigkeiten des täglichen Lebens bezahlen (BGH BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535 Rn 16; BGH, Urt. v. 7.7.2004 – XII ZR 272/02, FamRZ 2004, 1370; Urt. v. 15.10.2003 – XII ZR 122/00, FamRZ 2004, 366, 369 m.w.N). Voraussetzung eines Anspruchs auf Elternunterhalt ist weiter, dass der im Heim lebende Elternteil seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln decken kann. Folglich ist eigenes Einkommen des unterhaltsberechtigten Elternteils (Rente, Pension, Leistungen der Pflegeversicherung, ggf. Leistungen der Grundsicherung) zwar anzurechnen, genügt aber vielfach nicht, um diese regelmäßig anfallenden und recht hohen Kosten abzudecken. Auch vorhandenes Vermögen muss der Elternteil einsetzen, um die Kosten zu decken – bis das Vermögen verbraucht ist. In der Praxis kann auch die Schenkungsanfechtung eine Rolle spielen, wenn in der Vergangenheit Vermögen an Dritte verschenkt worden ist (hierzu BGH, Beschl. v. 20.2.2019 – XII ZB 364/18, NJW 2019, 1074). Reichen Einkünfte und Vermögen des Elternteils nicht aus, die Heimkosten zu decken, muss der Sozialleistungsträger einspringen und den unterhaltsrechtlichen Bedarf decken. Dann aber geht regelmäßig der vorhandene Anspruch auf Elternunterhalt gegen ein oder mehrere gem. § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB als Teilschuldner nach Maßgabe ihrer Erwerbs- und Vermögensverhältnisse (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.2003 – XII ZR 63/00, FamRZ 2004, 186) haftende Kinder des pflegebedürftigen Elternteils auf den Sozialleistungsträger über. Sind mehrere Kinder vorhanden, haften diese ggf. anteilig. Hier setzt das Angehörigen-Entlastungsgesetz ein. Die bisherigen Regelungen haben die sozialpolitische Frage, ob der Staat (und damit die Allgemeinheit) oder die Kinder für die Kosten pflegebedürftiger Menschen aufkommen müssen, zulasten der Kinder geregelt. Jetzt wird zumindest für die meisten zukünftigen Fälle die Frage zulasten des Staates entschieden. Denn dieser Anspruchsübergang auf den Sozialleistungsträger wird eingeschränkt auf diejenigen Fälle, in denen das unterhaltspflichtige Kind ein jährliches Bruttoeinkommen von 100.000 € oder mehr erzielt (§ 94 Abs. 1a SGB XII). Mit dieser Einkommensgrenze wird das gesamte Jahresbruttoeinkommen erfasst, so dass auch sonstige Einnahmen z.B. aus Vermietung, Verpachtung oder Wertpapierhandel als Einkommen im Sinne dieser 100.000 Euro-Grenze einbezogen werden müssen (zu den Detailfragen des Gesetzes s. DOERING-STRIENING/HAUß/SCHÜRMANN, FamRZ 2020, 137; SCHÜRMANN, FF 2020, 48; HAUß, FamRB 2020, 76). Dabei wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet (§ 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII). Folglich entfällt der Unterhaltsrückgriff des Sozialhilfeträgers bis zu einem Jahreseinkommen von 100.000 € automatisch. Vorhandenes Vermögen bleibt unberücksichtigt. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz gilt für Unterhaltsansprüche, die seit dem 1.1.2020 entstanden sind. Eine rückwirkende Anwendung der Regelungen erfolgt nicht. Daher können vom Sozialhilfeträger Ansprüche auf Elternunterhalt aus dem Zeitraum bis zum 31.12.2019 weiterhin ohne diese Einschränkungen durchgesetzt werden. 346 ZAP Nr. 7 1.4.2020

Familienrecht Fach 11, Seite 1573 Elternunterhalt: Angehörigen-Entlastungsgesetz Verfügt der Sozialleistungsträger über einen Titel über aktuell laufenden und zukünftigen Unterhalt, so sind Aktivitäten des darin verpflichteten Kindes erforderlich, um eine weitere Vollstreckung von Ansprüchen über den 1.1.2020 hinausgehend zu verhindern. Denn der Wegfall der Berechtigung infolge der für diesen Zeitraum nicht mehr greifenden Überleitung führt nicht zur automatischen Auflösung des Titels. Daher ist es zu empfehlen, dass der Unterhaltspflichtige den Leistungsträger umgehend zu einem Verzicht auf die Rechte aus diesem Titel und ggf. zur Herausgabe des Titels auffordert. Kommt der Sozialleistungsträger einer solchen Aufforderung nicht nach, ist ein gerichtliches Verfahren auf Abänderung des Unterhaltstitels der richtige Weg, die Aufhebung des Titels ab 1.1.2020 zu erreichen. Bei einem gerichtlichen Titel handelt es sich um ein Abänderungsverfahren nach § 238 FamFG, bei einer Unterhaltsvereinbarung oder bei einer einseitigen notariellen Unterhaltsverpflichtung um ein Verfahren nach § 239 FamFG. Der sachliche Grund für das Abänderungsbegehren ist die nachträgliche Änderung des Gesetzes. Der Abänderungsantrag des zu Unterhalt verpflichteten Kindes ist dann in den einschlägigen Fällen allein aufgrund dieser Gesetzesänderung begründet. Ein verfahrensrechtliches Risiko sollte nicht übersehen werden. Fehlt es an einem vorgerichtlichen Verzichtsverlangen, kann der Träger der Sozialleistungen im gerichtlichen Verfahren den Anspruch sofort anerkennen mit der Folge, dass die Verfahrenskosten dem Kind als Antragsteller des Abänderungsverfahrens auferlegt werden, da der Antragsgegner keine Veranlassung zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben hat (§ 243 S. 2 Nr. 4 FamFG). Ein solches Risiko besteht auch, wenn zuvor dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Kind als Antragsteller des Abänderungsverfahrens Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, denn die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe schützt nicht vor der Zahlungspflicht für die Kosten der Gegenseite. II. Keine Anwendung auf den Ehegattenunterhalt Auf Fälle des Ehegattenunterhalts findet das Gesetz keine Anwendung. Lebt also ein pflegebedürftiger Ehegatte im Pflegeheim (dazu BGH, Beschl. v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14, NJW 2016, 2122; s.a. OLG Celle, Beschl. v. 20.10.2015 – 18 UF 5/15, FamRZ 2016, 825) oder in einer Einrichtung des betreuten Wohnens (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 30.6. 2017 – 6 WF 105/17, FuR 2018, 98), so steht ihm ein Unterhaltsanspruch gegen seinen Ehegatten zu. Es handelt sich dabei um einen Fall des konkreten Bedarfs, bei dem sich der Bedarf des Ehegatten nicht nach einer Quote des Familieneinkommens bemisst, sondern konkret nach den anfallenden Heimkosten. Wird also in diesen Fällen der Bedarf des Heimbewohners vom Sozialamt gedeckt, geht der Unterhaltsanspruch weiterhin über und kann gegen den Ehegatten geltend gemacht werden, der sich seinerseits nur auf seinen Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle berufen kann. Dieser beträgt seit dem 1.1.2020 bei einem erwerbstätigen Ehegatten 1.280 € und bei einem nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen (Rentner) 1.180 €. III. Keine Änderung des Unterhaltsrechts Das Angehörigen-Entlastungsgesetz greift auch nicht in das Unterhaltsrecht selbst ein, sondern betrifft allein den sozialrechtlichen Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialleistungen. Erfolgt also kein Übergang des Elternunterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger, kann der pflegebedürftige Elternteil weiterhin sein Kind auch dann selbst in Anspruch auf Unterhalt nehmen, wenn es weniger als 100.000 € im Jahr verdient. Bei der Bemessung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des auf Zahlung in Anspruch genommenen Kindes sind dann dessen eigener Selbstbehalt von 2.000 € und ggf. derjenige seines Ehegatten von weiteren 1.600 € einzubeziehen, die in der Düsseldorfer Tabelle festgelegt sind. Allerdings konnte die Neuregelungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes noch nicht in die Selbstbehaltsätze der zum ZAP Nr. 7 1.4.2020 347

Fach 11, Seite 1572<br />

Elternunterhalt: Angehörigen-Entlastungsgesetz<br />

Familienrecht<br />

Beschl. v. 20.10.2015 – 18 UF 5/15, FamRZ 2016, 825). Weiter steht dem Elternteil ein Anspruch auf ein<br />

Taschengeld in Form der sozialrechtlich gewährten Barbeträge zu, also des angemessenen Barbetrags<br />

nach § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII (BGH, Urt. v. 21.10.2012 – XII ZR 150/10, FamRZ 2013, 203; BGH, Beschl.<br />

v. 17.6.2015 – XII ZB 458/14, FamRZ 2015, 1594 mit Anm. BORTH; BGH, Beschl. v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14,<br />

NJW 2016, 2122) sowie des Zusatzbarbetrags nach § 133a SGB XII (BGH, Urt. v. 28.7.2010 – XII ZR 140/<strong>07</strong>,<br />

FamRZ 2010, 1535). Denn der in einem Heim lebende Elternteil muss auch für seine persönlichen, von<br />

den Leistungen der Einrichtung nicht umfassten Bedürfnisse Geld zur Verfügung haben, denn sonst<br />

könnte er nicht etwa Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften und Schreibmaterial<br />

und sonstige Kleinigkeiten des täglichen Lebens bezahlen (BGH BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535<br />

Rn 16; BGH, Urt. v. 7.7.2004 – XII ZR 272/02, FamRZ 2004, 1370; Urt. v. 15.10.2003 – XII ZR 122/00, FamRZ<br />

2004, 366, 369 m.w.N).<br />

Voraussetzung eines Anspruchs auf Elternunterhalt ist weiter, dass der im Heim lebende Elternteil<br />

seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln decken kann. Folglich ist eigenes Einkommen des unterhaltsberechtigten<br />

Elternteils (Rente, Pension, Leistungen der Pflegeversicherung, ggf. Leistungen der<br />

Grundsicherung) zwar anzurechnen, genügt aber vielfach nicht, um diese regelmäßig anfallenden und<br />

recht hohen Kosten abzudecken.<br />

Auch vorhandenes Vermögen muss der Elternteil einsetzen, um die Kosten zu decken – bis das<br />

Vermögen verbraucht ist. In der Praxis kann auch die Schenkungsanfechtung eine Rolle spielen, wenn<br />

in der Vergangenheit Vermögen an Dritte verschenkt worden ist (hierzu BGH, Beschl. v. 20.2.2019 –<br />

XII ZB 364/18, NJW 2019, 1<strong>07</strong>4).<br />

Reichen Einkünfte und Vermögen des Elternteils nicht aus, die Heimkosten zu decken, muss der<br />

Sozialleistungsträger einspringen und den unterhaltsrechtlichen Bedarf decken. Dann aber geht<br />

regelmäßig der vorhandene Anspruch auf Elternunterhalt gegen ein oder mehrere gem. § 1606 Abs. 3<br />

S. 1 BGB als Teilschuldner nach Maßgabe ihrer Erwerbs- und Vermögensverhältnisse (vgl. BGH, Urt.<br />

v. 25.6.2003 – XII ZR 63/00, FamRZ 2004, 186) haftende Kinder des pflegebedürftigen Elternteils auf den<br />

Sozialleistungsträger über. Sind mehrere Kinder vorhanden, haften diese ggf. anteilig.<br />

Hier setzt das Angehörigen-Entlastungsgesetz ein. Die bisherigen Regelungen haben die sozialpolitische<br />

Frage, ob der Staat (und damit die Allgemeinheit) oder die Kinder für die Kosten pflegebedürftiger<br />

Menschen aufkommen müssen, zulasten der Kinder geregelt. Jetzt wird zumindest für<br />

die meisten zukünftigen Fälle die Frage zulasten des Staates entschieden. Denn dieser Anspruchsübergang<br />

auf den Sozialleistungsträger wird eingeschränkt auf diejenigen Fälle, in denen das unterhaltspflichtige<br />

Kind ein jährliches Bruttoeinkommen von 100.000 € oder mehr erzielt (§ 94 Abs. 1a<br />

SGB XII). Mit dieser Einkommensgrenze wird das gesamte Jahresbruttoeinkommen erfasst, so<br />

dass auch sonstige Einnahmen z.B. aus Vermietung, Verpachtung oder Wertpapierhandel als Einkommen<br />

im Sinne dieser 100.000 Euro-Grenze einbezogen werden müssen (zu den Detailfragen<br />

des Gesetzes s. DOERING-STRIENING/HAUß/SCHÜRMANN, FamRZ <strong>2020</strong>, 137; SCHÜRMANN, FF <strong>2020</strong>, 48; HAUß,<br />

FamRB <strong>2020</strong>, 76).<br />

Dabei wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen die Jahreseinkommensgrenze<br />

nicht überschreitet (§ 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII). Folglich entfällt der Unterhaltsrückgriff des<br />

Sozialhilfeträgers bis zu einem Jahreseinkommen von 100.000 € automatisch. Vorhandenes Vermögen<br />

bleibt unberücksichtigt.<br />

Das Angehörigen-Entlastungsgesetz gilt für Unterhaltsansprüche, die seit dem 1.1.<strong>2020</strong> entstanden sind.<br />

Eine rückwirkende Anwendung der Regelungen erfolgt nicht. Daher können vom Sozialhilfeträger<br />

Ansprüche auf Elternunterhalt aus dem Zeitraum bis zum 31.12.2019 weiterhin ohne diese Einschränkungen<br />

durchgesetzt werden.<br />

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