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„Es ist 30 Jahre nach zwölf“<br />
Die alternde Gesellschaft erfordert eine bevölkerungsbewusste Familienpolitik<br />
Der Anteil der alten Menschen<br />
in unserer Gesellschaft nimmt<br />
stetig zu. Doch noch gravierender<br />
ist, dass der Anteil der<br />
Jüngeren abnimmt. Seit 1972<br />
sterben in Deutschland jährlich<br />
mehr Menschen als geboren<br />
werden. Nachdem dieser Rückgang<br />
lange durch einen positiven<br />
Wanderungssaldo ausgeglichen<br />
wurde, kam es 2003<br />
erstmals zu einem Rückgang<br />
der Bevölkerung. Im Jahr 2030<br />
werden auf 100 Erwerbspersonen<br />
– nach heutigem Rentenrecht<br />
– 70 Rentner kommen,<br />
heute sind es 45.<br />
Verantwortlich für diesen Rückgang<br />
und die daraus folgenden<br />
Probleme für die Rentenversicherung<br />
ist die Generation der jetzt<br />
Vierzig- bis Fünfzigjährigen. Sie<br />
hat den schon in den 1960er Jahren<br />
vom ersten <strong>BKU</strong>-Geschäftsführer<br />
Wilfrid Schreiber geforderten<br />
Generationenvertrag nicht<br />
eingehalten, weil sie zu wenig<br />
Kinder geboren hat. Es ist konsequent,<br />
dass sie mit Rentenkürzungen<br />
und einem späteren Renteneintrittsalter<br />
zu rechnen hat.<br />
Denkbar wären zwar auch<br />
Beitragssteigerungen zur Rentenversicherung.<br />
Dies würde aber<br />
die Wirtschaft und die geschrumpfte<br />
mittlere Generation<br />
über Gebühr belasten, weil diese<br />
auch noch für die nachfolgende Generation<br />
aufzukommen hat. Sie<br />
hätte dann allein den Anstieg des<br />
Unterstützungsquotienten zu tragen.<br />
Auch eine höhere Steuerfinanzierung<br />
der Rentenversicherung<br />
würde vor allem die „Scharnier-Generation“<br />
treffen. Eine<br />
Überbelastung einzelner Generationen<br />
jedoch könnte zur Entsolidarisierung<br />
zwischen den Generationen<br />
führen.<br />
Auch die Krankenversicherung<br />
wird durch den Altersaufbau<br />
der Gesellschaft belastet. Denn<br />
mit dem demographischen Wandel<br />
steigt der Bedarf an Gesundheitsleistungen.<br />
Um die Krankenversicherung<br />
funktionsfähig zu<br />
halten, sind mehr Eigenbeteiligung<br />
und Zuzahlungen vorgesehen.<br />
Es widerspricht der Verteilungsgerechtigkeit,<br />
wenn die<br />
entstehenden Lasten fast ausschließlich<br />
von den Familien mit<br />
Kindern getragen werden. Hier ist<br />
eine energische Wende in der Familienpolitik<br />
gefordert, wie sie<br />
das Bundesverfassungsgericht seit<br />
Jahren einfordert. Die Kinderzahl<br />
muss bei der Renten- und Beitragsberechnung<br />
stärker zu Buche<br />
schlagen. Der Familienwissenschaftler<br />
Max Wingen hat darauf<br />
hingewiesen, dass das bestehende<br />
Rentenrecht eine „deutliche Prämierung<br />
von Kinderlosigkeit bedeutet“.<br />
Heute haben Kinderlose oft<br />
bessere berufliche Aufstiegschancen<br />
als Personen mit Kindern und<br />
erhalten dann auch noch im Alter<br />
die höheren Renten. Dagegen wer-<br />
den die Familien, die die sozialen,<br />
erzieherischen und wirtschaftlichen<br />
Leistungen für die nachfolgende<br />
Generation erbringen, im<br />
Alter noch mit geringeren Renten<br />
„bestraft“. Das bisherige Altersversorgungssystem<br />
ist pointiert als<br />
„Transferausbeutung“ bezeichnet<br />
worden.<br />
Um die langfristig wirkenden<br />
demographischen Prozesse tatkräftig<br />
anzugehen, muss Politik<br />
mehr als je zuvor vom Leitprinzip<br />
der Nachhaltigkeit bestimmt werden.<br />
Selbst wenn heute unerwartet<br />
die Geburtenziffern wieder<br />
steigen, ist mit einer Bevölkerungsabnahme<br />
in Deutschland zu<br />
rechnen. Der Anteil der über 60-<br />
Jährigen an der deutschen Bevölkerung<br />
würde sich selbst dann verdoppeln,<br />
wenn die Lebenserwartung<br />
nicht mehr zunähme. Nach<br />
dem Bevölkerungswissenschaftler<br />
Herwig Birg ist es „30 Jahre<br />
nach zwölf“. Diese Erkenntnis jedoch<br />
scheint unsere auf kurzfristige<br />
Wiederwahl setzenden Politiker<br />
zu überfordern. ➞<br />
<strong>BKU</strong>-Journal 3 2010 21<br />
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