MUSE - L'ART POUR L'ARTOeuvres Lara Diserens28 03.2020
DIE ANDEREText Maxine ErniFoto Valentina ScheiwillerToiletten TherapieDie WC-Kabinen an der Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg sind die perfekte Gelegenheit,sich von den bevorstehenden Prüfungen abzulenken. Die Klo-Kabinen sind vonoben bis unten mit Duzenden von Sprüchen und Zeichnungen von Studierenden tätowiert.Ich sitze unruhig an meinem Pult imBibliothekssaal der KUB. Ich bewegekaum mehr einen Finger und die Konzentrationist schon lange durch dieTür geflüchtet. Was kann man gegendiese Rastlosigkeit tun? Die WCs derKUB bieten hier die perfekte Ablenkung,denn die Kacheln, Türen undSpiegel der Männer und Frauen WCssind von oben bis unten mit Sprichwörternund amüsanten Zeichnungenbemalt. Die spassigen Sprüche undweisen Worte zaubern jeder Person,die sich kurz erleichtern will, ein Lächelnaufs Gesicht.FRAUENEMANZIPATIONgross geschriebenIch betrete das Damen WC im Untergeschossder Universitätsbibliothekund mir fallen Duzende von kleinenbis grossen Gekritzel und Wörtern insAuge. Die Erleichterung auf der Toilettekann noch kurz warten. Zuerstwill ich die Sprüche genauer unter dieLupe nehmen. «Die KUB, unser zweitesZuhause.» Es scheint, als verbringenunsere lieben Studentinnen vielZeit hier. Nur zu Recht, denn wie esaussieht, gibt es vieles, was die Frauenvon heute beschäftigt. Das Bedürfnisist da, es alles rauszulassen – wortwörtlich.So lese ich emanzipatorischeSprüche an den Kabinenwändenund finde vereinzelt Zeichnungen vonnackten Frauen. Eine Frau verewigtdiesen Satz auf einer der Kabinentüren:«Tampons sollen gratis sein!»In einem anderen Schriftzug stehtdarunter: «Kauf dir doch eine Menstruationstasse.»Ein weiter Schriftzugzeigt eine dritte Stimme, die sich insGespräch einklinkt: «Menstruationstassensollen gratis sein!» Anderswoteilen mir verschiedene Schriftzügemit, dass das Patriarchat gefallen sei.Jedoch kontert eine andere Schrift,dass Frauen vor toxischem Feminismusaufpassen sollten, bei dem dieFrau das männliche Geschlecht unterwerfenmöchte. Die Frau solle gleichgestelltzum Mann regieren. Ich fühlemich schon emanzipierter.Falls du dich alleine fühlstWenn das Leben einmal zu viel wirdoder das Lernen einen in den Wahnsinntreibt, hilft schon ein Besuch inder KUB. Vielleicht fühlt man sichgerade alleine mit seinen Problemenund sucht Aufmunterung. Da helfendie Weisheiten unser Kommiliton*innen,die man nicht einmal kennt. InspirierendeSprichwörter lassen meineAlltagssorgen verschwinden. «Vergissnie: Du bist schon so weit gekommenund keine der Herausforderungen,welchen du momentan gegenüberstehst,macht dich weniger zu dem,was du bist.» An einer Kachel unterdem Fenster werde ich aufgefordert,meine Ängste nicht zu füttern. Schonbald fühle ich mich bestärkt und dieSprüche scheinen auch bei anderenBesucherinnen Wirkung zu zeigen,denn ein Zitat an einer der Kabinentürendeutet dies klar an: «Ich kam,um auf der Toilette zu weinen und ichgehe selbstbewusster als zuvor raus.»Wer ein wenig Aufmunterung suchtund von seiner langweiligen Vorlesungslektüreaufschauen will, kannsich einfach eine halbe Stunde in dieKUB Toiletten setzen.Bitte nicht störenSinnloses Gekritzel an Wänden findetman überall. Doch je länger ichdie Kritzeleien betrachte, desto klarerwird mir, dass die Sprüche und Zeichnungenäusserst kreativ und humorvollsind. Eine Dame beklagt sich zumBeispiel darüber, dass Frauen Hemmungenhaben, ein grosses Geschäftauf öffentlichen Toiletten zu machen.Dabei sei es doch ganz normal. «Manist ja schliesslich auf der Toilette!»Eine andere Stimme fördert unser Allgemeinwissen:«Die grösste japanischePopulation ausserhalb von Japanlebt in Brasilien.» Spannend. Anderewollen einfach nicht gestört werden:«Don‘t bother me.» Ich stehe mittlerweileschon circa fünfzehn Minuten inden Toilettenkabinen und lese dieseSprüche durch. Lasst euch nicht mehrstören, ich sollte weiterlernen… ■03.202029