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ZAP-2020-06

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<strong>ZAP</strong><br />

Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />

6 <strong>2020</strong><br />

18. März<br />

32. Jahrgang<br />

ISSN 0936-7292<br />

Herausgeber: Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer • Rechtsanwalt beim<br />

BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln • Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für<br />

Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins •<br />

Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen • Rechtsanwalt<br />

Dr. Hubert W. van Bühren, Köln Begründet von: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider<br />

Inklusive<br />

<strong>ZAP</strong> App!<br />

Details unter: www.zap-zeitschrift.de/App<br />

AUS DEM INHALT<br />

Kolumne<br />

Causa Deutsche Bank versus Kirch zum letzten Mal (S. 279)<br />

Anwaltsmagazin<br />

Neuregelungen im März (S. 281) • BVerfG kippt Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (S. 282) •<br />

Petition für eine Novellierung des RVG (S. 286)<br />

Aufsätze<br />

Vyvers, Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017) (S. 297)<br />

Langohr‐Plato, Betriebsübergang und Betriebliche Altersversorgung (S. 307)<br />

Haas/Wolf, Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften (S. 315)<br />

Rechtsprechung<br />

KG: Kautionsrückzahlungsanspruch eines Mieters (S. 290)<br />

BGH: Schleusen in qualifizierten Fällen (S. 295)<br />

EuGH: Zuständigkeit des Gerichts des ersten Abflugorts (S. 296)<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer


Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />

Kolumne – – 279–280<br />

Anwaltsmagazin – – 281–288<br />

Rechtsprechung 1 38 289–296<br />

Vyvers, Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen<br />

2017 (ADSp 2017) 15 637–646 297–3<strong>06</strong><br />

Langohr‐Plato, Betriebsübergang und Betriebliche<br />

Altersversorgung 17 1381–1388 307–314<br />

Haas/Wolf, Steuerrecht und Gesellschaftsrecht: Grundlagen<br />

der Besteuerung der Kapitalgesellschaften 20 677–686 315–324<br />

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Redaktionsbeirat<br />

Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Leer/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />

Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />

Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />

Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RAuN Daniel Krause,<br />

Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />

Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />

beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG a.D. Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus,<br />

Gelsenkirchen • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Leer/Augsburg • Dr. Christian Deckenbrock, Köln • RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum •<br />

Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar • RA<br />

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • Prof. Dr. Martin<br />

Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Dr. Hans Reinold Horst, Hannover/Solingen • RA Günter Lange, Haltern • Dr. David<br />

Markworth, Köln • RA Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RA beim BGH Prof. Dr.<br />

Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. • PräsLG a.D. Kurt Schellhammer,<br />

Konstanz • RA Dr. Harald Schneider, Siegburg • RA Norbert Schneider, Neunkirchen • RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach •<br />

RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen • RA<br />

Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid.<br />

Impressum<br />

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />

schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />

Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />

Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />

(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />

dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />

Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />

Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 249,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />

ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />

Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail:<br />

service@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Astrid von Schweinitz (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Cordula Haak –<br />

Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />

Druck: Hans Soldan Druck GmbH, Essen. ISSN 0936-7292


<strong>ZAP</strong><br />

Kolumne<br />

Kolumne<br />

Causa Deutsche Bank versus Kirch zum letzten Mal – zugleich ein Beispiel<br />

zum Umgang mit „sicheren Indizien“<br />

Der Praktiker muss einmal mehr zur Kenntnis<br />

nehmen, dass die Beweiswürdigung stets so oder<br />

anders ausgehen kann. Ende Oktober 2019 ist das<br />

(strafrechtliche) Revisionsverfahren gegen die<br />

Vertreter der Deutschen Bank zu Ende gegangen<br />

(s. BGH, Urt. v. 31.10.2019 – 1 StR 219/17). Der<br />

1. Strafsenat am BGH behandelte eine Revision<br />

der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes<br />

Urteil des LG München I vom 25.4.2016 wegen<br />

Verdachts des versuchten Betrugs. Den Angeklagten<br />

ROLF BREUER, JOSEF ACKERMANN und JÜRGEN<br />

FITSCHEN war zum Vorwurf gemacht worden,<br />

falsche Aussagen im Schadenersatzprozess KIRCH<br />

gegen Deutsche Bank gemacht zu haben, mithin<br />

sich des versuchten Prozessbetrugs schuldig gemacht<br />

zu haben. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

war erfolglos.<br />

Zur Erinnerung: Am 3.2.2002 hatte BREUER,<br />

damals Vorstandssprecher der Deutschen Bank,<br />

in einem Fernsehinterview die Kreditwürdigkeit<br />

von KIRCHS angeschlagener Firmengruppe angezweifelt,<br />

d.h. auf KIRCH angesprochen, erwiderte<br />

BREUER: „Was alles man darüber lesen und hören<br />

kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf<br />

unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar<br />

Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Es können also<br />

nur Dritte sein, die sich ggf. für eine – wie Sie gesagt<br />

haben – Stützung interessieren.“ KIRCH ging im April<br />

2002 tatsächlich insolvent und machte BREUER<br />

dafür verantwortlich. Der XI. Senat des BGH<br />

hatte dies als Verletzung der aus dem Darlehensvertrag<br />

folgenden Interessenwahrungs-,<br />

Schutz- und Loyalitätspflicht angesehen und<br />

eine Haftung der Deutschen Bank dem Grunde<br />

nach bestätigt (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.20<strong>06</strong> – XI ZR<br />

384/03 Rn 4).<br />

In dem an das OLG München zurückverwiesenen<br />

Verfahren über die Höhe des Schadenersatzes<br />

ging es um die Frage, ob es Ziel des Interviews<br />

gewesen sei, die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe<br />

nachhaltig zu beseitigen, um dann deren Zerschlagung<br />

im eigenen Gewinninteresse der Deutschen<br />

Bank betreiben zu können. Da KIRCH, wie von<br />

BREUER angeblich gewollt und vorhergesehen, aufgrund<br />

von dessen Äußerungen im Interview vom<br />

3.2.2002 keine Eigen- oder Fremdmittel mehr<br />

habe einwerben können, hätten die wesentlichen<br />

Gesellschaften seiner Firmengruppe alsbald Insolvenz<br />

anmelden müssen, sodass BREUER eine Situation<br />

schaffen wollte, deren Auswirkung für die<br />

Kirch-Gruppe und das noch anzubietende Rettungsmandat<br />

der Deutschen Bank (mit Krediten/<br />

Verkäufen) sich umgangssprachlich mit „Friss oder<br />

stirb“ hätte beschreiben lassen.<br />

Mit anderen Worten: KIRCH sollte in eine Situation<br />

gebracht werden, in der ihm niemand mehr einen<br />

Kredit gewähren würde, bis auf die Deutsche Bank,<br />

die die Konditionen dann beliebig hätte festlegen<br />

können. Zum „Beweis“ eines solchen Plans nahm<br />

das OLG München u.a. an, dass es ein Treffen vom<br />

27.1.2002 mit dem damaligen Bundeskanzler gegeben<br />

hatte, bei dem es um die Frage ging, ob der<br />

mögliche Erwerb von Beteiligungen an der Kirch-<br />

Gruppe durch ausländische Investoren verhindert<br />

werden könnte, weiter gab es eine Vorstandssitzung<br />

vom 29.1.2002, bei der der Kirch-Gruppe<br />

ein „Beratungsmandat“ angetragen werden sollte,<br />

sowie um ein persönliches Gespräch zwischen<br />

KIRCH und BREUER vom 9.2.2002, bei dem KIRCH die<br />

Vorteile einer Umstrukturierung mithilfe der Deutschen<br />

Bank versus einer Insolvenz nahegebracht<br />

werden sollten. Nach der Beweiswürdigung des<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 279


Kolumne<br />

<strong>ZAP</strong><br />

OLG München sollte an KIRCH herangetreten werden,<br />

um zu klären, ob er die Deutsche Bank mit<br />

einem „Beratungsmandat“ bedenken würde (OLG<br />

München, Urt. v. 14.12.2012 – 5 U 2472/09 Rn 2<strong>06</strong>).<br />

BREUER habe diesen Auftrag der Deutschen Bank<br />

durch das o.g. Interview fördern wollen (OLG<br />

München, a.a.O., Rn 132, 235, 240). Die Beklagten<br />

sind der Annahme eines derartigen Auftrags entgegengetreten.<br />

In dem Protokoll der Vorstandssitzung<br />

vom 29.1.2002 heißt es: „DB has been asked,<br />

whether we could act as a mediator. … The Board felt<br />

that as a first step Mr. K should be approached with the<br />

question whether he would award us an advisory<br />

mandate“ (OLG München, a.a.O., Rn 130). Ein Zeuge<br />

meinte, dass dies so interpretiert werden müsse,<br />

dass in dem Fall, dass ein Dritter die Deutsche Bank<br />

frage, ob sie für den Dritten in Sachen KIRCH tätig<br />

werden könne, zuerst an KIRCH herangetreten<br />

werden sollte, um diesem die Chance zur Erteilung<br />

eines Gegenmandats zu geben. Dies solle sich aus<br />

der Bedeutung des „Perfekts“ im Englischen ergeben,<br />

was von weiteren Beteiligten auf Seiten der<br />

Deutschen Bank bestätigt worden war, aber sprachlich<br />

abwegig ist (OLG München, a.a.O., Rn 173,<br />

180 ff.). Deswegen meint das OLG: „Dass zwei<br />

Personen, die die englische Sprache ersichtlich gut<br />

beherrschen, übereinstimmend behaupten, dass eine<br />

bestimmte englische Textpassage etwas anderes bedeuten<br />

würde, als dies tatsächlich der Fall ist, ist nach<br />

Auffassung des Senats ein sicheres Indiz [Hervorh.<br />

d. Verf.] dafür, dass die entsprechende unwahre<br />

Darstellung zuvor abgesprochen wurde.“ (OLG München,<br />

a.a.O., Rn 186). Hätte es überdies keinen<br />

entsprechenden „Auftrag“ der Deutschen Bank gegeben,<br />

wäre das Gespräch vom 9.2.2002 ein<br />

Alleingang von BREUER gewesen, der entsprechende<br />

Reaktionen der übrigen Vorstandmitglieder<br />

nach sich gezogen hätte, die gerade ausgeblieben<br />

sind (OLG München, a.a.O., Rn 195).<br />

Nach Ansicht der Strafkammer des BGH gibt es<br />

dieses „sichere Indiz“ nicht. Es soll sich lediglich<br />

nachweisen lassen, dass sich die Angeklagten mit<br />

anwaltlicher Hilfe auf ihre Aussage vorbereitet<br />

hatten (vgl. Juve-Nachrichten vom 25.4.2016 – im<br />

Internet einsehbar unter: https://www.juve.de/nach<br />

richten/verfahren/2016/04/keine-beweise-fuer-prozess<br />

betrug-fitschen-co-erringen-freispruch-im-deutschebank-prozess).<br />

Nach Ansicht von RAUM, dem Vorsitzenden<br />

des 1. Strafsenats, soll es – jedenfalls<br />

nach dessen mündlicher Urteilsbegründung –<br />

schon „keinen erheblichen Verdacht“ für einen versuchten<br />

Prozessbetrug gegeben haben (Süddeutsche<br />

Zeitung vom 1.11.2019 – im Internet einsehbar<br />

unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deut<br />

sche-bank-nicht-abgesprochen-1.4664282).<br />

Der Fall zeigt einmal mehr, dass freie Beweiswürdigung<br />

weniger mit Rationalität, sondern<br />

mehr mit richterlicher Intuition und Glauben zu<br />

tun hat. Die Lehre für die Anwaltschaft muss sein,<br />

dass es „sichere Indizien“ kaum gibt und Beweiswürdigungen<br />

durch abweichende Würdigungen<br />

derselben Frage durch eine andere Gerichtsbarkeit<br />

durchaus zu anderen Ergebnissen führen<br />

können. Es gibt diverse Fallgestaltungen, die vor<br />

unterschiedliche Gerichtsbarkeiten gebracht werden<br />

können: Zum Beispiel kann der Eigentümer<br />

eines kontaminierten Grundstücks einen zivilrechtlichen<br />

Ausgleichsanspruch gem. § 24 Abs. 2<br />

BBodSchG vor die Zivilgerichte bringen, die identische<br />

Frage nach dem Zustandsstörer kann aber<br />

auch vor dem Verwaltungsgericht behandelt werden.<br />

Vor allem Strafverteidiger denken zu selten<br />

über zivilrechtliche Angriffsmöglichkeiten gegen<br />

Sachverständige (§ 839a BGB) oder sonstige Prozessparteien<br />

nach.<br />

Rechtsanwalt Dr. ANDREAS GEIPEL, München<br />

280 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Anwaltsmagazin<br />

Defizite beim Kampf gegen<br />

Steuerbetrug<br />

Die aktuelle Lage bei der Bekämpfung sog. Umsatzsteuerkarusselle<br />

ist nach Ansicht der Strafverfolgungsbehörden<br />

unbefriedigend. Innerhalb<br />

Deutschlands dauere es im Regelfall vier bis<br />

16 Wochen, um von den Banken Informationen<br />

zu Empfangskonten von Geldtransaktionen zu<br />

erhalten, erklärte ein Oberstaatsanwalt von der<br />

Staatsanwaltschaft München I in einem öffentlichen<br />

Fachgespräch des Bundestags-Finanzausschusses<br />

Mitte Januar. Erst dann könne die<br />

Staatsanwaltschaft an die Bank des Empfängerkontos<br />

herantreten, um dort die erforderlichen<br />

Informationen bzw. die Tatbeute sicherstellen zu<br />

lassen, sofern sie sich nach dieser langen Zeit<br />

noch auf dem Konto befinde und nicht bereits<br />

weiter transferiert worden sei.<br />

In der Europäischen Union erhalte man Kontoauskünfte<br />

i.d.R. innerhalb von 16 Wochen, von<br />

Drittstaaten frühestens nach einem Jahr, teilweise<br />

aber überhaupt nicht. Um die viel zu langen<br />

Reaktionszeiten der deutschen Banken auf Auskunftsersuchen<br />

der Staatsanwaltschaften zu verringern,<br />

sollte eine generelle Frist von zwei<br />

Wochen ins Gesetz aufgenommen werden, empfahl<br />

der Staatsanwalt. Auch sprach er sich dafür<br />

aus, die Befreiung von Existenzgründern von der<br />

monatlichen Umsatzsteuer-Erklärungspflicht einzuschränken.<br />

Wie Umsatzsteuerkarusselle funktionieren, erläuterte<br />

ein weiterer Steuerexperte in seiner<br />

Stellungnahme. Danach importiert ein „Missing<br />

trader“ netto aus einem anderen EU-Staat und<br />

verkauft brutto im Inland. Damit hinterziehe er je<br />

nach Steuersatz 17 bis 25 % Mehrwertsteuer und<br />

fülle auf Verbraucherkosten seine „illegale Kriegskasse“.<br />

Nach rund drei Monaten schließe er vor der<br />

ersten Kontrolle (Missing) das Geschäft, um<br />

woanders wieder aufzutauchen. Was gehandelt<br />

werde, sei irrelevant; es gehe nur um die Steuerhinterziehung.<br />

Ein Betrugskarussel baue auf<br />

„Missing trader“ als Grundbaustein auf. Über eine<br />

Kette werde dieselbe Ware mehrfach über EU-<br />

Grenzen gespielt und Mehrwertsteuer hinterzogen.<br />

Welche Waren für Umsatzsteuerkarusselle<br />

genutzt werden, schilderte ein Steuerfahnder aus<br />

Bonn: „Dauerbrenner“ seien der Auto- und Elektronikhandel,<br />

aber auch Schnaps, Wein und Sekt<br />

würden benutzt. Er wies darauf hin, dass die<br />

Karusselle nicht nur zu Ausfällen bei der Umsatzsteuer,<br />

sondern auch bei Ertragssteuern führen.<br />

Die Experten zeigten auch Möglichkeiten auf,<br />

den Umfang des Steuerbetrugs mit solchen<br />

Karussellen zu reduzieren: So wäre es möglich,<br />

die Empfänger der Waren zu Steuerschuldnern zu<br />

machen. Dann müsste der Empfänger die Umsatzsteuer<br />

nicht mehr an seinen Lieferanten,<br />

sondern direkt an den Fiskus zahlen. Denkbar<br />

seien auch Echtzeit-Verpflichtungen zur Meldung<br />

von Umsätzen, was im Zeitalter der Digitalisierung<br />

kein Problem darstelle.<br />

[Quelle: Bundestag]<br />

Neuregelungen im März<br />

In den vergangenen Wochen ist wieder eine<br />

Reihe von Neuregelungen in Kraft getreten. Sie<br />

betreffen vorwiegend das Waffenrecht, die Zuwanderung<br />

nach Deutschland sowie den Gesundheits-<br />

und Verbraucherschutz. Im Einzelnen:<br />

• Verschärfungen im Waffenrecht<br />

Mit einer Reihe von Verschärfungen im Waffenrecht<br />

soll künftig u.a. der vollständige Lebenszyklus<br />

einer Waffe dokumentiert werden. Dafür<br />

erhalten Hersteller neue Meldepflichten. Auch für<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 281


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

unbrauchbar gemachte Waffen wird eine Anzeigepflicht<br />

eingeführt. Die Neuregelung geht auf<br />

eine EU-Richtlinie zurück, die nach den Anschlägen<br />

von Paris und Brüssel beschlossen wurde. Das<br />

neue Waffenrechtsänderungsgesetz trat in wichtigen<br />

Teilen bereits am 20. Februar in Kraft. Seine<br />

übrigen Vorschriften treten im Laufe des Jahres in<br />

Kraft.<br />

• Fachkräftezuwanderung<br />

Ein neues „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ soll<br />

den Rahmen für eine gezielte und gesteigerte<br />

Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus<br />

Drittstaaten schaffen. Zielgruppe sind Personen<br />

mit einem Hochschulabschluss oder einer qualifizierten<br />

Berufsausbildung. So wurde etwa im Bereich<br />

der qualifizierten Beschäftigung zum 1. März<br />

die Vorrangprüfung aufgehoben. Bereits vorab hat<br />

die Bundesagentur für Arbeit ein Modellvorhaben<br />

gestartet, das Ausländer bei der Anerkennung von<br />

Berufsabschlüssen berät.<br />

• Masern-Impfpflicht<br />

Seit dem 1. März müssen Kinder und Erwachsene,<br />

die in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen<br />

und Kitas sowie in Gemeinschaftsunterkünften<br />

wie Asylbewerberheimen betreut werden, gegen<br />

Masern geimpft sein. Das gilt auch für Beschäftigte<br />

dieser Einrichtungen oder im medizinischen<br />

Bereich. Kinder ohne Masernimpfung können vom<br />

Besuch einer Kita ausgeschlossen werden. Mit<br />

dem neuen Gesetz soll in Deutschland eine Impfquote<br />

von mindestens 95 % erreicht werden; diese<br />

Quote gilt als erforderlich, um die Krankheit völlig<br />

zu eliminieren.<br />

• Förderung der Elektromobilität<br />

Bereits zum 19. Februar sind Änderungen bei der<br />

Förderung der Elektromobilität in Kraft getreten.<br />

Insbesondere wurde die Kaufprämie für Elektroautos<br />

erhöht; sie beträgt jetzt bis zu 6.000 €.<br />

Dieser erhöhte „Umweltbonus“ wurde im Rahmen<br />

der „Konzertierten Aktion Mobilität“ beschlossen.<br />

Er gilt bis Ende 2025 und auch rückwirkend für<br />

Fahrzeuge, die ab dem 5.11.2019 zugelassen wurden.<br />

Fahrzeugkäufer, die den Bonus in Anspruch<br />

nehmen wollen, können den entsprechenden Antrag<br />

beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />

(BAFA) stellen.<br />

• Mobilfunkrechnungen<br />

Für sog. Drittanbieter, die ihre Dienste über die<br />

Mobilfunkrechnung des Providers des jeweiligen<br />

Kunden abrechnen, gilt bereits seit dem 1. Februar<br />

eine zusätzliche Hürde: Laut einer Verfügung<br />

der Bundesnetzagentur vom Oktober 2019 dürfen<br />

sie ihre Dienste – etwa für Apps oder Abos – dem<br />

Kunden nur noch dann auf die Handyrechnung<br />

schreiben, wenn die Bestellung zuvor auf der<br />

Internetseite des Mobilfunkunternehmens gesondert<br />

bestätigt worden ist. Damit sollen Abbuchungen<br />

auf der Handyrechnung, die sich Verbraucher<br />

nicht erklären können, der Vergangenheit angehören.<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

BVerfG kippt Verbot der<br />

geschäftsmäßigen Sterbehilfe<br />

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat<br />

Ende Februar das 2015 eingeführte Verbot der<br />

geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) für<br />

verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das grundgesetzlich<br />

verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht,<br />

so die Richter, umfasse ein Recht auf<br />

selbstbestimmtes Sterben, das auch die Freiheit<br />

einschließe, sich das Leben zu nehmen und hierbei<br />

auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen<br />

(Urt. v. 26.2.<strong>2020</strong> – 2 BvR 2347/15, 2 BvR 2527/16,<br />

2 BvR 2354/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR<br />

651/16).<br />

Gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung<br />

der Selbsttötung hatten in Karlsruhe mehrere<br />

Vereine mit Sitz in Deutschland und in der<br />

Schweiz geklagt, die Suizidhilfe anbieten, ebenso<br />

einige schwer erkrankte Personen, die ihr Leben<br />

mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten,<br />

in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung<br />

tätige Ärzte sowie im Bereich suizidbezogener<br />

Beratung tätige Rechtsanwälte. Ihrer<br />

Argumentation, dass § 217 StGB das allgemeine<br />

Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1<br />

Abs. 1 GG) von zur Selbsttötung entschlossenen<br />

Menschen in seiner Ausprägung als Recht auf<br />

selbstbestimmtes Sterben verletze, hat sich jetzt<br />

der Zweite Senat des BVerfG angeschlossen.<br />

Der Entschluss zur Selbsttötung, so die Richter,<br />

betreffe Grundfragen menschlichen Daseins und<br />

berühre wie keine andere Entscheidung die<br />

Identität und Individualität des Menschen. Das<br />

Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse<br />

deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen<br />

lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen. Es<br />

282 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

erstrecke sich auch auf die Entscheidung des<br />

Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden.<br />

Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen<br />

Leben entsprechend seinem Verständnis von<br />

Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen<br />

Existenz ein Ende zu setzen, entziehe sich einer<br />

Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen,<br />

religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder<br />

für den Umgang mit Leben und Tod oder<br />

Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Dabei<br />

umfasse das Recht, sich selbst zu töten, auch<br />

die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen<br />

und diese Hilfe, soweit sie angeboten wird, in<br />

Anspruch zu nehmen.<br />

Aus diesem Grunde entfalte das in § 217 Abs. 1<br />

StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen<br />

Förderung der Selbsttötung eine objektiv die<br />

vorgeschilderte Freiheit zum Suizid einschränkende<br />

Wirkung. Dies mache es dem Einzelnen<br />

faktisch nahezu unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten.<br />

Die Richter erkennen zwar an, dass der<br />

Gesetzgeber mit § 217 StGB einen legitimen<br />

Zweck verfolgen wollte. So habe er zulässigerweise<br />

sowohl seiner staatlichen Schutzpflicht für<br />

das menschliche Leben als auch dem Anliegen<br />

nachkommen dürfen, zu verhindern, dass sich der<br />

assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale<br />

Form der Lebensbeendigung durchsetzt. So dürfe<br />

er durchaus einer Entwicklung entgegensteuern,<br />

welche die Entstehung sozialer Pressionen befördere,<br />

sich unter bestimmten Bedingungen,<br />

etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben<br />

zu nehmen.<br />

Der von ihm gewählte Weg eines vollständigen<br />

Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der<br />

Selbsttötung sei jedoch nicht angemessen, befanden<br />

die Richter. Die geschilderten legitimen<br />

Erwägungen des Gesetzgebers fänden ihre Grenzen<br />

dort, wo eine freie Entscheidung nicht mehr<br />

geschützt, sondern unmöglich gemacht werde.<br />

Denn der Verfassungsordnung des Grundgesetzes<br />

liege ein Menschenbild zugrunde, das von der<br />

Würde des Menschen und der freien Entfaltung<br />

der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung<br />

bestimmt sei. Dieses Menschenbild<br />

habe Ausgangspunkt jedes regulatorischen<br />

Ansatzes zu sein.<br />

Obwohl der Zweite Senat aus diesen Gründen<br />

die Vorschrift des § 217 StGB für nichtig, also<br />

nicht einmal für geltungserhaltend einschränkend<br />

auslegbar, erklärte, ging er nicht so weit,<br />

jegliche gesetzliche Regulierung der assistierten<br />

Sterbehilfe für unzulässig zu erklären. Eine gesetzliche<br />

Regelung müsse sich aber, so die<br />

Richter, an der Vorstellung vom Menschen als<br />

einem geistig-sittlichen Wesen ausrichten, das<br />

darauf angelegt sei, sich in Freiheit selbst zu<br />

bestimmen und zu entfalten. Zum Schutz der<br />

Selbstbestimmung über das eigene Leben stehe<br />

dem Gesetzgeber in Bezug auf organisierte<br />

Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten<br />

offen. Sie reichten von prozeduralen Sicherungsmechanismen,<br />

etwa gesetzlich festgeschriebenen<br />

Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte,<br />

die die Zuverlässigkeit von<br />

Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders<br />

gefahrträchtiger Erscheinungsformen<br />

der Suizidhilfe. Diese könnten auch im Strafrecht<br />

verankert werden.<br />

Das Urteil aus Karlsruhe ist bislang fast einhellig<br />

positiv kommentiert worden. Einige Kommentatoren<br />

sind der Auffassung, dass die neue Rechtslage<br />

auch unmittelbare Auswirkungen auf die<br />

derzeitige medizinische Praxis haben wird –<br />

entgegen einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts<br />

–, keine tödlichen Medikamente herauszugeben.<br />

Das BVerwG hatte zwar mit Urteil vom<br />

2.3.2017 (3 C 19.15) das strikte Verbot des Erwerbs<br />

von Medikamenten zur Selbsttötung etwas gelockert,<br />

insb. im Hinblick auf schwere und unheilbare<br />

Erkrankungen. Bislang wurde die Entscheidung<br />

jedoch noch nicht umgesetzt, weil das<br />

Bundesgesundheitsministerium das zuständige<br />

Bundesinstitut aufgefordert hatte, auch in Extremfällen<br />

den Erwerb solcher Medikamente<br />

nicht zu erlauben.<br />

[Red.]<br />

Pläne zur besseren Absicherung von<br />

Pauschalreisenden<br />

Die Bundesregierung will bis zum Ende des<br />

laufenden Geschäftsjahrs der Versicherungswirtschaft<br />

am 31. Oktober den Versicherungsschutz<br />

für Pauschalreisende neu regeln. Dazu müsse<br />

ein entsprechender Gesetzentwurf spätestens im<br />

Frühjahr vorliegen, äußerte kürzlich ein Vertreter<br />

des zuständigen Bundesministeriums der Justiz<br />

und für Verbraucherschutz (BMJV) im Tourismus-<br />

Ausschuss des Deutschen Bundestags. Seit Ende<br />

vergangenen Jahres liege das Gutachten einer<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 283


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Unternehmensberatung vor, in dem mehrere<br />

Modelle zur Diskussion gestellt würden. Darüber<br />

sei in den nächsten Tagen im Ministerium zu<br />

entscheiden, damit der Gesetzentwurf zeitnah<br />

auf den Weg gebracht werden könne.<br />

Die Verpflichtung der Tourismusbranche, ihre<br />

Kunden gegen Insolvenzrisiken abzusichern, und<br />

der Bundesregierung, dies gesetzlich zu regeln,<br />

ergibt sich aus einer EU-Richtlinie. Den Versicherungsschutz<br />

gewährleistet bisher die Zürich<br />

Gruppe, die nach geltender Rechtslage allerdings<br />

maximal bis zu einer jährlichen Obergrenze von<br />

110 Mio. Euro einspringen muss. Die Großpleite<br />

des Reiseanbieters Thomas Cook im vergangenen<br />

Jahr, die einer aktuellen Schätzung des<br />

Versicherers zufolge allein einen Schaden von<br />

287 Mio. Euro verursacht hat, hat diese Regelung<br />

indes als völlig unzureichend erwiesen. Über eine<br />

Reform wird seither verstärkt nachgedacht.<br />

Im Gespräch seien neben einer reinen Versicherungslösung,<br />

wie sie bisher gelte, zwei weitere<br />

Modelle, zum einen eine Fondslösung, bei der die<br />

Unternehmen der Branche in einen gemeinsamen<br />

Topf einzahlen würden, zum anderen eine Mischvariante<br />

aus beiden. Diese werde derzeit favorisiert,<br />

hieß es, wobei die Ausgestaltung noch offen<br />

sei. Denkbar sei, dass im Insolvenzfall die Versicherung<br />

die von den Kunden angezahlten oder<br />

vollständig geleisteten Buchungsentgelte erstatten<br />

könnte, während der Fonds die Kosten der<br />

Rückführung gestrandeter Urlauber zu finanzieren<br />

hätte. Möglich sei aber auch, die Versicherung<br />

den Gesamtschaden bis zu einer bestimmten<br />

Höhe tragen zu lassen, oberhalb derer dann der<br />

Fonds einspringen müsste.<br />

Die Geschädigten der Thomas-Cook-Pleite warten<br />

bisher noch auf ihr Geld. Die Rede sei von<br />

200.000 Buchungen und 500.000 Betroffenen,<br />

hieß es im Tourismusausschuss. Zugesagt sei<br />

ihnen, dass der Versicherer für 17,5 % des<br />

Schadens geradestehe, soweit er die Buchungsentgelte<br />

betreffe, und die Bundesregierung den<br />

Rest zuschieße. Strittig sei nach wie vor, ob der<br />

Versicherer auch Rückführungskosten zu tragen<br />

habe.<br />

Aus Sicht der Bundesregierung ist die Schadensabwicklung<br />

eine komplexe Operation, weshalb<br />

sie auch bisher noch nicht zum Abschluss habe<br />

kommen können. Dies liege an der „Masse verschiedener<br />

Fallkonstellationen“ wie auch an Datenschutzfragen,<br />

hieß es: „Wir wollen zwar schnell sein,<br />

aber hier in diesem Fall wollen wir sehr genau sein.“ Zu<br />

hoffen sei, dass in den nächsten Wochen ein<br />

Internet-Portal freigeschaltet werden könne, wo<br />

Betroffene Gelegenheit haben sollen, ihre Forderungen<br />

anzumelden und auch den Stand der<br />

Abwicklung zu verfolgen. [Quelle: Bundestag]<br />

DAV mahnt Nachbesserungen bei<br />

der WEG-Reform an<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich Mitte<br />

Februar nur teilweise zustimmend zu den Reformplänen<br />

des Bundesministeriums der Justiz<br />

und für Verbraucherschutz (BMJV) für ein neues<br />

Wohnungseigentumsgesetz (vgl. dazu zuletzt<br />

Anwaltsmagazin <strong>ZAP</strong> 2019, S. 942) geäußert. In<br />

seiner offiziellen Stellungnahme zum Referentenentwurf<br />

warnt er insb. vor erheblichen Risiken für<br />

die Wohnungseigentümer und kritisiert die geplante<br />

Beschneidung von Anwaltsgebühren.<br />

Die WEG-Reform beinhalte, so der DAV, einen<br />

Paradigmenwechsel in Richtung Gesellschaftsrecht,<br />

der für alle Beteiligten erhebliche Veränderungen<br />

mit sich bringe. Die Wohnungseigentümer<br />

würden künftig in weiten Bereichen ein<br />

Wohnungseigentum vorfinden, das sich von dem,<br />

das sie bisher hätten, deutlich unterscheide. Der<br />

Einzelne werde stark geschwächt, mit Leichtigkeit<br />

überstimmt und müsse daher viel mehr<br />

aufpassen. Ob eine dahingehende gesetzliche<br />

Änderung bei den Wohnungseigentümern als<br />

den am meisten betroffenen Personen auf Verständnis<br />

oder sogar Zustimmung stoßen werde,<br />

könne kaum angenommen werden. Denn der<br />

damit verbundene individuelle Rechtsverlust und<br />

das deutlich gestiegene finanzielle Risiko dürften<br />

kaum erklärbar sein.<br />

Das WEG werde künftig dem Gesellschaftsrecht<br />

angenähert. Die Verwaltung der Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

(WEG) obliege nun nicht<br />

mehr den Wohnungseigentümern, sondern nunmehr<br />

dem insoweit rechtsfähigen Verband. Der<br />

Verwalter erhalte eher die Stellung eines GmbH-<br />

Geschäftsführers, einzelne Eigentümer oder auch<br />

eine 49 %-Minderheit könnten gegen den Willen<br />

der (auch knappen) Mehrheit nicht mehr gegen<br />

Dritte vorgehen.<br />

284 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Auch wie ein Prozess, etwa ein Anfechtungsverfahren,<br />

zu führen sei, entscheide nunmehr der<br />

Verband. Diese Entscheidung müsse auf einer<br />

WEG-Versammlung erfolgen. An dieser habe aber<br />

auch der Kläger das Recht, teilzunehmen. Damit<br />

könne ohne dessen Kenntnis ein Verfahren nicht<br />

mehr besprochen, abgewickelt oder in sonstiger<br />

Weise beeinflusst werden. Zudem habe der Kläger<br />

auch im Fall seines Obsiegens die Kosten, die<br />

auf den Verband entfallen, anteilig mitzutragen.<br />

Das jedoch werde die Bereitschaft, einen Vergleich<br />

(mit einer gegenseitigen Kostentragung)<br />

zu schließen, gegen „null“ tendieren lassen. Denn<br />

der Kläger müsste dann nicht nur seine Rechtsanwaltskosten,<br />

sondern auch die des Verbands in<br />

der Höhe des auf ihn entfallenden Anteils tragen.<br />

Dies werde er als „Strafe“ empfinden. Eine Mehrbelastung<br />

der Gerichte werde damit nicht ausgeschlossen,<br />

sondern sogar gefördert.<br />

Auch der Schutz künftiger Erwerber werde<br />

aufgeweicht. So sei die WEG nach der bestehenden<br />

Rechtslage Verbraucher, wenn ein Mitglied<br />

Verbraucher ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.3.2015 –<br />

VIII ZR 109/14). Entstehe die WEG künftig mit dem<br />

Bauträger als einzigem Mitglied, so sei sie künftig<br />

kein Verbraucher mehr, solange nicht jedenfalls<br />

ein Käufer Mitglied geworden sei. Das ermögliche<br />

es dem Bauträger, „als WEG“ Verträge abzuschließen,<br />

die bislang unwirksam wären.<br />

Der Verwalter solle nach § 9b WEG-E nunmehr<br />

die Stellung eines Geschäftsführers mit nach<br />

außen uneingeschränkten Kompetenzen erhalten.<br />

Gleichzeitig werde ihm eine Organstellung<br />

i.S.d. Verbandsrechts eingeräumt. Für die Wohnungseigentümer<br />

habe dies zugleich aber einen<br />

Entzug von Kompetenzen zur Folge. Handele der<br />

Verwalter abweichend von eventuellen Vorgaben,<br />

seien die Eigentümer im Außenverhältnis mit<br />

allen sich daraus ergebenden Folgen gebunden<br />

und müssten insb. für eingegangene Verpflichtungen<br />

haften. Das Wohnungseigentum erweise<br />

sich damit bei einem unbedachten Verwalter als<br />

Risikoanlage. Denn die im Außenverhältnis entstehenden<br />

Folgen der umfassenden Vertretungsmacht<br />

ließen sich – anders als nach der bisherigen<br />

Rechtslage – im Regelfall nicht mehr beseitigen.<br />

Bemängelt werden vom DAV auch die Konsequenzen<br />

der Reform für die Anwaltschaft. Bei<br />

der Beschlussanfechtungsklage sei nach bisherigem<br />

Recht regelmäßig die sog. Mehrvertretungsgebühr<br />

auf Beklagtenseite angefallen, da<br />

die Klage gegen alle übrigen (einzelnen) Wohnungseigentümer<br />

zu richten war. Jetzt solle sich<br />

diese Klage gegen den Verband (also nur noch<br />

eine Partei) richten. Damit entfiele die Mehrvertretungsgebühr.<br />

Der DAV wendet sich ausdrücklich<br />

gegen die damit einhergehende massive<br />

Reduktion des anwaltlichen Gebührenaufkommens<br />

auf Beklagten-, sprich: Verbandsseite. Auch<br />

wenn sich die Beschlussanfechtungsklage künftig<br />

gegen den Verband richte, bleibe der Arbeitsaufwand<br />

für den Anwalt der Beklagtenseite (also<br />

auf der Seite des Verbands) unverändert hoch,<br />

weil die Wohnungseigentümer es sich weiterhin<br />

nicht nehmen lassen würden, ihre Rechte wahrzunehmen,<br />

und daher auch entsprechend informiert<br />

werden müssten. Ein Wegfall der bisherigen<br />

Mehrvertretungsgebühr sei deshalb keinesfalls<br />

gerechtfertigt.<br />

[Quelle: DAV]<br />

Geschlechtsangabe im<br />

Personenstandsrecht<br />

Um Personenstands- und Namensänderungen<br />

durch trans- und intergeschlechtliche Personen<br />

ging es in der Antwort der Bundesregierung<br />

auf eine Abgeordnetenanfrage (vgl. BT-Drucks<br />

19/17050).<br />

Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung<br />

haben seit Dezember 2018 die Möglichkeit,<br />

im Personenstandsregister neben den<br />

Geschlechtseinträgen „männlich“ und „weiblich“<br />

auch die dritte Option „divers“ zu wählen, und<br />

können anhand einer Erklärung im Standesamt<br />

ihren Vornamen ändern sowie die Angabe zu<br />

ihrem Geschlecht im Personenstandseintrag ersetzen<br />

oder streichen. In der Gesetzesbegründung<br />

zu § 45b PStG werde die Anwendbarkeit<br />

der neuen Regelung auf Menschen beschränkt,<br />

„deren Geschlecht über die vorgeschlagene Klassifikation<br />

,Variante der Geschlechtsentwicklung' definierbar<br />

ist“, argumentierten die anfragenden Abgeordneten.<br />

Damit seien transgeschlechtliche Personen<br />

von einer Personenstands- und Namensänderung<br />

nach § 45b PStG ausgeschlossen.<br />

Transgeschlechtliche Personen müssten ihren<br />

Personenstand und ihren Namen demnach weiterhin<br />

über das Transsexuellengesetz (TSG) von<br />

1981 anpassen lassen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 285


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Wie die Bundesregierung bestätigte, kann in<br />

Verfahren nach dem TSG der Geschlechtseintrag<br />

nicht gelöscht oder „divers“ gewählt werden. Wie<br />

sie weiterhin ausführt, hat der Gesetzgeber zur<br />

Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

im Personenstandsgesetz eine<br />

Regelung getroffen, die es Menschen mit Varianten<br />

der Geschlechtsentwicklung ermöglicht, neben<br />

den Angaben „weiblich“ oder „männlich“ auch<br />

„divers“ zu wählen. Hinsichtlich einer Reform des<br />

Transsexuellenrechts sei der politische Meinungsbildungsprozess<br />

innerhalb der Bundesregierung<br />

aber noch nicht abgeschlossen, heißt es in der<br />

Antwort weiter. [Quelle: Bundesregierung]<br />

Neuer Strafsenat am BGH in Leipzig<br />

Mitte Februar hat das Bundesministerium der<br />

Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den<br />

6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) errichtet.<br />

Gemeinsam mit dem schon in Leipzig<br />

eingerichteten 5. Strafsenat ist der neue Strafsenat<br />

in der Villa Sack in der Karl-Heine-Straße 12<br />

in Leipzig untergebracht. Dem neuen Strafsenat<br />

sind aufgrund Beschlusses des Präsidiums des<br />

BGH die Revisionen in Strafsachen für die Bezirke<br />

der Oberlandesgerichte Bamberg, Brandenburg,<br />

Braunschweig, Celle, Naumburg, Nürnberg und<br />

Rostock zugewiesen. Derzeit führt Herr Richter<br />

am BGH Prof. Dr. SANDER als stellvertretender Vorsitzender<br />

den 6. Strafsenat. Daneben gehören<br />

dem Senat sechs weitere Richterinnen und Richter<br />

an. Es versehen damit in beiden Strafsenaten<br />

insgesamt vier Richterinnen und zehn Richter<br />

des BGH ihren Dienst in Leipzig. Insgesamt<br />

sind für den BGH dort nunmehr 35 Beschäftigte<br />

tätig.<br />

Die Präsidentin des BGH, BETTINA LIMPERG, besuchte<br />

am 17. Februar die in Leipzig tätigen Richterinnen<br />

und Richter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

und begrüßte insb. die Mitglieder des<br />

neuen 6. Strafsenats: „Mit der Errichtung eines<br />

weiteren Strafsenats in Ausführung des Beschlusses<br />

des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages<br />

vom 8.11.2018 erfährt Leipzig als Ort des Rechts eine<br />

weitere Stärkung. Neben dem Bundesverwaltungsgericht<br />

residieren nunmehr zwei Strafsenate des<br />

Bundesgerichtshofs im Freistaat Sachsen.“ Zugleich<br />

betonte die Präsidentin, dass das Präsidium des<br />

BGH sowie die weiteren Gremien weiterhin daran<br />

arbeiten werden, trotz der räumlichen Entfernung<br />

zum Stammsitz in Karlsruhe eine enge<br />

Anbindung aller Dienste zu ermöglichen.<br />

[Quelle: BGH]<br />

Einführung der elektronischen Akte<br />

an den obersten Bundesgerichten<br />

Die Einführung der elektronischen Akte soll nun –<br />

nachdem sie für den Bereich des Straf- und<br />

Ordnungswidrigkeitenverfahrens bereits im vergangenen<br />

Jahr gesetzgeberisch vorbereitet wurde<br />

– auch bei den obersten Gerichten des Bundes<br />

in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten<br />

vorbereitet werden. Dazu hat<br />

das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz<br />

(BMJV) den Referentenentwurf<br />

für eine Verordnung über die elektronische<br />

Aktenführung bei den obersten Gerichten des<br />

Bundes nach § 298a ZPO, § 14 FamFG, § 46e<br />

ArbGG, § 65b SGG, § 55b VwGO und § 52b FGO<br />

vorgelegt. Der Entwurf enthält u.a. Regelungen<br />

zur Führung, zu Struktur und Format der Akten<br />

sowie zur Ausgestaltung der elektronischen Akteneinsicht.<br />

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat<br />

bereits ausdrücklich begrüßt, dass damit für die<br />

obersten Bundesgerichte die Möglichkeit geschaffen<br />

werde, die elektronische Akte bereits<br />

vor dem gesetzlich bestimmten Stichtag am<br />

1.1.2026 schrittweise einzuführen und zu erproben.<br />

So könne sichergestellt werden, dass das<br />

gesetzliche Ziel einer flächendeckenden elektronischen<br />

Aktenführung fristgerecht erreicht wird.<br />

Darin sieht die BRAK einen bedeutenden Schritt<br />

in Richtung eines medienbruchfreien elektronischen<br />

Rechtsverkehrs; sie hat zu einzelnen Regelungen<br />

im Entwurf allerdings auch eine Reihe<br />

von Änderungsvorschlägen gemacht.<br />

[Quelle: BRAK]<br />

Petition für eine Novellierung<br />

des RVG<br />

Der Kölner Anwaltverein fordert vom Gesetzgeber<br />

eine Novellierung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />

(RVG). Die Juristen des Vereins<br />

haben zu diesem Zweck im Februar eine Online-<br />

Petition gestartet, in der der Bundestag auf-<br />

286 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

gefordert wird, das RVG zu überarbeiten und die<br />

Gebühren anzuheben.<br />

Die Begründung der Petition stützt sich insb. auf<br />

den Umstand, dass Rechtsanwälte auch einkommensschwächeren<br />

Rechtssuchenden den Zugang<br />

zum Recht ermöglichen. Nicht jeder Bürger<br />

sei in der Lage, Anwaltskosten auf Grundlage des<br />

RVG oder gar einer Honorarvereinbarung aufzubringen.<br />

Aus diesem Grund gebe es in Deutschland<br />

für Personen mit geringem Einkommen ein<br />

staatlich finanziertes Hilfesystem aus Beratungsund<br />

Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe, wenn<br />

sie eine Rechtsberatung von einem Anwalt benötigen<br />

oder nicht in der Lage sind, einen Prozess<br />

selbst zu finanzieren bzw. sich gegen die Ansprüche<br />

eines anderen zu verteidigen.<br />

Durch diese vom Staat finanzierte Hilfe solle<br />

garantiert werden, dass keine finanzielle Diskriminierung<br />

im Bereich des Rechtsschutzes erfolge.<br />

Die Vergütung derjenigen Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte, die i.R.d. sozialstaatlichen Hilfsmaßnahmen<br />

für ihre Mandanten tätig würden,<br />

erfolge nach der Gebührentabelle des RVG. Diese<br />

Gebühren seien im Vergleich zu den individuellen<br />

Honoraren sehr niedrig und stellten viele selbstständige<br />

Anwälte mittlerweile vor ernste finanzielle<br />

Herausforderungen.<br />

Aus diesem Grund wollen die Petenten die Bevölkerung<br />

und die Politik hinsichtlich der Gefahr für<br />

den Rechtsstaat sensibilisieren und das Bewusstsein<br />

für die Garantie des Zugangs zum Recht auch<br />

für Menschen in prekärer Situation schärfen. Die<br />

niedergelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

würden, so die Petenten, solche Leistungen<br />

zukünftig nicht mehr im notwendigen Umfang<br />

erbringen können, wenn diese nicht das Auskommen<br />

garantieren.<br />

Die Online-Petition wird im Bundestag unter der<br />

Nummer 1<strong>06</strong>904 geführt. Sie kann noch bis zum<br />

26.3.<strong>2020</strong> unter der Internetadresse https://epeti<br />

tionen.bundestag.de/petitionen/_<strong>2020</strong>/_02/_07/Petiti<br />

on_1<strong>06</strong>904.nc.html mitgezeichnet werden.<br />

[Quelle: Bundestag]<br />

Expertenstreit um Pkw-Maut<br />

Vor dem 2. Untersuchungsausschuss im Bundestag<br />

(„Pkw-Maut“) haben Sachverständige Mitte<br />

Januar die Vorgänge rund um die gescheiterte<br />

Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen juristisch<br />

kontrovers beurteilt. In einer öffentlichen<br />

Zeugenvernehmung von Sachverständigen blieb<br />

insb. die Frage strittig, ob das Bundesverkehrsministerium<br />

bereits vor dem Urteil des Europäischen<br />

Gerichtshofs (EuGH) im Juni 2019 (vgl. dazu<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 479/2019) hätte vermuten können,<br />

dass die Pkw-Maut als nicht vereinbar mit dem<br />

europäischen Recht eingeschätzt würde.<br />

Dabei vertrat Prof. Dr. FRIEDEMANN KAINER von der<br />

Universität Mannheim die Ansicht, es hätten gute<br />

Gründe bestanden, die Maut nicht als diskriminierend<br />

einzuschätzen. Der EuGH hatte das Maut-<br />

Gesetz für rechtswidrig erklärt, da es Ausländer<br />

benachteilige. Gemäß dem Gesetz sollten zwar<br />

sowohl in- als auch ausländische Fahrzeughalter<br />

die Maut bezahlen müssen; inländischen Haltern<br />

wäre jedoch im Gegenzug die Kfz-Steuer mindestens<br />

i.H.d. Mautgebühr erlassen worden. KAINER<br />

argumentierte, es sei europarechtlich zwar nicht<br />

zulässig, Ausländer zu diskriminieren. Sehr wohl<br />

erlaubt sei es aber, eine Diskriminierung von<br />

Inländern auszugleichen. KAINER zufolge sind inländische<br />

Fahrzeughalter benachteiligt, da sie –<br />

anders als ausländische – KfZ-Steuer zahlen<br />

müssen.<br />

Dieser Einschätzung widersprach Prof. Dr. FRANZ<br />

C. MAYER von der Universität Bielefeld. In der<br />

Fachwelt habe mit großer Mehrheit die Einschätzung<br />

geherrscht, dass die Pkw-Maut in der<br />

vorgesehenen Form diskriminierend und deshalb<br />

nicht mit dem Europarecht vereinbar sei, betonte<br />

MAYER. Erstaunt zeigte er sich, dass das Verkehrsministerium<br />

keine Lehren aus der gescheiterten<br />

Maut gezogen habe. Der Vorgang, so MAYER,<br />

werfe die Frage nach dem Umgang mit juristischem<br />

Sachverstand bei politischen Entscheidungen<br />

auf.<br />

Ebenfalls zu einem juristischen Expertenstreit<br />

kam es in der zweiten Runde der mehrstündigen<br />

Zeugenvernehmung, die sich mit der Frage<br />

auseinandersetzte, ob das Verkehrsministerium<br />

gegen Haushaltsrecht verstoßen habe. Prof. Dr.<br />

ULRICH HUFELD von der Helmut-Schmidt-Universität/Universität<br />

der Bundeswehr Hamburg<br />

konstatierte dabei eine „Ermächtigungslücke im<br />

Haushalt von mehr als einer Milliarde Euro“. HUFELD<br />

bezog sich auf die Verpflichtungsermächtigung<br />

i.H.v. gut zwei Milliarden Euro, die der Bundestag<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 287


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

für das Haushaltsjahr 2018 beschlossen hatte. Das<br />

reichte zwar, um das finanziell reduzierte Angebot<br />

des Betreiberkonsortiums aus CTS Eventim<br />

und Kapsch TrafficCom abzudecken. HUFELD<br />

zufolge waren durch die Verpflichtungsermächtigung<br />

aber weder die variablen Vergütungen<br />

der Betreiber noch die Garantiezusagen im Fall<br />

der – dann tatsächlich eingetretenen – Kündigung<br />

des Vertrags aus ordnungspolitischen Gründen<br />

gedeckt.<br />

Diese Interpretation stellte Prof. Dr. CHRISTOPH<br />

GRÖPL von der Universität des Saarlandes in<br />

Zweifel. Er ließ durchblicken, dass er die Verpflichtungsermächtigung<br />

für ausreichend hält. Zudem<br />

sei keineswegs ausgemacht, dass das Konsortium<br />

Anspruch auf den entgangenen Gewinn für die<br />

gesamte Vertragslaufzeit habe.<br />

Auch in Bezug auf das Vergaberecht prallten<br />

unterschiedliche Einschätzungen aufeinander. Dr.<br />

MARCO NUNEZ MÜLLER von der Kanzlei Chatham<br />

äußerte erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit<br />

des Vergabeverfahrens. Insbesondere sei es unzulässig<br />

gewesen, nach Abgabe des finalen Angebots<br />

durch das Bieterkonsortium noch einmal<br />

über dieses Angebot zu verhandeln. Die gegenteilige<br />

Ansicht vertrat Dr. JAN ENDLER von der Kanzlei<br />

Linklaters: Da nur ein einziges finales Angebot<br />

abgegeben worden sei und die Mindestanforderungen<br />

des Beschaffungsgegenstands nicht<br />

verändert worden seien, sei es nicht erforderlich<br />

gewesen, auch diejenigen Bieter wieder in die Verhandlungen<br />

einzubeziehen, die sich zuvor zurückgezogen<br />

hatten.<br />

[Quelle: Bundestag]<br />

Personalia<br />

Anfang Januar des Jahres ist der bisherige Vorsitzende<br />

Richter am Bundessozialgericht (BSG)<br />

ERNST HAUCK in den Ruhestand getreten. HAUCK<br />

war lange Jahre in der nordrhein-westfälischen<br />

Sozialgerichtsbarkeit tätig, bevor er im Jahr 2005<br />

an das BSG berufen wurde. Hier gehörte er dem<br />

u.a. für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen<br />

1. Senat an, dessen stellvertretender<br />

Vorsitzender er im Januar 2011 wurde. Im August<br />

2016 wurde ERNST HAUCK zum Vorsitzenden Richter<br />

ernannt und führte sodann den 1. Senat bis zu<br />

seinem Eintritt in den Ruhestand. Von August<br />

2008 bis Ende September 2016 war er zudem<br />

Präsidialrichter des BSG. HAUCK ist seit 2012 auch<br />

Honorarprofessor an der Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg und zudem Herausgeber<br />

und Mitherausgeber von Kommentaren zu Gerichtsverfahren<br />

und -verfassung, Krankenversicherung<br />

und Pflegeversicherung.<br />

Ende Januar ist der Richter am Bundesverwaltungsgericht<br />

(BVerwG) Dr. STEPHAN GATZ nach<br />

mehr als 20-jähriger Tätigkeit am BVerwG in<br />

den Ruhestand getreten. Herr Dr. GATZ gehörte<br />

dem BVerwG seit 1999 an, wo er zunächst sowohl<br />

dem 10. Revisionssenat als auch dem 1. Disziplinarsenat<br />

angehörte. Im September 2001 wechselte<br />

er in den 4. Revisionssenat, dessen stellvertretender<br />

Vorsitzender er im März 2009<br />

wurde. Im Januar 2017 wurde Herr Dr. GATZ zudem<br />

zum Vorsitzenden Richter des Verwaltungssenats<br />

beim Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche<br />

in Deutschland berufen.<br />

Der ehemalige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(BRAK) AXEL FILGES ist am 7. Februar<br />

mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens<br />

der Bundesrepublik ausgezeichnet<br />

worden. Geehrt wurde er für seine zahlreichen<br />

Verdienste im Bereich der Anwaltschaft und des<br />

Rechtsstandorts Deutschland. So gründete er<br />

etwa das „Bündnis für das Deutsche Recht“ mit,<br />

das die Position des deutschen Rechts und den<br />

Rechtsstandort Deutschland im internationalen<br />

Wettbewerb der Rechtsordnungen stärkt. Während<br />

der Amtszeit als Präsident der BRAK unterzeichnete<br />

FILGES zudem ein Freundschaftsabkommen<br />

mit der Israel Bar Association, das den<br />

Austausch zwischen der deutschen und der israelischen<br />

Anwaltschaft nachhaltig gestärkt und<br />

gefördert hat. [Quellen: BSG/BVerwG/BRAK]<br />

288 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 31<br />

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Allgemeines Zivilrecht<br />

Vorschaden: Nachweis der fachgerechten Reparatur<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 12.12.2019 – 22 U 190/18) • Hat ein Fahrzeug einen Vorschaden im aktuellen<br />

Schadensbereich erlitten, muss der Geschädigte darlegen und beweisen, dass der Schaden fachgerecht<br />

repariert worden ist. Angesichts der Rechtsprechung des BGH zum Beweisantritt muss es allerdings<br />

ausreichen, wenn der Geschädigte ein detailliertes Schadensgutachten vorlegt und behauptet, dass die<br />

Reparatur entsprechend den dortigen Vorgaben erfolgt ist, damit das Gericht eine Beweisaufnahme<br />

durchzuführen hat. Kann der Geschädigte Ersatzteilrechnungen nicht vorlegen, ist ihm der entsprechende<br />

Beweis durch Zeugenvernehmung nicht abgeschnitten. Hinweis: Das LG hatte die angebotenen<br />

Zeugen zur Reparaturdurchführung nicht vernommen, sondern ein Gutachten eines Sachverständigen<br />

eingeholt. Der Sachverständige konnte nicht eindeutig feststellen, ob die Vorschäden fachgerecht<br />

repariert worden waren. Aus diesem Grund hatte das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen,<br />

dass die Klägerin eine ordnungsgemäße Reparatur entsprechend dem Sachverständigengutachten nicht<br />

ausreichend nachgewiesen habe. Damit hat das LG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt,<br />

indem es die angebotenen Zeugen zum Zustand des Fahrzeugs und den Reparaturvorgängen nicht<br />

gehört hat. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 117/<strong>2020</strong><br />

Kaufvertragsrecht<br />

Erwerb einer Eigentumswohnung: Wertstoffsammelstelle in der Nachbarschaft<br />

(OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.1.<strong>2020</strong> – I-21 U 46/19) • Eine in der Nähe einer vom Bauträger erworbenen<br />

Eigentumswohnung auf Anweisung der Stadt errichtete Wertstoffsammelstelle begründet keinen Sachmangel<br />

der Kaufsache i.S.v. § 437 BGB, weil die damit einhergehende Beeinträchtigung als sozialadäquat<br />

hinzunehmen ist. Der Bauträger ist nicht verpflichtet, den Erwerber der Eigentumswohnung vor Vertragsschluss<br />

über die geplante Aufstellung der Wertstoffsammelstelle aufzuklären, wenn es sich um<br />

eine für jedermann öffentlich zugängliche Information handelt, die jederzeit bei der Stadt abrufbar war.<br />

Hinweis: Der Abstand zwischen Sammelstelle und Wohnung betrug in diesem Fall 21,5 m. Eine<br />

Wertminderung der Wohnungen infolge der Entsorgungsanlage sah das Gericht nicht. Es könne<br />

nicht davon ausgegangen werden, dass ein Kaufobjekt grds. frei von jeglichen Umwelteinflüssen wie<br />

Geräuschemissionen und optischen Beeinträchtigungen ist. Derartige Beeinträchtigungen können<br />

vielmehr nur dann zu einer Abweichung von der Normalbeschaffenheit führen, wenn diese die Nutzung<br />

mehr als nur unwesentlich beeinträchtigen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 118/<strong>2020</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 289


Fach 1, Seite 32 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />

Miete/Nutzungen<br />

Kautionsrückzahlungsanspruch eines Mieters: Aufrechnung<br />

(KG, Beschl. v. 2.12.2019 – 8 U 104/17) • Erklärt der Vermieter gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch des<br />

Mieters die Aufrechnung mit einem Schadenersatzanspruch wegen Beschädigung der Mietsache, so setzt<br />

dies voraus, dass sich die Ansprüche vor Eintritt der Verjährung des Schadenersatzanspruchs nach § 548<br />

Abs. 1 BGB aufrechenbar gegenüberstanden (§§ 215, 387 BGB). Wegen der erforderlichen Gleichartigkeit<br />

der Ansprüche muss somit vor Eintritt der Verjährung ein Schadenersatzanspruch auf Zahlung bestanden<br />

haben. Der Schadenersatzanspruch wegen Verletzung des Integritätsinteresses des Vermieters durch<br />

Beschädigungen oder vertragswidrige Veränderungen der Mietsache während der Mietzeit erfordert zwar<br />

keine Fristsetzung nach § 281 BGB, da es sich nicht um einen vertraglichen Anspruch auf Wiederherstellung<br />

des ursprünglichen Zustands, sondern um einen Anspruch nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB<br />

und 823 BGB handelt (s. BGH, Urt. v. 28.2.2018 – VIII ZR 157/17 und Urt. v. 27.6.2018 – XII ZR 79/17). Jedoch ist<br />

der Schadenersatzanspruch aus §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 823 BGB zunächst auf Wiederherstellung der<br />

Sache gerichtet (§ 249 Abs. 1 BGB), sodass es auch insoweit an einer Aufrechnungslage fehlt, bis der<br />

Vermieter seine Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ausübt und statt der Herstellung den dafür<br />

erforderlichen Geldbetrag verlangt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 119/<strong>2020</strong><br />

Bauvertragsrecht<br />

Notarvertrag: Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung<br />

(OLG Rostock, Urt. v. 19.12.2019 – 3 U 62/18) • Angaben zur Beschreibung eines Grundstücks im Vorfeld<br />

des Vertragsschlusses, die im notariellen Vertrag keinen Niederschlag mehr finden, stellen in aller Regel<br />

keine Beschaffenheitsvereinbarung dar. Hinweis: In diesem Fall ging es um die Bebaubarkeit eines<br />

Grundstücks mit einer Kindertagesstätte. Eine Nichtigkeit des Vertrags kommt gem. § 125 BGB nur in<br />

Betracht, wenn die Parteien eine beurkundungsbedürftige Vereinbarung nicht in die Vertragsurkunde<br />

aufgenommen haben. Es kommt nicht darauf an, ob bei einem Grundstück eine Bebaubarkeit stets<br />

vorausgesetzt werden kann. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 120/<strong>2020</strong><br />

Immobiliarsachenrecht/WEG<br />

Vollzug einer Teilungserklärung: Vorläufige Untersagung<br />

(BGH, Beschl. v. 19.12.2019 – V ZB 145/18) • Das Grundbuchamt darf den Vollzug einer Teilungserklärung<br />

im Grundbuch nicht deshalb verweigern, weil dem teilenden Eigentümer die Begründung von Wohnungs-<br />

oder Teileigentum im Hinblick auf einen Beschluss über die Aufstellung einer Erhaltungsverordnung<br />

gem. § 15 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 172 Abs. 2 BauGB vorläufig untersagt worden ist; dabei kommt es<br />

nicht darauf an, ob die vorläufige Untersagung im Grundbuch eingetragen ist. Die vorläufige Untersagung<br />

der Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum gem. § 15 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 172 Abs. 2<br />

BauGB ist zivilrechtlich als behördliches Veräußerungsverbot i.S.v. § 136 BGB anzusehen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 121/<strong>2020</strong><br />

Unrichtig gewordenes Grundbuch: Tod eines GbR-Gesellschafters<br />

(OLG München, Beschl. v. 8.1.<strong>2020</strong> – 34 Wx 420/19) • Die Berichtigung des durch den Tod eines<br />

Gesellschafters bürgerlichen Rechts unrichtig gewordenen Grundbuchs setzt neben dem Nachweis des<br />

Versterbens eines bisherigen Gesellschafters und dem Nachweis der Erbfolge einen Nachweis des<br />

Inhalts des Gesellschaftsvertrags voraus. Wurde dieser privatschriftlich errichtet, kann die Vorlage dieses<br />

nicht der grundbuchrechtlichen Form entsprechenden Gesellschaftsvertrags genügen. Hinweis: Mit<br />

Zwischenverfügung hatte das Grundbuchamt darauf hingewiesen, dass der Eintragung das Fehlen von<br />

Berichtigungsbewilligungen aller verbliebener Gesellschafter und aller Erben entgegenstehe. Für einen<br />

Unrichtigkeitsnachweis nach § 22 GBO wäre nämlich der Gesellschaftsvertrag in der Form des § 29 GBO<br />

vorzulegen, was mangels notarieller Errichtung jedoch ausscheide. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 122/<strong>2020</strong><br />

290 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 33<br />

Bank- und Kreditwesen<br />

Darlehensvertrag: Transparenz einer qualifizierten Nachrangvereinbarung<br />

(BGH, Urt. v. 12.12.2019 – IX ZR 77/19) • Die Verwendung einer qualifizierten Rangrücktrittsklausel in einem<br />

Darlehensvertrag bewirkt eine Wesensänderung der Geldhingabe vom bankgeschäftstypischen Darlehen<br />

mit unbedingter Rückzahlungsverpflichtung hin zur unternehmerischen Beteiligung mit einer eigenkapitalähnlichen<br />

Haftungsfunktion. Diese Wesensänderung muss für die angesprochenen Verkehrskreise<br />

hinreichend deutlich zutage treten. Dem Transparenzgebot genügt eine qualifizierte Nachrangvereinbarung<br />

nur dann, wenn aus ihr die Rangtiefe, die vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre, deren Dauer<br />

und die Erstreckung auf die Zinsen klar und unmissverständlich hervorgehen. Die formularmäßige Klausel,<br />

wonach die Rückzahlung „maßgeblich“ davon abhängig sein soll, dass „dies die finanzielle Lage der Schuldnerin<br />

erlaubt“, lässt nicht erkennen, unter welchen konkreten Voraussetzungen keine Rückzahlung verlangt<br />

werden kann. Auch die Anknüpfung an die „Krise“ als Schüsselbegriff der Klauseln für den Ausschluss des<br />

Rückzahlungsanspruchs entbehrt der gebotenen Konkretisierung. Die unwirksame Vereinbarung eines<br />

qualifizierten Rangrücktritts lässt die Wirksamkeit des Darlehensvertrags im Übrigen unberührt. Hinweis:<br />

Die Beklagte dieses Verfahrens verwendete u.a. diese Klausel: „Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass es<br />

sich hier nicht um ein eigentliches Darlehen handelt, sondern um eine Sonderform, bei der kein unbedingter<br />

Rückzahlungsanspruch des Nachrangdarlehensgebers besteht, sondern dieser hinsichtlich Zins- und Rückzahlungsanspruch<br />

sowie hinsichtlich des Bonusanspruchs qualifiziert nachrangig ist und es sich insofern um bedingt<br />

rückzahlbare Gelder handelt.“ Erstaunlich ist, dass mit dieser Formulierung überhaupt Gelder eingeworben<br />

wurden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 123/<strong>2020</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Fahrstreifenwechsel: Wahlrecht des Voranfahrenden<br />

(KG, Urt. v. 18.11.2019 – 22 U 18/19) • Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende<br />

darf dem Voranfahrenden dessen Recht, zwischen mehreren markierten Fahrstreifen der Straße,<br />

in die abgebogen wird, zu wählen, nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern<br />

hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat. Das Wahlrecht des Voranfahrenden<br />

endet erst mit seiner endgültigen Einordnung in einen Fahrstreifen, d.h. i.d.R. frühestens 15 bis<br />

20 m nach dem Beginn der Fahrstreifenmarkierungen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 124/<strong>2020</strong><br />

Versicherungsrecht<br />

Fondsgebundener Lebensversicherungsvertrag: Rückabwicklung<br />

(KG, Urt. v. 10.1.<strong>2020</strong> – 6 U 158/18) • Dem Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung, der von<br />

seinem „ewigen“ Widerspruchsrecht gem. §§ 5a VVG a.F. Gebrauch macht, stehen im Rahmen seines<br />

Rückabwicklungsanspruchs gegen den Versicherer keine Nutzungen aus dem auf die Abschlusskosten<br />

entfallenden Prämienanteil zu. Diese stehen ihm nur insoweit zu, als dieser Prämienanteil nicht für<br />

anteilig auf den Vertrag entfallende Verwaltungskosten verbraucht wurde. Für die Schätzung der<br />

Nutzungen ist die Eigenkapitalrendite keine geeignete Schätzgrundlage. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 125/<strong>2020</strong><br />

Sonstiges Vertragsrecht<br />

Rekonstruktion eines Gefäßverschlusses: Ärztlicher Behandlungsfehler<br />

(OLG Hamm, Urt. v 19.11.2019 – 26 U 30/19) • In der Gefäßchirurgie gilt der Grundsatz: Eine akute<br />

Ischämie (Gefäßverschluss) ist akut zu behandeln. Wird der Versuch einer Rekanalisierung der Arterie<br />

nicht rechtzeitig unternommen, kann das als grober Behandlungsfehler zu werten sein. Das ist jedenfalls<br />

dann anzunehmen, wenn mit dem zögerlichen Verhalten dem Patienten die einzige Chance zum Erhalt<br />

einer Hand genommen wird. Für den Teilverlust der rechten Hand bei Entfernung des Daumens, des<br />

Zeigefingers und Teile des Mittelfingers kann ein Schmerzensgeld von 50.000 € angemessen sein.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 126/<strong>2020</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 291


Fach 1, Seite 34 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />

Familienrecht<br />

Scheidungsfolgenvereinbarung: Einschaltung eines Steuerberaters<br />

(BGH, Urt. v. 9.1.<strong>2020</strong> – IX ZR 61/19) • Berät ein Rechtsanwalt eine Mandantin im Zusammenhang mit einer<br />

Scheidungsfolgenvereinbarung, hat er sie auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters<br />

hinzuweisen, sofern sich bei sachgerechter Bearbeitung wegen der Übertragung von Grundeigentum eine<br />

steuerliche Belastung nach § 22 Nr. 2, § 23 EStG aufdrängen kann und er zu einer steuerrechtlichen<br />

Beratung nicht bereit oder imstande ist. Der durch eine fehlerhafte steuerliche Beratung verursachte<br />

Schaden umfasst die Kosten eines von dem Mandanten eingeholten Wertgutachtens, mit dessen Hilfe ein<br />

geringerer Verkehrswert eines für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Grundstücks nachgewiesen und<br />

die Steuerlast verringert werden kann. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt nicht, wenn<br />

der vernünftigerweise einzuschlagende Weg die Mitwirkung eines Dritten voraussetzt. Hinweis: In diesem<br />

Fall wurde für den aus der Übertragung eines Mietshauses erzielten Veräußerungsgewinn eine Steuer von<br />

rd. 19.000 € festgesetzt. Die steuerliche Belastung wäre gem. §§ 22 Nr. 2, 23 EStG vermeidbar gewesen,<br />

wenn die Klägerin ein anderes ihr gehörendes Mietshaus, für das die Spekulationsfrist bereits abgelaufen<br />

war, ihrem Ehemann übereignet hätte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 127/<strong>2020</strong><br />

Ausländische Entscheidung über rechtliche Elternschaft: Leihmutterschaft<br />

(KG, Beschl. v. 21.1.<strong>2020</strong> – 1 W 47/19) • Im Fall der sog. Leihmutterschaft hängt die Anerkennung einer<br />

ausländischen Entscheidung – hier des Superior Court of the State of California –, die die rechtliche<br />

Elternschaft – nur – dem Wunschvater zuweist und zugleich feststellt, die Leihmutter sei nicht rechtmäßiges<br />

Elternteil, nicht davon ab, dass der Wunschvater auch genetisch mit dem Kind verwandt ist. Ist<br />

die ausländische Entscheidung bereits vor der Geburt des Kindes ergangen, gebietet es der Grundsatz der<br />

Wahrheit der Personenstandsführung im Personenstandsrecht nicht, den Vornamen und Familiennamen<br />

der Leihmutter im Haupteintrag des Geburtsregisters zu verlautbaren (Abgrenzung zu Senat, Beschl. v.<br />

4.7.2017 – 1 W 153/16, FamRZ 2017, 1693). Hinweis: Die Leihmutter ist im personenstandsrechtlichen Verfahren<br />

zu beteiligen, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, sie habe<br />

das Kind freiwillig an den Wunschvater herausgegeben und wolle keine Elternstellung einnehmen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 128/<strong>2020</strong><br />

Nachlass-/Erbrecht<br />

Wirksamkeit eines Testaments: Testamentserrichtung auf einem Notizzettel<br />

(OLG München, Beschl. v. 28.1.<strong>2020</strong> – 31 Wx 229/19) • Der Wirksamkeit eines Testaments steht grds.<br />

nicht entgegen, dass es auf ungewöhnlichem Material (hier: Notizzettel minderer Qualität im Format<br />

10 cm x 7 cm) errichtet wurde (im Anschluss an OLG Bremen NJW-RR 2019, 583). Zur Ermittlung des<br />

Testierwillens in einem solchen Fall ist auf alle, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände<br />

zurückzugreifen. Erhebliches Gewicht kommt dem Umstand zu, wenn der Erblasser auch frühere Testamente<br />

auf ungewöhnlichem Papier errichtet hat. Ein Widerruf des Testaments durch bloßes Einreißen<br />

der Urkunde bedarf einer besonders sorgfältigen Würdigung aller Umstände. Insbesondere bei Papier<br />

minderer Qualität und geringer Größe kann jedenfalls (auch) eine bloß zufällige Beschädigung naheliegen<br />

(Anschluss an BayObLG FamRZ 1990, 1110). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 129/<strong>2020</strong><br />

Zivilprozessrecht<br />

Verkündungstermin: Anspruch auf Verlegung<br />

(BGH, Urt. v. 13.12.2019 – V ZR 152/18) • Beantragen die Parteien einvernehmlich die Verlegung eines<br />

Verkündungstermins, weil sie ernsthafte Vergleichsgespräche führen wollen, ist regelmäßig ein erheblicher<br />

Grund i.S.v. § 227 Abs. 1 ZPO gegeben; das Gericht darf bei dieser Sachlage jedenfalls keine<br />

Endentscheidung verkünden, sondern es muss den Termin verlegen und den Parteien zumindest Gelegenheit<br />

geben, gem. § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 130/<strong>2020</strong><br />

292 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 35<br />

Fristverlängerungsantrag: Befristung<br />

(BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – VIII ZA 4/19) • Bei einem Fristverlängerungsantrag, der sich bis zu einem<br />

bestimmten Datum richtet, ist regelmäßig nicht anzunehmen, dass abweichend vom Wortlaut eine nach<br />

den jeweiligen Vorschriften grds. mögliche weitergehende Fristverlängerung begehrt wird (im Anschluss<br />

an BGH, Beschl. v. 11.11.1993 – VII ZB 24/93, NJW-RR 1994, 568 unter II 1 a). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 131/<strong>2020</strong><br />

Niederschlagung von Gerichtskosten: Schwerer Verfahrensverstoß<br />

(OLG Celle, Urt. v. 12.2.<strong>2020</strong> – 14 U 178/19) • Ein schwerer Verfahrensverstoß, der gem. § 21 GKG eine<br />

Niederschlagung der Gerichtskosten rechtfertigt, ist zu bejahen, wenn mehrere Aufforderungen zur<br />

Überprüfung einer unrichtigen Rechtsauffassung missachtet werden und eine Partei hierdurch in eine<br />

begründete Berufung getrieben wird. Hinweis: Hier hatte die Klägerin eine Berichtigung des Tenors und<br />

des Tatbestands dahin beantragt, dass sie nur ein Schmerzensgeld i.H.v. 8.000 € insgesamt begehrt<br />

habe, das auch tatsächlich in dieser Höhe zugesprochen wurde, sodass es nicht zu einem Teilunterliegen<br />

gekommen sei. Die Einzelrichterin hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil die Kostenquote zutreffend<br />

berechnet worden sei unter Berücksichtigung des Streitwerts. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 132/<strong>2020</strong><br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

Kostenfestsetzungsverfahren: Erfüllungseinwand<br />

(KG, Beschl. v. 20.1.<strong>2020</strong> – 19 W 158/19) • Wird der Erfüllungseinwand im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

erhoben und trotz Gelegenheit zur Stellungnahme nicht bestritten, ist er entsprechend § 138 Abs. 3 ZPO<br />

unstreitig und damit beachtlich. Die Berücksichtigung des Erfüllungseinwands im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

setzt nicht voraus, dass der gesamte zur Festsetzung beantragte Betrag einschließlich Zinsen<br />

bezahlt wurde. Auch unstreitige Teilzahlungen sind von der Festsetzung auszunehmen. Erfüllt der Kostenschuldner<br />

im laufenden Kostenfestsetzungsverfahren nur die Hauptforderung, nicht aber die Zinsforderung,<br />

beschränkt sich der Kostenfestsetzungsbeschluss auf den Zinsausspruch.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 133/<strong>2020</strong><br />

Handels-/Gesellschaftsrecht<br />

Erstattungsanspruch einer GmbH: Keine Geltendmachung gegen einen Gesellschafter<br />

(BGH, Urt. v. 19.11.2019 – II ZR 233/18) • § 64 S. 1 GmbHG ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB<br />

(Bestätigung von BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, ZIP 2019, 1719 Rn 19). Der Gläubiger einer GmbH<br />

kann den Erstattungsanspruch der Gesellschaft nicht selbst unmittelbar gegen einen Gesellschafter<br />

verfolgen, auch nicht bei einem Verstoß gegen § 73 Abs. 1 GmbHG. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 134/<strong>2020</strong><br />

Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />

Internet-Bewertungsportal yelp: Bewertungsdarstellung von Unternehmen<br />

(BGH, Urt. v. 14.1.<strong>2020</strong> – VI ZR 496/18) • Die Anzeige des Bewertungsdurchschnitts und der Einstufung<br />

von Nutzerbewertungen als „empfohlen“ oder „nicht empfohlen“ in einem Bewertungsportal ist durch die<br />

Berufs- sowie Meinungsfreiheit geschützt; ein Gewerbetreibender muss Kritik an seinen Leistungen und<br />

die öffentliche Erörterung geäußerter Kritik grds. hinnehmen. Hinweis: Der unvoreingenommene und<br />

verständige Nutzer des Bewertungsportals entnimmt der Bewertungsdarstellung nach Ansicht des BGH<br />

zunächst, wie viele Beiträge die Grundlage für die Durchschnittsberechnung bildeten, und schließt<br />

daraus weiter, dass Grundlage für die Durchschnittsberechnung ausschließlich der „empfohlene“ Beitrag<br />

ist sowie dass sich die Angabe der Anzahl nur darauf bezieht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 135/<strong>2020</strong><br />

Vermittlung von Studienplätzen: Irreführende Werbung<br />

(OLG Köln, Urt. v. 17.1.<strong>2020</strong> – 6 U 101/19) • Eine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG liegt vor,<br />

wenn die Handlung bei der gebotenen objektiven Betrachtung dem Ziel der Förderung des Absatzes<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 293


Fach 1, Seite 36 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />

oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient. Das Tatbestandsmerkmal der geschäftlichen<br />

Handlung dient dazu, das Lauterkeitsrecht vom Deliktsrecht abzugrenzen; dazu muss funktional ein<br />

objektiver Zusammenhang zwischen der Handlung und einer geschäftlichen Entscheidung eines Verbrauchers<br />

bestehen oder die Handlung darauf gerichtet sein, den Absatz von Dienstleistungen des<br />

eigenen oder fremden Unternehmens zu fördern. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 136/<strong>2020</strong><br />

Arbeitsrecht<br />

Datenschutzbeauftragter: Sonderkündigungsschutz<br />

(BAG, Urt. v. 5.12.2019 – 2 AZR 223/19) • Der Sonderkündigungsschutz des Beauftragten für den<br />

Datenschutz nach § 4f Abs. 3 S. 5 BDSG in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung (a.F.) endet mit<br />

Absinken der Beschäftigtenzahl unter den Schwellenwert des § 4f Abs. 1 S. 4 BDSG a.F. Gleichzeitig<br />

beginnt der nachwirkende Sonderkündigungsschutz des § 4f Abs. 3 S. 6 BDSG a.F.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 137/<strong>2020</strong><br />

Sozialrecht<br />

Kassenzahnärztliche Vereinigung: Vorstandsdienstvertrag<br />

(BSG, Beschl. v. 11.12.2019 – B 6 A 1/19) • Allein der Umstand, dass eine Kassenzahnärztliche Vereinigung<br />

(KZÄV) Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, spricht nicht für die Einordnung eines Vorstandsdienstvertrags<br />

als öffentlich-rechtlicher Vertrag. Die Grundsätze der §§ 133, 157 BGB gelten auch für die<br />

Auslegung von Dienstverträgen (vgl. z.B. BAG, Urt. v. 12.1.2005 – 5 AZR 144/04, AP Nr. 69 zu § 612 BGB).<br />

Eine Regelung, die einem ehemaligen Vorstandsmitglied unmittelbar gegenüber einer KZÄV einen<br />

Anspruch auf Versorgungsleistungen einräumt, ist mit § 35a Abs. 6a S. 5 SGB IV i.V.m. § 79 Abs. 6 S. 1<br />

SGB V nicht vereinbar. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 138/<strong>2020</strong><br />

Verfassungs-/Verwaltungsrecht<br />

Offensichtlich unzulässige Verfassungsbeschwerde: Missbrauchsgebühr<br />

(BVerfG, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 BvR 2244/19) • Ein Missbrauch des Beschwerderechts liegt u.a. dann vor,<br />

wenn die Verfassungsbeschwerde in ihrer äußeren Form beleidigenden oder verletzenden Charakter<br />

aufweist und jegliche Sachlichkeit vermissen lässt. Hinweis: Dies war vorliegend der Fall. Die Beschwerdeführerin<br />

äußerte sich in herabsetzender Weise über die in den Ausgangsverfahren tätigen Gerichte<br />

und Richter sowie Gerichte in anderweitigen Verfahren und die Justiz im Allgemeinen. Ihre Ausführungen<br />

waren von abwegigen Vorwürfen und verschwörungstheoretischen Anwandlungen durchzogen.<br />

Als Rechtsanwältin hätte der Beschwerdeführerin nach Ansicht des BVerfG bekannt sein müssen, dass<br />

die Rechtsprechung auf das Verständnis und die Anerkennung durch den Bürger angewiesen ist.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 139/<strong>2020</strong><br />

Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit: Straftatbegehung<br />

(OVG NRW, Beschl. v. 8.1.<strong>2020</strong> – 4 B 1100/19) • Die Typik der in § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 GewO<br />

genannten vermögensrelevanten Straftatbestände indiziert nach dem klaren Willen des Gesetzgebers<br />

regelmäßig die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit. Die Regel kann nur aufgrund besonderer<br />

Umstände ausnahmsweise als widerlegt angesehen werden. Dafür muss der Erlaubnisinhaber<br />

Umstände vortragen, die trotz einer einschlägigen Verurteilung ausnahmsweise eine andere Beurteilung<br />

zulassen. § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 GewO differenziert nicht nach Straftaten, die im privaten oder<br />

im gewerblichen Bereich begangen wurden. § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 GewO dient der Umsetzung<br />

europarechtlicher Vorgaben. Nach den europarechtlichen Vorgaben ist eine einschlägige Eintragung im<br />

innerstaatlichen Strafregister – unabhängig davon, ob die Straftat im privaten oder gewerblichen Bereich<br />

begangen wurde – ein den guten Leumund bzw. die Zuverlässigkeit ausschließender Tatbestand.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 140/<strong>2020</strong><br />

294 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 37<br />

Steuerrecht<br />

Grunderwerbsteuer: Einheitlicher Erwerbsgegenstand<br />

(BFH, Beschl. v. 10.12.2019 – II B 20/19) • Ergibt sich bereits aus den zivilrechtlichen Vereinbarungen, dass<br />

Gegenstand des Erwerbs nicht das unbebaute, sondern das Grundstück in seinem (zukünftig) bebauten<br />

Zustand ist, sind die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Sie bilden zusammen<br />

mit dem Kaufpreis für das (noch) unbebaute Grundstück die Gegenleistung für den Erwerb des<br />

(zukünftig) bebauten Grundstücks. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 141/<strong>2020</strong><br />

Hamburgisches Spielvergnügungsteuergesetz: Zulässigkeit der Nachschau<br />

(BFH, Urt. v. 5.11.2019 – II R 15/17) • Die Spielvergnügungsteuer-Nachschau nach dem Hamburgischen<br />

Spielvergnügungsteuergesetz ist ohne Anlass zulässig. Die Nachschau erlaubt dem Finanzamt die<br />

Auslesung der Daten von Spielgeräten mithilfe eigener Auslesegeräte sowie deren Speicherung. Die<br />

zeitnahe bauartbedingte Löschung des Datenspeichers im Spielgerät hindert die Auswertung der ausgelesenen<br />

Daten nicht. Inhaltliche Bedenken gegen die Ausleseergebnisse sind tatsächlich zu würdigen.<br />

Hat das FA den Spieleinsatz exakt ermittelt, ist der Ansatz der entsprechenden Bemessungsgrundlage<br />

keine Schätzung. Die Anmeldung der Spielvergnügungsteuer steht einer Steuerfestsetzung unter dem<br />

Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Das Hamburgische Spielvergnügungsteuergesetz ist verfassungsund<br />

unionsrechtskonform. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 142/<strong>2020</strong><br />

Strafsachen/Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

Schleusen in qualifizierten Fällen: Strafbarkeit der Beihilfe<br />

(BGH, Urt. v. 14.11.2019 – 3 StR 561/18) • Ein Schleusungswilliger, der sich gegenüber einem Schleuser bereit<br />

erklärt, fluchtwillige Frauen und Kinder aufgrund kultureller Gegebenheiten zu begleiten, zu unterstützen<br />

und als Ansprechpartner zu fungieren, macht sich wegen Beihilfe zum Einschleusen mit Todesfolge<br />

strafbar, wenn es aufgrund eines Bootsunglücks zum Tod der Frauen und Kinder kommt. Dabei kommt es<br />

nicht darauf an, ob der Flüchtling selbst ebenfalls geschleust wird. Hinweis: Hier hatte der BGH über eine<br />

vergleichsweise unbekannte Regelung im Aufenthaltsgesetz zu befinden, die aber nach einfacher Subsumtion<br />

eindeutig besagt, dass in bestimmten qualifizierten Fällen der Einschleusung auch ein Beihelfer<br />

bestraft werden kann. Ob vom Schutzbereich dieser Regelung nur Erwachsene oder auch Kinder erfasst<br />

werden, hat der BGH offengelassen, da dies nicht entscheidungserheblich war. Die Zuständigkeit der<br />

deutschen Gerichtsbarkeit, obschon es um von einem Ausländer im Ausland begangene Taten geht, ergibt<br />

sich im Übrigen aus § 96 Abs. 4 AufenthG. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 143/<strong>2020</strong><br />

Geldwäsche: Bedingter Vorsatz<br />

(KG, Urt. v. 26.9.2019 – [2] 121 Ss 11/19 [18/19]) • Hat ein Angeklagter angesichts der Gesamtumstände<br />

erkannt, dass die Geldbeträge illegaler Herkunft sind, begründen diese Feststellungen ein wesentliches<br />

Indiz dafür, dass der Angeklagte auch willentlich gehandelt hat (§ 261 StGB). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 144/<strong>2020</strong><br />

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter<br />

(LG Dortmund, Beschl. v. 11.2.<strong>2020</strong> – 43 Qs 5/20) • Der Irrtum über den Grenzwert der absoluten<br />

Fahruntüchtigkeit bei der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter ist ein vermeidbarer Verbotsirrtum.<br />

Die Regelvermutung für die Entziehung der Fahrerlaubnis in § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird bei einer<br />

Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter insb. dann nicht widerlegt, wenn die Blutalkoholkonzentration<br />

über dem selbst für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert von 1,6 ‰ liegt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 145/<strong>2020</strong><br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Zustellungsurkunde: Beweiskraft<br />

(OLG Hamm, Beschl. v. 4.2.<strong>2020</strong> – 2 RVs 5/20) • Die Beweiskraft der gem. §§ 166–195 ZPO aufgenommenen<br />

Zustellungsurkunde erstreckt sich nicht auch darauf, dass der Zustellungsadressat unter der<br />

Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 146/<strong>2020</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 295


Fach 1, Seite 38 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />

Pflichtverteidigerbestellung: Beschwerde<br />

(KG, Beschl. v. 1.11.2019 – 2 Ws 165/19) • Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Fortbestand der<br />

Pflichtverteidigerbestellung für einen Mitangeklagten ist mangels Beschwer unzulässig.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 147/<strong>2020</strong><br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei: Vergütungsanspruch<br />

(BGH, Urt. v. 28.11.2019 – IX ZR 239/18) • Die Ansprüche des Abwicklers einer Rechtsanwaltskanzlei auf<br />

Vergütung für seine Tätigkeit stellen keine Masseverbindlichkeiten dar. Bürgerlich-rechtliche Rechtsbeziehungen<br />

zwischen dem Kanzleiabwickler und dem ehemaligen Rechtsanwalt bestehen nach<br />

Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Rechtsanwalts nicht zulasten der Masse fort,<br />

soweit der ehemalige Rechtsanwalt als Auftraggeber anzusehen ist. Ein Dienstvertrag des Schuldners,<br />

der kein Dauerschuldverhältnis begründet, besteht nicht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Dies<br />

gilt auch für Anwaltsverträge. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 148/<strong>2020</strong><br />

Gebührenrecht<br />

Zwischenurteil: Keine Ermäßigung der Verfahrensgebühr<br />

(OLG Köln, Beschl. v. 20.1.<strong>2020</strong> – 17 W 220/19) • Ein Zwischenurteil über die Leistung einer Prozesskostensicherheit<br />

steht einer Ermäßigung der gesetzlichen Verfahrensgebühr entgegen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 149/<strong>2020</strong><br />

Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts: Regelung eines zuvor streitigen Anspruchs<br />

(OLG München, Beschl. v. 15.1.<strong>2020</strong> – 24 U 1530/19) • Wird durch einen Vergleich ein Anspruch der<br />

Klagepartei gegen einen Dritten mit abgegolten, kann dies zu einem Vergleichsmehrwert nur führen,<br />

wenn der Anspruch zuvor streitig war. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 150/<strong>2020</strong><br />

EU-Recht/IPR<br />

Annullierung eines Teilflugs: Zuständigkeit des Gerichts des ersten Abflugorts<br />

(EuGH, Beschl. v. 20.2.<strong>2020</strong> – C-6<strong>06</strong>/19) • Bei Flügen, für die eine bestätigte einheitliche Buchung<br />

vorliegt und die in mehreren Teilflügen von verschiedenen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden,<br />

kann der wegen Annullierung des letzten Teilflugs bestehende Ausgleichsanspruch vor den Gerichten<br />

des Abflugorts des ersten Teilflugs geltend gemacht werden. Hinweis: Der streitgegenständliche Flug<br />

umfasste drei Teilflüge: Der erste Teilflug von Hamburg nach London wurde von British Airways<br />

durchgeführt; die beiden übrigen, der eine von London nach Madrid und der andere von Madrid nach<br />

San Sebastian, wurden von Iberia durchgeführt. Das AG Hamburg zweifelte an seiner Zuständigkeit für<br />

die Entscheidung über den Rechtsstreit, der den annullierten Teilflug betrifft, da der Abflug- und der<br />

Ankunftsort dieses Teilflugs, nämlich Madrid bzw. San Sebastian, jeweils außerhalb seiner Zuständigkeit<br />

liegt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 151/<strong>2020</strong><br />

<strong>ZAP</strong>-Service: Die <strong>ZAP</strong> Rechtsprechung kann und soll nur eine stark komprimierte Wiedergabe der Originaltexte sein. Die<br />

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296 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 637<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Handelsrecht<br />

Logistikrecht<br />

Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017)<br />

Von Rechtsanwalt, Speditionskaufmann und Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht CARSTEN<br />

VYVERS, Frankfurt a.M.<br />

Inhalt<br />

I. Die ADSp 2017 – das prägende Bedingungswerk<br />

für Transport- und Speditionsunternehmer<br />

II. Hinweispflicht auf den Inhalt einzelner<br />

Ziffern der ADSp 2017<br />

III. Die 32 Ziffern der ADSp 2017 in der Zusammenfassung<br />

I. Die ADSp 2017 – das prägende Bedingungswerk für Transport- und Speditionsunternehmer<br />

Auch wenn es sich bei Branchen-AGB wie den Allgemeinen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017) um<br />

eine Spezialmaterie zu handeln scheint, sollte deren Bedeutung für die alltägliche Bearbeitung nicht unterschätzt<br />

werden. Der Bundesverband Spedition und Logistik e.V. (DSLV) wirbt damit, als Spitzen- und<br />

Bundesverband zusammen mit seinen 16 regionalen Landesverbänden die verkehrsträgerübergreifenden<br />

Interessen von etwa 3.000 Speditions- und Logistikdienstleistungsbetrieben zu repräsentieren, die insgesamt<br />

605.000 Beschäftigte und einen jährlichen Branchenumsatz i.H.v. über 110 Milliarden Euro aufweisen.<br />

Hinzu kommen weitere Verbände wie der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V.<br />

(BGL) und der Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik e.V. (BWVL). Der Transport-, Speditionsund<br />

Logistiksektor bildet mittlerweile die drittgrößte Branche Deutschlands. Es lohnt sich daher nach<br />

hiesiger Auffassung, einen genaueren Blick auf die Standardbedingungen des Gewerbes zu werfen.<br />

Die ADSp 2017 werden seit dem 1.1.2017 von diversen Beteiligten entlang der gesamten Transportkette zur<br />

Anwendung empfohlen. Zu den an den Verhandlungen beteiligten und die ADSp 2017 unterstützenden<br />

Verbänden zählen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesverband Großhandel,<br />

Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), der BGL, der Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ),<br />

der BWVL, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der DSLV und der Handelsverband<br />

Deutschland (HDE). Die Zahl der Nutzer liegt damit deutlich höher als bei vorangegangenen Fassungen.<br />

Die ADSp 2003 waren lediglich verhandelt und empfohlen worden vom BDI, BGA, DSLV, DIHK und HDE;<br />

die ADSp 2016 waren entwickelt und empfohlen worden vom DSLV allein.<br />

Die Chance, bei der Bearbeitung von Transport-, Speditions- und Lagerverträgen oder hiermit in Zusammenhang<br />

stehenden Dienstleistungen auf die ADSp 2017 zu treffen, ist daher recht hoch. Der folgende<br />

Beitrag soll den Inhalt der ADSp 2017 kurz zusammenfassen und auf mögliche Probleme bei der<br />

Rechtsanwendung hinweisen.<br />

Ähnlich wie bei den Incoterms, wo man zur besseren Unterscheidbarkeit jeweils eine Jahreszahl<br />

hinzufügt (bspw. Incoterms 2010 oder nun auch Incoterms <strong>2020</strong>), wird seit den ADSp 2016 auch bei den<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 297


Fach 15, Seite 638<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

ADSp eine Jahreszahl hinzugefügt. Die Jahreszahl kennzeichnet dabei den Beginn des Jahres, ab<br />

welchem die jeweilige Fassung zur Anwendung empfohlen wird. Wie eingangs gesehen, werden die<br />

ADSp 2017 ab dem 1.1.2017 zur Anwendung empfohlen.<br />

Praxistipp:<br />

Um unnötige Diskussionen, welche Fassung der ADSp konkret Vertragsbestandteil geworden ist, und<br />

damit ggf. einhergehende Haftungsrisiken zu vermeiden, sollte man die gewünschte Fassung der ADSp<br />

konkret bezeichnen.<br />

II. Hinweispflicht auf den Inhalt einzelner Ziffern der ADSp 2017<br />

Auch wenn im kaufmännischen Verkehr grds. mit einer Leistungserbringung auf Basis von Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen gerechnet werden muss und der Einbezug mitunter recht einfach erfolgen mag,<br />

gilt dies im Transport- und Speditionsbereich nur eingeschränkt.<br />

Es gibt nämlich in den §§ 449 Abs. 2, 466 Abs. 2 HGB eine Spezialregelung, wonach Frachtführer und<br />

Spediteure zwar mit Hilfe von Allgemeiner Geschäftsbedingungen Abweichungen von der gesetzlichen<br />

Grundhaftung von Sonderziehungsrechten (SZR) 8,33 je Kilogramm treffen können, sie gleichzeitig<br />

jedoch dazu verpflichtet sind, den Vertragspartner hierauf „in geeigneter Weise“ hinzuweisen. Was der<br />

Gesetzgeber hiermit genau gemeint hat, ist leider unklar. Obergerichtliche Rechtsprechung hierzu<br />

existiert noch nicht.<br />

Der BGH verlangte zu § 449 Abs. 2 Nr. 1 HGB a.F. eine qualifizierte Information durch den ADSp-<br />

Verwender (Urt. v. 23.1.2003 – I 174/00, NJW 2003, 1397 f.). Begründet wurde dies u.a. damit, dass an den<br />

damaligen Verhandlungen nicht alle potenziellen Nutzer beteiligt gewesen sind. Die Frage, ob man aus<br />

Gründen der Praktikabilität davon ausgehen könne, dass für die Einbeziehung der ADSp 1998 als unter<br />

den Marktbeteiligten ausgehandelte und damit gemeinsam festgestellte Vertragsordnung der strenge<br />

Maßstab des § 449 Abs. 2 Nr. 1 HGB a.F. nicht gelten würde, musste der BGH daher nicht entscheiden.<br />

Die Dienstleister behalfen sich daher damit, neben einem generellen Hinweis auf die Leistungserbringung<br />

auf Basis der ADSp 2003 noch den Inhalt der Ziffer 23 ADSp 2003 zu wiederholen:<br />

„Wir arbeiten ausschließlich auf Basis der ADSp, neuester Fassung. Diese beschränken in Ziffer 23 ADSp die<br />

gesetzliche Haftung für Güterschäden nach § 431 HGB für Schäden im speditionellen Gewahrsam auf 5 Euro je<br />

Kilogramm, bei multimodalen Transporten unter Einschluss einer Seebeförderung auf 2 SZR je Kilogramm sowie<br />

ferner je Schadenfall bzw. -ereignis auf 1 Mio. Euro bzw. 2 Mio. Euro oder 2 SZR je Kilogramm, je nachdem, welcher<br />

Betrag höher ist.“<br />

Zwar wird nachvollziehbarerweise mit Blick auf die Vielzahl der nun an den Verhandlungen beteiligten<br />

Verbände die Auffassung vertreten, das vom BGH erwähnte Kriterium der gemeinsam festgestellten<br />

Vertragsordnung sei nun (wieder) erfüllt, ob der BGH dies im Streitfall jedoch tatsächlich bestätigen<br />

wird, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend bewertet werden.<br />

Praxistipp:<br />

Es wird daher aus anwaltlicher Vorsicht empfohlen, mindestens mit folgendem Text auf die ADSp 2017 zu<br />

verweisen:<br />

„Wir arbeiten ausschließlich auf Basis der ADSp 2017. Wir verweisen vorsorglich auf die von der gesetzlichen Grundhaftung<br />

abweichenden Haftungsregelungen in den Ziffern 22–25 ADSp 2017.“<br />

Die vorgenannten Ziffern der ADSp 2017 sollten überdies noch drucktechnisch hervorgehoben werden.<br />

Wenn der Nutzer sich dazu noch von seinem (Neu-)Kunden schriftlich den Erhalt bzw. das Einverständnis<br />

mit einer Leistungserbringung auf Basis der ADSp 2017 bestätigen lassen würde, wäre dies natürlich ideal.<br />

298 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 639<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

III.<br />

Die 32 Ziffern der ADSp 2017 in der Zusammenfassung<br />

Ziffer 1 ADSp 2017<br />

Die Ziffer enthält eine Erläuterung verschiedener, im Rahmen der ADSp 2017 immer wieder auftauchender Begrifflichkeiten.<br />

Die Begriffe sind oftmals altbekannt. Sie wurden ähnlich bereits in den ADSp 2003/2016 verwendet.<br />

Neu – und zurückzuführen auf die erstmalige Mitwirkung des BGL – ist die Erweiterung des Begriffs<br />

des Frachtführers auf den des Lohnfuhrunternehmers. Eigentlich ist der Lohnfuhrunternehmer dazu<br />

verpflichtet, seinem Auftraggeber ein Fahrzeug nebst Fahrer zur Verfügung zu stellen. Der Auftraggeber<br />

entscheidet dann über die Art und Weise der Transportdurchführung. Mangels Obhut am Gut scheidet<br />

eine Anwendung der transportrechtlichen Regelungen der §§ 407 ff. HGB auf den Lohnfuhrunternehmer<br />

u.U. aus (BGH, Beschl. v. 4.4.2016 – 1 ZR 102/15, jPR VersR v. 14.6.2016). Ob die Rechtsprechung dieser<br />

Regelung der ADSp 2017 daher folgt und den Lohnunternehmer wie den Frachtführer i.S.d. §§ 407 ff.<br />

HGB behandelt, muss daher abgewartet werden.<br />

Beträgt der Wert einer Sendung mehr als 100 Euro je Kilogramm, hat der Auftraggeber den Dienstleister<br />

hierauf in jedem Fall gesondert hinzuweisen. Dies stellt ebenfalls eine Abweichung von der<br />

bisherigen Rechtsprechung dar. Aus § 254 BGB hat der BGH (Urt. v. 1.12.2005 – 1 ZR 265/03, NJW-RR<br />

20<strong>06</strong>, 1108; Urt. v. 21.1.2010 – 1 ZR 215/07, NJW-RR 2010, 909) die Pflicht des Versenders hergeleitet, den<br />

Dienstleister auf das Drohen eines ungewöhnlich hohen Schadens gesondert hinzuweisen. Dies soll<br />

immer dann erforderlich sein, wenn der drohende Schaden dem Zehnfachen der gesetzlichen oder<br />

vertraglich vereinbarten Grundhaftung entspricht. Kommt der Auftraggeber dem nicht nach, kann sein<br />

Anspruch bis auf Null heruntergekürzt werden (BGH, Urt. v. 3.7.2008 – 1 ZR 132/05, NJW-RR 2009, 173).<br />

Vermutlich dürfte der ein oder andere Auftraggeber jedoch nicht berücksichtigen, dass es angesichts der<br />

recht differenzierten Haftungsregelungen in den Ziffern 22-25 ADSp 2017 daneben weitere Hinweispflichten<br />

geben kann. Diese beginnen bei multimodalen Transporten unter Einschluss einer Seebeförderung<br />

schon bei 20 SZR je Kilogramm (Ziffer 23.3.1 ADSp 2017). Auf der anderen Seite wird ein<br />

Auftraggeber ggf. übersehen, dass ihn die Hinweispflicht bei Überschreiten der Grenze von 100 Euro je<br />

Kilogramm auch dann trifft, wenn das Gesetz eigentlich eine höhere Haftung als 8,33 SZR je Kilogramm<br />

vorsieht (Merke: 8,33 SZR entsprechen ca. 10 Euro). Denn die Haftung bei internationalen Lufttransporten<br />

beträgt 19 SZR je Kilogramm bzw. 27,35 Euro je Kilogramm, je nachdem, zwischen welchen<br />

Staaten die Luftfrachtbeförderung durchgeführt wird.<br />

Ziffer 2 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Reichweite der ADSp 2017.<br />

Die ADSp 2017 gelten nicht für Geschäfte mit Verbrauchern. Ebenso sind einzelne Dienstleistungsbereiche<br />

wie die Lagerung von Akten oder die Durchführung von Schwertransporten, für welche man<br />

besondere Genehmigungen benötigt, von den ADSp 2017 ausgeschlossen.<br />

Ziffer 3 ADSp 2017<br />

Diese Ziffer regelt die (vorvertraglichen) Pflichten des Auftraggebers.<br />

Welche Informationen muss er auf welche Art und Weise an den Dienstleister übermitteln? Erwähnt<br />

wird in diesem Zusammenhang auch eine Mitteilung über den „Warenwert“ der Sendung. Was konkret<br />

hiermit gemeint ist und wofür dieser Wert im Einzelfall dienen soll, sagen die ADSp 2017 nicht. Der<br />

Auftraggeber muss daher dem Dienstleister nicht nur den „Warenwert“ mitteilen, sondern auch gleichzeitig<br />

sagen, was er mit der Mitteilung bezweckt. Will er seiner Informationspflicht nachkommen, um<br />

dem Vorwurf eines fehlenden Hinweises auf das Drohen eines ungewöhnlich hohen Schadens zu<br />

entgehen (s. Ziffer 1 ADSp 2017), will er eine Transportversicherung eindecken und die Ware zu diesem<br />

Wert versichern oder soll der Dienstleister die Verzollung vornehmen und der Zollanmeldung diesen<br />

Wert zugrunde legen?<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 299


Fach 15, Seite 640<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Die zu erstellenden Frachtpapiere können bei internationalen Transporten hier einen ersten Anhaltspunkt<br />

liefern, da diese unterschiedlichen Felder für die Angabe des Zollwertes (engl.: „total value for customs“) und<br />

für die Angabe eines Transportversicherungswertes (engl.: „total value for carriage“) vorsehen.<br />

Auf diebstahlgefährdetes Gut – hier nicht rein wertbasiert, sondern aus der Natur des Gutes betrachtet<br />

– hat der Auftraggeber den Dienstleister möglichst frühzeitig hinzuweisen. Dies muss jedoch auch<br />

konkret erfolgen und darf sich nicht in der Floskel „Achtung! Diebstahlgefährdetes Gut“ erschöpfen<br />

(BGH, Urt. v. 1.7.2010 – 1 ZR 176/08, NJW-RR 2011, 117).<br />

Diese Pflicht tritt neben die Pflicht, den Dienstleister auf das Drohen eines ungewöhnlich hohen<br />

Schadens hinzuweisen.<br />

Ziffer 4 ADSp 2017<br />

Diese Ziffer regelt – als Spiegelbild zur vorangegangenen Ziffer – die Pflichten des Dienstleisters.<br />

Entsprechend § 454 Abs. 1 HGB wird zunächst noch einmal erwähnt, dass das Interesse des Auftraggebers<br />

der Handlungsmaßstab für den Dienstleister sein soll. Dieses verdrängt grds. das Interesse<br />

des Empfängers oder anderer, am Vertrag beteiligter Dritter. Es geht sogar dem Interesse des Dienstleisters<br />

vor – es sei denn, für ihn ergeben sich aus dem Gesetz oder den ADSp 2017 eigene Rechte, die<br />

dann dem Interesse des Auftraggebers vorgehen.<br />

Der Dienstleister soll nicht (mehr) länger blind alle Angaben des Auftraggebers übernehmen, sondern ihn<br />

treffen bei nationalen Transporten u.U. Prüfpflichten auf offensichtliche Fehler. Eine kurze „Schlüssigkeitsprüfung“<br />

reicht aus. Demgegenüber steht jedoch, dass bei internationalen Transporten (Art. 16<br />

Abs. 2 MÜ/WA, 11 Abs. 2 CMR) eine Prüfpflicht des Dienstleisters explizit verneint wird.<br />

Ziffer 5 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Kommunikation zwischen den Parteien.<br />

Es soll eine Trennung zwischen kaufmännischen Mitarbeitern auf der einen Seite und gewerblichen<br />

Mitarbeitern wie Fahrern oder Lagerarbeitern auf der anderen Seite erfolgen. Während die erstgenannte<br />

Gruppe zuständig sein soll für die Auftragsbearbeitung, die Vertragsanbahnung bzw. den<br />

-abschluss, fehlt es an einer Vertretungsbefugnis für die zweite Gruppe. Die Regelung des § 56 HGB soll<br />

hierdurch verdrängt werden. Ob dies tatsächlich funktionieren wird und wie die Institute einer<br />

Anscheins- oder Duldungsvollmacht in diesem Zusammenhang zu bewerten sind, wird sich noch zeigen<br />

müssen. Es sind in jedem Fall Schulungen und Informationen zu empfehlen, um die gewerblichen<br />

Mitarbeiter entsprechend zu sensibilisieren.<br />

Beide Seiten sollen auch verantwortliche Personen für die künftige Kommunikation benennen. Ansonsten<br />

gilt der jeweilige Vertragsunterzeichner als kompetenter Ansprechpartner für alle Fragen rund<br />

um die Leistungsabwicklung.<br />

Ziffer 6 ADSp 2017<br />

Die Ziffer definiert die Pflichten des Auftraggebers hinsichtlich seines Gutes vor Übergabe an den Dienstleister.<br />

Die Klausel basiert auf den Regelungen der §§ 411, 455, 468, 488 HGB, wonach der Auftraggeber für die<br />

Verpackung und Kennzeichnung des Gutes verantwortlich ist. Er soll dem Dienstleister darüber hinaus<br />

(nochmals) basierend auf seiner Erfahrung eine Einschätzung geben, ob eine Diebstahlsgefahr für das<br />

Gut besteht.<br />

Ziffer 7 ADSp 2017<br />

Die Ziffer versucht, eine Regelung zu den Ladungssicherungspflichten des Dienstleisters bei Sammel- und Stückguttransporten<br />

zu treffen.<br />

300 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 641<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Denn gerade diese Transporte, wo das Fahrzeug diverse Be- und Entladestellen anfährt und die<br />

jeweilige Ladung damit nicht immer die gesamte Ladefläche einnimmt, sind recht anfällig für etwaige<br />

Verstöße gegen die Verkehrssicherheit.<br />

Die bloße Formulierung allein wird – ohne weitere flankierende Maßnahmen des Auftraggebers –<br />

vermutlich nicht ausreichen, dass dieser bei etwaigen Verstößen seiner möglichen Verantwortung<br />

entkommt. Denn das Zivilrecht und das öffentliche Recht bzw. Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

haben bekanntlich nicht immer denselben Sorgfaltsmaßstab.<br />

Ziffer 8 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Art und Weise der Quittungserteilung durch den Dienstleister und die Aufbewahrungsfristen für<br />

solche Dokumente.<br />

Der Dienstleister soll papierhafte (Abliefer-)Belege ein Jahr aufheben, bevor er sie vernichtet. Dies kann<br />

nach hiesiger Auffassung dazu führen, dass Dokumente vorschnell vernichtet werden und von Gesetzes<br />

wegen bestehende, deutlich längere Aufbewahrungsfristen hierdurch verletzt werden (bspw. bis zu<br />

10 Jahren für zollrechtliche Sachverhalte relevante Unterlagen).<br />

Ziffer 9 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Erteilung von Weisungen des Auftraggebers an den Dienstleister nach erfolgtem Vertragsschluss.<br />

Es wird klargestellt, dass der Auftraggeber dem Dienstleister Weisungen erteilen darf. Unerwähnt bleibt<br />

jedoch, dass der Dienstleister in solch einem Fall Ersatz seiner Aufwendungen sowie eine angemessene<br />

Vergütung verlangen kann. Unter Umständen kann er sogar zunächst die Zahlung eines Vorschusses<br />

verlangen (§ 418 Abs. 1 a.E. HGB), bevor er tätig wird. Zur Vermeidung von Diskussionen wäre es<br />

vermutlich hilfreich gewesen, wenn man dies auch mit in die ADSp 2017 aufgenommen hätte.<br />

Ziffer 10 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Möglichkeit, dass der Dienstleiter beim Empfänger die Kosten der Beförderung geltend macht bzw.<br />

einzieht.<br />

Da dem deutschen Recht ein Vertrag zu Lasten Dritter fremd ist, wird vorsorglich klargestellt, dass der<br />

Auftraggeber in jedem Fall zur Zahlung des Dienstleisters verpflichtet bleibt.<br />

Ziffer 11 ADSp 2017<br />

Die Ziffer definiert die Zeiten, welche ein Fahrzeug entgeltfrei an einer Ladestelle warten soll.<br />

Sie erschöpft sich jedoch in der Angabe einer Wartezeit von zwei Stunden für eine Komplettladung<br />

einer Fahrzeugkombination mit 40 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht (dies entspricht üblicherweise<br />

33 Europalettenstellplätzen bzw. deren Äquivalent).<br />

Zur Vermeidung von Diskussionen mit den Kunden empfiehlt es sich, weitere Regelungen für Stückgutund<br />

Teilladungen zu schaffen.<br />

Beispiel:<br />

Mangels Vereinbarung beträgt die Ver- oder Entladezeit für Straßenfahrzeuge unabhängig von der<br />

Anzahl der Sendungen pro Ver- oder Entladestelle bei auf Paletten aller Art verladenen Gütern<br />

• bis zehn Europalettenstellplätzen höchstens 40 Minuten,<br />

• bis zwanzig Europalettenstellplätzen höchstens 70 Minuten,<br />

• über zwanzig Europalettenstellplätzen höchstens 120 Minuten.<br />

In allen anderen Fällen bei Gütern (nicht jedoch bei schüttbaren Gütern) mit einem umzuschlagenden<br />

Gewicht<br />

• bis drei Tonnen höchstens 40 Minuten,<br />

• bis sieben Tonnen höchstens 70 Minuten,<br />

• über sieben Tonnen höchstens 120 Minuten.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 301


Fach 15, Seite 642<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Ziffer 12 ADSp 2017<br />

Die Klausel regelt, wann eine Partei von ihrer Leistungspflicht befreit wird.<br />

Im konkreten Fall empfiehlt sich eine Kontrolle, ob das störende Ereignis in den Katalog der dort<br />

aufgeführten Ereignisse passt.<br />

Ziffer 13 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Ablieferung des Gutes.<br />

Die Umstände der Ablieferung wurden neu geregelt. Für den transportrechtlichen Laien vermutlich<br />

überraschend wird klargestellt, dass bei Anlieferungen an einem Lager oder einem vergleichbaren Ort<br />

die Ablieferung nur unter Aufsicht durchzuführen sei.<br />

Hintergrund ist, dass es leider i.d.R. vom anliefernden Fahrer erwartet wird, seinen Lkw selbst zu<br />

entladen – natürlich ohne gesonderte Vergütung, als Zusatzservice dem Kunden gegenüber. Zuviel<br />

Selbstständigkeit des Fahrpersonals wollte man offensichtlich jedoch auch nicht haben, weshalb nun<br />

diese Einschränkung erfolgte.<br />

Ziffer 14 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Auskunftsrechte des Auftraggebers gegenüber dem Dienstleister.<br />

Entsprechend dem Leitbild des Auftragsrechts (§ 666 BGB) wird klargestellt, dass der Dienstleister dem<br />

Auftraggeber auf Verlangen Auskunft erteilen muss und dass die Abwicklung des Geschäftes – über das<br />

vereinbarte Entgelt hinaus – nicht zu einer zusätzlichen Bereicherung des Dienstleisters führen soll.<br />

Ziffer 15 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Art und Weise der Lagerung von Gütern.<br />

Beginn und das Ende des Haftungszeitraums wurden neu gefasst. Die Haftung des Lagerhalters beginnt<br />

nunmehr mit dem Beginn der Entladung und sie endet erst mit dem Ende der Verladung. Angesichts<br />

der oben (s. Ziffer 13 ADSp 2017) erwähnten regelmäßigen Durchführung von Ladetätigkeiten<br />

durch das Fahrpersonal wird man hier im Einzelfall jeweils schauen müssen, in wessen Auftrag und auf<br />

wessen Risiko der Fahrer gerade gehandelt hat.<br />

Ziffer 16 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt, welche Kosten des Dienstleisters mit der vereinbarten Vergütung abgegolten sind und wann er<br />

Nachforderungen stellen kann.<br />

Nachdem die Reichweite der Preisbindung einer der wesentlichen Streitpunkte bei den Verhandlungen<br />

über eine Reform der ADSp 2003 waren, welche Mitte 2015 zu einem Scheitern der Verhandlungen und<br />

mit den DTLB sowie den ADSp 2016 zu zwei konkurrierenden Bedingungswerken im Bereich Transport<br />

und Lager geführt hatten, näherten sich die Parteien im Laufe des Jahres 2016 erfreulicherweise wieder<br />

an. Ansonsten hätte man dauerhaft mit einander widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

zusammenarbeiten müssen.<br />

Die nunmehrige Fassung stellt einen Kompromiss dar, welche den Interessen der Auftraggeber entgegenkommt<br />

und die Möglichkeiten des Dienstleisters, Nachforderungen wegen Kostensteigerungen<br />

geltend zu machen, einschränkt. Der Dienstleister sollte daher möglichst genau seine einzelnen Kostenpositionen<br />

aufschlüsseln und klarstellen, welche Kosten „nach Aufwand“, „nach Tageskurs“, „gemäß<br />

Auslage“ o.Ä. zu ersetzen sind. Typische Beispiele sind Raten von Reedereien oder Luftfrachtgesellschaften,<br />

Zuschläge für Energie (Bunker- oder Treibstoffzuschlag) oder Sicherheitskontrollen. Ebenso<br />

sollten in diesem Zusammenhang Kosten für Demurrage und Detention (zu langer Verbleib von<br />

Containern im Hafen bzw. verspätete Rückgabe derselben) erwähnt werden.<br />

302 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 643<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Ziffer 17 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt, wann der Dienstleister vom Auftraggeber den Ersatz von Aufwendungen verlangen kann.<br />

Die Regelung ist nicht abschließend, subsidiär hierzu sind auch die gesetzlichen Regelungen (§ 354 Abs. 1<br />

HGB) zu beachten, sodass dem Dienstleister zusätzlich zu seinem Anspruch auf Erstattung der ausgelegten<br />

Beträge eine Vorlageprovision in verkehrsüblicher Höhe zusteht.<br />

Ziffer 18 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Anforderungen an den Inhalt und die Fälligkeit von Rechnungen.<br />

Neu ist, dass die Fälligkeit einer Zahlungsforderung nun abhängig ist von der Rechnungstellung bzw.<br />

dem Erhalt einer Zahlungsaufforderung durch den Dienstleister. Diese Regelung begünstigt den<br />

Auftraggeber, da das Gesetz von anderen Fälligkeitsvoraussetzungen ausgeht. Die Fracht ist bei der<br />

Ablieferung des Gutes zu zahlen (§ 420 Abs. 1 S. 1 HGB); das Spediteurentgelt ist mit der Übergabe des<br />

Gutes an den Frachtführer oder den Verfrachter fällig (§ 456 HGB). Das Lagergeld ist jeweils am Ende der<br />

Lagerzeit zu zahlen; sind die Lagerung und das Lagergeld nach einzelnen Zeitabschnitten bemessen, ist<br />

das Lagergeld jeweils am Ende des jeweiligen Zeitabschnitts fällig (§ 699 BGB). Im Übrigen sind<br />

Ansprüche des Dienstleisters mit ihrer Entstehung fällig (§ 271 Abs. 1 BGB).<br />

Stärker zu berücksichtigen sind damit auch die formellen Voraussetzungen an Aufbau und Inhalt einer<br />

Rechnung (§ 14 Abs. 4 UStG): Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten:<br />

• den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des<br />

Leistungsempfängers,<br />

• die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt<br />

für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer,<br />

• das Ausstellungsdatum,<br />

• eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung<br />

vom Rechnungsaussteller einmalig vergeben wird (Rechnungsnummer),<br />

• die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang<br />

und die Art der sonstigen Leistung,<br />

• den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistung; in den Fällen des Abs. 5 S. 1 den Zeitpunkt der<br />

Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts, sofern der Zeitpunkt der Vereinnahmung<br />

feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung übereinstimmt,<br />

• das nach Steuersätzen und einzelnen Steuerbefreiungen aufgeschlüsselte Entgelt für die Lieferung<br />

oder sonstige Leistung (§ 10) sowie jede im Voraus vereinbarte Minderung des Entgelts, sofern sie<br />

nicht bereits im Entgelt berücksichtigt ist,<br />

• den anzuwendenden Steuersatz sowie den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag oder im Fall<br />

einer Steuerbefreiung einen Hinweis darauf, dass für die Lieferung oder sonstige Leistung eine<br />

Steuerbefreiung gilt,<br />

• in den Fällen des § 14b Abs. 1 S. 5 einen Hinweis auf die Aufbewahrungspflicht des Leistungsempfängers<br />

und<br />

• in den Fällen der Ausstellung der Rechnung durch den Leistungsempfänger oder durch einen von ihm<br />

beauftragten Dritten gem. Abs. 2 S. 2 die Angabe „Gutschrift“.<br />

Ziffer 19 ADSp 2017<br />

Die Ziffer möchte Regelungen zu einem Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot schaffen.<br />

Dies ist jedoch leider missglückt. Eine Ergänzung zu den ADSp 2017 ist daher empfehlenswert:<br />

„Es wird klargestellt, dass eine Aufrechnung oder Zurückbehaltung gegenüber Ansprüchen aus dem Verkehrsvertrag<br />

und damit zusammenhängenden, außervertraglichen Ansprüchen nur dann zulässig ist, wenn der fällige Gegenanspruch<br />

unbestritten, entscheidungsreif oder rechtskräftig festgestellt ist.“<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 303


Fach 15, Seite 644<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Ziffer 20 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt, wann und wie der Dienstleister das gesetzliche Pfandrecht an den in seiner Obhut befindlichen<br />

Gütern ausüben kann.<br />

Ein eigenes, vertragliches Pfandrecht kennen die ADSp 2017 nicht mehr. Dies ist auch nicht erforderlich,<br />

da die §§ 440 ff. HGB dem Dienstleister ein weitgehendes Pfandrecht einräumen. Dem Auftraggeber wird<br />

dabei die Möglichkeit eingeräumt, die Ausübung des Pfandrechts durch Stellung einer Bankbürgschaft<br />

abzuwenden.<br />

Ziffer 21 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt, wann der Dienstleiter davon ausgehen darf, dass die Eindeckung einer Transport- oder Lagerversicherung<br />

dem Interesse des Auftraggebers entspricht und wann nicht.<br />

Sprechen die in den ADSp 2017 genannten Indizien für die Eindeckung einer Versicherung, folgt hieraus<br />

eine Pflicht des Dienstleisters zum Tätigwerden.<br />

Ziffer 22 ADSp 2017<br />

Diese Ziffer regelt – ebenso wie Ziffer 25 ADSp 2017 – die Haftung dem Grunde nach. Die Höhe der Haftung ist<br />

hingegen in den Ziffern 23, 24 ADSp 2017 geregelt.<br />

Der Anspruch auf Schadenersatz wird dabei auf einen Anspruch auf Wert- bzw. Kostenersatz beschränkt.<br />

Entgangener Gewinn ist damit nicht ersatzfähig. Mehr- und Minderbestände dürfen im Falle<br />

von Inventurdifferenzen wertmäßig saldiert werden. Hat der Dienstleister aus einem Schadenfall<br />

Ansprüche gegen einen Dritten, welche höher sind als die Haftung des Dienstleisters gegenüber dem<br />

Auftraggeber, so hat er diese dem Auftraggeber auf dessen Verlangen hin abzutreten.<br />

Ziffer 23 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Haftung für das bewegte Gut.<br />

Die Grundhaftung für Schäden beträgt 8,33 SZR je Kilogramm. Diese gibt es jedoch nicht in jedem Fall.<br />

Die Haftung pro Schadenfall beträgt 1,25 Mio. Euro oder 2 SZR je Kilogramm, je nachdem, welcher<br />

Betrag höher ist. Die Haftung pro Schadenereignis beträgt 2,5 Mio. Euro oder 2 SZR je Kilogramm, je<br />

nachdem, welcher Betrag höher ist. Der Verweis auf die 2 SZR je Kilogramm als Mindesthaftung ist<br />

notwendig, um den Korridor der §§ 449 Abs. 2, 466 Abs. 2 HGB nicht zu unterschreiten. Die durch<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen gestaltete Haftung muss sich demnach in einem Bereich von<br />

2–40 SZR je Kilogramm bewegen.<br />

Vorsorglich klargestellt wird, dass die ADSp 2017 hinter die zwingende gesetzliche Haftung zurücktreten<br />

und – was noch wichtiger ist – die ADSp 2017 auch keine über das Gesetz hinausgehende Haftung<br />

schaffen möchten (zum Hintergrund s. Ziffer 27 ADSp 2017).<br />

Ziffer 24 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Haftung für das eingelagerte Gut.<br />

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass es hier keine Anforderungen an eine Mindesthaftung entsprechend<br />

§§ 449 Abs. 2, 466 Abs. 2 HGB gibt. § 475h HGB erlaubt vielmehr auch feste Haftungsbegrenzungen.<br />

Die Grundhaftung für Schäden beträgt 8,33 SZR je Kilogramm. Diese gibt es jedoch nicht in jedem Fall.<br />

Die Haftung für Inventurdifferenzen beträgt 70.000 Euro pro Jahr. Die Haftung pro Schadenfall beträgt<br />

35.000 Euro. Die Haftung pro Schadenereignis beträgt 2,5 Mio. Euro. Der Auftraggeber hat jedoch die<br />

Möglichkeit, die Haftung je Kilogramm, je Schadenfall und für Inventurdifferenzen nach Rücksprache mit<br />

dem Dienstleister und gegen Zahlung eines entsprechenden Zuschlages heraufzusetzen (sog. Wertdeklaration).<br />

304 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 645<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Ziffer 25 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Haftung dem Grunde nach für besondere Beförderungsarten (Schiff).<br />

Hierdurch soll insb. ein Gleichlauf zwischen der Haftung des Dienstleisters sowie der Haftung des<br />

Reeders aus den sog. Konnossementbedingungen erreicht werden, da ansonsten eine Haftung des<br />

Dienstleisters gegenüber seinem Auftraggeber droht, er aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch keinen<br />

Regress gegen den Reeder nehmen könnte.<br />

Ziffer 26 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Reichweite der Haftung nach den ADSp 2017.<br />

Aus §§ 434, 436 HGB folgt, dass die Haftungssystematik des Transport- und Speditionsrechts nicht<br />

einfach dadurch umgegangen werden soll, dass der geschädigte Auftraggeber oder ein anderer Dritter<br />

anstelle eines vertraglichen Anspruchs gegen den Dienstleister Ansprüche aus c.i.c., Eigentum oder<br />

Bereicherungsrecht geltend macht. Die Haftungsregelungen der Ziffern 22–25 ADSp 2017 gelten damit<br />

unabhängig davon, auf welcher Basis ein Anspruch gegen den Dienstleister erhoben wird.<br />

Ziffer 27 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt, wann der Dienstleister sich nicht auf die Haftungsbegrenzungen der Ziffern 23, 24 ADSp 2017 berufen<br />

kann und ist damit eine der bedeutsamsten Regelungen der ADSp 2017.<br />

Vorsorglich wurde in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die Verwendung der ADSp 2017 nicht zu<br />

einem Verzicht auf gesetzliche Haftungsbefreiungen oder -ausschlüsse führen soll.<br />

Hintergrund:<br />

Die Vorgängerregelung der Ziffer 27 ADSp 2003 war wortgleich mit der Ziffer 27 ADSp 1998/2002. Sie<br />

wurde mit Blick auf die Regelung des § 435 HGB geschaffen und sollte diesen eigentlich nur wiederholen.<br />

Nach Auffassung der Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 22.7.2010 – I ZR 194/08, BeckRS 2011, 00721; Urt. v.<br />

3.3.2011 – I ZR 50/10, BeckRS 2011, 13392) führte die Verwendung der Ziffer 27 ADSp 2003 zu einem<br />

Wegfall der Haftungsbeschränkungen nach dem Montrealer Übereinkommen (MÜ). Dies war und ist<br />

nach hiesiger Auffassung falsch, da das MÜ erst zeitlich später, d.h. 1999 verhandelt wurde und erst 2003<br />

für Deutschland in Kraft trat. Als Reaktion auf diese Rechtsprechung und die Tatsache, dass es neben<br />

dem MÜ noch andere Regelungen gibt, wo das Gesetz den Dienstleister besserstellt als die ADSp 2003,<br />

wurde zunächst eine Ergänzung zu den ADSp 2003 empfohlen, die da lautete:<br />

„Ergänzend wird vereinbart, dass (1) Ziffer 27 ADSp weder die Haftung des Spediteurs noch die Zurechnung des<br />

Verschuldens von Leuten und sonstigen Dritten abweichend von gesetzlichen Vorschriften wie § 507 HGB, Art. 25<br />

MÜ, Art. 36 CIM, Art. 20, 21 CMNI zugunsten des Auftraggebers erweitert, (2) der Spediteur als Verfrachter in den<br />

in § 512 Abs. 2 Nr. 1 HGB aufgeführten Fällen des nautischen Verschulden oder Feuer an Bord nur für eigenes<br />

Verschulden haftet und (3) der Spediteur als Frachtführer im Sinne der CMNI unter den in Art. 25 Abs. 2 CMNI<br />

genannten Voraussetzungen nicht für nautisches Verschulden, Feuer an Bord oder Mängel des Schiffes haftet.“<br />

Ziffer 28 ADSp 2017<br />

Die Ziffer regelt die Anforderungen an den vom Dienstleister einzudeckenden Versicherungsschutz für seine Tätigkeiten<br />

(sog. Verkehrshaftungsversicherung).<br />

Der Dienstleister ist dazu verpflichtet, hinreichenden Versicherungsschutz bei Auftragserteilung<br />

vorzuhalten. Andernfalls darf er sich nicht auf die für ihn günstigen Haftungsbestimmung der ADSp<br />

2017 berufen.<br />

Nach hiesiger Auffassung ist diese Rechtsfolge nicht in jedem Fall notwendig. Zunächst wird es<br />

vermutlich Fälle geben, wo das Fehlen des hinreichenden Versicherungsschutzes auf mangelhafte<br />

Informationen und/oder zu niedrige Wertangaben des Auftraggebers zurückzuführen sein dürfte. Wenn<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 305


Fach 15, Seite 646<br />

Logistikrecht: ADSp 2017<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

bei Übernahme des Gutes ein hinreichender Versicherungsschutz besteht und keine Anhaltspunkte<br />

für ein Beratungsverschulden des Dienstleisters ersichtlich sind, besteht ebenfalls kein Grund, dem<br />

Dienstleister eine Berufung auf die Haftungsbestimmung der ADSp 2017 zu verweigern.<br />

Falls der Dienstleister aktiv den Auftraggeber anspricht und ihm ein Angebot zur Leistungserbringung<br />

unterbreitet, sollte er gleichwohl vorsorglich vorher überprüfen, ob sein Versicherungsschutz im Falle<br />

eines Zuschlags ausreichend ist.<br />

Der Auftraggeber hat sogar das Recht, den mit dem Dienstleister geschlossenen Verkehrsvertrag<br />

wieder zu kündigen, wenn der Dienstleister ihm auf sein Verlangen hin nicht das Bestehen des Versicherungsschutzes<br />

binnen angemessener Frist nachweist. Ob der Dienstleister über den angefragten<br />

Versicherungsschutz verfügt oder nicht, soll dabei unerheblich sein. Abgestellt wird lediglich auf die<br />

fehlende oder nicht fristgerecht übermittelte Versicherungsbestätigung.<br />

Ziffer 29 ADSp 2017<br />

Die Ziffer begrenzt die Haftung des Auftraggebers in bestimmten Fallkonstellationen.<br />

Hintergrund ist zunächst, dass der Auftraggeber nach den §§ 414, 455, 468, 488 HGB für Falschangaben,<br />

Mängel der Verpackung bzw. der Kennzeichnung des Gutes etc. unbegrenzt haftet. Denn die gewichtsbasierte<br />

Haftungsbegrenzung gilt in solchen Fällen nicht.<br />

§§ 449 Abs. 2, 455 Abs. 2, 468 Abs. 3, 488 Abs. 5 S. 2 HGB erlauben es jedoch, die Haftung des Auftraggebers<br />

betragsmäßig per Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu begrenzen. Die Haftung beträgt<br />

200.000 Euro je Schadenereignis. Wie sich der Betrag herleitet, ist unklar. Nach hiesiger Auffassung<br />

hätten 250.000 oder 500.000 Euro je Schadenereignis besser in die Haftungssystematik der ADSp 2017<br />

gepasst.<br />

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass diese Haftungsbegrenzung einzig und allein in den vier genannten<br />

Fallkonstellationen nach nationalem Recht einschlägig ist (§§ 414, 455, 468, 488 HGB). Bei internationalen<br />

Transporten, welche den hierfür geltenden Regelungen unterfallen, greift die Regelung nicht<br />

ein. Ähnlich wie beim Dienstleister ist auch ein Wegfall dieser Haftungsbegrenzungen möglich<br />

(Ziffer 29.2 ADSp 2017).<br />

Ziffer 30 ADSp 2017<br />

Die Ziffer enthält Bestimmungen zur Rechts- und Gerichtsstandswahl und trifft Regelungen zum Erfüllungsort.<br />

Zu berücksichtigen ist hierbei nur, dass lediglich bei nationalen Transporten noch eine Zentralisierung<br />

von Verfahren an den beiden genannten Gerichtsständen (Sitz des Auftraggebers bzw. Dienstleisters)<br />

möglich ist. Bei internationalen Transporten gilt dies nicht. Hier gibt es immer die Möglichkeit, auch an<br />

anderen Gerichtsständen zu klagen. Der Anwendungsbereich dieser Ziffer ist daher stark eingeschränkt.<br />

Ziffer 31 ADSp 2017<br />

Die Ziffer stellt klar, dass die Parteien ihnen bekannt gewordene, nicht öffentlich zugängliche Informationen vertraulich<br />

behandeln soll.<br />

Sie verlangt überdies, diese Geheimhaltungsverpflichtung auf etwaige Erfüllungshilfen auszuweiten.<br />

Ziffer 32 ADSp 2017<br />

Die Ziffer enthält eine Aufzählung der vom Dienstleister zu beachtenden Normen (bspw. GüGK, MiLoG, Lenk- und<br />

Ruhezeiten) sowie eine gemeinsame Erklärung der Parteien, dass sie gewisse Mindeststandards einhalten (bspw.<br />

keine Kinder- oder Zwangsarbeit).<br />

3<strong>06</strong> <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1381<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Betriebliche Altersversorgung<br />

Betriebsübergang und Betriebliche Altersversorgung<br />

Von Rechtsanwalt Dr. UWE LANGOHR-PLATO, Köln<br />

Inhalt<br />

I. Einleitung<br />

II. Allgemeine Grundlagen und Rechtsfolgen<br />

des § 613a BGB<br />

III. Übertragung betrieblicher Versorgungsverbindlichkeiten<br />

auf den Betriebserwerber<br />

IV. Besonderheiten bei den Durchführungswegen:<br />

Unterstützungskasse, Pensionskasse<br />

und Pensionsfonds<br />

V. Übernahme von Versorgungsanwartschaften<br />

VI. Informationspflichten<br />

VII. Konkurrenz bestehender Versorgungssysteme<br />

1. Nur beim Betriebsveräußerer existentes<br />

Versorgungssystem<br />

2. Nur beim Betriebserwerber existentes<br />

Versorgungssystem<br />

3. Konkurrenzverhältnis zwischen sowohl<br />

beim Betriebsveräußerer als auch beim<br />

Betriebserwerber bestehenden Versorgungssystemen<br />

I. Einleitung<br />

Der Ruhegeldsenat des BAG hat mit seinem Urteil vom 22.10.2019 (3 AZR 429/18, juris) seine bisherige<br />

Rechtsprechung zum Ordnungsprinzip nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB modifiziert und konkretisiert<br />

und seine bisherige Rechtsprechung hierzu ausdrücklich aufgegeben. Aus Anlass dieser Rechtsprechungsänderung<br />

werden nachfolgend die generellen „Spielregeln“, die bei einem Betriebsübergang zu<br />

beachten sind, im Hinblick auf die Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung dargestellt und<br />

erläutert.<br />

II. Allgemeine Grundlagen und Rechtsfolgen des § 613a BGB<br />

Gemäß § 613a Abs. 1 BGB liegt ein Betriebsübergang vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch<br />

Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht, d.h. wenn die Befugnis, den Betrieb im eigenen<br />

Namen zu leiten, hinsichtlich des ganzen Betriebs oder eines bestimmten, selbstständigen Betriebsteils<br />

auf einen Rechtsnachfolger überwechselt (sog. Einzelrechtsnachfolge/Singularsukzession). Hierbei wird<br />

der Betrieb oder Betriebsteil vom Inhaber (Veräußerer) durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber<br />

(Erwerber) übertragen, z.B. durch Verkauf, Verpachtung, Vermietung oder Bestellung eines Nießbrauchs.<br />

Dies hat zugleich einen Übergang der im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse<br />

zur Folge. Mit diesem Übergang der Arbeitsverhältnisse sind im Wesentlichen drei<br />

Schutzfunktionen verbunden:<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 307


Fach 17, Seite 1382<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Arbeitsrecht<br />

• Im Vordergrund steht die sog. Bestandsschutzfunktion, d.h. der Schutz der einzelnen Arbeitnehmer<br />

durch Sicherung und Fortführung des Arbeitsverhältnisses im bisherigen Umfang. Aufgrund der<br />

ausdrücklichen Beschränkung im Wortlaut des § 613a BGB auf den Übergang bestehender „Arbeitsverhältnisse“<br />

erstrecken sich die Rechtsfolgen des § 613a BGB ausschließlich auf Arbeiter, Angestellte<br />

und leitende Angestellte (HÖFER, BetrAVG, Bd. I [ArbR], Kap. 9 Rn 51). Organmitglieder juristischer<br />

Personen, wie z.B. der Geschäftsführer einer GmbH oder der Vorstand einer AG, werden somit vom<br />

Anwendungsbereich des § 613a BGB nicht erfasst (ROLFS, BetrAV 2008, 468).<br />

• Ferner wird die Rechtsstellung und Kontinuität des amtierenden Betriebsrats bzw. des Sprecherausschusses<br />

durch den Betriebsübergang nicht beeinträchtigt, zumal die entsprechenden Sondervorschriften<br />

(§ 24 BetrVG, § 9 SprAuG) den Betriebsübergang nicht als Erlöschensgrund für die<br />

Mitgliedschaft im Betriebsrat bzw. Sprecherausschuss vorsehen (sog. Mitbestimmungsfunktion).<br />

• Schließlich verfolgt § 613a BGB ebenso wie § 25 HGB auch haftungsrechtliche Ziele (sog. Haftungsfunktion).<br />

Die Arbeitsverhältnisse gehen danach auf einen Betriebserwerber in dem Zustand über, den sie zum Zeitpunkt<br />

des Betriebsübergangs haben (vgl. BAG, Urt. v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, AP Nr. 11 zu § 613a BGB).<br />

Nicht erforderlich ist, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Betriebsübergangs aktiv besteht. Die<br />

Rechtsfolgen des Betriebsübergangs erstrecken sich auch auf ruhende Arbeitsverhältnisse (vgl. ROLFS,<br />

BetrAV 2008, 468). Dem Betrieb gehören daher auch solche Arbeitnehmer an, die zum Zeitpunkt des<br />

Betriebsübergangs arbeitsunfähig krank (BAG, Urt. v. 21.2.20<strong>06</strong> – 3 AZR 216/05, NZA 2007, 931), in der<br />

Elternzeit (BAG, Urt. v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, NZA 2000, 369) oder in der Freistellungsphase eines<br />

Altersteilzeitvertrags (BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705) sind.<br />

Arbeitsunfähigkeit beendet die Arbeitspflicht nicht. Sie führt nur dazu, dass die Ausübung der Pflicht<br />

unmöglich oder unzumutbar wird (§ 275 Abs. 1 und Abs. 3 BGB). Die Arbeitspflicht an sich und die Stelle<br />

ihrer Ausübung sind aber für die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem Betrieb oder einer<br />

Betriebsabteilung entscheidend (BAG, Urt. v. 25.9.2003 – 8 AZR 446/02, AP Nr. 256 zu § 613a BGB).<br />

Etwas anderes ergibt sich selbst dann nicht, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs<br />

möglicherweise bereits erwerbsunfähig war. Erwerbsunfähigkeit ist ein sozialrechtlicher Begriff,<br />

der sich nicht ohne Weiteres auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen der Parteien auswirkt. Sie<br />

begründet nicht einmal notwendig die Arbeitsunfähigkeit (vgl. BAG, Urt. v. 7.9.2004 – 9 AZR 587/03,<br />

AuA 2005, 184).<br />

III. Übertragung betrieblicher Versorgungsverbindlichkeiten auf den Betriebserwerber<br />

Mit erfolgtem Betriebsübergang tritt der neue Betriebsinhaber in die Rechte und Pflichten aus dem im<br />

Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis ein, d.h. er erhält die volle Arbeitgeberstellung.<br />

Konsequenz hieraus ist auch die Fortgeltung der beim bisherigen Betriebsinhaber zurückgelegten<br />

Dienstzeiten. Den Betriebserwerber treffen mithin alle Pflichten, die von der Dauer der<br />

Betriebszugehörigkeit abhängen, z.B. bei der Berechnung der Kündigungsfristen oder der Warte- bzw.<br />

Unverfallbarkeitsfristen im Rahmen betrieblicher Versorgungsleistungen (ROLFS, BetrAV 2008, 468).<br />

Darüber hinaus haftet der Betriebserwerber gegenüber den übernommenen Mitarbeitern auch für die<br />

sich aus der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG ggf. ergebenden Ansprüche auf Rentenanpassung<br />

(BAG, Urt. v. 21.2.20<strong>06</strong> – 3 AZR 216/05, NZA 2007, 931; LANGOHR-PLATO, Betriebliche<br />

Altersversorgung, 7. Aufl. 2016, Rn 1695).<br />

Diese Rechtsfolgen können auch nicht durch Vertrag zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und<br />

dem Erwerber ausgeschlossen werden (st. Rspr., vgl. u.a. BAG, Urt. v. 29.11.1988 – 3 AZR 250/87, NZA<br />

1989, 425); ein solcher Vertrag wäre als Vertrag zulasten Dritter unwirksam und gem. § 134 BGB nichtig.<br />

§ 613a BGB Abs. 4 S. 1 BGB verbietet nach Auffassung des BAG (Urt. v. 20.7.1982 – 3 AZR 58/78, DB 1979,<br />

2431; Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, DB 1988, 400; Urt. v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, <strong>ZAP</strong> 1993, Fach 17 R,<br />

S. 43 f. m. Anm. LANGOHR-PLATO;ROLFS, BetrAV 2008, 468) neben der Kündigung auch Aufhebungsverträge<br />

308 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1383<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

aus Anlass des Betriebsübergangs, wenn sie vom Betriebsveräußerer oder -erwerber allein deshalb<br />

veranlasst werden, um dem bestehenden Kündigungsverbot auszuweichen.<br />

Zulässig wäre jedoch ein Erlassvertrag zwischen dem neuen Arbeitgeber und den übernommenen<br />

Arbeitnehmern z.B. bzgl. rückständiger Löhne. Gegenstand eines solchen Erlassvertrags können auch<br />

freiwillig gewährte Sozialleistungen sein, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht (BAG, Urt. v.<br />

17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124). Ein entsprechender sachlicher Grund wäre zu bejahen, wenn<br />

durch den Erlass Arbeitsplätze erhalten werden können (vgl. auch BAG, Urt. v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75,<br />

NJW 1977, 1168; BAG, Urt. v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, NJW 1977, 1470; BAG, Urt. v. 29.10.1985 – 3 AZR<br />

485/83, BetrAV 1986, 186).<br />

Mit dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber enden die Arbeitsverhältnisse zum<br />

bisherigen Arbeitgeber. Dieser haftet allein für Ansprüche aus bereits fälligen Versorgungsleistungen<br />

und solche aus unverfallbaren Versorgungsanwartschaften ausgeschiedener Mitarbeiter, da insoweit<br />

keine übergangsfähigen Arbeitsverhältnisse mehr bestehen (so auch ROLFS, BetrAV 2008, 469; LANGOHR-<br />

PLATO, a.a.O., Rn 1698).<br />

Dagegen wird der neue Inhaber mit dem Betriebsübergang zugleich auch Schuldner der mit den<br />

übernommenen Arbeitsverhältnissen zugleich übernommenen Versorgungsverpflichtungen. Durch<br />

den Betriebsübergang wird der Inhalt der Ruhegeldzusagen nicht verändert.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (so z.B. Urt. v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, NJW 1977, 1791; Urt. v.<br />

11.11.1986 – 3 AZR 194/85, NZA 1987, 559; Urt. v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, NZA 1988, 246) sind vom<br />

Anwendungsbereich des § 613a BGB alle Rentner und Arbeitnehmer mit aufrechterhaltener unverfallbarer<br />

Anwartschaft ausgeschlossen, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Unternehmen<br />

bereits verlassen haben.<br />

IV. Besonderheiten bei den Durchführungswegen: Unterstützungskasse, Pensionskasse und<br />

Pensionsfonds<br />

Sollten die Versorgungsleistungen ursprünglich von einer Unterstützungskasse des Betriebsveräußerers<br />

erbracht werden, wird diese aber nicht zusammen mit dem Betrieb veräußert (ein automatischer<br />

Übergang z.B. kraft Gesetzes erfolgt nicht), so wird die Unterstützungskasse zur gleichen Zeit<br />

und im gleichen Umfang von der Haftung frei wie ihr Trägerunternehmen als Betriebsveräußerer (BAG,<br />

Urt. v. 15.3.1979 – 3 AZR 859/77, NJW 1979, 2533; ROLFS, BetrAV 2008, 471; LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 17<strong>06</strong>).<br />

In diesem Fall hat der Betriebserwerber die Versorgungsverpflichtungen als unmittelbare Pensionszusagen<br />

fortzuführen, und zwar mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen, einschließlich deren<br />

Bilanzierung nach § 6 EStG.<br />

Eine gesetzliche Verpflichtung, bestehende Versorgungsverpflichtungen durch Mitgabe entsprechender<br />

Aktiva, insb. von Barmitteln, auszufinanzieren, besteht dabei nicht und folgt insb. auch nicht aus<br />

§ 613a BGB.<br />

Vielmehr wird die betriebliche Altersversorgung i.R.d. Vertragsverhandlungen zu einem Betriebsübergang<br />

bei der Bestimmung des „Kaufpreises“ als preisrelevanter Faktor berücksichtigt. Dieser Kaufpreis<br />

wird – verkürzt dargestellt – durch die Differenz zwischen Aktiva (insb. Betriebsvermögen) und<br />

Passiva (hierunter fallen v.a. die Versorgungsverpflichtungen) ermittelt. Im Ergebnis führt dies dazu,<br />

dass im Umfang bestehender Versorgungsverpflichtungen der zu zahlende Kaufpreis gemindert wird.<br />

Damit findet regelmäßig eine entsprechende Verrechnung statt.<br />

Dies hat für den Betriebserwerber den Vorteil, dass sich der ggf. extern zu finanzierende Kaufpreis und<br />

damit die Finanzierungskosten des Betriebsübergangs verringern.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 309


Fach 17, Seite 1384<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Arbeitsrecht<br />

Im Gegenzug ist allerdings zu beachten, dass der Betriebserwerber die übergegangenen Versorgungsverpflichtungen<br />

bilanzieren, hierfür also in seiner Bilanz „Pensionsrückstellungen“ bilden muss, die zu<br />

einer entsprechenden Bilanzverlängerung führen und – soweit sie nicht durch entsprechende Aktiva<br />

bedeckt sind – das Bilanzergebnis und Bilanzkennzahlen negativ beeinflussen (können).<br />

Wird dagegen die Unterstützungskasse aus Anlass des Betriebsübergangs vom Betriebserwerber<br />

übernommen, muss die Unterstützungskasse die Versorgungsansprüche der bereits ausgeschiedenen<br />

Arbeitnehmer weiter erfüllen. Der Betriebsveräußerer haftet allerdings nach wie vor dafür, dass der<br />

Unterstützungskasse die hier notwendigen finanziellen Mittel zugewendet werden (BAG, Urt. v.<br />

28.2.1989 – 3 AZR 29/88, NZA 1989, 681).<br />

Gewährt der Betriebserwerber im Rahmen eines bei ihm bereits bestehenden Versorgungswerks<br />

betriebliche Versorgungsleistungen über eine Unterstützungskasse, so führt ein Betriebsübergang nicht<br />

dazu, dass diese Unterstützungskasse nunmehr Schuldnerin übernommener Versorgungsanwartschaften<br />

wird. Denn nach ihrer Bestimmung kann und muss sie nur diejenigen Leistungen erbringen, die<br />

sich aus ihrem Leistungsplan ergeben. Deshalb würde sie ihre satzungsmäßigen Rechte überschreiten,<br />

wollte sie Versorgungsansprüche erfüllen, in die ihr Trägerunternehmen aufgrund eines Betriebsübergangs<br />

eingetreten ist. Allerdings könnten durch eine entsprechende Satzungsänderung auch diese<br />

übernommenen Versorgungsverpflichtungen auf die Unterstützungskasse übertragen werden (BAG,<br />

Urt. v. 30.8.1979 – 3 AZR 58/78, NJW 1980, 416).<br />

Bei der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds<br />

stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob der Erwerber auch Trägerunternehmen des<br />

externen Versorgungsträgers werden kann. Ist dies nicht der Fall, weil dies z.B. bei Firmen-Pensionskassen<br />

i.d.R. satzungsmäßig nicht vorgesehen ist, ändert dies nichts an der grundsätzlichen<br />

Verpflichtung des Arbeitgebers, die beim Betriebsveräußerer bestehenden Versorgungsverpflichtungen<br />

vollinhaltlich zu übernehmen und unmittelbar zu erfüllen (HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 125 f.). Dies hat zur<br />

Folge, dass sich die mittelbare Versorgung in eine unmittelbare Pensionszusage umwandelt, die ab dem<br />

Zeitpunkt des Betriebsübergangs beim Betriebserwerber dann auch gem. § 6a EStG zu bilanzieren ist.<br />

Alternativ wäre zwar auch eine Überführung in eine andere mittelbare Versorgung – Unterstützungskasse<br />

oder Direktversicherung – denkbar. Dies wird jedoch regelmäßig an steuerlichen Restriktionen<br />

(Verbot der Einmalprämienzuwendung bei rückgedeckten Unterstützungskassen, Höchstgrenzen für<br />

die steuerfreie Dotierung nach § 3 Nr. 63 EStG bei der Direktversicherung) scheitern.<br />

V. Übernahme von Versorgungsanwartschaften<br />

Sowohl die vom Bestand der Zusage als auch die vom Beginn der Betriebszugehörigkeit abhängigen<br />

Unverfallbarkeitsfristen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG werden gem. § 1 Abs. 1 S. 2 BetrAVG i.V.m. § 613a Abs. 1<br />

BGB durch den Betriebsübergang nicht unterbrochen. Diese Rechtsfolge gilt für alle fünf Durchführungswege<br />

(Pensionszusage, Direktversicherung, Unterstützungskasse, Pensionskasse und Pensionsfonds)<br />

der betrieblichen Altersversorgung. Verfallbare Anwartschaften können nach dem Betriebsübergang<br />

daher noch zum Vollrecht erstarken (LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1711).<br />

Andererseits hat das BAG bereits früh klargestellt, dass der Betriebserwerber bei einer von ihm<br />

begründeten Versorgungszusage nicht verpflichtet ist, in Bezug auf eine etwaige Wartezeit und die<br />

Höhe der Versorgungsleistungen diejenigen Beschäftigungszeiten anzurechnen, die der Arbeitnehmer<br />

bei dem Betriebsveräußerer verbracht hat (BAG, Urt. v. 30.8.1979 – 3 AZR 58/78, NJW 1980, 416; vgl. auch<br />

BAG, Urt. v. 8.2.1983 – 3 AZR 229/81, NJW 1984, 1254). Das BAG hebt dabei zu Recht hervor, dass § 613a<br />

BGB den bereits erworbenen Besitzstand der übernommenen Arbeitnehmer schützt, dass aber die<br />

Betriebszugehörigkeit für sich allein noch keine Rechte begründet.<br />

War die betriebliche Altersversorgung beim alten Arbeitgeber über eine Betriebsvereinbarung geregelt,<br />

wird die betriebliche Altersversorgung zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber<br />

und dem Arbeitnehmer, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Die bestehenden Versorgungszusagen dürfen nicht vor<br />

310 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1385<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert<br />

werden. Eine Verbesserung der Versorgungssituation ist allerdings immer zulässig.<br />

Eine Ausnahme zu dieser grundsätzlichen Transformation in das Individualarbeitsverhältnis besteht<br />

allerdings dann, wenn die Identität des Betriebs erhalten bleibt und aufgrund dessen die bestehende<br />

Betriebsvereinbarung unverändert fortbesteht (BAG, Beschl. v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222).<br />

In einem solchen Fall entfällt die Veränderungssperre von einem Jahr. Die bestehende Betriebsvereinbarung<br />

kann bereits kurze Zeit nach dem Betriebsübergang – unter Beachtung der Besitzstandsrechtsprechung<br />

(Drei-Stufen-Theorie: s. dazu unter VII 3) des BAG – geändert werden.<br />

VI. Informationspflichten<br />

Gemäß § 613a Abs. 5 BGB muss entweder der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem<br />

Übergang betroffenen Arbeitnehmer zwingend vor dem Übergang schriftlich über folgende Punkte<br />

informieren:<br />

• den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,<br />

• den Grund für den Übergang,<br />

• die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und<br />

• die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.<br />

Der Arbeitnehmer hat daraufhin das Recht, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb eines<br />

Monats nach Zugang der Unterrichtung schriftlich zu widersprechen.<br />

Die Informationsverpflichtung nach § 613a Abs. 5 BGB erstreckt sich nach einer weitverbreiteten<br />

Literaturansicht insb. auch auf die betriebliche Altersversorgung (REINECKE, DB 20<strong>06</strong>, 557; KISTERS-KÖLKES in<br />

FS Kemper, S. 227). Inhalt dieser Informationspflicht ist es daher auch, dem Arbeitnehmer mitzuteilen,<br />

wie sich seine betriebliche Altersversorgung zukünftig gestaltet und unter welchen Rahmenbedingungen<br />

er künftig seinen Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung umsetzen kann.<br />

Demgegenüber ist das BAG der Auffassung, dass hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung keine<br />

Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB bestehen. Nach Ansicht des BAG sind die Voraussetzungen<br />

dieser Vorschrift nicht gegeben, da Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung keine Folge<br />

des Übergangs sind, sondern bis zum Zeitpunkt des Übergangs ohne Rücksicht auf diesen entstehen.<br />

Ebenso wenig seien sie hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen, da sie<br />

unabhängig vom Handeln des Veräußerers oder des Erwerbers bestünden (BAG, Urt. v. 22.5.2007 –<br />

3 AZR 357/<strong>06</strong>, NZA 2007, 1285 und Urt. v. 22.5.2007 – 3 AZR 834/05, NZA 2007, 1283; zustimmend: ROLFS,<br />

BetrAV 2008, 469; vgl. a.: HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 59 ff.).<br />

VII. Konkurrenz bestehender Versorgungssysteme<br />

Die durch einen Betriebsübergang bedingte Übernahme eines beim übernommenen Unternehmen<br />

bestehenden betrieblichen Versorgungssystems kann nach der Übernahme zu unterschiedlichen<br />

Konsequenzen führen, je nachdem, ob das übernehmende Unternehmen ebenfalls seinen Mitarbeitern<br />

betriebliche Versorgungsleistungen gewährt oder nicht. Daneben ist auch der Fall denkbar, dass das<br />

übernommene Unternehmen keine betrieblichen Versorgungsleistungen gewährt hat, die übernommenen<br />

Arbeitnehmer aber nach dem Betriebsübergang in ein Unternehmen mit einem betrieblichen<br />

Versorgungssystem zu integrieren sind.<br />

1. Nur beim Betriebsveräußerer existentes Versorgungssystem<br />

Soweit lediglich beim Betriebsveräußerer ein betriebliches Versorgungssystem besteht, richten<br />

sich die rechtlichen Konsequenzen aus der Übernahme dieser Versorgungsleistungen ausschließlich<br />

nach den bereits dargestellten Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Das bedeutet, dass der Betriebserwerber<br />

vollinhaltlich in die Rechte und Pflichten aus den beim Betriebsveräußerer erteilten<br />

Versorgungsverpflichtungen eintritt, und zwar unabhängig davon, ob die Versorgungsverpflichtung<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 311


Fach 17, Seite 1386<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Arbeitsrecht<br />

des Betriebsveräußerers auf einer individualrechtlichen Rechtsgrundlage oder einer Betriebsvereinbarung<br />

beruht hat (vgl. HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 71 ff.).<br />

In derartigen Fällen ist der Betriebserwerber nicht verpflichtet, die übernommene Altersversorgung auf<br />

die bereits vor dem Betriebsübergang in seinem Unternehmen tätigen Arbeitnehmer auszudehnen.<br />

2. Nur beim Betriebserwerber existentes Versorgungssystem<br />

Besteht dagegen lediglich beim Betriebserwerber ein betriebliches Versorgungssystem, sind auch keine<br />

nach § 613a BGB fortbestehenden Versorgungsverpflichtungen vom Betriebserwerber zu übernehmen.<br />

Darüber hinaus haben die übernommenen Arbeitnehmer allein aus Anlass des Betriebsübergangs<br />

auch keinen Anspruch darauf, in das beim Betriebserwerber existierende Versorgungssystem integriert<br />

zu werden. Dieser Anspruch ergibt sich grds. auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung, da<br />

die Zugehörigkeit der übernommenen Mitarbeiter zu dem übernommenen Betrieb einen sachlichen<br />

Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung darstellt (LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1721). Wenn das<br />

BAG bereits eine unterschiedliche Behandlung zwischen den Mitarbeitern verschiedener Betriebe eines<br />

Unternehmens akzeptiert (BAG, Urt. v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358), dann muss dies erst<br />

recht für eine entsprechende Differenzierung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang gelten<br />

(so auch HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 89 ff.).<br />

Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Mitarbeiter des übernommenen Betriebs voll in das Unternehmen<br />

des Betriebserwerbers integriert werden. In diesem Fall kommt es automatisch zu einer<br />

Aufnahme in das bestehende Versorgungswerk, sofern dieses nicht für den Neuzugang geschlossen ist<br />

(LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1721). Insoweit ist es nämlich unerheblich, ob ein Mitarbeiter aufgrund eines<br />

Arbeitsvertrags neu eingestellt oder ob sein bestehender Arbeitsvertrag kraft Gesetzes, nämlich nach<br />

§ 613a BGB, vom Betriebserwerber übernommen wird. In beiden Fällen tritt der Arbeitnehmer unter<br />

den allgemeinen Aufnahmevoraussetzungen in das Versorgungswerk ein. Das bedeutet aber auch, dass<br />

der Betriebserwerber die anrechnungsfähige Dienstzeit bei den übernommenen Mitarbeitern auf die<br />

Zeiten nach dem Betriebsübergang begrenzen kann und dass diese Dienstzeiten auch für die gesetzliche<br />

Unverfallbarkeitsfrist maßgeblich sind. Eine Anrechnung der Vordienstzeiten beim Betriebsveräußerer<br />

bedarf daher in jedem Fall einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen den neuen Arbeitsvertragsparteien.<br />

3. Konkurrenzverhältnis zwischen sowohl beim Betriebsveräußerer als auch beim Betriebserwerber<br />

bestehenden Versorgungssystemen<br />

Soweit bei beiden Vertragsparteien des Betriebsübergangs, also sowohl beim Betriebsveräußerer als<br />

auch beim Betriebserwerber, betriebliche Versorgungssysteme bestehen, stellt sich die Frage nach dem<br />

Konkurrenzverhältnis nach erfolgtem Betriebsübergang. Grundsätzlich ist auch in einer solchen<br />

Situation zunächst einmal von der allgemeinen Rechtsfolge des § 613a BGB auszugehen, wonach der<br />

Betriebserwerber vollinhaltlich in die Rechte und Pflichten der übernommenen Arbeitsverhältnisse und<br />

der damit zugleich übernommenen Versorgungsverpflichtungen eintritt. Dabei gelten allerdings folgende<br />

Besonderheiten:<br />

• Werden die Mitarbeiter in das Unternehmen des Betriebserwerbers integriert, stellt sich die Frage, ob<br />

sie neben den fortzuführenden ursprünglichen Versorgungsansprüchen zusätzlich auch noch<br />

Ansprüche aus dem Versorgungswerk des Betriebserwerbers erhalten oder ob lediglich die bessere<br />

Versorgungsleistung aus beiden Versorgungssystemen zur Auszahlung gelangen soll. Ein hieraus<br />

abgeleiteter individueller Günstigkeitsvergleich dürfte sich allerdings nicht nur auf die Höhe der<br />

zugesagten Versorgungsleistungen beschränken, sondern müsste auch eventuelle Unterschiede bei<br />

den abgesicherten biologischen Versorgungsfällen (welche Risiken werden überhaupt gesichert,<br />

Dauer der Leistungsgewährung etc.) sowie den allgemeinen und besonderen Leistungsvoraussetzungen<br />

(Wartezeiten, Zurechnungszeiten, Begriff der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit etc.) berücksichtigen.<br />

Dies kann gerade bei unterschiedlichen Versorgungssystemen zu erheblichen Komplikationen<br />

führen. Vor diesem Hintergrund ist eine eindeutige und unmissverständliche Regelung des<br />

312 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1387<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Konkurrenzverhältnisses in jedem Fall zu empfehlen, wobei der Leistungsumfang der übernommenen<br />

Versorgungsverpflichtungen nicht unterschritten werden darf.<br />

• Beruhen beide Versorgungssysteme auf einer Betriebsvereinbarung, gilt allerdings nicht das<br />

Günstigkeitsprinzip. Vielmehr ist § 613a Abs. 1 S. 3 BGB zu beachten. Nach dem in dieser Vorschrift<br />

geregelten Ordnungsprinzip verdrängen die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung des Betriebserwerbers<br />

diejenigen der Betriebsvereinbarung des Betriebsveräußerers. Der Gesetzgeber hat<br />

hierbei die Erleichterung der Anpassung und Vereinheitlichung unterschiedlicher Betriebsnormen<br />

und Arbeitsbedingungen über die individuellen Arbeitnehmerrechte gesetzt (vgl. auch BT-Drucks<br />

8/3317, S. 11).<br />

• Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAG zum Bestandsschutz betrieblicher Versorgungsrechte<br />

bei der einschränkenden Neuordnung von Versorgungssystemen (vgl. hierzu die ausführliche Darstellung<br />

bei LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1586 ff.) kann dieses Ordnungsprinzip i.R.d. betrieblichen<br />

Altersversorgung aber nicht uneingeschränkt zur Anwendung kommen. Vielmehr muss auch beim<br />

Betriebsübergang – wie bei der Neuordnung auch – der bis zum Betriebsübergang erdiente Besitzstand<br />

gewahrt werden. Das Ordnungsprinzip kann sich somit nur für die Zeiten nach dem Betriebsübergang<br />

auswirken. Dies hat zur Folge, dass entsprechend dem ratierlichen Berechnungsverfahren<br />

nach § 2 Abs. 1 BetrAVG die Dienstzeiten beim Betriebsveräußerer nach der „alten“ Versorgungsordnung<br />

und die Dienstzeiten beim Betriebserwerber nach dessen Versorgungsordnung zu bewerten<br />

sind. Die sich aus dieser Berechnung ergebenden Anwartschaftswerte sind zu addieren und ergeben<br />

dann den vom Betriebserwerber geschuldeten Versorgungsbetrag (so auch: HÖFER, a.a.O., Kap. 9<br />

Rn 112 ff.; LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1721; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13, juris).<br />

• Der bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 BetrAVG zu ermittelnde Besitzstand stellt<br />

aber „bereits verdientes Arbeitsentgelt“ dar (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/<strong>06</strong>,<br />

AP Nr. 329 zu § 613a BGB), das nicht ohne Weiteres wieder entzogen werden kann. Dann ist aber<br />

auch eine „Verrechnung“ bereits erworbener Anwartschaften mit Ansprüchen, die durch weitere<br />

Arbeitsleistungen und/oder Betriebstreue beim Betriebserwerber erworben werden, nicht zulässig.<br />

Genau auf eine solche Verrechnung würde es aber hinauslaufen, wenn die beim Altarbeitgeber<br />

erworbenen Anwartschaften nicht zusätzlich zu den beim Betriebserwerber erworbenen Ansprüchen<br />

Berücksichtigung fänden (so aber noch: BAG, Urt. v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, BAGE 98, 224 =<br />

NZA 2002, 520). Auf der Basis dieser (nunmehr revidierten) BAG-Rechtsprechung müsste der<br />

Mitarbeiter erst noch einmal seinen Besitzstand beim Betriebserwerber erdienen, bevor es zu einer<br />

Steigerung seines bereits beim Betriebsveräußerer erdienten Besitzstands kommen würde.<br />

Beachte:<br />

Das BAG hat diese Rechtsprechung mit seinem Urteil vom 22.10.2019 (3 AZR 429/18, juris) ausdrücklich<br />

aufgegeben und § 613a Abs. 1 S. 3 BGB in Bezug auf die betriebliche Altersversorgung eingeschränkt ausgelegt.<br />

Regeln mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand, gilt das<br />

Ablösungsprinzip. Danach kann eine ältere eine jüngere Betriebsvereinbarung grds. auch dann ablösen,<br />

wenn die Neuregelung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist (st. Rspr., vgl. u.a. BAG, Urt. v. 13.10.2016 –<br />

3 AZR 439/15 Rn 20; BAG, Urt. v. 29.10.2002 – 1 AZR 573/01, zu I 2 a der Gründe m.w.N. BAGE 103, 187).<br />

Das Ablösungsprinzip ermöglicht allerdings nicht jede Änderung der Versorgungsregelungen. Soweit in<br />

bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit<br />

zu beachten. Diese Grundsätze hat der Senat für Eingriffe in die Höhe von Versorgungsanwartschaften<br />

durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert (st. Rspr. seit BAG, Urt. v.<br />

17.4.1985 – 3 AZR 72/83, zu B II 3 c der Gründe BAGE 49, 57).<br />

Dieses vom Senat entwickelte dreistufige Prüfungsschema gilt auch bei der Ablösung einer bisher im<br />

Veräußererbetrieb geltenden Betriebsvereinbarung durch eine im Erwerberunternehmen bereits vor-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 313


Fach 17, Seite 1388<br />

Betriebsübergang und Altersversorgung<br />

Arbeitsrecht<br />

handene Gesamtbetriebsvereinbarung im Fall eines Betriebsübergangs. Zwar tritt die beim Erwerber<br />

geltende Gesamtbetriebsvereinbarung in diesen Fällen kraft Gesetzes an die Stelle der noch beim<br />

Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung. Das beruht auf der Regelungsmacht der Betriebsparteien<br />

auf der Unternehmensebene. Ihre rechtlichen Möglichkeiten setzen sich auch gegenüber der im übernommenen<br />

Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung durch. Sind diese Regelungsmöglichkeiten jedoch<br />

rechtlich begrenzt, gilt dies ebenfalls für die gesetzlichen Rechtsfolgen bereits geschlossener Gesamtbetriebsvereinbarungen.<br />

Da die Gesamtbetriebsparteien lediglich unter Beachtung der Voraussetzungen<br />

des dreistufigen Prüfungsschemas berechtigt sind, Betriebsvereinbarungen über die betriebliche<br />

Altersversorgung abzulösen, kann die gesetzliche Wirkung einer bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung<br />

nicht weiter gehen, als es sonst im Rahmen einer Ablösung zulässig wäre.<br />

Das dreistufige Prüfungsschema gilt auch bei der Anwendung von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB. Die Regelung<br />

ist dahingehend entsprechend einschränkend auszulegen, also teleologisch zu reduzieren. Eine beim<br />

Erwerber geltende Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung entfaltet gegenüber einer<br />

beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung nur insoweit nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB ablösende<br />

Wirkung, als dies einer Überprüfung nach dem dreistufigen Prüfungsschema standhält.<br />

Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB gewährt deshalb dem Erwerber (nur) dieselben Möglichkeiten,<br />

wie sie auch der Veräußerer gehabt hätte (BAG, Urt. v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, a.a.O.). Sie überträgt<br />

die Grundsätze der Ablösung kollektiver Regelungen auch auf die Situation des Betriebsübergangs und<br />

auf Fallgestaltungen, bei denen beim Erwerber eine kollektive Regelung nicht erst geschaffen wird,<br />

sondern im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits besteht.<br />

Dagegen dient § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht dazu, gerade bei einem Betriebsübergang dem Erwerber<br />

strukturell weiter gehende Möglichkeiten einzuräumen, als sie der Veräußerer gehabt hätte. Dies<br />

widerspräche dem ebenfalls in § 613a Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Prinzip der Kontinuität des<br />

Arbeitsverhältnisses. § 613a Abs. 1 BGB verfolgt das Ziel, die Rechtsstellung der Arbeitnehmer vor<br />

Verschlechterungen aus Anlass eines Betriebsübergangs weitgehend zu schützen, insb. auch gegen den<br />

Verlust von Rechtspositionen, die sie bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gehabt haben. Soweit der<br />

Ablösung einer kollektiven Regelung beim Veräußerer Grenzen gesetzt waren, müssen diese auch beim<br />

Erwerber eingehalten werden. Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB räumt dem Ordnungsprinzip nur<br />

insoweit Vorrang vor dem Vertrauensschutz ein, als dies nicht dazu führt, dass die Befugnisse des<br />

Erwerbers – und der Betriebsparteien – größer sind als die des Veräußerers.<br />

Da Bestand und Inhalt des Arbeitsverhältnisses durch § 613a Abs. 1 BGB gerade geschützt werden sollen,<br />

ist hierdurch auch das Vertrauen auf den Fortbestand einer Versorgungsregelung nach denselben<br />

Grundsätzen, wie sie für Ablösungen beim Veräußerer gelten, erfasst. Dass nach dem Übergang des<br />

Arbeitsverhältnisses die beim Erwerber bestehenden Umstände für die Beurteilung maßgeblich sind,<br />

bleibt davon unberührt.<br />

Damit steht zugleich fest, dass allein das Interesse des Arbeitgebers, nach einem Betriebsübergang<br />

unterschiedliche Versorgungsordnungen vereinheitlichen zu wollen, als Sachgrund für eine Verschlechterung<br />

von Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung nicht – auch nicht für Eingriffe in die<br />

weiteren dienstzeitabhängigen Zuwächse – genügt. Vielmehr müssen weitere Voraussetzungen für<br />

diesen Sachgrund erfüllt sein.<br />

Die Grundsätze zur Ablösung kollektivrechtlich normierter Versorgungsregelungen sind daher auch<br />

beim Betriebsübergang und auf solche Fallgestaltungen anzuwenden, bei denen beim Erwerber eine<br />

kollektive Regelung nicht erst geschaffen wird, sondern im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits<br />

besteht.<br />

314 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Steuerrecht Fach 20, Seite 677<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Steuerrecht<br />

Steuerrecht und Gesellschaftsrecht: Grundlagen der Besteuerung der<br />

Kapitalgesellschaften<br />

Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht PETER HAAS, Bochum, und Rechtsreferendar und<br />

wiss. Mitarbeiter TITUS WOLF, Erlangen<br />

Inhalt<br />

I. Prinzipien der Körperschaftsteuer und Körperschaftsteuersystem<br />

II. Steuerpflicht<br />

III. Einkommensermittlung<br />

IV. Körperschaftsteuertarif<br />

V. Bezüge und Gewinne i.S.d. § 8b KStG<br />

VI. Verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte<br />

Einlage<br />

1. Verdeckte Gewinnausschüttung (vGA)<br />

2. Verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 S. 3 bis 6<br />

KStG)<br />

VII. Verlustabzug und § 8c KStG<br />

VIII. Organschaft<br />

I. Prinzipien der Körperschaftsteuer und Körperschaftsteuersystem<br />

Das Körperschaftsteuergesetz erfasst im Wesentlichen (vgl. aber § 1 Abs. 1 Nr. 4, 5 KStG) die sog.<br />

juristischen Personen, namentlich die Kapitalgesellschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Im Gegensatz<br />

dazu regelt das Einkommensteuergesetz die Besteuerung der natürlichen Personen. Im Körperschaftsteuerrecht<br />

herrscht das Trennungsprinzip, d.h. das von der juristischen Person erwirtschaftete<br />

Einkommen unterliegt der Körperschaftsteuer, die juristische Person selbst ist Körperschaftsteuersubjekt.<br />

Ist das Einkommen negativ, wird es ausschließlich dem Körperschaftsteuersubjekt zugerechnet.<br />

Die Anteilseignersphäre wird erst dann steuerrechtlich berührt, wenn Ausschüttungen an die<br />

Gesellschafter erfolgen. Verluste können nur ausnahmsweise nach den Vorschriften der Organschaft<br />

(vgl. §§ 14 ff. KStG) dem Gesellschafter zugerechnet werden.<br />

Nach § 8 Abs. 3 S. 1 KStG ist es für die Ermittlung des Einkommens ohne Bedeutung, ob das<br />

Einkommen verteilt wird. Der Steuer unterliegt der Bereich der Erzielung des Einkommens. Auf die<br />

Höhe der Bemessungsgrundlage derselben hat es deshalb keinen Einfluss, wie das Einkommen verwendet<br />

wird. Daraus folgt, dass eine Gewinnausschüttung – als die klassische Form der Einkommensverwendung<br />

– die steuerliche Belastung der Kapitalgesellschaft nicht mindern darf. Die Höhe<br />

des Einkommens ist unabhängig davon, ob und ggf. in welcher Höhe die Kapitalgesellschaft eine<br />

Ausschüttung vornimmt oder nicht. Wie § 8 Abs. 3 S. 2 KStG erkennen lässt, regelt die Satz 1 ergänzende<br />

Vorschrift nicht nur Gewinnausschüttungen im engeren Sinne, sondern jede Form der Verteilung<br />

des Einkommens auf die Gesellschafter. Nicht abziehbar ist daher jede Form der Vermögensübertragung<br />

auf die Gesellschafter, die nicht Ausfluss von schuldrechtlichen Lieferungs- und<br />

Leistungsbeziehungen ist, sondern ihren Rechtsgrund in dem Gesellschaftsverhältnis hat. Dies betrifft<br />

sowohl die sog. offenen Gewinnausschüttungen, bei denen die gesellschaftsrechtliche Grundlage<br />

durch einen Gewinnverteilungsbeschluss offengelegt wird, als auch die sog. verdeckten Gewinnaus-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 315


Fach 20, Seite 678<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Steuerrecht<br />

schüttungen, bei denen dies nicht der Fall ist, und schließlich Vorgänge, die überhaupt keine Gewinnausschüttung<br />

mehr sind, weil die Auskehrung des Vermögens an die Gesellschafter im Rahmen<br />

einer Liquidation erfolgt.<br />

Da aus dem rechtlichen Trennungsprinzip im Fall der Ausschüttung eine zweifache Besteuerung zunächst<br />

auf Ebene der Körperschaft und dann auf Ebene des Anteilseigners eintritt, stellt sich im Hinblick<br />

auf das Körperschaftsteuersystem die Frage, ob es bei diesem „klassischen System“ der Körperschaftsteuer,<br />

bei der die Doppelbesteuerung nicht gemildert wird, verbleiben soll oder ob aus betriebs- und<br />

finanzwissenschaftlichen Gründen eine Abmilderung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung und<br />

damit der Gesamtbelastung von Körperschaft und Anteilseigner notwendig erscheint. Das in der Bundesrepublik<br />

Deutschland nach der Unternehmensteuerreform 2001 ab 2002 herrschende System ist<br />

insofern ein „klassisches System“, als es die Doppelbesteuerung als Besteuerung der Gewinne auf der<br />

Ebene der Körperschaft und als Dividendenbesteuerung auf der Ebene der Anteilseigner im Prinzip<br />

aufrechterhält.<br />

Nach dem Freistellungsverfahren bleibt die Besteuerung auf der Ebene der Körperschaft bestehen<br />

und die Milderung der Doppelbesteuerung setzt auf der Ebene des Anteilseigners an. Diese<br />

Freistellung ist in § 8b Abs. 1 KStG geregelt (ausführlich unter V). Die Dividende wird auf der Ebene<br />

des Anteilseigners im Ergebnis zu 95 % von der Besteuerung ausgenommen, da § 8b Abs. 5 S. 1 KStG<br />

qua Fiktion anordnet, dass 5 % der Ausschüttung als nicht abziehbare Betriebsausgabe gelten. Nach<br />

dem Halbeinkünfte- bzw. Teileinkünfteverfahren, das ebenfalls auf der Ebene des Anteilseigners<br />

eingreift, wird die Gewinnausschüttung nur zur Hälfte in das steuerpflichtige Einkommen einbezogen<br />

(„Halbeinkünfteverfahren“), bzw. beim seit 2009 geltenden Teileinkünfteverfahren zu 60 %<br />

(§ 3 Nr. 40 EStG).<br />

Beispiel:<br />

Frau F ist an der X-GmbH zu 100 % beteiligt, die ihrerseits zu 100 % an der Y-GmbH beteiligt ist.<br />

Eine Gewinnausschüttung der Y-GmbH an die X-GmbH führt bei dieser zwar zu einem Gewinn,<br />

der jedoch außerhalb der Steuerbilanz nach der in § 8b Abs. 1 KStG verwirklichten sog. Freistellungsmethode<br />

zu korrigieren ist. Da zugleich 5 % der Dividendenausschüttung gem. § 8b Abs. 5 KStG als nicht<br />

abzugsfähige Betriebsausgaben gelten, werden in der Summe 95 % der Dividendenzahlung freigestellt.<br />

Wäre die Y-GmbH sog. Organgesellschaft (dazu unter VIII) der X-GmbH als Organträgerin, würde ihr<br />

Einkommen der X-GmbH zugerechnet, sodass – mangels Ausschüttung – auch keine nichtabzugsfähigen<br />

Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG anfielen.<br />

Bei der Ausschüttung der X-GmbH an Frau F ist zu differenzieren: Soweit Frau F ihre Anteile an der<br />

X-GmbH im Privatvermögen hält, unterliegen die Dividenden, die zu sog. Einkünften aus Kapitalvermögen<br />

(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) führen, der sog. Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 EStG). Es handelt sich<br />

dabei um eine Einnahmenbesteuerung i.H.v. 26,375 % (25 % ESt zuzüglich SolZ). Soweit die Anteile von<br />

Frau F ihrem Betriebsvermögen zuzurechnen sind (z.B. weil zwischen Frau F und der X-GmbH eine sog.<br />

Betriebsaufspaltung besteht), kommt das sog. Teileinkünfteverfahren zur Anwendung (vgl. §§ 3 Nr. 40,<br />

3c EStG). Danach werden die Dividenden zu 40 % von der Steuer freigestellt, sodass im Ergebnis 60 %<br />

der Dividenden dem persönlichen Steuersatz des jeweiligen Gesellschafters unterliegen. Korrespondierend<br />

hierzu können Werbungskosten, die in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, zu 60 %<br />

steuermindernd berücksichtigt werden (§ 3c Abs. 2 EStG). Das Teileinkünfteverfahren ist ebenso anzuwenden,<br />

wenn die Anteile veräußert oder aus dem Betriebsvermögen entnommen werden. Die<br />

Abgeltungsteuer ist insoweit nicht einschlägig.<br />

II. Steuerpflicht<br />

Die §§ 1 und 2 KStG regeln die Körperschaftsteuerpflicht. In ihnen wird abschließend aufgeführt, welcher<br />

Personenkreis körperschaftsteuerpflichtig ist.<br />

316 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Steuerrecht Fach 20, Seite 679<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Der Körperschaftsteuer unterliegen gem. § 1 KStG als Steuersubjekte die folgenden Körperschaften,<br />

Personenvereinigungen und Vermögensmassen:<br />

1. Kapitalgesellschaften (insb. SE, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften<br />

mit beschränkter Haftung und ausländische Kapitalgesellschaften);<br />

2. Genossenschaften einschließlich der Europäischen Genossenschaften;<br />

3. Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit;<br />

4. sonstige juristische Personen des privaten Rechts;<br />

5. nicht rechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts;<br />

6. Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.<br />

Unbeschränkt steuerpflichtig sind die o.g. juristischen Personen, die ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO)<br />

oder ihren Sitz (§ 11 AO) im Inland haben. Unbeschränkte Steuerpflicht bedeutet, dass sowohl<br />

die inländischen als auch die ausländischen Einkünfte, soweit nicht eine Befreiungsvorschrift eines<br />

Doppelbesteuerungsabkommens greift, der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen. Da jede in<br />

Deutschland gegründete GmbH oder AG in ein deutsches Handelsregister eingetragen werden muss,<br />

unterliegt jede GmbH nach dem GmbHG sowie jede AG nach dem AktG mit ihrem Welteinkommen<br />

der Besteuerung. Auf die Frage der Geschäftsleitung kommt es nur bei ausländischen Kapitalgesellschaften<br />

(z.B. der nach englischem Recht gegründeten Private Limited Company, kurz Ltd.) an.<br />

Der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen Körperschaften, Personenvereinigungen<br />

und Vermögensmassen, die im Inland weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung haben, mit ihren<br />

inländischen Einkünften sowie sonstige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen,<br />

die nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, mit ihren inländischen Einkünften, von denen ein<br />

Steuerabzug vorzunehmen ist. Ausländische Kapitalgesellschaften, deren Geschäftsleitung im Ausland<br />

liegt, sind nur beschränkt steuerpflichtig mit den inländischen Einkünften (vgl. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m.<br />

§§ 49 ff. EStG).<br />

§ 5 KStG zählt abschließend die Befreiungen von der Körperschaftsteuer auf. Die dort genannten<br />

Körperschaften unterliegen bei subjektiven Steuerbefreiungen mit ihren gesamten Einkünften, bei<br />

partiellen Steuerbefreiungen mit Teilbereichen ihrer Tätigkeit von vornherein nicht der Körperschaftsteuer.<br />

Die praktisch bedeutsamste (partielle) Steuerbefreiung für die Praxis stellt § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG,<br />

die gemeinnützige Körperschaft i.S.d. §§ 51–68 AO, dar.<br />

Die Steuerpflicht ist an die rechtliche Existenz des Steuersubjekts gebunden und entsteht grds.<br />

spätestens mit der Erlangung der Rechtsfähigkeit. Juristische Personen entstehen i.d.R. durch Eintragung<br />

in ein Register (Handels-, Genossenschafts-, Vereinsregister) oder durch staatliche Genehmigung<br />

des Geschäftsbetriebs. Bei Kapitalgesellschaften ist im Gründungsstadium vor der Registereintragung<br />

zwischen der Vorgründungsgesellschaft und der Vorgesellschaft zu unterscheiden. Von<br />

einer Vorgründungsgesellschaft spricht man so lange, bis der Gesellschaftsvertrag notariell beurkundet<br />

ist. Eine Vorgesellschaft liegt in der Zeit zwischen Abschluss des notariellen Gesellschaftsvertrags<br />

und der Registereintragung vor. Die Körperschaftsteuerpflicht tritt mit Abschluss des notariell<br />

beurkundeten Gesellschaftsvertrags ein (BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323; BFH, Urt. v.<br />

20.10.1982 – I R 118/78, BStBl II 1983, 247). Die persönliche Steuerpflicht endet grds. nach Ablauf eines<br />

Sperrjahres nach der Registerlöschung bzw. Rücknahme der staatlichen Genehmigung (BFH, Urt. v.<br />

6.5.1977 – III R 19/75, BStBl II 1977, 783, m.w.N.)<br />

III. Einkommensermittlung<br />

Die Höhe der Körperschaftsteuer bemisst sich gem. § 7 Abs. 1 KStG nach dem „zu versteuernden<br />

Einkommen“. Das KStG knüpft somit auch an den Einkommensbegriff des EStG an, der jedoch durch<br />

die Besonderheiten einer Körperschaft im Vergleich zu natürlichen Personen und die auf die Körperschaften<br />

zugeschnittenen Sondervorschriften des KStG modifiziert ist. Nach § 7 Abs. 2 KStG ist das<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 317


Fach 20, Seite 680<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Steuerrecht<br />

zu versteuernde Einkommen das Einkommen i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG, um die Freibeträge der §§ 24 und 25<br />

KStG vermindert. Wie dieses zu ermitteln ist, bestimmen die §§ 7–22 KStG.<br />

Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, bestimmt sich nach den Vorschriften<br />

des Einkommen- und des Körperschaftsteuergesetzes (§ 8 Abs. 1 KStG). Vorschriften des EStG, die<br />

ausschließlich auf natürliche Personen zugeschnitten sind, wie z.B. Sonderausgaben, Freibeträge, außergewöhnliche<br />

Belastungen usw. sind dabei jedoch nicht anwendbar. Auch im Körperschaftsteuerrecht<br />

sind die erzielten Einkünfte grds. der jeweiligen Einkunftsart i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zuzuordnen. Einkünfte<br />

aus nichtselbstständiger Arbeit sind nicht möglich, da diese das Vorhandensein einer natürlichen<br />

Person voraussetzen (BFH, Urt. v. 30.11.1966 – I 215/64, BStBl III 1967, 400). Auch Einkünfte aus<br />

selbstständiger Arbeit können bei Körperschaften nicht in Betracht kommen (BFH, Urt. v. 20.2.1974 –<br />

I R 217/71, BStBl II 1974, 511; Urt. v. 1.12.1982 – I R 238/81, BStBl II 1983, 213). In welche der fünf übrigen<br />

Einkunftsarten die Einkünfte einer Körperschaft einzuordnen sind (soweit nicht § 8 Abs. 2 KStG<br />

anzuwenden ist), bestimmt sich nach den Vorschriften der §§ 13–24 EStG.<br />

Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG, also neben jeder deutschen<br />

Kapitalgesellschaft (GmbH, AG, KGaA) u.a. auch für ausländische Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung<br />

im Inland (z.B. eine englische PLC), sind nach § 8 Abs. 2 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus<br />

Gewerbebetrieb zu behandeln.<br />

Grundsätzlich ist das Einkommen i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG, das nach den Vorschriften des EStG und den<br />

Sondervorschriften des KStG zu ermitteln ist, Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer. Ein<br />

wesentlicher Unterschied zum EStG besteht darin, dass eine Kapitalgesellschaft keine Privatsphäre<br />

hat (vgl. BODE in Kirchhof EStG, 18. Aufl. 2019, § 4 Rn 64; BFH, Urt. v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182,<br />

123). Entgegen seiner früheren Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 2.11.1965 – I 221/62 S, BStBl III 1966, 255;<br />

Urt. v. 4.3.1970 – I R 123/68, BStBl II, 1970, 470) lehnt der BFH eine außerbetriebliche Sphäre für<br />

Kapitalgesellschaften ab (BFH, Urt. v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123; Urt. v. 8.7.1998 – I R 123/97,<br />

BFH/NV 1999, 269; Urt. v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl II 2017, 324). Dies hat für die Frage der Zuordnung<br />

von Vermögensänderungen außerhalb der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG Bedeutung, insb. bei der<br />

Beurteilung verlustbezogener Tätigkeiten, die ohne Einkunftserzielungsabsicht aus privaten Motiven<br />

der Gesellschafter ausgeübt werden (zur Problemlage und Rechtsentwicklung vgl. SCHALLMOSER et al<br />

in Herrmann/Heuer/Raupach, 295. Lieferung 2019, § 8 KStG Rn 73 ff.). Es erfolgt außerhalb der<br />

Steuerbilanz eine Einkommenskorrektur über den Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung<br />

(dazu unter VI 1).<br />

Einer Kapitalgesellschaft sind alle die Einkünfte zuzurechnen, die sie erzielt (BFH, Urt. v. 13.12.1989 –<br />

I R 98/86, BStBl II 1990, 468; Urt. v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl II 2017, 324). Sie erzielt gewerbliche<br />

Einkünfte, wenn die sie auslösende Tätigkeit im Namen und für Rechnung der Gesellschaft ausgeübt<br />

wird. Bei der Gewinnermittlung insb. von GmbH können sich Schwierigkeiten in der Frage ergeben,<br />

wem die Einkünfte zuzurechnen sind, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer neben dieser Tätigkeit<br />

auch als selbstständiger Einzelunternehmer tätig ist. Besondere Zweifel können sich dann ergeben,<br />

wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer auf demselben Gebiet tätig ist wie die von ihm vertretene<br />

GmbH, ohne dass vertragliche Vereinbarungen über eine klare und eindeutige Aufgabenabgrenzung<br />

beider Unternehmen bestehen.<br />

Die Körperschaftsteuer ist eine Jahressteuer. Der sog. Veranlagungszeitraum ist somit gem. § 7 Abs. 3<br />

KStG das Kalenderjahr. Für dieses sind die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Dieser Ermittlungszeitraum<br />

kann sich verkürzen, wenn die Steuerpflicht nicht während des gesamten Kalenderjahres<br />

bestanden hat. Bei Steuerpflichtigen, die zur Buchführung verpflichtet sind, ist das Wirtschaftsjahr der<br />

maßgebende Ermittlungszeitraum. Bei einem abweichenden Wirtschaftsjahr gilt der Gewinn in dem<br />

Kalenderjahr als bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr endet.<br />

318 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Steuerrecht Fach 20, Seite 681<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Über § 8 Abs. 1 KStG gelten die im Einkommensteuergesetz geregelten Abzugsverbote (insb. nicht<br />

abzugsfähige Betriebsausgaben nach den §§ 4 Abs. 5, Abs. 5b, 4j EStG und die Zinsschranke nach § 4h<br />

EStG, die von § 8a KStG ergänzt wird) auch für die Körperschaftsbesteuerung. Darüber hinaus enthält<br />

§ 10 KStG spezielle körperschaftsteuerliche Abzugsverbote.<br />

Schematisch kann die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Kapitalgesellschaft wie folgt<br />

dargestellt werden:<br />

Handelsrechtliches Ergebnis (Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag)<br />

+/- Korrekturen zur Anpassung an die Steuerbilanz<br />

= Steuerbilanzergebnis<br />

+ verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG)<br />

+ nicht abziehbare Aufwendungen (z.B. §§ 4 Abs. 5 EStG, 8a, 8b Abs. 3 und 5, 10 KStG)<br />

- abziehbare Aufwendungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG<br />

+ sämtliche Spenden<br />

- nicht der Körperschaftsteuer unterliegende Vermögensmehrungen, z.B. Investitionszulage, Bezüge und<br />

Gewinne i.S.d. § 8 Abs. 1 und 2 KStG<br />

- verdeckte Einlagen (§ 8 Abs. 3 S. 3 ff. KStG)<br />

-/+ vereinnahmte Gewinnabführung/übernommener Verlust aus Organschaft<br />

= Summe der Einkünfte<br />

- abziehbare Spenden, § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG<br />

- ausländische Steuern vom Einkommen<br />

+/- zuzurechnendes Einkommen der Organgesellschaft<br />

= Gesamtbetrag der Einkünfte<br />

- Verlustabzug nach § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG<br />

= Einkommen<br />

- Freibetrag nach §§ 24, 25 KStG<br />

= zu versteuerndes Einkommen i.S.d. § 7 Abs. 1 KStG<br />

IV. Körperschaftsteuertarif<br />

Im Rahmen der sog. Unternehmensteuerreform 2008 wurde der bisher geltende Körperschaftsteuersatz<br />

von 25 % auf das zu versteuernde Einkommen abgesenkt. Seit dem Veranlagungszeitraum 2008<br />

beträgt die Körperschaftsteuer gem. § 23 KStG 15 % des zu versteuernden Einkommens. Durch die<br />

Senkung des Körperschaftsteuersatzes, die Reduzierung der Gewerbesteuermesszahl von 5 % auf 3,5 %<br />

(§ 11 Abs. 2 GewStG n.F.) und im Gegenzug die Nichtabsetzbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe<br />

(§ 4 Abs. 5b EStG n.F.) ergibt sich eine steuerliche Gesamtbelastung für Kapitalgesellschaften<br />

i.H.v. 29,83 %.<br />

Beispiel:<br />

Gewinn vor Steuern: 100<br />

Gewerbesteuer: 100 × 3,5 % x 400 % = 14<br />

Körperschaftsteuer: 100 × 15 % = 15<br />

Solidaritätszuschlag: 15 × 5,5 % = 0,83<br />

Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag insgesamt: 29,83<br />

Die Modellrechnung geht von einem Gewerbesteuerhebesatz von 400 % aus. Außerdem wird unterstellt,<br />

dass die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage (Gewerbeertrag) dem Gewinn entspricht.<br />

Die tatsächliche Steuerbelastung hängt insb. vom jeweiligen Hebesatz der Kommune ab (abrufbar<br />

unter: https://www.gewerbesteuer.de/gewerbesteuerhebesatz). Bei besonders hohen Hebesätzen wie beispielsweise<br />

in München (zzt. 490 %) kann dies zu tariflichen Belastungen von bis zu 30 % führen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 319


Fach 20, Seite 682<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Steuerrecht<br />

V. Bezüge und Gewinne i.S.d. § 8b KStG<br />

Hinweis:<br />

Zu Zweifelsfragen des § 8b KStG vgl. BMF v. 28.4.2003, BStBl I 2003, 292; ausführlich DÖTSCH/PUNG,<br />

DB 2003, 1016 ff.<br />

§ 8b Abs. 1 KStG normiert eine Dividendenfreistellung für Beteiligungserträge. Die Norm als solche<br />

setzte ursprünglich (anders als etwa § 8 Nr. 5 GewStG oder die DBA-Schachtelprivilegien) weder eine<br />

Mindestbeteiligungsquote noch eine Mindestbehaltefrist voraus (BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 – S 2750a<br />

– 7/03, BStBl I 2003, 292 Rn 4; PUNG in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, 90. Ergänzungslieferung 6/2017,<br />

§ 8b KStG Rn 16; SCHNITGER in Schnitger/Fehrenbacher, 2. Auf. 2018, § 8b KStG Rn 137; GOSCH in Gosch,<br />

3. Aufl. 2015, § 8b KStG Rn 100). Inzwischen verlangt § 8b Abs. 4 KStG zu Beginn des Kalenderjahres<br />

eine unmittelbare Beteiligung von mindestens 10 % des Stamm- oder Grundkapitals. § 8b KStG kennt<br />

grds. auch keinen Aktivitätsvorbehalt oder das Erfordernis bestimmter steuerlicher Vorbelastungen<br />

(GOSCH in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8b KStG Rn 100; SCHNITGER in Schnitger/Fehrenbacher, 2. Aufl. 2018, § 8b<br />

KStG Rn 133; zur gesetzlich unterstellten Vorbelastung auch BRUSCHKE, DStZ 2012, 813, 814). Letzteres<br />

galt bis zur Einführung von § 8b Abs. 1 S. 2–4 KStG (GOSCH in FS für Norbert Herzig, 2010, S. 64) auch für<br />

vGA und war in § 8b KStG bis dahin als „Grundsatz der steuerlichen Vorbelastung“ nicht angelegt (ebenso<br />

GRÖBL/ADRIAN in Erle/Sauter, 3. Aufl. 2019, § 8b KStG Rn 44 m.w.N.). Kapitalertragsteuer ist trotz<br />

Steuerfreiheit einzubehalten (vgl. § 43 Abs. 1 S. 3 EStG). § 8b Abs. 5 KStG bestimmt, dass 5 % der Bezüge<br />

(Dividenden, verdeckte Gewinnausschüttungen – vGA) pauschal als Betriebsausgaben gelten, die<br />

nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Die Versagung des Betriebsausgabenabzugs<br />

führt in Zusammenhang mit den Beteiligungserträgen im Ergebnis zumindest zu einer partiellen<br />

Steuerpflicht der Dividenden i.H.v. 5 %. Weitere Konsequenz ist, dass trotz der „Steuerfreiheit“ der<br />

Dividenden die damit zusammenhängenden tatsächlichen Betriebsausgaben (insb. Finanzierungskosten),<br />

soweit sie die 5 %-Grenze überschreiten, in vollem Umfang abgezogen werden können, weil<br />

nach § 8b Abs. 5 S. 2 KStG die Abzugsbeschränkung des § 3c Abs. 1 EStG nicht anzuwenden ist. Die<br />

Begründung von Organschaftsverhältnissen besitzt besondere Bedeutung, da es in diesen Fällen nicht<br />

zur Versagung des pauschalen 5 %-igen Betriebsausgabenabzugs kommt. Des Weiteren entfällt die<br />

Liquiditätsbelastung mit Kapitalertragsteuer.<br />

§ 8b Abs. 2 KStG bestimmt, dass Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an in- und ausländischen<br />

Kapitalgesellschaften bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben. Konsequenz<br />

der Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne ist im Umkehrschluss, dass Teilwertabschreibungen und<br />

Veräußerungsverluste den Gewinn der Kapitalgesellschaft nicht mindern dürfen (§ 8b Abs. 3 S. 3 KStG).<br />

Einzelheiten finden sich in § 8b Abs. 3 S. 4–8 KStG. Dort findet sich auch eine systemwidrige<br />

Gleichstellung des Abzugsverbots der Beteiligungsfinanzierung mit der Fremdfinanzierung in Form<br />

sog. eigenkapitalersetzender Finanzierungen.<br />

Nach § 8b KStG steuerfrei sind insb.:<br />

• Gewinnanteile (Dividenden) • Verdeckte Gewinnausschüttung,<br />

• Ausbeuten<br />

wenn diese das Einkommen der<br />

• Sonstige Bezüge<br />

leistenden Gesellschaft nicht gemindert<br />

hat<br />

Jedoch:<br />

5 % der steuerfreien Bezüge gelten als nichtabziehbare Betriebsausgaben<br />

Gewinne aus<br />

• Anteilsveräußerungen<br />

• Auflösungen<br />

• Kapitalherabsetzungen<br />

VI. Verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte Einlage<br />

Bei der Kapitalgesellschaftsbesteuerung gilt das sog. Trennungsprinzip, mit der Konsequenz, dass auch<br />

Verträge zwischen der Kapitalgesellschaft als selbstständigem Rechtssubjekt und ihren Gesellschaftern<br />

steuerrechtlich grds. vollumfänglich anerkannt werden. Eine Grenze findet diese steuerrechtliche<br />

Anerkennung dort, wo die Verträge nicht dem entsprechen, was unter fremden Dritten üblich ist. Für<br />

320 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>


Steuerrecht Fach 20, Seite 683<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

diese Konstellationen kennt das Körperschaftsteuerrecht die Begriffe „verdeckte Gewinnausschüttung“<br />

und „verdeckte Einlage“. „Verdeckt“ deshalb, weil das zugrunde liegende Rechtsgeschäft in Wahrheit<br />

eine Gewinnausschüttung bzw. Einlage verdeckt. Für die Ermittlung des Einkommens der Gesellschaft<br />

ist es nämlich ohne Bedeutung, ob das Einkommen verteilt wird (§ 8 Abs. 3 S. 1 KStG). Verdeckte<br />

Gewinnausschüttungen mindern deshalb das Einkommen der Körperschaft nicht, verdeckte Einlagen<br />

erhöhen es nicht.<br />

1. Verdeckte Gewinnausschüttung (vGA)<br />

Eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) i.S.d. Körperschaftsteuerrechts ist eine Vermögensminderung<br />

oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich<br />

auf die Höhe des Unterschiedsbetrags gem. § 4 Abs. 1 S. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und nicht<br />

auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruht<br />

(BFH, Urt. v. 22.2.1989 – I R 98/86, BStBl II 1989, 475). Nach der Rechtsprechung des BFH muss diese<br />

außerdem durch Organe der Gesellschaft verursacht werden und geeignet sein, beim Gesellschafter<br />

einen sonstigen Bezug i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG auszulösen (vgl. BFH, Urt. v. 7.8.2002 – I R 2/02,<br />

BStBl II 2004, 131).<br />

Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist dann gegeben, wenn ein ordentlicher und<br />

gewissenhafter Geschäftsleiter die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung gegenüber<br />

einer Person, die nicht Gesellschafter ist, unter sonst gleichen Umständen nicht hingenommen<br />

hätte. Nach der umfangreichen Rechtsprechung des BFH sind grds. zwei Gruppen der vGA zu<br />

unterscheiden (vgl. BFH, Urt. v. 8.11.1989 – I R 88/85, BStBl II 1990, 244):<br />

a) Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter hätte eine solche Zuwendung nicht gemacht.<br />

b) Es liegen keine im Voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarungen der Kapitalgesellschaft<br />

mit ihrem beherrschenden Gesellschafter vor.<br />

Der Fremdvergleich gehört als Unterprinzip zum Veranlassungsprinzip. Die Denkfigur des ordentlichen<br />

und gewissenhaften Geschäftsleiters ist jedoch nicht der alleinige Maßstab, wenn es sich um Vereinbarungen<br />

handelt, die ausschließlich mit dem Gesellschafter getroffen werden können, und keine<br />

Vergleichsmöglichkeiten mit Dritten bestehen, d.h. die per se die „societatis causa“ zum Inhalt haben<br />

(BFH, Urt. v. 17.4.1984 –I R 22/79, BStBl II 1985, 69; JANSSEN, Verdeckte Gewinnausschüttung, 12. Aufl. 2017,<br />

Rn 5250). In diesem Fall ist im Rahmen eines außerbetrieblichen Vergleichs darauf abzustellen, was<br />

andere Firmen derselben Branche in derselben Situation ihren Gesellschaftern gegenüber aufwenden.<br />

Beispielsweise werden die Zuführungen zur Pensionsrückstellung in voller Höhe als verdeckte Gewinnausschüttungen<br />

betrachtet, wenn die Gesellschaft ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer nur eine Pension,<br />

aber kein Bargehalt zusagt (vgl. Unzulässigkeit der „Nur-Pension“, BFH, Urt. v. 17.5.1995 – I R 147/93,<br />

BStBl II 1996, 204).<br />

Ein Sonderfall ergibt sich beim sog. beherrschenden Gesellschafter. Zahlungen an einen Gesellschafter<br />

mit beherrschendem Einfluss auf die Kapitalgesellschaft sind unabhängig von der Angemessenheit<br />

vGA, wenn die Zahlungen nicht von Anfang an klar und eindeutig vereinbart worden sind, da der<br />

Gesellschafter mittels seines beherrschenden Einflusses die Möglichkeit hat, für seine Leistung an die<br />

Kapitalgesellschaft einen gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Ausgleich zu suchen (BFH,<br />

Urt. v. 2.3.1988 – I R 63/82, BStBl II 1988, 590). Wegen des fehlenden Interessengegensatzes bestünde<br />

sonst die Möglichkeit, den Gewinn so zu beeinflussen, wie es bei Gesamtbetrachtung der Einkommen<br />

der Kapitalgesellschaft und des Gesellschafters jeweils am günstigsten wäre (BFH, Urt. v. 14.3.1989 –<br />

I R 8/85, BStBl II 1989, 633). Problematisch sind insb. mündlich abgeschlossene Vereinbarungen (vgl.<br />

BFH, Urt. v. 12.4.1989 – I R 142-143/85, BStBl II 1989, 636; Urt. v. 24.1.1990 – I R 157/86, BStBl II 1990,<br />

645). Beherrschende Stellung (maßgebend: Vertragsabschluss) setzt mehr als 50 % der Stimmrechte<br />

voraus. Bei einer Beteiligung unter 50 % kann unter besonderen Umständen, z.B. wegen gleichgerichteter<br />

Interessen mehrerer gemeinsam handelnder Personen, eine Nachzahlung ebenfalls als vGA<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 321


Fach 20, Seite 684<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Steuerrecht<br />

angesehen werden. Ehegattenbeteiligungen dürfen nicht ohne Weiteres zusammengerechnet werden<br />

(BVerfG, Beschl. v. 12.3.1985 – 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, BStBl II 1985, 475).<br />

Eine vGA ist auch dann anzunehmen, wenn die Vorteilsziehung nicht unmittelbar durch den<br />

Gesellschafter, sondern durch eine ihm nahestehende Person erfolgt. Voraussetzung ist aber stets,<br />

dass der Gesellschafter (mittelbar) selbst einen Vorteil hat (BFH, Urt. v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl II 1989,<br />

631). Als nahestehende Personen sind zunächst sämtliche Angehörige nach § 15 AO anzusehen (Beweis<br />

des ersten Anscheins insb. bei Ehegatten; s. BFH, Urt. v. 29.9.1981 – VIII R 8/77, BStBl II 1982, 248). Beim<br />

sog. beherrschenden Gesellschafter ist wiederum eine im Voraus getroffene klare Vereinbarung<br />

erforderlich (BFH, Urt. v. 29.4.1987 – I R 192/82, BStBl II 1987, 797). Wendet eine Kapitalgesellschaft einer<br />

anderen Kapitalgesellschaft einen Vermögensvorteil zu und sind an beiden Kapitalgesellschaften<br />

dieselben Personen beteiligt, ist darin ebenfalls ein Näheverhältnis zu sehen. Auch Personengesellschaften<br />

können als nahestehende Personen in Betracht kommen (BFH, Urt. v. 1.10.1986 – I R 54/83,<br />

BStBl II 1987, 459; JANSSEN, Verdeckte Gewinnausschüttung, 12. Aufl. 2017, Rn 5245).<br />

Eine vGA setzt nicht voraus, dass die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung<br />

auf einer Rechtshandlung der Organe der Kapitalgesellschaft beruht. Auch tatsächliche Handlungen<br />

können den Tatbestand der vGA erfüllen (z.B. der Griff in die Gesellschaftskasse). Für die Entscheidung,<br />

ob eine Vermögensminderung auf einer Handlung beruht, die steuerrechtlich der Kapitalgesellschaft<br />

zuzurechnen ist, kommt es nicht auf Handlungen der Organe der Kapitalgesellschaft an, wenn diese –<br />

durch Tun oder Unterlassen – einem Gesellschafter oder einer ihm nahestehenden Person die Möglichkeit<br />

verschafft haben, über Gesellschaftsvermögen zu disponieren (BFH, Urt. v. 14.10.1992 – I R 17/92,<br />

BStBl II 1993, 352).<br />

Folgende Beispiele sind typische Fälle einer verdeckten Gewinnausschüttung:<br />

• Ein Gesellschafter erhält für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft ein unangemessen hohes<br />

Gehalt (also ein Gehalt über der am Markt üblichen Bandbreite).<br />

• Ein Gesellschafter erhält von der Gesellschaft ein zinsloses oder im Marktvergleich besonders<br />

zinsgünstiges Darlehen.<br />

• Ein Gesellschafter gibt seiner Gesellschaft ein Darlehen zu einem besonders hohen Zinssatz.<br />

• Ein Gesellschafter veräußert an die Gesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen hohen<br />

Preis bzw. erhält von der Gesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen niedrigen Preis.<br />

• Die Gesellschaft übernimmt ohne werthaltigen Regressanspruch eine Schuld oder sonstige Verpflichtung<br />

des Gesellschafters.<br />

• Umsatztantieme oder überhöhte Gewinntantieme eines Minderheitsgesellschafters in der Anlaufphase<br />

der GmbH (BFH, Urt. v. 15.3.2000 – I R 74/99, BStBl II 2000, 547).<br />

Nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG dürfen vGA das Einkommen der Gesellschaft nicht mindern. Die unangemessenen<br />

Teile der Vergütung, die handels- und steuerbilanziell als Aufwand erfasst wurden, sind<br />

für steuerliche Zwecke dem Einkommen der Kapitalgesellschaft wieder hinzuzurechnen. Sie unterliegen<br />

somit sowohl der Körperschaftsteuer als auch der Gewerbesteuer.<br />

Beispiel:<br />

Eine Gesellschaft zahlt an einen (Minderheits-)Gesellschafter für die Überlassung eines betrieblich genutzten<br />

Grundstücks eine Vergütung, die 75.000 € über der angemessenen Marktmiete liegt.<br />

Ohne Annahme einer vGA würde die Miete als Betriebsausgabe in dieser Höhe den Gewinn der Gesellschaft<br />

mindern. Der Gesellschafter als Vermieter erzielte bei den Einkünften aus § 21 EStG eine zusätzliche<br />

Mieteinnahme, die bei einem angenommenen ESt-Spitzensteuersatz von 42 % i.H.v. 31.500 € mit Steuern<br />

belastet wäre. Mangels personeller Verflechtung liegt keine Betriebsaufspaltung vor. Wegen des Vorliegens<br />

einer vGA erhöhen die 75.000 € die Bemessungsgrundlage von Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Auf<br />

Gesellschafterebene sind die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Einkünfte aus Kapitalvermögen<br />

(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) umzuqualifizieren und unterliegen der Abgeltungsteuer.<br />

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Steuerrecht Fach 20, Seite 685<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

2. Verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 S. 3 bis 6 KStG)<br />

Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der<br />

Kapitalgesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung durch<br />

das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Einlagefähig sind nur Vermögensvorteile, die zu einer Erhöhung<br />

der Aktiva oder Verminderung der Schulden führen. Eine schlichte Gebrauchs- oder Nutzungsüberlassung<br />

kann somit nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein. Da der handelsrechtliche<br />

Gewinn der Kapitalgesellschaft durch diesen Vermögensvorteil erhöht worden sein kann (der Ausweis<br />

in der Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ist nicht zwingend), die Gewinnerhöhung aber nicht<br />

von der Kapitalgesellschaft erwirtschaftet wurde, sondern auf einem gesellschaftsrechtlichen Vorgang<br />

beruht, ist das zu versteuernde Einkommen der Gesellschaft um den entsprechenden Betrag zu kürzen.<br />

Beim Gesellschafter stellt diese Zuwendung nachträgliche Anschaffungskosten auf seine Beteiligung<br />

dar.<br />

VII. Verlustabzug und § 8c KStG<br />

Da Körperschaften mit ihrem Einkommen dem KStG unterliegen, ergibt sich im Fall von Verlusten<br />

(ausführlich zum Verlustabzug und zu § 8c KStG SUCHANEK/RÜSCH, DStZ 2014, 419) auch die<br />

Möglichkeit eines sog. körperschaftsteuerlichen Verlustvortrags (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG).<br />

Entsprechendes gilt im Bereich des Gewerbesteuerrechts für einen gewerbesteuerlichen Fehlbetrag<br />

(vgl. § 10a GewStG). Der Verlustvortrag bleibt so lange erhalten, wie die Körperschaft zivilrechtlich<br />

existiert. Die zivilrechtliche Existenz endet entweder nach abgeschlossener Liquidation und Austragung<br />

aus dem entsprechenden Register oder bei Umwandlungsfällen für den sog. übertragenden<br />

Rechtsträger (z.B. durch Verschmelzung bzw. Aufspaltung). Bei einer natürlichen Person endet die<br />

Rechtsfähigkeit mit deren Tod. Nach einer Entscheidung des Großen Senats des BFH (Beschl. v.<br />

17.12.2007 – GrS 2/04, DStR 2008, 545) ist ein Verlustabzug nach § 10d EStG nicht (mehr) vererblich.<br />

Da Körperschaften keines natürlichen Todes sterben können, bleiben Verlustvorträge grds. auch dann<br />

erhalten, wenn die Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb bzw. ihre Tätigkeit eingestellt hat. So ist es<br />

aus Sicht eines Steuerpflichtigen interessant, einen entsprechenden Verlustmantel (Kapitalgesellschaft<br />

mit Verlustvortrag) zu erwerben, weil dann nach einer entsprechenden Aktivierung des<br />

„Mantels“ und dem Erzielen von Gewinnen ein steuerpflichtiges Einkommen erst nach Verrechnung<br />

der Gewinne mit dem Verlustvortrag entstünde. Dem will der Gesetzgeber mit der Regelung des § 8c<br />

KStG entgegenwirken, die allerdings zu pauschal an einen Anteilserwerb von mehr als 25 % (§ 8c Abs. 1<br />

S. 1 KStG a.F.) bzw. mehr als 50 % (§ 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F.) anknüpfte (sog. schädlicher<br />

Beteiligungserwerb).<br />

Das BVerfG hat mit Beschl. v. 29.3.2017 § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. in allen bis zum VZ 2016 bestehenden<br />

Formen für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschl. v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BGBl I 2017, S. 1289;<br />

s. auch HEY in Tipke/Lang, 23. Aufl. 2018, § 11 Rn 59 ff.). Hierauf musste der Gesetzgeber reagieren und<br />

hat durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet<br />

und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I, S. 2338) § 8c Abs. 1 S. 1<br />

KStG a.F. rückwirkend für alle Veranlagungszeiträume ab 2008 gestrichen. Stattdessen gilt rückwirkend<br />

für alle Veranlagungszeiträume ab 2008 § 8c Abs. 1 S. 1 KStG n.F., nach dem es bei einem<br />

schädlichen Beteiligungserwerb von mehr als 50 % zu einem vollständigen Verlustuntergang kommt.<br />

Offengeblieben ist, ob bereits ein mehr als 50 %-iger Anteilserwerb ausreicht, um nach Abs. 1 S. 2 a.F.<br />

(entspricht Abs. 1 S. 1 n.F.) den Untergang des gesamten Verlustvortrags zu rechtfertigen, weshalb<br />

auch dies bereits Gegenstand eines erneuten Vorlagebeschlusses ist (FG Hamburg, Beschl. v. 29.8.2017<br />

– 2 K 245/17, DStR 2017, 2377).<br />

VIII. Organschaft<br />

Eine Kapitalgesellschaft kann Organgesellschaft einer körperschaftsteuerlichen (§§ 14 Abs. 1 S. 1 KStG,<br />

17 KStG) und gewerbesteuerlichen (§ 2 Abs. 2 S. 2 GewStG) Organschaft sein. Dadurch lässt sich die<br />

Zurechnung des Einkommens zum Organträger erreichen. Die praktische Bedeutung der Organschaft<br />

für das Konzernsteuerrecht besteht darin, dass auf Ebene des Organträgers eigene Verluste mit<br />

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Fach 20, Seite 686<br />

Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />

Steuerrecht<br />

(vollständig) zugerechneten Gewinnen bzw. eigene Gewinne mit zugerechneten Verlusten verrechnet<br />

werden können. Dadurch sinkt die Gesamtsteuerquote des Konzerns.<br />

Zur Begründung einer Organschaft muss der Organträger zunächst den Anforderungen des § 14 Abs. 1<br />

S. 1 Nr. 2 S. 1 KStG entsprechen. Seit dem Veranlagungszeitraum 2001 (bei vom Kalenderjahr abweichendem<br />

Wirtschaftsjahr entsprechend später) sind die Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen<br />

Organschaft durch das StSenkG (Steuersenkungsgesetz v. 23.10.2000, BGBl 2000 I, S. 1433)<br />

vereinfacht worden. Danach genügt die finanzielle Eingliederung und das Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags<br />

(NEU/BRANDENBURG, GmBH-StB, 2001, 30, 31). Zur finanziellen Eingliederung<br />

(§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG) muss dem Organträger vom Beginn des Wirtschaftsjahres der<br />

Organgesellschaft an ununterbrochen die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen zustehen.<br />

Der Ergebnisabführungsvertrag muss mindestens für die Dauer von fünf Jahren geschlossen sein<br />

(§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG) und v.a. während der gesamten Laufzeit tatsächlich durchgeführt<br />

werden.<br />

Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft:<br />

Gewinnabführungsvertrag (§ 14 Abs. 1 KStG, § 291 Abs. 1 AktG)<br />

• auf mind. fünf Jahre<br />

• durchgehend tatsächlich durchgeführt<br />

Finanzielle Eingliederung (Mehrheit der Stimmrechte)<br />

(§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG)<br />

Organträger (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KStG) muss sein:<br />

natürliche Person<br />

nicht steuerbefreiter Rechtsträger<br />

nach § 1 KStG<br />

jeweils mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder<br />

mit Beteiligung der Organgesellschaft in inländischer Betriebsstätte<br />

Organgesellschaft kann sein:<br />

• AG<br />

Andere Kapitalgesellschaft<br />

• KGaA<br />

z.B. GmbH<br />

(§ 14 Abs. 1 KStG)<br />

(§ 17 KStG)<br />

jeweils mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz im Inland oder der EU/EWR<br />

Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft)<br />

mit gewerblichen Einkünften<br />

Ist wirksam eine Organschaft begründet, wird das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger<br />

zugerechnet (§ 14 Abs. 1 S. 2 KStG). Bei grenzüberschreitenden Organschaften ist die Nichtberücksichtigung<br />

negativer Einkünfte bei deren Berücksichtigung im Ausland zu beachten (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5<br />

KStG).<br />

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