ZAP-2020-06
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<strong>ZAP</strong><br />
Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />
6 <strong>2020</strong><br />
18. März<br />
32. Jahrgang<br />
ISSN 0936-7292<br />
Herausgeber: Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer • Rechtsanwalt beim<br />
BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln • Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für<br />
Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins •<br />
Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen • Rechtsanwalt<br />
Dr. Hubert W. van Bühren, Köln Begründet von: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider<br />
Inklusive<br />
<strong>ZAP</strong> App!<br />
Details unter: www.zap-zeitschrift.de/App<br />
AUS DEM INHALT<br />
Kolumne<br />
Causa Deutsche Bank versus Kirch zum letzten Mal (S. 279)<br />
Anwaltsmagazin<br />
Neuregelungen im März (S. 281) • BVerfG kippt Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (S. 282) •<br />
Petition für eine Novellierung des RVG (S. 286)<br />
Aufsätze<br />
Vyvers, Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017) (S. 297)<br />
Langohr‐Plato, Betriebsübergang und Betriebliche Altersversorgung (S. 307)<br />
Haas/Wolf, Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften (S. 315)<br />
Rechtsprechung<br />
KG: Kautionsrückzahlungsanspruch eines Mieters (S. 290)<br />
BGH: Schleusen in qualifizierten Fällen (S. 295)<br />
EuGH: Zuständigkeit des Gerichts des ersten Abflugorts (S. 296)<br />
In Zusammenarbeit mit der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer
Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />
Kolumne – – 279–280<br />
Anwaltsmagazin – – 281–288<br />
Rechtsprechung 1 38 289–296<br />
Vyvers, Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen<br />
2017 (ADSp 2017) 15 637–646 297–3<strong>06</strong><br />
Langohr‐Plato, Betriebsübergang und Betriebliche<br />
Altersversorgung 17 1381–1388 307–314<br />
Haas/Wolf, Steuerrecht und Gesellschaftsrecht: Grundlagen<br />
der Besteuerung der Kapitalgesellschaften 20 677–686 315–324<br />
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Redaktionsbeirat<br />
Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Leer/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />
Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />
Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />
Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RAuN Daniel Krause,<br />
Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />
Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />
Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />
beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />
Ständige Mitarbeiter<br />
Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG a.D. Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus,<br />
Gelsenkirchen • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Leer/Augsburg • Dr. Christian Deckenbrock, Köln • RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum •<br />
Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar • RA<br />
Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • Prof. Dr. Martin<br />
Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Dr. Hans Reinold Horst, Hannover/Solingen • RA Günter Lange, Haltern • Dr. David<br />
Markworth, Köln • RA Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RA beim BGH Prof. Dr.<br />
Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. • PräsLG a.D. Kurt Schellhammer,<br />
Konstanz • RA Dr. Harald Schneider, Siegburg • RA Norbert Schneider, Neunkirchen • RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach •<br />
RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen • RA<br />
Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid.<br />
Impressum<br />
Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />
schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />
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Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />
(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />
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Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />
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ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />
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service@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Astrid von Schweinitz (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Cordula Haak –<br />
Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />
Druck: Hans Soldan Druck GmbH, Essen. ISSN 0936-7292
<strong>ZAP</strong><br />
Kolumne<br />
Kolumne<br />
Causa Deutsche Bank versus Kirch zum letzten Mal – zugleich ein Beispiel<br />
zum Umgang mit „sicheren Indizien“<br />
Der Praktiker muss einmal mehr zur Kenntnis<br />
nehmen, dass die Beweiswürdigung stets so oder<br />
anders ausgehen kann. Ende Oktober 2019 ist das<br />
(strafrechtliche) Revisionsverfahren gegen die<br />
Vertreter der Deutschen Bank zu Ende gegangen<br />
(s. BGH, Urt. v. 31.10.2019 – 1 StR 219/17). Der<br />
1. Strafsenat am BGH behandelte eine Revision<br />
der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes<br />
Urteil des LG München I vom 25.4.2016 wegen<br />
Verdachts des versuchten Betrugs. Den Angeklagten<br />
ROLF BREUER, JOSEF ACKERMANN und JÜRGEN<br />
FITSCHEN war zum Vorwurf gemacht worden,<br />
falsche Aussagen im Schadenersatzprozess KIRCH<br />
gegen Deutsche Bank gemacht zu haben, mithin<br />
sich des versuchten Prozessbetrugs schuldig gemacht<br />
zu haben. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />
war erfolglos.<br />
Zur Erinnerung: Am 3.2.2002 hatte BREUER,<br />
damals Vorstandssprecher der Deutschen Bank,<br />
in einem Fernsehinterview die Kreditwürdigkeit<br />
von KIRCHS angeschlagener Firmengruppe angezweifelt,<br />
d.h. auf KIRCH angesprochen, erwiderte<br />
BREUER: „Was alles man darüber lesen und hören<br />
kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf<br />
unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar<br />
Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Es können also<br />
nur Dritte sein, die sich ggf. für eine – wie Sie gesagt<br />
haben – Stützung interessieren.“ KIRCH ging im April<br />
2002 tatsächlich insolvent und machte BREUER<br />
dafür verantwortlich. Der XI. Senat des BGH<br />
hatte dies als Verletzung der aus dem Darlehensvertrag<br />
folgenden Interessenwahrungs-,<br />
Schutz- und Loyalitätspflicht angesehen und<br />
eine Haftung der Deutschen Bank dem Grunde<br />
nach bestätigt (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.20<strong>06</strong> – XI ZR<br />
384/03 Rn 4).<br />
In dem an das OLG München zurückverwiesenen<br />
Verfahren über die Höhe des Schadenersatzes<br />
ging es um die Frage, ob es Ziel des Interviews<br />
gewesen sei, die Kreditwürdigkeit der Kirch-Gruppe<br />
nachhaltig zu beseitigen, um dann deren Zerschlagung<br />
im eigenen Gewinninteresse der Deutschen<br />
Bank betreiben zu können. Da KIRCH, wie von<br />
BREUER angeblich gewollt und vorhergesehen, aufgrund<br />
von dessen Äußerungen im Interview vom<br />
3.2.2002 keine Eigen- oder Fremdmittel mehr<br />
habe einwerben können, hätten die wesentlichen<br />
Gesellschaften seiner Firmengruppe alsbald Insolvenz<br />
anmelden müssen, sodass BREUER eine Situation<br />
schaffen wollte, deren Auswirkung für die<br />
Kirch-Gruppe und das noch anzubietende Rettungsmandat<br />
der Deutschen Bank (mit Krediten/<br />
Verkäufen) sich umgangssprachlich mit „Friss oder<br />
stirb“ hätte beschreiben lassen.<br />
Mit anderen Worten: KIRCH sollte in eine Situation<br />
gebracht werden, in der ihm niemand mehr einen<br />
Kredit gewähren würde, bis auf die Deutsche Bank,<br />
die die Konditionen dann beliebig hätte festlegen<br />
können. Zum „Beweis“ eines solchen Plans nahm<br />
das OLG München u.a. an, dass es ein Treffen vom<br />
27.1.2002 mit dem damaligen Bundeskanzler gegeben<br />
hatte, bei dem es um die Frage ging, ob der<br />
mögliche Erwerb von Beteiligungen an der Kirch-<br />
Gruppe durch ausländische Investoren verhindert<br />
werden könnte, weiter gab es eine Vorstandssitzung<br />
vom 29.1.2002, bei der der Kirch-Gruppe<br />
ein „Beratungsmandat“ angetragen werden sollte,<br />
sowie um ein persönliches Gespräch zwischen<br />
KIRCH und BREUER vom 9.2.2002, bei dem KIRCH die<br />
Vorteile einer Umstrukturierung mithilfe der Deutschen<br />
Bank versus einer Insolvenz nahegebracht<br />
werden sollten. Nach der Beweiswürdigung des<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 279
Kolumne<br />
<strong>ZAP</strong><br />
OLG München sollte an KIRCH herangetreten werden,<br />
um zu klären, ob er die Deutsche Bank mit<br />
einem „Beratungsmandat“ bedenken würde (OLG<br />
München, Urt. v. 14.12.2012 – 5 U 2472/09 Rn 2<strong>06</strong>).<br />
BREUER habe diesen Auftrag der Deutschen Bank<br />
durch das o.g. Interview fördern wollen (OLG<br />
München, a.a.O., Rn 132, 235, 240). Die Beklagten<br />
sind der Annahme eines derartigen Auftrags entgegengetreten.<br />
In dem Protokoll der Vorstandssitzung<br />
vom 29.1.2002 heißt es: „DB has been asked,<br />
whether we could act as a mediator. … The Board felt<br />
that as a first step Mr. K should be approached with the<br />
question whether he would award us an advisory<br />
mandate“ (OLG München, a.a.O., Rn 130). Ein Zeuge<br />
meinte, dass dies so interpretiert werden müsse,<br />
dass in dem Fall, dass ein Dritter die Deutsche Bank<br />
frage, ob sie für den Dritten in Sachen KIRCH tätig<br />
werden könne, zuerst an KIRCH herangetreten<br />
werden sollte, um diesem die Chance zur Erteilung<br />
eines Gegenmandats zu geben. Dies solle sich aus<br />
der Bedeutung des „Perfekts“ im Englischen ergeben,<br />
was von weiteren Beteiligten auf Seiten der<br />
Deutschen Bank bestätigt worden war, aber sprachlich<br />
abwegig ist (OLG München, a.a.O., Rn 173,<br />
180 ff.). Deswegen meint das OLG: „Dass zwei<br />
Personen, die die englische Sprache ersichtlich gut<br />
beherrschen, übereinstimmend behaupten, dass eine<br />
bestimmte englische Textpassage etwas anderes bedeuten<br />
würde, als dies tatsächlich der Fall ist, ist nach<br />
Auffassung des Senats ein sicheres Indiz [Hervorh.<br />
d. Verf.] dafür, dass die entsprechende unwahre<br />
Darstellung zuvor abgesprochen wurde.“ (OLG München,<br />
a.a.O., Rn 186). Hätte es überdies keinen<br />
entsprechenden „Auftrag“ der Deutschen Bank gegeben,<br />
wäre das Gespräch vom 9.2.2002 ein<br />
Alleingang von BREUER gewesen, der entsprechende<br />
Reaktionen der übrigen Vorstandmitglieder<br />
nach sich gezogen hätte, die gerade ausgeblieben<br />
sind (OLG München, a.a.O., Rn 195).<br />
Nach Ansicht der Strafkammer des BGH gibt es<br />
dieses „sichere Indiz“ nicht. Es soll sich lediglich<br />
nachweisen lassen, dass sich die Angeklagten mit<br />
anwaltlicher Hilfe auf ihre Aussage vorbereitet<br />
hatten (vgl. Juve-Nachrichten vom 25.4.2016 – im<br />
Internet einsehbar unter: https://www.juve.de/nach<br />
richten/verfahren/2016/04/keine-beweise-fuer-prozess<br />
betrug-fitschen-co-erringen-freispruch-im-deutschebank-prozess).<br />
Nach Ansicht von RAUM, dem Vorsitzenden<br />
des 1. Strafsenats, soll es – jedenfalls<br />
nach dessen mündlicher Urteilsbegründung –<br />
schon „keinen erheblichen Verdacht“ für einen versuchten<br />
Prozessbetrug gegeben haben (Süddeutsche<br />
Zeitung vom 1.11.2019 – im Internet einsehbar<br />
unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deut<br />
sche-bank-nicht-abgesprochen-1.4664282).<br />
Der Fall zeigt einmal mehr, dass freie Beweiswürdigung<br />
weniger mit Rationalität, sondern<br />
mehr mit richterlicher Intuition und Glauben zu<br />
tun hat. Die Lehre für die Anwaltschaft muss sein,<br />
dass es „sichere Indizien“ kaum gibt und Beweiswürdigungen<br />
durch abweichende Würdigungen<br />
derselben Frage durch eine andere Gerichtsbarkeit<br />
durchaus zu anderen Ergebnissen führen<br />
können. Es gibt diverse Fallgestaltungen, die vor<br />
unterschiedliche Gerichtsbarkeiten gebracht werden<br />
können: Zum Beispiel kann der Eigentümer<br />
eines kontaminierten Grundstücks einen zivilrechtlichen<br />
Ausgleichsanspruch gem. § 24 Abs. 2<br />
BBodSchG vor die Zivilgerichte bringen, die identische<br />
Frage nach dem Zustandsstörer kann aber<br />
auch vor dem Verwaltungsgericht behandelt werden.<br />
Vor allem Strafverteidiger denken zu selten<br />
über zivilrechtliche Angriffsmöglichkeiten gegen<br />
Sachverständige (§ 839a BGB) oder sonstige Prozessparteien<br />
nach.<br />
Rechtsanwalt Dr. ANDREAS GEIPEL, München<br />
280 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Anwaltsmagazin<br />
Defizite beim Kampf gegen<br />
Steuerbetrug<br />
Die aktuelle Lage bei der Bekämpfung sog. Umsatzsteuerkarusselle<br />
ist nach Ansicht der Strafverfolgungsbehörden<br />
unbefriedigend. Innerhalb<br />
Deutschlands dauere es im Regelfall vier bis<br />
16 Wochen, um von den Banken Informationen<br />
zu Empfangskonten von Geldtransaktionen zu<br />
erhalten, erklärte ein Oberstaatsanwalt von der<br />
Staatsanwaltschaft München I in einem öffentlichen<br />
Fachgespräch des Bundestags-Finanzausschusses<br />
Mitte Januar. Erst dann könne die<br />
Staatsanwaltschaft an die Bank des Empfängerkontos<br />
herantreten, um dort die erforderlichen<br />
Informationen bzw. die Tatbeute sicherstellen zu<br />
lassen, sofern sie sich nach dieser langen Zeit<br />
noch auf dem Konto befinde und nicht bereits<br />
weiter transferiert worden sei.<br />
In der Europäischen Union erhalte man Kontoauskünfte<br />
i.d.R. innerhalb von 16 Wochen, von<br />
Drittstaaten frühestens nach einem Jahr, teilweise<br />
aber überhaupt nicht. Um die viel zu langen<br />
Reaktionszeiten der deutschen Banken auf Auskunftsersuchen<br />
der Staatsanwaltschaften zu verringern,<br />
sollte eine generelle Frist von zwei<br />
Wochen ins Gesetz aufgenommen werden, empfahl<br />
der Staatsanwalt. Auch sprach er sich dafür<br />
aus, die Befreiung von Existenzgründern von der<br />
monatlichen Umsatzsteuer-Erklärungspflicht einzuschränken.<br />
Wie Umsatzsteuerkarusselle funktionieren, erläuterte<br />
ein weiterer Steuerexperte in seiner<br />
Stellungnahme. Danach importiert ein „Missing<br />
trader“ netto aus einem anderen EU-Staat und<br />
verkauft brutto im Inland. Damit hinterziehe er je<br />
nach Steuersatz 17 bis 25 % Mehrwertsteuer und<br />
fülle auf Verbraucherkosten seine „illegale Kriegskasse“.<br />
Nach rund drei Monaten schließe er vor der<br />
ersten Kontrolle (Missing) das Geschäft, um<br />
woanders wieder aufzutauchen. Was gehandelt<br />
werde, sei irrelevant; es gehe nur um die Steuerhinterziehung.<br />
Ein Betrugskarussel baue auf<br />
„Missing trader“ als Grundbaustein auf. Über eine<br />
Kette werde dieselbe Ware mehrfach über EU-<br />
Grenzen gespielt und Mehrwertsteuer hinterzogen.<br />
Welche Waren für Umsatzsteuerkarusselle<br />
genutzt werden, schilderte ein Steuerfahnder aus<br />
Bonn: „Dauerbrenner“ seien der Auto- und Elektronikhandel,<br />
aber auch Schnaps, Wein und Sekt<br />
würden benutzt. Er wies darauf hin, dass die<br />
Karusselle nicht nur zu Ausfällen bei der Umsatzsteuer,<br />
sondern auch bei Ertragssteuern führen.<br />
Die Experten zeigten auch Möglichkeiten auf,<br />
den Umfang des Steuerbetrugs mit solchen<br />
Karussellen zu reduzieren: So wäre es möglich,<br />
die Empfänger der Waren zu Steuerschuldnern zu<br />
machen. Dann müsste der Empfänger die Umsatzsteuer<br />
nicht mehr an seinen Lieferanten,<br />
sondern direkt an den Fiskus zahlen. Denkbar<br />
seien auch Echtzeit-Verpflichtungen zur Meldung<br />
von Umsätzen, was im Zeitalter der Digitalisierung<br />
kein Problem darstelle.<br />
[Quelle: Bundestag]<br />
Neuregelungen im März<br />
In den vergangenen Wochen ist wieder eine<br />
Reihe von Neuregelungen in Kraft getreten. Sie<br />
betreffen vorwiegend das Waffenrecht, die Zuwanderung<br />
nach Deutschland sowie den Gesundheits-<br />
und Verbraucherschutz. Im Einzelnen:<br />
• Verschärfungen im Waffenrecht<br />
Mit einer Reihe von Verschärfungen im Waffenrecht<br />
soll künftig u.a. der vollständige Lebenszyklus<br />
einer Waffe dokumentiert werden. Dafür<br />
erhalten Hersteller neue Meldepflichten. Auch für<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 281
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
unbrauchbar gemachte Waffen wird eine Anzeigepflicht<br />
eingeführt. Die Neuregelung geht auf<br />
eine EU-Richtlinie zurück, die nach den Anschlägen<br />
von Paris und Brüssel beschlossen wurde. Das<br />
neue Waffenrechtsänderungsgesetz trat in wichtigen<br />
Teilen bereits am 20. Februar in Kraft. Seine<br />
übrigen Vorschriften treten im Laufe des Jahres in<br />
Kraft.<br />
• Fachkräftezuwanderung<br />
Ein neues „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ soll<br />
den Rahmen für eine gezielte und gesteigerte<br />
Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus<br />
Drittstaaten schaffen. Zielgruppe sind Personen<br />
mit einem Hochschulabschluss oder einer qualifizierten<br />
Berufsausbildung. So wurde etwa im Bereich<br />
der qualifizierten Beschäftigung zum 1. März<br />
die Vorrangprüfung aufgehoben. Bereits vorab hat<br />
die Bundesagentur für Arbeit ein Modellvorhaben<br />
gestartet, das Ausländer bei der Anerkennung von<br />
Berufsabschlüssen berät.<br />
• Masern-Impfpflicht<br />
Seit dem 1. März müssen Kinder und Erwachsene,<br />
die in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen<br />
und Kitas sowie in Gemeinschaftsunterkünften<br />
wie Asylbewerberheimen betreut werden, gegen<br />
Masern geimpft sein. Das gilt auch für Beschäftigte<br />
dieser Einrichtungen oder im medizinischen<br />
Bereich. Kinder ohne Masernimpfung können vom<br />
Besuch einer Kita ausgeschlossen werden. Mit<br />
dem neuen Gesetz soll in Deutschland eine Impfquote<br />
von mindestens 95 % erreicht werden; diese<br />
Quote gilt als erforderlich, um die Krankheit völlig<br />
zu eliminieren.<br />
• Förderung der Elektromobilität<br />
Bereits zum 19. Februar sind Änderungen bei der<br />
Förderung der Elektromobilität in Kraft getreten.<br />
Insbesondere wurde die Kaufprämie für Elektroautos<br />
erhöht; sie beträgt jetzt bis zu 6.000 €.<br />
Dieser erhöhte „Umweltbonus“ wurde im Rahmen<br />
der „Konzertierten Aktion Mobilität“ beschlossen.<br />
Er gilt bis Ende 2025 und auch rückwirkend für<br />
Fahrzeuge, die ab dem 5.11.2019 zugelassen wurden.<br />
Fahrzeugkäufer, die den Bonus in Anspruch<br />
nehmen wollen, können den entsprechenden Antrag<br />
beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />
(BAFA) stellen.<br />
• Mobilfunkrechnungen<br />
Für sog. Drittanbieter, die ihre Dienste über die<br />
Mobilfunkrechnung des Providers des jeweiligen<br />
Kunden abrechnen, gilt bereits seit dem 1. Februar<br />
eine zusätzliche Hürde: Laut einer Verfügung<br />
der Bundesnetzagentur vom Oktober 2019 dürfen<br />
sie ihre Dienste – etwa für Apps oder Abos – dem<br />
Kunden nur noch dann auf die Handyrechnung<br />
schreiben, wenn die Bestellung zuvor auf der<br />
Internetseite des Mobilfunkunternehmens gesondert<br />
bestätigt worden ist. Damit sollen Abbuchungen<br />
auf der Handyrechnung, die sich Verbraucher<br />
nicht erklären können, der Vergangenheit angehören.<br />
[Quelle: Bundesregierung]<br />
BVerfG kippt Verbot der<br />
geschäftsmäßigen Sterbehilfe<br />
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat<br />
Ende Februar das 2015 eingeführte Verbot der<br />
geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) für<br />
verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das grundgesetzlich<br />
verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht,<br />
so die Richter, umfasse ein Recht auf<br />
selbstbestimmtes Sterben, das auch die Freiheit<br />
einschließe, sich das Leben zu nehmen und hierbei<br />
auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen<br />
(Urt. v. 26.2.<strong>2020</strong> – 2 BvR 2347/15, 2 BvR 2527/16,<br />
2 BvR 2354/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR<br />
651/16).<br />
Gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung<br />
der Selbsttötung hatten in Karlsruhe mehrere<br />
Vereine mit Sitz in Deutschland und in der<br />
Schweiz geklagt, die Suizidhilfe anbieten, ebenso<br />
einige schwer erkrankte Personen, die ihr Leben<br />
mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten,<br />
in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung<br />
tätige Ärzte sowie im Bereich suizidbezogener<br />
Beratung tätige Rechtsanwälte. Ihrer<br />
Argumentation, dass § 217 StGB das allgemeine<br />
Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1<br />
Abs. 1 GG) von zur Selbsttötung entschlossenen<br />
Menschen in seiner Ausprägung als Recht auf<br />
selbstbestimmtes Sterben verletze, hat sich jetzt<br />
der Zweite Senat des BVerfG angeschlossen.<br />
Der Entschluss zur Selbsttötung, so die Richter,<br />
betreffe Grundfragen menschlichen Daseins und<br />
berühre wie keine andere Entscheidung die<br />
Identität und Individualität des Menschen. Das<br />
Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse<br />
deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen<br />
lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen. Es<br />
282 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
erstrecke sich auch auf die Entscheidung des<br />
Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden.<br />
Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen<br />
Leben entsprechend seinem Verständnis von<br />
Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen<br />
Existenz ein Ende zu setzen, entziehe sich einer<br />
Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen,<br />
religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder<br />
für den Umgang mit Leben und Tod oder<br />
Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Dabei<br />
umfasse das Recht, sich selbst zu töten, auch<br />
die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen<br />
und diese Hilfe, soweit sie angeboten wird, in<br />
Anspruch zu nehmen.<br />
Aus diesem Grunde entfalte das in § 217 Abs. 1<br />
StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen<br />
Förderung der Selbsttötung eine objektiv die<br />
vorgeschilderte Freiheit zum Suizid einschränkende<br />
Wirkung. Dies mache es dem Einzelnen<br />
faktisch nahezu unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten.<br />
Die Richter erkennen zwar an, dass der<br />
Gesetzgeber mit § 217 StGB einen legitimen<br />
Zweck verfolgen wollte. So habe er zulässigerweise<br />
sowohl seiner staatlichen Schutzpflicht für<br />
das menschliche Leben als auch dem Anliegen<br />
nachkommen dürfen, zu verhindern, dass sich der<br />
assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale<br />
Form der Lebensbeendigung durchsetzt. So dürfe<br />
er durchaus einer Entwicklung entgegensteuern,<br />
welche die Entstehung sozialer Pressionen befördere,<br />
sich unter bestimmten Bedingungen,<br />
etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben<br />
zu nehmen.<br />
Der von ihm gewählte Weg eines vollständigen<br />
Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der<br />
Selbsttötung sei jedoch nicht angemessen, befanden<br />
die Richter. Die geschilderten legitimen<br />
Erwägungen des Gesetzgebers fänden ihre Grenzen<br />
dort, wo eine freie Entscheidung nicht mehr<br />
geschützt, sondern unmöglich gemacht werde.<br />
Denn der Verfassungsordnung des Grundgesetzes<br />
liege ein Menschenbild zugrunde, das von der<br />
Würde des Menschen und der freien Entfaltung<br />
der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung<br />
bestimmt sei. Dieses Menschenbild<br />
habe Ausgangspunkt jedes regulatorischen<br />
Ansatzes zu sein.<br />
Obwohl der Zweite Senat aus diesen Gründen<br />
die Vorschrift des § 217 StGB für nichtig, also<br />
nicht einmal für geltungserhaltend einschränkend<br />
auslegbar, erklärte, ging er nicht so weit,<br />
jegliche gesetzliche Regulierung der assistierten<br />
Sterbehilfe für unzulässig zu erklären. Eine gesetzliche<br />
Regelung müsse sich aber, so die<br />
Richter, an der Vorstellung vom Menschen als<br />
einem geistig-sittlichen Wesen ausrichten, das<br />
darauf angelegt sei, sich in Freiheit selbst zu<br />
bestimmen und zu entfalten. Zum Schutz der<br />
Selbstbestimmung über das eigene Leben stehe<br />
dem Gesetzgeber in Bezug auf organisierte<br />
Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten<br />
offen. Sie reichten von prozeduralen Sicherungsmechanismen,<br />
etwa gesetzlich festgeschriebenen<br />
Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte,<br />
die die Zuverlässigkeit von<br />
Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders<br />
gefahrträchtiger Erscheinungsformen<br />
der Suizidhilfe. Diese könnten auch im Strafrecht<br />
verankert werden.<br />
Das Urteil aus Karlsruhe ist bislang fast einhellig<br />
positiv kommentiert worden. Einige Kommentatoren<br />
sind der Auffassung, dass die neue Rechtslage<br />
auch unmittelbare Auswirkungen auf die<br />
derzeitige medizinische Praxis haben wird –<br />
entgegen einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts<br />
–, keine tödlichen Medikamente herauszugeben.<br />
Das BVerwG hatte zwar mit Urteil vom<br />
2.3.2017 (3 C 19.15) das strikte Verbot des Erwerbs<br />
von Medikamenten zur Selbsttötung etwas gelockert,<br />
insb. im Hinblick auf schwere und unheilbare<br />
Erkrankungen. Bislang wurde die Entscheidung<br />
jedoch noch nicht umgesetzt, weil das<br />
Bundesgesundheitsministerium das zuständige<br />
Bundesinstitut aufgefordert hatte, auch in Extremfällen<br />
den Erwerb solcher Medikamente<br />
nicht zu erlauben.<br />
[Red.]<br />
Pläne zur besseren Absicherung von<br />
Pauschalreisenden<br />
Die Bundesregierung will bis zum Ende des<br />
laufenden Geschäftsjahrs der Versicherungswirtschaft<br />
am 31. Oktober den Versicherungsschutz<br />
für Pauschalreisende neu regeln. Dazu müsse<br />
ein entsprechender Gesetzentwurf spätestens im<br />
Frühjahr vorliegen, äußerte kürzlich ein Vertreter<br />
des zuständigen Bundesministeriums der Justiz<br />
und für Verbraucherschutz (BMJV) im Tourismus-<br />
Ausschuss des Deutschen Bundestags. Seit Ende<br />
vergangenen Jahres liege das Gutachten einer<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 283
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Unternehmensberatung vor, in dem mehrere<br />
Modelle zur Diskussion gestellt würden. Darüber<br />
sei in den nächsten Tagen im Ministerium zu<br />
entscheiden, damit der Gesetzentwurf zeitnah<br />
auf den Weg gebracht werden könne.<br />
Die Verpflichtung der Tourismusbranche, ihre<br />
Kunden gegen Insolvenzrisiken abzusichern, und<br />
der Bundesregierung, dies gesetzlich zu regeln,<br />
ergibt sich aus einer EU-Richtlinie. Den Versicherungsschutz<br />
gewährleistet bisher die Zürich<br />
Gruppe, die nach geltender Rechtslage allerdings<br />
maximal bis zu einer jährlichen Obergrenze von<br />
110 Mio. Euro einspringen muss. Die Großpleite<br />
des Reiseanbieters Thomas Cook im vergangenen<br />
Jahr, die einer aktuellen Schätzung des<br />
Versicherers zufolge allein einen Schaden von<br />
287 Mio. Euro verursacht hat, hat diese Regelung<br />
indes als völlig unzureichend erwiesen. Über eine<br />
Reform wird seither verstärkt nachgedacht.<br />
Im Gespräch seien neben einer reinen Versicherungslösung,<br />
wie sie bisher gelte, zwei weitere<br />
Modelle, zum einen eine Fondslösung, bei der die<br />
Unternehmen der Branche in einen gemeinsamen<br />
Topf einzahlen würden, zum anderen eine Mischvariante<br />
aus beiden. Diese werde derzeit favorisiert,<br />
hieß es, wobei die Ausgestaltung noch offen<br />
sei. Denkbar sei, dass im Insolvenzfall die Versicherung<br />
die von den Kunden angezahlten oder<br />
vollständig geleisteten Buchungsentgelte erstatten<br />
könnte, während der Fonds die Kosten der<br />
Rückführung gestrandeter Urlauber zu finanzieren<br />
hätte. Möglich sei aber auch, die Versicherung<br />
den Gesamtschaden bis zu einer bestimmten<br />
Höhe tragen zu lassen, oberhalb derer dann der<br />
Fonds einspringen müsste.<br />
Die Geschädigten der Thomas-Cook-Pleite warten<br />
bisher noch auf ihr Geld. Die Rede sei von<br />
200.000 Buchungen und 500.000 Betroffenen,<br />
hieß es im Tourismusausschuss. Zugesagt sei<br />
ihnen, dass der Versicherer für 17,5 % des<br />
Schadens geradestehe, soweit er die Buchungsentgelte<br />
betreffe, und die Bundesregierung den<br />
Rest zuschieße. Strittig sei nach wie vor, ob der<br />
Versicherer auch Rückführungskosten zu tragen<br />
habe.<br />
Aus Sicht der Bundesregierung ist die Schadensabwicklung<br />
eine komplexe Operation, weshalb<br />
sie auch bisher noch nicht zum Abschluss habe<br />
kommen können. Dies liege an der „Masse verschiedener<br />
Fallkonstellationen“ wie auch an Datenschutzfragen,<br />
hieß es: „Wir wollen zwar schnell sein,<br />
aber hier in diesem Fall wollen wir sehr genau sein.“ Zu<br />
hoffen sei, dass in den nächsten Wochen ein<br />
Internet-Portal freigeschaltet werden könne, wo<br />
Betroffene Gelegenheit haben sollen, ihre Forderungen<br />
anzumelden und auch den Stand der<br />
Abwicklung zu verfolgen. [Quelle: Bundestag]<br />
DAV mahnt Nachbesserungen bei<br />
der WEG-Reform an<br />
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich Mitte<br />
Februar nur teilweise zustimmend zu den Reformplänen<br />
des Bundesministeriums der Justiz<br />
und für Verbraucherschutz (BMJV) für ein neues<br />
Wohnungseigentumsgesetz (vgl. dazu zuletzt<br />
Anwaltsmagazin <strong>ZAP</strong> 2019, S. 942) geäußert. In<br />
seiner offiziellen Stellungnahme zum Referentenentwurf<br />
warnt er insb. vor erheblichen Risiken für<br />
die Wohnungseigentümer und kritisiert die geplante<br />
Beschneidung von Anwaltsgebühren.<br />
Die WEG-Reform beinhalte, so der DAV, einen<br />
Paradigmenwechsel in Richtung Gesellschaftsrecht,<br />
der für alle Beteiligten erhebliche Veränderungen<br />
mit sich bringe. Die Wohnungseigentümer<br />
würden künftig in weiten Bereichen ein<br />
Wohnungseigentum vorfinden, das sich von dem,<br />
das sie bisher hätten, deutlich unterscheide. Der<br />
Einzelne werde stark geschwächt, mit Leichtigkeit<br />
überstimmt und müsse daher viel mehr<br />
aufpassen. Ob eine dahingehende gesetzliche<br />
Änderung bei den Wohnungseigentümern als<br />
den am meisten betroffenen Personen auf Verständnis<br />
oder sogar Zustimmung stoßen werde,<br />
könne kaum angenommen werden. Denn der<br />
damit verbundene individuelle Rechtsverlust und<br />
das deutlich gestiegene finanzielle Risiko dürften<br />
kaum erklärbar sein.<br />
Das WEG werde künftig dem Gesellschaftsrecht<br />
angenähert. Die Verwaltung der Wohnungseigentümergemeinschaft<br />
(WEG) obliege nun nicht<br />
mehr den Wohnungseigentümern, sondern nunmehr<br />
dem insoweit rechtsfähigen Verband. Der<br />
Verwalter erhalte eher die Stellung eines GmbH-<br />
Geschäftsführers, einzelne Eigentümer oder auch<br />
eine 49 %-Minderheit könnten gegen den Willen<br />
der (auch knappen) Mehrheit nicht mehr gegen<br />
Dritte vorgehen.<br />
284 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Auch wie ein Prozess, etwa ein Anfechtungsverfahren,<br />
zu führen sei, entscheide nunmehr der<br />
Verband. Diese Entscheidung müsse auf einer<br />
WEG-Versammlung erfolgen. An dieser habe aber<br />
auch der Kläger das Recht, teilzunehmen. Damit<br />
könne ohne dessen Kenntnis ein Verfahren nicht<br />
mehr besprochen, abgewickelt oder in sonstiger<br />
Weise beeinflusst werden. Zudem habe der Kläger<br />
auch im Fall seines Obsiegens die Kosten, die<br />
auf den Verband entfallen, anteilig mitzutragen.<br />
Das jedoch werde die Bereitschaft, einen Vergleich<br />
(mit einer gegenseitigen Kostentragung)<br />
zu schließen, gegen „null“ tendieren lassen. Denn<br />
der Kläger müsste dann nicht nur seine Rechtsanwaltskosten,<br />
sondern auch die des Verbands in<br />
der Höhe des auf ihn entfallenden Anteils tragen.<br />
Dies werde er als „Strafe“ empfinden. Eine Mehrbelastung<br />
der Gerichte werde damit nicht ausgeschlossen,<br />
sondern sogar gefördert.<br />
Auch der Schutz künftiger Erwerber werde<br />
aufgeweicht. So sei die WEG nach der bestehenden<br />
Rechtslage Verbraucher, wenn ein Mitglied<br />
Verbraucher ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.3.2015 –<br />
VIII ZR 109/14). Entstehe die WEG künftig mit dem<br />
Bauträger als einzigem Mitglied, so sei sie künftig<br />
kein Verbraucher mehr, solange nicht jedenfalls<br />
ein Käufer Mitglied geworden sei. Das ermögliche<br />
es dem Bauträger, „als WEG“ Verträge abzuschließen,<br />
die bislang unwirksam wären.<br />
Der Verwalter solle nach § 9b WEG-E nunmehr<br />
die Stellung eines Geschäftsführers mit nach<br />
außen uneingeschränkten Kompetenzen erhalten.<br />
Gleichzeitig werde ihm eine Organstellung<br />
i.S.d. Verbandsrechts eingeräumt. Für die Wohnungseigentümer<br />
habe dies zugleich aber einen<br />
Entzug von Kompetenzen zur Folge. Handele der<br />
Verwalter abweichend von eventuellen Vorgaben,<br />
seien die Eigentümer im Außenverhältnis mit<br />
allen sich daraus ergebenden Folgen gebunden<br />
und müssten insb. für eingegangene Verpflichtungen<br />
haften. Das Wohnungseigentum erweise<br />
sich damit bei einem unbedachten Verwalter als<br />
Risikoanlage. Denn die im Außenverhältnis entstehenden<br />
Folgen der umfassenden Vertretungsmacht<br />
ließen sich – anders als nach der bisherigen<br />
Rechtslage – im Regelfall nicht mehr beseitigen.<br />
Bemängelt werden vom DAV auch die Konsequenzen<br />
der Reform für die Anwaltschaft. Bei<br />
der Beschlussanfechtungsklage sei nach bisherigem<br />
Recht regelmäßig die sog. Mehrvertretungsgebühr<br />
auf Beklagtenseite angefallen, da<br />
die Klage gegen alle übrigen (einzelnen) Wohnungseigentümer<br />
zu richten war. Jetzt solle sich<br />
diese Klage gegen den Verband (also nur noch<br />
eine Partei) richten. Damit entfiele die Mehrvertretungsgebühr.<br />
Der DAV wendet sich ausdrücklich<br />
gegen die damit einhergehende massive<br />
Reduktion des anwaltlichen Gebührenaufkommens<br />
auf Beklagten-, sprich: Verbandsseite. Auch<br />
wenn sich die Beschlussanfechtungsklage künftig<br />
gegen den Verband richte, bleibe der Arbeitsaufwand<br />
für den Anwalt der Beklagtenseite (also<br />
auf der Seite des Verbands) unverändert hoch,<br />
weil die Wohnungseigentümer es sich weiterhin<br />
nicht nehmen lassen würden, ihre Rechte wahrzunehmen,<br />
und daher auch entsprechend informiert<br />
werden müssten. Ein Wegfall der bisherigen<br />
Mehrvertretungsgebühr sei deshalb keinesfalls<br />
gerechtfertigt.<br />
[Quelle: DAV]<br />
Geschlechtsangabe im<br />
Personenstandsrecht<br />
Um Personenstands- und Namensänderungen<br />
durch trans- und intergeschlechtliche Personen<br />
ging es in der Antwort der Bundesregierung<br />
auf eine Abgeordnetenanfrage (vgl. BT-Drucks<br />
19/17050).<br />
Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung<br />
haben seit Dezember 2018 die Möglichkeit,<br />
im Personenstandsregister neben den<br />
Geschlechtseinträgen „männlich“ und „weiblich“<br />
auch die dritte Option „divers“ zu wählen, und<br />
können anhand einer Erklärung im Standesamt<br />
ihren Vornamen ändern sowie die Angabe zu<br />
ihrem Geschlecht im Personenstandseintrag ersetzen<br />
oder streichen. In der Gesetzesbegründung<br />
zu § 45b PStG werde die Anwendbarkeit<br />
der neuen Regelung auf Menschen beschränkt,<br />
„deren Geschlecht über die vorgeschlagene Klassifikation<br />
,Variante der Geschlechtsentwicklung' definierbar<br />
ist“, argumentierten die anfragenden Abgeordneten.<br />
Damit seien transgeschlechtliche Personen<br />
von einer Personenstands- und Namensänderung<br />
nach § 45b PStG ausgeschlossen.<br />
Transgeschlechtliche Personen müssten ihren<br />
Personenstand und ihren Namen demnach weiterhin<br />
über das Transsexuellengesetz (TSG) von<br />
1981 anpassen lassen.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 285
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Wie die Bundesregierung bestätigte, kann in<br />
Verfahren nach dem TSG der Geschlechtseintrag<br />
nicht gelöscht oder „divers“ gewählt werden. Wie<br />
sie weiterhin ausführt, hat der Gesetzgeber zur<br />
Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />
im Personenstandsgesetz eine<br />
Regelung getroffen, die es Menschen mit Varianten<br />
der Geschlechtsentwicklung ermöglicht, neben<br />
den Angaben „weiblich“ oder „männlich“ auch<br />
„divers“ zu wählen. Hinsichtlich einer Reform des<br />
Transsexuellenrechts sei der politische Meinungsbildungsprozess<br />
innerhalb der Bundesregierung<br />
aber noch nicht abgeschlossen, heißt es in der<br />
Antwort weiter. [Quelle: Bundesregierung]<br />
Neuer Strafsenat am BGH in Leipzig<br />
Mitte Februar hat das Bundesministerium der<br />
Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den<br />
6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) errichtet.<br />
Gemeinsam mit dem schon in Leipzig<br />
eingerichteten 5. Strafsenat ist der neue Strafsenat<br />
in der Villa Sack in der Karl-Heine-Straße 12<br />
in Leipzig untergebracht. Dem neuen Strafsenat<br />
sind aufgrund Beschlusses des Präsidiums des<br />
BGH die Revisionen in Strafsachen für die Bezirke<br />
der Oberlandesgerichte Bamberg, Brandenburg,<br />
Braunschweig, Celle, Naumburg, Nürnberg und<br />
Rostock zugewiesen. Derzeit führt Herr Richter<br />
am BGH Prof. Dr. SANDER als stellvertretender Vorsitzender<br />
den 6. Strafsenat. Daneben gehören<br />
dem Senat sechs weitere Richterinnen und Richter<br />
an. Es versehen damit in beiden Strafsenaten<br />
insgesamt vier Richterinnen und zehn Richter<br />
des BGH ihren Dienst in Leipzig. Insgesamt<br />
sind für den BGH dort nunmehr 35 Beschäftigte<br />
tätig.<br />
Die Präsidentin des BGH, BETTINA LIMPERG, besuchte<br />
am 17. Februar die in Leipzig tätigen Richterinnen<br />
und Richter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
und begrüßte insb. die Mitglieder des<br />
neuen 6. Strafsenats: „Mit der Errichtung eines<br />
weiteren Strafsenats in Ausführung des Beschlusses<br />
des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages<br />
vom 8.11.2018 erfährt Leipzig als Ort des Rechts eine<br />
weitere Stärkung. Neben dem Bundesverwaltungsgericht<br />
residieren nunmehr zwei Strafsenate des<br />
Bundesgerichtshofs im Freistaat Sachsen.“ Zugleich<br />
betonte die Präsidentin, dass das Präsidium des<br />
BGH sowie die weiteren Gremien weiterhin daran<br />
arbeiten werden, trotz der räumlichen Entfernung<br />
zum Stammsitz in Karlsruhe eine enge<br />
Anbindung aller Dienste zu ermöglichen.<br />
[Quelle: BGH]<br />
Einführung der elektronischen Akte<br />
an den obersten Bundesgerichten<br />
Die Einführung der elektronischen Akte soll nun –<br />
nachdem sie für den Bereich des Straf- und<br />
Ordnungswidrigkeitenverfahrens bereits im vergangenen<br />
Jahr gesetzgeberisch vorbereitet wurde<br />
– auch bei den obersten Gerichten des Bundes<br />
in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten<br />
vorbereitet werden. Dazu hat<br />
das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz<br />
(BMJV) den Referentenentwurf<br />
für eine Verordnung über die elektronische<br />
Aktenführung bei den obersten Gerichten des<br />
Bundes nach § 298a ZPO, § 14 FamFG, § 46e<br />
ArbGG, § 65b SGG, § 55b VwGO und § 52b FGO<br />
vorgelegt. Der Entwurf enthält u.a. Regelungen<br />
zur Führung, zu Struktur und Format der Akten<br />
sowie zur Ausgestaltung der elektronischen Akteneinsicht.<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat<br />
bereits ausdrücklich begrüßt, dass damit für die<br />
obersten Bundesgerichte die Möglichkeit geschaffen<br />
werde, die elektronische Akte bereits<br />
vor dem gesetzlich bestimmten Stichtag am<br />
1.1.2026 schrittweise einzuführen und zu erproben.<br />
So könne sichergestellt werden, dass das<br />
gesetzliche Ziel einer flächendeckenden elektronischen<br />
Aktenführung fristgerecht erreicht wird.<br />
Darin sieht die BRAK einen bedeutenden Schritt<br />
in Richtung eines medienbruchfreien elektronischen<br />
Rechtsverkehrs; sie hat zu einzelnen Regelungen<br />
im Entwurf allerdings auch eine Reihe<br />
von Änderungsvorschlägen gemacht.<br />
[Quelle: BRAK]<br />
Petition für eine Novellierung<br />
des RVG<br />
Der Kölner Anwaltverein fordert vom Gesetzgeber<br />
eine Novellierung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />
(RVG). Die Juristen des Vereins<br />
haben zu diesem Zweck im Februar eine Online-<br />
Petition gestartet, in der der Bundestag auf-<br />
286 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
gefordert wird, das RVG zu überarbeiten und die<br />
Gebühren anzuheben.<br />
Die Begründung der Petition stützt sich insb. auf<br />
den Umstand, dass Rechtsanwälte auch einkommensschwächeren<br />
Rechtssuchenden den Zugang<br />
zum Recht ermöglichen. Nicht jeder Bürger<br />
sei in der Lage, Anwaltskosten auf Grundlage des<br />
RVG oder gar einer Honorarvereinbarung aufzubringen.<br />
Aus diesem Grund gebe es in Deutschland<br />
für Personen mit geringem Einkommen ein<br />
staatlich finanziertes Hilfesystem aus Beratungsund<br />
Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe, wenn<br />
sie eine Rechtsberatung von einem Anwalt benötigen<br />
oder nicht in der Lage sind, einen Prozess<br />
selbst zu finanzieren bzw. sich gegen die Ansprüche<br />
eines anderen zu verteidigen.<br />
Durch diese vom Staat finanzierte Hilfe solle<br />
garantiert werden, dass keine finanzielle Diskriminierung<br />
im Bereich des Rechtsschutzes erfolge.<br />
Die Vergütung derjenigen Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte, die i.R.d. sozialstaatlichen Hilfsmaßnahmen<br />
für ihre Mandanten tätig würden,<br />
erfolge nach der Gebührentabelle des RVG. Diese<br />
Gebühren seien im Vergleich zu den individuellen<br />
Honoraren sehr niedrig und stellten viele selbstständige<br />
Anwälte mittlerweile vor ernste finanzielle<br />
Herausforderungen.<br />
Aus diesem Grund wollen die Petenten die Bevölkerung<br />
und die Politik hinsichtlich der Gefahr für<br />
den Rechtsstaat sensibilisieren und das Bewusstsein<br />
für die Garantie des Zugangs zum Recht auch<br />
für Menschen in prekärer Situation schärfen. Die<br />
niedergelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
würden, so die Petenten, solche Leistungen<br />
zukünftig nicht mehr im notwendigen Umfang<br />
erbringen können, wenn diese nicht das Auskommen<br />
garantieren.<br />
Die Online-Petition wird im Bundestag unter der<br />
Nummer 1<strong>06</strong>904 geführt. Sie kann noch bis zum<br />
26.3.<strong>2020</strong> unter der Internetadresse https://epeti<br />
tionen.bundestag.de/petitionen/_<strong>2020</strong>/_02/_07/Petiti<br />
on_1<strong>06</strong>904.nc.html mitgezeichnet werden.<br />
[Quelle: Bundestag]<br />
Expertenstreit um Pkw-Maut<br />
Vor dem 2. Untersuchungsausschuss im Bundestag<br />
(„Pkw-Maut“) haben Sachverständige Mitte<br />
Januar die Vorgänge rund um die gescheiterte<br />
Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen juristisch<br />
kontrovers beurteilt. In einer öffentlichen<br />
Zeugenvernehmung von Sachverständigen blieb<br />
insb. die Frage strittig, ob das Bundesverkehrsministerium<br />
bereits vor dem Urteil des Europäischen<br />
Gerichtshofs (EuGH) im Juni 2019 (vgl. dazu<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 479/2019) hätte vermuten können,<br />
dass die Pkw-Maut als nicht vereinbar mit dem<br />
europäischen Recht eingeschätzt würde.<br />
Dabei vertrat Prof. Dr. FRIEDEMANN KAINER von der<br />
Universität Mannheim die Ansicht, es hätten gute<br />
Gründe bestanden, die Maut nicht als diskriminierend<br />
einzuschätzen. Der EuGH hatte das Maut-<br />
Gesetz für rechtswidrig erklärt, da es Ausländer<br />
benachteilige. Gemäß dem Gesetz sollten zwar<br />
sowohl in- als auch ausländische Fahrzeughalter<br />
die Maut bezahlen müssen; inländischen Haltern<br />
wäre jedoch im Gegenzug die Kfz-Steuer mindestens<br />
i.H.d. Mautgebühr erlassen worden. KAINER<br />
argumentierte, es sei europarechtlich zwar nicht<br />
zulässig, Ausländer zu diskriminieren. Sehr wohl<br />
erlaubt sei es aber, eine Diskriminierung von<br />
Inländern auszugleichen. KAINER zufolge sind inländische<br />
Fahrzeughalter benachteiligt, da sie –<br />
anders als ausländische – KfZ-Steuer zahlen<br />
müssen.<br />
Dieser Einschätzung widersprach Prof. Dr. FRANZ<br />
C. MAYER von der Universität Bielefeld. In der<br />
Fachwelt habe mit großer Mehrheit die Einschätzung<br />
geherrscht, dass die Pkw-Maut in der<br />
vorgesehenen Form diskriminierend und deshalb<br />
nicht mit dem Europarecht vereinbar sei, betonte<br />
MAYER. Erstaunt zeigte er sich, dass das Verkehrsministerium<br />
keine Lehren aus der gescheiterten<br />
Maut gezogen habe. Der Vorgang, so MAYER,<br />
werfe die Frage nach dem Umgang mit juristischem<br />
Sachverstand bei politischen Entscheidungen<br />
auf.<br />
Ebenfalls zu einem juristischen Expertenstreit<br />
kam es in der zweiten Runde der mehrstündigen<br />
Zeugenvernehmung, die sich mit der Frage<br />
auseinandersetzte, ob das Verkehrsministerium<br />
gegen Haushaltsrecht verstoßen habe. Prof. Dr.<br />
ULRICH HUFELD von der Helmut-Schmidt-Universität/Universität<br />
der Bundeswehr Hamburg<br />
konstatierte dabei eine „Ermächtigungslücke im<br />
Haushalt von mehr als einer Milliarde Euro“. HUFELD<br />
bezog sich auf die Verpflichtungsermächtigung<br />
i.H.v. gut zwei Milliarden Euro, die der Bundestag<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 287
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
für das Haushaltsjahr 2018 beschlossen hatte. Das<br />
reichte zwar, um das finanziell reduzierte Angebot<br />
des Betreiberkonsortiums aus CTS Eventim<br />
und Kapsch TrafficCom abzudecken. HUFELD<br />
zufolge waren durch die Verpflichtungsermächtigung<br />
aber weder die variablen Vergütungen<br />
der Betreiber noch die Garantiezusagen im Fall<br />
der – dann tatsächlich eingetretenen – Kündigung<br />
des Vertrags aus ordnungspolitischen Gründen<br />
gedeckt.<br />
Diese Interpretation stellte Prof. Dr. CHRISTOPH<br />
GRÖPL von der Universität des Saarlandes in<br />
Zweifel. Er ließ durchblicken, dass er die Verpflichtungsermächtigung<br />
für ausreichend hält. Zudem<br />
sei keineswegs ausgemacht, dass das Konsortium<br />
Anspruch auf den entgangenen Gewinn für die<br />
gesamte Vertragslaufzeit habe.<br />
Auch in Bezug auf das Vergaberecht prallten<br />
unterschiedliche Einschätzungen aufeinander. Dr.<br />
MARCO NUNEZ MÜLLER von der Kanzlei Chatham<br />
äußerte erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit<br />
des Vergabeverfahrens. Insbesondere sei es unzulässig<br />
gewesen, nach Abgabe des finalen Angebots<br />
durch das Bieterkonsortium noch einmal<br />
über dieses Angebot zu verhandeln. Die gegenteilige<br />
Ansicht vertrat Dr. JAN ENDLER von der Kanzlei<br />
Linklaters: Da nur ein einziges finales Angebot<br />
abgegeben worden sei und die Mindestanforderungen<br />
des Beschaffungsgegenstands nicht<br />
verändert worden seien, sei es nicht erforderlich<br />
gewesen, auch diejenigen Bieter wieder in die Verhandlungen<br />
einzubeziehen, die sich zuvor zurückgezogen<br />
hatten.<br />
[Quelle: Bundestag]<br />
Personalia<br />
Anfang Januar des Jahres ist der bisherige Vorsitzende<br />
Richter am Bundessozialgericht (BSG)<br />
ERNST HAUCK in den Ruhestand getreten. HAUCK<br />
war lange Jahre in der nordrhein-westfälischen<br />
Sozialgerichtsbarkeit tätig, bevor er im Jahr 2005<br />
an das BSG berufen wurde. Hier gehörte er dem<br />
u.a. für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen<br />
1. Senat an, dessen stellvertretender<br />
Vorsitzender er im Januar 2011 wurde. Im August<br />
2016 wurde ERNST HAUCK zum Vorsitzenden Richter<br />
ernannt und führte sodann den 1. Senat bis zu<br />
seinem Eintritt in den Ruhestand. Von August<br />
2008 bis Ende September 2016 war er zudem<br />
Präsidialrichter des BSG. HAUCK ist seit 2012 auch<br />
Honorarprofessor an der Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg und zudem Herausgeber<br />
und Mitherausgeber von Kommentaren zu Gerichtsverfahren<br />
und -verfassung, Krankenversicherung<br />
und Pflegeversicherung.<br />
Ende Januar ist der Richter am Bundesverwaltungsgericht<br />
(BVerwG) Dr. STEPHAN GATZ nach<br />
mehr als 20-jähriger Tätigkeit am BVerwG in<br />
den Ruhestand getreten. Herr Dr. GATZ gehörte<br />
dem BVerwG seit 1999 an, wo er zunächst sowohl<br />
dem 10. Revisionssenat als auch dem 1. Disziplinarsenat<br />
angehörte. Im September 2001 wechselte<br />
er in den 4. Revisionssenat, dessen stellvertretender<br />
Vorsitzender er im März 2009<br />
wurde. Im Januar 2017 wurde Herr Dr. GATZ zudem<br />
zum Vorsitzenden Richter des Verwaltungssenats<br />
beim Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche<br />
in Deutschland berufen.<br />
Der ehemalige Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(BRAK) AXEL FILGES ist am 7. Februar<br />
mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens<br />
der Bundesrepublik ausgezeichnet<br />
worden. Geehrt wurde er für seine zahlreichen<br />
Verdienste im Bereich der Anwaltschaft und des<br />
Rechtsstandorts Deutschland. So gründete er<br />
etwa das „Bündnis für das Deutsche Recht“ mit,<br />
das die Position des deutschen Rechts und den<br />
Rechtsstandort Deutschland im internationalen<br />
Wettbewerb der Rechtsordnungen stärkt. Während<br />
der Amtszeit als Präsident der BRAK unterzeichnete<br />
FILGES zudem ein Freundschaftsabkommen<br />
mit der Israel Bar Association, das den<br />
Austausch zwischen der deutschen und der israelischen<br />
Anwaltschaft nachhaltig gestärkt und<br />
gefördert hat. [Quellen: BSG/BVerwG/BRAK]<br />
288 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 31<br />
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Allgemeines Zivilrecht<br />
Vorschaden: Nachweis der fachgerechten Reparatur<br />
(OLG Frankfurt, Urt. v. 12.12.2019 – 22 U 190/18) • Hat ein Fahrzeug einen Vorschaden im aktuellen<br />
Schadensbereich erlitten, muss der Geschädigte darlegen und beweisen, dass der Schaden fachgerecht<br />
repariert worden ist. Angesichts der Rechtsprechung des BGH zum Beweisantritt muss es allerdings<br />
ausreichen, wenn der Geschädigte ein detailliertes Schadensgutachten vorlegt und behauptet, dass die<br />
Reparatur entsprechend den dortigen Vorgaben erfolgt ist, damit das Gericht eine Beweisaufnahme<br />
durchzuführen hat. Kann der Geschädigte Ersatzteilrechnungen nicht vorlegen, ist ihm der entsprechende<br />
Beweis durch Zeugenvernehmung nicht abgeschnitten. Hinweis: Das LG hatte die angebotenen<br />
Zeugen zur Reparaturdurchführung nicht vernommen, sondern ein Gutachten eines Sachverständigen<br />
eingeholt. Der Sachverständige konnte nicht eindeutig feststellen, ob die Vorschäden fachgerecht<br />
repariert worden waren. Aus diesem Grund hatte das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen,<br />
dass die Klägerin eine ordnungsgemäße Reparatur entsprechend dem Sachverständigengutachten nicht<br />
ausreichend nachgewiesen habe. Damit hat das LG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt,<br />
indem es die angebotenen Zeugen zum Zustand des Fahrzeugs und den Reparaturvorgängen nicht<br />
gehört hat. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 117/<strong>2020</strong><br />
Kaufvertragsrecht<br />
Erwerb einer Eigentumswohnung: Wertstoffsammelstelle in der Nachbarschaft<br />
(OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.1.<strong>2020</strong> – I-21 U 46/19) • Eine in der Nähe einer vom Bauträger erworbenen<br />
Eigentumswohnung auf Anweisung der Stadt errichtete Wertstoffsammelstelle begründet keinen Sachmangel<br />
der Kaufsache i.S.v. § 437 BGB, weil die damit einhergehende Beeinträchtigung als sozialadäquat<br />
hinzunehmen ist. Der Bauträger ist nicht verpflichtet, den Erwerber der Eigentumswohnung vor Vertragsschluss<br />
über die geplante Aufstellung der Wertstoffsammelstelle aufzuklären, wenn es sich um<br />
eine für jedermann öffentlich zugängliche Information handelt, die jederzeit bei der Stadt abrufbar war.<br />
Hinweis: Der Abstand zwischen Sammelstelle und Wohnung betrug in diesem Fall 21,5 m. Eine<br />
Wertminderung der Wohnungen infolge der Entsorgungsanlage sah das Gericht nicht. Es könne<br />
nicht davon ausgegangen werden, dass ein Kaufobjekt grds. frei von jeglichen Umwelteinflüssen wie<br />
Geräuschemissionen und optischen Beeinträchtigungen ist. Derartige Beeinträchtigungen können<br />
vielmehr nur dann zu einer Abweichung von der Normalbeschaffenheit führen, wenn diese die Nutzung<br />
mehr als nur unwesentlich beeinträchtigen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 118/<strong>2020</strong><br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 289
Fach 1, Seite 32 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />
Miete/Nutzungen<br />
Kautionsrückzahlungsanspruch eines Mieters: Aufrechnung<br />
(KG, Beschl. v. 2.12.2019 – 8 U 104/17) • Erklärt der Vermieter gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch des<br />
Mieters die Aufrechnung mit einem Schadenersatzanspruch wegen Beschädigung der Mietsache, so setzt<br />
dies voraus, dass sich die Ansprüche vor Eintritt der Verjährung des Schadenersatzanspruchs nach § 548<br />
Abs. 1 BGB aufrechenbar gegenüberstanden (§§ 215, 387 BGB). Wegen der erforderlichen Gleichartigkeit<br />
der Ansprüche muss somit vor Eintritt der Verjährung ein Schadenersatzanspruch auf Zahlung bestanden<br />
haben. Der Schadenersatzanspruch wegen Verletzung des Integritätsinteresses des Vermieters durch<br />
Beschädigungen oder vertragswidrige Veränderungen der Mietsache während der Mietzeit erfordert zwar<br />
keine Fristsetzung nach § 281 BGB, da es sich nicht um einen vertraglichen Anspruch auf Wiederherstellung<br />
des ursprünglichen Zustands, sondern um einen Anspruch nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB<br />
und 823 BGB handelt (s. BGH, Urt. v. 28.2.2018 – VIII ZR 157/17 und Urt. v. 27.6.2018 – XII ZR 79/17). Jedoch ist<br />
der Schadenersatzanspruch aus §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 823 BGB zunächst auf Wiederherstellung der<br />
Sache gerichtet (§ 249 Abs. 1 BGB), sodass es auch insoweit an einer Aufrechnungslage fehlt, bis der<br />
Vermieter seine Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ausübt und statt der Herstellung den dafür<br />
erforderlichen Geldbetrag verlangt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 119/<strong>2020</strong><br />
Bauvertragsrecht<br />
Notarvertrag: Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung<br />
(OLG Rostock, Urt. v. 19.12.2019 – 3 U 62/18) • Angaben zur Beschreibung eines Grundstücks im Vorfeld<br />
des Vertragsschlusses, die im notariellen Vertrag keinen Niederschlag mehr finden, stellen in aller Regel<br />
keine Beschaffenheitsvereinbarung dar. Hinweis: In diesem Fall ging es um die Bebaubarkeit eines<br />
Grundstücks mit einer Kindertagesstätte. Eine Nichtigkeit des Vertrags kommt gem. § 125 BGB nur in<br />
Betracht, wenn die Parteien eine beurkundungsbedürftige Vereinbarung nicht in die Vertragsurkunde<br />
aufgenommen haben. Es kommt nicht darauf an, ob bei einem Grundstück eine Bebaubarkeit stets<br />
vorausgesetzt werden kann. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 120/<strong>2020</strong><br />
Immobiliarsachenrecht/WEG<br />
Vollzug einer Teilungserklärung: Vorläufige Untersagung<br />
(BGH, Beschl. v. 19.12.2019 – V ZB 145/18) • Das Grundbuchamt darf den Vollzug einer Teilungserklärung<br />
im Grundbuch nicht deshalb verweigern, weil dem teilenden Eigentümer die Begründung von Wohnungs-<br />
oder Teileigentum im Hinblick auf einen Beschluss über die Aufstellung einer Erhaltungsverordnung<br />
gem. § 15 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 172 Abs. 2 BauGB vorläufig untersagt worden ist; dabei kommt es<br />
nicht darauf an, ob die vorläufige Untersagung im Grundbuch eingetragen ist. Die vorläufige Untersagung<br />
der Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum gem. § 15 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 172 Abs. 2<br />
BauGB ist zivilrechtlich als behördliches Veräußerungsverbot i.S.v. § 136 BGB anzusehen.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 121/<strong>2020</strong><br />
Unrichtig gewordenes Grundbuch: Tod eines GbR-Gesellschafters<br />
(OLG München, Beschl. v. 8.1.<strong>2020</strong> – 34 Wx 420/19) • Die Berichtigung des durch den Tod eines<br />
Gesellschafters bürgerlichen Rechts unrichtig gewordenen Grundbuchs setzt neben dem Nachweis des<br />
Versterbens eines bisherigen Gesellschafters und dem Nachweis der Erbfolge einen Nachweis des<br />
Inhalts des Gesellschaftsvertrags voraus. Wurde dieser privatschriftlich errichtet, kann die Vorlage dieses<br />
nicht der grundbuchrechtlichen Form entsprechenden Gesellschaftsvertrags genügen. Hinweis: Mit<br />
Zwischenverfügung hatte das Grundbuchamt darauf hingewiesen, dass der Eintragung das Fehlen von<br />
Berichtigungsbewilligungen aller verbliebener Gesellschafter und aller Erben entgegenstehe. Für einen<br />
Unrichtigkeitsnachweis nach § 22 GBO wäre nämlich der Gesellschaftsvertrag in der Form des § 29 GBO<br />
vorzulegen, was mangels notarieller Errichtung jedoch ausscheide. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 122/<strong>2020</strong><br />
290 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 33<br />
Bank- und Kreditwesen<br />
Darlehensvertrag: Transparenz einer qualifizierten Nachrangvereinbarung<br />
(BGH, Urt. v. 12.12.2019 – IX ZR 77/19) • Die Verwendung einer qualifizierten Rangrücktrittsklausel in einem<br />
Darlehensvertrag bewirkt eine Wesensänderung der Geldhingabe vom bankgeschäftstypischen Darlehen<br />
mit unbedingter Rückzahlungsverpflichtung hin zur unternehmerischen Beteiligung mit einer eigenkapitalähnlichen<br />
Haftungsfunktion. Diese Wesensänderung muss für die angesprochenen Verkehrskreise<br />
hinreichend deutlich zutage treten. Dem Transparenzgebot genügt eine qualifizierte Nachrangvereinbarung<br />
nur dann, wenn aus ihr die Rangtiefe, die vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre, deren Dauer<br />
und die Erstreckung auf die Zinsen klar und unmissverständlich hervorgehen. Die formularmäßige Klausel,<br />
wonach die Rückzahlung „maßgeblich“ davon abhängig sein soll, dass „dies die finanzielle Lage der Schuldnerin<br />
erlaubt“, lässt nicht erkennen, unter welchen konkreten Voraussetzungen keine Rückzahlung verlangt<br />
werden kann. Auch die Anknüpfung an die „Krise“ als Schüsselbegriff der Klauseln für den Ausschluss des<br />
Rückzahlungsanspruchs entbehrt der gebotenen Konkretisierung. Die unwirksame Vereinbarung eines<br />
qualifizierten Rangrücktritts lässt die Wirksamkeit des Darlehensvertrags im Übrigen unberührt. Hinweis:<br />
Die Beklagte dieses Verfahrens verwendete u.a. diese Klausel: „Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass es<br />
sich hier nicht um ein eigentliches Darlehen handelt, sondern um eine Sonderform, bei der kein unbedingter<br />
Rückzahlungsanspruch des Nachrangdarlehensgebers besteht, sondern dieser hinsichtlich Zins- und Rückzahlungsanspruch<br />
sowie hinsichtlich des Bonusanspruchs qualifiziert nachrangig ist und es sich insofern um bedingt<br />
rückzahlbare Gelder handelt.“ Erstaunlich ist, dass mit dieser Formulierung überhaupt Gelder eingeworben<br />
wurden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 123/<strong>2020</strong><br />
Straßenverkehrsrecht<br />
Fahrstreifenwechsel: Wahlrecht des Voranfahrenden<br />
(KG, Urt. v. 18.11.2019 – 22 U 18/19) • Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende<br />
darf dem Voranfahrenden dessen Recht, zwischen mehreren markierten Fahrstreifen der Straße,<br />
in die abgebogen wird, zu wählen, nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern<br />
hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat. Das Wahlrecht des Voranfahrenden<br />
endet erst mit seiner endgültigen Einordnung in einen Fahrstreifen, d.h. i.d.R. frühestens 15 bis<br />
20 m nach dem Beginn der Fahrstreifenmarkierungen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 124/<strong>2020</strong><br />
Versicherungsrecht<br />
Fondsgebundener Lebensversicherungsvertrag: Rückabwicklung<br />
(KG, Urt. v. 10.1.<strong>2020</strong> – 6 U 158/18) • Dem Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung, der von<br />
seinem „ewigen“ Widerspruchsrecht gem. §§ 5a VVG a.F. Gebrauch macht, stehen im Rahmen seines<br />
Rückabwicklungsanspruchs gegen den Versicherer keine Nutzungen aus dem auf die Abschlusskosten<br />
entfallenden Prämienanteil zu. Diese stehen ihm nur insoweit zu, als dieser Prämienanteil nicht für<br />
anteilig auf den Vertrag entfallende Verwaltungskosten verbraucht wurde. Für die Schätzung der<br />
Nutzungen ist die Eigenkapitalrendite keine geeignete Schätzgrundlage. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 125/<strong>2020</strong><br />
Sonstiges Vertragsrecht<br />
Rekonstruktion eines Gefäßverschlusses: Ärztlicher Behandlungsfehler<br />
(OLG Hamm, Urt. v 19.11.2019 – 26 U 30/19) • In der Gefäßchirurgie gilt der Grundsatz: Eine akute<br />
Ischämie (Gefäßverschluss) ist akut zu behandeln. Wird der Versuch einer Rekanalisierung der Arterie<br />
nicht rechtzeitig unternommen, kann das als grober Behandlungsfehler zu werten sein. Das ist jedenfalls<br />
dann anzunehmen, wenn mit dem zögerlichen Verhalten dem Patienten die einzige Chance zum Erhalt<br />
einer Hand genommen wird. Für den Teilverlust der rechten Hand bei Entfernung des Daumens, des<br />
Zeigefingers und Teile des Mittelfingers kann ein Schmerzensgeld von 50.000 € angemessen sein.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 126/<strong>2020</strong><br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 291
Fach 1, Seite 34 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />
Familienrecht<br />
Scheidungsfolgenvereinbarung: Einschaltung eines Steuerberaters<br />
(BGH, Urt. v. 9.1.<strong>2020</strong> – IX ZR 61/19) • Berät ein Rechtsanwalt eine Mandantin im Zusammenhang mit einer<br />
Scheidungsfolgenvereinbarung, hat er sie auf die Notwendigkeit der Einschaltung eines Steuerberaters<br />
hinzuweisen, sofern sich bei sachgerechter Bearbeitung wegen der Übertragung von Grundeigentum eine<br />
steuerliche Belastung nach § 22 Nr. 2, § 23 EStG aufdrängen kann und er zu einer steuerrechtlichen<br />
Beratung nicht bereit oder imstande ist. Der durch eine fehlerhafte steuerliche Beratung verursachte<br />
Schaden umfasst die Kosten eines von dem Mandanten eingeholten Wertgutachtens, mit dessen Hilfe ein<br />
geringerer Verkehrswert eines für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Grundstücks nachgewiesen und<br />
die Steuerlast verringert werden kann. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt nicht, wenn<br />
der vernünftigerweise einzuschlagende Weg die Mitwirkung eines Dritten voraussetzt. Hinweis: In diesem<br />
Fall wurde für den aus der Übertragung eines Mietshauses erzielten Veräußerungsgewinn eine Steuer von<br />
rd. 19.000 € festgesetzt. Die steuerliche Belastung wäre gem. §§ 22 Nr. 2, 23 EStG vermeidbar gewesen,<br />
wenn die Klägerin ein anderes ihr gehörendes Mietshaus, für das die Spekulationsfrist bereits abgelaufen<br />
war, ihrem Ehemann übereignet hätte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 127/<strong>2020</strong><br />
Ausländische Entscheidung über rechtliche Elternschaft: Leihmutterschaft<br />
(KG, Beschl. v. 21.1.<strong>2020</strong> – 1 W 47/19) • Im Fall der sog. Leihmutterschaft hängt die Anerkennung einer<br />
ausländischen Entscheidung – hier des Superior Court of the State of California –, die die rechtliche<br />
Elternschaft – nur – dem Wunschvater zuweist und zugleich feststellt, die Leihmutter sei nicht rechtmäßiges<br />
Elternteil, nicht davon ab, dass der Wunschvater auch genetisch mit dem Kind verwandt ist. Ist<br />
die ausländische Entscheidung bereits vor der Geburt des Kindes ergangen, gebietet es der Grundsatz der<br />
Wahrheit der Personenstandsführung im Personenstandsrecht nicht, den Vornamen und Familiennamen<br />
der Leihmutter im Haupteintrag des Geburtsregisters zu verlautbaren (Abgrenzung zu Senat, Beschl. v.<br />
4.7.2017 – 1 W 153/16, FamRZ 2017, 1693). Hinweis: Die Leihmutter ist im personenstandsrechtlichen Verfahren<br />
zu beteiligen, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, sie habe<br />
das Kind freiwillig an den Wunschvater herausgegeben und wolle keine Elternstellung einnehmen.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 128/<strong>2020</strong><br />
Nachlass-/Erbrecht<br />
Wirksamkeit eines Testaments: Testamentserrichtung auf einem Notizzettel<br />
(OLG München, Beschl. v. 28.1.<strong>2020</strong> – 31 Wx 229/19) • Der Wirksamkeit eines Testaments steht grds.<br />
nicht entgegen, dass es auf ungewöhnlichem Material (hier: Notizzettel minderer Qualität im Format<br />
10 cm x 7 cm) errichtet wurde (im Anschluss an OLG Bremen NJW-RR 2019, 583). Zur Ermittlung des<br />
Testierwillens in einem solchen Fall ist auf alle, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände<br />
zurückzugreifen. Erhebliches Gewicht kommt dem Umstand zu, wenn der Erblasser auch frühere Testamente<br />
auf ungewöhnlichem Papier errichtet hat. Ein Widerruf des Testaments durch bloßes Einreißen<br />
der Urkunde bedarf einer besonders sorgfältigen Würdigung aller Umstände. Insbesondere bei Papier<br />
minderer Qualität und geringer Größe kann jedenfalls (auch) eine bloß zufällige Beschädigung naheliegen<br />
(Anschluss an BayObLG FamRZ 1990, 1110). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 129/<strong>2020</strong><br />
Zivilprozessrecht<br />
Verkündungstermin: Anspruch auf Verlegung<br />
(BGH, Urt. v. 13.12.2019 – V ZR 152/18) • Beantragen die Parteien einvernehmlich die Verlegung eines<br />
Verkündungstermins, weil sie ernsthafte Vergleichsgespräche führen wollen, ist regelmäßig ein erheblicher<br />
Grund i.S.v. § 227 Abs. 1 ZPO gegeben; das Gericht darf bei dieser Sachlage jedenfalls keine<br />
Endentscheidung verkünden, sondern es muss den Termin verlegen und den Parteien zumindest Gelegenheit<br />
geben, gem. § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 130/<strong>2020</strong><br />
292 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 35<br />
Fristverlängerungsantrag: Befristung<br />
(BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – VIII ZA 4/19) • Bei einem Fristverlängerungsantrag, der sich bis zu einem<br />
bestimmten Datum richtet, ist regelmäßig nicht anzunehmen, dass abweichend vom Wortlaut eine nach<br />
den jeweiligen Vorschriften grds. mögliche weitergehende Fristverlängerung begehrt wird (im Anschluss<br />
an BGH, Beschl. v. 11.11.1993 – VII ZB 24/93, NJW-RR 1994, 568 unter II 1 a). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 131/<strong>2020</strong><br />
Niederschlagung von Gerichtskosten: Schwerer Verfahrensverstoß<br />
(OLG Celle, Urt. v. 12.2.<strong>2020</strong> – 14 U 178/19) • Ein schwerer Verfahrensverstoß, der gem. § 21 GKG eine<br />
Niederschlagung der Gerichtskosten rechtfertigt, ist zu bejahen, wenn mehrere Aufforderungen zur<br />
Überprüfung einer unrichtigen Rechtsauffassung missachtet werden und eine Partei hierdurch in eine<br />
begründete Berufung getrieben wird. Hinweis: Hier hatte die Klägerin eine Berichtigung des Tenors und<br />
des Tatbestands dahin beantragt, dass sie nur ein Schmerzensgeld i.H.v. 8.000 € insgesamt begehrt<br />
habe, das auch tatsächlich in dieser Höhe zugesprochen wurde, sodass es nicht zu einem Teilunterliegen<br />
gekommen sei. Die Einzelrichterin hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil die Kostenquote zutreffend<br />
berechnet worden sei unter Berücksichtigung des Streitwerts. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 132/<strong>2020</strong><br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
Kostenfestsetzungsverfahren: Erfüllungseinwand<br />
(KG, Beschl. v. 20.1.<strong>2020</strong> – 19 W 158/19) • Wird der Erfüllungseinwand im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
erhoben und trotz Gelegenheit zur Stellungnahme nicht bestritten, ist er entsprechend § 138 Abs. 3 ZPO<br />
unstreitig und damit beachtlich. Die Berücksichtigung des Erfüllungseinwands im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
setzt nicht voraus, dass der gesamte zur Festsetzung beantragte Betrag einschließlich Zinsen<br />
bezahlt wurde. Auch unstreitige Teilzahlungen sind von der Festsetzung auszunehmen. Erfüllt der Kostenschuldner<br />
im laufenden Kostenfestsetzungsverfahren nur die Hauptforderung, nicht aber die Zinsforderung,<br />
beschränkt sich der Kostenfestsetzungsbeschluss auf den Zinsausspruch.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 133/<strong>2020</strong><br />
Handels-/Gesellschaftsrecht<br />
Erstattungsanspruch einer GmbH: Keine Geltendmachung gegen einen Gesellschafter<br />
(BGH, Urt. v. 19.11.2019 – II ZR 233/18) • § 64 S. 1 GmbHG ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB<br />
(Bestätigung von BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, ZIP 2019, 1719 Rn 19). Der Gläubiger einer GmbH<br />
kann den Erstattungsanspruch der Gesellschaft nicht selbst unmittelbar gegen einen Gesellschafter<br />
verfolgen, auch nicht bei einem Verstoß gegen § 73 Abs. 1 GmbHG. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 134/<strong>2020</strong><br />
Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />
Internet-Bewertungsportal yelp: Bewertungsdarstellung von Unternehmen<br />
(BGH, Urt. v. 14.1.<strong>2020</strong> – VI ZR 496/18) • Die Anzeige des Bewertungsdurchschnitts und der Einstufung<br />
von Nutzerbewertungen als „empfohlen“ oder „nicht empfohlen“ in einem Bewertungsportal ist durch die<br />
Berufs- sowie Meinungsfreiheit geschützt; ein Gewerbetreibender muss Kritik an seinen Leistungen und<br />
die öffentliche Erörterung geäußerter Kritik grds. hinnehmen. Hinweis: Der unvoreingenommene und<br />
verständige Nutzer des Bewertungsportals entnimmt der Bewertungsdarstellung nach Ansicht des BGH<br />
zunächst, wie viele Beiträge die Grundlage für die Durchschnittsberechnung bildeten, und schließt<br />
daraus weiter, dass Grundlage für die Durchschnittsberechnung ausschließlich der „empfohlene“ Beitrag<br />
ist sowie dass sich die Angabe der Anzahl nur darauf bezieht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 135/<strong>2020</strong><br />
Vermittlung von Studienplätzen: Irreführende Werbung<br />
(OLG Köln, Urt. v. 17.1.<strong>2020</strong> – 6 U 101/19) • Eine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG liegt vor,<br />
wenn die Handlung bei der gebotenen objektiven Betrachtung dem Ziel der Förderung des Absatzes<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 293
Fach 1, Seite 36 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />
oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient. Das Tatbestandsmerkmal der geschäftlichen<br />
Handlung dient dazu, das Lauterkeitsrecht vom Deliktsrecht abzugrenzen; dazu muss funktional ein<br />
objektiver Zusammenhang zwischen der Handlung und einer geschäftlichen Entscheidung eines Verbrauchers<br />
bestehen oder die Handlung darauf gerichtet sein, den Absatz von Dienstleistungen des<br />
eigenen oder fremden Unternehmens zu fördern. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 136/<strong>2020</strong><br />
Arbeitsrecht<br />
Datenschutzbeauftragter: Sonderkündigungsschutz<br />
(BAG, Urt. v. 5.12.2019 – 2 AZR 223/19) • Der Sonderkündigungsschutz des Beauftragten für den<br />
Datenschutz nach § 4f Abs. 3 S. 5 BDSG in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung (a.F.) endet mit<br />
Absinken der Beschäftigtenzahl unter den Schwellenwert des § 4f Abs. 1 S. 4 BDSG a.F. Gleichzeitig<br />
beginnt der nachwirkende Sonderkündigungsschutz des § 4f Abs. 3 S. 6 BDSG a.F.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 137/<strong>2020</strong><br />
Sozialrecht<br />
Kassenzahnärztliche Vereinigung: Vorstandsdienstvertrag<br />
(BSG, Beschl. v. 11.12.2019 – B 6 A 1/19) • Allein der Umstand, dass eine Kassenzahnärztliche Vereinigung<br />
(KZÄV) Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, spricht nicht für die Einordnung eines Vorstandsdienstvertrags<br />
als öffentlich-rechtlicher Vertrag. Die Grundsätze der §§ 133, 157 BGB gelten auch für die<br />
Auslegung von Dienstverträgen (vgl. z.B. BAG, Urt. v. 12.1.2005 – 5 AZR 144/04, AP Nr. 69 zu § 612 BGB).<br />
Eine Regelung, die einem ehemaligen Vorstandsmitglied unmittelbar gegenüber einer KZÄV einen<br />
Anspruch auf Versorgungsleistungen einräumt, ist mit § 35a Abs. 6a S. 5 SGB IV i.V.m. § 79 Abs. 6 S. 1<br />
SGB V nicht vereinbar. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 138/<strong>2020</strong><br />
Verfassungs-/Verwaltungsrecht<br />
Offensichtlich unzulässige Verfassungsbeschwerde: Missbrauchsgebühr<br />
(BVerfG, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 BvR 2244/19) • Ein Missbrauch des Beschwerderechts liegt u.a. dann vor,<br />
wenn die Verfassungsbeschwerde in ihrer äußeren Form beleidigenden oder verletzenden Charakter<br />
aufweist und jegliche Sachlichkeit vermissen lässt. Hinweis: Dies war vorliegend der Fall. Die Beschwerdeführerin<br />
äußerte sich in herabsetzender Weise über die in den Ausgangsverfahren tätigen Gerichte<br />
und Richter sowie Gerichte in anderweitigen Verfahren und die Justiz im Allgemeinen. Ihre Ausführungen<br />
waren von abwegigen Vorwürfen und verschwörungstheoretischen Anwandlungen durchzogen.<br />
Als Rechtsanwältin hätte der Beschwerdeführerin nach Ansicht des BVerfG bekannt sein müssen, dass<br />
die Rechtsprechung auf das Verständnis und die Anerkennung durch den Bürger angewiesen ist.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 139/<strong>2020</strong><br />
Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit: Straftatbegehung<br />
(OVG NRW, Beschl. v. 8.1.<strong>2020</strong> – 4 B 1100/19) • Die Typik der in § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 GewO<br />
genannten vermögensrelevanten Straftatbestände indiziert nach dem klaren Willen des Gesetzgebers<br />
regelmäßig die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit. Die Regel kann nur aufgrund besonderer<br />
Umstände ausnahmsweise als widerlegt angesehen werden. Dafür muss der Erlaubnisinhaber<br />
Umstände vortragen, die trotz einer einschlägigen Verurteilung ausnahmsweise eine andere Beurteilung<br />
zulassen. § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 GewO differenziert nicht nach Straftaten, die im privaten oder<br />
im gewerblichen Bereich begangen wurden. § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 GewO dient der Umsetzung<br />
europarechtlicher Vorgaben. Nach den europarechtlichen Vorgaben ist eine einschlägige Eintragung im<br />
innerstaatlichen Strafregister – unabhängig davon, ob die Straftat im privaten oder gewerblichen Bereich<br />
begangen wurde – ein den guten Leumund bzw. die Zuverlässigkeit ausschließender Tatbestand.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 140/<strong>2020</strong><br />
294 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Rechtsprechung <strong>2020</strong> Fach 1, Seite 37<br />
Steuerrecht<br />
Grunderwerbsteuer: Einheitlicher Erwerbsgegenstand<br />
(BFH, Beschl. v. 10.12.2019 – II B 20/19) • Ergibt sich bereits aus den zivilrechtlichen Vereinbarungen, dass<br />
Gegenstand des Erwerbs nicht das unbebaute, sondern das Grundstück in seinem (zukünftig) bebauten<br />
Zustand ist, sind die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Sie bilden zusammen<br />
mit dem Kaufpreis für das (noch) unbebaute Grundstück die Gegenleistung für den Erwerb des<br />
(zukünftig) bebauten Grundstücks. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 141/<strong>2020</strong><br />
Hamburgisches Spielvergnügungsteuergesetz: Zulässigkeit der Nachschau<br />
(BFH, Urt. v. 5.11.2019 – II R 15/17) • Die Spielvergnügungsteuer-Nachschau nach dem Hamburgischen<br />
Spielvergnügungsteuergesetz ist ohne Anlass zulässig. Die Nachschau erlaubt dem Finanzamt die<br />
Auslesung der Daten von Spielgeräten mithilfe eigener Auslesegeräte sowie deren Speicherung. Die<br />
zeitnahe bauartbedingte Löschung des Datenspeichers im Spielgerät hindert die Auswertung der ausgelesenen<br />
Daten nicht. Inhaltliche Bedenken gegen die Ausleseergebnisse sind tatsächlich zu würdigen.<br />
Hat das FA den Spieleinsatz exakt ermittelt, ist der Ansatz der entsprechenden Bemessungsgrundlage<br />
keine Schätzung. Die Anmeldung der Spielvergnügungsteuer steht einer Steuerfestsetzung unter dem<br />
Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Das Hamburgische Spielvergnügungsteuergesetz ist verfassungsund<br />
unionsrechtskonform. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 142/<strong>2020</strong><br />
Strafsachen/Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
Schleusen in qualifizierten Fällen: Strafbarkeit der Beihilfe<br />
(BGH, Urt. v. 14.11.2019 – 3 StR 561/18) • Ein Schleusungswilliger, der sich gegenüber einem Schleuser bereit<br />
erklärt, fluchtwillige Frauen und Kinder aufgrund kultureller Gegebenheiten zu begleiten, zu unterstützen<br />
und als Ansprechpartner zu fungieren, macht sich wegen Beihilfe zum Einschleusen mit Todesfolge<br />
strafbar, wenn es aufgrund eines Bootsunglücks zum Tod der Frauen und Kinder kommt. Dabei kommt es<br />
nicht darauf an, ob der Flüchtling selbst ebenfalls geschleust wird. Hinweis: Hier hatte der BGH über eine<br />
vergleichsweise unbekannte Regelung im Aufenthaltsgesetz zu befinden, die aber nach einfacher Subsumtion<br />
eindeutig besagt, dass in bestimmten qualifizierten Fällen der Einschleusung auch ein Beihelfer<br />
bestraft werden kann. Ob vom Schutzbereich dieser Regelung nur Erwachsene oder auch Kinder erfasst<br />
werden, hat der BGH offengelassen, da dies nicht entscheidungserheblich war. Die Zuständigkeit der<br />
deutschen Gerichtsbarkeit, obschon es um von einem Ausländer im Ausland begangene Taten geht, ergibt<br />
sich im Übrigen aus § 96 Abs. 4 AufenthG. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 143/<strong>2020</strong><br />
Geldwäsche: Bedingter Vorsatz<br />
(KG, Urt. v. 26.9.2019 – [2] 121 Ss 11/19 [18/19]) • Hat ein Angeklagter angesichts der Gesamtumstände<br />
erkannt, dass die Geldbeträge illegaler Herkunft sind, begründen diese Feststellungen ein wesentliches<br />
Indiz dafür, dass der Angeklagte auch willentlich gehandelt hat (§ 261 StGB). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 144/<strong>2020</strong><br />
Trunkenheitsfahrt: E-Scooter<br />
(LG Dortmund, Beschl. v. 11.2.<strong>2020</strong> – 43 Qs 5/20) • Der Irrtum über den Grenzwert der absoluten<br />
Fahruntüchtigkeit bei der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter ist ein vermeidbarer Verbotsirrtum.<br />
Die Regelvermutung für die Entziehung der Fahrerlaubnis in § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird bei einer<br />
Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter insb. dann nicht widerlegt, wenn die Blutalkoholkonzentration<br />
über dem selbst für Fahrradfahrer geltenden Grenzwert von 1,6 ‰ liegt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 145/<strong>2020</strong><br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Zustellungsurkunde: Beweiskraft<br />
(OLG Hamm, Beschl. v. 4.2.<strong>2020</strong> – 2 RVs 5/20) • Die Beweiskraft der gem. §§ 166–195 ZPO aufgenommenen<br />
Zustellungsurkunde erstreckt sich nicht auch darauf, dass der Zustellungsadressat unter der<br />
Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 146/<strong>2020</strong><br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 295
Fach 1, Seite 38 Rechtsprechung <strong>2020</strong><br />
Pflichtverteidigerbestellung: Beschwerde<br />
(KG, Beschl. v. 1.11.2019 – 2 Ws 165/19) • Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Fortbestand der<br />
Pflichtverteidigerbestellung für einen Mitangeklagten ist mangels Beschwer unzulässig.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 147/<strong>2020</strong><br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei: Vergütungsanspruch<br />
(BGH, Urt. v. 28.11.2019 – IX ZR 239/18) • Die Ansprüche des Abwicklers einer Rechtsanwaltskanzlei auf<br />
Vergütung für seine Tätigkeit stellen keine Masseverbindlichkeiten dar. Bürgerlich-rechtliche Rechtsbeziehungen<br />
zwischen dem Kanzleiabwickler und dem ehemaligen Rechtsanwalt bestehen nach<br />
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Rechtsanwalts nicht zulasten der Masse fort,<br />
soweit der ehemalige Rechtsanwalt als Auftraggeber anzusehen ist. Ein Dienstvertrag des Schuldners,<br />
der kein Dauerschuldverhältnis begründet, besteht nicht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Dies<br />
gilt auch für Anwaltsverträge. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 148/<strong>2020</strong><br />
Gebührenrecht<br />
Zwischenurteil: Keine Ermäßigung der Verfahrensgebühr<br />
(OLG Köln, Beschl. v. 20.1.<strong>2020</strong> – 17 W 220/19) • Ein Zwischenurteil über die Leistung einer Prozesskostensicherheit<br />
steht einer Ermäßigung der gesetzlichen Verfahrensgebühr entgegen.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 149/<strong>2020</strong><br />
Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts: Regelung eines zuvor streitigen Anspruchs<br />
(OLG München, Beschl. v. 15.1.<strong>2020</strong> – 24 U 1530/19) • Wird durch einen Vergleich ein Anspruch der<br />
Klagepartei gegen einen Dritten mit abgegolten, kann dies zu einem Vergleichsmehrwert nur führen,<br />
wenn der Anspruch zuvor streitig war. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 150/<strong>2020</strong><br />
EU-Recht/IPR<br />
Annullierung eines Teilflugs: Zuständigkeit des Gerichts des ersten Abflugorts<br />
(EuGH, Beschl. v. 20.2.<strong>2020</strong> – C-6<strong>06</strong>/19) • Bei Flügen, für die eine bestätigte einheitliche Buchung<br />
vorliegt und die in mehreren Teilflügen von verschiedenen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden,<br />
kann der wegen Annullierung des letzten Teilflugs bestehende Ausgleichsanspruch vor den Gerichten<br />
des Abflugorts des ersten Teilflugs geltend gemacht werden. Hinweis: Der streitgegenständliche Flug<br />
umfasste drei Teilflüge: Der erste Teilflug von Hamburg nach London wurde von British Airways<br />
durchgeführt; die beiden übrigen, der eine von London nach Madrid und der andere von Madrid nach<br />
San Sebastian, wurden von Iberia durchgeführt. Das AG Hamburg zweifelte an seiner Zuständigkeit für<br />
die Entscheidung über den Rechtsstreit, der den annullierten Teilflug betrifft, da der Abflug- und der<br />
Ankunftsort dieses Teilflugs, nämlich Madrid bzw. San Sebastian, jeweils außerhalb seiner Zuständigkeit<br />
liegt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 151/<strong>2020</strong><br />
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296 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 637<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Handelsrecht<br />
Logistikrecht<br />
Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017)<br />
Von Rechtsanwalt, Speditionskaufmann und Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht CARSTEN<br />
VYVERS, Frankfurt a.M.<br />
Inhalt<br />
I. Die ADSp 2017 – das prägende Bedingungswerk<br />
für Transport- und Speditionsunternehmer<br />
II. Hinweispflicht auf den Inhalt einzelner<br />
Ziffern der ADSp 2017<br />
III. Die 32 Ziffern der ADSp 2017 in der Zusammenfassung<br />
I. Die ADSp 2017 – das prägende Bedingungswerk für Transport- und Speditionsunternehmer<br />
Auch wenn es sich bei Branchen-AGB wie den Allgemeinen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017) um<br />
eine Spezialmaterie zu handeln scheint, sollte deren Bedeutung für die alltägliche Bearbeitung nicht unterschätzt<br />
werden. Der Bundesverband Spedition und Logistik e.V. (DSLV) wirbt damit, als Spitzen- und<br />
Bundesverband zusammen mit seinen 16 regionalen Landesverbänden die verkehrsträgerübergreifenden<br />
Interessen von etwa 3.000 Speditions- und Logistikdienstleistungsbetrieben zu repräsentieren, die insgesamt<br />
605.000 Beschäftigte und einen jährlichen Branchenumsatz i.H.v. über 110 Milliarden Euro aufweisen.<br />
Hinzu kommen weitere Verbände wie der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V.<br />
(BGL) und der Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik e.V. (BWVL). Der Transport-, Speditionsund<br />
Logistiksektor bildet mittlerweile die drittgrößte Branche Deutschlands. Es lohnt sich daher nach<br />
hiesiger Auffassung, einen genaueren Blick auf die Standardbedingungen des Gewerbes zu werfen.<br />
Die ADSp 2017 werden seit dem 1.1.2017 von diversen Beteiligten entlang der gesamten Transportkette zur<br />
Anwendung empfohlen. Zu den an den Verhandlungen beteiligten und die ADSp 2017 unterstützenden<br />
Verbänden zählen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesverband Großhandel,<br />
Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), der BGL, der Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ),<br />
der BWVL, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der DSLV und der Handelsverband<br />
Deutschland (HDE). Die Zahl der Nutzer liegt damit deutlich höher als bei vorangegangenen Fassungen.<br />
Die ADSp 2003 waren lediglich verhandelt und empfohlen worden vom BDI, BGA, DSLV, DIHK und HDE;<br />
die ADSp 2016 waren entwickelt und empfohlen worden vom DSLV allein.<br />
Die Chance, bei der Bearbeitung von Transport-, Speditions- und Lagerverträgen oder hiermit in Zusammenhang<br />
stehenden Dienstleistungen auf die ADSp 2017 zu treffen, ist daher recht hoch. Der folgende<br />
Beitrag soll den Inhalt der ADSp 2017 kurz zusammenfassen und auf mögliche Probleme bei der<br />
Rechtsanwendung hinweisen.<br />
Ähnlich wie bei den Incoterms, wo man zur besseren Unterscheidbarkeit jeweils eine Jahreszahl<br />
hinzufügt (bspw. Incoterms 2010 oder nun auch Incoterms <strong>2020</strong>), wird seit den ADSp 2016 auch bei den<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 297
Fach 15, Seite 638<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
ADSp eine Jahreszahl hinzugefügt. Die Jahreszahl kennzeichnet dabei den Beginn des Jahres, ab<br />
welchem die jeweilige Fassung zur Anwendung empfohlen wird. Wie eingangs gesehen, werden die<br />
ADSp 2017 ab dem 1.1.2017 zur Anwendung empfohlen.<br />
Praxistipp:<br />
Um unnötige Diskussionen, welche Fassung der ADSp konkret Vertragsbestandteil geworden ist, und<br />
damit ggf. einhergehende Haftungsrisiken zu vermeiden, sollte man die gewünschte Fassung der ADSp<br />
konkret bezeichnen.<br />
II. Hinweispflicht auf den Inhalt einzelner Ziffern der ADSp 2017<br />
Auch wenn im kaufmännischen Verkehr grds. mit einer Leistungserbringung auf Basis von Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen gerechnet werden muss und der Einbezug mitunter recht einfach erfolgen mag,<br />
gilt dies im Transport- und Speditionsbereich nur eingeschränkt.<br />
Es gibt nämlich in den §§ 449 Abs. 2, 466 Abs. 2 HGB eine Spezialregelung, wonach Frachtführer und<br />
Spediteure zwar mit Hilfe von Allgemeiner Geschäftsbedingungen Abweichungen von der gesetzlichen<br />
Grundhaftung von Sonderziehungsrechten (SZR) 8,33 je Kilogramm treffen können, sie gleichzeitig<br />
jedoch dazu verpflichtet sind, den Vertragspartner hierauf „in geeigneter Weise“ hinzuweisen. Was der<br />
Gesetzgeber hiermit genau gemeint hat, ist leider unklar. Obergerichtliche Rechtsprechung hierzu<br />
existiert noch nicht.<br />
Der BGH verlangte zu § 449 Abs. 2 Nr. 1 HGB a.F. eine qualifizierte Information durch den ADSp-<br />
Verwender (Urt. v. 23.1.2003 – I 174/00, NJW 2003, 1397 f.). Begründet wurde dies u.a. damit, dass an den<br />
damaligen Verhandlungen nicht alle potenziellen Nutzer beteiligt gewesen sind. Die Frage, ob man aus<br />
Gründen der Praktikabilität davon ausgehen könne, dass für die Einbeziehung der ADSp 1998 als unter<br />
den Marktbeteiligten ausgehandelte und damit gemeinsam festgestellte Vertragsordnung der strenge<br />
Maßstab des § 449 Abs. 2 Nr. 1 HGB a.F. nicht gelten würde, musste der BGH daher nicht entscheiden.<br />
Die Dienstleister behalfen sich daher damit, neben einem generellen Hinweis auf die Leistungserbringung<br />
auf Basis der ADSp 2003 noch den Inhalt der Ziffer 23 ADSp 2003 zu wiederholen:<br />
„Wir arbeiten ausschließlich auf Basis der ADSp, neuester Fassung. Diese beschränken in Ziffer 23 ADSp die<br />
gesetzliche Haftung für Güterschäden nach § 431 HGB für Schäden im speditionellen Gewahrsam auf 5 Euro je<br />
Kilogramm, bei multimodalen Transporten unter Einschluss einer Seebeförderung auf 2 SZR je Kilogramm sowie<br />
ferner je Schadenfall bzw. -ereignis auf 1 Mio. Euro bzw. 2 Mio. Euro oder 2 SZR je Kilogramm, je nachdem, welcher<br />
Betrag höher ist.“<br />
Zwar wird nachvollziehbarerweise mit Blick auf die Vielzahl der nun an den Verhandlungen beteiligten<br />
Verbände die Auffassung vertreten, das vom BGH erwähnte Kriterium der gemeinsam festgestellten<br />
Vertragsordnung sei nun (wieder) erfüllt, ob der BGH dies im Streitfall jedoch tatsächlich bestätigen<br />
wird, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend bewertet werden.<br />
Praxistipp:<br />
Es wird daher aus anwaltlicher Vorsicht empfohlen, mindestens mit folgendem Text auf die ADSp 2017 zu<br />
verweisen:<br />
„Wir arbeiten ausschließlich auf Basis der ADSp 2017. Wir verweisen vorsorglich auf die von der gesetzlichen Grundhaftung<br />
abweichenden Haftungsregelungen in den Ziffern 22–25 ADSp 2017.“<br />
Die vorgenannten Ziffern der ADSp 2017 sollten überdies noch drucktechnisch hervorgehoben werden.<br />
Wenn der Nutzer sich dazu noch von seinem (Neu-)Kunden schriftlich den Erhalt bzw. das Einverständnis<br />
mit einer Leistungserbringung auf Basis der ADSp 2017 bestätigen lassen würde, wäre dies natürlich ideal.<br />
298 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 639<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
III.<br />
Die 32 Ziffern der ADSp 2017 in der Zusammenfassung<br />
Ziffer 1 ADSp 2017<br />
Die Ziffer enthält eine Erläuterung verschiedener, im Rahmen der ADSp 2017 immer wieder auftauchender Begrifflichkeiten.<br />
Die Begriffe sind oftmals altbekannt. Sie wurden ähnlich bereits in den ADSp 2003/2016 verwendet.<br />
Neu – und zurückzuführen auf die erstmalige Mitwirkung des BGL – ist die Erweiterung des Begriffs<br />
des Frachtführers auf den des Lohnfuhrunternehmers. Eigentlich ist der Lohnfuhrunternehmer dazu<br />
verpflichtet, seinem Auftraggeber ein Fahrzeug nebst Fahrer zur Verfügung zu stellen. Der Auftraggeber<br />
entscheidet dann über die Art und Weise der Transportdurchführung. Mangels Obhut am Gut scheidet<br />
eine Anwendung der transportrechtlichen Regelungen der §§ 407 ff. HGB auf den Lohnfuhrunternehmer<br />
u.U. aus (BGH, Beschl. v. 4.4.2016 – 1 ZR 102/15, jPR VersR v. 14.6.2016). Ob die Rechtsprechung dieser<br />
Regelung der ADSp 2017 daher folgt und den Lohnunternehmer wie den Frachtführer i.S.d. §§ 407 ff.<br />
HGB behandelt, muss daher abgewartet werden.<br />
Beträgt der Wert einer Sendung mehr als 100 Euro je Kilogramm, hat der Auftraggeber den Dienstleister<br />
hierauf in jedem Fall gesondert hinzuweisen. Dies stellt ebenfalls eine Abweichung von der<br />
bisherigen Rechtsprechung dar. Aus § 254 BGB hat der BGH (Urt. v. 1.12.2005 – 1 ZR 265/03, NJW-RR<br />
20<strong>06</strong>, 1108; Urt. v. 21.1.2010 – 1 ZR 215/07, NJW-RR 2010, 909) die Pflicht des Versenders hergeleitet, den<br />
Dienstleister auf das Drohen eines ungewöhnlich hohen Schadens gesondert hinzuweisen. Dies soll<br />
immer dann erforderlich sein, wenn der drohende Schaden dem Zehnfachen der gesetzlichen oder<br />
vertraglich vereinbarten Grundhaftung entspricht. Kommt der Auftraggeber dem nicht nach, kann sein<br />
Anspruch bis auf Null heruntergekürzt werden (BGH, Urt. v. 3.7.2008 – 1 ZR 132/05, NJW-RR 2009, 173).<br />
Vermutlich dürfte der ein oder andere Auftraggeber jedoch nicht berücksichtigen, dass es angesichts der<br />
recht differenzierten Haftungsregelungen in den Ziffern 22-25 ADSp 2017 daneben weitere Hinweispflichten<br />
geben kann. Diese beginnen bei multimodalen Transporten unter Einschluss einer Seebeförderung<br />
schon bei 20 SZR je Kilogramm (Ziffer 23.3.1 ADSp 2017). Auf der anderen Seite wird ein<br />
Auftraggeber ggf. übersehen, dass ihn die Hinweispflicht bei Überschreiten der Grenze von 100 Euro je<br />
Kilogramm auch dann trifft, wenn das Gesetz eigentlich eine höhere Haftung als 8,33 SZR je Kilogramm<br />
vorsieht (Merke: 8,33 SZR entsprechen ca. 10 Euro). Denn die Haftung bei internationalen Lufttransporten<br />
beträgt 19 SZR je Kilogramm bzw. 27,35 Euro je Kilogramm, je nachdem, zwischen welchen<br />
Staaten die Luftfrachtbeförderung durchgeführt wird.<br />
Ziffer 2 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Reichweite der ADSp 2017.<br />
Die ADSp 2017 gelten nicht für Geschäfte mit Verbrauchern. Ebenso sind einzelne Dienstleistungsbereiche<br />
wie die Lagerung von Akten oder die Durchführung von Schwertransporten, für welche man<br />
besondere Genehmigungen benötigt, von den ADSp 2017 ausgeschlossen.<br />
Ziffer 3 ADSp 2017<br />
Diese Ziffer regelt die (vorvertraglichen) Pflichten des Auftraggebers.<br />
Welche Informationen muss er auf welche Art und Weise an den Dienstleister übermitteln? Erwähnt<br />
wird in diesem Zusammenhang auch eine Mitteilung über den „Warenwert“ der Sendung. Was konkret<br />
hiermit gemeint ist und wofür dieser Wert im Einzelfall dienen soll, sagen die ADSp 2017 nicht. Der<br />
Auftraggeber muss daher dem Dienstleister nicht nur den „Warenwert“ mitteilen, sondern auch gleichzeitig<br />
sagen, was er mit der Mitteilung bezweckt. Will er seiner Informationspflicht nachkommen, um<br />
dem Vorwurf eines fehlenden Hinweises auf das Drohen eines ungewöhnlich hohen Schadens zu<br />
entgehen (s. Ziffer 1 ADSp 2017), will er eine Transportversicherung eindecken und die Ware zu diesem<br />
Wert versichern oder soll der Dienstleister die Verzollung vornehmen und der Zollanmeldung diesen<br />
Wert zugrunde legen?<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 299
Fach 15, Seite 640<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
Die zu erstellenden Frachtpapiere können bei internationalen Transporten hier einen ersten Anhaltspunkt<br />
liefern, da diese unterschiedlichen Felder für die Angabe des Zollwertes (engl.: „total value for customs“) und<br />
für die Angabe eines Transportversicherungswertes (engl.: „total value for carriage“) vorsehen.<br />
Auf diebstahlgefährdetes Gut – hier nicht rein wertbasiert, sondern aus der Natur des Gutes betrachtet<br />
– hat der Auftraggeber den Dienstleister möglichst frühzeitig hinzuweisen. Dies muss jedoch auch<br />
konkret erfolgen und darf sich nicht in der Floskel „Achtung! Diebstahlgefährdetes Gut“ erschöpfen<br />
(BGH, Urt. v. 1.7.2010 – 1 ZR 176/08, NJW-RR 2011, 117).<br />
Diese Pflicht tritt neben die Pflicht, den Dienstleister auf das Drohen eines ungewöhnlich hohen<br />
Schadens hinzuweisen.<br />
Ziffer 4 ADSp 2017<br />
Diese Ziffer regelt – als Spiegelbild zur vorangegangenen Ziffer – die Pflichten des Dienstleisters.<br />
Entsprechend § 454 Abs. 1 HGB wird zunächst noch einmal erwähnt, dass das Interesse des Auftraggebers<br />
der Handlungsmaßstab für den Dienstleister sein soll. Dieses verdrängt grds. das Interesse<br />
des Empfängers oder anderer, am Vertrag beteiligter Dritter. Es geht sogar dem Interesse des Dienstleisters<br />
vor – es sei denn, für ihn ergeben sich aus dem Gesetz oder den ADSp 2017 eigene Rechte, die<br />
dann dem Interesse des Auftraggebers vorgehen.<br />
Der Dienstleister soll nicht (mehr) länger blind alle Angaben des Auftraggebers übernehmen, sondern ihn<br />
treffen bei nationalen Transporten u.U. Prüfpflichten auf offensichtliche Fehler. Eine kurze „Schlüssigkeitsprüfung“<br />
reicht aus. Demgegenüber steht jedoch, dass bei internationalen Transporten (Art. 16<br />
Abs. 2 MÜ/WA, 11 Abs. 2 CMR) eine Prüfpflicht des Dienstleisters explizit verneint wird.<br />
Ziffer 5 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Kommunikation zwischen den Parteien.<br />
Es soll eine Trennung zwischen kaufmännischen Mitarbeitern auf der einen Seite und gewerblichen<br />
Mitarbeitern wie Fahrern oder Lagerarbeitern auf der anderen Seite erfolgen. Während die erstgenannte<br />
Gruppe zuständig sein soll für die Auftragsbearbeitung, die Vertragsanbahnung bzw. den<br />
-abschluss, fehlt es an einer Vertretungsbefugnis für die zweite Gruppe. Die Regelung des § 56 HGB soll<br />
hierdurch verdrängt werden. Ob dies tatsächlich funktionieren wird und wie die Institute einer<br />
Anscheins- oder Duldungsvollmacht in diesem Zusammenhang zu bewerten sind, wird sich noch zeigen<br />
müssen. Es sind in jedem Fall Schulungen und Informationen zu empfehlen, um die gewerblichen<br />
Mitarbeiter entsprechend zu sensibilisieren.<br />
Beide Seiten sollen auch verantwortliche Personen für die künftige Kommunikation benennen. Ansonsten<br />
gilt der jeweilige Vertragsunterzeichner als kompetenter Ansprechpartner für alle Fragen rund<br />
um die Leistungsabwicklung.<br />
Ziffer 6 ADSp 2017<br />
Die Ziffer definiert die Pflichten des Auftraggebers hinsichtlich seines Gutes vor Übergabe an den Dienstleister.<br />
Die Klausel basiert auf den Regelungen der §§ 411, 455, 468, 488 HGB, wonach der Auftraggeber für die<br />
Verpackung und Kennzeichnung des Gutes verantwortlich ist. Er soll dem Dienstleister darüber hinaus<br />
(nochmals) basierend auf seiner Erfahrung eine Einschätzung geben, ob eine Diebstahlsgefahr für das<br />
Gut besteht.<br />
Ziffer 7 ADSp 2017<br />
Die Ziffer versucht, eine Regelung zu den Ladungssicherungspflichten des Dienstleisters bei Sammel- und Stückguttransporten<br />
zu treffen.<br />
300 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 641<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Denn gerade diese Transporte, wo das Fahrzeug diverse Be- und Entladestellen anfährt und die<br />
jeweilige Ladung damit nicht immer die gesamte Ladefläche einnimmt, sind recht anfällig für etwaige<br />
Verstöße gegen die Verkehrssicherheit.<br />
Die bloße Formulierung allein wird – ohne weitere flankierende Maßnahmen des Auftraggebers –<br />
vermutlich nicht ausreichen, dass dieser bei etwaigen Verstößen seiner möglichen Verantwortung<br />
entkommt. Denn das Zivilrecht und das öffentliche Recht bzw. Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
haben bekanntlich nicht immer denselben Sorgfaltsmaßstab.<br />
Ziffer 8 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Art und Weise der Quittungserteilung durch den Dienstleister und die Aufbewahrungsfristen für<br />
solche Dokumente.<br />
Der Dienstleister soll papierhafte (Abliefer-)Belege ein Jahr aufheben, bevor er sie vernichtet. Dies kann<br />
nach hiesiger Auffassung dazu führen, dass Dokumente vorschnell vernichtet werden und von Gesetzes<br />
wegen bestehende, deutlich längere Aufbewahrungsfristen hierdurch verletzt werden (bspw. bis zu<br />
10 Jahren für zollrechtliche Sachverhalte relevante Unterlagen).<br />
Ziffer 9 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Erteilung von Weisungen des Auftraggebers an den Dienstleister nach erfolgtem Vertragsschluss.<br />
Es wird klargestellt, dass der Auftraggeber dem Dienstleister Weisungen erteilen darf. Unerwähnt bleibt<br />
jedoch, dass der Dienstleister in solch einem Fall Ersatz seiner Aufwendungen sowie eine angemessene<br />
Vergütung verlangen kann. Unter Umständen kann er sogar zunächst die Zahlung eines Vorschusses<br />
verlangen (§ 418 Abs. 1 a.E. HGB), bevor er tätig wird. Zur Vermeidung von Diskussionen wäre es<br />
vermutlich hilfreich gewesen, wenn man dies auch mit in die ADSp 2017 aufgenommen hätte.<br />
Ziffer 10 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Möglichkeit, dass der Dienstleiter beim Empfänger die Kosten der Beförderung geltend macht bzw.<br />
einzieht.<br />
Da dem deutschen Recht ein Vertrag zu Lasten Dritter fremd ist, wird vorsorglich klargestellt, dass der<br />
Auftraggeber in jedem Fall zur Zahlung des Dienstleisters verpflichtet bleibt.<br />
Ziffer 11 ADSp 2017<br />
Die Ziffer definiert die Zeiten, welche ein Fahrzeug entgeltfrei an einer Ladestelle warten soll.<br />
Sie erschöpft sich jedoch in der Angabe einer Wartezeit von zwei Stunden für eine Komplettladung<br />
einer Fahrzeugkombination mit 40 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht (dies entspricht üblicherweise<br />
33 Europalettenstellplätzen bzw. deren Äquivalent).<br />
Zur Vermeidung von Diskussionen mit den Kunden empfiehlt es sich, weitere Regelungen für Stückgutund<br />
Teilladungen zu schaffen.<br />
Beispiel:<br />
Mangels Vereinbarung beträgt die Ver- oder Entladezeit für Straßenfahrzeuge unabhängig von der<br />
Anzahl der Sendungen pro Ver- oder Entladestelle bei auf Paletten aller Art verladenen Gütern<br />
• bis zehn Europalettenstellplätzen höchstens 40 Minuten,<br />
• bis zwanzig Europalettenstellplätzen höchstens 70 Minuten,<br />
• über zwanzig Europalettenstellplätzen höchstens 120 Minuten.<br />
In allen anderen Fällen bei Gütern (nicht jedoch bei schüttbaren Gütern) mit einem umzuschlagenden<br />
Gewicht<br />
• bis drei Tonnen höchstens 40 Minuten,<br />
• bis sieben Tonnen höchstens 70 Minuten,<br />
• über sieben Tonnen höchstens 120 Minuten.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 301
Fach 15, Seite 642<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
Ziffer 12 ADSp 2017<br />
Die Klausel regelt, wann eine Partei von ihrer Leistungspflicht befreit wird.<br />
Im konkreten Fall empfiehlt sich eine Kontrolle, ob das störende Ereignis in den Katalog der dort<br />
aufgeführten Ereignisse passt.<br />
Ziffer 13 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Ablieferung des Gutes.<br />
Die Umstände der Ablieferung wurden neu geregelt. Für den transportrechtlichen Laien vermutlich<br />
überraschend wird klargestellt, dass bei Anlieferungen an einem Lager oder einem vergleichbaren Ort<br />
die Ablieferung nur unter Aufsicht durchzuführen sei.<br />
Hintergrund ist, dass es leider i.d.R. vom anliefernden Fahrer erwartet wird, seinen Lkw selbst zu<br />
entladen – natürlich ohne gesonderte Vergütung, als Zusatzservice dem Kunden gegenüber. Zuviel<br />
Selbstständigkeit des Fahrpersonals wollte man offensichtlich jedoch auch nicht haben, weshalb nun<br />
diese Einschränkung erfolgte.<br />
Ziffer 14 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Auskunftsrechte des Auftraggebers gegenüber dem Dienstleister.<br />
Entsprechend dem Leitbild des Auftragsrechts (§ 666 BGB) wird klargestellt, dass der Dienstleister dem<br />
Auftraggeber auf Verlangen Auskunft erteilen muss und dass die Abwicklung des Geschäftes – über das<br />
vereinbarte Entgelt hinaus – nicht zu einer zusätzlichen Bereicherung des Dienstleisters führen soll.<br />
Ziffer 15 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Art und Weise der Lagerung von Gütern.<br />
Beginn und das Ende des Haftungszeitraums wurden neu gefasst. Die Haftung des Lagerhalters beginnt<br />
nunmehr mit dem Beginn der Entladung und sie endet erst mit dem Ende der Verladung. Angesichts<br />
der oben (s. Ziffer 13 ADSp 2017) erwähnten regelmäßigen Durchführung von Ladetätigkeiten<br />
durch das Fahrpersonal wird man hier im Einzelfall jeweils schauen müssen, in wessen Auftrag und auf<br />
wessen Risiko der Fahrer gerade gehandelt hat.<br />
Ziffer 16 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt, welche Kosten des Dienstleisters mit der vereinbarten Vergütung abgegolten sind und wann er<br />
Nachforderungen stellen kann.<br />
Nachdem die Reichweite der Preisbindung einer der wesentlichen Streitpunkte bei den Verhandlungen<br />
über eine Reform der ADSp 2003 waren, welche Mitte 2015 zu einem Scheitern der Verhandlungen und<br />
mit den DTLB sowie den ADSp 2016 zu zwei konkurrierenden Bedingungswerken im Bereich Transport<br />
und Lager geführt hatten, näherten sich die Parteien im Laufe des Jahres 2016 erfreulicherweise wieder<br />
an. Ansonsten hätte man dauerhaft mit einander widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
zusammenarbeiten müssen.<br />
Die nunmehrige Fassung stellt einen Kompromiss dar, welche den Interessen der Auftraggeber entgegenkommt<br />
und die Möglichkeiten des Dienstleisters, Nachforderungen wegen Kostensteigerungen<br />
geltend zu machen, einschränkt. Der Dienstleister sollte daher möglichst genau seine einzelnen Kostenpositionen<br />
aufschlüsseln und klarstellen, welche Kosten „nach Aufwand“, „nach Tageskurs“, „gemäß<br />
Auslage“ o.Ä. zu ersetzen sind. Typische Beispiele sind Raten von Reedereien oder Luftfrachtgesellschaften,<br />
Zuschläge für Energie (Bunker- oder Treibstoffzuschlag) oder Sicherheitskontrollen. Ebenso<br />
sollten in diesem Zusammenhang Kosten für Demurrage und Detention (zu langer Verbleib von<br />
Containern im Hafen bzw. verspätete Rückgabe derselben) erwähnt werden.<br />
302 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 643<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Ziffer 17 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt, wann der Dienstleister vom Auftraggeber den Ersatz von Aufwendungen verlangen kann.<br />
Die Regelung ist nicht abschließend, subsidiär hierzu sind auch die gesetzlichen Regelungen (§ 354 Abs. 1<br />
HGB) zu beachten, sodass dem Dienstleister zusätzlich zu seinem Anspruch auf Erstattung der ausgelegten<br />
Beträge eine Vorlageprovision in verkehrsüblicher Höhe zusteht.<br />
Ziffer 18 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Anforderungen an den Inhalt und die Fälligkeit von Rechnungen.<br />
Neu ist, dass die Fälligkeit einer Zahlungsforderung nun abhängig ist von der Rechnungstellung bzw.<br />
dem Erhalt einer Zahlungsaufforderung durch den Dienstleister. Diese Regelung begünstigt den<br />
Auftraggeber, da das Gesetz von anderen Fälligkeitsvoraussetzungen ausgeht. Die Fracht ist bei der<br />
Ablieferung des Gutes zu zahlen (§ 420 Abs. 1 S. 1 HGB); das Spediteurentgelt ist mit der Übergabe des<br />
Gutes an den Frachtführer oder den Verfrachter fällig (§ 456 HGB). Das Lagergeld ist jeweils am Ende der<br />
Lagerzeit zu zahlen; sind die Lagerung und das Lagergeld nach einzelnen Zeitabschnitten bemessen, ist<br />
das Lagergeld jeweils am Ende des jeweiligen Zeitabschnitts fällig (§ 699 BGB). Im Übrigen sind<br />
Ansprüche des Dienstleisters mit ihrer Entstehung fällig (§ 271 Abs. 1 BGB).<br />
Stärker zu berücksichtigen sind damit auch die formellen Voraussetzungen an Aufbau und Inhalt einer<br />
Rechnung (§ 14 Abs. 4 UStG): Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten:<br />
• den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des<br />
Leistungsempfängers,<br />
• die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt<br />
für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer,<br />
• das Ausstellungsdatum,<br />
• eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung<br />
vom Rechnungsaussteller einmalig vergeben wird (Rechnungsnummer),<br />
• die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang<br />
und die Art der sonstigen Leistung,<br />
• den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistung; in den Fällen des Abs. 5 S. 1 den Zeitpunkt der<br />
Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts, sofern der Zeitpunkt der Vereinnahmung<br />
feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung übereinstimmt,<br />
• das nach Steuersätzen und einzelnen Steuerbefreiungen aufgeschlüsselte Entgelt für die Lieferung<br />
oder sonstige Leistung (§ 10) sowie jede im Voraus vereinbarte Minderung des Entgelts, sofern sie<br />
nicht bereits im Entgelt berücksichtigt ist,<br />
• den anzuwendenden Steuersatz sowie den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag oder im Fall<br />
einer Steuerbefreiung einen Hinweis darauf, dass für die Lieferung oder sonstige Leistung eine<br />
Steuerbefreiung gilt,<br />
• in den Fällen des § 14b Abs. 1 S. 5 einen Hinweis auf die Aufbewahrungspflicht des Leistungsempfängers<br />
und<br />
• in den Fällen der Ausstellung der Rechnung durch den Leistungsempfänger oder durch einen von ihm<br />
beauftragten Dritten gem. Abs. 2 S. 2 die Angabe „Gutschrift“.<br />
Ziffer 19 ADSp 2017<br />
Die Ziffer möchte Regelungen zu einem Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot schaffen.<br />
Dies ist jedoch leider missglückt. Eine Ergänzung zu den ADSp 2017 ist daher empfehlenswert:<br />
„Es wird klargestellt, dass eine Aufrechnung oder Zurückbehaltung gegenüber Ansprüchen aus dem Verkehrsvertrag<br />
und damit zusammenhängenden, außervertraglichen Ansprüchen nur dann zulässig ist, wenn der fällige Gegenanspruch<br />
unbestritten, entscheidungsreif oder rechtskräftig festgestellt ist.“<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 303
Fach 15, Seite 644<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
Ziffer 20 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt, wann und wie der Dienstleister das gesetzliche Pfandrecht an den in seiner Obhut befindlichen<br />
Gütern ausüben kann.<br />
Ein eigenes, vertragliches Pfandrecht kennen die ADSp 2017 nicht mehr. Dies ist auch nicht erforderlich,<br />
da die §§ 440 ff. HGB dem Dienstleister ein weitgehendes Pfandrecht einräumen. Dem Auftraggeber wird<br />
dabei die Möglichkeit eingeräumt, die Ausübung des Pfandrechts durch Stellung einer Bankbürgschaft<br />
abzuwenden.<br />
Ziffer 21 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt, wann der Dienstleiter davon ausgehen darf, dass die Eindeckung einer Transport- oder Lagerversicherung<br />
dem Interesse des Auftraggebers entspricht und wann nicht.<br />
Sprechen die in den ADSp 2017 genannten Indizien für die Eindeckung einer Versicherung, folgt hieraus<br />
eine Pflicht des Dienstleisters zum Tätigwerden.<br />
Ziffer 22 ADSp 2017<br />
Diese Ziffer regelt – ebenso wie Ziffer 25 ADSp 2017 – die Haftung dem Grunde nach. Die Höhe der Haftung ist<br />
hingegen in den Ziffern 23, 24 ADSp 2017 geregelt.<br />
Der Anspruch auf Schadenersatz wird dabei auf einen Anspruch auf Wert- bzw. Kostenersatz beschränkt.<br />
Entgangener Gewinn ist damit nicht ersatzfähig. Mehr- und Minderbestände dürfen im Falle<br />
von Inventurdifferenzen wertmäßig saldiert werden. Hat der Dienstleister aus einem Schadenfall<br />
Ansprüche gegen einen Dritten, welche höher sind als die Haftung des Dienstleisters gegenüber dem<br />
Auftraggeber, so hat er diese dem Auftraggeber auf dessen Verlangen hin abzutreten.<br />
Ziffer 23 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Haftung für das bewegte Gut.<br />
Die Grundhaftung für Schäden beträgt 8,33 SZR je Kilogramm. Diese gibt es jedoch nicht in jedem Fall.<br />
Die Haftung pro Schadenfall beträgt 1,25 Mio. Euro oder 2 SZR je Kilogramm, je nachdem, welcher<br />
Betrag höher ist. Die Haftung pro Schadenereignis beträgt 2,5 Mio. Euro oder 2 SZR je Kilogramm, je<br />
nachdem, welcher Betrag höher ist. Der Verweis auf die 2 SZR je Kilogramm als Mindesthaftung ist<br />
notwendig, um den Korridor der §§ 449 Abs. 2, 466 Abs. 2 HGB nicht zu unterschreiten. Die durch<br />
Allgemeine Geschäftsbedingungen gestaltete Haftung muss sich demnach in einem Bereich von<br />
2–40 SZR je Kilogramm bewegen.<br />
Vorsorglich klargestellt wird, dass die ADSp 2017 hinter die zwingende gesetzliche Haftung zurücktreten<br />
und – was noch wichtiger ist – die ADSp 2017 auch keine über das Gesetz hinausgehende Haftung<br />
schaffen möchten (zum Hintergrund s. Ziffer 27 ADSp 2017).<br />
Ziffer 24 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Haftung für das eingelagerte Gut.<br />
Zu berücksichtigen ist zunächst, dass es hier keine Anforderungen an eine Mindesthaftung entsprechend<br />
§§ 449 Abs. 2, 466 Abs. 2 HGB gibt. § 475h HGB erlaubt vielmehr auch feste Haftungsbegrenzungen.<br />
Die Grundhaftung für Schäden beträgt 8,33 SZR je Kilogramm. Diese gibt es jedoch nicht in jedem Fall.<br />
Die Haftung für Inventurdifferenzen beträgt 70.000 Euro pro Jahr. Die Haftung pro Schadenfall beträgt<br />
35.000 Euro. Die Haftung pro Schadenereignis beträgt 2,5 Mio. Euro. Der Auftraggeber hat jedoch die<br />
Möglichkeit, die Haftung je Kilogramm, je Schadenfall und für Inventurdifferenzen nach Rücksprache mit<br />
dem Dienstleister und gegen Zahlung eines entsprechenden Zuschlages heraufzusetzen (sog. Wertdeklaration).<br />
304 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 645<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Ziffer 25 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Haftung dem Grunde nach für besondere Beförderungsarten (Schiff).<br />
Hierdurch soll insb. ein Gleichlauf zwischen der Haftung des Dienstleisters sowie der Haftung des<br />
Reeders aus den sog. Konnossementbedingungen erreicht werden, da ansonsten eine Haftung des<br />
Dienstleisters gegenüber seinem Auftraggeber droht, er aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch keinen<br />
Regress gegen den Reeder nehmen könnte.<br />
Ziffer 26 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Reichweite der Haftung nach den ADSp 2017.<br />
Aus §§ 434, 436 HGB folgt, dass die Haftungssystematik des Transport- und Speditionsrechts nicht<br />
einfach dadurch umgegangen werden soll, dass der geschädigte Auftraggeber oder ein anderer Dritter<br />
anstelle eines vertraglichen Anspruchs gegen den Dienstleister Ansprüche aus c.i.c., Eigentum oder<br />
Bereicherungsrecht geltend macht. Die Haftungsregelungen der Ziffern 22–25 ADSp 2017 gelten damit<br />
unabhängig davon, auf welcher Basis ein Anspruch gegen den Dienstleister erhoben wird.<br />
Ziffer 27 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt, wann der Dienstleister sich nicht auf die Haftungsbegrenzungen der Ziffern 23, 24 ADSp 2017 berufen<br />
kann und ist damit eine der bedeutsamsten Regelungen der ADSp 2017.<br />
Vorsorglich wurde in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die Verwendung der ADSp 2017 nicht zu<br />
einem Verzicht auf gesetzliche Haftungsbefreiungen oder -ausschlüsse führen soll.<br />
Hintergrund:<br />
Die Vorgängerregelung der Ziffer 27 ADSp 2003 war wortgleich mit der Ziffer 27 ADSp 1998/2002. Sie<br />
wurde mit Blick auf die Regelung des § 435 HGB geschaffen und sollte diesen eigentlich nur wiederholen.<br />
Nach Auffassung der Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 22.7.2010 – I ZR 194/08, BeckRS 2011, 00721; Urt. v.<br />
3.3.2011 – I ZR 50/10, BeckRS 2011, 13392) führte die Verwendung der Ziffer 27 ADSp 2003 zu einem<br />
Wegfall der Haftungsbeschränkungen nach dem Montrealer Übereinkommen (MÜ). Dies war und ist<br />
nach hiesiger Auffassung falsch, da das MÜ erst zeitlich später, d.h. 1999 verhandelt wurde und erst 2003<br />
für Deutschland in Kraft trat. Als Reaktion auf diese Rechtsprechung und die Tatsache, dass es neben<br />
dem MÜ noch andere Regelungen gibt, wo das Gesetz den Dienstleister besserstellt als die ADSp 2003,<br />
wurde zunächst eine Ergänzung zu den ADSp 2003 empfohlen, die da lautete:<br />
„Ergänzend wird vereinbart, dass (1) Ziffer 27 ADSp weder die Haftung des Spediteurs noch die Zurechnung des<br />
Verschuldens von Leuten und sonstigen Dritten abweichend von gesetzlichen Vorschriften wie § 507 HGB, Art. 25<br />
MÜ, Art. 36 CIM, Art. 20, 21 CMNI zugunsten des Auftraggebers erweitert, (2) der Spediteur als Verfrachter in den<br />
in § 512 Abs. 2 Nr. 1 HGB aufgeführten Fällen des nautischen Verschulden oder Feuer an Bord nur für eigenes<br />
Verschulden haftet und (3) der Spediteur als Frachtführer im Sinne der CMNI unter den in Art. 25 Abs. 2 CMNI<br />
genannten Voraussetzungen nicht für nautisches Verschulden, Feuer an Bord oder Mängel des Schiffes haftet.“<br />
Ziffer 28 ADSp 2017<br />
Die Ziffer regelt die Anforderungen an den vom Dienstleister einzudeckenden Versicherungsschutz für seine Tätigkeiten<br />
(sog. Verkehrshaftungsversicherung).<br />
Der Dienstleister ist dazu verpflichtet, hinreichenden Versicherungsschutz bei Auftragserteilung<br />
vorzuhalten. Andernfalls darf er sich nicht auf die für ihn günstigen Haftungsbestimmung der ADSp<br />
2017 berufen.<br />
Nach hiesiger Auffassung ist diese Rechtsfolge nicht in jedem Fall notwendig. Zunächst wird es<br />
vermutlich Fälle geben, wo das Fehlen des hinreichenden Versicherungsschutzes auf mangelhafte<br />
Informationen und/oder zu niedrige Wertangaben des Auftraggebers zurückzuführen sein dürfte. Wenn<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 305
Fach 15, Seite 646<br />
Logistikrecht: ADSp 2017<br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
bei Übernahme des Gutes ein hinreichender Versicherungsschutz besteht und keine Anhaltspunkte<br />
für ein Beratungsverschulden des Dienstleisters ersichtlich sind, besteht ebenfalls kein Grund, dem<br />
Dienstleister eine Berufung auf die Haftungsbestimmung der ADSp 2017 zu verweigern.<br />
Falls der Dienstleister aktiv den Auftraggeber anspricht und ihm ein Angebot zur Leistungserbringung<br />
unterbreitet, sollte er gleichwohl vorsorglich vorher überprüfen, ob sein Versicherungsschutz im Falle<br />
eines Zuschlags ausreichend ist.<br />
Der Auftraggeber hat sogar das Recht, den mit dem Dienstleister geschlossenen Verkehrsvertrag<br />
wieder zu kündigen, wenn der Dienstleister ihm auf sein Verlangen hin nicht das Bestehen des Versicherungsschutzes<br />
binnen angemessener Frist nachweist. Ob der Dienstleister über den angefragten<br />
Versicherungsschutz verfügt oder nicht, soll dabei unerheblich sein. Abgestellt wird lediglich auf die<br />
fehlende oder nicht fristgerecht übermittelte Versicherungsbestätigung.<br />
Ziffer 29 ADSp 2017<br />
Die Ziffer begrenzt die Haftung des Auftraggebers in bestimmten Fallkonstellationen.<br />
Hintergrund ist zunächst, dass der Auftraggeber nach den §§ 414, 455, 468, 488 HGB für Falschangaben,<br />
Mängel der Verpackung bzw. der Kennzeichnung des Gutes etc. unbegrenzt haftet. Denn die gewichtsbasierte<br />
Haftungsbegrenzung gilt in solchen Fällen nicht.<br />
§§ 449 Abs. 2, 455 Abs. 2, 468 Abs. 3, 488 Abs. 5 S. 2 HGB erlauben es jedoch, die Haftung des Auftraggebers<br />
betragsmäßig per Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu begrenzen. Die Haftung beträgt<br />
200.000 Euro je Schadenereignis. Wie sich der Betrag herleitet, ist unklar. Nach hiesiger Auffassung<br />
hätten 250.000 oder 500.000 Euro je Schadenereignis besser in die Haftungssystematik der ADSp 2017<br />
gepasst.<br />
Zu berücksichtigen ist zunächst, dass diese Haftungsbegrenzung einzig und allein in den vier genannten<br />
Fallkonstellationen nach nationalem Recht einschlägig ist (§§ 414, 455, 468, 488 HGB). Bei internationalen<br />
Transporten, welche den hierfür geltenden Regelungen unterfallen, greift die Regelung nicht<br />
ein. Ähnlich wie beim Dienstleister ist auch ein Wegfall dieser Haftungsbegrenzungen möglich<br />
(Ziffer 29.2 ADSp 2017).<br />
Ziffer 30 ADSp 2017<br />
Die Ziffer enthält Bestimmungen zur Rechts- und Gerichtsstandswahl und trifft Regelungen zum Erfüllungsort.<br />
Zu berücksichtigen ist hierbei nur, dass lediglich bei nationalen Transporten noch eine Zentralisierung<br />
von Verfahren an den beiden genannten Gerichtsständen (Sitz des Auftraggebers bzw. Dienstleisters)<br />
möglich ist. Bei internationalen Transporten gilt dies nicht. Hier gibt es immer die Möglichkeit, auch an<br />
anderen Gerichtsständen zu klagen. Der Anwendungsbereich dieser Ziffer ist daher stark eingeschränkt.<br />
Ziffer 31 ADSp 2017<br />
Die Ziffer stellt klar, dass die Parteien ihnen bekannt gewordene, nicht öffentlich zugängliche Informationen vertraulich<br />
behandeln soll.<br />
Sie verlangt überdies, diese Geheimhaltungsverpflichtung auf etwaige Erfüllungshilfen auszuweiten.<br />
Ziffer 32 ADSp 2017<br />
Die Ziffer enthält eine Aufzählung der vom Dienstleister zu beachtenden Normen (bspw. GüGK, MiLoG, Lenk- und<br />
Ruhezeiten) sowie eine gemeinsame Erklärung der Parteien, dass sie gewisse Mindeststandards einhalten (bspw.<br />
keine Kinder- oder Zwangsarbeit).<br />
3<strong>06</strong> <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1381<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Betriebliche Altersversorgung<br />
Betriebsübergang und Betriebliche Altersversorgung<br />
Von Rechtsanwalt Dr. UWE LANGOHR-PLATO, Köln<br />
Inhalt<br />
I. Einleitung<br />
II. Allgemeine Grundlagen und Rechtsfolgen<br />
des § 613a BGB<br />
III. Übertragung betrieblicher Versorgungsverbindlichkeiten<br />
auf den Betriebserwerber<br />
IV. Besonderheiten bei den Durchführungswegen:<br />
Unterstützungskasse, Pensionskasse<br />
und Pensionsfonds<br />
V. Übernahme von Versorgungsanwartschaften<br />
VI. Informationspflichten<br />
VII. Konkurrenz bestehender Versorgungssysteme<br />
1. Nur beim Betriebsveräußerer existentes<br />
Versorgungssystem<br />
2. Nur beim Betriebserwerber existentes<br />
Versorgungssystem<br />
3. Konkurrenzverhältnis zwischen sowohl<br />
beim Betriebsveräußerer als auch beim<br />
Betriebserwerber bestehenden Versorgungssystemen<br />
I. Einleitung<br />
Der Ruhegeldsenat des BAG hat mit seinem Urteil vom 22.10.2019 (3 AZR 429/18, juris) seine bisherige<br />
Rechtsprechung zum Ordnungsprinzip nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB modifiziert und konkretisiert<br />
und seine bisherige Rechtsprechung hierzu ausdrücklich aufgegeben. Aus Anlass dieser Rechtsprechungsänderung<br />
werden nachfolgend die generellen „Spielregeln“, die bei einem Betriebsübergang zu<br />
beachten sind, im Hinblick auf die Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung dargestellt und<br />
erläutert.<br />
II. Allgemeine Grundlagen und Rechtsfolgen des § 613a BGB<br />
Gemäß § 613a Abs. 1 BGB liegt ein Betriebsübergang vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch<br />
Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht, d.h. wenn die Befugnis, den Betrieb im eigenen<br />
Namen zu leiten, hinsichtlich des ganzen Betriebs oder eines bestimmten, selbstständigen Betriebsteils<br />
auf einen Rechtsnachfolger überwechselt (sog. Einzelrechtsnachfolge/Singularsukzession). Hierbei wird<br />
der Betrieb oder Betriebsteil vom Inhaber (Veräußerer) durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Inhaber<br />
(Erwerber) übertragen, z.B. durch Verkauf, Verpachtung, Vermietung oder Bestellung eines Nießbrauchs.<br />
Dies hat zugleich einen Übergang der im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse<br />
zur Folge. Mit diesem Übergang der Arbeitsverhältnisse sind im Wesentlichen drei<br />
Schutzfunktionen verbunden:<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 307
Fach 17, Seite 1382<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Arbeitsrecht<br />
• Im Vordergrund steht die sog. Bestandsschutzfunktion, d.h. der Schutz der einzelnen Arbeitnehmer<br />
durch Sicherung und Fortführung des Arbeitsverhältnisses im bisherigen Umfang. Aufgrund der<br />
ausdrücklichen Beschränkung im Wortlaut des § 613a BGB auf den Übergang bestehender „Arbeitsverhältnisse“<br />
erstrecken sich die Rechtsfolgen des § 613a BGB ausschließlich auf Arbeiter, Angestellte<br />
und leitende Angestellte (HÖFER, BetrAVG, Bd. I [ArbR], Kap. 9 Rn 51). Organmitglieder juristischer<br />
Personen, wie z.B. der Geschäftsführer einer GmbH oder der Vorstand einer AG, werden somit vom<br />
Anwendungsbereich des § 613a BGB nicht erfasst (ROLFS, BetrAV 2008, 468).<br />
• Ferner wird die Rechtsstellung und Kontinuität des amtierenden Betriebsrats bzw. des Sprecherausschusses<br />
durch den Betriebsübergang nicht beeinträchtigt, zumal die entsprechenden Sondervorschriften<br />
(§ 24 BetrVG, § 9 SprAuG) den Betriebsübergang nicht als Erlöschensgrund für die<br />
Mitgliedschaft im Betriebsrat bzw. Sprecherausschuss vorsehen (sog. Mitbestimmungsfunktion).<br />
• Schließlich verfolgt § 613a BGB ebenso wie § 25 HGB auch haftungsrechtliche Ziele (sog. Haftungsfunktion).<br />
Die Arbeitsverhältnisse gehen danach auf einen Betriebserwerber in dem Zustand über, den sie zum Zeitpunkt<br />
des Betriebsübergangs haben (vgl. BAG, Urt. v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, AP Nr. 11 zu § 613a BGB).<br />
Nicht erforderlich ist, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Betriebsübergangs aktiv besteht. Die<br />
Rechtsfolgen des Betriebsübergangs erstrecken sich auch auf ruhende Arbeitsverhältnisse (vgl. ROLFS,<br />
BetrAV 2008, 468). Dem Betrieb gehören daher auch solche Arbeitnehmer an, die zum Zeitpunkt des<br />
Betriebsübergangs arbeitsunfähig krank (BAG, Urt. v. 21.2.20<strong>06</strong> – 3 AZR 216/05, NZA 2007, 931), in der<br />
Elternzeit (BAG, Urt. v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, NZA 2000, 369) oder in der Freistellungsphase eines<br />
Altersteilzeitvertrags (BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705) sind.<br />
Arbeitsunfähigkeit beendet die Arbeitspflicht nicht. Sie führt nur dazu, dass die Ausübung der Pflicht<br />
unmöglich oder unzumutbar wird (§ 275 Abs. 1 und Abs. 3 BGB). Die Arbeitspflicht an sich und die Stelle<br />
ihrer Ausübung sind aber für die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem Betrieb oder einer<br />
Betriebsabteilung entscheidend (BAG, Urt. v. 25.9.2003 – 8 AZR 446/02, AP Nr. 256 zu § 613a BGB).<br />
Etwas anderes ergibt sich selbst dann nicht, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs<br />
möglicherweise bereits erwerbsunfähig war. Erwerbsunfähigkeit ist ein sozialrechtlicher Begriff,<br />
der sich nicht ohne Weiteres auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen der Parteien auswirkt. Sie<br />
begründet nicht einmal notwendig die Arbeitsunfähigkeit (vgl. BAG, Urt. v. 7.9.2004 – 9 AZR 587/03,<br />
AuA 2005, 184).<br />
III. Übertragung betrieblicher Versorgungsverbindlichkeiten auf den Betriebserwerber<br />
Mit erfolgtem Betriebsübergang tritt der neue Betriebsinhaber in die Rechte und Pflichten aus dem im<br />
Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis ein, d.h. er erhält die volle Arbeitgeberstellung.<br />
Konsequenz hieraus ist auch die Fortgeltung der beim bisherigen Betriebsinhaber zurückgelegten<br />
Dienstzeiten. Den Betriebserwerber treffen mithin alle Pflichten, die von der Dauer der<br />
Betriebszugehörigkeit abhängen, z.B. bei der Berechnung der Kündigungsfristen oder der Warte- bzw.<br />
Unverfallbarkeitsfristen im Rahmen betrieblicher Versorgungsleistungen (ROLFS, BetrAV 2008, 468).<br />
Darüber hinaus haftet der Betriebserwerber gegenüber den übernommenen Mitarbeitern auch für die<br />
sich aus der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG ggf. ergebenden Ansprüche auf Rentenanpassung<br />
(BAG, Urt. v. 21.2.20<strong>06</strong> – 3 AZR 216/05, NZA 2007, 931; LANGOHR-PLATO, Betriebliche<br />
Altersversorgung, 7. Aufl. 2016, Rn 1695).<br />
Diese Rechtsfolgen können auch nicht durch Vertrag zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und<br />
dem Erwerber ausgeschlossen werden (st. Rspr., vgl. u.a. BAG, Urt. v. 29.11.1988 – 3 AZR 250/87, NZA<br />
1989, 425); ein solcher Vertrag wäre als Vertrag zulasten Dritter unwirksam und gem. § 134 BGB nichtig.<br />
§ 613a BGB Abs. 4 S. 1 BGB verbietet nach Auffassung des BAG (Urt. v. 20.7.1982 – 3 AZR 58/78, DB 1979,<br />
2431; Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, DB 1988, 400; Urt. v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, <strong>ZAP</strong> 1993, Fach 17 R,<br />
S. 43 f. m. Anm. LANGOHR-PLATO;ROLFS, BetrAV 2008, 468) neben der Kündigung auch Aufhebungsverträge<br />
308 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1383<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
aus Anlass des Betriebsübergangs, wenn sie vom Betriebsveräußerer oder -erwerber allein deshalb<br />
veranlasst werden, um dem bestehenden Kündigungsverbot auszuweichen.<br />
Zulässig wäre jedoch ein Erlassvertrag zwischen dem neuen Arbeitgeber und den übernommenen<br />
Arbeitnehmern z.B. bzgl. rückständiger Löhne. Gegenstand eines solchen Erlassvertrags können auch<br />
freiwillig gewährte Sozialleistungen sein, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht (BAG, Urt. v.<br />
17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124). Ein entsprechender sachlicher Grund wäre zu bejahen, wenn<br />
durch den Erlass Arbeitsplätze erhalten werden können (vgl. auch BAG, Urt. v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75,<br />
NJW 1977, 1168; BAG, Urt. v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, NJW 1977, 1470; BAG, Urt. v. 29.10.1985 – 3 AZR<br />
485/83, BetrAV 1986, 186).<br />
Mit dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber enden die Arbeitsverhältnisse zum<br />
bisherigen Arbeitgeber. Dieser haftet allein für Ansprüche aus bereits fälligen Versorgungsleistungen<br />
und solche aus unverfallbaren Versorgungsanwartschaften ausgeschiedener Mitarbeiter, da insoweit<br />
keine übergangsfähigen Arbeitsverhältnisse mehr bestehen (so auch ROLFS, BetrAV 2008, 469; LANGOHR-<br />
PLATO, a.a.O., Rn 1698).<br />
Dagegen wird der neue Inhaber mit dem Betriebsübergang zugleich auch Schuldner der mit den<br />
übernommenen Arbeitsverhältnissen zugleich übernommenen Versorgungsverpflichtungen. Durch<br />
den Betriebsübergang wird der Inhalt der Ruhegeldzusagen nicht verändert.<br />
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (so z.B. Urt. v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, NJW 1977, 1791; Urt. v.<br />
11.11.1986 – 3 AZR 194/85, NZA 1987, 559; Urt. v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, NZA 1988, 246) sind vom<br />
Anwendungsbereich des § 613a BGB alle Rentner und Arbeitnehmer mit aufrechterhaltener unverfallbarer<br />
Anwartschaft ausgeschlossen, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Unternehmen<br />
bereits verlassen haben.<br />
IV. Besonderheiten bei den Durchführungswegen: Unterstützungskasse, Pensionskasse und<br />
Pensionsfonds<br />
Sollten die Versorgungsleistungen ursprünglich von einer Unterstützungskasse des Betriebsveräußerers<br />
erbracht werden, wird diese aber nicht zusammen mit dem Betrieb veräußert (ein automatischer<br />
Übergang z.B. kraft Gesetzes erfolgt nicht), so wird die Unterstützungskasse zur gleichen Zeit<br />
und im gleichen Umfang von der Haftung frei wie ihr Trägerunternehmen als Betriebsveräußerer (BAG,<br />
Urt. v. 15.3.1979 – 3 AZR 859/77, NJW 1979, 2533; ROLFS, BetrAV 2008, 471; LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 17<strong>06</strong>).<br />
In diesem Fall hat der Betriebserwerber die Versorgungsverpflichtungen als unmittelbare Pensionszusagen<br />
fortzuführen, und zwar mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen, einschließlich deren<br />
Bilanzierung nach § 6 EStG.<br />
Eine gesetzliche Verpflichtung, bestehende Versorgungsverpflichtungen durch Mitgabe entsprechender<br />
Aktiva, insb. von Barmitteln, auszufinanzieren, besteht dabei nicht und folgt insb. auch nicht aus<br />
§ 613a BGB.<br />
Vielmehr wird die betriebliche Altersversorgung i.R.d. Vertragsverhandlungen zu einem Betriebsübergang<br />
bei der Bestimmung des „Kaufpreises“ als preisrelevanter Faktor berücksichtigt. Dieser Kaufpreis<br />
wird – verkürzt dargestellt – durch die Differenz zwischen Aktiva (insb. Betriebsvermögen) und<br />
Passiva (hierunter fallen v.a. die Versorgungsverpflichtungen) ermittelt. Im Ergebnis führt dies dazu,<br />
dass im Umfang bestehender Versorgungsverpflichtungen der zu zahlende Kaufpreis gemindert wird.<br />
Damit findet regelmäßig eine entsprechende Verrechnung statt.<br />
Dies hat für den Betriebserwerber den Vorteil, dass sich der ggf. extern zu finanzierende Kaufpreis und<br />
damit die Finanzierungskosten des Betriebsübergangs verringern.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 309
Fach 17, Seite 1384<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Arbeitsrecht<br />
Im Gegenzug ist allerdings zu beachten, dass der Betriebserwerber die übergegangenen Versorgungsverpflichtungen<br />
bilanzieren, hierfür also in seiner Bilanz „Pensionsrückstellungen“ bilden muss, die zu<br />
einer entsprechenden Bilanzverlängerung führen und – soweit sie nicht durch entsprechende Aktiva<br />
bedeckt sind – das Bilanzergebnis und Bilanzkennzahlen negativ beeinflussen (können).<br />
Wird dagegen die Unterstützungskasse aus Anlass des Betriebsübergangs vom Betriebserwerber<br />
übernommen, muss die Unterstützungskasse die Versorgungsansprüche der bereits ausgeschiedenen<br />
Arbeitnehmer weiter erfüllen. Der Betriebsveräußerer haftet allerdings nach wie vor dafür, dass der<br />
Unterstützungskasse die hier notwendigen finanziellen Mittel zugewendet werden (BAG, Urt. v.<br />
28.2.1989 – 3 AZR 29/88, NZA 1989, 681).<br />
Gewährt der Betriebserwerber im Rahmen eines bei ihm bereits bestehenden Versorgungswerks<br />
betriebliche Versorgungsleistungen über eine Unterstützungskasse, so führt ein Betriebsübergang nicht<br />
dazu, dass diese Unterstützungskasse nunmehr Schuldnerin übernommener Versorgungsanwartschaften<br />
wird. Denn nach ihrer Bestimmung kann und muss sie nur diejenigen Leistungen erbringen, die<br />
sich aus ihrem Leistungsplan ergeben. Deshalb würde sie ihre satzungsmäßigen Rechte überschreiten,<br />
wollte sie Versorgungsansprüche erfüllen, in die ihr Trägerunternehmen aufgrund eines Betriebsübergangs<br />
eingetreten ist. Allerdings könnten durch eine entsprechende Satzungsänderung auch diese<br />
übernommenen Versorgungsverpflichtungen auf die Unterstützungskasse übertragen werden (BAG,<br />
Urt. v. 30.8.1979 – 3 AZR 58/78, NJW 1980, 416).<br />
Bei der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds<br />
stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob der Erwerber auch Trägerunternehmen des<br />
externen Versorgungsträgers werden kann. Ist dies nicht der Fall, weil dies z.B. bei Firmen-Pensionskassen<br />
i.d.R. satzungsmäßig nicht vorgesehen ist, ändert dies nichts an der grundsätzlichen<br />
Verpflichtung des Arbeitgebers, die beim Betriebsveräußerer bestehenden Versorgungsverpflichtungen<br />
vollinhaltlich zu übernehmen und unmittelbar zu erfüllen (HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 125 f.). Dies hat zur<br />
Folge, dass sich die mittelbare Versorgung in eine unmittelbare Pensionszusage umwandelt, die ab dem<br />
Zeitpunkt des Betriebsübergangs beim Betriebserwerber dann auch gem. § 6a EStG zu bilanzieren ist.<br />
Alternativ wäre zwar auch eine Überführung in eine andere mittelbare Versorgung – Unterstützungskasse<br />
oder Direktversicherung – denkbar. Dies wird jedoch regelmäßig an steuerlichen Restriktionen<br />
(Verbot der Einmalprämienzuwendung bei rückgedeckten Unterstützungskassen, Höchstgrenzen für<br />
die steuerfreie Dotierung nach § 3 Nr. 63 EStG bei der Direktversicherung) scheitern.<br />
V. Übernahme von Versorgungsanwartschaften<br />
Sowohl die vom Bestand der Zusage als auch die vom Beginn der Betriebszugehörigkeit abhängigen<br />
Unverfallbarkeitsfristen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG werden gem. § 1 Abs. 1 S. 2 BetrAVG i.V.m. § 613a Abs. 1<br />
BGB durch den Betriebsübergang nicht unterbrochen. Diese Rechtsfolge gilt für alle fünf Durchführungswege<br />
(Pensionszusage, Direktversicherung, Unterstützungskasse, Pensionskasse und Pensionsfonds)<br />
der betrieblichen Altersversorgung. Verfallbare Anwartschaften können nach dem Betriebsübergang<br />
daher noch zum Vollrecht erstarken (LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1711).<br />
Andererseits hat das BAG bereits früh klargestellt, dass der Betriebserwerber bei einer von ihm<br />
begründeten Versorgungszusage nicht verpflichtet ist, in Bezug auf eine etwaige Wartezeit und die<br />
Höhe der Versorgungsleistungen diejenigen Beschäftigungszeiten anzurechnen, die der Arbeitnehmer<br />
bei dem Betriebsveräußerer verbracht hat (BAG, Urt. v. 30.8.1979 – 3 AZR 58/78, NJW 1980, 416; vgl. auch<br />
BAG, Urt. v. 8.2.1983 – 3 AZR 229/81, NJW 1984, 1254). Das BAG hebt dabei zu Recht hervor, dass § 613a<br />
BGB den bereits erworbenen Besitzstand der übernommenen Arbeitnehmer schützt, dass aber die<br />
Betriebszugehörigkeit für sich allein noch keine Rechte begründet.<br />
War die betriebliche Altersversorgung beim alten Arbeitgeber über eine Betriebsvereinbarung geregelt,<br />
wird die betriebliche Altersversorgung zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber<br />
und dem Arbeitnehmer, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Die bestehenden Versorgungszusagen dürfen nicht vor<br />
310 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1385<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert<br />
werden. Eine Verbesserung der Versorgungssituation ist allerdings immer zulässig.<br />
Eine Ausnahme zu dieser grundsätzlichen Transformation in das Individualarbeitsverhältnis besteht<br />
allerdings dann, wenn die Identität des Betriebs erhalten bleibt und aufgrund dessen die bestehende<br />
Betriebsvereinbarung unverändert fortbesteht (BAG, Beschl. v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222).<br />
In einem solchen Fall entfällt die Veränderungssperre von einem Jahr. Die bestehende Betriebsvereinbarung<br />
kann bereits kurze Zeit nach dem Betriebsübergang – unter Beachtung der Besitzstandsrechtsprechung<br />
(Drei-Stufen-Theorie: s. dazu unter VII 3) des BAG – geändert werden.<br />
VI. Informationspflichten<br />
Gemäß § 613a Abs. 5 BGB muss entweder der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem<br />
Übergang betroffenen Arbeitnehmer zwingend vor dem Übergang schriftlich über folgende Punkte<br />
informieren:<br />
• den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,<br />
• den Grund für den Übergang,<br />
• die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und<br />
• die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.<br />
Der Arbeitnehmer hat daraufhin das Recht, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb eines<br />
Monats nach Zugang der Unterrichtung schriftlich zu widersprechen.<br />
Die Informationsverpflichtung nach § 613a Abs. 5 BGB erstreckt sich nach einer weitverbreiteten<br />
Literaturansicht insb. auch auf die betriebliche Altersversorgung (REINECKE, DB 20<strong>06</strong>, 557; KISTERS-KÖLKES in<br />
FS Kemper, S. 227). Inhalt dieser Informationspflicht ist es daher auch, dem Arbeitnehmer mitzuteilen,<br />
wie sich seine betriebliche Altersversorgung zukünftig gestaltet und unter welchen Rahmenbedingungen<br />
er künftig seinen Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung umsetzen kann.<br />
Demgegenüber ist das BAG der Auffassung, dass hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung keine<br />
Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB bestehen. Nach Ansicht des BAG sind die Voraussetzungen<br />
dieser Vorschrift nicht gegeben, da Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung keine Folge<br />
des Übergangs sind, sondern bis zum Zeitpunkt des Übergangs ohne Rücksicht auf diesen entstehen.<br />
Ebenso wenig seien sie hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen, da sie<br />
unabhängig vom Handeln des Veräußerers oder des Erwerbers bestünden (BAG, Urt. v. 22.5.2007 –<br />
3 AZR 357/<strong>06</strong>, NZA 2007, 1285 und Urt. v. 22.5.2007 – 3 AZR 834/05, NZA 2007, 1283; zustimmend: ROLFS,<br />
BetrAV 2008, 469; vgl. a.: HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 59 ff.).<br />
VII. Konkurrenz bestehender Versorgungssysteme<br />
Die durch einen Betriebsübergang bedingte Übernahme eines beim übernommenen Unternehmen<br />
bestehenden betrieblichen Versorgungssystems kann nach der Übernahme zu unterschiedlichen<br />
Konsequenzen führen, je nachdem, ob das übernehmende Unternehmen ebenfalls seinen Mitarbeitern<br />
betriebliche Versorgungsleistungen gewährt oder nicht. Daneben ist auch der Fall denkbar, dass das<br />
übernommene Unternehmen keine betrieblichen Versorgungsleistungen gewährt hat, die übernommenen<br />
Arbeitnehmer aber nach dem Betriebsübergang in ein Unternehmen mit einem betrieblichen<br />
Versorgungssystem zu integrieren sind.<br />
1. Nur beim Betriebsveräußerer existentes Versorgungssystem<br />
Soweit lediglich beim Betriebsveräußerer ein betriebliches Versorgungssystem besteht, richten<br />
sich die rechtlichen Konsequenzen aus der Übernahme dieser Versorgungsleistungen ausschließlich<br />
nach den bereits dargestellten Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Das bedeutet, dass der Betriebserwerber<br />
vollinhaltlich in die Rechte und Pflichten aus den beim Betriebsveräußerer erteilten<br />
Versorgungsverpflichtungen eintritt, und zwar unabhängig davon, ob die Versorgungsverpflichtung<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 311
Fach 17, Seite 1386<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Arbeitsrecht<br />
des Betriebsveräußerers auf einer individualrechtlichen Rechtsgrundlage oder einer Betriebsvereinbarung<br />
beruht hat (vgl. HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 71 ff.).<br />
In derartigen Fällen ist der Betriebserwerber nicht verpflichtet, die übernommene Altersversorgung auf<br />
die bereits vor dem Betriebsübergang in seinem Unternehmen tätigen Arbeitnehmer auszudehnen.<br />
2. Nur beim Betriebserwerber existentes Versorgungssystem<br />
Besteht dagegen lediglich beim Betriebserwerber ein betriebliches Versorgungssystem, sind auch keine<br />
nach § 613a BGB fortbestehenden Versorgungsverpflichtungen vom Betriebserwerber zu übernehmen.<br />
Darüber hinaus haben die übernommenen Arbeitnehmer allein aus Anlass des Betriebsübergangs<br />
auch keinen Anspruch darauf, in das beim Betriebserwerber existierende Versorgungssystem integriert<br />
zu werden. Dieser Anspruch ergibt sich grds. auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung, da<br />
die Zugehörigkeit der übernommenen Mitarbeiter zu dem übernommenen Betrieb einen sachlichen<br />
Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung darstellt (LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1721). Wenn das<br />
BAG bereits eine unterschiedliche Behandlung zwischen den Mitarbeitern verschiedener Betriebe eines<br />
Unternehmens akzeptiert (BAG, Urt. v. 25.8.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358), dann muss dies erst<br />
recht für eine entsprechende Differenzierung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang gelten<br />
(so auch HÖFER, a.a.O., Kap. 9 Rn 89 ff.).<br />
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Mitarbeiter des übernommenen Betriebs voll in das Unternehmen<br />
des Betriebserwerbers integriert werden. In diesem Fall kommt es automatisch zu einer<br />
Aufnahme in das bestehende Versorgungswerk, sofern dieses nicht für den Neuzugang geschlossen ist<br />
(LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1721). Insoweit ist es nämlich unerheblich, ob ein Mitarbeiter aufgrund eines<br />
Arbeitsvertrags neu eingestellt oder ob sein bestehender Arbeitsvertrag kraft Gesetzes, nämlich nach<br />
§ 613a BGB, vom Betriebserwerber übernommen wird. In beiden Fällen tritt der Arbeitnehmer unter<br />
den allgemeinen Aufnahmevoraussetzungen in das Versorgungswerk ein. Das bedeutet aber auch, dass<br />
der Betriebserwerber die anrechnungsfähige Dienstzeit bei den übernommenen Mitarbeitern auf die<br />
Zeiten nach dem Betriebsübergang begrenzen kann und dass diese Dienstzeiten auch für die gesetzliche<br />
Unverfallbarkeitsfrist maßgeblich sind. Eine Anrechnung der Vordienstzeiten beim Betriebsveräußerer<br />
bedarf daher in jedem Fall einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen den neuen Arbeitsvertragsparteien.<br />
3. Konkurrenzverhältnis zwischen sowohl beim Betriebsveräußerer als auch beim Betriebserwerber<br />
bestehenden Versorgungssystemen<br />
Soweit bei beiden Vertragsparteien des Betriebsübergangs, also sowohl beim Betriebsveräußerer als<br />
auch beim Betriebserwerber, betriebliche Versorgungssysteme bestehen, stellt sich die Frage nach dem<br />
Konkurrenzverhältnis nach erfolgtem Betriebsübergang. Grundsätzlich ist auch in einer solchen<br />
Situation zunächst einmal von der allgemeinen Rechtsfolge des § 613a BGB auszugehen, wonach der<br />
Betriebserwerber vollinhaltlich in die Rechte und Pflichten der übernommenen Arbeitsverhältnisse und<br />
der damit zugleich übernommenen Versorgungsverpflichtungen eintritt. Dabei gelten allerdings folgende<br />
Besonderheiten:<br />
• Werden die Mitarbeiter in das Unternehmen des Betriebserwerbers integriert, stellt sich die Frage, ob<br />
sie neben den fortzuführenden ursprünglichen Versorgungsansprüchen zusätzlich auch noch<br />
Ansprüche aus dem Versorgungswerk des Betriebserwerbers erhalten oder ob lediglich die bessere<br />
Versorgungsleistung aus beiden Versorgungssystemen zur Auszahlung gelangen soll. Ein hieraus<br />
abgeleiteter individueller Günstigkeitsvergleich dürfte sich allerdings nicht nur auf die Höhe der<br />
zugesagten Versorgungsleistungen beschränken, sondern müsste auch eventuelle Unterschiede bei<br />
den abgesicherten biologischen Versorgungsfällen (welche Risiken werden überhaupt gesichert,<br />
Dauer der Leistungsgewährung etc.) sowie den allgemeinen und besonderen Leistungsvoraussetzungen<br />
(Wartezeiten, Zurechnungszeiten, Begriff der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit etc.) berücksichtigen.<br />
Dies kann gerade bei unterschiedlichen Versorgungssystemen zu erheblichen Komplikationen<br />
führen. Vor diesem Hintergrund ist eine eindeutige und unmissverständliche Regelung des<br />
312 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1387<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Konkurrenzverhältnisses in jedem Fall zu empfehlen, wobei der Leistungsumfang der übernommenen<br />
Versorgungsverpflichtungen nicht unterschritten werden darf.<br />
• Beruhen beide Versorgungssysteme auf einer Betriebsvereinbarung, gilt allerdings nicht das<br />
Günstigkeitsprinzip. Vielmehr ist § 613a Abs. 1 S. 3 BGB zu beachten. Nach dem in dieser Vorschrift<br />
geregelten Ordnungsprinzip verdrängen die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung des Betriebserwerbers<br />
diejenigen der Betriebsvereinbarung des Betriebsveräußerers. Der Gesetzgeber hat<br />
hierbei die Erleichterung der Anpassung und Vereinheitlichung unterschiedlicher Betriebsnormen<br />
und Arbeitsbedingungen über die individuellen Arbeitnehmerrechte gesetzt (vgl. auch BT-Drucks<br />
8/3317, S. 11).<br />
• Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAG zum Bestandsschutz betrieblicher Versorgungsrechte<br />
bei der einschränkenden Neuordnung von Versorgungssystemen (vgl. hierzu die ausführliche Darstellung<br />
bei LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1586 ff.) kann dieses Ordnungsprinzip i.R.d. betrieblichen<br />
Altersversorgung aber nicht uneingeschränkt zur Anwendung kommen. Vielmehr muss auch beim<br />
Betriebsübergang – wie bei der Neuordnung auch – der bis zum Betriebsübergang erdiente Besitzstand<br />
gewahrt werden. Das Ordnungsprinzip kann sich somit nur für die Zeiten nach dem Betriebsübergang<br />
auswirken. Dies hat zur Folge, dass entsprechend dem ratierlichen Berechnungsverfahren<br />
nach § 2 Abs. 1 BetrAVG die Dienstzeiten beim Betriebsveräußerer nach der „alten“ Versorgungsordnung<br />
und die Dienstzeiten beim Betriebserwerber nach dessen Versorgungsordnung zu bewerten<br />
sind. Die sich aus dieser Berechnung ergebenden Anwartschaftswerte sind zu addieren und ergeben<br />
dann den vom Betriebserwerber geschuldeten Versorgungsbetrag (so auch: HÖFER, a.a.O., Kap. 9<br />
Rn 112 ff.; LANGOHR-PLATO, a.a.O., Rn 1721; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 25.2.2014 – 6 Sa 1431/13, juris).<br />
• Der bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 BetrAVG zu ermittelnde Besitzstand stellt<br />
aber „bereits verdientes Arbeitsentgelt“ dar (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/<strong>06</strong>,<br />
AP Nr. 329 zu § 613a BGB), das nicht ohne Weiteres wieder entzogen werden kann. Dann ist aber<br />
auch eine „Verrechnung“ bereits erworbener Anwartschaften mit Ansprüchen, die durch weitere<br />
Arbeitsleistungen und/oder Betriebstreue beim Betriebserwerber erworben werden, nicht zulässig.<br />
Genau auf eine solche Verrechnung würde es aber hinauslaufen, wenn die beim Altarbeitgeber<br />
erworbenen Anwartschaften nicht zusätzlich zu den beim Betriebserwerber erworbenen Ansprüchen<br />
Berücksichtigung fänden (so aber noch: BAG, Urt. v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, BAGE 98, 224 =<br />
NZA 2002, 520). Auf der Basis dieser (nunmehr revidierten) BAG-Rechtsprechung müsste der<br />
Mitarbeiter erst noch einmal seinen Besitzstand beim Betriebserwerber erdienen, bevor es zu einer<br />
Steigerung seines bereits beim Betriebsveräußerer erdienten Besitzstands kommen würde.<br />
Beachte:<br />
Das BAG hat diese Rechtsprechung mit seinem Urteil vom 22.10.2019 (3 AZR 429/18, juris) ausdrücklich<br />
aufgegeben und § 613a Abs. 1 S. 3 BGB in Bezug auf die betriebliche Altersversorgung eingeschränkt ausgelegt.<br />
Regeln mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen denselben Gegenstand, gilt das<br />
Ablösungsprinzip. Danach kann eine ältere eine jüngere Betriebsvereinbarung grds. auch dann ablösen,<br />
wenn die Neuregelung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist (st. Rspr., vgl. u.a. BAG, Urt. v. 13.10.2016 –<br />
3 AZR 439/15 Rn 20; BAG, Urt. v. 29.10.2002 – 1 AZR 573/01, zu I 2 a der Gründe m.w.N. BAGE 103, 187).<br />
Das Ablösungsprinzip ermöglicht allerdings nicht jede Änderung der Versorgungsregelungen. Soweit in<br />
bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit<br />
zu beachten. Diese Grundsätze hat der Senat für Eingriffe in die Höhe von Versorgungsanwartschaften<br />
durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert (st. Rspr. seit BAG, Urt. v.<br />
17.4.1985 – 3 AZR 72/83, zu B II 3 c der Gründe BAGE 49, 57).<br />
Dieses vom Senat entwickelte dreistufige Prüfungsschema gilt auch bei der Ablösung einer bisher im<br />
Veräußererbetrieb geltenden Betriebsvereinbarung durch eine im Erwerberunternehmen bereits vor-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 313
Fach 17, Seite 1388<br />
Betriebsübergang und Altersversorgung<br />
Arbeitsrecht<br />
handene Gesamtbetriebsvereinbarung im Fall eines Betriebsübergangs. Zwar tritt die beim Erwerber<br />
geltende Gesamtbetriebsvereinbarung in diesen Fällen kraft Gesetzes an die Stelle der noch beim<br />
Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung. Das beruht auf der Regelungsmacht der Betriebsparteien<br />
auf der Unternehmensebene. Ihre rechtlichen Möglichkeiten setzen sich auch gegenüber der im übernommenen<br />
Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung durch. Sind diese Regelungsmöglichkeiten jedoch<br />
rechtlich begrenzt, gilt dies ebenfalls für die gesetzlichen Rechtsfolgen bereits geschlossener Gesamtbetriebsvereinbarungen.<br />
Da die Gesamtbetriebsparteien lediglich unter Beachtung der Voraussetzungen<br />
des dreistufigen Prüfungsschemas berechtigt sind, Betriebsvereinbarungen über die betriebliche<br />
Altersversorgung abzulösen, kann die gesetzliche Wirkung einer bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung<br />
nicht weiter gehen, als es sonst im Rahmen einer Ablösung zulässig wäre.<br />
Das dreistufige Prüfungsschema gilt auch bei der Anwendung von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB. Die Regelung<br />
ist dahingehend entsprechend einschränkend auszulegen, also teleologisch zu reduzieren. Eine beim<br />
Erwerber geltende Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung entfaltet gegenüber einer<br />
beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung nur insoweit nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB ablösende<br />
Wirkung, als dies einer Überprüfung nach dem dreistufigen Prüfungsschema standhält.<br />
Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB gewährt deshalb dem Erwerber (nur) dieselben Möglichkeiten,<br />
wie sie auch der Veräußerer gehabt hätte (BAG, Urt. v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, a.a.O.). Sie überträgt<br />
die Grundsätze der Ablösung kollektiver Regelungen auch auf die Situation des Betriebsübergangs und<br />
auf Fallgestaltungen, bei denen beim Erwerber eine kollektive Regelung nicht erst geschaffen wird,<br />
sondern im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits besteht.<br />
Dagegen dient § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht dazu, gerade bei einem Betriebsübergang dem Erwerber<br />
strukturell weiter gehende Möglichkeiten einzuräumen, als sie der Veräußerer gehabt hätte. Dies<br />
widerspräche dem ebenfalls in § 613a Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Prinzip der Kontinuität des<br />
Arbeitsverhältnisses. § 613a Abs. 1 BGB verfolgt das Ziel, die Rechtsstellung der Arbeitnehmer vor<br />
Verschlechterungen aus Anlass eines Betriebsübergangs weitgehend zu schützen, insb. auch gegen den<br />
Verlust von Rechtspositionen, die sie bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gehabt haben. Soweit der<br />
Ablösung einer kollektiven Regelung beim Veräußerer Grenzen gesetzt waren, müssen diese auch beim<br />
Erwerber eingehalten werden. Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB räumt dem Ordnungsprinzip nur<br />
insoweit Vorrang vor dem Vertrauensschutz ein, als dies nicht dazu führt, dass die Befugnisse des<br />
Erwerbers – und der Betriebsparteien – größer sind als die des Veräußerers.<br />
Da Bestand und Inhalt des Arbeitsverhältnisses durch § 613a Abs. 1 BGB gerade geschützt werden sollen,<br />
ist hierdurch auch das Vertrauen auf den Fortbestand einer Versorgungsregelung nach denselben<br />
Grundsätzen, wie sie für Ablösungen beim Veräußerer gelten, erfasst. Dass nach dem Übergang des<br />
Arbeitsverhältnisses die beim Erwerber bestehenden Umstände für die Beurteilung maßgeblich sind,<br />
bleibt davon unberührt.<br />
Damit steht zugleich fest, dass allein das Interesse des Arbeitgebers, nach einem Betriebsübergang<br />
unterschiedliche Versorgungsordnungen vereinheitlichen zu wollen, als Sachgrund für eine Verschlechterung<br />
von Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung nicht – auch nicht für Eingriffe in die<br />
weiteren dienstzeitabhängigen Zuwächse – genügt. Vielmehr müssen weitere Voraussetzungen für<br />
diesen Sachgrund erfüllt sein.<br />
Die Grundsätze zur Ablösung kollektivrechtlich normierter Versorgungsregelungen sind daher auch<br />
beim Betriebsübergang und auf solche Fallgestaltungen anzuwenden, bei denen beim Erwerber eine<br />
kollektive Regelung nicht erst geschaffen wird, sondern im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits<br />
besteht.<br />
314 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Steuerrecht Fach 20, Seite 677<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Steuerrecht<br />
Steuerrecht und Gesellschaftsrecht: Grundlagen der Besteuerung der<br />
Kapitalgesellschaften<br />
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht PETER HAAS, Bochum, und Rechtsreferendar und<br />
wiss. Mitarbeiter TITUS WOLF, Erlangen<br />
Inhalt<br />
I. Prinzipien der Körperschaftsteuer und Körperschaftsteuersystem<br />
II. Steuerpflicht<br />
III. Einkommensermittlung<br />
IV. Körperschaftsteuertarif<br />
V. Bezüge und Gewinne i.S.d. § 8b KStG<br />
VI. Verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte<br />
Einlage<br />
1. Verdeckte Gewinnausschüttung (vGA)<br />
2. Verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 S. 3 bis 6<br />
KStG)<br />
VII. Verlustabzug und § 8c KStG<br />
VIII. Organschaft<br />
I. Prinzipien der Körperschaftsteuer und Körperschaftsteuersystem<br />
Das Körperschaftsteuergesetz erfasst im Wesentlichen (vgl. aber § 1 Abs. 1 Nr. 4, 5 KStG) die sog.<br />
juristischen Personen, namentlich die Kapitalgesellschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Im Gegensatz<br />
dazu regelt das Einkommensteuergesetz die Besteuerung der natürlichen Personen. Im Körperschaftsteuerrecht<br />
herrscht das Trennungsprinzip, d.h. das von der juristischen Person erwirtschaftete<br />
Einkommen unterliegt der Körperschaftsteuer, die juristische Person selbst ist Körperschaftsteuersubjekt.<br />
Ist das Einkommen negativ, wird es ausschließlich dem Körperschaftsteuersubjekt zugerechnet.<br />
Die Anteilseignersphäre wird erst dann steuerrechtlich berührt, wenn Ausschüttungen an die<br />
Gesellschafter erfolgen. Verluste können nur ausnahmsweise nach den Vorschriften der Organschaft<br />
(vgl. §§ 14 ff. KStG) dem Gesellschafter zugerechnet werden.<br />
Nach § 8 Abs. 3 S. 1 KStG ist es für die Ermittlung des Einkommens ohne Bedeutung, ob das<br />
Einkommen verteilt wird. Der Steuer unterliegt der Bereich der Erzielung des Einkommens. Auf die<br />
Höhe der Bemessungsgrundlage derselben hat es deshalb keinen Einfluss, wie das Einkommen verwendet<br />
wird. Daraus folgt, dass eine Gewinnausschüttung – als die klassische Form der Einkommensverwendung<br />
– die steuerliche Belastung der Kapitalgesellschaft nicht mindern darf. Die Höhe<br />
des Einkommens ist unabhängig davon, ob und ggf. in welcher Höhe die Kapitalgesellschaft eine<br />
Ausschüttung vornimmt oder nicht. Wie § 8 Abs. 3 S. 2 KStG erkennen lässt, regelt die Satz 1 ergänzende<br />
Vorschrift nicht nur Gewinnausschüttungen im engeren Sinne, sondern jede Form der Verteilung<br />
des Einkommens auf die Gesellschafter. Nicht abziehbar ist daher jede Form der Vermögensübertragung<br />
auf die Gesellschafter, die nicht Ausfluss von schuldrechtlichen Lieferungs- und<br />
Leistungsbeziehungen ist, sondern ihren Rechtsgrund in dem Gesellschaftsverhältnis hat. Dies betrifft<br />
sowohl die sog. offenen Gewinnausschüttungen, bei denen die gesellschaftsrechtliche Grundlage<br />
durch einen Gewinnverteilungsbeschluss offengelegt wird, als auch die sog. verdeckten Gewinnaus-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 315
Fach 20, Seite 678<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Steuerrecht<br />
schüttungen, bei denen dies nicht der Fall ist, und schließlich Vorgänge, die überhaupt keine Gewinnausschüttung<br />
mehr sind, weil die Auskehrung des Vermögens an die Gesellschafter im Rahmen<br />
einer Liquidation erfolgt.<br />
Da aus dem rechtlichen Trennungsprinzip im Fall der Ausschüttung eine zweifache Besteuerung zunächst<br />
auf Ebene der Körperschaft und dann auf Ebene des Anteilseigners eintritt, stellt sich im Hinblick<br />
auf das Körperschaftsteuersystem die Frage, ob es bei diesem „klassischen System“ der Körperschaftsteuer,<br />
bei der die Doppelbesteuerung nicht gemildert wird, verbleiben soll oder ob aus betriebs- und<br />
finanzwissenschaftlichen Gründen eine Abmilderung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung und<br />
damit der Gesamtbelastung von Körperschaft und Anteilseigner notwendig erscheint. Das in der Bundesrepublik<br />
Deutschland nach der Unternehmensteuerreform 2001 ab 2002 herrschende System ist<br />
insofern ein „klassisches System“, als es die Doppelbesteuerung als Besteuerung der Gewinne auf der<br />
Ebene der Körperschaft und als Dividendenbesteuerung auf der Ebene der Anteilseigner im Prinzip<br />
aufrechterhält.<br />
Nach dem Freistellungsverfahren bleibt die Besteuerung auf der Ebene der Körperschaft bestehen<br />
und die Milderung der Doppelbesteuerung setzt auf der Ebene des Anteilseigners an. Diese<br />
Freistellung ist in § 8b Abs. 1 KStG geregelt (ausführlich unter V). Die Dividende wird auf der Ebene<br />
des Anteilseigners im Ergebnis zu 95 % von der Besteuerung ausgenommen, da § 8b Abs. 5 S. 1 KStG<br />
qua Fiktion anordnet, dass 5 % der Ausschüttung als nicht abziehbare Betriebsausgabe gelten. Nach<br />
dem Halbeinkünfte- bzw. Teileinkünfteverfahren, das ebenfalls auf der Ebene des Anteilseigners<br />
eingreift, wird die Gewinnausschüttung nur zur Hälfte in das steuerpflichtige Einkommen einbezogen<br />
(„Halbeinkünfteverfahren“), bzw. beim seit 2009 geltenden Teileinkünfteverfahren zu 60 %<br />
(§ 3 Nr. 40 EStG).<br />
Beispiel:<br />
Frau F ist an der X-GmbH zu 100 % beteiligt, die ihrerseits zu 100 % an der Y-GmbH beteiligt ist.<br />
Eine Gewinnausschüttung der Y-GmbH an die X-GmbH führt bei dieser zwar zu einem Gewinn,<br />
der jedoch außerhalb der Steuerbilanz nach der in § 8b Abs. 1 KStG verwirklichten sog. Freistellungsmethode<br />
zu korrigieren ist. Da zugleich 5 % der Dividendenausschüttung gem. § 8b Abs. 5 KStG als nicht<br />
abzugsfähige Betriebsausgaben gelten, werden in der Summe 95 % der Dividendenzahlung freigestellt.<br />
Wäre die Y-GmbH sog. Organgesellschaft (dazu unter VIII) der X-GmbH als Organträgerin, würde ihr<br />
Einkommen der X-GmbH zugerechnet, sodass – mangels Ausschüttung – auch keine nichtabzugsfähigen<br />
Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG anfielen.<br />
Bei der Ausschüttung der X-GmbH an Frau F ist zu differenzieren: Soweit Frau F ihre Anteile an der<br />
X-GmbH im Privatvermögen hält, unterliegen die Dividenden, die zu sog. Einkünften aus Kapitalvermögen<br />
(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) führen, der sog. Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 EStG). Es handelt sich<br />
dabei um eine Einnahmenbesteuerung i.H.v. 26,375 % (25 % ESt zuzüglich SolZ). Soweit die Anteile von<br />
Frau F ihrem Betriebsvermögen zuzurechnen sind (z.B. weil zwischen Frau F und der X-GmbH eine sog.<br />
Betriebsaufspaltung besteht), kommt das sog. Teileinkünfteverfahren zur Anwendung (vgl. §§ 3 Nr. 40,<br />
3c EStG). Danach werden die Dividenden zu 40 % von der Steuer freigestellt, sodass im Ergebnis 60 %<br />
der Dividenden dem persönlichen Steuersatz des jeweiligen Gesellschafters unterliegen. Korrespondierend<br />
hierzu können Werbungskosten, die in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, zu 60 %<br />
steuermindernd berücksichtigt werden (§ 3c Abs. 2 EStG). Das Teileinkünfteverfahren ist ebenso anzuwenden,<br />
wenn die Anteile veräußert oder aus dem Betriebsvermögen entnommen werden. Die<br />
Abgeltungsteuer ist insoweit nicht einschlägig.<br />
II. Steuerpflicht<br />
Die §§ 1 und 2 KStG regeln die Körperschaftsteuerpflicht. In ihnen wird abschließend aufgeführt, welcher<br />
Personenkreis körperschaftsteuerpflichtig ist.<br />
316 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Steuerrecht Fach 20, Seite 679<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Der Körperschaftsteuer unterliegen gem. § 1 KStG als Steuersubjekte die folgenden Körperschaften,<br />
Personenvereinigungen und Vermögensmassen:<br />
1. Kapitalgesellschaften (insb. SE, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften<br />
mit beschränkter Haftung und ausländische Kapitalgesellschaften);<br />
2. Genossenschaften einschließlich der Europäischen Genossenschaften;<br />
3. Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit;<br />
4. sonstige juristische Personen des privaten Rechts;<br />
5. nicht rechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts;<br />
6. Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.<br />
Unbeschränkt steuerpflichtig sind die o.g. juristischen Personen, die ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO)<br />
oder ihren Sitz (§ 11 AO) im Inland haben. Unbeschränkte Steuerpflicht bedeutet, dass sowohl<br />
die inländischen als auch die ausländischen Einkünfte, soweit nicht eine Befreiungsvorschrift eines<br />
Doppelbesteuerungsabkommens greift, der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen. Da jede in<br />
Deutschland gegründete GmbH oder AG in ein deutsches Handelsregister eingetragen werden muss,<br />
unterliegt jede GmbH nach dem GmbHG sowie jede AG nach dem AktG mit ihrem Welteinkommen<br />
der Besteuerung. Auf die Frage der Geschäftsleitung kommt es nur bei ausländischen Kapitalgesellschaften<br />
(z.B. der nach englischem Recht gegründeten Private Limited Company, kurz Ltd.) an.<br />
Der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen Körperschaften, Personenvereinigungen<br />
und Vermögensmassen, die im Inland weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung haben, mit ihren<br />
inländischen Einkünften sowie sonstige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen,<br />
die nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, mit ihren inländischen Einkünften, von denen ein<br />
Steuerabzug vorzunehmen ist. Ausländische Kapitalgesellschaften, deren Geschäftsleitung im Ausland<br />
liegt, sind nur beschränkt steuerpflichtig mit den inländischen Einkünften (vgl. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m.<br />
§§ 49 ff. EStG).<br />
§ 5 KStG zählt abschließend die Befreiungen von der Körperschaftsteuer auf. Die dort genannten<br />
Körperschaften unterliegen bei subjektiven Steuerbefreiungen mit ihren gesamten Einkünften, bei<br />
partiellen Steuerbefreiungen mit Teilbereichen ihrer Tätigkeit von vornherein nicht der Körperschaftsteuer.<br />
Die praktisch bedeutsamste (partielle) Steuerbefreiung für die Praxis stellt § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG,<br />
die gemeinnützige Körperschaft i.S.d. §§ 51–68 AO, dar.<br />
Die Steuerpflicht ist an die rechtliche Existenz des Steuersubjekts gebunden und entsteht grds.<br />
spätestens mit der Erlangung der Rechtsfähigkeit. Juristische Personen entstehen i.d.R. durch Eintragung<br />
in ein Register (Handels-, Genossenschafts-, Vereinsregister) oder durch staatliche Genehmigung<br />
des Geschäftsbetriebs. Bei Kapitalgesellschaften ist im Gründungsstadium vor der Registereintragung<br />
zwischen der Vorgründungsgesellschaft und der Vorgesellschaft zu unterscheiden. Von<br />
einer Vorgründungsgesellschaft spricht man so lange, bis der Gesellschaftsvertrag notariell beurkundet<br />
ist. Eine Vorgesellschaft liegt in der Zeit zwischen Abschluss des notariellen Gesellschaftsvertrags<br />
und der Registereintragung vor. Die Körperschaftsteuerpflicht tritt mit Abschluss des notariell<br />
beurkundeten Gesellschaftsvertrags ein (BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323; BFH, Urt. v.<br />
20.10.1982 – I R 118/78, BStBl II 1983, 247). Die persönliche Steuerpflicht endet grds. nach Ablauf eines<br />
Sperrjahres nach der Registerlöschung bzw. Rücknahme der staatlichen Genehmigung (BFH, Urt. v.<br />
6.5.1977 – III R 19/75, BStBl II 1977, 783, m.w.N.)<br />
III. Einkommensermittlung<br />
Die Höhe der Körperschaftsteuer bemisst sich gem. § 7 Abs. 1 KStG nach dem „zu versteuernden<br />
Einkommen“. Das KStG knüpft somit auch an den Einkommensbegriff des EStG an, der jedoch durch<br />
die Besonderheiten einer Körperschaft im Vergleich zu natürlichen Personen und die auf die Körperschaften<br />
zugeschnittenen Sondervorschriften des KStG modifiziert ist. Nach § 7 Abs. 2 KStG ist das<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 317
Fach 20, Seite 680<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Steuerrecht<br />
zu versteuernde Einkommen das Einkommen i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG, um die Freibeträge der §§ 24 und 25<br />
KStG vermindert. Wie dieses zu ermitteln ist, bestimmen die §§ 7–22 KStG.<br />
Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, bestimmt sich nach den Vorschriften<br />
des Einkommen- und des Körperschaftsteuergesetzes (§ 8 Abs. 1 KStG). Vorschriften des EStG, die<br />
ausschließlich auf natürliche Personen zugeschnitten sind, wie z.B. Sonderausgaben, Freibeträge, außergewöhnliche<br />
Belastungen usw. sind dabei jedoch nicht anwendbar. Auch im Körperschaftsteuerrecht<br />
sind die erzielten Einkünfte grds. der jeweiligen Einkunftsart i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zuzuordnen. Einkünfte<br />
aus nichtselbstständiger Arbeit sind nicht möglich, da diese das Vorhandensein einer natürlichen<br />
Person voraussetzen (BFH, Urt. v. 30.11.1966 – I 215/64, BStBl III 1967, 400). Auch Einkünfte aus<br />
selbstständiger Arbeit können bei Körperschaften nicht in Betracht kommen (BFH, Urt. v. 20.2.1974 –<br />
I R 217/71, BStBl II 1974, 511; Urt. v. 1.12.1982 – I R 238/81, BStBl II 1983, 213). In welche der fünf übrigen<br />
Einkunftsarten die Einkünfte einer Körperschaft einzuordnen sind (soweit nicht § 8 Abs. 2 KStG<br />
anzuwenden ist), bestimmt sich nach den Vorschriften der §§ 13–24 EStG.<br />
Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG, also neben jeder deutschen<br />
Kapitalgesellschaft (GmbH, AG, KGaA) u.a. auch für ausländische Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung<br />
im Inland (z.B. eine englische PLC), sind nach § 8 Abs. 2 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus<br />
Gewerbebetrieb zu behandeln.<br />
Grundsätzlich ist das Einkommen i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG, das nach den Vorschriften des EStG und den<br />
Sondervorschriften des KStG zu ermitteln ist, Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer. Ein<br />
wesentlicher Unterschied zum EStG besteht darin, dass eine Kapitalgesellschaft keine Privatsphäre<br />
hat (vgl. BODE in Kirchhof EStG, 18. Aufl. 2019, § 4 Rn 64; BFH, Urt. v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182,<br />
123). Entgegen seiner früheren Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 2.11.1965 – I 221/62 S, BStBl III 1966, 255;<br />
Urt. v. 4.3.1970 – I R 123/68, BStBl II, 1970, 470) lehnt der BFH eine außerbetriebliche Sphäre für<br />
Kapitalgesellschaften ab (BFH, Urt. v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123; Urt. v. 8.7.1998 – I R 123/97,<br />
BFH/NV 1999, 269; Urt. v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl II 2017, 324). Dies hat für die Frage der Zuordnung<br />
von Vermögensänderungen außerhalb der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG Bedeutung, insb. bei der<br />
Beurteilung verlustbezogener Tätigkeiten, die ohne Einkunftserzielungsabsicht aus privaten Motiven<br />
der Gesellschafter ausgeübt werden (zur Problemlage und Rechtsentwicklung vgl. SCHALLMOSER et al<br />
in Herrmann/Heuer/Raupach, 295. Lieferung 2019, § 8 KStG Rn 73 ff.). Es erfolgt außerhalb der<br />
Steuerbilanz eine Einkommenskorrektur über den Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung<br />
(dazu unter VI 1).<br />
Einer Kapitalgesellschaft sind alle die Einkünfte zuzurechnen, die sie erzielt (BFH, Urt. v. 13.12.1989 –<br />
I R 98/86, BStBl II 1990, 468; Urt. v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl II 2017, 324). Sie erzielt gewerbliche<br />
Einkünfte, wenn die sie auslösende Tätigkeit im Namen und für Rechnung der Gesellschaft ausgeübt<br />
wird. Bei der Gewinnermittlung insb. von GmbH können sich Schwierigkeiten in der Frage ergeben,<br />
wem die Einkünfte zuzurechnen sind, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer neben dieser Tätigkeit<br />
auch als selbstständiger Einzelunternehmer tätig ist. Besondere Zweifel können sich dann ergeben,<br />
wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer auf demselben Gebiet tätig ist wie die von ihm vertretene<br />
GmbH, ohne dass vertragliche Vereinbarungen über eine klare und eindeutige Aufgabenabgrenzung<br />
beider Unternehmen bestehen.<br />
Die Körperschaftsteuer ist eine Jahressteuer. Der sog. Veranlagungszeitraum ist somit gem. § 7 Abs. 3<br />
KStG das Kalenderjahr. Für dieses sind die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Dieser Ermittlungszeitraum<br />
kann sich verkürzen, wenn die Steuerpflicht nicht während des gesamten Kalenderjahres<br />
bestanden hat. Bei Steuerpflichtigen, die zur Buchführung verpflichtet sind, ist das Wirtschaftsjahr der<br />
maßgebende Ermittlungszeitraum. Bei einem abweichenden Wirtschaftsjahr gilt der Gewinn in dem<br />
Kalenderjahr als bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr endet.<br />
318 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Steuerrecht Fach 20, Seite 681<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Über § 8 Abs. 1 KStG gelten die im Einkommensteuergesetz geregelten Abzugsverbote (insb. nicht<br />
abzugsfähige Betriebsausgaben nach den §§ 4 Abs. 5, Abs. 5b, 4j EStG und die Zinsschranke nach § 4h<br />
EStG, die von § 8a KStG ergänzt wird) auch für die Körperschaftsbesteuerung. Darüber hinaus enthält<br />
§ 10 KStG spezielle körperschaftsteuerliche Abzugsverbote.<br />
Schematisch kann die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Kapitalgesellschaft wie folgt<br />
dargestellt werden:<br />
Handelsrechtliches Ergebnis (Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag)<br />
+/- Korrekturen zur Anpassung an die Steuerbilanz<br />
= Steuerbilanzergebnis<br />
+ verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG)<br />
+ nicht abziehbare Aufwendungen (z.B. §§ 4 Abs. 5 EStG, 8a, 8b Abs. 3 und 5, 10 KStG)<br />
- abziehbare Aufwendungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG<br />
+ sämtliche Spenden<br />
- nicht der Körperschaftsteuer unterliegende Vermögensmehrungen, z.B. Investitionszulage, Bezüge und<br />
Gewinne i.S.d. § 8 Abs. 1 und 2 KStG<br />
- verdeckte Einlagen (§ 8 Abs. 3 S. 3 ff. KStG)<br />
-/+ vereinnahmte Gewinnabführung/übernommener Verlust aus Organschaft<br />
= Summe der Einkünfte<br />
- abziehbare Spenden, § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG<br />
- ausländische Steuern vom Einkommen<br />
+/- zuzurechnendes Einkommen der Organgesellschaft<br />
= Gesamtbetrag der Einkünfte<br />
- Verlustabzug nach § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG<br />
= Einkommen<br />
- Freibetrag nach §§ 24, 25 KStG<br />
= zu versteuerndes Einkommen i.S.d. § 7 Abs. 1 KStG<br />
IV. Körperschaftsteuertarif<br />
Im Rahmen der sog. Unternehmensteuerreform 2008 wurde der bisher geltende Körperschaftsteuersatz<br />
von 25 % auf das zu versteuernde Einkommen abgesenkt. Seit dem Veranlagungszeitraum 2008<br />
beträgt die Körperschaftsteuer gem. § 23 KStG 15 % des zu versteuernden Einkommens. Durch die<br />
Senkung des Körperschaftsteuersatzes, die Reduzierung der Gewerbesteuermesszahl von 5 % auf 3,5 %<br />
(§ 11 Abs. 2 GewStG n.F.) und im Gegenzug die Nichtabsetzbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe<br />
(§ 4 Abs. 5b EStG n.F.) ergibt sich eine steuerliche Gesamtbelastung für Kapitalgesellschaften<br />
i.H.v. 29,83 %.<br />
Beispiel:<br />
Gewinn vor Steuern: 100<br />
Gewerbesteuer: 100 × 3,5 % x 400 % = 14<br />
Körperschaftsteuer: 100 × 15 % = 15<br />
Solidaritätszuschlag: 15 × 5,5 % = 0,83<br />
Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag insgesamt: 29,83<br />
Die Modellrechnung geht von einem Gewerbesteuerhebesatz von 400 % aus. Außerdem wird unterstellt,<br />
dass die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage (Gewerbeertrag) dem Gewinn entspricht.<br />
Die tatsächliche Steuerbelastung hängt insb. vom jeweiligen Hebesatz der Kommune ab (abrufbar<br />
unter: https://www.gewerbesteuer.de/gewerbesteuerhebesatz). Bei besonders hohen Hebesätzen wie beispielsweise<br />
in München (zzt. 490 %) kann dies zu tariflichen Belastungen von bis zu 30 % führen.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 319
Fach 20, Seite 682<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Steuerrecht<br />
V. Bezüge und Gewinne i.S.d. § 8b KStG<br />
Hinweis:<br />
Zu Zweifelsfragen des § 8b KStG vgl. BMF v. 28.4.2003, BStBl I 2003, 292; ausführlich DÖTSCH/PUNG,<br />
DB 2003, 1016 ff.<br />
§ 8b Abs. 1 KStG normiert eine Dividendenfreistellung für Beteiligungserträge. Die Norm als solche<br />
setzte ursprünglich (anders als etwa § 8 Nr. 5 GewStG oder die DBA-Schachtelprivilegien) weder eine<br />
Mindestbeteiligungsquote noch eine Mindestbehaltefrist voraus (BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 – S 2750a<br />
– 7/03, BStBl I 2003, 292 Rn 4; PUNG in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, 90. Ergänzungslieferung 6/2017,<br />
§ 8b KStG Rn 16; SCHNITGER in Schnitger/Fehrenbacher, 2. Auf. 2018, § 8b KStG Rn 137; GOSCH in Gosch,<br />
3. Aufl. 2015, § 8b KStG Rn 100). Inzwischen verlangt § 8b Abs. 4 KStG zu Beginn des Kalenderjahres<br />
eine unmittelbare Beteiligung von mindestens 10 % des Stamm- oder Grundkapitals. § 8b KStG kennt<br />
grds. auch keinen Aktivitätsvorbehalt oder das Erfordernis bestimmter steuerlicher Vorbelastungen<br />
(GOSCH in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8b KStG Rn 100; SCHNITGER in Schnitger/Fehrenbacher, 2. Aufl. 2018, § 8b<br />
KStG Rn 133; zur gesetzlich unterstellten Vorbelastung auch BRUSCHKE, DStZ 2012, 813, 814). Letzteres<br />
galt bis zur Einführung von § 8b Abs. 1 S. 2–4 KStG (GOSCH in FS für Norbert Herzig, 2010, S. 64) auch für<br />
vGA und war in § 8b KStG bis dahin als „Grundsatz der steuerlichen Vorbelastung“ nicht angelegt (ebenso<br />
GRÖBL/ADRIAN in Erle/Sauter, 3. Aufl. 2019, § 8b KStG Rn 44 m.w.N.). Kapitalertragsteuer ist trotz<br />
Steuerfreiheit einzubehalten (vgl. § 43 Abs. 1 S. 3 EStG). § 8b Abs. 5 KStG bestimmt, dass 5 % der Bezüge<br />
(Dividenden, verdeckte Gewinnausschüttungen – vGA) pauschal als Betriebsausgaben gelten, die<br />
nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Die Versagung des Betriebsausgabenabzugs<br />
führt in Zusammenhang mit den Beteiligungserträgen im Ergebnis zumindest zu einer partiellen<br />
Steuerpflicht der Dividenden i.H.v. 5 %. Weitere Konsequenz ist, dass trotz der „Steuerfreiheit“ der<br />
Dividenden die damit zusammenhängenden tatsächlichen Betriebsausgaben (insb. Finanzierungskosten),<br />
soweit sie die 5 %-Grenze überschreiten, in vollem Umfang abgezogen werden können, weil<br />
nach § 8b Abs. 5 S. 2 KStG die Abzugsbeschränkung des § 3c Abs. 1 EStG nicht anzuwenden ist. Die<br />
Begründung von Organschaftsverhältnissen besitzt besondere Bedeutung, da es in diesen Fällen nicht<br />
zur Versagung des pauschalen 5 %-igen Betriebsausgabenabzugs kommt. Des Weiteren entfällt die<br />
Liquiditätsbelastung mit Kapitalertragsteuer.<br />
§ 8b Abs. 2 KStG bestimmt, dass Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an in- und ausländischen<br />
Kapitalgesellschaften bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben. Konsequenz<br />
der Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne ist im Umkehrschluss, dass Teilwertabschreibungen und<br />
Veräußerungsverluste den Gewinn der Kapitalgesellschaft nicht mindern dürfen (§ 8b Abs. 3 S. 3 KStG).<br />
Einzelheiten finden sich in § 8b Abs. 3 S. 4–8 KStG. Dort findet sich auch eine systemwidrige<br />
Gleichstellung des Abzugsverbots der Beteiligungsfinanzierung mit der Fremdfinanzierung in Form<br />
sog. eigenkapitalersetzender Finanzierungen.<br />
Nach § 8b KStG steuerfrei sind insb.:<br />
• Gewinnanteile (Dividenden) • Verdeckte Gewinnausschüttung,<br />
• Ausbeuten<br />
wenn diese das Einkommen der<br />
• Sonstige Bezüge<br />
leistenden Gesellschaft nicht gemindert<br />
hat<br />
Jedoch:<br />
5 % der steuerfreien Bezüge gelten als nichtabziehbare Betriebsausgaben<br />
Gewinne aus<br />
• Anteilsveräußerungen<br />
• Auflösungen<br />
• Kapitalherabsetzungen<br />
VI. Verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte Einlage<br />
Bei der Kapitalgesellschaftsbesteuerung gilt das sog. Trennungsprinzip, mit der Konsequenz, dass auch<br />
Verträge zwischen der Kapitalgesellschaft als selbstständigem Rechtssubjekt und ihren Gesellschaftern<br />
steuerrechtlich grds. vollumfänglich anerkannt werden. Eine Grenze findet diese steuerrechtliche<br />
Anerkennung dort, wo die Verträge nicht dem entsprechen, was unter fremden Dritten üblich ist. Für<br />
320 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong>
Steuerrecht Fach 20, Seite 683<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
diese Konstellationen kennt das Körperschaftsteuerrecht die Begriffe „verdeckte Gewinnausschüttung“<br />
und „verdeckte Einlage“. „Verdeckt“ deshalb, weil das zugrunde liegende Rechtsgeschäft in Wahrheit<br />
eine Gewinnausschüttung bzw. Einlage verdeckt. Für die Ermittlung des Einkommens der Gesellschaft<br />
ist es nämlich ohne Bedeutung, ob das Einkommen verteilt wird (§ 8 Abs. 3 S. 1 KStG). Verdeckte<br />
Gewinnausschüttungen mindern deshalb das Einkommen der Körperschaft nicht, verdeckte Einlagen<br />
erhöhen es nicht.<br />
1. Verdeckte Gewinnausschüttung (vGA)<br />
Eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) i.S.d. Körperschaftsteuerrechts ist eine Vermögensminderung<br />
oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich<br />
auf die Höhe des Unterschiedsbetrags gem. § 4 Abs. 1 S. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und nicht<br />
auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruht<br />
(BFH, Urt. v. 22.2.1989 – I R 98/86, BStBl II 1989, 475). Nach der Rechtsprechung des BFH muss diese<br />
außerdem durch Organe der Gesellschaft verursacht werden und geeignet sein, beim Gesellschafter<br />
einen sonstigen Bezug i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG auszulösen (vgl. BFH, Urt. v. 7.8.2002 – I R 2/02,<br />
BStBl II 2004, 131).<br />
Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist dann gegeben, wenn ein ordentlicher und<br />
gewissenhafter Geschäftsleiter die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung gegenüber<br />
einer Person, die nicht Gesellschafter ist, unter sonst gleichen Umständen nicht hingenommen<br />
hätte. Nach der umfangreichen Rechtsprechung des BFH sind grds. zwei Gruppen der vGA zu<br />
unterscheiden (vgl. BFH, Urt. v. 8.11.1989 – I R 88/85, BStBl II 1990, 244):<br />
a) Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter hätte eine solche Zuwendung nicht gemacht.<br />
b) Es liegen keine im Voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarungen der Kapitalgesellschaft<br />
mit ihrem beherrschenden Gesellschafter vor.<br />
Der Fremdvergleich gehört als Unterprinzip zum Veranlassungsprinzip. Die Denkfigur des ordentlichen<br />
und gewissenhaften Geschäftsleiters ist jedoch nicht der alleinige Maßstab, wenn es sich um Vereinbarungen<br />
handelt, die ausschließlich mit dem Gesellschafter getroffen werden können, und keine<br />
Vergleichsmöglichkeiten mit Dritten bestehen, d.h. die per se die „societatis causa“ zum Inhalt haben<br />
(BFH, Urt. v. 17.4.1984 –I R 22/79, BStBl II 1985, 69; JANSSEN, Verdeckte Gewinnausschüttung, 12. Aufl. 2017,<br />
Rn 5250). In diesem Fall ist im Rahmen eines außerbetrieblichen Vergleichs darauf abzustellen, was<br />
andere Firmen derselben Branche in derselben Situation ihren Gesellschaftern gegenüber aufwenden.<br />
Beispielsweise werden die Zuführungen zur Pensionsrückstellung in voller Höhe als verdeckte Gewinnausschüttungen<br />
betrachtet, wenn die Gesellschaft ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer nur eine Pension,<br />
aber kein Bargehalt zusagt (vgl. Unzulässigkeit der „Nur-Pension“, BFH, Urt. v. 17.5.1995 – I R 147/93,<br />
BStBl II 1996, 204).<br />
Ein Sonderfall ergibt sich beim sog. beherrschenden Gesellschafter. Zahlungen an einen Gesellschafter<br />
mit beherrschendem Einfluss auf die Kapitalgesellschaft sind unabhängig von der Angemessenheit<br />
vGA, wenn die Zahlungen nicht von Anfang an klar und eindeutig vereinbart worden sind, da der<br />
Gesellschafter mittels seines beherrschenden Einflusses die Möglichkeit hat, für seine Leistung an die<br />
Kapitalgesellschaft einen gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Ausgleich zu suchen (BFH,<br />
Urt. v. 2.3.1988 – I R 63/82, BStBl II 1988, 590). Wegen des fehlenden Interessengegensatzes bestünde<br />
sonst die Möglichkeit, den Gewinn so zu beeinflussen, wie es bei Gesamtbetrachtung der Einkommen<br />
der Kapitalgesellschaft und des Gesellschafters jeweils am günstigsten wäre (BFH, Urt. v. 14.3.1989 –<br />
I R 8/85, BStBl II 1989, 633). Problematisch sind insb. mündlich abgeschlossene Vereinbarungen (vgl.<br />
BFH, Urt. v. 12.4.1989 – I R 142-143/85, BStBl II 1989, 636; Urt. v. 24.1.1990 – I R 157/86, BStBl II 1990,<br />
645). Beherrschende Stellung (maßgebend: Vertragsabschluss) setzt mehr als 50 % der Stimmrechte<br />
voraus. Bei einer Beteiligung unter 50 % kann unter besonderen Umständen, z.B. wegen gleichgerichteter<br />
Interessen mehrerer gemeinsam handelnder Personen, eine Nachzahlung ebenfalls als vGA<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 321
Fach 20, Seite 684<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Steuerrecht<br />
angesehen werden. Ehegattenbeteiligungen dürfen nicht ohne Weiteres zusammengerechnet werden<br />
(BVerfG, Beschl. v. 12.3.1985 – 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, BStBl II 1985, 475).<br />
Eine vGA ist auch dann anzunehmen, wenn die Vorteilsziehung nicht unmittelbar durch den<br />
Gesellschafter, sondern durch eine ihm nahestehende Person erfolgt. Voraussetzung ist aber stets,<br />
dass der Gesellschafter (mittelbar) selbst einen Vorteil hat (BFH, Urt. v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl II 1989,<br />
631). Als nahestehende Personen sind zunächst sämtliche Angehörige nach § 15 AO anzusehen (Beweis<br />
des ersten Anscheins insb. bei Ehegatten; s. BFH, Urt. v. 29.9.1981 – VIII R 8/77, BStBl II 1982, 248). Beim<br />
sog. beherrschenden Gesellschafter ist wiederum eine im Voraus getroffene klare Vereinbarung<br />
erforderlich (BFH, Urt. v. 29.4.1987 – I R 192/82, BStBl II 1987, 797). Wendet eine Kapitalgesellschaft einer<br />
anderen Kapitalgesellschaft einen Vermögensvorteil zu und sind an beiden Kapitalgesellschaften<br />
dieselben Personen beteiligt, ist darin ebenfalls ein Näheverhältnis zu sehen. Auch Personengesellschaften<br />
können als nahestehende Personen in Betracht kommen (BFH, Urt. v. 1.10.1986 – I R 54/83,<br />
BStBl II 1987, 459; JANSSEN, Verdeckte Gewinnausschüttung, 12. Aufl. 2017, Rn 5245).<br />
Eine vGA setzt nicht voraus, dass die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung<br />
auf einer Rechtshandlung der Organe der Kapitalgesellschaft beruht. Auch tatsächliche Handlungen<br />
können den Tatbestand der vGA erfüllen (z.B. der Griff in die Gesellschaftskasse). Für die Entscheidung,<br />
ob eine Vermögensminderung auf einer Handlung beruht, die steuerrechtlich der Kapitalgesellschaft<br />
zuzurechnen ist, kommt es nicht auf Handlungen der Organe der Kapitalgesellschaft an, wenn diese –<br />
durch Tun oder Unterlassen – einem Gesellschafter oder einer ihm nahestehenden Person die Möglichkeit<br />
verschafft haben, über Gesellschaftsvermögen zu disponieren (BFH, Urt. v. 14.10.1992 – I R 17/92,<br />
BStBl II 1993, 352).<br />
Folgende Beispiele sind typische Fälle einer verdeckten Gewinnausschüttung:<br />
• Ein Gesellschafter erhält für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft ein unangemessen hohes<br />
Gehalt (also ein Gehalt über der am Markt üblichen Bandbreite).<br />
• Ein Gesellschafter erhält von der Gesellschaft ein zinsloses oder im Marktvergleich besonders<br />
zinsgünstiges Darlehen.<br />
• Ein Gesellschafter gibt seiner Gesellschaft ein Darlehen zu einem besonders hohen Zinssatz.<br />
• Ein Gesellschafter veräußert an die Gesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen hohen<br />
Preis bzw. erhält von der Gesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen niedrigen Preis.<br />
• Die Gesellschaft übernimmt ohne werthaltigen Regressanspruch eine Schuld oder sonstige Verpflichtung<br />
des Gesellschafters.<br />
• Umsatztantieme oder überhöhte Gewinntantieme eines Minderheitsgesellschafters in der Anlaufphase<br />
der GmbH (BFH, Urt. v. 15.3.2000 – I R 74/99, BStBl II 2000, 547).<br />
Nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG dürfen vGA das Einkommen der Gesellschaft nicht mindern. Die unangemessenen<br />
Teile der Vergütung, die handels- und steuerbilanziell als Aufwand erfasst wurden, sind<br />
für steuerliche Zwecke dem Einkommen der Kapitalgesellschaft wieder hinzuzurechnen. Sie unterliegen<br />
somit sowohl der Körperschaftsteuer als auch der Gewerbesteuer.<br />
Beispiel:<br />
Eine Gesellschaft zahlt an einen (Minderheits-)Gesellschafter für die Überlassung eines betrieblich genutzten<br />
Grundstücks eine Vergütung, die 75.000 € über der angemessenen Marktmiete liegt.<br />
Ohne Annahme einer vGA würde die Miete als Betriebsausgabe in dieser Höhe den Gewinn der Gesellschaft<br />
mindern. Der Gesellschafter als Vermieter erzielte bei den Einkünften aus § 21 EStG eine zusätzliche<br />
Mieteinnahme, die bei einem angenommenen ESt-Spitzensteuersatz von 42 % i.H.v. 31.500 € mit Steuern<br />
belastet wäre. Mangels personeller Verflechtung liegt keine Betriebsaufspaltung vor. Wegen des Vorliegens<br />
einer vGA erhöhen die 75.000 € die Bemessungsgrundlage von Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Auf<br />
Gesellschafterebene sind die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Einkünfte aus Kapitalvermögen<br />
(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) umzuqualifizieren und unterliegen der Abgeltungsteuer.<br />
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Steuerrecht Fach 20, Seite 685<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
2. Verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 S. 3 bis 6 KStG)<br />
Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der<br />
Kapitalgesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung durch<br />
das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Einlagefähig sind nur Vermögensvorteile, die zu einer Erhöhung<br />
der Aktiva oder Verminderung der Schulden führen. Eine schlichte Gebrauchs- oder Nutzungsüberlassung<br />
kann somit nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein. Da der handelsrechtliche<br />
Gewinn der Kapitalgesellschaft durch diesen Vermögensvorteil erhöht worden sein kann (der Ausweis<br />
in der Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ist nicht zwingend), die Gewinnerhöhung aber nicht<br />
von der Kapitalgesellschaft erwirtschaftet wurde, sondern auf einem gesellschaftsrechtlichen Vorgang<br />
beruht, ist das zu versteuernde Einkommen der Gesellschaft um den entsprechenden Betrag zu kürzen.<br />
Beim Gesellschafter stellt diese Zuwendung nachträgliche Anschaffungskosten auf seine Beteiligung<br />
dar.<br />
VII. Verlustabzug und § 8c KStG<br />
Da Körperschaften mit ihrem Einkommen dem KStG unterliegen, ergibt sich im Fall von Verlusten<br />
(ausführlich zum Verlustabzug und zu § 8c KStG SUCHANEK/RÜSCH, DStZ 2014, 419) auch die<br />
Möglichkeit eines sog. körperschaftsteuerlichen Verlustvortrags (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG).<br />
Entsprechendes gilt im Bereich des Gewerbesteuerrechts für einen gewerbesteuerlichen Fehlbetrag<br />
(vgl. § 10a GewStG). Der Verlustvortrag bleibt so lange erhalten, wie die Körperschaft zivilrechtlich<br />
existiert. Die zivilrechtliche Existenz endet entweder nach abgeschlossener Liquidation und Austragung<br />
aus dem entsprechenden Register oder bei Umwandlungsfällen für den sog. übertragenden<br />
Rechtsträger (z.B. durch Verschmelzung bzw. Aufspaltung). Bei einer natürlichen Person endet die<br />
Rechtsfähigkeit mit deren Tod. Nach einer Entscheidung des Großen Senats des BFH (Beschl. v.<br />
17.12.2007 – GrS 2/04, DStR 2008, 545) ist ein Verlustabzug nach § 10d EStG nicht (mehr) vererblich.<br />
Da Körperschaften keines natürlichen Todes sterben können, bleiben Verlustvorträge grds. auch dann<br />
erhalten, wenn die Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb bzw. ihre Tätigkeit eingestellt hat. So ist es<br />
aus Sicht eines Steuerpflichtigen interessant, einen entsprechenden Verlustmantel (Kapitalgesellschaft<br />
mit Verlustvortrag) zu erwerben, weil dann nach einer entsprechenden Aktivierung des<br />
„Mantels“ und dem Erzielen von Gewinnen ein steuerpflichtiges Einkommen erst nach Verrechnung<br />
der Gewinne mit dem Verlustvortrag entstünde. Dem will der Gesetzgeber mit der Regelung des § 8c<br />
KStG entgegenwirken, die allerdings zu pauschal an einen Anteilserwerb von mehr als 25 % (§ 8c Abs. 1<br />
S. 1 KStG a.F.) bzw. mehr als 50 % (§ 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F.) anknüpfte (sog. schädlicher<br />
Beteiligungserwerb).<br />
Das BVerfG hat mit Beschl. v. 29.3.2017 § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. in allen bis zum VZ 2016 bestehenden<br />
Formen für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschl. v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BGBl I 2017, S. 1289;<br />
s. auch HEY in Tipke/Lang, 23. Aufl. 2018, § 11 Rn 59 ff.). Hierauf musste der Gesetzgeber reagieren und<br />
hat durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet<br />
und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I, S. 2338) § 8c Abs. 1 S. 1<br />
KStG a.F. rückwirkend für alle Veranlagungszeiträume ab 2008 gestrichen. Stattdessen gilt rückwirkend<br />
für alle Veranlagungszeiträume ab 2008 § 8c Abs. 1 S. 1 KStG n.F., nach dem es bei einem<br />
schädlichen Beteiligungserwerb von mehr als 50 % zu einem vollständigen Verlustuntergang kommt.<br />
Offengeblieben ist, ob bereits ein mehr als 50 %-iger Anteilserwerb ausreicht, um nach Abs. 1 S. 2 a.F.<br />
(entspricht Abs. 1 S. 1 n.F.) den Untergang des gesamten Verlustvortrags zu rechtfertigen, weshalb<br />
auch dies bereits Gegenstand eines erneuten Vorlagebeschlusses ist (FG Hamburg, Beschl. v. 29.8.2017<br />
– 2 K 245/17, DStR 2017, 2377).<br />
VIII. Organschaft<br />
Eine Kapitalgesellschaft kann Organgesellschaft einer körperschaftsteuerlichen (§§ 14 Abs. 1 S. 1 KStG,<br />
17 KStG) und gewerbesteuerlichen (§ 2 Abs. 2 S. 2 GewStG) Organschaft sein. Dadurch lässt sich die<br />
Zurechnung des Einkommens zum Organträger erreichen. Die praktische Bedeutung der Organschaft<br />
für das Konzernsteuerrecht besteht darin, dass auf Ebene des Organträgers eigene Verluste mit<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 6 18.3.<strong>2020</strong> 323
Fach 20, Seite 686<br />
Grundlagen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften<br />
Steuerrecht<br />
(vollständig) zugerechneten Gewinnen bzw. eigene Gewinne mit zugerechneten Verlusten verrechnet<br />
werden können. Dadurch sinkt die Gesamtsteuerquote des Konzerns.<br />
Zur Begründung einer Organschaft muss der Organträger zunächst den Anforderungen des § 14 Abs. 1<br />
S. 1 Nr. 2 S. 1 KStG entsprechen. Seit dem Veranlagungszeitraum 2001 (bei vom Kalenderjahr abweichendem<br />
Wirtschaftsjahr entsprechend später) sind die Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen<br />
Organschaft durch das StSenkG (Steuersenkungsgesetz v. 23.10.2000, BGBl 2000 I, S. 1433)<br />
vereinfacht worden. Danach genügt die finanzielle Eingliederung und das Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags<br />
(NEU/BRANDENBURG, GmBH-StB, 2001, 30, 31). Zur finanziellen Eingliederung<br />
(§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KStG) muss dem Organträger vom Beginn des Wirtschaftsjahres der<br />
Organgesellschaft an ununterbrochen die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen zustehen.<br />
Der Ergebnisabführungsvertrag muss mindestens für die Dauer von fünf Jahren geschlossen sein<br />
(§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG) und v.a. während der gesamten Laufzeit tatsächlich durchgeführt<br />
werden.<br />
Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft:<br />
Gewinnabführungsvertrag (§ 14 Abs. 1 KStG, § 291 Abs. 1 AktG)<br />
• auf mind. fünf Jahre<br />
• durchgehend tatsächlich durchgeführt<br />
Finanzielle Eingliederung (Mehrheit der Stimmrechte)<br />
(§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG)<br />
Organträger (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KStG) muss sein:<br />
natürliche Person<br />
nicht steuerbefreiter Rechtsträger<br />
nach § 1 KStG<br />
jeweils mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder<br />
mit Beteiligung der Organgesellschaft in inländischer Betriebsstätte<br />
Organgesellschaft kann sein:<br />
• AG<br />
Andere Kapitalgesellschaft<br />
• KGaA<br />
z.B. GmbH<br />
(§ 14 Abs. 1 KStG)<br />
(§ 17 KStG)<br />
jeweils mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz im Inland oder der EU/EWR<br />
Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft)<br />
mit gewerblichen Einkünften<br />
Ist wirksam eine Organschaft begründet, wird das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger<br />
zugerechnet (§ 14 Abs. 1 S. 2 KStG). Bei grenzüberschreitenden Organschaften ist die Nichtberücksichtigung<br />
negativer Einkünfte bei deren Berücksichtigung im Ausland zu beachten (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5<br />
KStG).<br />
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