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Hotzenwald_Leseprobe

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SANDHYA HASSWANI


SANDHYA HASSWANI<br />

Friedrich Reinhardt Verlag


Alle Rechte vorbehalten<br />

©2020 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel<br />

Lektorat: Beatrice Rubin<br />

Gestaltung: Franziska Scheibler<br />

ISBN: 978-3-7245-2419-9<br />

Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt<br />

für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre<br />

2016–2020 unterstützt.<br />

www.reinhardt.ch


Inhalt<br />

Vorwort S. 8<br />

Der <strong>Hotzenwald</strong>: Übersichtskarte S. 14<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Graf Rudolf und der Priester S. 22<br />

Der Traum des Walther von Klingen S. 34<br />

Die Wichtelpfennige der Erdmännlein S. 40<br />

Die Gründungslegende von Todtmoos S. 48<br />

Der Jäger und der Hirsch S. 56<br />

Der Beeri-Maa S. 64<br />

Der Flößer vom Hochrhein S. 72<br />

Der gute Graf Hans von Laufenburg S. 88<br />

Die Salmfänger von Laufenburg<br />

und das Geschenk des Herzogs S. 96<br />

Doktor Vicarius und ’s Pfiifle S. 104


11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

21<br />

Das Waldshuter Männle, oder wie die<br />

Stadt Waldshut zu ihrem Namen kam S. 112<br />

Der Fährigeist von Murg S. 122<br />

’s Tannemännli S. 130<br />

Die Kirschen von Maritone und Theres S. 140<br />

Ein Trompeter und seine<br />

wahre Liebe in Säckingen S. 146<br />

Das Kätzchen und der heilige Fridolin S. 154<br />

’s Maisenhardt-Joggele<br />

und die Klaubholzwiiber S. 162<br />

’s Heidewiibli und der Wälderbursch S. 170<br />

’s Giigemännle S. 176<br />

Der Fischer und der Pfaffesteg-Joggele S. 186<br />

Metzger-Fine und das Wägele<br />

voll Seidenbänder S. 192<br />

22<br />

23<br />

Der Moosteufel und der Hotzenblitz S. 206<br />

Die Brücke über die Teufelsküche S. 212


24<br />

25<br />

26<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

Die Begegnung mit dem Gaudihans S. 220<br />

Wie das Glasmännle den Kaiser traf S. 230<br />

Der letzte Redmann S. 248<br />

Der Öfele-Stein am Gugel S. 262<br />

Die Fronmühle und das silberne Tuch S. 272<br />

Die Sachsenprinzessin von Hogschür S. 282<br />

Der Stehli-Fürscht S. 292<br />

’s Hotzehuus S. 300<br />

Der Hotzenbischof S. 310<br />

Nachwort und Dank S. 316<br />

Stichwortverzeichnis S. 318


Vorwort<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Märchen und Sagen sind etwas Wunderbares, gewähren<br />

sie doch Einblicke in andere Zeiten und halten ein<br />

Stück Brauchtum und die Eigenart von Menschen und<br />

Landschaften für nachkommende Generationen am<br />

Leben. Mit den hier ausgewählten Sagengestalten aus<br />

dem <strong>Hotzenwald</strong> und den vier Waldstädten nimmt Sie<br />

dieses Buch mit auf eine unterhaltsame und zugleich<br />

informative Reise durch die Region Südschwarzwald-<br />

Hochrhein.<br />

Als „<strong>Hotzenwald</strong>“ wird das Gebiet zwischen den<br />

Wasserläufen der Wehra und der Alb seit dem 19. Jahrhundert<br />

bezeichnet. Die Namensgebung ist nicht eindeutig<br />

und wird manchmal mit „Hotz“ (alt. houtz) in<br />

Verbindung gebracht, womit der Stoff gemeint war,<br />

aus dem die Waldbauern ihre Pluderhosen nähten.<br />

Wahrscheinlicher ist jedoch die Ableitung vom altund<br />

mittelhochdeutschen Wort „hutzen“, was so viel<br />

heißt wie „auswärts gelegen“. Auch geografisch befand<br />

sich der <strong>Hotzenwald</strong> stets jenseits der Alb, also<br />

im äußeren Wald. Bis ins Jahr 1806 gehörte dieses Gebiet<br />

zu der „Grafschaft Hauenstein“ mit ehemaligem<br />

Adelssitz auf der gleichnamigen Burg am Rhein bei<br />

Laufenburg. Zu jener Grafschaft gehörten aber noch<br />

die Kirchspielorte von Dachsberg, Höchenschwand,<br />

Birndorf und Dogern, die heute nicht mehr dem <strong>Hotzenwald</strong><br />

zugeordnet werden. Streng genommen handelte<br />

es sich auch nicht um eine Grafschaft; denn nach<br />

8


Ableben des letzten Grafen im 13. Jahrhundert (Graf<br />

Hans von Habsburg-Laufenburg) etablierte sich eine<br />

von Bauern geführte Selbstverwaltung mit demokratischen<br />

Strukturen, die auf acht Einungen aufgeteilt war<br />

und deren Bewohner direkt dem Habsburger Kaiser<br />

unterstanden. Für die Bauern war dies eine beachtenswerte<br />

Aufgabe, die jenes Achtmann-Volk mit Köpfchen<br />

und Tatkraft über 500 Jahre unter Habsburger<br />

Regentschaft meisterte.<br />

Gegen Ende des absolutistischen Zeitalters neideten<br />

sich Adel und Klerus zunehmend ihren Besitz. Auch im<br />

<strong>Hotzenwald</strong> kam es zu Machtübergriffen des Klosters<br />

St. Blasien auf Land und Leute, die ursprünglich direkt<br />

dem Kaiser verpflichtet waren. Daraufhin reagierten<br />

im 18. Jahrhundert viele Freibauern mit Revolten, den<br />

sogenannten Salpeterer-Unruhen, die viel Not und<br />

Leid übers Land brachten. Zwar wurde unter Kaiser<br />

Joseph II. die Leibeigenschaft der Klöster endgültig abgeschafft,<br />

doch die Napoleonischen Kriege mit folgender<br />

Säkularisierung und Grenzneuordnung beendeten<br />

1806 die habsburgische Vorherrschaft am Hochrhein.<br />

Die Machtverschiebung in Europa hatte gravierende<br />

Folgen für die Grafschaft Hauenstein, deren Einungen<br />

aufgelöst und dem Badischen Großherzogtum zugeteilt<br />

wurden.<br />

Den Landsleuten haftete jedoch noch lange Zeit danach<br />

der aufmüpfige Ruf der Salpeterer-Unruhen an.<br />

Wählt man aber einen breiteren Blick auf die Geschichte,<br />

so begegnet man einem aufrechten Volk, aus dem in<br />

allen Epochen starke Persönlichkeiten hervorgingen.<br />

Manche wurden sogar über die Landesgrenzen hinaus<br />

bekannt; so wie Graf Rudolf von Habsburg, der auf<br />

den Waldhöhen zu jagen pflegte und die Stadt Walds-<br />

9


hut zum Schutz seiner Ländereien gründete. Graf Rudolf<br />

wurde später nicht nur der mächtigste Herr am<br />

Hochrhein, sondern Herzog zu Österreich, König von<br />

Böhmen und 1273 als Kaiser deutsches Reichsoberhaupt.<br />

Schon früh begegnet man hier Personen mit berührend<br />

ehrlicher Frömmigkeit, wie zum Beispiel dem<br />

Heiligen Fridolin (6. Jahrhundert), oder dem Gründer<br />

von Todtmoos (1268), oder dankbaren Dorfbewohnern,<br />

die am höchsten Punkt (dem Ödland) eine Kapelle<br />

errichteten, die heute noch steht. Die Menschen<br />

zeichnet auch eine besondere Schlagfertigkeit, ein<br />

Schalk aus, wie das Heidewiibli, der Stehlifürst oder<br />

der Moosteufel aus dem 20. Jahrhundert beweisen. Sie<br />

lebten seit der Rodung der Waldhöhen eng mit der Natur<br />

verbunden, sodass zahlreiche Sagen über Naturgeister<br />

– die Joggeles – entstanden sind. So wurde in<br />

über 800 Jahren eine beachtliche Sam mlung an Sagen<br />

zusammengetragen, von denen in diesem Buch nur eine<br />

kleine, aber feine Auswahl vorgestellt wird.<br />

Dass die Erzählungen über die Hotzenwälder Originale<br />

über all die Jahre hinweg erhalten geblieben sind,<br />

ist vor allem den Dichtern und den Heimatforschern zu<br />

verdanken. Zu jeder Zeit inspirierten Sagen Künstler<br />

und Autoren zu neuen Werken, so wie Johann Peter<br />

Hebel (1760–1826), Joseph Victor von Scheffel (1826–<br />

1886), den Mundart-Autor Gerhard Jung (1926–1998)<br />

oder auch Hans Matt-Willmatt (1898–1978), um nur<br />

einige Schriftsteller der letzten Jahrhunderte zu nennen.<br />

Nicht selten verliehen Schriftsteller den Erzählungen<br />

eine persönliche Note, was in der Literatur durchaus<br />

legitim ist (Narrative). Besonders die Epoche der<br />

Romantik förderte die Volkspoesie wie keine andere.<br />

10


Zu ihren bekanntesten Vertretern gehören die Brüder<br />

Jacob (1785–1863) und Wilhelm (1786–1859) Grimm.<br />

Wohl von der Grimm’schen Sammlung deutscher<br />

Märchen angeregt, weckte die sagenumwobene Region<br />

„Schwarzwald“ um 1840 das poetische Interesse<br />

von Großherzog Leopold I. von Baden. Die Fülle an<br />

Überlieferungen hat ihm so stark imponiert, dass Seine<br />

„Kulturliebende“ Königliche Hoheit ein gesammeltes<br />

Werk badischer Sagen und Märchen in Auftrag<br />

gab, das 1846 beim Verlag Creuzbauer und Kaspar<br />

erschien. Zahlreiche Autoren hatten sich mit Niederschriften<br />

an diesem Sammelband beteiligt. Unter anderem<br />

auch der Laufenburger Heimatdichter Joseph<br />

Anton Rueb (1809–1862), der zehn Beiträge zu dem<br />

Kapitel „Die vier Waldstädte und Umgebung“ verfasste.<br />

Von J. A. Rueb stammt auch das Rickenbacher Märchen<br />

von „Hans zu der Giige“, das später versehentlich<br />

mit der Burgruine von Wieladingen in Verbindung<br />

gebracht wurde. War bei Rueb noch die Rede von einem<br />

Raubritter auf einer im 17. Jahrhundert abgegangenen<br />

Burg bei Egg, so war hundert Jahre später bei<br />

Matt-Willmatt die Burgruine Wieladingen gemeint.<br />

Mit diesem Dreher wechselte die Erzählung des Raubritters<br />

auch ihre Örtlichkeit. Der von J. A. Rueb beschriebene<br />

Raubritter „Hans zu der Giige“, der im<br />

16. Jahrhundert rund um Egg Kaufleute in Gaukler-<br />

Montur in die Falle lockte, wurde plötzlich mit dem<br />

Geschlecht der Herren von Wieladingen verwechselt.<br />

Diese lebten aber bereits 400 Jahre vor dem Aufkommen<br />

der Raubritterschaft. Begünstigt wurde die Verwechslung<br />

durch die Fidel im Wappen der Herren von<br />

Wieladingen, dabei starb das Rittergeschlecht derer<br />

11


von Wieladingen schon im 13. Jahrhundert aus. Danach<br />

blieb die Burgruine Wieladingen unbewohnt.<br />

Laut der 2007 verfassten Studie des Historikers Andre<br />

Gutmann zur „Fidel im Wappen“ (Verein Burgruine<br />

Wieladingen) waren die Herren von Wieladingen im<br />

12. Jahrhundert als Meier (Verwalter) für das Damenstift<br />

Säckingen tätig. Sie wurden in den niederen Adel<br />

aufgenommen und wählten damals drei silberne Geigen<br />

für ihr Wappen. Dies geschah zur Blütezeit der<br />

Minne und die Fidel war vor allem Ausdruck ihrer Verbundenheit<br />

zur höfischen Kultur und hatte noch nichts<br />

mit Gauklerei zu tun.<br />

So variiert der Anteil an historisch Nachweisbarem<br />

von Mal zu Mal. Doch neben allerlei Weisheiten steckt<br />

in jeder Sage auch ein Fünkchen Wahrheit. Diese historischen<br />

Fakten herauszustellen, war mir eine wichtige<br />

Herzensangelegenheit. Besonders in den letzten fünfzehn,<br />

zwanzig Jahren förderte die Forschung neue Erkenntnisse<br />

zutage, die Ihnen nicht vorenthalten bleiben<br />

sollen. Sie finden deshalb nachstehend zu jeder Erzählung<br />

wissenswerte Infos zu Land, Leuten und Zeitgeschichte,<br />

die zwischen Fakten und Fiktivem zu trennen<br />

versuchen. Anhand des Stichwortverzeichnisses kann<br />

auch gezielt, wie in einem Lexikon, nach diesen Informationen<br />

gesucht werden.<br />

An dieser Stelle sei den Heimatforschern gedankt,<br />

die mir mit Auskünften, Rat und Hinweisen immer<br />

wieder zur Seite gestanden haben: insbesondere Paul<br />

Eisenbeis aus Görwihl, Georg Keller, Redmann Gerhard<br />

Neugebauer aus Rickenbach, Lothar Lüber aus<br />

Bernau, Reinhard Valenta aus Wehr, Hans-Dieter Folles<br />

aus Todtmoos und Adelheid Enderle-Jehle aus Bad<br />

Säckingen. Die Arbeit mit dem Recherchematerial gab<br />

12


6<br />

Der<br />

Beeri -<br />

Maa<br />

64


A<br />

ls der Kirchspielwald bei Görwihl noch weitestgehend<br />

unerschlossen war, lebte ein armer Köhler<br />

mit seiner Familie in jenem Gewann. Es war ein hartes<br />

und entbehrungsreiches Leben. Schlimm wurde es, als<br />

die großen Hammerwerke im Tal nicht mehr auf die<br />

Holzkohle angewiesen waren und die Köhlerei zur<br />

Neige ging. Da wussten der Köhler und seine zweite<br />

Frau nicht, wie sie die Kinder durchbringen sollten.<br />

Immer öfter ging die Stiefmutter mit den Kindern hinaus<br />

in den Wald, um Kräuter, Wurzeln und Beeren zum<br />

Essen zu suchen. Abends kochten sie aus den Beeren<br />

ein Mus und hatten nicht mehr als eine trockene Kante<br />

Brot dazu.<br />

Eines Tages war die Familie wieder in den Beeren.<br />

Da geschah es dem kleinen Liesel, dass ihr volles Körbchen<br />

plötzlich leer dastand. Rasch lief sie zur Stiefmutter<br />

und rief: „Der Beeri-Maa isch zuen üs cho und hätt<br />

mir alli Beeri gno.“ Die Stiefmutter wollte dem Maidli<br />

die Geschichte vom Beerengeist nicht glauben und<br />

schimpfte mit der ungeschickten Stieftochter. Und als<br />

alle anderen Körbe gefüllt waren, musste die kleine<br />

Liesel nochmals in die Beeren hinaus, um ihr Körbchen<br />

zu füllen.<br />

Derweil trat die Stiefmutter mit dem Sohn den<br />

Heimweg an. Auf halbem Weg bemerkte sie, dass auch<br />

im Körbchen vom Buben keine Beeren mehr waren. Da<br />

wurde die Frau böse, denn sie dachte, der Bub hätte<br />

alle Beeren heimlich stibitzt. Der Bub sagte aber: „Ich<br />

wars nit. Es isch der Beeri-Maa gsi. Er isch zuen üs cho<br />

und hät üs alli Beeri gno.“ Weil die Stiefmutter aber<br />

niemanden gesehen hatte, glaubte sie dem Jungen nicht.<br />

Sie schimpfte ihn aus und wies ihn an, zurück in die<br />

Holderbüsche zu gehen, auf dass er mit seiner Schwes-<br />

65


ter die Körbe wieder fülle. Sie selbst ging aber heim.<br />

Doch als sie bei der Köhlerhütte ankam, waren auch<br />

ihre Körbe leer und alle Beeren fort. Wie reute es sie<br />

nun, dass sie den Kindern nicht geglaubt hatte!<br />

Der Bub aber war zu seinem Schwesterchen Liesel<br />

zurückgelaufen, und die beiden Kinder wanderten zusammen<br />

tief in die Beeren, bis der Mond aufging. Da<br />

sahen sie auf offener Heide ein Männlein lustig von<br />

einem Hag zum anderen springen. In der Hand hielt es<br />

ein Holderreis, von dem es immer wieder Beeren<br />

pflückte und hoch in die Luft warf. Wie die Beeren zu<br />

Boden fielen, funkelten sie im Mondlicht wie abertausend<br />

Perlen. Bald darauf verschwand das Männlein<br />

und die Kinder kamen hervor, um die Beeren aufzulesen.<br />

Wie freuten sie sich aber, als sie sahen, dass an jener<br />

Stelle statt der Beeren Juwelen in allen Farben<br />

glänzten. Eifrig lasen die Kinder die Steine auf – und<br />

schau hier und ach, schau dort – so liefen sie durch die<br />

Sträucher.<br />

Als der Morgen anbrach, machten sie sich mit vollen<br />

Taschen und Körben auf den Heimweg. Sie waren<br />

gerade ein Stück gegangen, da knackte es im Gebüsch<br />

und das Männlein aus der Heide stellte sich ihnen in<br />

den Weg. „Was hän ihr in eurem Körbli drin, Kinder?“,<br />

fragte das Männlein. Ängstlich erklärten die Kinder:<br />

„Es sind Beeri us em Moos.“ Da lachte das Männlein<br />

und sagte: „So, so, Beeri im Mondschii ’pflückt! Ich<br />

hab Hunger. Gebt mir au ebbis ab!“ Und weil die Kinder<br />

den Hunger kannten, hatten sie Mitleid mit ihm.<br />

Aber wie könnten sie ihm von den Beeren zu essen geben,<br />

da doch alle zu Stein geworden waren?<br />

Sie griffen trotzdem in ihre Taschen und als sie die<br />

Hände hervorholten, kullerten schwarzblaue Beeren<br />

66


ins Schnauztüchlein des Männleins. „Hmm, Beeri!“,<br />

schmatzte es und die Kinder schauten ungläubig zu,<br />

wie das Männlein die Beeren verputzte, die eben noch<br />

aus Stein gewesen waren. Sieben Mal verlangte das<br />

Männlein nach den Früchten und sieben Mal verwandelten<br />

sich die Juwelen in saftige Beeren. Doch die Taschen<br />

der Kinder wurden nicht leer und kein einziges<br />

Mal zögerten sie.<br />

„So isch es recht“, dankte das Männlein schließlich.<br />

„Den Rescht will ich euch lasse. Gehabt euch wohl mit<br />

eure Beeri! Schüsseli voll und Beckli voll und alli, alli<br />

zämme.“ Und kichernd verschwand es in die Sträucher<br />

so schnell, wie es gekommen war.<br />

Da liefen die Kinder eilig heim und mit jedem Schritt<br />

wurden ihre Taschen schwerer und schwerer. Als sie<br />

bei der Köhlerhütte ankamen, stand sie arg verkommen<br />

da. Drinnen saß ein alter Mann, in dem sie ihren<br />

Vater, den Köhler, erkannten. Da erfuhren die Kinder,<br />

dass inzwischen sieben Jahre vergangen waren und die<br />

67


Stiefmutter schon lange verstorben war. Der alte Köhler<br />

weinte vor Freude, als er seine Kinder wieder in den<br />

Armen hielt. Und als diese auch noch die Edelsteine<br />

aus den Taschen schütteten, konnten sie alle fortan<br />

glücklich leben, frei von aller Sorg’ und Not.<br />

68


Der Beeri-Ma a<br />

Der Beeri-Maa wird in verschiedenen Sagenbüchern als<br />

„neckischer Kerl“ im Albtal beschrieben. Er mache den<br />

Kindern beim Beerensammeln im Wald Angst, husche<br />

von Schlag zu Schlag und stibitze süße Früchte aus<br />

den Körben oder leere sie aus. Sind die Kinder außerhalb<br />

des Waldes vor ihm in Sicherheit, singen sie<br />

mutig ein Spottlied auf ihn:<br />

„Haldi, haldi Rööre,<br />

Mir chömet us de Beere.<br />

Der Beerimaa isch zue üs cho,<br />

Er het üs alli Beeri gno.<br />

Schüsseli voll und Beckli voll<br />

Und alli, alli zämme!“<br />

Heidelbeeren –<br />

Ein Genuss<br />

aus dem Schwarzwa ld<br />

Zu den Schwarzwälder Spezialitäten zählen<br />

nicht nur Schwarzwälder Schinken, Speckbrot<br />

und Kirschwasser, sondern auch Heidelbeerkuchen<br />

und Heidelbeerwein. Kaum sind im Schwarzwald<br />

die Heidelbeeren reif, stürmen Scharen von<br />

Sammlern in den Wald und pflücken die kleinen<br />

schwarzblauen Beeren.<br />

69


Da s Schwarze Gold<br />

Ab dem 15. Jahrhundert war das Handwerk der Köhlerei von großer<br />

Bedeutung für die Eisenschmieden und Hammerwerke im Rhein- und<br />

Wehratal – galt der Schwarzwald doch als größter Holzlieferant in<br />

Deutschland. Zur Gewinnung von einem Zentner Eisen brauchte man<br />

acht Kubikmeter Holz. Dafür lieferten die riesigen Wälder zwischen<br />

Todtmoos, Görwihl und St. Blasien das erforderliche Kohlholz. Das<br />

geschlagene Holz wurde zum Teil vor Ort verkohlt und die Kohle auf<br />

Kohlwegen ins Tal gekarrt. Die Eisenerze bezog man aus dem<br />

Klettgau und aus dem Aargau.<br />

Heidelbeer-Auen –<br />

Der Lebensr aum v om Auerwild<br />

Das Auerwild (auch: Auerhuhn) gilt als Charaktervogel des Schwarzwalds,<br />

auch wenn es heute sehr rar geworden ist. Zu seinem Lebensraum gehören<br />

u. a. Heidelbeerauen in Hochlagen ab 800 Meter über NN. In den lichten<br />

Auen und Wäldern gelangt mehr Sonnenlicht und Wärme bis auf die<br />

Waldböden, was den Wuchs der Heidelbeere als Nahrung und die Aufzucht<br />

der Jungtiere begünstigt. Jedes Jahr im Frühjahr werden die balzenden<br />

Auerhähne von Förstern und Jägern gezählt. Experten halten für das<br />

langfristige Überleben der scheuen Waldbewohner mindestens 300 Auerhähne<br />

für notwendig. Im südlichen Schwarzwald wurden im Frühjahr<br />

2016 auf einer Fläche von 45 000 Hektar 206 Auerhähne gezählt.<br />

Kuri os<br />

Als nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Treibstoff erhältlich war,<br />

wurden viele Lastwagen mit Holzvergasern ausgerüstet. Für die<br />

dafür notwendige Holzkohle legte der Ibacher Leopold Riehm<br />

(1900–1988), dessen Vater noch Köhler gewesen war, im Auftrag<br />

der Forstverwaltung einen Kohlenmeiler an. (Mündlich überliefert<br />

von Paul Eisenbeis, Heimatforscher aus Görwihl.)<br />

70


Ende eines<br />

t r adit i onellen<br />

Handwerks<br />

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts<br />

ging die Köhlerei zur Neige. Das<br />

große Eisenwerk in Albbruck<br />

mitsamt Hammerwerk (1681–<br />

1866) ging ein, als mit der neuen<br />

Eisenbahn billigere Eisenprodukte<br />

aus dem Ruhrgebiet Einzug<br />

hielten. In dem 998 Hektar<br />

großen Kirchspielwald zwischen<br />

Todtmoos und Görwihl stößt man<br />

immer noch auf viele ehemalige<br />

Kohlplätze. Als letzter Köhler der<br />

Region, der dieses Handwerk<br />

professionell ausübte, gilt Karl<br />

Frommherz (1861–1918) aus<br />

Hartschwand.<br />

Gelebt es<br />

Br auchtum<br />

Jährlich finden Ende Juli, Anfang<br />

August Kohlenmeilertage auf<br />

dem Waldsportplatz in Dachsberg-<br />

Wolpadingen statt. Die Dachsberger<br />

Brauchtumsköhler bauen<br />

aus 25 Ster Buchenholz einen<br />

Original-Schwarzwald-Rundmeiler<br />

auf, der kontrolliert verkohlt.<br />

Die Holzkohle wird im Rathaus<br />

Dachsberg verkauft.<br />

Ein ent behrungsrei ches Leben<br />

Die Kohlbrenner pflegten mit ihrem Handwerk kein beschauliches<br />

Brauchtum, sondern verrichteten eine harte, entsagungsvolle<br />

und gefährliche Arbeit in der Einsamkeit der Wälder. Rund 14 Tage<br />

schwelte ein Meiler, bis die Holzkohle ausgeglutet war. Der Köhler<br />

lebte in einer bescheidenen Hütte neben seinem Meiler, den er Tag und<br />

Nacht betreute. Er musste den Rauch stets auf seine Farbe beobachten<br />

und die Luftzufuhr entsprechend regulieren.<br />

71


Kennen Sie das Heidewiibli oder den Gaudihans<br />

mit der wüsten Schnöre? Und wer war der<br />

Moosteufel vom Murgtal? In über 30 originellen<br />

Erzählungen erweckt die Autorin historische<br />

Persönlichkeiten und Sagen des <strong>Hotzenwald</strong>s<br />

zum Leben. Dazu liefern Infoseiten erstaunliche<br />

und wissenswerte Fakten zu Land, Menschen,<br />

Tradition und Kultur geschichte aus über 800<br />

Jahren. Rund 80 zauber hafte Illustrationen und<br />

ein Stichwort verzeichnis runden das Werk ab.<br />

ISBN 978-3-7245-2419-9

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