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Soko Camping Textilfrei ins Jenseits

Tatort Campingplatz: Mit den Überresten von Maultaschen und Dosenravioli bekleckert kippt ein nackter Dauercamper vom Klappstuhl und haucht sein Leben aus. Die Urlauber sind entsetzt: Hat tatsächlich ein Giftmörder den Mann ins Jenseits befördert? Niemand ahnt, dass die beiden verdeckten Ermittler Rainer Sommer und Jennifer Reitmann längst als campendes Ehepaar getarnt auf der Lauer liegen. Konfrontiert mit illegalen Nudisten, dem mitunter befremdlichen Camperalltag und einem hochbrisanten Beziehungsgeflecht hängt der Haussegen im Faltcaravan der Kriminalbeamten manchmal allerdings ziemlich schief…

Tatort Campingplatz: Mit den Überresten von Maultaschen und Dosenravioli bekleckert kippt ein nackter Dauercamper vom Klappstuhl und haucht sein Leben aus. Die Urlauber sind entsetzt: Hat tatsächlich ein Giftmörder den Mann ins Jenseits befördert? Niemand ahnt, dass die beiden verdeckten Ermittler Rainer Sommer und Jennifer Reitmann längst als campendes Ehepaar getarnt auf der Lauer liegen. Konfrontiert mit illegalen Nudisten, dem mitunter befremdlichen Camperalltag und einem hochbrisanten Beziehungsgeflecht hängt der Haussegen im Faltcaravan der Kriminalbeamten manchmal allerdings ziemlich schief…

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Textilfrei ins Jenseits

Ein Krimi (nicht nur) für Camper

Von Angelika Wesner


Ungekürzte Taschenbuchauflage

Autorin und Herausgeberin: Angelika Wesner

ISBN 978-3-00-047768-3

1. Auflage: November 2014

Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen

Nachdrucks und der fotomechanischen Wiedergabe

sowie der Einspeicherung und Verarbeitung in

elektronischen Systemen

Umschlaggestaltung, Satz und Layout:

Angelika Wesner

Lektorat: Bettina Labs, Fröndenberg

Druck und Bindung:

Druckerei Bairle GmbH, Dischingen

Gartenzwerg Titelbild: www.zwergenpower.de

Kontakt: info@sokocamping.de

Home: www.sokocamping.de


In Erinnerung an unsere geliebte Cairnterrierhündin

Schobi, die ich in diesem Buch noch einmal ganz jung

werden lasse.

Geli Wesner


Wer ist die „SOKO Camping“?

Das Leben auf Campingplätzen

ist häufig »kriminell

komisch«, findet die

Schwäbisch Gmünder

Journalistin und Buchautorin

Angelika Wesner.

Selbst passionierte Camperin

beobachtet sie auf

ihren Reisen mit Faltcaravan

und Wohnmobil die

Nachbarn ganz genau.

Die Erlebnisse mit ihren

campenden Mitmenschen

sind für Wesner der Stoff,

aus dem die wahren Campingkomödien

geschrieben werden. In ihrem neuen

Buch »Textilfrei ins Jenseits« bilden tatsächlich erlebte

Begebenheiten und Begegnungen mit Dauercampern,

Reisemobilisten, Caravanfahrern und Zeltlern das humorvolle

Grundgerüst, um das sich eine spannende

Kriminalgeschichte rankt.

Angelika Wesner wurde 1968 in Stuttgart geboren und

wuchs, dank ihrer berliner Eltern, »bilingual« auf - das

heißt, sie spricht sowohl hochdeutsch als auch schwäbisch.

Mit ihrem Heimatdialekt, der im Stuttgarter

Raum so ganz anders klingt, als "auf dr Alb", fühlt sie

sich besonders verbunden. Seit einigen Jahren lebt sie

mit ihrer Familie auf dem Lande unweit von Schwäbisch

Gmünd.


Kapitel 1

Freitag, 24. Mai: Campingplatz Bergsicht,

irgendwo in Süddeutschland

»Du solltest weniger saufen!« Es war der letzte Gedanke,

der durch Ingmar Pichlers Hirn schoss, während

sein Körper langsam zur Seite kippte und mit einem

dumpfen Schlag vom Klappstuhl stürzte. Dass er sich

dabei den Kopf an der Ecke des Campingtisches anstieß,

bemerkte er schon nicht mehr. Er hatte bereits

seinen letzten Atemzug getan, bevor sein Leib im Vorzelt

des älteren Wohnwagens den Boden berührte und

dort leblos liegenblieb.

Gisela Mowinski kreischte gellend auf. Entsetzt stierte

die zierliche Endvierzigerin auf den kräftig gebauten

Mann, der ohne Vorwarnung soeben sein Leben ausgehaucht

hatte und nun in einer seltsam verrenkten

Pose, halb auf der Seite, halb auf dem Bauch, vor ihr

lag. Hektisch sprang sie auf und riss dabei den Klapptisch

um. Zwei Rotweingläser ergossen ihren Inhalt auf

Ingmar Pichlers Oberkörper. 6 Der Wein vermischte sich

auf dem Toten mit der restlichen Portion Ravioli, die

Pichler nicht mehr aufzuessen in der Lage gewesen war.

Ein Teelicht erlosch zischend auf seiner soßenfeuchten

Brust. Gisela Mowinski kniete neben dem Dahingegangenen

und tastete mit zitternden Fingern nach seiner

Halsschlagader. Ihre schmalen Hände verschmierten

dabei den rotbraunen Speisebrei. Ungeachtet der ganzen

Schweinerei aus Essensresten und Trollinger legte

sie ihr Ohr auf Pichlers Leib. Schluchzend flüsterte sie

immer wieder Ingmars Namen.

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Sie nahm nicht wahr, dass der Reißverschluss des

Vorzelteingangs langsam geöffnet wurde. Ein heller

Lichtstrahl drang in die Dunkelheit des Zeltes. Eine

groß gewachsene, schlanke Gestalt trat ein und erstarrte.

***

Sechs Tage zuvor, 18. Mai:

Um 3.40 Uhr startete Rainer Sommer am Samstagmorgen

vor Pfingsten mit seinem nagelneuen Faltcaravan

im Schlepp in die Ferien nach Südfrankreich.

Obwohl der Kriminalhauptkommissar zu einer derart

frühen Stunde normalerweise nicht denk- und lebensfähig

war, fühlte er sich ausgeschlafen und voller Tatendrang.

Zwei Wochen Urlaub! Endlich weg von all

den menschlichen Boshaftigkeiten, mit denen er sich

im Berufsalltag zu beschäftigen hatte. Die vergangenen

Monate waren anstrengend gewesen und Rainer fühlte

sich urlaubsreif.

Zufrieden warf er einen Blick in den Rückspiegel und

betrachtete seine beiden Kinder. Der achtjährige Adrian

und dessen zwei Jahre jüngere Schwester Mia saßen

hellwach auf dem Rücksitz. Noch waren sie gut gelaunt,

weil die Fahrt gerade erst begonnen hatte. Rainer

wusste, dass sich dies bald ändern würde. Während er

sein Gespann auf die Landstraße und weiter Richtung

Autobahn lenkte, grinste er seine Freundin Madeleine

auf dem Beifahrersitz an.

Es war die erste Reise, die sie gemeinsam unternahmen.

Ganz sicher war sich Rainer nicht, ob die Entscheidung

gut gewesen war, gleich seine zwei Kinder

aus erster Ehe mitzunehmen. Madeleine hatte in den

vergangenen sechs Monaten ihrer Beziehung zwar be‐

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wiesen, dass sie mit den beiden klarkam. Doch ein Wochenende

in Rainers Mietwohnung war etwas anderes

als zwei Wochen Zusammenleben in einem Faltcaravan.

Rainer runzelte die Stirn. Der Gedanke an das teure

Ding, das nun hinter seinem alten Volvo dahin rollte,

trieb ihm stets aufs Neue Sorgenfalten ins Gesicht.

Letztlich war es ja Madeleines Idee gewesen, dieses

Klappzelt im Anhänger gegen seinen winzigen Wohnwagen

einzutauschen, den er Ende des vergangenen

Sommers bei einem Preisausschreiben gewonnen hatte.

»Die Kinder habet doch überhaupt koin Platz«, hatte sie

ihn mit vernünftigen Argumenten zu überzeugen versucht.

»Kauf‘ dir lieber en gscheiten* Wohnwagen.« Der

begann allerdings in Madeleines Augen erst bei einer

Preisklasse von 15 000 Euro und mehr; mit Doppelund

Stockbetten, einem eleganten Küchenblock mit

großen Schubladen und einem Badezimmer. Aus Rainers

Sicht war das definitiv zu viel Geld für ein Spaßund

Freizeitobjekt.

Als die beiden im Januar auf der CMT, der bekannten

Camping- und Touristikmesse am Stuttgarter Flughafen,

auf einen Faltcaravan zu schlenderten, geriet Madeleine

völlig aus dem Häuschen. Begeistert warf sie

sich in die kuschelige Koje, die mit beigefarbenen Decken

und bunten Kissen einladend dekoriert war.

»Des wär doch was, Rainer!«, rief sie und hoppelte

probehalber auf dem Bett herum. »Da liegt mr voll bequem,

komm doch au mal nei und probier’s aus!«

*gscheit: Diese Bezeichnung wird von Schwaben

verwendet, um auf einen klugen Kopf hinzuweisen.

Im Schwabenland wird man grundsätzlich

erst mit 40 Jahren „gscheit“. Das Adjektiv

steht auch für qualitativ hochwertig (einen

gscheiten Wohnwagen), ordentlich („Hasch die

Kehrwoch au gscheit gmacht?“) oder heftig („des

tut fei gscheit weh!“).

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»Nee, lass mal«, brummte dieser nur. Skeptisch sah

er sich in dem wohnlich eingerichteten Zelt um. Genügend

Platz war ja durchaus vorhanden, musste er

sich eingestehen. Mit dem Tisch, vier Stühlen und einer

klappbaren Küchenzeile war tatsächlich alles da,

was man für ein komfortables Camperleben brauchte.

Trotzdem hatte Rainer seine Zweifel, ob so ein Klappzelt

das Richtige für ihn wäre. Wenn er nur das Preisschild

betrachtete, keimten in ihm massive Fluchtgedanken

auf. Doch Madeleine ließ nicht locker. Inzwischen war

sie aus der linken Koje herausgekrochen, um das rechte

Bett in Augenschein zu nehmen. »Links schlafet mir,

rechts die Kinder«, bestimmte sie und schien sich ihrer

Sache sicher zu sein.

Der freundliche Verkäufer hatte das Paar schon einige

Minuten lang beobachtet. Jetzt roch er Lunte und

zog alle Register, um Rainer und Madeleine die Vorzüge

dieses Campingfahrzeugs zu erläutern. Er ahnte, dass

es nicht leicht werden würde, den Mann dazu zu bringen,

am Schluss des Gespräches den Kaufvertrag zu

unterschreiben.

Madeleine schien seine Gedanken lesen zu können.

»Mich müsset Se net überzeuge. Haltet Se sich lieber an

den do«, erklärte sie mit kokettem Augenaufschlag und

boxte ihrem Freund den Ellenbogen in die Rippen.

Drei Stunden lang klebte der Verkäufer förmlich an

Rainer und dessen Freundin. Innerhalb weniger Minuten

sei der Faltcaravan aufgebaut, lobte er. Und ausgesprochen

spritsparend sei so ein Wagen. Schließlich

hänge es nicht wie eine Schrankwand an der Anhängerkupplung

und stemme sich gegen den Wind. Ein Argument,

das Rainer durchaus anerkennend zur Kenntnis

nahm. Er dachte an seinen altersschwachen Volvo. Im

vergangenen Jahr hatten ihn dienstliche Gründe gezwungen,

sein Heilix Blechle* vor einen siebeneinhalb

Meter langen Wohnwagen zu spannen. Die Nadel am

Tankanzeiger neigte sich damals mit jedem Kilometer

erschreckend schnell dem Leerstand entgegen.

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Inzwischen hatte die kleine Reisegesellschaft die Autobahn

erreicht und der Kriminalkommissar trat aufs

Gaspedal, bis die Tachonadel 110 anzeigte. Er war

froh, dass er beim Kauf des Faltcaravans doch auf die

100er-Zulassung bestanden hatte. Madeleine hatte

zwar Zweifel geäußert, ob diese zusätzliche Ausgabe

wirklich notwendig sei, doch das war Rainer gleich gewesen.

Schließlich bezahlte er die Rechnung.

Während er das Gespann durch die Morgendämmerung

steuerte, musste Rainer unweigerlich an den folgenschweren

Augenblick zurückdenken, als er auf der

Campingmesse in Stuttgart seine Unterschrift unter

den Kaufvertrag setzte. Die nächsten zwei Jahre würde

er mit jeder Monatsrate aufs Neue daran erinnert

werden, dass er mal eben 9000 Euro ausgegeben hatte.

Bis heute brachte der Gedanke an die Summe, die er

ein paar Wochen später bei der Fahrzeugübergabe auf

den Tisch des Händlers blätterte, seine Magensäfte zum

Kochen. Überhaupt schüttelte Rainer insgeheim noch

immer den Kopf, wenn er an diesen für ihn völlig untypischen

Spontankauf dachte.

»Letztlich habe ich es für meine beiden Kinder gemacht«,

versuchte er, sich die Tatsache schönzureden,

dass er dafür seinen Wohnwagen verkaufet hatte. In

dem kleinen Caravan war nur Platz für zwei Personen,

der »Falti« hingegen hatte zwei große Betten für vier. Es

war einfach eine Frage der Vernunft gewesen, sich für

ein familienfreundlicheres Fahrzeug zu entscheiden.

Dass er heute überhaupt als Camper mit seinen Kin‐

*Heilix Blechle (übersetzt: „Heiliges Blech“):

1.) Auto: Ein ordentlicher Schwabe fährt übrigens

nur Autos aus schwäbischer Produktion, vorwiegend

mit einem Stern auf der Motorhaube. Jeden

Samstag wird das „Heilix Blechle“ sorgfältig geputzt

und gewienert.

2.) Ausruf des Erstaunens, oft auch als Fluch verwendet.

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dern und seiner neuen Freundin unterwegs war, hätte

er sich noch vor einem Jahr nicht träumen lassen. Bis

vor einigen Monaten war Rainer noch ein überzeugter

Campinghasser gewesen. Doch seine Einstellung zu

dieser Urlaubsform hatte sich geändert, als er vor fast

genau zwölf Monaten dazu verdonnert worden war, in

einem Mordfall auf einem Campingplatz zu ermitteln:

Zusammen mit seiner attraktiven Kollegin Jennifer

Reitmann mischte er sich damals unter die Camper.

Als Ehepaar getarnt klärten die beiden Kriminalbeamten

den Mord an einem Unternehmensberater auf.

Sie waren sich bei diesem Einsatz durchaus näher

gekommen, wenngleich nicht so nahe, wie es sich Rainer

insgeheim gewünscht hatte. Nachdem der Fall abgeschlossen

war, kehrten Rainer und Jenny zum Alltag

zurück und hatten keinen privaten Kontakt mehr,

was Rainer zutiefst bedauerte. Das Glück in der Liebe

war ihm zwar nicht hold, wohl aber im Spiel: Bei einem

Preisausschreiben, auf das ihn ein Camper während

der Ermittlungen aufmerksam gemacht hatte, gewann

ausgerechnet Rainer den Hauptgewinn: Einen Wohnwagen

für zwei. Die im Frühjahr beiläufig ausgefüllte

Postkarte hatte der Kriminalbeamte längst vergessen,

als er im August das Glückwunschschreiben aus seinem

Briefkasten zog.

Ohne lange nachzudenken, hatte er damals sofort Jenny

angerufen. Obwohl sich die beiden nach Abschluss

der gemeinsamen Ermittlungen nur flüchtig im Treppenhaus

der Polizeidirektion Aalen begegnet waren,

hatte sie überraschend spontan reagiert. Ein paar Tage

später fuhr sie mit Rainer zum Caravan-Salon nach

Düsseldorf, um auf dieser in Campingkreisen sehr beliebten

Fachmesse den Wohnwagen abzuholen und

gleich anschließend auf Jungfernfahrt in die Niederlande

zu reisen.

Erneut drang ein Seufzer aus Rainers Brust. Er packte

das Lenkrad fester. Jenny! Er hatte sich während der

Ermittlungen in seine Kollegin verliebt. Sie war spon‐

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tan, humorvoll und sehr lebensfroh. Außerdem war sie

mit ihrer sportlichen Figur und den langen, braunen

Haaren exakt Rainers Typ. Er hätte schwören können,

dass sie in ihm auch mehr sah als nur einen Kollegen.

Zumindest während ihrer zweiwöchigen Wohnwagentour

hatte sie daran keinen Zweifel aufkommen lassen.

Rainer zwinkerte mit den Augen, als wolle er einen

Traum vertreiben. Er versuchte, seine Aufmerksamkeit

wieder auf die Straße zu lenken.

»Sag mal, hörsch Du mir eigentlich zu?« Madeleines

schrille Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen.

Einen Augenblick lang starrte er sie unverwandt an.

Das Traumbild der schönen Kollegin entschwand umgehend.

Damals waren Rainer und Jenny als Liebespaar

aus dem Urlaub zurückgekehrt. Doch kaum hatte

die beiden der Alltag im Polizeidienst wieder eingeholt,

machte Jenny kurzerhand Schluss. Sie wolle doch lieber

keine Beziehung mit einem Kollegen, hatte sie Rainer

bei einem Spaziergang erklärt, der eigentlich hätte

romantisch enden sollen.

Er hatte diese Trennung bis heute nicht überwunden.

Jedes Mal, wenn er ihr zufällig in der Polizeidirektion

über den Weg lief, war er anschließend tagelang niedergeschlagen.

Jenny hingegen schien die Zeit mit ihm als

kleine Episode längst abgehakt zu haben. Sie behandelte

ihn freundlich, wie man eben mit Kollegen umging

und schien nicht zu bemerken, wie sehr er darunter

litt.

Madeleine hatte er kurz vor Weihnachten über eine

Kontaktanzeige im Internet kennengelernt. Rainer

machte sich nichts vor: Er war 44, geschieden, hatte

zwei Kinder und war beruflich stark eingespannt. Noch

einmal eine Frau wie Jenny zu finden erschien ihm

ziemlich unrealistisch. An seinem Aussehen konnte das

zwar nicht liegen: Rainer hatte volles, dunkelblondes

Haar und ein markant geschnittenes Gesicht. Dank

einer Körpergröße von 1,85 Meter fiel sein leichter

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Bauchansatz kaum auf und da er am liebsten sportlich

geschnittene Hemden und Jeans trug, wirkte er

muskulös und schlank – zumindest im bekleideten

Zustand.

In einem Anflug von Torschlusspanik entschied er

sich also für Madeleine, 38 Jahre alt, Schwäbin, 1,70

Meter groß, mit einem Hang zu einer drallen, aber nicht

unattraktiven Figur. Ihr Intellekt war nicht übermäßig,

wie Rainer schnell feststellen musste. Aber sie wohnte

wie er in der Nähe von Aalen, war treu, kochte gut und

mochte seine beiden Kinder.

Leidenschaft – das hatte Rainer mit Jenny erlebt und

er war überzeugt, dass ihr keine andere Frau das Wasser

reichen konnte. Und so gab er sich mit dem zufrieden,

was ihm mit Madeleine widerfuhr. Innerlich musste

er sich allerdings eingestehen, dass die Erlebnisse

ziemlich hausbacken waren.

»Papa, ich muss ganz dringend Pipi«, jammerte Mia

auf der Rücksitzbank. Erneut schreckte Rainer auf.

»Ja, ja, ich schaue doch schon nach dem nächsten

Parkplatz«, beteuerte er.

»Ich hab‘ das jetzt schon mindestens eine Million Mal

gesagt!« Mia rutschte nervös in ihrem Kindersitz herum

und fügte weinerlich hinzu: »Ich mach gleich in die

Hose.« Madeleine musterte Rainer mit einem erbosten

Blick. »Wo bisch denn mit deinem Kopf? I brauch au

dringend a Päusle, aber du fährsch ja wie im Delirium

und nimmsch uns gar net wahr!«

»Tschuldigung«, murmelte Rainer zerknirscht. Dann

hellte sich seine Miene auf. »Noch 1000 Meter bis zum

nächsten Parkplatz«, ermunterte er seine Mitfahrer und

deutete auf ein Verkehrsschild am Straßenrand.

»1000 Meter!«, Mia war fassungslos. »Das schaff‘ ich

nicht mehr.«

Rainer fuhr herum und brüllte: »Wage es ja nicht,

jetzt hier ‘reinzupinkeln! Wir sind gleich da!«

Schmollend sackte Mia in ihren Kindersitz zurück.

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***

Freitag, 24. Mai, auf dem Campingplatz Bergsicht:

»Was ist hier los?«, donnerte Norbert Mowinski. Der

große und ziemlich dürre Mann mit schütteren, über

den Schädel gekämmten Haarsträhnen löste sich aus

seiner Erstarrung, die ihn beim Betreten seines Vorzeltes

überfallen hatte. Erschüttert blickte er auf die

beiden Menschen, die regungslos auf dem Boden lagen.

Im Zwielicht konnte er kaum erkennen, um wen es sich

genau handelte.

Entschlossen holte er eine Taschenlampe aus dem

Küchenschrank, der gleich neben dem Eingang stand.

Gisela Mowinski hob den Kopf und blinzelte in den grellen

Lichtstrahl. Ihr kreidebleiches Gesicht sah aus, als

sei es blutüberströmt. Das blonde, halblange Haar, das

sie normalerweise elegant frisiert zu tragen pflegte, hing

in wilden Zotteln vom Kopf herab. Sie schluchzte hysterisch

und starrte Norbert Mowinski mit einem Blick an,

der dem Wahnsinn ziemlich nahe war. Entsetzt stellte

er fest, dass sowohl seine Ehefrau als auch der Leblose,

den er als Ingmar Pichler identifizierte, von Kopf bis

Fuß mit Blut besudelt zu sein schienen.

Er fingerte sein Handy aus einem Brustbeutel und

tippte mit fahrigen Bewegungen die Notrufnummer ein.

»Hallo?«, schrie er ins Telefon. »Kommen Sie schnell

zum Campingplatz Bergsicht! Hier liegt ein Toter!« Als

hätte er ihr damit ein Stichwort gegeben, verfiel Gisela

Mowinski in einen Schreikrampf. Sie robbte von dem

reglosen Pichler zu ihrem Gatten, umschlang seine Beine

und beschmierte sie mit rotbraunen Flecken. »Er ist

nicht tot«, kreischte sie mit sich überschlagender Stim‐

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me. »Das kann nicht sein! Ingmar ist nicht tot!« Norbert

Mowinski blickte auf seine Frau hinab. Seine Gefühle

schwankten zwischen Erschütterung und Ekel. »Meine

Güte, nun reiß‘ dich endlich zusammen«, fuhr er sie an.

»Hör sofort auf mit dem Geheule!«

»Wie bitte?«, tönte eine männliche Stimme aus dem

Telefon. Mowinski versuchte, sich wieder auf das Telefongespräch

zu konzentrieren. »Verzeihung«, rief er

in den Hörer. Er räusperte sich und sprach mit lauter

Stimme: »Ein Toter und meine völlig hysterische Frau

liegen hier auf dem Boden. Hier scheint überall Blut

zu sein. Ich weiß nicht, was passiert ist. Kommen Sie

rasch.«

Hastig gab er dem Mitarbeiter in der Notrufzentrale

die Adresse des Campingplatzes »Bergsicht« und seine

Parzellennummer durch. Anschließend rief er den

Platzwart des Campingplatzes, Bodo Rathke, an.

»Mach‘ die Schranke auf, gleich kommt ein Krankenwagen«,

brüllte Mowinski in sein Telefon und trennte

die Verbindung, ohne eine Antwort abzuwarten. Er

beugte sich zu seiner weinenden Frau, die sich auf dem

Boden wie ein Embryo zusammen gerollt hatte und leise

wimmerte.

***

Der Notarzt schüttelte den Kopf. »Exitus«, sagte er

leise. »Da kann ich nichts mehr machen.« Routiniert

packte er seine Utensilien in die Taschen, stand auf

und wandte sich an die beiden Polizeibeamten, die

kurz nach seiner Ankunft ebenfalls auf dem Campingplatz

»Bergsicht« eingetroffen waren. »Man sollte seinen

Hausarzt anrufen, damit er die Sterbeurkunde ausstellt.

Soll ich das erledigen, oder machen Sie das?«

»Lassen Sie nur, wir kümmern uns darum«, antwor‐

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tete Achim Laubenberger. Angewidert musterte der

junge Polizeimeister eine undefinierbare Masse, die am

Jackenärmel des Arztes pappte. Mit spitzen Fingern

klaubte er das rotbraune Zeug ab. Er war froh, dass er

vorsorglich noch ein Paar Einweghandschuhe aus dem

Streifenwagen mitgenommen hatte, bevor er an jenem

Ort eintraf, an dem nach Angaben des Anrufers in der

Notrufzentrale eine Bluttat begangen worden war.

»Verblutet ist der Mann jedenfalls nicht«, stellte der

Polizeibeamte fest. Er betrachtete Gisela Mowinski, die

teilnahmslos auf einem Campingstuhl saß. Sie hatte

eine Wolldecke um ihren zierlichen Leib gewickelt und

starrte mit glasigen Augen auf Ingmar Pichler. Inzwischen

hatte der Schock sie vollkommen übermannt.

Schlotternd vor Kälte hockte sie da. Ihre Zähne klapperten

leise, obwohl sie krampfhaft versuchte, sich

zusammenzureißen. Mit einem zerknüllten Papiertaschentuch

strich sie sich über ihre Lippen.

»Was haben Sie denn gegessen, bevor das«, Achim

Laubenberger deutete mit dem Kinn auf den Toten neben

dem umgestürzten Tisch, »passiert ist? Ich dachte

ja zuerst, das wären Ravioli. Aber hier handelt es sich

offensichtlich um eine Maultasche*.«

Gisela nickte zaghaft. »Die habe ich zu den Ravioli in

den Topf getan«, flüsterte sie. »Der Ingmar hat doch immer

großen Appetit, da reicht eine Dose nicht aus.«

Achim Laubenberger dachte sich seinen Teil. In den

Augen des 25-jährigen Polizeibeamten mit dem lässi‐

*Maultaschen sind ist ein schwäbisches Traditionsgericht

aus Nudelteig, der mit einer Mischung

aus Hackfleisch, Kalbsbrät, Spinat, eingeweichtem

Brötchen, Zwiebeln und Speck gefüllt und zu

einer viereckigen Tasche geformt wird. Maultaschen

werden klassisch in der Brühe erwärmt,

dazu werden Kartoffelsalat und gebratene Zwiebeln

gereicht. Sie können auch in der Pfanne mit

verquirltem Ei zubereitet werden.

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gen Dreitagebart war es ein kulinarischer Frevel, Ravioli

und Maultaschen zu vermischen. Nicht einmal als

Fertiggericht. Das schwäbische Traditionsessen durfte

sich allenfalls mit Kartoffelsalat vermengen. Am besten

mit gebratenen Zwiebeln darauf und reichlich Soße darüber.

»Sie sind keine Schwaben, gell?«, entfuhr es ihm

prompt.

»Pscht«, zischte sein Kollege Georg Mangold und

schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Jetzt halt doch dei

Gosch* und schwätz net so raus! Des isch doch voll

danäba!«

Gisela Mowinski schien jedoch die Bemerkung des

jüngeren Polizisten gar nicht registriert zu haben. Ihre

Hände bebten, als sie das Taschentuch zu glätten versuchte.

»Wissen Sie, ob Maultaschen oder Ravioli, das ist

doch einerlei. Hauptsache, man hat was Warmes im

Magen«, wisperte sie und wieder füllten sich ihre Augen

mit Tränen.

»Genau genommen isch es eh wurscht, ob man die

italienische oder die schwäbische Fleischtasche frisst«,

warf Georg Mangold ein und hielt sich dabei den recht

ansehnlichen Bauch, der sich unter seiner Uniform

wölbte. »Letztlich sind beides Herrgottsb'scheißerle*,

gell Achim?« Er lachte schallend über seinen Witz und

schlug seinem Kollegen die Pranke auf die Schulter.

*Halt dei Gosch: Klar formulierte Aufforderung,

sofort still zu sein.

*Herrgottsb'scheißerle: Der Legende nach

sollen Mönche des schwäbischen Zisterzienserklosters

Maulbronn dereinst ihre Maultaschen in

der Fastenzeit nicht brav und gottgefällig mit Spinat,

Kräutern und Gemüse, sondern mit Fleisch

gefüllt haben. Sie hofften, durch die Tarnung im

Nudelteig ihren sündigen Genuss vor den Augen

des Herrn verbergen zu können.

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Angesichts des eisigen Blickes, den Norbert Mowinski

dem jüngeren Polizeibeamten und dessen 20 Jahre älteren

Kollegen zu warf, schluckte Georg Mangold seine

gute Laune jedoch rasch hinunter und bemühte sich

um ein ernstes Gesicht. »Entschuldiget Sie bitte«, raunte

er und hüstelte hinter vorgehaltener Hand.

»Meine Herren, ich finde Ihr Benehmen reichlich befremdlich«,

setzte Norbert Mowinski an und knotete den

Gürtel seines grau-grün gestreiften Frotteebademantels

enger. »Hier liegt ein Mensch in seinem Blut…«

»Naja«, unterbrach Achim Laubenberger und legte die

Maultasche vorsichtig auf den Boden.

»Gut, Sie haben Recht, kein Blut«, räumte Mowinski

ein. Dann wurde seine Stimme laut. »Aber ein Mann ist

plötzlich zu Tode gekommen, möglicherweise handelt

es sich hier um ein Gewaltverbrechen!«

Georg Mangold räusperte sich. »Also, für mich sieht

des aus wie en plötzlicher Herztod. Oder glaubet Sie,

Ihr Frau hätt ebbes mit dem Ableben des Herrn Pichler

zu tun?«

»Nein, nein, natürlich nicht«, beeilte sich Mowinski

mit einer Antwort. »Aber in letzter Zeit sind hier immer

wieder Leute völlig überraschend vom Stuhl gefallen

und lagen dann eine Weile ohnmächtig da. Unser guter

Ingmar stürzt vom Stuhl und verliert nicht nur sein

Bewusstsein, sondern gleich sein Leben. Meinen Sie

nicht, dass es einen Zusammenhang geben könnte?«

Achim Laubenberger und Georg Mangold wurden

plötzlich ernst. »Sind die Fälle bei uns angezeigt worden?«,

hakte der junge Polizeibeamte nach.

»Soviel ich weiß, nicht«, antwortete Norbert und

tauschte mit seiner Frau einen Blick. »Die betreffenden

Personen wurden zu Bett gebracht, damit sie ihren

Rausch ausschlafen konnten.«

Georg Mangold zog einen Notizblock und einen Bleistift

aus der oberen Tasche seiner Dienstjacke. »Sie wollen

damit sage, die Personen hättet übermäßig alkoholische

Getränke konsumiert?« Durch seinen mühsamen

17


Versuch, die schwäbische Mundart zu unterdrücken,

wirkte seine Aussprache seltsam gestelzt. »Wie oft ischt

das passiert?«

Gisela Mowinski wickelte die Decke fester um sich.

Sie schniefte und wischte sich mit dem Handrücken

über Nase und Mund, was bei ihrem Gemahl ein missbilligendes

Kopfschütteln auslöste. »Vier, fünf Mal vielleicht«,

nuschelte sie.

»Können Sie uns die Namen nennen?«, warf Achim

Laubenberger ein.

Norbert Mowinski räusperte sich und schaute verdrießlich

zu Boden. Dann sah er seine Frau an. Ein

flehender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Giselas

versteinerte Miene entspannte sich für einen Moment.

»Einen Namen kann ich Ihnen sofort sagen«, erklärte

sie und deutete triumphierend auf ihren Ehemann.

»Norbert hat’s vor drei Wochen erwischt.« Ihr plötzliches

Lächeln zeigte keine Spur von Mitleid. Norbert Mowinski

sah in diesem Augenblick so aus, als wolle er sich

unter seinem Wohnwagen verstecken.

»Soso«, antwortete Georg Mangold und notierte den

Namen in seinen Block. Dabei zog er seine Mundwinkel

nach unten, um ein Grinsen zu verbergen. Abwartend

sah er erst Gisela, dann Norbert Mowinski an. »Sonscht

noch wer?«

»Ich kann mich an keine weiteren Details erinnern.

Wir haben das nur so vom Hörensagen mitbekommen«,

erklärte Mowinski. »Wenden Sie sich doch an den Platzwart,

der weiß sicherlich mehr.« Mit einer galanten Geste

trat er auf seine Frau zu, um ihr vom Stuhl aufzuhelfen.

»Und jetzt möchte ich Sie bitten, zu gehen. Ich

hoffe, unser verstorbener Freund wird in Kürze abgeholt.

Meine Frau braucht dringend etwas Ruhe.«

»Scho Recht«, brummte Georg Mangold, während er

seinen Schreibblock zuklappte und in der Jackentasche

verstaute.

Ȁhm, sollten wir nicht vorsichtshalber doch noch die

Spurensicherung anrufen?«, mischte sich Achim Lau

18


benberger in die allgemeine Aufbruchstimmung ein.

»Ich meine, wenn das hier keine natürliche Todesursache

ist, dann sollten doch die Kollegen von der Kripo…«

»Auf keinen Fall!«, rief Norbert Mowinski. »Der Leichnam

muss umgehend aus meinem Vorzelt entfernt werden.

Keine weitere Polizei, wenn ich bitten darf.«

Laubenberger und Mangold sahen sich kurz an. Mangold

zuckte mit den Schultern und hob beschwichtigend

die Hand.

»Tut mir leid, aber mir müsset unsre Pflicht do. Wo

der Kollege Recht hot, hot er Recht. I ruf die Kripo.«

Er tippte eine Nummer in sein Handy. Während er bedächtig

dem Freizeichen lauschte, brummelte er: »Sei’s

drum, no kommt er halt erscht in d‘Rechtsmedizin. Do

werdet mir bald erfahre, was passiert isch.«

Plötzlich nahm er Haltung an. »Ja Kollege, hier isch

Mangold vom Polizeiposchte«. Seine Stimme wurde lauter.

»Mir sind vom Revier zum Campingplatz Bergsicht

gschickt worda, weil hier en Toter liegt. I denk, ‘s wär

besser, wenn der KDD* mal vorbeikomme tät. Und en

Kriminaltechniker wär au net schlecht.«

Nachdem er dem Polizeiführer vom Dienst, im Polizeijargon

kurz PvD genannt, die Umstände des Todes

von Ingmar Pichler berichtet hatte, wanderte Mangolds

nachdenklicher Blick über den Toten neben dem umgestürzten

Campingtisch. »Ob des noch en Sinn macht,

wenn die KT** kommt, wag i zu bezweifle. Hier gibt’s eh

koine gscheite Spure mehr. Wo mir doch überall dohanna

romdappt* send.« Sein Blick wurde plötzlich streng.

»Also, Leut, nix mehr anfasse. Am beschte, alle

*KDD: Kriminaldauerdienst. Der Fachjargon

der Polizei zeichnet sich durch eine Vielzahl von

Abkürzungen aus. Wer nicht direkt dieser Berufsgruppe

angehört (zum Beispiel, weil er sich

eingeheiratet hat) benötigt Jahre, um all die Abkürzungen

zu verstehen.

**KT: Kriminaltechnik

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verlasset jetzt sofort den Raum.« Norbert Mowinski bebte

vor Zorn. »Nichts da, ich verlasse mein Heim ebenso

wenig wie meine Frau!« Energisch schob er Gisela zur

Wohnwagentüre. Beinahe stolperte sie über den ausgestreckten

Arm von Ingmar Pichler. Die Wolldecke fiel zu

Boden. Achim Laubenberger bekam große Augen.

Rasch hob Norbert Mowinski die Decke auf und legte

sie um seine Frau. »Geh‘ doch schon mal hinein, Liebling,

und lege dich ein wenig hin. Ich sorge dafür, dass

hier gleich Ruhe herrscht«, raunte er in ihr Ohr. Gehorsam

verschwand Gisela Mowinski im Wohnwagen.

Wütend baute er sich vor Achim Laubenberger auf.

»Was gibt es da zu glotzen?«, schrie er den Polizisten an.

»Jetzt machet Se mal halblang, gell, Herr Mowinski«,

erwiderte Georg Mangold. Er packte den Camper am

Handgelenk und zog ihn zum Ausgang. »Ihr Frau soll

von mir aus im Wohnwage bleibe, aber Sie kommet jetzt

fei mit uns nach drauße.«

Mit Mowinski im Schlepptau trat der Beamte hinaus

und atmete die kühle Nachtluft ein. Der Campingplatz

schien wie ausgestorben. Alle Urlauber und Dauergäste

hatten sich in ihre Wohnwagen und Wohnmobile zurückgezogen.

Nach der ersten Aufregung beim Eintreffen

des Krankenwagens und der Polizei waren die Neugierigen

schnell wieder verschwunden. Offenbar wollte

keiner zu viel mit dem Ereignis in Ehepaar Mowinskis

Vorzelt zu tun haben.

Und er, Mangold, hatte jetzt eigentlich auch genug

von dieser Geschichte. Er sah auf die Uhr: Es war kurz

nach 22 Uhr. Höchste Zeit, dass die Kollegen von der

Kripo ihn ablösten und er eine kleine Stärkung zu sich

nehmen konnte, fand er. Die Nachtschicht war noch

lang. Ungeduldig blickte er zurück. Wo blieb schon wieder

sein Kollege? Diese jungen Kerle waren immer so

überengagiert, wenn sie frisch von der Polizeischule ka‐

*dohanna romdappt: hier herum gelaufen

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men! »Jetzt komm halt endlich«, drängte er. »Mir solltet

net drinne sei, wenn die Kollege von der KT kommet. Du

woisch doch, was für Grifflschbitzer* die send.«

»Ja, warte kurz«, entgegnete Achim, der sich abrupt

noch einmal umdrehte und an die Wohnwagentüre

trat. »Eine Frage noch, Frau Mowinski!«, rief er in den

dunklen Caravan hinein.

»Was gibt es denn jetzt noch?«, polterte Norbert Mowinski

von draußen.

Achim Laubenberger ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken.

»Entschuldigen Sie bitte meine Indiskretion,

Frau Mowinski, aber warum sind Sie, Ihr Mann und

Herr Pichler eigentlich nackt?«

***

Zurück zum 18. Mai, in Rainer Sommers Auto:

»Meine Damen und Herren, wir überqueren jetzt die

Schweizer Grenze!« Rainers Stimme klang feierlich, als

er sein Gespann am Grenzübergang zwischen Österreich

und der Schweiz abbremste.

Noch immer hüpfte sein Herz vor Freude, denn er hatte

kurz vor der Reise herausgefunden, dass der Autobahntransit

von Bregenz nach Dornbirn für den kurzen

Autobahnabschnitt in Österreich nur zwei Euro kostete.

In der Vergangenheit hatte der Kriminalbeamte bei

den Österreichern stets ein Zehn-Tages-Pickerl für acht

Euro erstanden und sich nach zwei Wochen Ferien auf

der Rückreise geärgert, für dasselbe Geld erneut eine

Vignette kaufen zu müssen. Da er die »Pickerl« gerne

*Grifflschbitzer: (übersetzt: Bleistiftspitzer) –

übergenauer und kleinlicher Mensch, Pedant.

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