ZAP-2020-05

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Fach 11 R, Seite 1062 Rechtsprechungsübersicht – 2. Hj. 2019 Rechtsprechung IV. Ehegattenunterhalt 1. Trennungsunterhalt und Karrieresprung Die für die Bemessung des trennungsunterhaltsrechtlichen Bedarfs bestimmenden Lebensverhältnisse (§ 1361 Abs. 1 S. 1 BGB) bemessen sich primär nach den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und werden grds. durch die Umstände bestimmt, die nachhaltig bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eintreten (vgl. BGH FamRZ 2012, 281). Nach allgemeiner Auffassung prägen jedoch trennungsbedingte Veränderungen des Einkommens, die auf einer unerwarteten und vom Normalfall erheblich abweichenden Entwicklung beruhen, die ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr. Wie für den nachehelichen Unterhalt grds. der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung von Bedeutung ist, ist für den Trennungsunterhalt der Zeitpunkt der Trennung ausschlaggebend. Nur die im jeweiligen Zeitpunkt bereits angelegten Veränderungen sind beachtlich. Beim nachehelichen Unterhalt ist anerkannt, dass bei einem sog. Karrieresprung nach der Trennung das Einkommen nicht mehr prägend ist (vgl. BGH FamRZ 2016, 199). Das OLG Brandenburg (NJW 2019, 2482) stellt heraus, dass die zum nachehelichen Unterhalt entwickelten Grundsätze auch bereits für die Dauer des Getrenntlebens gelten. Ein Karrieresprung, der bei der Berechnung des Trennungsunterhalts unberücksichtigt zu bleiben hat, liegt vor, wenn nach der Trennung bis zur Rechtskraft der Scheidung das Einkommen eines Ehegatten eine unerwartete, vom Normalfall erheblich abweichende Entwicklung genommen hat. Hierfür sprechen etwa eine Bewerbung für eine neue, verantwortungsvollere Tätigkeit erst nach der Trennung, neue Aufgabenbereiche, veränderte Einkommensstrukturen und eine unerwartete Berufung in die Geschäftsleitung. 2. Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen ergibt sich aus seinen Einkünften abzüglich eines ihm zu belassenen Selbstbehalts. Dem Unterhaltspflichtigen muss jedenfalls der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialrechtlichen Grundsätzen sicherstellt. In der Vergangenheit differenzierten die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der OLG zu einem Teil beim eheangemessenen Selbstbehalt nicht zwischen dem eines Erwerbstätigen und eines Nichterwerbstätigen. Überwiegend wurde jedoch i.R.d. Leistungsfähigkeit die Erwerbstätigkeit honoriert, entsprechend bei der Bedarfsbemessung durch den Erwerbstätigenbonus. Der BGH (MDR 2019, 1451) hat betont, dass die Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts Aufgabe des Tatrichters ist. Hierbei sind die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, die sich insb. aus dem Wesen der Unterhaltspflicht ergeben. Dabei ist dem Tatrichter nicht verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung gebieten. Dabei kann auch eine Differenzierung zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen erfolgen. Hinweis: Seit dem 1.1.2020 werden wohl allgemein die Richtwerte der Düsseldorfer Tabelle mit 1.180 € für den Nichterwerbstätigen und mit 1.280 € für den Erwerbstätigen berücksichtigt. 3. Bedarfsermittlung und Familieneinkommen In einer Entscheidung zum Aufstockungsunterhalt des geschiedenen Ehegatten erläutert der BGH (FamRZ 2020, 21 = NJW 2019, 3570 m. Bespr. BORN, NJW 2019, 3555 = FuR 2020, 38) mehrere Aspekte: a) Stichtagsprinzip Der Unterhaltsbedarf eines geschiedenen Ehegatten richtet sich gem. § 1578 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung (vgl. oben IV 1). Nacheheliche Entwicklungen wirken sich auf den Bedarf nur aus, wenn ein ehelicher Anknüpfungspunkt vorhanden ist (vgl. BVerfG NJW 2011, 836; BGH FamRZ 2014, 1183). Für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten ist ausnahmsweise die Unterhaltsplicht gegenüber einem neuen Ehegatten zu berücksichtigen, wenn sie bereits die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat. Dies ist der Fall, wenn bereits ein Anspruch der späteren Ehefrau auf Betreuungsunterhalt gem. § 1615l BGB bestand. 262 ZAP Nr. 5 4.3.2020

Rechtsprechung Fach 11 R, Seite 1063 Rechtsprechungsübersicht – 2. Hj. 2019 b) Bemessungsumstände • Nach § 1573 Abs. 1 und 2 BGB kann der geschiedene Ehegatte Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Tätigkeit zu finden vermag. Ihm obliegt eine angemessene Tätigkeit i.S.v. § 1574 Abs. 2 BGB. Die Beurteilung hängt von einer Gesamtwürdigung der in Betracht zu ziehenden Umstände ab. Bei Verletzung der Obliegenheit sind die erzielbaren Einkünfte fiktiv zuzurechnen. • Wenn der Unterhaltspflichtige eine unterhaltsrechtlich anzuerkennende zusätzliche Altersvorsorge betreibt, ist es geboten, dies auch dem Unterhaltsberechtigten durch eine entsprechende Erhöhung des Altersvorsorgeunterhalts zu ermöglichen. c) Quotenberechnung oder konkreter Bedarf Die Berechnung des Unterhalts mit der 3 / 7-Quote des anrechenbaren Einkommens geht davon aus, dass das gesamte Einkommen für Konsumzwecke verbraucht wird. Bei sehr hohem Einkommen ist dies nicht der Fall, und es kommt eine konkrete Bedarfsberechnung in Betracht. Als Familieneinkommen ist dabei das Einkommen anzusehen, das für den ehelichen Lebensbedarf der beiden Ehegatten zur Verfügung steht und damit insoweit unterhaltsrelevant ist. Seit der Entscheidung des BGH (FamRZ 2018, 260 = NJW 2018, 468) zur „Schallgrenze“ kann davon ausgegangen werden, dass bis zur Höhe des Doppelten des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle das Familieneinkommen dem Konsum dient. Der BGH betont, dass in diesem Fall ohne Darlegung der konkreten Einkommensverwendung der Unterhaltsbedarf nach der Einkommensquote bemessen werden kann. Soweit das Einkommen darüber hinausgeht, hat der Unterhaltsberechtigte, wenn er dennoch Unterhalt nach der Quotenmethode begehrt, die entsprechende Verwendung des Einkommens für den Lebensbedarf darzulegen und im Fall des Bestreitens in vollem Umfang zu beweisen. 4. Herabsetzung und Befristung Nach den im Gesetz näher umschriebenen Billigkeitsvoraussetzungen kann der nacheheliche Unterhalt zeitlich begrenzt (§ 1578b Abs. 2 BGB) oder/und auf den angemessenen Lebensbedarf herabgesetzt (§ 1578b Abs. 1 BGB) werden. Der BGH legt dar, dass für eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts insb. zu berücksichtigen ist, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, aber auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Wesentliche Aspekte sind hierfür neben der Dauer der Ehe insb. die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Für eine Herabsetzung bildet der angemessene Lebensbedarf den Maßstab. Er bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Er muss aber jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen. Der Unterhaltspflichtige, der sich auf eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts beruft, trägt hinsichtlich der hierfür sprechenden Tatsachen die Darlegungs- und Beweislast. Hinweis: Eine Kompensation der ehebedingten Nachteile durch den Versorgungsausgleich kommt nur bei dessen vollständiger Durchführung in Betracht. V. Ehegüterrecht/Familienvermögensrecht 1. Wegfall der Geschäftsgrundlage einer Schenkung der Schwiegereltern Nach der Geschäftsverteilung des BGH sind für die vergleichbaren Sachverhalte des Bestands einer Schenkung der Schwiegereltern nach Scheitern der Ehe oder einer partnerschaftlichen Beziehung ihres ZAP Nr. 5 4.3.2020 263

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Rechtsprechungsübersicht – 2. Hj. 2019<br />

Rechtsprechung<br />

IV.<br />

Ehegattenunterhalt<br />

1. Trennungsunterhalt und Karrieresprung<br />

Die für die Bemessung des trennungsunterhaltsrechtlichen Bedarfs bestimmenden Lebensverhältnisse<br />

(§ 1361 Abs. 1 S. 1 BGB) bemessen sich primär nach den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen<br />

und werden grds. durch die Umstände bestimmt, die nachhaltig bis zur Rechtskraft der<br />

Ehescheidung eintreten (vgl. BGH FamRZ 2012, 281). Nach allgemeiner Auffassung prägen jedoch<br />

trennungsbedingte Veränderungen des Einkommens, die auf einer unerwarteten und vom Normalfall<br />

erheblich abweichenden Entwicklung beruhen, die ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr. Wie für<br />

den nachehelichen Unterhalt grds. der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung von Bedeutung ist, ist<br />

für den Trennungsunterhalt der Zeitpunkt der Trennung ausschlaggebend. Nur die im jeweiligen<br />

Zeitpunkt bereits angelegten Veränderungen sind beachtlich. Beim nachehelichen Unterhalt ist<br />

anerkannt, dass bei einem sog. Karrieresprung nach der Trennung das Einkommen nicht mehr<br />

prägend ist (vgl. BGH FamRZ 2016, 199). Das OLG Brandenburg (NJW 2019, 2482) stellt heraus, dass die<br />

zum nachehelichen Unterhalt entwickelten Grundsätze auch bereits für die Dauer des Getrenntlebens<br />

gelten. Ein Karrieresprung, der bei der Berechnung des Trennungsunterhalts unberücksichtigt zu<br />

bleiben hat, liegt vor, wenn nach der Trennung bis zur Rechtskraft der Scheidung das Einkommen<br />

eines Ehegatten eine unerwartete, vom Normalfall erheblich abweichende Entwicklung genommen<br />

hat. Hierfür sprechen etwa eine Bewerbung für eine neue, verantwortungsvollere Tätigkeit erst nach<br />

der Trennung, neue Aufgabenbereiche, veränderte Einkommensstrukturen und eine unerwartete<br />

Berufung in die Geschäftsleitung.<br />

2. Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts<br />

Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen ergibt sich aus seinen Einkünften abzüglich eines ihm<br />

zu belassenen Selbstbehalts. Dem Unterhaltspflichtigen muss jedenfalls der Betrag verbleiben, der<br />

seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialrechtlichen Grundsätzen sicherstellt. In der Vergangenheit<br />

differenzierten die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der OLG zu einem Teil beim eheangemessenen<br />

Selbstbehalt nicht zwischen dem eines Erwerbstätigen und eines Nichterwerbstätigen. Überwiegend<br />

wurde jedoch i.R.d. Leistungsfähigkeit die Erwerbstätigkeit honoriert, entsprechend bei der Bedarfsbemessung<br />

durch den Erwerbstätigenbonus. Der BGH (MDR 2019, 1451) hat betont, dass die Bemessung<br />

des eheangemessenen Selbstbehalts Aufgabe des Tatrichters ist. Hierbei sind die gesetzlichen Vorgaben<br />

zu beachten, die sich insb. aus dem Wesen der Unterhaltspflicht ergeben. Dabei ist dem Tatrichter nicht<br />

verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere<br />

Umstände eine Abweichung gebieten. Dabei kann auch eine Differenzierung zwischen erwerbstätigen<br />

und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen erfolgen.<br />

Hinweis:<br />

Seit dem 1.1.<strong>2020</strong> werden wohl allgemein die Richtwerte der Düsseldorfer Tabelle mit 1.180 € für den<br />

Nichterwerbstätigen und mit 1.280 € für den Erwerbstätigen berücksichtigt.<br />

3. Bedarfsermittlung und Familieneinkommen<br />

In einer Entscheidung zum Aufstockungsunterhalt des geschiedenen Ehegatten erläutert der BGH<br />

(FamRZ <strong>2020</strong>, 21 = NJW 2019, 3570 m. Bespr. BORN, NJW 2019, 3555 = FuR <strong>2020</strong>, 38) mehrere Aspekte:<br />

a) Stichtagsprinzip<br />

Der Unterhaltsbedarf eines geschiedenen Ehegatten richtet sich gem. § 1578 BGB nach den ehelichen<br />

Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung (vgl. oben IV 1). Nacheheliche Entwicklungen wirken<br />

sich auf den Bedarf nur aus, wenn ein ehelicher Anknüpfungspunkt vorhanden ist (vgl. BVerfG NJW 2011,<br />

836; BGH FamRZ 2014, 1183). Für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten ist<br />

ausnahmsweise die Unterhaltsplicht gegenüber einem neuen Ehegatten zu berücksichtigen, wenn sie<br />

bereits die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat. Dies ist der Fall, wenn bereits ein Anspruch der<br />

späteren Ehefrau auf Betreuungsunterhalt gem. § 1615l BGB bestand.<br />

262 <strong>ZAP</strong> Nr. 5 4.3.<strong>2020</strong>

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