ZAP-2020-05

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Fach 11 R, Seite 1054 Rechtsprechungsübersicht – 2. Hj. 2019 Rechtsprechung um eine Angelegenheit des täglichen Lebens i.S.v. § 1687 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB. Angelegenheiten des täglichen Lebens sind häufig vorkommende Situationen, die zwar eine sorgeberechtigte Entscheidung der Eltern erfordern, aber ohne Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes sind. Wie die Teilnahme des Kindes an Tagesausflügen und Klassenreisen in Schule und Kindergarten, seine Freizeitgestaltung, die Bestimmung des Urlaubs und des Umgangs mit Freunden Angelegenheiten des täglichen Lebens sind, ist dies auch die Frage, wer das Kind vom Kindergarten, Hort oder der Schule in den Haushalt des rechtmäßig betreuenden Elternteils begleitet. b) Herausgabe des Kinderreisepasses Der Bundesgerichtshof (BGH FamRZ 2019, 1056 m. Anm. RAKE = FuR 2019, 465 bearb. v. SOYKA) hält die überwiegend vertretene Auffassung mit der Maßgabe für zutreffend, dass sich ein Anspruch eines Elternteils gegen den anderen auf Herausgabe des Reisepasses des Kindes aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB ergibt. Ein Herausgabeanspruch kann mangels Eigentums der Mutter oder des Kindes am Reisepass weder aus § 985 BGB hergeleitet werden, noch besteht in aller Regel ein possessorischer Anspruch, da in den in Betracht kommenden Fällen selten der Besitz am Pass durch eine verbotene Eigenmacht erlangt wurde. Ebenso wenig kommt eine analoge Anwendung des Unterhaltsanspruchs in Betracht, da er nicht vergleichbar ist. Sonach liegen die Voraussetzung einer planwidrigen Lücke wie auch eine Vergleichbarkeit für die analoge Anwendung der Sorgerechtsregelungen vor. Sowohl die Personensorge als auch der Umgang erfordern, dass der berechtigte Elternteil die gemeinsame Zeit kindeswohldienlich mit dem Kind verbringen kann. Hieraus folgt, dass sowohl der sorgeberechtigte als auch der umgangsberechtigte Elternteil den Anspruch auf Herausgabe des Kinderreisepasses hat. Der Anspruch besteht jedoch nur insoweit, als der berechtigte Elternteil für die Ausübung seines Rechts den Kinderpass benötigt. Hierbei kann die berechtigte Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mithilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreitet (etwa das Kind ins Ausland entführen will), dem Herausgabeanspruch im Einzelfall unter Berücksichtigung der wechselseitigen Loyalitätspflichten entgegenstehen. Hinweis: Die analoge Anwendung der Vorschriften zum Sorge- und Umgangsrecht gilt gleichermaßen für die Herausgabe anderer persönlicher Gegenstände des Kindes, wie Kleidung und Urkunden. c) Verfügung der Eltern über ein für das Kind angelegtes Sparkonto Bei einem von den Eltern für das Kind angelegten Sparkonto ist zwischen dem Außen- und Innenverhältnis zu unterscheiden. Im Anschluss an BGH FamRZ 2005, 1168 stellt der BGH (FamRZ 2019, 1620 m. Anm. BECKER = NJW 2019, 3075 m. Anm. ROßMANN = FuR 2019, 657 bearb. v. SOYKA = FamRB 2019, 391 m. Hinw. CLAUSIUS) zum Außenverhältnis klar, dass Kontoinhaber derjenige ist, der nach dem erkennbaren Willen des das Konto eröffnenden Kunden Gläubiger der Bank werden soll. Die Einrichtung des Kontos auf den Namen eines anderen lässt für sich genommen noch nicht den Schluss auf einen Vertrag zugunsten Dritter zu. Ob dies gewollt ist, ist durch eine Auslegung zu klären, die alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, wie etwa die Angaben im Kontoeröffnungsantrag und die eingeräumte Verfügungsbefugnis. Bedeutung kommt der nachfolgenden Verhaltensweise und den Besitzverhältnissen am Sparbuch zu. Für die Frage, ob einem Kind Ansprüche gegen seine Eltern wegen einer von diesen vorgenommenen Verfügungen über ein Sparkonto zustehen, ist das Innenverhältnis zwischen Kind und Eltern maßgeblich. Der rechtlichen Beziehung zur Bank kommt insoweit nur indizielle Bedeutung zu. Auch wenn das Kind Forderungsinhaber ist, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die Eltern mit der Abhebung und Verwendung des angesparten Geldes gegen die aus dem Sorgerecht erwachsenen Pflichten verstoßen haben. Insbesondere wenn das Geld aus dem Vermögen der Eltern stammt, liegt es nahe, dass sie sich im Innenverhältnis die Verfügung über das Geld vorbehalten haben; anders ist es, wenn es sich um Geldgeschenke Dritter handelt. 254 ZAP Nr. 5 4.3.2020

Rechtsprechung Fach 11 R, Seite 1055 Rechtsprechungsübersicht – 2. Hj. 2019 Hinweis: Inzidenter bejaht der BGH die Doppelnatur des § 1664 Abs. 1 BGB als Sorgfaltsmaßstab und Anspruchsgrundlage. d) Gemeinsames Sorgerecht und Wille des Kindes Maßstab bei der Entscheidung über ein gemeinsames Sorgerecht ist nach § 1671 Abs. 1 BGB das Kindeswohl. Im Rahmen dieses Entscheidungsmaßstabs kommt nach allgemeiner Auffassung dem verständlichen Willen eines herangereiften Kindes als Akt der Selbstbestimmung einer zur Selbstständigkeit erzogenen und strebenden Person eine entscheidende Bedeutung zu. Zu beachten ist, ob nicht das Kind in der Entwicklung seiner Persönlichkeit bereits so weit fortgeschritten ist, dass einem seinem Willen zuwiderlaufende Entscheidung eine Gefährdung seiner Entwicklung bedeuten könnte. Unter Bejahung dieser Grundsätze hat das OLG Köln (NJW 2019, 2705 m. krit. Anm. DETTENBORN = FamRB 2019, 437 m. Hinw. CLAUSIUS) in einem zu entscheidenden Einzelfall gleichwohl gegen den Willen eines 13-jährigen Kindes aus „wohlverstandenem Kindesinteresse“ für die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts entschieden, weil das Kind nicht nur potenziell durch Parteinahme zugunsten eines Elternteils beeinflusst sei, sondern der Wille sich maßgeblich nicht gegen die Mitsorge, sondern gegen den Umgang des Vaters richte. e) Kindesanhörung in familiengerichtlichen Verfahren (Sorgerechtsentzug) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG FamRZ 2019, 1437 = NJW 2019, 2532 = FamRB 2019, 390 m. Hinw. GIERS = ZAP F. 1 EN-Nr. 587/2019) konstatiert, dass gegen die Regelung über die Kindesanhörung in § 159 FamFG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die Auslegung, wonach bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, dass die Anwesenheit der Eltern regelmäßig nicht sachgerecht ist, weil dem Kind dann keine unbefangenen Äußerungen möglich sind, ist nicht zu beanstanden. Aus Art. 6 GG resultieren keine über Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) hinausgehenden Beteiligungsrechte der Eltern an der Kindesanhörung als Teil der Aufklärung des für den Sorgerechtsentzug maßgeblichen Sachverhalts. Hinweis: Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird erfüllt durch die von Wertungen des Gerichts weitgehend freigehaltene, in § 28 FamFG vorgesehene Dokumentation in den Verfahrensakten über den wesentlichen Inhalt der Anhörung. 2. Umgang a) Verfahrensbeschleunigung Das Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG umfasst alle Kindschaftssachen, insb. als Folgesachen im Verbund, in dem sie wegen oft vielfacher und schwieriger Fragen besonders Gefahr laufen stark verzögert bearbeitet zu werden. Das Gebot ist insb. in Verfahren, die das Sorge- und Umgangsrecht betreffen, besonders bedeutsam (OLG Brandenburg NJW 2019, 3315). Auch das BVerfG (FamRZ 2019, 1929) weist darauf hin, dass im Umgangsverfahren eine besondere Sorgfaltspflicht des Gerichts besteht, eine unangemessene Verfahrensdauer zu vermeiden, da ansonsten die Gefahr einer faktischen Präjudizierung bestehen kann. Es bestehen aber weder verfassungsrechtliche noch menschenrechtliche Gewährleistungen, generell in Umgangssachen eine Pflicht zu einer maximalen Verfahrensbeschleunigung zugrunde zu legen. b) Kontaktverbot gegen einen Elternteil Das OLG Frankfurt (FamRZ 2019, 1865 = NJW 2019, 2865) weist darauf hin, dass ein Kontaktverbot gegen einen nicht sorgeberechtigten Elternteil weder auf Normen des Gewaltschutzgesetzes gestützt werden ZAP Nr. 5 4.3.2020 255

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um eine Angelegenheit des täglichen Lebens i.S.v. § 1687 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB. Angelegenheiten des<br />

täglichen Lebens sind häufig vorkommende Situationen, die zwar eine sorgeberechtigte Entscheidung<br />

der Eltern erfordern, aber ohne Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes sind. Wie die Teilnahme<br />

des Kindes an Tagesausflügen und Klassenreisen in Schule und Kindergarten, seine Freizeitgestaltung,<br />

die Bestimmung des Urlaubs und des Umgangs mit Freunden Angelegenheiten des täglichen Lebens<br />

sind, ist dies auch die Frage, wer das Kind vom Kindergarten, Hort oder der Schule in den Haushalt des<br />

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b) Herausgabe des Kinderreisepasses<br />

Der Bundesgerichtshof (BGH FamRZ 2019, 1<strong>05</strong>6 m. Anm. RAKE = FuR 2019, 465 bearb. v. SOYKA) hält die<br />

überwiegend vertretene Auffassung mit der Maßgabe für zutreffend, dass sich ein Anspruch eines<br />

Elternteils gegen den anderen auf Herausgabe des Reisepasses des Kindes aus einer entsprechenden<br />

Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB ergibt. Ein Herausgabeanspruch kann mangels<br />

Eigentums der Mutter oder des Kindes am Reisepass weder aus § 985 BGB hergeleitet werden, noch<br />

besteht in aller Regel ein possessorischer Anspruch, da in den in Betracht kommenden Fällen selten der<br />

Besitz am Pass durch eine verbotene Eigenmacht erlangt wurde. Ebenso wenig kommt eine analoge<br />

Anwendung des Unterhaltsanspruchs in Betracht, da er nicht vergleichbar ist. Sonach liegen die<br />

Voraussetzung einer planwidrigen Lücke wie auch eine Vergleichbarkeit für die analoge Anwendung<br />

der Sorgerechtsregelungen vor. Sowohl die Personensorge als auch der Umgang erfordern, dass der<br />

berechtigte Elternteil die gemeinsame Zeit kindeswohldienlich mit dem Kind verbringen kann. Hieraus<br />

folgt, dass sowohl der sorgeberechtigte als auch der umgangsberechtigte Elternteil den Anspruch auf<br />

Herausgabe des Kinderreisepasses hat. Der Anspruch besteht jedoch nur insoweit, als der berechtigte<br />

Elternteil für die Ausübung seines Rechts den Kinderpass benötigt. Hierbei kann die berechtigte<br />

Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mithilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen<br />

Befugnisse überschreitet (etwa das Kind ins Ausland entführen will), dem Herausgabeanspruch<br />

im Einzelfall unter Berücksichtigung der wechselseitigen Loyalitätspflichten entgegenstehen.<br />

Hinweis:<br />

Die analoge Anwendung der Vorschriften zum Sorge- und Umgangsrecht gilt gleichermaßen für die<br />

Herausgabe anderer persönlicher Gegenstände des Kindes, wie Kleidung und Urkunden.<br />

c) Verfügung der Eltern über ein für das Kind angelegtes Sparkonto<br />

Bei einem von den Eltern für das Kind angelegten Sparkonto ist zwischen dem Außen- und<br />

Innenverhältnis zu unterscheiden. Im Anschluss an BGH FamRZ 20<strong>05</strong>, 1168 stellt der BGH (FamRZ<br />

2019, 1620 m. Anm. BECKER = NJW 2019, 3075 m. Anm. ROßMANN = FuR 2019, 657 bearb. v. SOYKA = FamRB<br />

2019, 391 m. Hinw. CLAUSIUS) zum Außenverhältnis klar, dass Kontoinhaber derjenige ist, der nach dem<br />

erkennbaren Willen des das Konto eröffnenden Kunden Gläubiger der Bank werden soll. Die Einrichtung<br />

des Kontos auf den Namen eines anderen lässt für sich genommen noch nicht den Schluss auf einen<br />

Vertrag zugunsten Dritter zu. Ob dies gewollt ist, ist durch eine Auslegung zu klären, die alle Umstände<br />

des Einzelfalls berücksichtigt, wie etwa die Angaben im Kontoeröffnungsantrag und die eingeräumte<br />

Verfügungsbefugnis. Bedeutung kommt der nachfolgenden Verhaltensweise und den Besitzverhältnissen<br />

am Sparbuch zu.<br />

Für die Frage, ob einem Kind Ansprüche gegen seine Eltern wegen einer von diesen vorgenommenen<br />

Verfügungen über ein Sparkonto zustehen, ist das Innenverhältnis zwischen Kind und Eltern<br />

maßgeblich. Der rechtlichen Beziehung zur Bank kommt insoweit nur indizielle Bedeutung zu. Auch<br />

wenn das Kind Forderungsinhaber ist, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die Eltern mit der Abhebung<br />

und Verwendung des angesparten Geldes gegen die aus dem Sorgerecht erwachsenen Pflichten<br />

verstoßen haben. Insbesondere wenn das Geld aus dem Vermögen der Eltern stammt, liegt es nahe,<br />

dass sie sich im Innenverhältnis die Verfügung über das Geld vorbehalten haben; anders ist es, wenn es<br />

sich um Geldgeschenke Dritter handelt.<br />

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