se - Freiburger Lederwarenhaus Dokumentation Stand Ende Januar 2020
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Das „Freiburger Lederwaren-Haus“:
„Lieblingsstücke
seit 1905 …“
Eine Traditionsfirma und ihre
ihre jüdischen Anfänge
Das „Freiburger Lederwaren-Haus“ wurde als Detailgeschäft 1905 von dem
jüdischen Kaufmann Berthold Dreyfuss gegründet. Oben eine Anzeige aus der
„Freiburger Zeitung“ von 1912, darunter ein Foto aus den 1930er Jahren vor
der „Arisierung“ durch Franz Schregle. Dessen Enkelin führt heute das
„Freiburger Lederhaus“ in der Rathausgasse 4 mit dem Slogan „Lieblingsstücke
seit 1905“. Fotos: Staatsarchiv Freiburg, F 166-8 OR 673-49, Bernd Serger
von
Bernd
Serger
Stand
Ende
Januar
2020
„Lieblingsstücke seit 1905 …“
„Neun Traditionshäuser auf neuen Wegen“ – mit dieser Schlagzeile verkündete die „Badische
Zeitung“ am 6. Dezember 2018 , dass sich alteingesessene Geschäfte der Freiburger Innenstadt
zusammen getan haben, um sich unter dem Logo „Herzschlag“ auch politisch mehr Gehör zu
verschaffen. Unter diesen „Traditionshäusern“ ist auch das Freiburger Lederhaus in der
Rathausgasse zu finden, das unter dem Firmenlogo stets mit dem Slogan „Lieblingsstücke seit
1905“ für sich wirbt. Wer sich bis Mitte 2019 auf der Website des Freiburger Lederhauses umsah,
fand unter dem Stichwort „Historie“ folgende Angaben des „Traditionshauses“: „1905: Gründung
Freiburger Lederwaren Haus in der Friedrichstraße 11, 1937: Übernehmen Franz und Elisabeth
Schregle das Geschäft“. Mehr zur Gründungsgeschichte war auch auf der im November 2019 neu
gestalteten Homepage nicht zu entdecken. Es sei ein Versehen gewesen, heißt es nun.
Angestoßen durch den Autor dieses Beitrags, hat das „Freiburger Lederhaus“ Anfang Januar 2020
die Website geändert und Auszüge aus der ihm überlassenen kurzen Firmenchronik übernommen.
Und so erfährt man jetzt da: Es war der jüdische Kaufmann Berthold Bernhard Dreyfuss, der 1905
in der Friedrichstraße 11 das „Freiburger Lederwaren-Haus“ gegründet hat. Und es war Franz
Schregle, der 1937 dieses Geschäft gekauft hat. Um es hier deutlicher zu sagen: Er hat es„arisiert“,
also daraus mit seinen Worten ein „deutsches Geschäft“ gemacht.
Im Jahr 2005 – Carolin Niemann, die heutige Inhaberin und Enkelin von Franz Schregle, hatte
gerade die Geschäftsführung übernommen – feierte das „Freiburger Lederhaus“ sein 100jähriges
Jubiläum. Doch eigentlich ist das Unternehmen 40 Jahre älter: Bereits im Jahr 1865 verzeichnet das
Freiburger Adressbuch die Firma Gebrüder Dreyfuß im Haus Nr. 655. Ein Jahr später sind die
Gebrüder im Haus Nr. 517 zu finden.
Anzeige vom 19.Dezember 1867 in der "Freiburger Zeitung"
Die nächste Adresse, das Haus Schusterstraße 15, sollte von 1867 an für fast 40 Jahre die
Wohnungen und auch das Geschäft der Familie Dreyfuss beherbergen. Sie handelte von Anfang an
mit „Kurzwaren und Reise-Requisiten“,
also Taschen und Koffern.
Wer waren nun die Gebrüder Dreyfuss?
Es war der 1830 in Altdorf bei Ettenheim
geborene Kaufmann Samson Dreyfuss (+
1914) und sein zwei Jahre jüngerer
Bruder Samuel Jules Dreyfuss. Wie eine
Anzeige vom 28. Juni 1868 in der „Freiburger
Anzeige von 1868 (rechts) aufzeigt,
Zeitung“.
verkauften die beiden neben „Reisesäcken und Handkoffern“ anfangs auch Metallwaren, also etwa
2
Anzeige vom 17. Dezember 1870 in der "Freiburger
Zeitung"
späteren Anzeigen: „Reisespesen werden vergütet“.
Tafel-Bestecke und Haushaltsgeräte. Und dass
die beiden diese Branche über etliche Jahre
ernsthaft betrieben, zeigt eine Stellenanzeige
aus dem Jahr 1870, in der ein „Chirurgischer
Instrumentenmacher oder Messerschmidt“
gesucht wird – zu „dauernder Condition“. Dass
die Gebrüder Dreyfuss ihre Beschäftigten auch
als Vertreter losschickten, ergibt der Hinweis in
Im Branchen-Verzeichnis des Adressbuchs von 1870 sind die Gebrüder Dreyfuss unter „Kurz-,
Strick-, Galanterie-, Mercerie- u. Spielwaaren-Handlungen“ aufgeführt. Heißt es später, dass die
beiden Brüder eine Engros-Handlung, also einen Großhandel, mit ihren Lederwaren und Reise-
Artikeln geführt hätten, so muss man sehen, dass die Übergänge zwischen Detailhandel und
Großhandel damals fließend waren. „Verkauf auch an Wiederverkäufer“ – so las sich das Engros
dann oft in den Anzeigen.
Samson Dreyfuss, der ältere Bruder, war mit Dina geb. Buttenwieser aus dem Kraichgau
verheiratet. Sie bekamen vier Söhne: Berthold Bernhard Dreyfuss, geboren 1861, der spätere
Gründer des „Freiburger Lederwaren-Hauses“, Louis Dreyfuss (1864-1899), Emil Dreyfuss (1865-
1944, gestorben in Basel) und Siegfried Dreyfuss (1870-1942, ermordet in Auschwitz).
Samsons jüngerer Bruder Samuel Jules Dreyfuß
war recht unternehmungslustig. So fuhr er 1849
über den Atlantik, um sich in Philadelphia
umzuschauen. 1860 war Samuel Dreyfuss wieder
zurück in Altdorf, wo er im selben Jahr Fanny
Goldschmidt heiratet. Beide hatten vier Kinder:
Rosalie, geboren 1862, Frieda, geboren 1863,
Bernhard Barney, geboren 1865, und Elisabeth,
geboren 1875. Alle Kinder emigrierten später in
die USA und entkamen so dem Holocaust.
Anzeige vom 25. August 1888 in der „Freiburger
Zeitung“
Als „B. Dreyfuß, Kaufmann, Schusterstraße 15“ tauchte Berthold Dreyfuss erstmals, knapp 20 Jahre
alt, im Freiburger Adressbuch von 1880 auf. Acht Jahre später verzeichnete ihn das Handelsregister
schon als Prokuristen der Firma Gebrüder Dreyfuss, deren einziger Inhaber nun Samson Dreyfuss
war. Dessen Bruder Samuel Jules Dreyfuss war, so darf man annehmen, aus gesundheitlichen
Gründen ausgeschieden: Er starb 1896 mit 64 Jahren in Freiburg. Sein Neffe Berthold war da schon
vier Jahre gleichberechtigter Inhaber der Firma Gebrüder Dreyfuss.
Barney Dreyfuss macht Karriere in den USA
Von 1887 an war auch der 1864 in Altdorf geborene Sohn Louis von Samson Dreyfuss zur Familie in
der Schusterstraße 15 gestoßen. Als Kaufmann und später Prokurist half er im Unternehmen mit,
das nun unter „Kurzwaren en gros“ firmierte. Er ersetzte 1894 seinen Vater, der mit 64 Jahren
ausschied, als Teilhaber der Gebrüder Dreyfuss. Im selben Jahr heiratete er Betty Weil aus dem
Saarland, er zog mit ihr in die Turnseestraße 8. Sie bekamen zwei Töchter und einen Sohn, dessen
Geburt Louis Dreyfuss aber nicht mehr erlebte: er starb, wohl schon länger krank, am 24. Juli 1899
in Wildbad mit nur 35 Jahren. Sohn Ludwig fiel 1917 als Soldat, die Töchter entkamen dem
Holocaust durch ihre Flucht nach Israel und Chile.
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Wer sollte Louis Dreyfuss ersetzen? Nicht mehr in Frage kam
der 1865 geborene Bernhard Dreyfuß, der einzige Sohn von
Samuel Dreyfuss. Nach einer Banklehre in Karlsruhe war er
schon 1883 vor der drohenden Einberufung zum Militärdienst
in die USA ausgewandert, wo er sich nun Barney nannte. Er
stieg zuerst als Whiskey-Verkäufer bei seinen Cousins Isaac
Wolfe und Henry Bernheim in Paducah, Kentucky, ein – deren
Whiskey-Brennerei „Bernheim Brothers & Uri“ hatte schon
sein Vater bei seinem USA-Aufenthalt 1850 mitbegründet.
Später wurde Barney Dreyfuss deren Teilhaber und zog mit
der Brennerei und der Familie nach Louisville, Kentucky.
„Barney Dreyfuss war als Geschäftsmann äußerst erfolgreich
und galt als skrupellos“, liest man bei Wikipedia. Er war ein
Pionier des Profi-Baseballs und gilt als Erfinder der 1903
gestarteten „World Series“ im US-Baseball. Von 1900 bis 1932 war er Eigentümer des Baseball-
Clubs Pittsburgh Pirates und feierte mit dem Team, das es heute noch gibt, große Erfolge. 2008
wurde er posthum in die Baseball „Hall of Fame“ aufgenommen.
Nun war Siegfried Dreyfuss, der 1870 geborene, jüngste Sohn von Samson Dreyfuß gefragt.
Während sich Berthold Dreyfuss um das Detailgeschäft kümmerte, übernahm Siegfried um 1896
den Großhandel mit Kurzwaren, Lederwaren, Reiseartikel– und dabei sollte es bis zu seinem Tod
im Jahr 1930 bleiben. Er war mit Jenny Flörsheim aus Offenbach verheiratet. Sie hatten drei
Töchter, die sich alle ins Ausland retten konnten – in die USA und nach Israel, wohin auch 1936 die
Witwe folgte.
Im Haus Schusterstraße 15 war es mittlerweile zu eng
geworden, weshalb Berthold Dreyfuß 1892 in die
Kaiserstraße 144 (später entstand an dieser Stelle der
Friedrichsbau) umzog. Er hatte im selben Jahr Emilie
Levi aus Hechingen geheiratet, mit der er zwei Töchter
bekam: 1895 die Tochter Elisabeth und 1897 die
Tochter Rosa. Im Jahr 1900 starb überraschend seine
Frau. Mit Helene Lina Weil konnte Berthold Dreyfuss
im Jahr 1902 eine neue Mutter für seine Töchter
finden. Sie schenkte ihm 1903 noch einen Sohn
namens Emil.
Bernhard Barney Dreyfuss. Foto:
ancestry.com
Der Ehevertrag zwischen Berthold Dreyfuss und seiner
zweiten Frau ist im Staatsarchiv Freiburg erhalten
(StAF G 540/5 4167). Unter dem Datum 30. April 1902
wurde festgehalten, dass Lina Weil aus Augsburg
18.000 Mark in bar und eine Fahrnis (Aussteuer plus
Möbel) von 1.000 Mark mit in die Ehe brachte. Laut
Vertrag blieb dieses Vermögen aber ihr vorbehalten.
Grundlage der Ehe war die sogenannte
Errungenschaftsgemeinschaft - also erst das, was in
der Ehe an Besitz dazu kommen sollte, gehörte beiden.
Wie ernst es der neuen Braut oder ihren Eltern damit
war, wird daraus deutlich, dass diese Abmachung nicht
Eintrag vom 30. April 1902 ins
Güterrechtsregister zum Ehevertrag zwischen
Berthold Dreyfuss und Helene Lina Weil.
Abbildung: Staatsarchiv Freiburg G 540/5 4167.
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nur im Güterrechtsregister festgehalten wurde, sondern auch in der „Freiburger Zeitung“ und der
„Karlsruher Zeitung“ veröffentlicht wurde.
1895 hatte Samson Dreyfuss das Gebäude Schusterstraße 15 an Berthold und Louis Dreyfuss für
48.000 Mark verkauft. Doch Berthold sah die Zukunft der Firma Gebrüder Dreyfuss, deren einziger
Inhaber er seit 1899 war, woanders: Im Jahr 1904 erwarb er in der Friedrichstraße 11 das Gebäude
zur Straße samt dem Hinterhaus mit 3,6 ar Grundfläche für stolze 150.000 Mark.
Berthold Dreyfuss gründet 1905 das „Freiburger Lederwaren-Haus“
Bericht vom 23. November 1904 in der „Freiburger Zeitung“
Nach dem Umbau zu einem, wie es hieß, „großen modernen
Geschäftshaus“ eröffnete er 1905, also ein Jahr später im
Vorderhaus das Einzelhandelsgeschäft „Freiburger
Lederwaren-Haus“, während Siegfried Dreyfuss im
Hintergebäude weiter den Großhandel betrieb.
Anzeige vom 27. Oktober 1905 in der
"Freiburger Zeitung".
Berthold Dreyfuß warb in der „Freiburger Zeitung“ für sein
neues Geschäft auf eine Weise, die schon etwas aus dem
Rahmen fiel – wobei er sich als jüdischer Kaufmann in guter
Anzeige vom 17. Dezember 1905, also wenige Wochen nach der Gründung des Geschäfts, in der „Freiburger Zeitung“.
Gesellschaft wusste, denn die
einfallsreichsten Anzeigen
stammten in jener Zeit meistens
von jüdischen Firmen. Sie waren
einfach besser über die Stadt hinaus
vernetzt, waren so über neuartige
Werbeformen eher informiert – und
sie wandten diese auch an.
Eine pfiffige Anzeige des „Freiburger Lederwaren-Hauses“ vom 9. April
1905 in der „Freiburger Zeitung“.
Recht bald schloss sich Berthold
Dreyfuss auch dem Freiburger
„Rabattsparverein“ an. Dieser war
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Julius Marx war einer der ersten Kaufleute, die sich 1905 dem neu gegründeten Rabattspar-Verein anschlossen, um sich
gegen die Warenhäuser behaupten zu können. Hier die Anzeige vom 5. Dezember 1905 in der „Freiburger Zeitung“.
ebenfalls 1905 gegründet worden und
hatte von Anfang an einen
bemerkenswerten Zulauf. Bereits
nach wenigen Wochen waren mehr
als 300 Geschäfte dem Verein
beigetreten. Das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ gehörte zu den
ersten, wie die Anzeige vom 5.
Dezember 1906 dokumentiert, in der
das Geschäft von Berthold Dreyfuss
aufgeführt ist. Er wie die anderen
Mitglieder gewährte den Kunden 5
Prozent Rabatt auf die bar bezahlte
Ware. Die dafür ausgehändigten
Rabattmarken wurden in bar
erstattet, wenn auf der Rabattkarte
der Betrag von 200 Mark erreicht war.
Den „Rabattsparverein“ sahen die
Detailgeschäfte, so eine Resolution
von 1905, „als wirksames Mittel zur
Abschaffung des Borgunwesens,
Anhaltung des Publikums zur
Anzeige des jüdischen Warenhauses Sally Knopf aus Freiburg vom 16.
Juli 1907 in der „Freiburger Zeitung“, eines der großen Konkurrenten
von Berthold Dreyfuss
Barzahlung, Hebung des Standesbewusstseins, Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und als
Schutzwehr gegen die überhandnehmenden Warenhäuser, Konsumvereine und
Schleudergeschäfte.“
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Berthold Dreyfuss stellte sich damit auch gegen die jüdischen Warenhäuser Sally Knopf und Arthur
Lindemann, die schon vorher ihr eigenes Rabatt-System entwickelt hatten. Wie die Anzeige des
Warenhauses Sally Knopf von 1907 zeigt, handelte es sich dabei auch um harte Konkurrenten.
Das „Freiburger Lederwaren-Haus“ gehörte auch zu den wenigen Firmen, die in der Zeitung schon
früh, hier dokumentiert im Jahr 1912, mit einer Abbildung ihres Geschäfts warben. Daraus sprach
ein gehobenes Standesbewusstsein, aber auch ein entschiedenes Zugehen auf die Kundschaft.
Berthold Dreyfuss warb als einer der ersten mit einem Foto seines Geschäfts, hier zu sehen in einer Anzeige vom 19.
Dezember 1912 in der „Freiburger Zeitung“.
„Liebesgaben“ für die Soldaten
Wie die anderen Geschäfte musste sich das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ nach Beginn des Ersten Weltkriegs auf
andere Bedürfnisse – besonders die der Soldaten – einstellen.
Das Angebot umfasste Ende 1915 natürlich noch Lederwaren
wie Brieftaschen, Armbänder und Tabaksbeutel, aber nun
auch Zigarettenetuis, Taschenmesser, Feldbestecke,
elektrische Taschenlampen samt Ersatzbatterien und
Mundharmonikas für die wehmütigen Abende in den
Schützengräben.
Der Familie Dreyfuss ging es gut. Ihr gehörte auch ein Haus in
der Sautierstraße 29, das die Gebrüder Dreyfuss im Jahr 1907
für 20.000 Mark an Mitglieder der Familie verkaufen konnten,
die Hälfte erwarb Berthold Dreyfuß.
Anzeige vom 22. November 1915 in der
„Freiburger Zeitung“ mit „Liebesgaben“
für die Soldaten im Feld..
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Dieser engagierte sich nicht nur für sein Geschäft: 1906 spendete er 10 Mark für notleidende
Deutsche in Russland. 1909 ließ er sich in den Geschäftsführenden Ausschuss der Freiburger
Ortsgruppe des Hansa-Bundes wählen, einer reichsweiten Organisation, die aus einer eher
linksliberalen Position heraus zugunsten von Handel und Industrie zwischen den Parteien
vermitteln wollte. Im April 1914 setzte sich Berthold Dreyfuß in einer Versammlung der
Handelskammer Freiburg für eine bessere Eisenbahnverbindung von Freiburg nach Basel, München
und Paris ein.
Todesanzeige für Samson Dreyfuß
vom 18. April 1914 in der
„Freiburger Zeitung“.
Im gleichen Monat musste
Berthold von seinem Vater
Samson Dreyfuss Abschied
nehmen, der im Alter von 83
Jahren gestorben war. Im
November 1915 starb seine
Mutter Dina Dreyfuss geb.
Buttenweiser im 77.
Lebensjahr. Anfang 1916
übergab Berthold Dreyfuss der
Stadt 800 Mark für „verschämte
Arme“ im Namen seiner reichen
Whiskey-Cousins aus Kentucky.
Er selbst beteiligte sich im Juni 1916 mit 20 Mark an der U-Boot-Spende. Im März 1918 spendete er
100 RM für den „Badischen Heimatdank“ an Hinterbliebene von Gefallenen, im November 1918
dann 50 RM ans Rote Kreuz für Liebesgaben zu Weihnachten.
Verlobungsanzeige von Rosa Dreyfuß
und Julius Max Hauser vom 28. Juli
1920 in der „Freiburger Zeitung“.
Wie sein Bruder Wilhelm Hauser berichtet, war Julius Hauser „zu
Kriegsbeginn als Vertreter einer Hamburger Exportfirma in
Manila; er wollte sich in der damaligen deutschen Kolonie
Kiautschou (zum Kriegsdienst, se) stellen.“ Auf der Fahrt von
Manila nach China sei sein Schiff von einem englischen
Kriegsschiff gestoppt worden: „Julius Hauser wurde als
Deutscher verhaftet und nach Australien gebracht, wo man ihn
bis 1919 in einem Internierungslager festhielt.“
Todesanzeige für Dina Dreyfuß geb.
Buttenwieser vom 7. November
1915 in der „Freiburger Zeitung“.
Im Jahr 1920 – Berthold Dreyfuss ist nun knapp 60 Jahre alt – tut
sich was im „Freiburger Lederwaren-Haus“. Es scheint, als ob der
Inhaber nun seine Nachfolge vorbereitet – wohl weil er schon
krank ist: Im April 1920 wird seine Frau Helene Lina geb. Weil als
Prokuristin bestellt. Im Oktober 1920 tritt Julius Max Hauser als
persönlich haftender Gesellschafter in das Unternehmen ein,
das nun als Offene Handelsgesellschaft firmiert. Er ist der
Schwiegersohn von Berthold Dreyfuss, dessen jüngere Tochter
Rosa er kurz zuvor geheiratet hat.
Julius Max Hauser stammte aus einer großen jüdischen Familie
aus Endingen. Er wurde dort am 10. Dezember 1890 geboren und
hatte drei Brüder und drei Schwestern. Bruder Wilhelm, 1883
geboren, war die zentrale Figur unter den Geschwistern. Er
wurde Mathematiklehrer, kam nach seinem Militärdienst, zuletzt
als Leutnant hoch dekoriert, wie Julius 1920 nach Freiburg.
Wilhelm Hauser, der Bruder von
Julius Max Hauser, im englischen
Exil 1939-1945. Foto: Günter Wirth:
Die Hauser-Chronik
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Wilhelm Hauser wurde Lehrer an der Rotteck-Oberrealschule. Er hielt nichts mehr von Kriegen,
wurde Pazifist, setzte auf Völkerverständigung und agitierte in der Deutschen Friedensgesellschaft
als Redner immer aktiver gegen die Rüstungsindustrie. Seine beiden Söhne Harald und Oskar
folgten seinem Beispiel, beide aber nun schon als Kommunisten.
Wilhelm Hauser wurde auch zum Chronisten der Hausers und
setzte damit eine familiäre Tradition fort. Selbst im Exil in England
von 1939 bis 1945 war er der Mittelpunkt der durch die Nazi-
Verfolgung in alle Welt verstreuten Familie. Seine umfangreiche
Korrespondenz und seine Aufzeichnungen wurden zur Grundlage
der „Hauser-Chronik“, eines 387seitigen Buchs, das der DDR-
Hochschullehrer und Publizist Günther Wirth (1929-2009) im Jahr
1982 veröffentlichte. Wirth kannte Wilhelm Hauser gut, denn der
war, nachdem sich seine Rückkehr als Lehrer ins Badische 1946
wohl aus politischen Gründen zerschlagen hatte, zu seinen Söhnen
in die DDR gezogen, wo er noch eine späte Karriere als
Mathematik-Professor in Potsdam machte. Wilhelm Hauser starb
1983, kurz nach seinem 100. Geburtstag, in Wandlitz - bis zu seinem
Tod dem Sozialismus Marke DDR und dem Pazifismus treu ergeben.
Von Wilhelm Hauser bzw. Günther Wirth wissen wir, dass Else
Hauser, die Ehefrau von Wilhelm, im „Freiburger Lederwaren-Haus“
ab und zu, insbesondere vor den Festtagen „an der Kasse aushalf“.
Else Hauser geb. Krauth, die
Ehefrau von Wilhelm Hauser,
half ab und zu im „Freiburger
Lederwaren-Haus“ an der Kasse.
Foto: Günther Wirth: Die Hauser-
Chronik
Todesanzeige für Emil Dreyfuss, den Sohn von
Berthold Dreyfuß, vom 6. Januar 1923 in der
„Freiburger Zeitung“.
Wilhelm Hauser berichtet in seiner Chronik auch über
Rosa Hauser, die Tochter von Berthold Dreyfuss: „Die Frau
von Julius, eine geborene Dreyfuß, hatte viel Leid erleben
müssen: Ihr Bruder, bester Schüler eines Realgymnasiums,
nahm sich kurz vor dem Abitur das Leben; eine
verheiratete Schwester beging ebenfalls Selbstmord.“
Gemeint waren damit der 1903 geborene Emil Dreyfuss,
der am 3. Januar 1923 Selbstmord beging, und Elisabeth,
die 1895 geborene ältere Schwester von Rosa Dreyfuss,
die mit dem Arzt Dr. Siegfried Hein verheiratet war und
mit ihm einen Sohn namens Joachim hatte. Sie starb 1924,
so eine andere Quelle, wohl bei der Geburt ihres Sohnes
Peter, der nur wenige Stunden lebte.
Der Freitod seines einzigen Sohnes muss Berthold
Dreyfuß sehr getroffen haben. Vielleicht hat er
ihm auch den Lebensmut und die Kraft zum
Kampf gegen die Krankheit genommen. In seiner
Todesanzeige vom 22. Mai 1923 ist von einem
„langen, schweren Leiden“ die Rede. Berthold
Dreyfuss wird 62 Jahre alt.
In der „Freiburger Zeitung“ ist am 24. Mai 1923
ein Nachruf zu lesen, in dem es heißt: „Mit dem
Verstorbenen ist ein Mitbürger von uns
geschieden, der ob seiner vorzüglichen
menschlichen Eigenschaften sich allgemeiner
Todesanzeige für Berthold Dreyfuss vom 22. Mai 1923.
In der „Freiburger Zeitung“, unterzeichnet von der
Witwe Lina Dreyfuss. Er wurde auf dem jüdischen
Friedhof in Freiburg beerdigt.
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Wertschätzung erfreute. Ohne laut und aufdringlich an die Öffentlichkeit zu treten, nahm er mit
regem Interesse an allen öffentlichen Bestrebungen teil, die dem Gedeihen und Gemeinwohl
unserer Stadt und des Vaterlandes dienten, denn er war ein Freiburger durch und durch, der seine
Vaterstadt über alles liebte und sich treu und nachhaltig für sie einsetzte. Seiner idealen
Veranlagung entsprechend verfügte er auch über eine reiche poetische Begabung. In dem
Verstorbenen ist auch ein glühender Patriot von uns gegangen, der nicht nur in Worten, sondern
durch Taten und Opfer seine Vaterlandsliebe bekundete. …. Im Frieden schon, aber besonders
während der Kriegsjahre hat sein Patriotismus seine Feuerprobe bestanden. Kaum ein Tag verging,
wo er nicht einen Gang durch die Lazarette gemacht hat, um den Verwundeten Trost und neue
Kraft durch leutseligen Zuspruch und Liebesgaben zu spenden. Das Wohltun war überhaupt der
Grundzug im Wesen des Verstorbenen. ‚Edel sei der Mensch, hilfreich und gut‘ war der Leitspruch
seines Lebens. Unzählige Arme und Notleidende, denen Berthold Dreyfuss notlindernd zur Seite
gestanden hat, stehen dankbar am Grabe dieses Menschenfreundes.“
Julius Hauser übernimmt …
Nun liegt es an Julius Hauser und der
Witwe Lina Dreyfuss, das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ auf der Erfolgsspur zu
halten. Wobei die Angaben im
Handelsregister die tatsächlichen
Verhältnisse verschleiern. Denn die
eigentliche Chefin und auch Seele des
Geschäfts ist wohl Rosa, die Tochter von
Berthold Dreyfuss. Das lässt sich aus den
Wiedergutmachungs-Akten im
Staatsarchiv Freiburg herauslesen.
So schreibt Rosa Hauser am 24. Juli 1957
in einer Eidesstattlichen Erklärung für
das Landesamt für Wiedergutmachung
(StaF F 196-1 10889), dass sie schon im
Töchternheim in Berlin-Zehlendorf in
kaufmännischen Fächern unterrichtet
wurde. „Nach meiner Rückkehr arbeitete
ich zusammen mit meinen Eltern im
väterlichen Geschäft. 1920 verheiratete
ich mich mit dem Kaufmann Julius Max
Hauser. Dieser trat ebenfalls in das
Geschäft ein und übernahm die
Buchführung. Im Januar 1931 wurde mein
Julius Max Hauser und Rosa Hauser geb. Dreyfuss wohl in den
20er Jahren. Foto: Günther Wirth: Die Hauser-Chronik.
Mann alleiniger Inhaber der Firma. Gleichzeitig erhielt ich zusammen mit meiner Mutter Prokura.
Ich blieb Prokuristin bis zur Abgabe des Geschäfts.“
Rosa Hauser berichtet weiter: „Wir hatten von 1930 bis 1937 im Geschäft fünf Angestellte. Ich
führte die Aufsicht über diese Angestellten, machte den Einkauf bei den Vertretern und reiste
zusammen mit meinem Mann nach Offenbach und Leipzig zum Einkauf. Ich machte auch die
Reparaturen an den Damentaschen und Koffern und erteilte hierzu die entsprechenden
Anweisungen an eine Angestellte. Auch die Schaufensterauslagen (Dekoration) führte ich aus.
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Eine Vergütung in Geld bekam ich für meine Tätigkeit nicht. Mein Mann und ich betrachteten das
Einkommen aus der Firma als gemeinsamen Erwerb. Wir wurden auch steuerlich gemeinsam
veranlagt.“
Abbildung 1
Anzeige vom 23. Juli 1927 in der Freiburger Zeitung“.
Anzeige vom 8. Dezember 1932 in der
„Freiburger Zeitung“.
Das Landgericht Freiburg vernahm im
Juli 1958, als es darum ging, Rosa
Hauser eine Entschädigung für den
mittleren Dienst zuzusprechen,
mehrere Zeugen zu ihrer Rolle im
„Freiburger Lederwaren-Haus“.
Elsbeth Schlegel, Ehefrau von Franz-
Josef Schlegel, der 1936 den
Anzeige vom 22. April 1927 in der „Freiburger Zeitung“.
Großhandel der Gebrüder Dreyfuß
übernahm (wohl eine der wenigen
einvernehmlichen „Arisierungen“ in Freiburg) sagte aus, dass Rosa Hauser „von morgens bis
abends unermüdlich im Laden tätig“ und die „Seele des Betriebs“ war. Ein weiterer Zeuge wusste
zu berichten, dass Rosa Hauser auch die Kunden bediente und nach dem Tod ihrer Mutter auch die
Kasse führte.
Lina Dreyfuss geb. Weil ist nach dem Tod ihres Mannes im August 1923 als persönlich haftende
Gesellschafterin in die Firma eingetreten. Sie hat sicher dazu beigetragen, dass wenige Wochen vor
seinem Tod das „Freiburger Lederwaren-Haus“ 30. 000 RM für das Deutsche Volksopfer Ruhrgebiet
spendete – trotz wachsender Inflation eine beträchtliche Summe. Im Jahr 1931 überlässt sie mit 63
Jahren die Firma ihrem Schwiegersohn, bleibt aber gemeinsam mit ihrer Tochter Prokuristin.
Die Machtübergabe an die NSDAP Ende Januar 1933 muss sie hart getroffen haben. In den
Wiedergutmachungs-Akten bleibt es strittig, ob beim von Joseph Goebbels ausgerufenen
reichsweiten Boykott jüdischer Firmen am 1. April 1933 auch vor dem „Freiburger Lederwaren-
Haus“ in der Friedrichstraße 11 SA-Männer postiert waren und die Kunden vom Einkauf abhielten
oder nicht. Anzunehmen ist es, denn das Geschäft gehörte zu den ersten Adressen in Freiburg. Der
Druck auf die jüdische Bevölkerung ist auch so deutlich zu spüren. Lina Dreyfuss hält ihn nicht mehr
aus: Anfang Juli 1933 will sie das Land verlassen und in die Schweiz ziehen.
Was dann geschieht, hat Käthe Vordtriede geb. Blumenthal (1891-1964), bis zum Verbot 1933
Redakteurin der Freiburger SPD-Zeitung „Die Volkswacht“, in einem Brief vom 24. Juli 1933 an
ihren bereits in die USA emigrierten Sohn Werner beschrieben: „Die alte Frau Dreyfuss,
11
Schwiegermutter von Leder-Hauser, ist in Basel in den Rhein
gegangen. Ihre Leiche ist schon gefunden. … Nun hat die alte
Frau die Verfemung auch nicht mehr ertragen. Ich war kurz
vorher im Laden und sprach mit ihr. Sie wollte in die Schweiz
ziehen, band sich 3.000 Mark um den Körper, wurde
geschnappt und sollte ins Gefängnis.“
Lina Dreyfuss geht in den Rhein
Wie entwürdigend die Behandlung an der Schweizer Grenze
damals ist, hat die Jüdin Käthe Vordtriede 1939 selbst erlebt.
Sie schreibt darüber an ihren Sohn (zu lesen in Käthe
Vordtriede: „Mir ist es noch wie ein Traum, dass mir diese
abenteuerliche Flucht gelang ..." Briefe nach 1933 aus Freiburg
im Breisgau, Frauenfeld und New York an ihren Sohn Werner,
Lengwil 1998) „Ohne Zweifel hatte die Freiburger Gestapo
Käthe Vordtriede.
Foto.juedischeliteraturwestfalen.de
meine Abfahrt signalisiert, denn in Basel wurde mit sicherem Blick nur ich herausgegriffen zur
Körperkontrolle, und ich mußte mich ganz nackt ausziehen.“
In ihren Erinnerungen von 1940 erwähnt sie auch das Schicksal von Lina Dreyfuss: „Auf dem
Badischen Bahnhof wurden alle Leute nach der Paßkontrolle weitergelassen, nur ich nicht. Der eine
Beamte machte einen andern auf mich aufmerksam. Ich wurde in einen Raum geführt, in dem man
mich vor jeder politischen Tätigkeit im Ausland warnte. … Dann wurde ich in eine Kabine zur
Körpervisitation geführt. Die Person, die die Untersuchung vornimmt, ist in Freiburg als
gefürchtete Denunziantin bekannt, die auch eine alte Freiburger Dame wegen einer Kleinigkeit
schon 1933 in den Tod getrieben hat. Sie sollte ihres Alters wegen nicht sofort verhaftet werden,
sondern erst nach Freiburg zurückfahren: Sie ging aber gleich in den Rhein bei Basel.“ Die Leiche
von Lina Dreyfuss wird am 2. Juli 1933 bei Kappel im Rhein gefunden …
Natürlich gibt das alles Julius Hauser und vor allem seiner ängstlichen Frau Rosa zu denken. Sie
glauben nicht mehr an eine Zukunft in Deutschland. Wohin aber gehen? In Günther Wirts Buch
„Die Hauser-Chronik“ wird berichtet: „Mit analogen Fragen wurde Wilhelm Hauser im Frühjahr
1935 konfrontiert, als er seinen zur Emigration entschlossenen Bruder Julius auf einer Reise nach
Palästina begleitete.“ Über Venedig-Triest gingen sie nach Haifa, sie hatten in Nahariah (Nahariya)
ihr Stammquartier: Dort wohnte Ruth Lesser, die älteste Tochter Siegfried Hausers, die schon 1934
emigriert war. „Wir reisten viel durch das Land, weilten in Jerusalem und Tel Aviv, standen an den
Ufern des Toten Meeres, besuchten auch, was damals nicht ohne Eindruck auf mich blieb, einige
Kibuzzim und sahen manche Bekannte, darunter meinen Karlsruher Freund Walter Jacob, der unter
dem Künstlernamen Walter Jensen in Südwestdeutschland bekannt war. Julius Hauser konnte sich
nicht entschließen, nach Palästina zu emigrieren“.
Ihn und seine Frau zieht es eher in die USA. Nun geht es darum, ihren Besitz zu verkaufen und
dafür noch einen möglichst reellen Preis zu erhalten. Am 26. Oktober 1936 unterzeichnet Julius
Hauser für seine Frau und den Neffen Joachim Hein, die das 3,6 Ar große Grundstück samt den
Gebäuden in der Friedrichstraße 11 geerbt haben, den Kaufvertrag. Käufer der Immobilie ist der
Berliner Geheime Regierungsrat Albert Kohler, der Kaufpreis beträgt 66.000 RM. Kohler
verpflichtet sich, u.a. eine Hypothek von 24.600 RM auf den Namen von Julius Hauser zu
übernehmen und ihm auszubezahlen. Julius Hauser versichert nach dem Krieg, von dem Geld
nichts gesehen zu haben.
12
Albert Kohler wird im November 1943 bei einem Fliegerangriff auf Berlin getötet. Sein Bruder
Robert Kohler aus Trier zahlt die Witwe aus, wird Alleinerbe und verkauft das beim Bombenangriff
am 24. November 1944 völlig zerstörte Anwesen 1947 für 5.000 RM an seinen Sohn Alfred, einen
Apotheker aus Trier.
Das ist der Stand, als Rosa Hauser und ihr Neffe am 4. Mai 1949 vom New York aus bei der
Restitutionskammer des Landgerichts Freiburg Klage auf Rückerstattung des Grundstücks erheben.
Das Gericht beauftragt den Architekten Hermann Geis, den Wert der Immobilie im Jahr 1936 und
im Jahr 1949 zu schätzen. In seinem Gutachten vom 13. April 1950 beschreibt er präzise, um was es
sich bei dem Objekt genau handelte, als es 1936 verkauft wurde:
„Auf dem Grundstück stand:
1. Ein Wohnhaus mit Lederhandlung, ½ Gewölbekeller, ½ Holzbalkenkeller, 3 Geschosse, Kniestock,
Grundfläche ca. 180 qm.
2. Ein Seitenbau mit Büro, Eisenbalkenkeller, 1 Geschoss, Grundfläche ca. 42 qm.
3. Ein Hintergebäude für Lederwarenhandlung, Eisenbalkenkeller mit Holzboden, 3 Geschosse,
Grundfläche ca. 93 qm.
Die Gebäude sind jetzt durch Fliegerangriff völlig zerstört. Das Grundstück ist noch nicht
enttrümmert.“
Geis schätzt den Verkehrswert
des gesamten Grundstücks im
Jahr 1936 auf 88.000 DM
(gemeint waren wohl RM, se).
Für das Jahr 1949 kommt er
auf einen Verkehrswert von
16.000 DM. Die Familie Kohler
findet diese Beträge zu hoch
und verlangt ein weiteres
Gutachten. Dies liefert
Regierungsbaumeister und
Architekt Otto Kanstinger am
15. November 1950 – fast mit
dem gleichen Ergebnis: Er
schätzt den Verkehrswert für
1936-1937 auf 85.400 RM –
und damit um etwa 20.000
RM höher als der damals
ausgehandelte Kaufpreis.
Beiden Seiten ist damals klar:
An einer Rückgabe des
Grundstücks an Rosa Hauser
und ihren Neffen kommt man
nicht vorbei. Das Landgericht
Die Friedrichstraße (sie zweigt oben vom Siegesdenkmal nach links ab)
gehörte zu den Straßen, deren Häuser beim Luftangriff vom 27. November
1944 völlig zerstört wurden und in alter Form auch nicht mehr aufgebaut
wurden. Foto: Ausstellungs-Katalog „Nationalsozialismus in Freiburg“.
drängt auf einen Vergleich, der am 24. Juli 1951 dann auch zustande kommt (StAF F 166-3 1316).
Der Inhalt: Das Grundstück wird zurückgegeben, dafür bezahlen die Kläger der Familie Kohler „als
zurückzugewährenden Kaufpreis unter Mitberücksichtigung der übernommenen und inzwischen
13
getilgten Belastungen“ den Betrag von
7.000 DM und verzichten „auf einen
etwa zustehenden Gewinnanspruch“ für
die von 1937 bis Ende 1944 erzielten
Mieten.
Die Hausers helfen dem
branchenfremden„Ariseur“
Von so viel Einigkeit kann bei der Frage
der Restitution des „Freiburger
Lederwaren-Hauses“ nicht die Rede
sein. Dabei sieht die Situation im Jahr
1936 vielversprechend aus: Julius Max
Hauser sucht über eine Immobilien-
Agentur einen Nachfolger für das
Geschäft. 50 bis 60 Interessenten soll es
gegeben haben, die aber bei der
Preisvorstellung des bisherigen Inhabers
abwinken: Er will 50.000 bis 60.000 RM
haben, eigentlich ein reeller Preis.
Hartnäckiger ist der Interessent Franz
Schregle. Dabei kommt der am 7. März
1900 im bayerischen Altenstadt geborene
Kaufmann gar nicht aus der Branche. Er
ist zuvor nach eigenen Angaben lange
Jahre als „Ladenchef, Einkäufer und
Reisender“ im Freiburger
Haushaltswaren-Geschäft Schafferer &
Co. tätig gewesen. Doch Schregle will
sich unbedingt selbständig machen – und
scheut so auch nicht den Schritt in eine
ihm fremde Branche.
30.000 Mark hatte die damals sehr moderne Ladeneinrichtung
des „Freiburger Lederwaren-Hauses“ gekostet – Franz Schregle
bekam sie gratis dazu. Foto: Staatsarchiv Freiburg F 166-8 OR
673-49.
Schregle gehört nicht zu jenen
„Ariseuren“, denen die NSDAP vor allem
von 1937 an als Belohnung für treue
Dienste billig ein Juden-Geschäft
zuschanzen. Wie aus seiner
Entnazifizierungsakte im Staatsarchiv
Freiburg zu ersehen ist (StAF D 180/2
164580), ist er kein Parteimitglied. Von
1933 gehört er dem NSKK
(Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps)
an, aus dem er Anfang 1938 wieder
Ein Blick in das „Freiburger Lederwaren-Haus“ vor der
„Arisierung“, also etwa im Jahr 1936. Rosa Hauser (rechts
hinterm Ladentisch) hatte fünf Angestellte, die mit ihr die
Kunden bedienten, aber auch Reparaturen an Taschen und
Koffern übernahmen. Foto: Staatsarchiv Freiburg StAF F 166-8
OR 673-49
austritt. Ein Amt bekleidet er nicht, auch nicht bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und der
Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), denen er ebenfalls als Mitglied angehört. So urteilt
der Ermittlungsausschuss der Spruchkammer am 6. August 1946: „Schregle ist trotz seiner
Zugehörigkeit zum NSKK unbelastet. Sympathisant.“
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Auch Franz Schregle will Ende 1936 nicht das bezahlen, was Julius Hauser für das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ fordert. Also einigen sie sich darauf, den Wert des Warenlagers von jeweils
einem selbstgewählten Sachverständigen aus der Branche begutachten zu lassen. Die neue, für
30.000 RM angeschaffte moderne Ladeneinrichtung ist im Kaufvertrag enthalten, nicht aber der
ideelle Wert des Geschäfts (in der Fachsprache „good will“ genannt) – schon das ein Beweis dafür,
dass es bereits 1936 nicht mehr um einen normalen Verkauf geht. „Angemessen“ finden
schließlich alle Beteiligten einen Preis von 23.000 RM für das Warenlager und einen Gesamtpreis
von 30.000 RM, der am 31. Januar 1937 im Kaufvertrag besiegelt wird.
Das Einvernehmen zwischen Hauser und Schregle geht laut Kaufvertrag sogar so weit, dass der
bisherige Inhaber des „Freiburger Lederwaren-Hauses“ den Nachfolger über Monate in die jenem
fremde Branche der Lederwaren und Reiseartikel einarbeitet. Dazu gehört auch das Reparieren
von beschädigten Koffern und Taschen in der Werkstatt im Hintergebäude der Friedrichstraße.
Man kann sich vorstellen, dass dies vor allem Rosa Hauser übernommen hat.
Mit der Harmonie ist es aber vorbei, als Julius Hauser im Jahr 1949 Klage auf Rückgabe der Firma
„Freiburger Lederwaren-Haus“ erhebt. Doch dazu später.
Am 28. Februar 1937 schaltete Franz Schregle diese Anzeige in der „Freiburger Zeitung“, mit der er die „Arisierung“ des
„Freiburger Lederwaren-Hauses“ bekannt macht – dies sei nun ein „deutsches Geschäft“.
Am 28. Februar 1937 verkündet Franz Schregle in der „Freiburger Zeitung“ die Übernahme des
„Freiburger Lederwaren-Hauses“ zum 1. März. Die Botschaft dieser „Arisierung“ ist klar: „Ein neuer
Inhaber“, ein „deutsches Geschäft“, aber immerhin auch „das bewährte bisherige Personal“ sollen
dafür sorgen, dass jene Kunden, die sich seit den Boykott-Aufrufen von 1933 nicht mehr in das
jüdische Geschäft trauten – vor allem Beamte, aber auch Parteigenossen – wieder zurückkommen.
Die „Arisierung“ des Geschäfts ist bald überall bekannt. Dafür sorgt wenige Tage später schon die
„Freiburger Zeitung“, die damals schon
länger ihre liberale Tradition dem aus
Berlin verordneten völkischantisemitischen
Kurs geopfert hat
(siehe Bericht links). Ungewohnt
schnell folgt am 8. März 1937 in der
Bericht vom 3. März 1937 in der „Freiburger Zeitung“. Das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ war in „arische Hände übergegangen“.
Zeitung auch der Auszug aus dem
Handelsregister, aus dem die
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Auszug aus dem Handelsregister vom 8. März 1937 in der
„Freiburger Zeitung“. Hier tauchte zum letzten Mal der
Name des Firmengründers Berthold Dreyfuss auf.
„Jetzt deutsches Geschäft“ – Anzeige vom 25. April
1937 in der „Freiburger Zeitung“.
Leserschaft ein letztes Mal erfahren kann, wer
im „Freiburger Lederwaren-Haus“ in der
Friedrichstraße 11 vor der Übernahme durch
Franz Schregle noch Verantwortung hatte – so
auch Lina Dreyfuss und Rosa Hauser als
Prokuristen.
Franz Schregle sichert sich eine „Goldgrube“
Der Plan von Franz Schregle geht auf: Konnte Julius Hauser in den Jahren 1933 bis 1936 noch einen
durchschnittlichen Gewinn von 9.000 RM pro Jahr in seinem Geschäft verzeichnen, so kommt Franz
Schregle nach einem ähnlichen Beginn 1937 im Jahr 1938 und den Jahren danach auf mehr als das
Doppelte. Das „Freiburger Lederwaren-Haus“ ist eine „Goldgrube“, so nennt es der Anwalt von
Julius Hauser im Restitutionsverfahren 1949 unwidersprochen.
Anzeige vom 6.
November 1937 in
der „Freiburger
Zeitung“. Franz
Schregle setzt voll auf
den eingeführten
Firmennamen
„Freiburger
Lederwaren-Haus“
Wie die Anzeigen nach Übernahme der „Freiburger Lederwaren-
Hauses“ dokumentieren, ist Franz Schregle mit der Platzierung
seines Namens in den Anzeigen sehr zurückhaltend. Er setzt
weiterhin auf die Zugkraft des eingeführten Firmennamens – und
sieht anders als die
Inhaber anderer
„arisierter“ Geschäfte
keine Notwendigkeit,
den Namen zu ändern.
Im Gegensatz zum
Bettenhaus Julius Marx
(Betten Striebel) oder
zum Stoff-Haus Bollag (C.
Anzeige vom 23. Juli 1938 in der „Freiburger
Zeitung“.
Kausch) sieht man dem
Namen „Freiburger
Anzeige vom 9. Dezember 1937
in der „Freiburger Zeitung“.
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Die Geschäfte laufen prima: Franz Schregle
sucht Personal – Anzeige vom 7. Mai 1939 in
der „Freiburger Zeitung“.
Lederwaren-Haus“ nicht an, dass es von einem jüdischen
Kaufmann gegründet worden ist – und das bis heute.
Am 26. Mai 1937 fahren Julius und Rosa Hauser mit der
„S.S. Washington“ von Le Havre nach New York. Sie
haben Tickets für die 1. Klasse. Einschließlich der
Bahnfahrt von NY nach Cincinnati, wo sie die ersten
Monate bei Verwandten unterkommen, kostet sie die
Überfahrt 1.200 RM. Die Fahrtkosten und Auslagen von
Freiburg nach Le Havre betragen 200 RM. Der Firma
Schenker & Co. bezahlt Julius Hauser für den Transport
der Lifts und zwei großer Kisten mit der Einrichtung 1.600 RM – ergibt Gesamtkosten für die
Überfahrt von rund 3.000 RM.
Als die beiden Deutschland verlassen, ist es noch möglich, Geld mitzunehmen. Aber nur, wenn das
Finanzamt bestätigt, dass zuvor die „Reichsfluchtsteuer“ (im Fall Julius Hauser 30.000 RM) bezahlt
ist und auch sonst keine Steuerschulden mehr bestehen. Einmal ist in den Wiedergutmachungs-
Akten von 11.000 Gulden, dann wieder von 14.000 Dollar die Rede, die Julius Hauser vor der
Abreise ausbezahlt bekommt. Auf jeden Fall muss er dafür Wertpapiere im Wert von etwa 30.000
RM verkaufen. Immerhin haben er und seine Frau so ein Polster für die erste Zeit in der Fremde.
Mit der „S.S. Washington“ fahren Julius und Rosa Hauser im Mai 1937 von Le
Havre nach New York. Das Schiff wurde 1932 in Dienst gestellt und konnte
1.300 Passagiere aufnehmen. Foto: de.wikipedia.org.
den Leidensweg ihrer Eltern nachzulesen.“ Doch dazu später.
Wilhelm Hauser, sein Bruder,
vermittelt nicht nur hier, indem er
hilft, Geld für Julius in die Schweiz
zu schaffen. Auch seinem Bruder
Siegfried hilft er 1937, sein
Geschäft und sein Haus in
Endingen zu verkaufen: „Auch bei
ihrer Übersiedlung nach Freiburg
stand ich ihnen bei. Obwohl ihren
Kindern der Absprung ins Ausland
gelungen war, konnten sich
Siegfried und seine Frau Lina nicht
zur Emigration entschließen. Es ist
schmerzlich, gerade auch die
Briefe ihrer Töchter an mich
Anfang der vierziger Jahre über
Schwieriger Start für Julius und Rosa Hauser in den USA
Und wie ergeht es Julius Hauser und seiner Frau Rosa in den USA? In den Wiedergutmachungs-
Akten ist von einem Lederwaren-Geschäft die Rede, das beide in Cincinnati, ihrer ersten Station in
den Staaten, eröffnen. Das hat keinen Erfolg. So ziehen sie nach New York, wo sie ein
Boardinghouse eröffnen. Dazu berichtet Wilhelm: „Mit Hilfe von Ersparnissen gelang es ihnen, sich
zu etablieren, und sie hatten ein Haus mieten können, in dem sie, in einer Corporation zusammen
mit Albert Nachmann, eine Art Pension unterhielten (Albert Nachmann ist der Mann von Julius
Hausers Nichte Frieda Mandelbaum, se). Viele Neueingewanderte konnten hier untergebracht
werden, bis sie eine Wohnung fanden.“
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„In Unkenntnis der rechtlichen Lage“, so Wilhelm, „wurde dieses Haus 1939/40 für sie zu einem
schweren Handicap“. Am 28. Juli 1940 schreibt Julius Hauser an den Bruder: „Du wirst mir etwas
verzeihen, wenn ich so lange nicht schrieb, denn da kam noch die Hausangelegenheit dazu. Wir
stehen jetzt erneut vor der Tatsache, daß man uns heraustreibt – die Entscheidung fällt in den
nächsten Wochen. Wenn die Miete etwa 300 Dollar niedriger gewesen wäre, hätten wir uns
ernähren können. Wir sind eben reingefallen und müssen noch dafür büßen, weil der Hausbesitzer
seine Hypothekenzinsen nicht bezahlte, wodurch das Haus unter Gerichtsaufsicht kam und an dem
Meistbietenden verkauft wird. Die Möbel gehören allerdings uns, aber auch die sind dann ein
Problem. Neben dem Hauptprozess läuft noch eine Klage gegen unseren Rechtsanwalt, der den
Vertrag für uns gemacht hat. Er hat wieder die Gegenklage an uns gerichtet, weil sein Ruf evt.
geschädigt werden könnte …“.
Mit dem Scheitern dieses
Projekts, das Julius Hauser auch
als „Schalom“, als Zuflucht für
Mitglieder seiner großen
Familien, die noch in
Deutschland oder schon
geflohen sind, gedacht hatte,
beginnt der Abstieg des
Ehepaars. Julius und dann auch
Rosa müssen sich mit den
verschiedensten Jobs (Julius als
Vertreter, Büroangestellter
usw.) über Wasser halten,
gleichzeitig versuchen sie alles,
um für Wilhelm Hauser und
seine Familie, für Bruder
Siegfried Hauser und seine Frau Lina geb. Fröhlich auf einer Aufnahme
während des Ersten Weltkriegs. Foto: Günther Wirth: Die Hauser-Chronik.
Siegfried und Lina, für andere Familienangehörige die Einreise in die USA zu erwirken – sowohl im
Kontakt mit administrativen Stellen und Hilfskomitees, aber auch im Kontakt mit den begüterten
Angehörigen der Hauser-Familie, die in den USA festen Fuß gefasst hatten - wie etwa der Arzt Dr.
Richard Mandelbaum und Arthur Drake, der zweite Sohn von Julius Hausers Schwester Flora, ein
Ingenieur. Meistens geht es dabei um die Ausstellung eines affidavits (lateinisch: affidare =
versichern). Das ist eine vom Notar beglaubigte Bürgschaftserklärung, mit der es gerade in den USA
sehr oft gelungen ist, verfolgte und bedrängte Juden nach Amerika zu holen. Privatleute versichern
dabei, dass die Neuankömmlinge von ihnen versorgt und nicht dem Staat zur Last fallen werden.
Die Korrespondenz der Hauser-Brüder, wie sie Günter Wirth in seiner „Hauser-Chronik“
dokumentiert hat, lässt uns von 1940 an den sorgenvollen Alltag, die Verzweiflung, aber auch die
Hoffnung der in aller Welt verstreuten Familie nachempfinden. Für Einblicke in das weitere Leben
von Julius und Rosa Hauser sind die Briefe eine großartige Quelle, die auch hier genutzt werden
soll.
Julius Hauser an Wilhelm Hauser, der wegen einer Anstellung als Lehrer allein nach England
emigriert ist, am 28. April 1940: “Ich habe in den letzten Wochen gerade wegen Deines affidavits
mit Richard (Mandelbaum) Auseinandersetzungen gehabt, die keinen erfreulichen Charakter
annahmen. Inzwischen sind dieselben von Richard an Dich direkt geschickt worden; was er dazu
geschrieben hat, weiß ich nicht. Diese beiden affidavits sind von den Frauen ausgestellt und sollen
lediglich dazu dienen, Else zu helfen, aus dem Camp (Wilhelms Frau Else ist als Deutsche in
Frankreich interniert, se) herauszukommen. Für die Vorlegung beim amerikanischen Konsul sind
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sie wertlos, weil die Unterlagen fehlen. Richard hat sich ja früher bereit erklärt, für Dich das
affidavit zu geben. Er äußerte sich aber bezüglich Else dahin, daß er diese Verantwortung nicht
übernehmen könne, da seine finanzielle Lage ihm das nicht erlaube und er schon andere affidavits
gegeben hätte. Ich habe Richard versichert, daß Ihr bei uns seid, wenn Ihr nach USA kommt, und er
keine Angst zu haben braucht, materielle Opfer zu bringen.“
Obwohl Julius Hauser während des Ersten Weltkrieg als Internierter in Australien mit Englisch zu
tun hatte, fällt ihm das Sprechen schwer. „Leider wissen auch wir hier“, schreibt er in demselben
Brief an Wilhelm, „wie schwer es ist, in die Sprache einzudringen. Wir alle sprechen zu viel Deutsch
hier, und was die Idioms anbetrifft, so sind sie eine Angelegenheit für sich. Ich bin mit meinen
Fortschritten nicht zufrieden, obwohl ich doch ziemliche Vorkenntnisse hatte. Hier ist man sehr
exklusiv und dringt kaum in jene Kreise ein, wo man ein gutes Englisch hört.“
Mitbewohner Max Frank verweigert die Fahrt nach Gurs
Ihn wie seinen Bruder Wilhelm treibt die Sorge um Bruder Siegfried und dessen Frau Lina um. Trotz
des Drängens ihrer nach Palästina ausgewanderten Kinder können sie sich nicht zur Flucht
entschließen – und werden am 22. Oktober 1940 ins südfranzösische Lager Gurs deportiert.
Im Oktober 1911 eröffnete Max Frank in den
Schwabentorstraße 9 sein erstes Geschäft in Freiburg (links die
Anzeige dazu). 1917 wechselte er in die Bertoldstraße 28, wo er
bis 1933 blieb – ehe er wegen der Boykott-Aktion der Nazis das
Geschäft schließen musste. Abbildungen: Freiburger Zeitung
Das Lager Gurs am Rand der Pyrenäen war im Oktober 1940 das Ziel von mehr als 6.000 Jüdinnen und Juden, die aus
Baden und der Pfalz nach Südfrankreich deportiert wurden – unter ihnen auch Siegfried und Lina Hauser. Alle Versuche
von Julius Hauser und seinem Bruder Wilhelm, das Ehepaar aus dem Lager herauszuholen, schlugen fehl. Beide wurde
1942 in Auschwitz umgebracht. Foto: Ausstellungs-Katalog „Freiburg im Nationalsozialismus“.
Nr. 515 auf der Liste der zur Deportation nach Gurs Bestimmten ist Max Frank, ein jüdischer
Kaufmann, 1973 in Elberfeld geboren, 1900 nach Freiburg gezogen – doch er kommt nicht in Gurs
an. Frank hatte in Freiburg von Anfang an mit Baby- und Wöchnerinnen-Artikeln gehandelt,
anfangs im Versand-, von 1911 an auch im Detailhandel in seinem Geschäft in der
Schwabentorstraße 9. Von 1906 an unterstützten ihn seine Schwester Helene und die Mutter
Babette Frank. Das Geschäft lief gut, und so konnte er 1917 in die noch besser gelegene
Bertoldstraße 28 umziehen, wo er seinen Laden bis 1933 betrieb.
Im Oktober 1917 zog er mit Mutter und Schwester in die Friedrichstraße 11. Dort, im Hause von
Berthold Dreyfuß, bezogen die drei die Wohnung über dem „Freiburger Lederwaren-Haus“. Max
Frank blieb dort fast 20 Jahre. Als 1936 auch Schwester Helene starb und Max Frank klar wurde,
dass Julius Hauser das Haus verkaufen wollte, zog er zur Untermiete ins Haus Glümerstraße 31, wo
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Im Oktober 1911 eröffnete Max Frank in Freiburg in der
Schwabentorstraße 9 mit dieser witzigen Anzeige (links) sein
erstes Detailgeschäft mit Baby-Sachen und Wöchnerinnen-
Bedarf. 1917 zog er in die noch besser gelegene
Bertoldstraße 28 um, wo er vor allem das Kinderwagen-
Angebot ausbaute (Anzeige vom April 1927). Das Geschäft
lief gut – bis zu den Boykott-Aktionen der Nazis.
schon andere Menschen jüdischer Abstammung wohnten. Sein Geschäft hatte er schon 1933 nach
den Boykott-Aktionen der Nazis aufgeben müssen. Er lebte, wie viele seiner Schicksalsgenossen,
die sonst keine Arbeit mehr fanden, von Vertretungen, bis auch dies den Juden untersagt wurde.
Franz Schadek schildert in seinem Aufsatz (Heft 119 in „Schauinland“, dem Jahresheft des Breisgau-
Geschichtsvereins aus dem Jahr 2000) die letzten Stunden des jüdischen Kaufmanns: „Max Frank,
der in den Vormittagsstunden des 22. Oktober 1940 sieht, wie Polizeiwagen in die Wiehre
einfahren, Polizeibeamten mit weißen Zetteln in der Hand von Haus zu Haus gehen und sich eifrig
Notizen machen, der sieht, wie sich die parkenden Wagen langsam mit Insassen füllen, Max Frank,
der bereits aus Dachau weiß, was ihn erwartet, will sich nicht mehr demütigen und drangsalieren
lassen, er entzieht sich diesem Schicksal und geht freiwillig in den Tod.“ Er erhängt sich in seinem
Zimmer.
Julius Hauser bangt um seinen Bruder Siegfried und dessen Frau Lina, die an jenem Tag in den Zug
nach Gurs gestiegen sind. Am 12. Januar 1941 schreibt er an Bruder Wilhelm in London:
„Entsetzlich ist das Schicksal, das Siegfried und Lina ereilt hat. Ich schrieb Dir schon, daß sie mit
Tausenden aus Baden und der Pfalz nach Südfrankreich deportiert wurden und eine große Anzahl
schon an Hunger und Krankheit verschieden ist. Siegfried schrieb uns gerade zwei Briefe, in denen
er uns ihre Lage schildert. Es ist herzzerreißend, wenn man lesen muß, wie diese Menschen
dahinvegetieren. Sie mußten sich zur Reise (!) in einer Stunde fertigmachen und konnten kaum
Gepäck mitnehmen. Es fehlt ihnen an allem. Pakete kommen infolge der Blockade nicht an. Wir
haben aus diesem Grunde veranlaßt, daß auf Kosten von Richard (Mandelbaum), Arthur Drake und
mir ihnen Geld geschickt wird, aber trotz telegrafischer Überweisung dauert es scheinbar geraume
Zeit, bis sie es bekommen. Sie können freilich auch mit Geld nicht viel anfangen, weil eben vieles
nicht zu haben ist.“
Julius Hauser versucht auch, Wilhelms Familie zu helfen. Er berichtet Wilhelm Hauser darüber am
13. Januar 1941: „Ich bin hier von Komité zu Komité gelaufen und habe überall die gleiche Antwort
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erhalten. Es ist recht deprimierend, aber vorläufig besteht keine Aussicht, einen Weg zu finden,
wie man sie (Else, Wilhelms Frau, und die Söhne Harald und Oskar) hierher bringen kann. Ich habe
auch das Gefühl, und diese Meinung wird mit mir allgemein geteilt, daß die Behörden in U.S. mit
der Immigration aus Europa sehr mißtrauisch geworden sind. Man ist gegen diese Barbarei absolut
hilflos und sieht leider kein Ende, wann und wie sie gestoppt werden kann.“
Filmstar Marian Marsh, eine Nichte, reagiert nicht
Franklin D. Roosevelt habe, so Julius Hauser, seit Jahren die Gefahr kommen gesehen, „aber leider
haben wir hier eine große Gruppe von ‚appeasers‘, die entweder aus Egoismus die Gefahr nicht
sehen wollen oder Ignoranten sind. Aber wir alle dürfen die Hoffnung auf den Endsieg des Guten
über das Böse nicht verlieren. Ich bin augenblicklich arbeitslos und habe dadurch mehr Zeit gehabt,
mich Euren Angelegenheiten zu widmen, aber leider ohne wesentlichen Erfolg.“
Else Hauser, selbst keine Jüdin, schreibt an ihren Mann
Wilhelm Hauser am 19. März 1941: „Von Julius haben wir
regelmäßig Nachrichten, aber bis heute haben alle seine
Bemühungen kein Erfolg gehabt. Nun hat er an meine
Nichte in Hollywood (Marian Marsh) geschrieben, und ich
bin gespannt, wie die Antwort von dort sein wird.“ Die
Antwort ist: Es kommt keine Antwort.
Marian Marsh, berühmte Schauspielerin in
Hollywood und Nichte von Else Hauser, im
Jahr 1932. Sie reagierte nicht auf Anfragen
aus der Familie, so auch von Julius Hauser.
Foto: commons.wikimedia.org
Langsam wird auch der Familie von Wilhelm Hauser klar,
dass eine Flucht in die USA wegen des Kriegsverlaufs nicht
mehr möglich ist. Sohn Harald (1912-1994) schließt sich als
erklärter Antifaschist und Kommunist der französischen
Resistance an, sein Bruder Oskar (1920-2005) geht 1941,
auch er mit gefälschtem Ausweis, als französischer
Fremdarbeiter und Antifaschist nach Berlin, wohin später
auch die Mutter folgen kann.
Sie rechnen fest mit einer deutschen Niederlage. Julius Hauser dazu am 19. April 1941 an Wilhelm:
„Ich gehe ja nicht so ganz mit Eurer Meinung einig, wenn auch wir beide mit der ganzen Seele und
im tiefsten Herzen wünschen, daß Euer Optimismus berechtigt ist. Hier in U.S. hat die Produktion
der Kriegsindustrie einen starken Aufschwung genommen, und wir sind glücklich, daß dadurch die
moralische Haltung der armen unterdrückten Völker Europas gehoben wird. Roselchen arbeitet
den Tag 8 Stunden sehr angestrengt in einer Fabrik. Ich verdiene leider noch nichts, wenn ich auch
schon Versuche machte, die aber bis jetzt fehlschlugen.“
Julius Hauser an Wilhelm am 25. April 1941: „Von Siegfried kamen wieder Briefe. Er ersucht auch
um ein affifavit, um wenigstens aus dem Lager zu kommen, d. h. in ein besseres Lager. Sie müssen
furchtbar viel durchgemacht haben.“ Julius am 18. Mai 1941: „Von Siegfried hatten wir auch
Nachricht. Sie bekommen Geld und Lebensmittel von uns, aber leider ist ein großes Paket mit
Kleidern, das wir im Februar schickten, bis jetzt nicht eingetroffen.“ Und am 8. Juni 1941: „Richard
schrieb mir gestern, daß er für Harald (Wilhelms Sohn) und Edith (dessen Frau) kein affidavit mehr
geben kann, da er erst das für Siegfried und Lina ausgestellt hat. Miss Marsh hat immer noch nichts
von sich hören lassen. Lieber Bruder, ich erlebe mit den Verwandten hier immer von neuem
Enttäuschungen“.
Rosel Hauser (Rosel ist der Spitzname für Rosa) an Wilhelm Hauser am 8. Juni 1941: „Auch wir
geben uns alle Mühe, uns nicht mehr vom Auf und Ab in der Entwicklung des Krieges beeindrucken
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zu lassen. Wir haben auch die Überzeugung, daß das Gute siegen muß. Wenn es nicht zu diesem
Siege käme, müßten wir uns ja als Verbrecher fühlen vor unseren Kindern.“
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 2. Juli 1941: „In den letzten Wochen kamen hier viele
Menschen an, die Entsetzliches durchgemacht haben. Ich höre gerade am Radio, daß die Barbaren
scheinbar wieder von neuem „große Siege“ erringen (Überfall auf die Sowjetunion, se), obwohl ich
andererseits glaube, daß man bei dieser ungeheuren Front noch kein abschließendes Urteil fällen
kann. Ich kann nur immer wiederholen, daß man in vielen Kreisen hier den Ernst der Lage nicht
sehen will und die Nazipropaganda große Dimensionen angenommen hat.
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 22. Juli 1941: „Du fragst mich, was ich über die Lage denke.
Ich habe zum ersten Mal eine gewisse Hoffnung, daß man in Deutschland spürt, welche
menschliche Verluste ein Krieg fordert. Und dadurch eine Minderung der Moral hervorgerufen
wird. Von Siegfried hörte ich vor einigen Tagen. Sie halten sich sehr tapfer, und besonders Lina
zeichnet sich durch ihre Ausdauer und Widerstandskraft aus. Ich hörte das von Leuten, die aus
Gurs kamen.“
Rosel Hauser an Wilhelm Hauser am 11. September 1941: „Vier Wochen lang war ich sehr krank.
Ich hatte nur noch ein Fünkchen Hoffnung zum Weiterleben, ich will und darf nicht sterben, bevor
Hitler vernichtet ist.“
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 4. November 1941: „Siegfried schreibt sehr traurig, daß er von
den Kindern (aus Israel) nichts hört, und meint außerdem, daß sie den Winter nicht überstehen
werden, wenn sie noch einmal das durchmachen müßten wie im letzten Jahr.“ Harald schickte
ihnen im November „2 gute Decken“ für den Winter.
Siegfried Hauser aus Gurs an Wilhelm Hauser am 10. Dezember 1941: „Wir haben bis jetzt
wenigstens mit dem Wetter dieses Spätjahr Glück gehabt, es sind nur die Nächte sehr kalt, aber am
Tag hatten wir zum Teil herrlichen Sonnenschein, und dann ist das Leben hier besser zu ertragen.
Wie schön muß es sein, wieder einmal eine Wanderung zu machen, leider müssen wir die schönen
Schneeberge der Pyrenäen nur von der Ferne betrachten. Wir tun unser Mögliches, um gesund zu
bleiben, jedoch wird solches uns nicht leicht gemacht, und heißt es manchmal, die volle Energie
aufzubringen, um durchalten zu können.“
Julius Hauser an Wilhelm am 1.
Januar 1942: „Am 13.
September ließ ich mich
operieren, das regte Roselchen
auch sehr auf, sie besuchte
mich täglich abends nach der
Arbeit im Krankenhaus. Ich war
14 Tage im Krankenhaus. Dann
lag ich noch 8 Tage zu Hause im
Bett. Kurz darauf nahm ich die
Stellung an bei dem Inhaber
einer Taschentücherfirma en
gros, der das Schikanieren der
Mitarbeiter sich zum Prinzip
macht. In den letzten Wochen
vor Weihnachten kam ich fast
keinen Abend vor 10 Uhr und
Ankunft von jüdischen Deportierten aus Baden und der Pfalz im Oktober 1940
im Lager Gurs in Südfrankreich. Das Foto ist in der Gedenkstätte in Gurs zu
sehen. Reproduktion: Bernd Serger
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manchmal auch viel später nach Hause, todmüde und abgespannt. Es freut mich, daß auch Du die
Rede Roosevelts gehört hast. Mit welch klarem Blick hat er dieses Unheil (Pearl Harbor) kommen
sehen und vor Jahren das Land vorbereiten wollen.“
Rosa Hauser arbeitet in einer Fabrik - als einzige Frau
Julius Hauser an Wilhelm am 9. März 1942: „Rosel
ist in einem Betrieb die einzige Frau unter einer
Anzahl Arbeiter und reinigt den ganzen Tag, Stunde
um Stunde und Minute um Minute, Dichtungsringe
aus allen möglichen Rohstoffen für die Industrie,
wofür momentan eine große Nachfrage besteht.
Ihre Arbeit ist monoton, aber sehr ermüdend, da sie
von der Inhaberin des Betriebs, die am Tisch neben
ihr sitzt, dauernd gehetzt wird, weil sie angeblich
nicht schnell genug arbeitet. Das Gegenteil ist der
Fall, denn daß sich Roselchen gerade aus
wohlverständlichen Gründen ungeheure Mühe gibt,
wird Dir klar sein: Sie fühlt sich verpflichtet, alles zu
geben, was in ihrer Macht steht, um an dem großen
Werk mitzuhelfen, an dem uns allen so viel liegt.“
Julius Hauser an Wilhelm am 9. März 1942: „Richard
(Mandelbaum) hat uns heute kurz besucht. Ich muß
bei ihm immer wieder das Thema berühren, daß es
in seiner Macht gestanden hätte, Siegfried und Lina
zu helfen, wenn er nicht so kleinlich und ängstlich
gewesen wäre. Es kommen noch Menschen aus
Gurs hier an, und gerade gestern erfuhr ich, daß
US-Plakat, das nach Kriegseintritt der USA zu mehr
Engagement an der „Heimatfront“ aufforderte.
Abbildung: commons.wikimedia.org
unser Vetter Berthold Bodenheimer bei seinem Sohn vor einigen Tagen hier eintraf. Richard im
Falle Siegfried und Lina: Als er sich entschloß, war es zu spät.“
Rosel Hauser an Wilhelm Hauser am 31. Mai 1942: „Du kennst mich, ich bin ein Mensch, der die
Arbeit liebt, und wenn es auch eine Arbeit ist, die nicht immer sehr anstrengend ist, so habe ich die
Vorratskammer meiner Gedanken stets bei mir, und die trösten mich dann und helfen mir über die
stupide Arbeit hinweg. Seit sechs Wochen arbeite ich nun an einer Handpreßmaschine, die hat mir
am Anfang allerlei Nüsse zu knacken gegeben, und nachdem ich zwei Wochen lang daran
gearbeitet habe und zwischenrein über Schmerzen im Arm klagte, bekam ich eine sehr starke
Entzündung mit Fieber und Eiterung am rechten Oberarm, so daß ich gezwungen war, den Arzt
aufzusuchen, der mich dann ein Woche von der Arbeit zurückhielt.“
Rosel weiter: „Als ich wieder in den Betrieb kam, hatte ich noch eine verbundene Wunde und
sollte möglichst meinen Arm etwas schonen. Am dritten Tag fing die Quälerei an. Sie (ihre Chefin)
wollte mich wieder an die Preßmaschine setzen, aber da wir mehr Arbeiter haben, die sie bedienen
können, weigerte ich mich. Sie war wütend und erklärte mir, ich könnte mittags heimgehen, ich
wäre entlassen.“
Rosa Hauser lässt sich das nicht gefallen: „Auf Anraten unseres Unionobmanns ging ich sofort zum
Sekretär der Union, welcher mir Adresse, Tag und Zeit aufnotierte für ein hearing beim State Labor
Board. Ich kann natürlich nicht alle Details beschreiben – jedenfalls nach vier Tagen bekam ich
einen Anruf, daß ich wieder zur Arbeit zurückgehen könne, und als ich am Morgen beginnen
23
wollte, erzählte mir unser Vormann, daß ein Bericht eingetroffen sei, wonach man mich nicht den
ganzen Tag an der Maschine arbeiten lassen dürfe, bis meine Wunde geschlossen wäre. Wie meine
Chefin geladen ist auf mich, wirst Du dir denken können …“
Nun sucht Rosa Hauser eine neue Stelle: „Wie gern würde ich mechanische Arbeit machen; ich
würde gerne helfen in der defense. Hier wurde eine große Aktion ins Leben gerufen, und zwar soll
dem Präsidenten F.D. Roosevelt ein fighterplane (Kampfflugzeug, se), genannt Loyalty, gespendet
werden von den refugees. Auch wir haben unser Scherflein dazugegeben; und ich machte ein
kleines Gedicht dazu:
With Joy I spend my little gift
For fighterplane ‘Loyalty’
With all my force which have my hands
I am working hard for ‘victory’.”
Siegfried Hauser: „Das Körpergewicht ist nun bei 100 Pfund“
Siegfried Hauser, Gurs, an Wilhelm Hauser am 4. Juni 1942: „Mein liebes Brüderlein. Es ist zwar für
uns z. Zt. nicht so schlimm, da wir wenigstens gutes Wetter haben, wenn auch sonst die
Ernährungssorgen nicht so leicht zu nehmen sind, und wir haben nur die eine Hoffnung, daß es
Im Mai 1942 begannen in Frankreich die Massendeportationen von jüdischen Menschen in das Vernichtungslager
Auschwitz. Damals lebten noch etwa 300.000 Juden im Land, die Hälfte davon Franzosen. Dieses Foto entstand auf dem
Bahnstieg von Pithiviers südliche von Paris. Foto: dpa
nicht mehr so lange dauern wird. Sehr unangenehme ist aber für uns, daß jegliche Post von USA
fehlt und dadurch unsere materielle Hilfe, welche wir sehr nötig hätten, ausbleibt. Wir haben doch
hier viele Leidensgenossen, welche wöchentlich aus USA und England durch die Quäker auf
durchaus legalem Weg unterstützt werden. Es wäre mir angenehm, wenn Du in diesem Sinne nach
USA schriebst, denn ich kann doch nicht annehmen, daß Ihr uns hier in der gefährlichen Lage nicht
beistehen wollt, und ist das Körpergewicht bereits 100 Pfund.“
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Wer weiß, was in wenigen Wochen mit Siegfried und Lina Hauser geschehen wird, wird die
folgenden Zeilen von Siegfried Hauser nicht so schnell vergessen. „Momentan habe ich mir einen
kleinen Gemüsegarten angelegt und hoffe, daß ich einen kleinen Zusatz an Salat einmal ernte, es
ist solches direkt vor der Baracke, und ich bin heute früh aufgestanden, um etwas zu arbeiten,
denn später ist es jetzt zu warm. Auch lese ich täglich die franz. Presse und werde jetzt wieder mit
Englisch beginnen – habe ein halbes Jahr ausgesetzt. Also Unternehmungsgeist habe ich immer
noch, trotz den 60ern, welche bereits überschritten. Entschuldige also, wenn ich Dir ein wenig
vorgejammert habe, aber Du weißt ja, daß ich Dir stets alle Freuden und Leiden anvertraut habe.
Leb wohl und sei innig gegrüßt und geküßt von Deinem Siegfried.“
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 21. Juni 1942: „Deine Zuversicht ist bewundernswert. Morgen
ist es ein Jahr, daß die Banditen Rußland angriffen haben. Wir hätten Harald und Edith so gerne
hiergehabt, aber allein konnte ich es nicht durchsetzen; obwohl wir beide bereit waren, die
Reisekosten auf uns zu nehmen, fehlte uns die nötige Unterstützung. Sie hätten bei uns wohnen
können, wir haben zwei leere Zimmer. Diese Wohnung müssen wir wahrscheinlich mit einer
kleineren vertauschen.“
Am 20. Juli 1942 schreibt Siegfried Hauser an Wilhelm Hauser – es sollte sein letzter Brief
überhaupt sein: „Gestern hatten wir einen Freudentag, und zwar aus folgenden Gründen: Wir sind
schon einige Wochen mit unseren finanziellen Mitteln sehr knapp. Leider funktioniert die USA-
Spende nicht mehr, und nun kam gestern durch die Quäker Deine großzügige Geldsendung, und
sind wir wieder für einige Wochen gerettet! Also innigen Dank, Du hattest uns eine große Sorge
abgenommen, denn ohne Mittel ist man z. Zt. in gesundheitlicher Gefahr. Wenn auch unsere
Adresse einmal eine andere wäre, das hat nichts zu tun, denn es herrscht Ordnung, und man
bekommt alles nachgesandt. Vorerst bleiben wir ja auch hier, und ich habe momentan eine kleine
Beschäftigung als secrétaire bei einer Hilfsorganisation. Es ist bei uns natürlich die große Frage, ob
wir nochmals einen Winter hier verbringen müssen, was zwar sehr hart wäre, aber es gibt nur eine
Parole: Durchhalten.“
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 25. Juli 1942: „Es ist lieb von ihnen (Harald und Edith), daß sie
von dem wenigen, was sie selbst haben, Siegfried und Lina etwas schicken. Nahrungsmittel kann
man ihnen (von USA aus, se) leider nicht zukommen lassen, das, was sie am nötigsten brauchen.
Denke Dir, wie diese armen Menschen abgemagert sein müssen, wenn ihr Gewicht nur noch 100
Pfund sein soll! Es wäre und hätte möglich sein müssen, diese Menschen herauszubringen, wenn
der Familiensinn stärkere Formen angenommen hätte.“
Rosel Hauser, New York, an Wilhelm Hauser, ebenfalls am 25. Juli 1942: „Über Politik will ich lieber
schweigen, nur eines möchte ich Dir sagen, daß ich bedauere, nicht mehr jung genug und kein
Junge zu sein, sonst könnte mich nichts halten, gegen die verdammte Hitlerbrut anzukämpfen, die
der Menschheit soviel Leid und Qualen auferlegt, ja, die sogar die ganze Welt zerstört und
namenloses Unglück sät.“
Briefe nach Gurs kommen zurück – „parti“
Am 12. August 1942 und am 6. Oktober 1942 sendet Wilhelm Hauser neuerlich Briefe nach Gurs. Er
erhält sie zurück mit dem Vermerk: „parti“ – „abgereist“. Der Grund dafür ist: Siegfried und Lina
Hauser wurden am 10. August 1942 über das Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz
deportiert und dort wahrscheinlich noch am Tag der Ankunft in der Gaskammer ermordet.
Ruth Lesser, die nach Israel emigrierte Tochter von Siegfried und Lina, an Wilhelm Hauser am 16.
August 1942: „Wir wollen nur hoffen, daß alle unsere Lieben durchhalten und wir uns gesund
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wiedersehen. Die Eltern könnten es jetzt hier so schön haben. Ich weiß nicht, ob ich Dir schon
berichtet habe, daß wir einen Teil unseres Bodens verkauft und uns dafür am Strand Boden
gekauft und uns ein Häuschen darauf gebaut haben, das später für die Eltern sein soll.“
Harald Hauser, Mende in Frankreich, an seinen Vater Wilhelm Hauser am 19. August 1942: „An S.
und L. (Siegfried und Lina) habe ich nun gestern wieder mit Ediths ausgiebiger Hilfe ein großes 9-
Kilo-Paket mit Lebensmitteln gesandt; ich hatte auch vor wenigen Tagen Nachricht von ihnen; es
geht ihnen immer gleich, sie sind natürlich sehr abgemagert und brauchen dauernd Unterstützung
an Nahrungsmitteln. Ihr seelischer Zustand dagegen scheint mir gut zu sein.“
Rosel Hauser an Wilhelm Hauser am 17. Oktober 1942: „Wir haben eine kleinere Wohnung
genommen, die näher zum Zentrum liegt. Jedes Stück auch in dieser Wohnung erinnert uns an gute
Freunde, die über die ganze Welt zerstreut sind oder in fremder Erde begraben liegen … Ich war
sehr krank, und seit zwei Monaten bin ich arbeitslos.“
Richard Mandelbaum, Yonker in USA, an Wilhelm Hauser am 28. Oktober 1942 (englisch): „Das
einzige, was uns traurig macht, ist, daß der arme Siegfried und die arme Lina offenbar in Polen
sind. Es ist unglaublich, was diese Naziverbrecher für ein Unheil in die Welt bringen. Mein Gott,
wird es denn je eine Vergeltung geben?“
Der Verbrennungsofen im Vernichtungslager Auschwitz ist noch erhalten und
heute Teil der Gedenkstätte in diesem polnischen Ort des Grauens. Foto: Margit
Mai, aus: Hinsehen – Junge Menschen sehen Auschwitz, 1997, Lambertus-
Verlag, Freiburg
Harald Hauser, anonym, ohne
Ortsangabe, an Wilhelm Hauser
am 27. November 1942: „S. und
L. sind verschwunden seit jenen
Tagen, man muß leider mit
dem Schlimmsten für sie
rechnen, in Anbetracht ihres
hohen Alters schon; es ist
absolut keine Auskunft näher
zu erhalten, doch weiß man ja,
was los ist. Den Kopf hängen zu
lassen hat keinen Sinn; es war
auch von hier aus daran nichts
zu ändern. Vielleicht hätten
Richard und die anderen? Aber
auch das ist sinnlos.“
Rosel Hauser, New York, an
Wilhelm Hauser am 1. Dezember 1942 (englisch): „Jetzt lesen wir, daß unser armer Siegele und die
arme Lina deportiert worden sind. Sie müssen denselben Weg gehen wie Tausende und aber
Tausende andere ihn haben gehen müssen. Ich finde keine Worte, das auszudrücken, was mein
Herz schreien will angesichts der unmenschlichen Grausamkeit. …“
Rosel Hauser an Wilhelm Hauser ebenfalls am 1. Dezember 1942: „Ein Tag vergeht wie der andere.
Ich habe für nichts mehr Interesse, wiewohl ich doch früher an so vielen Sachen interessiert war.
Ich habe nur noch einen großen Brocken an Liebe und Gefühl für alle die Armen übrig, die von
Hunger, Folter und Todeskampf gequält werden.“
Ruth Lesser, Nahariah, an Wilhelm Hauser am 14. Dezember 1942: „In letzter Zeit denke ich recht
oft an Dich, da wir doch beide bangen um unsere Lieben. Hoffentlich hast Du Nachricht. Wir haben
seit August nichts mehr von den Eltern gehört. Hast Du danach Post? Wir sind nun wieder
unterwegs wegen einem Zertifikat und haben auch Hoffnung auf eines. Hoffentlich kommt die
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Hilfe nicht zu spät. Es ist wirklich grauenhaft, was sich in Europa tut mit den Judenverfolgungen. Ich
bin schon gar nicht mehr bei mir. Tag und Nacht denke ich an die armen Eltern.“
Die „Siegfrieds“ bleiben in der Familie Hauser unvergessen. Doch das Leben geht weiter – für die
anderen.
Rosa Hauser dichtet: „I know we have a president”
Julius Hauser an Wilhelm
Hauser am 18. April 1943: „Du
vermutest, daß wir schon
amerikanische Bürger
geworden sind. Wir haben
wohl die Prüfung hinter uns,
aber durch den Krieg geht die
Abwicklung langsamer, und es
werden erst genaue
Nachforschungen über alle
Angaben gemacht. Wir müssen
uns daher leider noch
gedulden. Roselchen hat,
obwohl sie sich nie ganz wohl
fühlt, vor drei Wochen eine
Stellung in einer Lederwaren-
Reparaturwerkstätte
angenommen. Sie wird dort
nicht so gehetzt wie in
früheren Stellungen und
besser honoriert.“
Dem Brief liegt das Gedicht bei
„Before I become a citizen“.
Rosel Hauser hat es am 21.
Januar 1943 geschrieben und
darin ihre Kenntnisse von der
amerikanischen Verfassung und
dem Staatsaufbau in Versen gefasst. Das Gedicht beginnt mit den charmanten Zeilen:
Before I become a Citizen
I have to learn so many things
I know we have a President
No monarchy with Kings”
Einbürgerungsantrag von Rosa Hauser vom 22. Dezember 1937. Es dauerte
noch Jahre, bis sie und ihr Mann Julius Hauser US-Bürger werden konnten.
Abbildung: ancestry.com
Rosel Hauser an Wilhelm Hauser am 7. August 1943: „Es sind nun gerade drei Wochen her, daß wir
10.30 Uhr abends unsere Wohnung öffneten, und wir waren sehr erstaunt, Licht in unserem
Schlafzimmer zu sehen. In der nächsten Sekunde sprang auch schon ein Kerl heraus, jagte den
Gang zur Feuerleiter hinaus mit schwer verdienten 60 Dollar, aber was er meinen Nerven zugefügt
hat, ist kaum zu bezahlen.“
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Und wieder geht es in ihrem Brief um ihre Arbeit: „In meiner Arbeitsstätte bekomme ich Übung.
Ich arbeite oft wie ein Sattler, was bei dieser Hitze sehr anstrengend ist. Mein Chef ist ein kranker
Mann, er ist auf einer Seite gelähmt, und außer meinen Reparaturen ‚benurse‘ ich ihn, und da
meint der alte Knabe, ich müßte ihm meine Liebe geben. Man hat es wahrlich nicht leicht.“
Rosa Hauser genoss die Fahrt zum Arbeitsplatz in die Innenstadt von New York. Am Abend ging es dann zurück mit der
dicht gefüllten U-Bahn. Die Ansichtskarte zeigt die Subway Station City Hall.
„Das Schöne, das uns jeder Tag bis heute gegeben hat“, so schreibt sie weiter, „ist die Fahrt am
frühen Morgen zusammen ins Innere der Stadt, vorbei am Hudson, unter schattigen Bäumen
einatmend die frische Morgenluft, erfreuend das Auge am saftigen Grün der schönen Parkwiesen,
beobachtend viele, viele Tauben. Abends geht es heim mit der Untergrundbahn, da glaubt man oft,
sich in einem Treibhaus zu befinden. Eben ist es kurz nach 11 Uhr nachts, wir kamen von unserer
zweiten Runde als warden (Luftschutzwart) zurück.“
Anfang 1945, also zweieinhalb Jahre nach der Deportation von Siegfried und Lina Hauser nach
Auschwitz, wissen die Verwandten noch immer nicht, was aus den beiden geworden ist. Wilhelm
Hauser, Newcastle, an seine Sohn Harald am 9. Januar 1945: „Könnt Ihr nicht in Gurs einmal
Nachforschungen anstellen lassen, wohin Siegfried und Lina verschickt worden sind; wenn man das
wüßte, dann könnte man evt. durch das Rote Kreuz weitere Nachforschungen anstellen lassen. Die
Ungewißheit drückt Ruth und ihre Geschwister sehr.“
Noch 1945 hofft die Familie auf Nachricht von Siegfried und Lina Hauser
Harald Hauser, Paris, an Wilhelm Hauser am 30. Januar 1945: „Von Lina und Siegfried trotz
Nachforschungen bis jetzt keine Nachricht.“
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 22. Februar 1945: „Die Nachrichten von der Front sind im
allgemeinen sehr befriedigend. Furchtbar sind die großen Opfer, die noch immer gebracht werden
müssen. Und politisch wird dann so manches wieder vermasselt.“
Julius Hauser an Harald und Edith Hauser am 15. Juli 1945: „Obgleich dieser Brief vom New York
datiert ist, verbringen wir in Wirklichkeit einen kurzen Urlaub in einem Bergland in 600 Meter
Höhe – vier Stunden von New York entfernt. Es ist dies unser zweiter Urlaub, seitdem wir in den
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USA sind, und wir sind uns der Tatsache bewusst, was für ein großes Privileg es ist, eine solche
Chance zu haben.“
Julius Hauser an Wilhelm
Hauser am 29. Juli 1945:
„Wir haben inzwischen
einen eingehenden Bericht
von einem amerikanischen
Soldaten deutscher Eltern,
die in Freiburg lebten,
Finanzinspektor Ernst Deger vom Finanzamt Freiburg half Julius Hauser
heimlich bei dessen Steuer-Problemen und riskierte damit nicht nur seine
Stellung. Abbildung: Freiburger Adressbuch 1937
gehört. Was alles dort zerstört ist. Du schriebst an Kate Breusch, daß Harald in Freiburg weilt.
Wenn Du nun mit Harald und Edith in Verbindung stehst, so möchte ich Dich bitten, wenn es in
seiner Macht liegt, ihn über folgendes aufzuklären: Du erinnerst Dich doch sicher noch an den
Steuerinspektor Deger. Er war einer von den wenigen, die unter großer Gefahr versucht haben, bei
der Steuer den Juden soweit wie möglich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ich glaube, er war
sogar Mitglied der SS und hat dennoch, ohne sich dafür bezahlen zu lassen, geholfen, wo er nur
konnte. Wenn er noch am Leben ist und dort weilt, sollte man solchen Leuten gegenüber loyaler
sein und im Notfall verwenden. (Adressbuch 1937: Ernst Deger, Finanzinspektor, Lerchenstraße 33,
Adressbuch 1946-1947: Ernst Deger, OStInsp., Lerchenstraße 33,1, se). Dagegen war an der Steuer
ein gewisser Dr. Zundler oder ein Biest ähnlichen Namens, dem gegenüber jede Rücksicht
unterbleiben müßte. Er hat unserem l. Siegfried den letzten Pfennig herausgezogen und ihn in der
gemeinsten Weise behandelt (kein Dr. Zundler in den AB zu finden, se).“
Parade des German American Bund, einer Nazi-Organisation in den USA, am 30. Oktober 1939 in New York.Die
Hakenkreuz-Fahne wehte voran. Foto: en.wikipedia.org
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 11. August 1945: „In New York hat man die ersten
Nachrichten (Hiroshima) mit größerer Ruhe hingenommen als in den meisten Großstädten der
Welt, denn es ist verständlich, daß die Menschen, die diesen Krieg in unmittelbarer Nähe
mitgemacht haben, sich der Tragweite des Friedens eher bewußt sind als Bewohner eines Erdteils,
die darüber nur in der Zeitung lesen. Man müßte manchmal den Kopf schütteln, mit wie wenig
29
Gefühl und Verständnis hier die Leiden und das Elend der von den Nazis verfolgten Menschen
betrachtet wurden. Als wir damals 1937 hier ankamen, glaubte man, daß die Menschen hier hinter
Mauern wohnten und keine Verbindung mit den Ereignissen der Welt hatten und die Verbrechen
der Nazis als Hirngespinste und Greuelpropaganda betrachteten. Darunter sehr viele
Glaubensgenossen, speziell jene, die mit irdischen Gütern gesegnet waren. Die Reaktion
triumphierte und ist heute wieder am Werk. Du wirst Dich erinnern, daß ich in meinen Briefen, die
ich Dir in den letzten Jahren schrieb, nur beiläufig über politische Dinge geschrieben habe. Die
Briefe wurden zensiert, und wenn auch alles den Tatsachen entsprach, so wollte ich doch nicht
darüber sprechen, bevor ich Bürger war.“
„Ich weiß nicht, ob ich Dir einmal berichtete“, fährt Julius Hauser fort, „daß wir an einem Sonntag
hier einmal in der Untergrundbahn fuhren, es war 1937, und plötzlich eine Horde Kerle einstieg in
feldgrauen Uniformen mit Trommeln etc. und während der Fahrt das Horst-Wessel-Lied sangen.
Jahrelang, bis Amerika in den Krieg kam, durften diese Verbrecher hier schalten und walten, wie
sie wollten, öffentliche Versammlungen abhalten, Hetzartikel herausgeben, die auf fruchtbaren
Boden fielen. Und nun läßt man einen Teil von ihnen aus den Lagern heraus und erneut
Propaganda machen. Das paßt einem großen Teil der begüterten Bevölkerung, die Angst um ihr
Geld hat.“
Julius Hauser: „Wir dürfen nie vergessen …“
In seinem letzten Brief, der in der „Hauser-Chronik“ von Günther Wirth aufgeführt ist, schreibt
Julius Hauser an Wilhelm Hauser am 13. August 1945: „Du weißt, daß wir nie vergessen dürfen,
was man uns angetan hat, daß man den l. Siegfried und Lina verhungern ließ und wahrscheinlich
vergast und verbrannt hat.“
Julius und Rosa Hauser wissen von jenem amerikanischen Soldaten, der nach Kriegsende 1945
Freiburg besucht hat, was der Luftangriff auf die Stadt am 27. November 1944 angerichtet hat. Ihre
einstigen Gebäude an der Friedrichstraße 11 gehören genau zu jenem Gebiet nordwestlich der
Altstadt, wo so gut wie kein Haus mehr stehen geblieben ist.
Damit gibt es auch für Franz
Schregle kein Geschäft mehr.
Er ist im Februar 1940 zur
Marine-Artillerie eingezogen
worden. Dort dient er bis zum
21. Dezember 1941 als
Obermaat. Wegen einer
Magenerkrankung wird er für
ein halbes Jahr entlassen,
muss aber Ende Juni 1942
zurück ins Glied. Er dient dann
bei der Marine bis April 1945.
Nach Kriegsende
Am 31. März 1937, also kurz nach der Übernahme des „Freiburger
Lederwaren-Hauses“, wurde Franz Schregle in einer Serie der „Freiburger
Zeitung“ als neuer Ladeninhaber präsentiert.
zurückgekehrt, taucht er erstmal unter, um nicht in die besonders gefürchtete französische
Kriegsgefangenschaft zu geraten.
Wie es für Franz Schregle dann weitergeht, erfährt man nun auch auf der aktualisierten Homepage
des „Freiburger Lederhauses“. Hier kommt Irmgard Haller zu Wort, eine Verkäuferin, die drei
Generationen der Inhaberfamilie Schregle erlebt hat, bevor sie im Jahr 2000 nach 57 Jahren
Mitarbeit in den Ruhestand ging: „Ein Schlitzohr war er, streng, aber gerecht“, so charakterisiert
30
Irmgard Haller ihren langjährigen Chef
Franz Schregle, bei dem sie 1943 als
Lehrmädchen begonnen hatte. Nach
der Zerstörung des Geschäfts in der
Bombennacht vom 27. November
1944 war sie dabei, als es darum ging,
in den Provisorien der letzten
Kriegsmonate und der ersten
Nachkriegszeit das Geschäft mit
Koffern und aus Planen hergestellten
Rucksäcken am Leben zu erhalten.
Im Freiburger Adressbuch von 1949 ist das „Freiburger
Lederwarenhaus“ noch unter der Adresse Schwabentorstraße 3
eingetragen.
„Als der Krieg dann endlich zu Ende
war“, so liest man in Irmgard Hallers
Erinnerungen, „musste sich Franz
Schregle wie viele andere Männer
damals erst mal absetzen. Und so fuhr
er mit dem Fahrrad zum Bruder ins
Allgäu, während seine Frau Elisabeth
Schregle das Geschäft weiterführte.
Sie war die gute Seele im Lederhaus
und bei den Mitarbeitern sehr beliebt.
Was Franz Schregle mit Disziplin und
Strenge nach vorne trieb, egalisierte
Elisabeth Schregle durch Ihre Güte.“
1949 sollte für Franz Schregle ein besonderes Jahr werden. Im November eröffnet er in der
Eisenbahnstraße 4, wie die Rathausgasse damals noch hieß, sein neues Geschäft. Vorbei war die
Zeit der Untermiete im Textilgeschäft Josef Herzog Nachf. in der Schwabentorstraße 3. Wie es dort
aussah, schildert Antonio Schmitt, der Steuerberater von Julius Hauser wie später auch von Franz
Schregle, im Juli 1949 in einem Brief an Julius Hauser: „Das neue Geschäft befindet sich ja nur in
einem Textil-Laden, wo er geduldeter Untermieter ist, und seine bescheidene Einrichtung besteht
aus einigen primitiven Bretterschäften und einem Ladentisch, ein Hinterraum enthält, soweit ich es
einmal gesehen habe, weiter auch nichts als einen Schreibtisch und im übrigen nur Bretterschäfte.“
Antonio Schmitts dubiose Rolle
In der Schwabentorstraße 3 kam Franz Schregle nach dem Krieg als
Untermieter des Bekleidungshauses Herzog für einige Zeit unter. Das
Foto stammt vom Juli 2019.
Foto: Bernd Serger
Antonio Schmitt ist mit seinen Vorkenntnissen auf beiden Seiten als Zeuge für das nun folgende
Rückerstattungs-Verfahren natürlich gefragt – wobei er genau dieses Verfahren aber zuerst
verhindern will. Er schreibt am 1. Juli
1949 an Julius Hauser: „Herr Schregle
überbrachte mir gestern eine von
Rechtsanwalt Schilling gegen ihn
eingeleitete Restitutions-Klage
betreffend das Geschäft. Ich war
davon überrascht, nachdem Sie doch
mit ihrem oben benannten Schreiben
(Julius Hauser hat Schmitt im Januar 1949 eine Restitutions-Klage für das Grundstück
Angaben zu Antonio Schmitt im Freiburger Adressbuch 1949. Er
wurde zu einem Hauptzeugen im Restitutionsverfahren.
Friedrichstraße 11 angekündigt, se) mir mitteilten, daß Sie gegen Herrn Schregle nichts zu
unternehmen beabsichtigen. Sie schrieben damals, daß auch Sie eine Klage gegen Herrn Schregle
31
als zwecklos betrachten und drückten sich wörtlich wie folgt aus: ‚Was soll ich dem Mann
Schwierigkeiten machen mit einer eventuellen Firmenänderung! Ich hätte davon keinen Nutzen
und würde ihm vielleicht schaden. Weit hergeholt wäre mir die Frage, ob man nicht das Reich für
den Schaden verantwortlich machen kann, weil durch seine Maßnahmen das Haus indirekt zerstört
wurde‘. Diese Ihre Äußerung deckt sich mit meiner Ansicht.“
Schmitt Ansicht ist diese, dass „eine Restitutionsklage nur für das Grundstück einen Zweck hat,
nicht aber für das Geschäft, weil das ja von Ihnen Herrn Schregle übergebene Geschäft seit dem 27.
November 1944 gar nicht mehr besteht.“ Der Steuerberater betont nicht nur in diesem Schreiben,
sondern auch später bei jeder Gelegenheit vor Gericht seinen „vollständig neutralen Standpunkt“,
argumentiert aber in dem Verfahren letztlich nur für die Seite von Franz Schregle. So fährt er fort:
„Das Geschäft wäre am 27. November 1944 auch vernichtet worden, wenn es noch in Ihren
Händen gewesen wäre; ich will damit sagen, Sie hätten auch heute vom Geschäft nichts mehr übrig
als eine Forderung an das Reich, genau wie Herr Schregle sie hat. Diese Forderung könnte
selbstverständlich an Sie abgetreten werden. Man kann aber nicht aus den Ereignissen folgern, daß
ein nach totaler Bombardierung wieder neu errichtetes Geschäft noch immer der
Restitutionspflicht unterliegt.“
Antonio Schmitt greift in dem Schreiben zu einem
abenteuerlichen Vergleich: Was denn wäre, wenn es Franz
Schregle in kurzer Zeit gelungen wäre, aus den Ruinen
heraus ein „Prunk-Geschäft, ein Millionen-Objekt“ erster
Güte zu schaffen. Da wäre doch die Forderung nach einer
Rückerstattung völlig absurd. Aber auch so sei der Antrag
auf Rückerstattung der Firma „Freiburger
Lederwarenhaus“ verfehlt, denn Franz Schregle habe
„außer der Forderung an das Reich vom alten Geschäft nur
noch den Namen, und selbst dieser Punkt ist diskutabel,
denn sein Geschäft ist nicht so eingetragen, wie Ihre Firma
seinerzeit lautete, sondern seine Eintragung lautet:
Freiburger Lederwarenhaus, Franz Schregle. Wenn Sie ihm
nun verbieten wollten, weiterhin den Ausdruck ‚Freiburger
Lederwarenhaus‘ anzuwenden, so wird er wahrscheinlich
sein Geschäft in ‚Franz Schregle, Lederwarenhaus‘ oder
‚Lederwarenhaus Franz Schregle‘ umtaufen. Diese
Bezeichnungen können Sie ihm nicht verbieten.“
Ob er es damals nicht besser weiß, sei dahingestellt,
jedenfalls behauptet Antonio Schmitt gegenüber Julius
Hauser: „Die Familie Schregle hatte, als sie aus dem Keller
kam, nicht mehr das geringste, weder geschäftlich noch
privat.“ Diese Behauptung muss der Anwalt von Franz Schregle später vor Gericht zurücknehmen,
denn nach und nach kommt heraus, dass „Schlitzohr“ Franz Schregle in seinem Wohnhaus in
Ibental vor der Bombennacht von 1944 ein Warenlager eingerichtet hat, aus dem er sich in den
letzten Kriegsmonaten und der Zeit danach bedienen kann.
Schmitt: „Julius Hauser emigrierte aus Angst vor dem Krieg“
Mit dieser Anzeige vom 14. Dezember 1949
im Bundesanzeiger verkündete das
Landgericht Freiburg, dass die Firma
„Freiburger Lederwarenhaus“ Gegenstand
einer Restitutions-Klage ist. Quelle:
Staatsarchiv Freiburg F 166-8 OR 673-49
Bemerkenswert ist die Verteidigungsstrategie von Franz Schregle, die Antonio Schmitt in seinem
Schreiben an Julius Hauser vom 1. Juli 1949 schon ausbreitet. Es geht dabei um die „Verordnung
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120 über die Rückerstattung geraubter Vermögensobjekte “, die die französische Regierung am 10.
November 1947 für ihre Besatzungszone erlassen hat. Sie enthält eine günstige Entschädigungs-
Klausel für „loyale Erwerber“. Im Gegensatz zu den Verordnungen in der amerikanischen und
britischen Besatzungszone ist hier der frühere Eigentümer beweispflichtig für die
Unrechtmäßigkeit, wenn der Erwerber einen angemessenen Preis entrichtet hat und das
Rechtsgeschäft vor dem 14. Juni 1938, dem Erlass der 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz,
abgeschlossen worden ist.
„Es ist Ihnen bekannt“, schreibt Schmitt an Julius Hauser, „daß laut Verordnung Nr. 120 nur
Verkäufe angefochten werden und für nichtig erklärt werden können, die unter Zwang erfolgt sind.
Allerdings erläutert Art. 3 der genannten Verordnung wohl, daß Zwang ohne weiteres vermutet
wird für Vertragsabschlüsse nach dem 30. Januar 1933, aber hierbei ist folgende Einschränkung
vorgesehen: ‚Indessen ist der frühere Eigentümer, der sein Eigentum verloren hat, für den Zwang
beweispflichtig hinsichtlich aller zwischen dem 30 Januar 1933 und dem 14. Juni 1938
vorgenommenen Akte, wenn der Erwerber den Beweis erbringt, dass er zu einem angemessenen
Preis erworben hat.‘ Dieser Passus ändert in Ihrem Fall die Lage von Grund auf.“ Franz Schregle
müsse nur den Beweis erbringen, „dass er zu einem angemessenen Preis erworben hat, das heißt,
das Sie nicht unter Zwang verkauften.“
Antonio Schmitt, der ja auch als Übersetzer arbeitet,
liefert sogar eine eigene Übersetzung des französischen
der „Verordnung 120“, die besagt: „Nichtig sind alle
Verfügung über Güter, Rechte oder Interessen, die nach
dem 30.1.1933 erfolgte und zwar im Verfolg von
Maßnahmen, durch welche Unterscheidungen eingeführt
wurden je nach Volkszugehörigkeit, Rasse, Religion,
nazifeindlichen Anschauungen oder politischen
Tätigkeiten.“
Hier wie später auch als Zeuge vor Gericht schildert
Antonio Schmitt eine Begegnung mit Wilhelm Hauser, dem
Bruder von Julius Hauser, im Jahr 1936 in Freiburg.
Wilhelm Hauser habe ihm dabei erzählt, wie inständig er
auf seinen Bruder eingeredet habe, nicht auszuwandern,
sondern zu bleiben. „Wilhelm Hauser sagte mir damals
wörtlich und ich weiß, daß er es auch anderen sagte: ‚ Es
ist ja Wahnsinn auszuwandern. So schlimm, wie mein
Bruder es glaubt, wird es doch niemals kommen. Aber es
ist nichts zu machen, mein Bruder hat es sich nun einmal
in den Kopf gesetzt auszuwandern, weil er befürchtet,
dass ein Krieg kommen könnte.“
Das „Auswandern aus Angst vor einem Krieg“ falle aber
nicht unter die in der „Verordnung 120“ aufgeführten
Gründe, den Verkauf des Geschäfts 1937 an Franz Schregle
für nichtig zu erklären. Auch die „Angemessenheit“ des
Im Oktober 1936, als Julius Hauser seine
Auswanderung in die USA energisch
betrieb, erschien diese Anzeige in der
„Freiburger Zeitung“. Sicher auch ein
Ansporn für ihn und seine Frau Rosa.
Verkaufspreises sei nicht zu bezweifeln. Schließlich sei man gemeinsam von der Bewertung des
Geschäfts durch Julius Hauser vom 31. Dezember 1936 ausgegangen und habe sich darüber hinaus
an den Gutachten zweier Fachleute orientiert. Gegen Ende seines Schreibens an Julius Hauser
33
betont Antonio Schmitt nochmals seine Neutralität – empfiehlt Hauser aber dringend, seine Klage
zurückzuziehen.
Julius Hauser folgt dem nicht. Der Fall kommt vor das Landgericht Freiburg. Anwalt von Franz
Schregle ist Dr. Wilhelm Hörst, der bereitwillig die Argumente von Antonio Schmitt (der
klugerweise auf eine Vertretung beider Seiten verzichtet hat) aufgreift. Er spitzt sie sogar noch zu.
Julius Hauser sei wohl ausgewandert – „aber nicht deshalb, weil er bis dahin persönlich
diskriminierender Maßnahmen des Regimes ausgesetzt gewesen wäre, sondern aus oft betonter
Angst vor einem kommenden Krieg, bei dem er Freiburg als besonders gefährdet ansah“. Dass
Wilhelm Hauser, nun Professor in Potsdam, in seiner Aussage entschieden bestreitet, je etwas in
dieser Richtung gegenüber Antonio Schmitt geäußert zu haben, interessiert da nicht.
„Franz Schregle musste aus dem Nichts wieder anfangen …“
Ein Jubiläum konnte auch Julius Hauser feiern:
das 25jährige Bestehen des „Freiburger
Lederwarenhauses“ im Jahr 1930, wie diese
Anzeige vom 14. Dezember 1930 in der
„Freiburger Zeitung“ dokumentiert. Mit dem
Slogan „Lieblingsstücke seit 1905“ wirbt das
jetzige „Freiburger Lederhaus“ seit Jahren –
ohne je zu erklären, was 1905 wirklich passiert
ist und wer die Firma gegründet hat.
Also Angst vor dem Krieg, nicht etwa die Verfolgung als
Jude sei der Grund für Hausers Auswanderung gewesen
– und damit habe er kein Anspruch auf Rückerstattung
seiner Firma. So die simple und kalte Logik von
Schregles Anwalt. Dazu gebe es außer dem
Firmennamen so gut wie nichts mehr, was aus dem
„Freiburger Lederwarenhaus“ von 1937 übriggeblieben
sei. „Franz Schregle musste aus dem Nichts, ohne
Waren, Einrichtung usw. völlig von vorn anfangen.
Aufbau und Ausbau dieses völlig neuen Geschäftes
beruhen ausschließlich auf seiner persönlichen Tatkraft
und Initiative und nicht auf Mitteln des früheren
Geschäfts des Klägers in der Friedrichstraße 11.“ Von
den 1937 übernommen Personal sei nur noch „eine
einzige Kraft vorhanden“ und auch die Kundschaft habe
sich völlig verändert.
Dr. Wilhelm Hörst bietet „gegebenenfalls“ in Schregles
Namen der Gegenseite die 8.000 RM an, die dieser 1945
als Anzahlung auf die Entschädigungssumme des Reichs
für die völlige Zerstörung des Geschäftshauses in der
Friedrichstraße 11 erhalten habe. Auch über den
Firmennamen könne man noch reden, doch sonst gelte,
so Hörst: „Es wäre gröbste Unbilligkeit, wenn man
einem an sich Restitutionsberechtigten auf diese Weise
das Ergebnis eigenster persönlicher Arbeit des an sich
Restitutionspflichtigen überlassen müsste … Damit
würde dem Restitutionsberechtigten mehr und ganz anderes zurückerstattet, als er seinerzeit
vertraglich aufgegeben hat.“
Rudolf Schilling, ein in Wiedergutmachungs-Prozessen erfahrener Anwalt, der Julius Hauser vor
dem Landgericht vertritt, hält der Auffassung von Schregles Anwalt, es sei nach dem Luftangriff
von 1944 nichts mehr übrig geblieben, was sich materiell zurückerstatten ließe, entgegen, dass
Franz Schregle in der Abschlussbilanz vom 31.12.1944 in einem Ausweichlager Waren für 14.000
RM, außerdem Wertpapiere von mehr als 41.000 RM und Bankguthaben von 2.700 RM anführte.
Ziehe man die damaligen Waren- und Kreditschulden ab, so habe Schregle Anfang 1945 ein
34
Betriebskapital von rund 56.000 RM zur Verfügung gehabt. „Bei dieser Sachlage zu behaupten,
man habe sein großes Geschäft am 27.11.1944 verloren, ist in jeder Hinsicht unzulässig.“
Wie sehr sein Satz „Das Freiburger Lederwarenhaus war seit Beginn bis heute eine Goldgrube“
berechtigt sei, versucht Rudolf Schilling vor Gericht zu belegen: „Aus der Eröffnungsbilanz vom
1.3.1937 ist ersichtlich, daß der Beklagte mit einem Eigenkapital von nur 14.200 RM und mit einem
langfristigen fremden Kapital von 9.000 RM begonnen hat. Ende 1944 arbeitete der Beklagte
bereits mit einem Eigenkapital von 74.491 RM.“ Im Jahr 1946 habe der Reingewinn des „Freiburger
Lederwaren-Hauses“ schon wieder knapp 10.000 RM betragen. Im Jahr 1947 habe Franz Schregle
vom Kapitalkonto für sich rund 47.000 RM entnommen und dennoch einen Reingewinn von 3.300
RM erzielt. Und so sei es weitergegangen – auch nach der Währungsreform.
Nach dem Hin und Her der
anwaltlichen Stellungnahmen
ergreift das Landgericht im
Dezember 1949 die Initiative und
schlägt einen Vergleich vor.
Grundlage dafür ist die Erklärung
des Anwalts von Julius Hauser,
dass dieser „nicht auf Rückgabe
des Geschäfts besteht, wenn die
Möglichkeit eines billigen
Ausgleichs gegeben ist.“ Doch
unter den Anwälten wird weiter
„streitig verhandelt“. Dies
obwohl man sich einig ist, dass
der im Kaufvertrag ausgemachte
Verkaufspreis von 30.000 RM im
Jahr 1937 „angemessen“ war. Dies
obwohl Julius Hauser zulässt, dass
der Firmenzusatz „Freiburger
Lederwarenhaus“ bis zur
Das „Freiburger Lederwarenhaus“ in den ersten Jahren nach dem Umzug
von der Schwabentorstraße 3 in die Eisenbahnstraße 4 (heute Rathausgasse
4). Damals führten noch Franz Schregle und seine Frau Elisabeth die
Geschäfte. Die Abbildung stammt von der früheren Website des „Freiburger
Lederhauses“.
„endgültigen Bereinigung“ durch den Beklagten „unbehelligt fortgeführt“ werden darf. Auch wird,
mit Zustimmung des Finanzministeriums, „bis auf weiteres auf die Unterkontrollnahme des
beklagten Geschäfts“ verzichtet.
Hörst: „Franz Schregle hat überraschend schnell gelernt“
Statt einem Vergleich geht es wieder an die Beweisaufnahme. So soll geklärt werden, ob die
Hausers 1937 wirklich „auf politischen Druck gehandelt“ hatten. Wobei Irmgard Haller, die
ehemalige Verkäuferin, die heute auf der Website der Firma als Zeitzeugin auftritt, schon damals
als Zeugin vor Gericht erschien – und aussagte, dass am 1. April 1933 vor dem „Freiburger
Lederwarenhaus“ keine SA-Posten Stellung bezogen und die Kunden vom Betreten des Laden
abhielten. Doch die anderen Zeugen, darunter auch Konrad Müller, der langjährige Dekorateur des
Hauses, bezeugen das Gegenteil.
Müller, der als Zeuge vernommen wird, erinnert sich auch daran, dass jemand von der NSDAP vom
Kunstverein gegenüber Leute fotografiert hat, die als Kunden das „Freiburger Lederwaren-Haus“
betraten. Müller wörtlich; „Ich habe auch persönlich feststellen können, dass die äußert sensible
Ehefrau des Klägers unter jenen entwürdigenden Verhältnissen sehr gelitten hat. Wenn zum
35
Beispiel die SA vorbeimarschierte, so fuhr sie zusammen, wurde kreidebleich und musste sich
setzen, weil sie sich darüber sehr aufregte.“ Julius Hauser habe damals zu ihm gesagt, er könne das
nicht länger mitansehen.
Müller berichtet auch vor Gericht, dass er bei seinem Einsatz als Dekorateur mehrmals Zettel an
den Schaufenstern des „Freiburger Lederwaren-Hauses“ vorfand, auf denen stand „Jüdisches
Geschäft“ oder „Jude“ oder „Kauft nicht bei Juden!“. Ihm sei darüber hinaus 1935 oder 1936 von
einem NS-Funktionäre gedroht worden, dass man ihn, wenn er weiter für das jüdische Geschäft
arbeiten würde, mit Foto im „Stürmer“ denunzieren werde.
Bestritten wird von Schregles Anwalt nicht nur die politische Verfolgung des Ehepaars Hauser,
sondern auch, dass die Einnahmen 1935 und 1936 so weit sanken, dass Julius Hauser Grundstück
und Geschäft verkaufen musste. Immerhin habe Hauser so viel Geld mit in die USA nehmen
können (verbürgt sind etwa der Gegenwert von 11.000 holländischen Gulden), dass er in Cincinnati
ein Lederwarengeschäft gründen konnte. Dass dieses so wenig florierte wie später das
Boardinghouse in New York, könne man ja nun nicht Franz Schregle anlasten.
Dem Argument, dass Franz Schregle
als branchenfremder Einsteiger in die
Lederwarenszene ohne die
Vorleistungen des Ehepaars Hauser
nicht derartig hätte reüssieren
können, begegnet Dr. Hörst damit,
dass Schregle gerade in der
schwierigen Nachkriegszeit bewiesen
habe, wie kunstfertig und gewandt er
sich in der Lederwarenbranche
bewegen konnte – er habe eben
„überraschend schnell gelernt“. Und
so sei es nur selbstverständlich, dass
er aus den guten Einnahmen neben
den Gewinnen auch eine
„angemessene
Geschäftsführervergütung
Vom schwierigen Kontakt des Anwalts mit dem Kläger aus den USA
zeugt dieses Schreiben von Rudolf Schilling, dem Anwalt des
Ehepaars Hauser, an das Landgericht. Er bittet um Aufschub, da die
nach Übersee versandten Schriftsätze verloren gegangen sind.
Abbildung: Staatsarchiv Freiburg F 166-8 OR 673-49.
beanspruchen“ könne. Als angemessen bezeichnet Dr. Hörst: Für Franz Schregle 1937 bis 1939: je
9.600 RM, 1940 und 1941: je 12.000 RM, 1942 bis 1947: je 18.000 RM, für 1948: 9.000 RM und
9.000 DM. Für die Ehefrau 1938 und 1939 je 3.000 RM, 1940 und 1941: je 4.000 RM, 1942 bis 1947
je 6.000 RM und 1948: 3.000 RM und 3.000 DM.
Julius Hauser erhält als Nachzahlung 7.000 DM von Franz Schregle
Bei diesen durchaus beträchtlichen Summen kommt Hörst dennoch zum Ergebnis, dass es wirkliche
Gewinne nur in den Jahren 1938 (rund 16.000 RM), 1939 (rund 16.000 RM) und 1948 (rund 7.000
RM) gegeben habe – ansonsten hätten sich nur Verluste angesammelt, bis 1948 an die 57.000 RM.
Hörsts sarkastische Folgerung: „Hiernach würde man sich, falls wirklich eine Restitution in Betracht
kommen würde, über die Herausgabe des ‚Gewinns‘ nicht zu streiten brauchen.“ Im Jahr 1949
seien „katastrophale Preisrückgänge in der Lederwarenbranche“ zu verzeichnen, weshalb man nur
von Scheingewinnen sprechen könne. An diesen Verlusten müsste sich, im Falle daß, auch der
Kläger beteiligen: „Er kann nicht nur den guten Tropfen genießen wollen“.
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Rudolf Schilling weist dagegen darauf hin, dass Franz Schregle 1937 nur das Warenlager mit 23.000
RM bezahlt habe. Dagegen sei weder für die wertvolle Ladeneinrichtung noch für den Wert der
Firma „auch nur eine Reichsmark bezahlt“ worden: „Die Anschaffungskosten dieser Einrichtung
betrugen 30.000 RM. Es gab in Freiburg in den 30er Jahren kein Geschäft in der
Lederwarenbranche, das eine derartige großstädtische Aufmachung hatte.“ Zwar habe Schregle
diese Einrichtung in seiner Eröffnungsbilanz vom 1. März 1937 aus steuerlichen Gründen nur mit
rund 1.700 RM angegeben, aber beim Kriegsschädenamt habe er sie, trotz Abnützung während 7 ½
Jahren, mit 25.000 RM bilanziert. Auch das gut ausgebildete Personal habe der Branchenneuling
Franz Schregle ohne Gegenleistung übernehmen können.
Zum Schluss wird die Auseinandersetzung immer härter. Julius Hauser trägt dazu bei, als er seinem
Anwalt schreibt: „Es ist eine Travestie und ein Hohn, wie Herr Schregle und sein Steuerberater
Antonio Schmitt unter vollkommener Leugnung der Tatsachen die Wahrheit zu verdrehen suchen.“
Von einem Teil des Verkaufserlöses musste Julius Hauser die Reichsfluchtsteuer von 30.000 RM
bezahlen, ohne die er und seine Frau nicht hätten auswandern dürfen. Rudolf Schilling: „Es
verblieben dem Kläger nach seiner Erinnerung auf der Bank etwa 25.000 RM, über die er nicht
mehr verfügen konnte.“ Laut Schilling nahm das Ehepaar Hauser „lediglich eine kleine
Zimmereinrichtung, die der Kläger und seine Frau bei Pfeifer, Rheinstraße, gekauft hatten, neu mit,
im übrigen ihre alte Möbel“.
Man sieht, es geht um Geld. Denn eigentlich ist nur der Betrag umstritten, den Franz Schregle an
Julius Hauser zahlen soll, um eine nicht wahrscheinliche, aber durchaus noch mögliche
Rückerstattung zu vermeiden. Während Rudolf Schilling seinem Gegenüber eine Summe von
10.000 DM genannt hat, will Hauser erheblich mehr für die endgültige Überlassung des „Freiburger
Lederwaren-Hauses“ an Franz Schregle. Dem sind aber schon die 10.000 DM zu viel.
Entscheidend für den dann doch noch zustande gekommenen Vergleich ist, dass die
Restitutionskammer des Landgerichts zur Überzeugung gelangt, dass Franz Schregle 1937 mit
23.000 Mark einen „angemessenen Preis“ für das Geschäft bezahlt hat. Damit sind die
Vorstellungen von Julius Hauser über einen weit höheren Betrag erstmal vom Tisch. Als am 30.
März 1950 beide Parteien einen Vergleich eingehen, ist klar, dass Julius Hauser für das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ von Franz Schregle nicht mal die 10.000 DM, sondern nur 7.000 DM als
Nachzahlung erhält.
Hier, an der Ecke Friedrichstraße/Röderstraße, stand einst das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ von Berthold Dreyfuss und Julius Max Hauser. Das Gebäude
wurde beim Luftangriff 1944 völlig zerstört, das Trümmer-Grundstück aber an die
jüdischen Vorbesitzer zurückerstattet.
Foto: Bernd Serger
„Um die Ungewissheit der
Rechtslage zu beseitigen“,
hatte das Gericht auf den
Vergleich gedrängt – trotz
des Vorbehalts, dass Julius
Hauser den Kaufvertrag
von 1937 weiterhin als
Restitutionsfall ansieht,
während Franz Schregle
dies nach wie vor
bestreitet. Die
Nachzahlung soll, so heißt
es in dem Vergleichstext,
ausgleichen, dass beim
Verkauf „der Facon-Wert
und der Firmenzusatz
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‚Freiburger Lederwaren-Haus‘ seinerzeit nicht besonders bewertet wurden“. Vereinbart wird in
dem Vergleich außerdem, dass etwaige Kriegsentschädigungen für die vom Luftangriff zerstörte
Ladeneinrichtung Julius Hauser zustehen. Julius Hauser erkennt auch an, dass Franz Schregle beim
Erwerb der Firma 1937 ihm gegenüber „loyal gehandelt“ hat.
Nachdem das Thema Rückerstattung mit dem Vergleich von 1950 beendet ist, hoffen Julius und
Rosa Hauser darauf, für die sonstigen Verluste durch die Judenverfolgung zügig entschädigt zu
werden – doch auch in ihrem Fall dauern die Verfahren erheblich länger als erwartet. So ist von
Anfang an unbestritten, dass Julius Hauser vor der Auswanderung 30.500 RM an Reichsfluchtsteuer
zahlen musste – eine schon vor Hitlers Machtantritt erlassene Steuer, um die Kapitalflucht ins
Ausland zu bändigen. Als im Mai 1953 noch immer kein Geld in New York eingetroffen ist – auch
die im Dezember 1952 vom Landesamt für Wiedergutmachung zugesagte Teilentschädigung
sozusagen als Vorschuss blieb aus -, wird Anwalt Rudolf Schilling deutlich: „Der Antragsteller ist,
weil er sich in New York in einer sehr schwierigen Vermögenslage befindet, äußerst ungehalten
über diese Verzögerung und hat kürzlich deswegen eine Mittelsperson aus Endingen zu Ihnen
geschickt.“
Wie schon aus dem Briefwechsel
zwischen Julius und Rosa Hauser mit
Wilhelm Hauser deutlich geworden
ist, hatte das Ehepaar es schwer, in
den USA Fuß zu fassen. Die
Versuche, sich 1937 in Cincinatti mit
einem Lederwarengeschäft und am
Ende des Jahres in New York mit
einem Boardinghouse selbständig zu
machen, gingen schief. Nun blieb
beiden nur noch die Arbeit in der
Fabrik. 1942 hatte Julius Hauser
einen Job als Packer in einer
Taschentuchfabrik, 1945 fand er
dann Arbeit in einer
Lederwarenfabrik. Dort blieb er, bis
er 1948 gekündigt wurde. Erst 1950
ging es für ihn weiter, als er im
Gesundheitsamt der Stadt New York
angestellt wurde - als angelernter
und damit schlecht bezahlter
Mitarbeiter. Seine Frau, verschlissen
von der jahrelangen harten
Fabrikarbeit, ist immer öfter krank
und kann selbst nichts mehr zum
finanziellen Auskommen beitragen.
Am 22. Dezember 1937 stellte Julius Max Hauser den Antrag auf
Aufnahme als amerikanischer Staatsbürger. Es sollte noch Jahre
dauern, bis dieser Wunsch erfüllt wurde. Abbildung: ancestry.com
In seiner Not wendet sich Julius Hauser an das deutsche Konsulat
Ein Vorschuss des Landesamts für Wiedergutmachung von 3.000 DM im August 1953 hilft zwar, die
aufgelaufenen Schulden für die Krankenbehandlung von Rosa Hauser zu tilgen, doch nicht mehr. So
wendet sich Julius Hauser im Oktober 1953 selbst an das Landesamt für Wiedergutmachung,
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berichtet über seine finanzielle Notlage und besonders auch darüber, dass Rosa Hauser zuletzt
zwei Mal operiert werden musste – Kosten, die das Ehepaar selbst zu tragen hat.
Als das Landesamt darauf ein Jahr lang nicht reagiert, bittet Hauser das deutsche Konsulat in New
York um Unterstützung. Konsul Dr. Georg Kraus bestätigt am 8. Oktober 1954 in einem Schreiben
an das Landesamt für Wiedergutmachung die „äußerst bedrängte wirtschaftliche Lage“ von Julius
Hauser: „Sein monatliches Einkommen beträgt etwa $ 180-200 und liegt damit noch unter dem für
die USA festgelegten Mindestsatz. Seine Lage wird dadurch noch verschlimmert, dass seine Frau,
die vor wenigen Wochen noch ein Schlaganfall erlitt, dauernder ärztlicher Behandlung bedarf und
sich wahrscheinlich in Bälde in Heimbehandlung begeben muss. Die hierbei entstehenden Kosten
sind derart hoch, dass die Familie Hauser nicht einmal in der Lage ist, die lebensnotwendigen
Anschaffungen zu machen.“
Nun endlich, im Januar 1955, also wiederum erst nach drei Monaten, reagiert das Landesamt und
bewilligt Julius Hauser, mittlerweile 64 Jahre alt, einen weiteren Vorschuss von 4.000 DM als
Entschädigung für seinen „Schaden im wirtschaftlichen und beruflichen Fortkommen“. Und es
dauert dann noch einmal ein ganzes Jahr, bis das Landesamt für Wiedergutmachung dieses
Verfahren abschließt und Julius Hauser eine Entschädigung von 19.133 DM zuspricht. Ausbezahlt
werden 12.133 DM, da die Vorschüsse in Höhe von insgesamt 7.000 DM abgezogen werden.
Das Landesamt bestreitet in seinem Bescheid vom 24. Februar 1956, dass Julius Hauser als Jude
seit 1933 durch den Nazi-Boykott 25 Prozent weniger verdient habe als ein vergleichbarer
„arischer“ Kaufmann. Seine Verluste seien wesentlich geringer gewesen. Damit aber bekommt
Hauser für die Zeit bis April 1937, als er tatsächlich als Kaufmann aufgehört hat, keine
Entschädigung. Genauso unbarmherzig geht das Amt vor, als es das Ende des
Entschädigungsanspruchs von Julius Hauser auf das Jahr 1950 festlegt. Denn als Angestellter des
Gesundheitsamts habe er seitdem eine „ausreichende Lebensgrundlage“ und damit keinen
Anspruch auf Entschädigung.
Wie in anderen Wiedergutmachungsfällen
beginnt nun ein entwürdigendes Hin und
Her in der Frage, ob der geltende
Umrechnungsmodus der US-Währung von
1: 4, also dass ein Dollar dem Wert von
vier DM entspricht, der Lebenswirklichkeit
in New York standhält oder nicht.
Aufgrund seines durchschnittlichen
Verdienstes von rund 9.000 RM in der Zeit
von 1932 bis 1936 stuft das Landesamt
Julius Hauser vergleichsweise in den
gehobenen Dienst der öffentlichen
Verwaltung ein – und kommt bei dem
Am 11. April 1944, fast sieben Jahre nach seinem Antrag,
wurde Julius Max Hauser mit 53 Jahren in New York als US-
Bürger aufgenommen.
Abbildung: ancestry.com
Umrechnungsmodus von 1:4 zum überraschenden Ergebnis, dass Julius Hauser nach 1950 mehr
verdient habe als ein Beamter in Deutschland in entsprechender Position.
Für Julius Hauser müssen diese Rechenbeispiele aus Deutschland wie Hohn geklungen haben, denn
er weiß aus seinem Alltag, dass der Dollar in New York allenfalls 2 DM wert ist und nicht 4 DM.
Erneut bittet er das deutsche Konsulat in der Stadt um Hilfe – und Hans Erkens von der
Rechtsabteilung des Konsulats stützt seine Argumentation. Julius Hausers Verdienst von rund 200
Dollar im Monat als „Clerk“ im Gesundheitsamt liege am Existenzminimum – für eine Person. An
irgendwelche Ersparnisse für die Altersversorgung sei da nicht zu denken. Dazu komme, so Erkens
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am 10. April 1956 an Hauser, dass Rosa Hauser seit ihrem Schlaganfall von 1954 fast völlig gelähmt
sei: „Die Behandlungskosten beliefen sich im Jahr 1954 auf $ 489, im Jahr 1955 auf $ 693 und
werden mit Sicherheit jährlich noch weiter $ 200 bis $ 300 betragen. Daraus ergibt sich, dass Ihr
tatsächliches Einkommen seit 1954 noch unter dem Existenzminimum liegt“. Der Konsulatssekretär
empfiehlt Julius Hauser, gegen den Bescheid des Landesamts Klage zu erheben.
Dem folgt Hauser. Am 24. Juli 1956 reicht Rechtsanwalt Rudolf Schilling bei der
Entschädigungskammer des Landgerichts Klage gegen den Bescheid vom Februar 1956 ein. Er
beantragt, Julius Hauser eine Kapitalentschädigung bis zur gesetzlich möglichen Höchstgrenze von
40.000 DM zu gewähren und ihn in die richtige (und damit finanziell bessere) Altersklasse
einzuordnen. Abenteuerlich nun die Stellungnahme des Landesamts für Wiedergutmachung dazu:
Entscheidend für die Festlegung der Altersstufe sei der Beginn der Verfolgung. Den habe der Kläger
selbst auf 1933 festgelegt. Da sei er aber erst 43 Jahre alt gewesen und somit in eine niederere
Altersstufe einzuordnen. Für die Verfolgung entschädigt werden könne Julius Hauser dagegen erst
vom 1. Februar 1937, dem Zeitpunkt der Aufgabe seines Geschäfts, an.
Das Landesamt bleibt dabei, dass Julius Hauser bei einem aktuellen Umrechnungskurs von 1:3,5
(Dollar zu DM) mehr verdiene als ein Beamter in entsprechender Stellung in Deutschland und
damit über eine „ausreichende Lebensgrundlage“ verfüge. Aufgrund inzwischen aktualisierter
Gesetzeslage spricht es Hauser eine weitere Entschädigung von 2.391 DM zu. Das Landgericht folgt
in seinem Urteil vom 29. Januar 1957, was die Einstufung in die Altersklasse angeht, nicht dem
Landesamt, sondern der Argumentation von Hausers Anwalt. Es spricht Julius Hauser eine weitere
Entschädigung von 11.907 DM zu, lehnt es aber wie das Landesamt ab, die Entschädigungsdauer
über das Jahr 1950 hinaus auszudehnen. Auch das Landgericht wertet das Einkommen von Julius
Hauser als „ausreichende Lebensgrundlage“.
Hauser nutzt im Juni 1957 die Möglichkeit, statt der weiteren Kapitalentschädigung eine
monatliche Rente zu beanspruchen. Sie wird ihm vom 1. November 1953 an in Höhe von 429 DM
und von 1. Januar 1956 an in Höhe von 468 DM gewährt, dazu noch eine einmalige Entschädigung
von 5.148 DM.
Das Landesamt für Wiedergutmachung errichtet eine Hürde nach der anderen
Halsstarrig zeigt sich das Landesamt für Wiedergutmachung auch bei der Entschädigung der 30.500
RM, die Julius Hauser 1937 als Reichsfluchtsteuer bezahlen musste, um das Land verlassen zu
können. Das Landesamt behauptet, dass Hauser einen Teil der Reichsfluchtsteuer aus dem
Verkaufserlös des Geschäfts bezahlt habe, was zur Folge hätte, dass die Entschädigung nur im
Verhältnis 10:1 berechnet wird. Doch das Gericht folgt in seinem Urteil vom 19. Dezember 1960
Hausers Darstellung, dass er diese Steuer komplett aus seinem Vermögen bezahlt habe, was dazu
führt, dass die Entschädigung im Verhältnis 10:2 entrichtet wird. Damit erhöht sich der Betrag für
Julius Hauser um 1.144 DM auf insgesamt 6.100 DM. Einmal mehr wird mit diesem Urteil bestätigt,
dass die Entschädigungskammer des Landgerichts mehr auf der Seite der jüdischen Kläger steht als
das Landesamt für Wiedergutmachung. Im Fall von Julius Hauser kommt dazu, dass das Landgericht
inzwischen der Auffassung ist, dass Julius Hauser im Vergleich von 1950 mit der Nachzahlung von
7.000 DM durch Franz Schregle nicht ausreichend entschädigt worden sei.
Und was ist mit Rosa, genannte Rosel Hauser, der einstigen „Seele des Betriebs“? Nun geht es auch
um ihre Absicherung. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 24. Juli 1957 blickt sie auf ihr Leben
zurück: „Nach Absolvierung der Volksschule besuchte ich ein Töchternheim in Berlin-Zehlendorf,
woselbst ich auch in kaufmännischen Fächern unterrichtet wurde. Nach meiner Rückkehr arbeitete
ich zusammen mit meinen Eltern im väterlichen Geschäft.“ Dass sie eigentlich später im
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„Freiburger Lederwaren-Haus“ das Heft in der Hand hat, deutet sie mit dem Satz an, dass ihr
Ehemann Julius Hauser von 1920 an als persönlich haftender Gesellschafter – die Buchführung
übernahm. Im Januar 1931 wurde Julius Hauser alleiniger Inhaber der Firma, sie und ihre Mutter
übernahmen die Prokura. „Eine Vergütung in Geld bekam ich für meine Tätigkeit nicht. Mein Mann
und ich betrachteten das Einkommen aus der Firma als gemeinsamen Erwerb. Wir wurden auch
steuerlich gemeinsam veranlagt.“
Nach der „erzwungenen Auswanderung“ konnte sie, so berichtet sie weiter, in New York nur wenig
verdienen, weil sie wegen mangelnder Sprachkenntnisse „nur minderwertige Arbeitsplätze
angeboten“ bekam. 1945 dann die erste Operation, sie arbeitete, obwohl noch sehr geschwächt
weiter, wenn auch mit Unterbrechungen. 1950 folgte die zweite Operation, 1952 die dritte. Auch
dann ging sie noch weiter in die Fabrik, bis sie 1954 zwei Schlaganfälle erlitt und wegen ihrer
Lähmung seitdem nicht mehr arbeiten kann.
„Wegen Schadens im beruflichen Fortkommen
aus unselbständiger Arbeit“ spricht ihr das
Landesamt für Wiedergutmachung am 24. Juli
1957 auf der Grundlage der Einstufung in den
einfachen Dienst wahlweise eine
Kapitalentschädigung von 6.729 DM oder eine
monatliche Rente von 107,32 DM zu. Rosa
Hauser fühlt sich mit diesem Bescheid unter
Wert behandelt und klagt am 4. Juli 1958
gegen das Land auf eine höhere Entschädigung
von zusätzlich 2.071 DM und eine Einstufung
Besuch in seinem Altersheim in Riehen/Schweiz: Julius Max in den mittleren Dienst. Das Landesamt weist
Hauser (rechts) mit seinem Bruder Professor Wilhelm Hauser
(links) und dessen Sohn Walter, die damals in den 60er
die Klage zurück. Es könne nicht sein, dass im
Jahren in der DDR lebten.
F Geschäft der Größe des „Freiburger
Foto: Günther Wirth: Die Hauser-Chronik
Lederwaren-Hauses“ neben der Einstufung des
Inhabers in den höheren Dienst nun auch noch jemand im mittleren Dienst eingestuft werde.
Und wieder zeigt sich das Landgericht entgegenkommender und erhöht im Urteil vom 11. Mai 1959
die Entschädigung um die geforderten 2.071 DM. Es sei durchaus anzunehmen, so die Richter in
ihrer Begründung, dass Rosa Hauser, die keine Kinder hat, ihre volle Tatkraft dem Unternehmen,
das sie ja quasi leitete, gewidmet hat. Für diese Stellung müsse man ihr monatlich etwa 400 RM
Gehalt zubilligen – eindeutig ein Betrag, der sie für den mittleren Dienst qualifiziert. Dafür, dass ihr
Mann nun schon Jahre zuvor in den gehobenen Dienst eingeordnet wurde, könne sie nichts. „Dass
ein solches Ergebnis, dass nun in Kauf genommen werden muss, von ihr oder ihrem Ehemann
arglistig herbeigeführt worden ist, lässt sich nicht feststellen und ist auch den Umständen nach
nicht anzunehmen.“
Das letzte Urteil aus Freiburg erfährt Rosa Hauser nicht mehr
Doch das Landesamt für Wiedergutmachung sieht das nicht ein und legt am 30. Juni 1959 gegen
das Urteil Berufung ein. Das nun mit der Klärung beauftragte Oberlandesgericht Karlsruhe weist
am 23. Juni 1960 die Berufung zurück. Es nimmt den Gewinn aus dem „Freiburger Lederwaren-
Haus“ in den Jahren vor 1933 so hoch an, dass er sowohl für eine Entlohnung im gehobenen wie
auch im mittleren Dienst ausgereicht hätte. Als der Anwalt ihr dieses erfolgreiche Urteil bekannt
geben will, ist Rosa Hauser schon tot: Sie ist am 16. Mai 1960 im Alter von 63 Jahren gestorben. Als
Alleinerbe erhält Julius Hauser die noch ausstehenden Zahlungen für Rosa Hauser.
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Nach deren Tod hält es ihren Ehemann nicht mehr in New York. Bereits Mitte 1960 geht er zurück
nach Europa – aber nicht mehr nach Deutschland, sondern in ein jüdisches Altersheim in Basel-
Riehen, das nur wenige hundert Meter entfernt von der deutschen Grenze liegt. Im März 1961
erhält Julius Hauser den Bescheid, dass er auf geänderter Grundlage des
Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) nun vergleichsweise in den höheren Dienst eingestuft wird.
Damit erhöht sich seine Rente auf 630 DM und er bekommt eine Nachzahlung von 14.574 DM.
Am 2. Februar 1962, also
mehr als zehn Jahre nach
seinem Antrag, erhält Julius
Hauser 3.912 DM als
Entschädigung für den
Transferverlust
zugesprochen, der ihm
entstand, als er für die
Ausfuhr der 11.000
holländischen Gulden rund
19.000 RM dem deutschen
Staat entrichten musste.
Am 29. Juni 1962 folgt eine
Zahlung von 1.437 DM für
entzogene Wertpapiere.
Auch für die Reisekosten in
die USA im Mai 1937 in Höhe
von rund 3.000 RM werden
In diesem jüdischen Altersheim in Riehen bei Basel zog Julius Max Hauser im
Sommer 1960, nach dem Tod seiner Frau von New York kommend, ein. Hier blieb
er bis zu seinem Lebensende im April 1967.
Foto: Riehener-Zeitung
die Hausers nun entschädigt. 1965 wird die monatliche Rente für Julius Hauser auf 1.000 DM pro
Monat erhöht.
Zum Schluss also hat er sicher eine „ausreichende Lebensgrundlage“ gehabt. Julius Hauser stirbt
am 4. April 1967 in Riehen im Alter von 76 Jahren. Er wird auf dem jüdischen Friedhof in Basel
bestattet. Ob er nach dem Krieg jemals wieder nach Freiburg kam, ist nicht bekannt – aber auch
nicht anzunehmen.
Dies ist nun die Geschichte des
„Freiburger Lederwaren-Hauses“, das
heute unter dem Namen „Freiburger
Lederhaus“ firmiert. Jetzt kann man
sich auch vorstellen, was wirklich
hinter dem Slogan „Lieblingsstücke seit
1905“ steckt: eine Geschichte von
Erfolgen, Misserfolgen, Verfolgung,
Ermordung und dem qualvollen Weg zu
etwas wie Wiedergutmachung.
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Nachtrag:
Wir wollen an dieser Stelle noch dokumentieren, was die Firma „Freiburger Lederhaus“ selbst zu
ihrer Geschichte auf der im November 2019 und Anfang Januar 2020 neu eingerichteten Website
https://www.freiburger-leder-haus.de/ zu berichten weiß – ohne jeden Kommentar und in voller
Länge:
„Geschichten, die das Leben schreibt
„Eine ehemalige Angestellte berichtet …
Irmgard Haller (79) erzählt wie Sie drei Inhaber und drei Generationen erlebte: „Ja, das waren noch
Zeiten – damals. Ein Schlitzohr war er, streng aber immer gerecht“, so beschreibt Irmgard Haller
ihren langjährigen Chef Franz Schregle, dem damaligen Inhaber des Freiburger Lederwaren-
Hauses. Und das waren wohl auch die wichtigsten Eigenschaften um als Unternehmer die
Kriegswirren überstehen zu können.
Die Zeiten waren anders: Der Handel war weniger damit beschäftigt Kunden zu finden, denn wer
Ware hatte, der hatte auch die Schlangen vor dem Ladentresen. Die Bezugsscheine vom
Wirtschaftsamt waren damals die Währung und Soldaten die Kunden. Wenn mal ein Wagon
Lederkoffer aus Heidelberg am Güterbahnhof verfügbar war, halfen sich die
Kriegsverkaufsgemeinschaften gegenseitig. So durfte Familie Schregle mit Lehrling „Irmgard“ eben
jene Koffer an einer improvisierten Theke im Hause „Schafferer“ verkaufen. Im eigenen Provisorium
war dazu kein Platz.
Das Sortiment war sehr begrenzt: Koffer, Rucksäcke, Taschen. Zunächst klingt das wie heute,
allerdings mit dem Unterschied, dass es immer nur ein Modell gab. Das erste Geschäft wurde mit
„Planen-Taschen und -Rucksäcken“ gemacht. Produziert wurden diese damals noch in Freiburg. Die
Firma Gugel nähte aus Militärplanen Rucksäcke und Taschen. Praktisch und stabil, das waren die
wichtigsten Produkteigenschaften, Mode war Nebensache.
Die Wege waren lang: Der „Lieferservice“ in Freiburg wurde mit dem Leiterwagen erledigt, der
abends im Behelfsladen von “Bollerers” untergestellt wurde. Das Lager war im Ibental bei
Kirchzarten, wo „Schregles“ auch wohnten. Zum Lieferanten in Gundelfingen fuhr Irmgard Haller
mit dem Zug und zurück musste Sie per Anhalter – es fuhr nur ein Zug am Tag. Aber die Menschen
halfen sich noch gegenseitig und so hat es auch gut funktioniert. Als Irmgard Haller 1943 Ihre Lehre
begann, gehörten Arbeiten wie Kohle schippen oder den Laden putzen zum normalen
Ausbildungsinhalt. Die „Azubis“ hießen noch „Stift“ oder bestenfalls „Lehrling“. Und Lehrjahre sind
ja schließlich keine Herrenjahre.
Es waren harte Zeiten: Die Nacht verbrachte man im Luftschutzkeller und den Tag an der
Verkaufstheke.
Als der Krieg dann endlich zu Ende war, musste sich Franz Schregle (wie viele andere Männer
damals) erst mal absetzten. Und so fuhr er mit dem Fahrrad zum Bruder ins Allgäu, während seine
Frau Elisabeth Schregle das Geschäft weiterführte. Sie war die gute Seele im Leder Haus und bei
den Mitarbeitern sehr beliebt. Was Franz Schregle mit Disziplin und Strenge nach vorne trieb,
egalisierte Elisabeth Schregle durch Ihre Güte.
*
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In der Nachbetrachtung zeigte sich Franz Schregle als äußerst weitsichtig, als er 1945 den
geplanten Umzug nach Kirchzarten kurzfristig abblies, obwohl der Laden schon fix und fertig
gerichtet war. Er bevorzugte den Standort Freiburg, damals noch am Schwabentor. Erneut zeigte
sich seine „Schlitzohrigkeit“ 1949 mit der Entscheidung nicht wieder an den Friedrichring zurück zu
gehen. Und so bezog das Freiburger Lederwaren-Haus den heutigen Standort im Bursengang an
der Rathausgasse, die damals noch Eisenbahnstrasse hieß und befahren war. Von den damaligen
Erstbeziehern des Bursengangs gibt es heute nur noch das ebenso traditionsreiche Geschäft
“Blumen Meyer”.
Franz und Elisabeth Schregle führten das zunehmend moderner werdende Unternehmen bis ins
Jahr 1970. Dann übernahm Tochter Rosmarie Niemann die Geschäftsführung. Sie begann nun
kontinuierlich das Ladengeschäft und das Warensortiment zu modernisieren. Mode wurde
schnelllebiger, kompetente Beratung der Kunden und Markenorientierung wurden immer
wichtiger. Deshalb hatte Rosmarie Niemann den „70ern“ auch genüge getan und 1978 das
Geschäft modern umgebaut.
Mit dem Schrecken kam sie davon als 1980, beim Brand im Bursengang, das Freiburger Leder Haus
verschont blieb.
1988 konnte sie die Räume der „Schwarzwald Industrie“ übernehmen und erweitert den Laden auf
250 m².
Das Freiburger Leder Haus zeigt sich dem Kunden heute, unter der Geschäftsführung von Carolin
Niemann (geb. 1967), modern und zeitgemäß. Von weiterhin klassisch bis flippig und trendy
umfasst das Sortiment neben den traditionellen Waren wie Koffer und Taschen überwiegend
Accessoires. Ob Schals, Handtasche, Geldbeutel oder Schlüsselanhänger, modebewusste
Individualisten finden hier garantiert und gut beraten ihr Outfit. Mit der jungen Geschäftsführung
wurden auch die Kunden jünger. Markenprodukte und Accessoires in modischen Farben füllen die
Regale.
Auch Carolin Niemann fühlt sich der Tradition verpflichtet. Sie legt größten Wert auf Dienstleistung
und Beratung. So wurde im Jubiläumsjahr die „Leder Haus Card“ eingeführt. Neben einer ganzen
Reihe von kostenfreien Zusatzleistungen, erhält der Card Inhaber einen Preisvorteil auf seine
Einkäufe.
Das Firmenjubiläum wurde im Freiburger Leder Haus mit attraktiven Überraschungen gebührend
gefeiert.
Irmgard Haller, machte Ihre Kaufmannsprüfung 1949 an der Lessingschule. Danach hatte Sie selbst
über 100 Auszubildende „unter sich“, bis Sie im Jahr 2000 nach 57 Jahren Betriebszugehörigkeit
ausschied, erzählt sie und hält stolz Ihre “Straußenleder Tasche” auf dem Schoß. Auf Nachfrage
sagt sie: “Ja, die ist unverwüstlich” – auch als Rentnerin im Herzen noch immer „Verkäuferin von
Lederwaren“.“
Es gibt auf der renovierten Website noch mehr Hinweise auf die Firmengeschichte. Als da sind:
„Über uns
„Es geht uns darum, unser Ladengeschäft in der Freiburger Innenstadt auch in Zukunft für die
Kundinnen und Kunden attraktiv zu gestalten“, sagt Carolin Niemann, Inhaberin vom „Freiburger
Leder Haus“. Dafür hatte sich die Geschäftsführerin schon 2017 Gedanken zu einigen Neuerungen
gemacht, 2018 kam dann die Vermieterin, die Center-Management-Freiburg GmbH, mit einer
neuen Idee: Warum nicht, die ebenerdige Fläche erweitern und dafür den ersten Stock aufgeben?
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Über diesen Vorschlag, der eine viel größere Veränderung bedeuten würde, beriet sich Niemann
dann mit ihrem Team, Freunden und Planern.
1905 wurde das Geschäft „Freiburger Lederwaren Haus“ gegründet – es hat einen Bombenangriff,
mehrere Umzüge, einen Brand und einige Umbauten gemeistert (mehr über unsere Geschichte
erfahren). Und heute ist das „Freiburger Leder Haus“, wie es seit 1988 heißt, für lokale und
internationale Kundschaft ein Hotspot zu Topmarken von Rimowa bis Longchamp. Hier berät ein
super motiviertes und ausgebildetes Team, sagt Niemann, und bietet auch einen guten Service zur
besten und nützlichsten Produktauswahl rund ums Thema Handtaschen und Reisen.“
Die im November 2019 erneuerte Website des „Freiburger Lederhauses“ enthält noch mehrere
Abschnitte, in der die Firmengeschichte angesprochen wird. Hier einer davon:
„Wir sind eine Institution.
Das Freiburger LederHaus geht auf ein 1905 gegründetes Handelsunternehmen für
Transportbehältnisse des persönlichen Bedarfs zurück. Transportbehältnisse im Sinne von Taschen,
Koffern etc. mit denen man persönliche Dinge sicher und stilvoll von A nach B bringen kann. In
dritter Generation gilt das Unternehmen als verlässlicher Partner für anspruchsvolle Kunden, die
beste (Leder-)Waren schätzen. Seit 1949 ist das Geschäft in Freiburgs Stadtmitte zu Hause. In der
Bursengalerie am Rathausplatz finden über 4.000 Stammkunden auf zwei Etagen eine
beeindruckende Auswahl aktueller Kollektionen vor.“
Und hier ein anderer Abschnitt:
„Unsere Profession
Wir sind Ihre guten Gastgeber. Seit über 100 Jahren steht unser Unternehmen für ehrliche
kompetente Beratung mit Herz und Charme. Aufmerksames Zuhören und qualifiziertes Nachfragen
sind die Voraussetzungen für Vertrauen und Fairness im Umgang mit unseren Kunden. Wir leben
unsere Profession als gute Gastgeber unserer Kunden mit einer Grundhaltung, die sich im täglichen
Umgang ausdrückt. Unser Ziel lässt sich unmittelbar ableiten: Wir fühlen uns wohl, wenn sich
unsere Kunden wohlfühlen.“
Das „Freiburger Lederhaus“ wird, so
liest man, „in dritter Generation“
von Carolin Niemann (links) geführt,
Wenn man die jüdischen
Generationen davor weglässt,
stimmt das. Carolin Niemann ist die
Enkelin von Franz und Elisabeth
Schregle, die das „Freiburger
Lederwaren-Haus“ von 1937 bis
1970 betrieben haben. Dann
übernahm Tochter Rosmarie
Niemann das Geschäft. Sie verkürzte
1988 den Firmennamen in
„Freiburger Lederhaus“. Seit etlichen
Jahren ist nun Carolin Niemann die
Chefin.
Abbildung:
www.freiburger-leder-haus.de/
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Am 27. Dezember 2019 schrieb der Autor dieser Dokumentation an Carolin Niemann einen Brief. Er
enthielt einen Abriss der von ihm recherchierten Geschichte des „Freiburger Lederwaren-Hauses“
und die Bitte um eine Stellungnahme „zu Ihrem Umgang mit der eigenen Firmengeschichte“.
Die Reaktion kam prompt: Carolin Niemann ließ die Website in den folgenden Tagen nochmals
überarbeiten – mit Auszügen aus dem ihr überlassenen historischen Abriss. Es sei ihr Fehler
gewesen, so schrieb sie in ihrer Antwort vom 8. Januar 2029, nicht nachzuprüfen, ob die von ihr im
Juli 2019 herausgegebene Pressemitteilung zur Erweiterung des Geschäfts von der Website-
Agentur im neuen Internet-Auftritt auch verarbeitet wurde. Darin sei, wie auch in der 2019
erschienenen Broschüre „Lust auf Gut“, als Gründer des „Freiburger Lederwaren-Hauses“ im Jahr
1905 Berthold Dreyfuss erwähnt.
Die Website www.freiburger-leder-haus.de/ enthält nun seit Anfang Januar 2020 folgenden Text:
„Freiburger Leder Haus: Geschichte
1905 (Gründung) bis 1937:
Das „Freiburger Lederwaren Haus“ wurde 1905 in der Friedrichstraße 11 durch den jüdischen
Kaufmann Berthold Dreyfuss gegründet. Nach dem Tod von Berthold Dreyfuss im Jahr 1923
übernahmen die Witwe Lina Dreyfuss, die Tochter Rosa und deren Ehemann Julius Max Hauser das
Geschäft. Aufgrund der Repressalien durch den NS-Staat trafen Rosa und Julius Max Hauser Ende
1936 die Entscheidung, in die USA zu emigrieren. Sie verkauften Grundstück und Firmengebäude an
Alfred Kohler aus Trier und die Firma „Freiburger Lederwarenhaus“ an Franz Schregle. Der Verkauf
erfolgte auf der Grundlage eines Gutachtens zweier auswärtiger Fachleute, auf die sich die
Beteiligten geeinigt hatten. Das Ehepaar Hauser unterstützte den berufsunerfahrenen Franz
Schregle in den ersten Monaten bei der Einarbeitung. Im Mai 1937 emigrierten Rosa und Julius Max
Hauser in die USA.
Besondere Ereignisse, Umzüge, Umbauten
1944 Bombenangriff: vollständige Zerstörung des Ladens in der Friedrichstraße 11
1945 geplanter Umzug nach Kirchzarten wird zugunsten des Standortes Freiburg verworfen
1946 Kriegsverkaufsgemeinschaft mit dem Aussteuerhaus Herzog am Schwabentor
1949 Umzug an den heutigen Standort „Bursengang“ mit 70 m² Verkaufsfläche
1949 Antrag des Herrn Julius Max Hauser auf Rückerstattung des „Freiburger Lederwarenhaus“ bei
der Restitutionskammer des Landesgerichts. 1950 einigen sich die beide Parteien auf einen
Vergleich (Nachzahlung).
1970 Rosmarie Niemann, geb. Schregle übernimmt die Geschäftsführung
1972 Erste Modernisierung und Ladenumbau
1978 Zweiter Ladenumbau
1980 Brand im Bursengang
1988 Vergrößerung des Geschäfts auf 250 m² (Räume der Schwarzwaldindustrie
Porzellanmanufaktur werden übernommen)
1999 Vergrößerung auf 300 m² (Räume von Briefmarken Frey werden übernommen)
2000 Eröffnung des Trendstores „flac“, Schwerpunkt Rucksäcke, in der Bertoldstraße 20
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2004 Carolin Niemann übernimmt die Geschäftsführung
2006 kompletter Umbau, Eingang wird von der Burse zur Rathausgasse verlegt
2010 Renovierung 1. Obergeschoss
2018/2019 Ausbau auf 450 m² von Mai 2018 bis April 2019: Teile des Bursencafés, des Bursengangs
und kleinerer angrenzender Geschäfte werden zu einem ebenerdigen Laden zusammengefasst; es
entsteht ein zweiter Eingang Richtung Drogeriemarkt Müller, Universitätsstraße
2019 Eröffnung Juli 2019, alles ebenerdig“
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