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Leseprobe: Wer wohnt in weißen Würfeln?

Die Häuser für die Bauhaus-Lehrer und ihre Familien gleichen weißen Schuhkartons. Darin wohnten die Kandinskys, Klees und Gropius’ nicht nur gerne, sie nutzten sie auch, um in ihnen zu experimentieren, zu feiern und mit Klees Katze zu spielen. Oft wünschten sie sich Gardinen, so viele Passanten schauten neugierig rein: Denn da war was los bei den Bauhaus-Meistern!

Die Häuser für die Bauhaus-Lehrer und ihre Familien gleichen weißen Schuhkartons. Darin wohnten die Kandinskys, Klees und Gropius’ nicht nur gerne, sie nutzten sie auch, um in ihnen zu experimentieren, zu feiern und mit Klees Katze zu spielen. Oft wünschten sie sich Gardinen, so viele Passanten schauten neugierig rein: Denn da war was los bei den Bauhaus-Meistern!

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Lotte und Max haben mit ihrem Vater e<strong>in</strong>en ganzen Tag<br />

im Bauhausgebäude verbracht. Sie haben ihn mit Fragen<br />

gelöchert, erfahren, was Eisengarn ist und was e<strong>in</strong><br />

Gropius-Drücker. Jetzt kippeln sie auf den schwarzen<br />

Stahlrohrstühlen <strong>in</strong> ihrem Zimmer im Ateliergebäude,<br />

während ihr Vater tief und fest schläft. Sie langweilen<br />

sich. Das iPad funktioniert nicht, weil es <strong>in</strong> diesem krankenhausmäßigen<br />

Zimmer, wie Lotte f<strong>in</strong>det, ke<strong>in</strong> WLAN<br />

gibt. Auf den w<strong>in</strong>zigen Balkon dürfen sie nicht, weil er<br />

es ihnen verboten hat. Die Brüstung ist zu niedrig, ke<strong>in</strong>e<br />

Ahnung warum. Waren die Leute damals wirklich<br />

kle<strong>in</strong>er oder sollte das alles eben nur chic se<strong>in</strong>?<br />

Max hat se<strong>in</strong>en Ball ausgepackt und überredet se<strong>in</strong>e<br />

Schwester, noch e<strong>in</strong> wenig auf dem Rasen h<strong>in</strong>ter dem<br />

Bauhausgebäude zu kicken. Er weiß natürlich, dass<br />

sie schnell die Lust verliert, weil se<strong>in</strong>e Flanken so raketenschnell<br />

und gepfeffert s<strong>in</strong>d. Aber Lotte hat sich<br />

vorgenommen, diesmal alle Schüsse standhaft abzuwehren.<br />

Als die Geschwister <strong>in</strong>s Freie treten, bemerken<br />

sie e<strong>in</strong>en rothaarigen Jungen, der etwas angeberisch<br />

an se<strong>in</strong>em Fahrrad lehnt. Er hat flaschengrüne Augen,<br />

erstklassige Sommersprossen und etwas abstehende<br />

Ohren. Der Junge ist etwas älter als sie und Max freut<br />

sich auf e<strong>in</strong>en Mitspieler. »Willst du mit uns Fußball<br />

spielen?«, kräht er. Der Junge hebt das K<strong>in</strong>n, als wollte<br />

er sagen: Was willst du Dreikäsehoch denn von mir?<br />

Doch dann antwortet er: »Gute Idee, aber ich habe e<strong>in</strong>e<br />

bessere.« Lotte und Max s<strong>in</strong>d neugierig und kommen<br />

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näher. »Wollt ihr e<strong>in</strong> richtiges Abenteuer<br />

erleben? Aber e<strong>in</strong>es, von dem ihr niemandem<br />

erzählen dürft. Ich kann euch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

andere Zeit beamen, echt jetzt. Me<strong>in</strong> Urgroßvater<br />

hat damals am Bauhaus gearbeitet<br />

und mir e<strong>in</strong>en Schlüssel vererbt. Mit<br />

dem kann ich <strong>in</strong> die Vergangenheit gehen,<br />

aber er passt nur an e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Tür. Ihr<br />

werdet sehen! Ach, im Übrigen, ich heiße<br />

Titus.« Lotte schüttelt den Kopf und denkt<br />

sich: So e<strong>in</strong> Angeber. Wie soll das gehen,<br />

mit der anderen Zeit. Aber die K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d<br />

viel zu neugierig, ob Titus hält, was er verspricht.<br />

Also folgen sie ihm.<br />

Sie biegen beim Bauhaus rechts ab, gehen<br />

e<strong>in</strong>e baumgesäumte Straße entlang, überqueren<br />

e<strong>in</strong>en Kreisverkehr und stehen<br />

plötzlich vor e<strong>in</strong>er bettlaken<strong>weißen</strong> Mauer.<br />

Aus ihr ragt e<strong>in</strong> komischer Kiosk mit e<strong>in</strong>em<br />

ziemlich eleganten, flachen Dach. Fast<br />

wirkt er e<strong>in</strong> wenig bedrohlich, weil sich<br />

Fahrradfahrer, wenn sie sehr dicht an ihm<br />

vorbeifahren, e<strong>in</strong>e Beule holen können. »Ist<br />

das e<strong>in</strong> Eisladen?«, fragt der kle<strong>in</strong>e Max.<br />

Titus prustest: »Mensch, das nennt man<br />

Tr<strong>in</strong>khalle.« Davon haben die K<strong>in</strong>der noch<br />

nie gehört. Dar<strong>in</strong> kann man sich betr<strong>in</strong>ken?<br />

Titus klärt auf, dass vor über achtzig Jahren<br />

der berühmte Architekt Mies van der<br />

Rohe den Dessauern e<strong>in</strong>en Ausschank für<br />

Säfte, Milch und Limonade habe bauen<br />

wollen. »Gab es da auch Bizzelwasser?«,<br />

fragt Max. Das sagt er immer, wenn er M<strong>in</strong>eralwasser<br />

me<strong>in</strong>t. Titus nickt. Aber weiter<br />

jetzt. Plötzlich stehen die K<strong>in</strong>der vor<br />

e<strong>in</strong>em großen, grauen Garagentor. »Was<br />

wollen wir hier?«, fragt Lotte. »Wartet es<br />

ab«, antwortet Titus. Er steckt den Schlüssel<br />

<strong>in</strong>s Schloss und schiebt die schwere<br />

Tür auf. Sie knarrt erst und quietscht dann<br />

ohrenbetäubend. Unter e<strong>in</strong>er grauen Plane<br />

entdecken die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>en Oldtimer.<br />

E<strong>in</strong> Adler Cabriolet mit Ledersitzen, funkelnden<br />

Apparaturen und e<strong>in</strong>er gläsernen<br />

W<strong>in</strong>dschutzscheibe. Riesige, verchromte<br />

Radkappen, edle Kotflügel und Trittbretter.<br />

Max hüpft von e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong> aufs andere:<br />

»Darf ich mich mal re<strong>in</strong>setzen?« »Oh ja, ich<br />

auch«, ruft Lotte. »Na gut, aber nur ganz<br />

kurz«, sagt Titus und rennt an Max vorbei,<br />

um sich auf den Fahrersitz zu schw<strong>in</strong>gen.<br />

In diesem Augenblick schlägt die Garagentür<br />

zu. Das Licht geht aus und plötzlich<br />

fängt es an, <strong>in</strong> der Garage zu vibrieren. Die<br />

K<strong>in</strong>der halten sich an den Autotüren fest.<br />

Sie kommen sich vor, wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geisterbahn<br />

auf dem Rummel. Es pfeift und<br />

dröhnt, als würde draußen e<strong>in</strong> Sturm wüten<br />

und mit der Garage Fußball spielen.<br />

Mit e<strong>in</strong>em Mal sche<strong>in</strong>t der Spuk vorbei<br />

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und die Garage steht da, als wäre nichts gewesen.<br />

Das Licht flackert wieder. Den K<strong>in</strong>dern<br />

steht der Schreck noch <strong>in</strong>s Gesicht<br />

geschrieben, nur Titus sche<strong>in</strong>t zu wissen,<br />

was gleich passiert. Auf e<strong>in</strong>mal öffnet e<strong>in</strong><br />

älterer Mann die Garagentür. Er trägt e<strong>in</strong>en<br />

sehr dunklen Anzug mit Weste und e<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e schmale Fliege. Die Haare sehen<br />

aus, als seien sie mit dem Topf geschnitten<br />

worden. Die Frisur ähnelt der von Mr.<br />

Spock aus »Raumschiff Enterprise«, denkt<br />

Max. Grimmig wirkt der Mann, sehr grimmig.<br />

»Was macht ihr <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Auto? Und<br />

was habt ihr für scheußliche Sachen an?«,<br />

herrscht er die K<strong>in</strong>der an. Die K<strong>in</strong>der br<strong>in</strong>gen<br />

vor Aufregung ke<strong>in</strong> Wort heraus. Nur<br />

Titus ist ganz Herr der Lage: »Darf ich vorstellen?<br />

Das ist Walter Gropius und herzlich<br />

willkommen im Jahr 1927.« Die K<strong>in</strong>der<br />

können nicht glauben, dass sie auf e<strong>in</strong>er<br />

Zeitrutsche waren und nun 90 Jahre zurück<br />

s<strong>in</strong>d. Während Titus versucht, Herrn<br />

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Dieses Buch ist Teil unseres Programms E. A. SEEMANNs BILDERBANDE.<br />

Es umfasst Bücher und Spiele, die K<strong>in</strong>dern mit viel Spaß die Welt der Kunst eröffnen: Bücher zum Rätseln, Malen,<br />

Entdecken und Kunstmachen, Kunstgeschichten zum Vorlesen und Spiele mit Kunst.<br />

Mehr erfahren Sie auf www.seemanns-bilderbande.de, wo wir auch zum Thema »Kunst für K<strong>in</strong>der« bloggen.<br />

www.facebook.com/seemanns.bilderbande<br />

Seit 2015 ersche<strong>in</strong>t bis 2019 jährlich e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>derbuch <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der Stiftung Bauhaus Dessau.<br />

Mehr erfahren Sie unter www.bauhaus-dessau.de.<br />

© 2016 Stiftung Bauhaus Dessau, Autor, Illustrator<strong>in</strong> und E.A. Seemann <strong>in</strong> der<br />

Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig<br />

www.seemanns-bilderbande.de<br />

Herausgegeben von der Stiftung Bauhaus Dessau<br />

Stiftung Bauhaus Dessau<br />

Direktor<strong>in</strong> Claudia Perren<br />

Gropiusallee 38<br />

06846 Dessau-Roßlau<br />

www.bauhaus-dessau.de<br />

Redaktion: Jutta Ste<strong>in</strong>, Stiftung Bauhaus Dessau<br />

Autor: Ingolf Kern, Berl<strong>in</strong><br />

Grafik: Kitty Kahane, Berl<strong>in</strong><br />

Projektmanagement: Carol<strong>in</strong>e Keller, Leipzig<br />

Lektorat: Marie Spr<strong>in</strong>k, Leipzig<br />

Herstellung: Sab<strong>in</strong>e Artner, Leipzig<br />

Satz: Dom<strong>in</strong>ique Kahane‚ Berl<strong>in</strong><br />

Druck und B<strong>in</strong>dung: Beltz Bad Langensalza GmbH<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation <strong>in</strong> der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte<br />

bibliografische Daten s<strong>in</strong>d im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne Zustimmung der Rechte<strong>in</strong>haber urheberrechtswidrig<br />

und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung<br />

mit elektronischen Systemen.<br />

ISBN 978-3-86502-385-8

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