Melange No7
Melange No12 - Das Magazin im Süden Bayerns
Melange No12 - Das Magazin im Süden Bayerns
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1<br />
8<br />
NOMI BAUMGARTL<br />
Die mit dem Adler fliegt<br />
Titel: Diana Victoria Rasche<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
d a s m a g a z i n<br />
M U R N A U<br />
BLAUES LAND<br />
DIE POSTGASSE<br />
Murnaus<br />
vielfältiges Juwel<br />
GANZ GROSSES KINO<br />
Kinokultur in Murnau
E D I T O R I A L<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser!<br />
Auch 2018 hat die <strong>Melange</strong> einiges vor: Unter anderem präsentieren wir<br />
am 12. April im Kultur- und Tagungszentrum Murnau das Theaterstück<br />
„Der varreckte Hof“, geschrieben von unserem Seehauser Bürger Georg<br />
Ringsgwandl.<br />
Auf der Titelseite ist diesmal Diana<br />
Victoria Rasche, fotografiert wurde sie<br />
in der Bahnunterführung zum Staffelsee<br />
vor einer Graffitiwand eines Murnauer<br />
Künstlers. Diana studiert in Wien „Content<br />
Produktion & Digitales Medienmanagement“.<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
Der Murnauerin gefällt es zwar in Wien,<br />
sie wird aber 2020 mit dem Bachelor<br />
ins Blaue Land zurückkehren.<br />
Diana Victoria Rasche<br />
Die <strong>Melange</strong> erscheint pro Jahr drei Mal und schreibt über Menschen im<br />
Voralpenraum, mit und ohne olympische Medaillen.<br />
Somit liegt jede Ausgabe der <strong>Melange</strong> vier Monate lang in den Geschäften,<br />
Cafés und Wartezimmern auf und wird in über 8.000 Haushalte verteilt.<br />
Unser Ziel ist es, den Einzelhandel und das Handwerk nachhaltig zu unterstützen,<br />
damit die Arbeitsplätze und die Vielfalt im Blauen Land erhalten<br />
bleiben.<br />
Viel Spaß beim Lesen wünschen<br />
Team <strong>Melange</strong> und Franz Windirsch<br />
3
I N H A L T<br />
6 IMPRESSIONEN<br />
„Guten Morgen – Riegsee“ von Florian Warnecke<br />
8 STARKE FRAUEN Nomi Baumgartl<br />
Die mit dem Adler fliegt<br />
16 LIVE Die Postgasse - Murnaus vielfältiges Juwel<br />
Eine Entwicklungsgeschichte<br />
8<br />
Nomi Baumgartl<br />
Die mit dem Adler fliegt<br />
24 PORTRAIT Ganz großes Kino!<br />
104 Jahre Kinokultur in Murnau, 63 Jahre Kino im Griesbräu<br />
30 PORTRAIT Die Hochzeitskleiderin<br />
Für den schönsten Tag des Lebens –<br />
in einem perfekten Kleid aus zweiter Hand<br />
32 PORTRAIT Wohnzimmer Kaffeehaus<br />
Herbert Sambale und seine Heimaten<br />
30<br />
Die Hochzeitskleiderin<br />
Sibylle Blinn<br />
44 BG UNFALLKLINIK MURNAU<br />
Die ADAC Luftrettungsstation Christoph Murnau<br />
Wenn jede Minute zählt – Beitrag von Dr. Thomas van Bömmel<br />
52 MENSCHEN IN MURNAU Leben, das leben will.<br />
Beate Zwickenpflug rettet Legehennen aus der Bodenhaltung.<br />
60 PORTRAIT Hauptsache, gut versichert!<br />
Mit den Versicherungsprofis Klaus Edelbauer,<br />
Jan Kollmann & Markus Jais im Gespräch<br />
66 LIVE Viel mehr als ein Theaterstück<br />
„Sag mir, wo die Blumen sind“ – ein internationales Theaterprojekt<br />
mit Schülern aus Frankreich und England<br />
44<br />
Wenn jede<br />
Minute zählt<br />
69 VORSCHAU Der varreckte Hof<br />
Eine Stubenoper von Georg Ringsgwandl<br />
70 PORTRAIT Natürlich in guten Händen<br />
Vier Visionärinnen – eine Arbeitsgemeinschaft<br />
4
I N H A L T<br />
77 IMMOBILIEN EXPERTENTIPPS von Britta Kirstein-Zietz<br />
Mit 66 Jahren ...<br />
Immer mehr Eigentümer trennen sich von ihrem Eigenheim<br />
mit Garten und orientieren sich neu<br />
78 WIRTSCHAFT + FINANZEN mit Dr. R. E. Schauer<br />
Steuerrecht muss nicht nur trocken sein –<br />
Ein Blick in die Geschichte ...<br />
80 MARKTPLATZ<br />
Cafés, Restaurants, Shopping, Tourismus und Gesundheit,<br />
Kunst, Handwerk, Immobilien und Dienstleistungen<br />
auf einen Blick<br />
52<br />
Leben,<br />
das leben will.<br />
Entschuldigung für den Druckfehler bei der Ausgabe 6:<br />
Bei dem Portrait Optik Andres wurden die Fotos von Kirstin Luna Sonnemann<br />
gemacht. Kirstin Luna Sonnemann und Marc Völker haben ein gemeinsames<br />
Atelier im Kuhaus in Murnau/Untermarkt.<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: Agentur <strong>Melange</strong>, Obermarkt 8, 82418 Murnau<br />
Redaktion: Team <strong>Melange</strong>, redaktion@agentur-melange.de<br />
Autoren: nil, Heribert Riesenhuber, Anna Marguerita Schön, Elisabeth Tworek,<br />
Alexandra Sichart, Martina Baumeister, Christian Kaufmann<br />
Grafik + Gestaltung: Katrin Oppenrieder<br />
Fotografen: Florian Warnecke, Heribert Riesenhuber, Nomi Baumgartl,<br />
Helmut Achatz, Stefanie Seyringer, Christian Podolski, Marco Gierschewski<br />
Lektorat: Anna Marguerita Schön<br />
60<br />
Hauptsache,<br />
gut<br />
versichert!<br />
66<br />
Christine Riesenhuber und<br />
Stefan Bues – ein internationales<br />
Theaterstück<br />
Foto: Marco Gierschewski<br />
ANZEIGEN<br />
Franz Windirsch<br />
Franz Xaver Lausch<br />
Cordula Wild<br />
anzeigen@agentur-melange.de<br />
VERTEILUNG<br />
ESV Staffelsee,<br />
Franz Xaver Lausch<br />
Ammergauer Alpen, Blaues Land,<br />
Garmisch-Partenkirchen, Loisachtal,<br />
Penzberg, Weilheim<br />
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Foto: Florian Warnecke – 15.2.2018 – 7.15 Uhr<br />
I M P R E S S I O N E N
Guten Morgen – Riegsee
Foto: Nomi Baumgartl<br />
DIE MIT DEM ADLER FLIEGT<br />
NOMI BAUMGARTL
S T A R K E F R A U E N<br />
Eine alte Weisheit der Irokesen-Indianer ist auch ihr Guide<br />
und Goal des „Eagle Wings“-Projektes:<br />
„WIR MÜSSEN DEN BLICK DES ADLERS<br />
EINNEHMEN, UM DIE RICHTIGEN<br />
ENTSCHEIDUNGEN FÜR DIE FOLGENDEN<br />
GENERATIONEN ZU TREFFEN“<br />
Es gibt fast keinen schöneren Blick aus dem Wohnzimmerfenster,<br />
als den mitten in das Murnauer Moos hinein – vor<br />
allem für einen naturverbundenen Menschen. Und das ist sie<br />
zweifelsohne, die seit Jahrzehnten international renommierte<br />
und vielfach ausgezeichnete Fotografin Nomi Baumgartl. Seit<br />
drei Jahren lebt sie in Murnau, das Moos liegt ihr nun nicht<br />
nur sprichwörtlich zu Füßen.<br />
Das Haus wirkt auf den Besucher offen und einladend. Erst<br />
einmal wird der Apfelstrudel auf den Tisch gestellt, dazu selbstgemahlener<br />
Kaffee mit einer Prise Kardamom. Der Wohn-Essbereich<br />
ist großzügig gestaltet, dennoch klar gegliedert, schlicht,<br />
aber mit liebevollen Details ausstaffiert. Er spiegelt die Klarheit<br />
ihrer Kunst, ihre innere Ruhe und ihren Blick für das besondere<br />
Detail wider, das ihre Fotografien so unverwechselbar macht.<br />
Das aufregende Künstler-Leben in München und New York<br />
hat sie nun hinter sich gelassen.<br />
„Es war allerhöchste Zeit für einen Wechsel in die Natur, auch<br />
ich brauche eine Kraftquelle“, sagt Nomi Baumgartl. Zwar hatte<br />
sie neben ihrer Münchner Wohnung schon lange ein Domizil<br />
am Ammersee, doch sie wollte den „Lebensplatz bündeln“. Mehr<br />
Ruhe war es, was fehlte. Die Gegend um den Staffelsee war<br />
der Künstlerin vertraut, sowie die Künstlertradition des Blauen<br />
Landes. Auch die Zugspitzregion bedeutet ihr sehr viel und<br />
der Umzug war folgerichtig, für sie schließt sich durch den<br />
Umzug ein Lebenskreis, „Back to the Roots“.<br />
9
Foto: Helmut Achatz<br />
Nomi Baumgartl<br />
DAS WILDE HERZ EUROPAS<br />
Wenn es eine passende Beschreibung der Werke von Nomi<br />
Baumgartl gibt, dann ist es sicherlich diese: Sie zeugen von einem<br />
tiefen Blick mitten ins Herz ihrer Foto-Objekte. Mit diesem<br />
tiefen Blick schaut sie in ihrem aktuellen Projekt nun auf die<br />
Alpen, das „wilde Herz Europas“, wie sie sagt.<br />
Für Garmisch-Partenkirchen ist sie zu der Frau geworden, die<br />
mit dem Adler fliegt.<br />
Angefangen hat alles mit dem Auftrag von GaPa Tourismus,<br />
einen Bildband über die Zugspitzregion zu erstellen. Doch<br />
Nomi Baumgartl wäre nicht sie selbst, wenn ihr da nicht etwas<br />
gefehlt hätte: der Schlüssel, das leitende Motiv, oder, wie sie es<br />
sagt, der „Guide“. „In meinen Projekten habe ich mich immer<br />
führen lassen, hatte ich immer einen Guide.“<br />
Durch ihr wieder geschenktes Leben nach einem Unfall begann<br />
eine neue Evolution in ihrem künstlerischen Schaffen, mit großen<br />
Projekten, erst im Meer mit Delfinen und Walen, dann auf<br />
der Erde mit einem Elefanten, dann zu den Sternen, in dem<br />
der Polarstern im Mittelpunkt eines großen Projektes im Polarkreis<br />
stand. Eine Reise durch die Elemente Wasser, Erde<br />
und Luft – und aktuell mit dem König der Lüfte in den Alpen,<br />
dem Steinadler. Fotokunst mit der Botschaft: wir sind alle ein<br />
Teil vom großen Ganzen. Am Ende dieses Elemente-Kreises<br />
wartet das Feuer, das finale Projekt: „Das Ende steht immer für<br />
einen neuen Anfang“.<br />
FOTOS ALS BOTSCHAFTER DER NATUR<br />
Mit dem Delfin-Projekt hat alles angefangen. Und mit der beeindruckenden<br />
Interaktion zwischen Mensch und Delfin, die<br />
ihre Werke aufzeigen. Als sie später Chris Galluci, den „Elefantenmann“,<br />
und seinen Elefanten Timbo kennenlernte, entstand<br />
ein weiteres großes Werk über das Zusammenspiel von Mensch<br />
und Natur, aus dem neben Bildband, Film und Ausstellung<br />
auch noch das wunderbare Kinderbuch über Mumo den Elefanten<br />
entstand. Besonders atemberaubend sind sicherlich die<br />
Bilder aus dem Projekt Stella Polaris. Verzauberte Eiswelten<br />
mit leuchtenden Polarlichtern und ganz besonderen „Guides“:<br />
einzigartige Eisberge, die wunderbar in Szene gesetzt wurden<br />
durch Grönländer, die als Lichtbotschafter während der Polarnächte<br />
mit hochleistungsfähigen Taschenlampen ihre durch<br />
den Klimawandel verschwindenden Eisberge und Gletscher<br />
ausleuchteten. Was romantisch klingt, war doch ein ungeheurer<br />
Kraftakt – Wochen in der klirrenden Kälte, mit einem hochkarätigen<br />
Team, das, wie sie, bereit ist, an die eigenen Grenzen<br />
zu gehen, und dazu eine Technik, die den Temperaturen gewachsen<br />
ist. Der Kraftakt hat sich gelohnt: Herausgekommen<br />
sind atemberaubende Bilder über die Schönheit und Zerbrechlichkeit<br />
der Natur.<br />
FRAGILES GLEICHGEWICHT<br />
Nomi Baumgartl macht das fragile Gleichgewicht zwischen<br />
Mensch und Natur sichtbar. Hinter der Fotokunst, die auf dem<br />
internationalen Fotokunstmarkt vertreten ist, steht eine klare<br />
Aussage: „Ich möchte Menschen bewegen, ihr Bewusstsein dahingehend<br />
zu lenken, dass sie spüren: Ich bin ein Teil des Ganzen“.<br />
Und immer hat sie einen „Guide“ dabei, der sie während der<br />
Arbeit förmlich leitet.<br />
Bei „Eagle Wings – protecting the Alps“ wurde das ein Adler. Mit<br />
einer unglaublichen Energie, die die zierliche Fotokünstlerin<br />
in ihren Projekten entfaltet, startete sie das neue Projekt. „Stella<br />
Polaris ist genau bei uns vor der Haustüre, die verschwindenden<br />
Gletscher in den Alpen und die globalen Zusammenhänge. Alles<br />
an diesem Projekt ist immer größer als ich, daher braucht es<br />
auch hier ein besonderes Team.“<br />
10
S T A R K E F R A U E N<br />
Eng an ihrer Seite arbeitet Helmut Achatz, Alpinist, Gleitschirmfluglehrer<br />
und ein Mann mit vielen Jahren Adlererfahrung,<br />
unterstützt durch die Mit- und Zusammenarbeit mit dem<br />
Falkner Paul Klima für einen großen Kinofilm, „Wie Brüder im<br />
Wind“. Der Film war die Initialzündung. „Ich brauche ein fliegendes<br />
Auge, das für die Natur steht“. Es kam schnell zu einem<br />
Termin mit Paul Klima und Helmut Achatz. Die ersten Schritte,<br />
die Begegnung mit dem Adler, Faszination und gleich einer<br />
Passion für den neuen „Guide“. Dann, Schritt für Schritt, wurde<br />
in einer langen Entwicklungsphase das Projekt aufgebaut. Mit<br />
Erfolg: Die amtierende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks<br />
ist Botschafterin von Eagle Wings; ebenso der Club of<br />
Rome sowie Auma Obama, Soziologin, Journalistin, Autorin<br />
und nebenbei Barak Obamas Schwester. Die eigentliche Hauptrolle<br />
spielt aber ein anderer, ihr Guide, der Adler.<br />
Um ab Frühjahr die großen Einsätze fliegen zu können, kommt<br />
jetzt der schwierigste Teil nach der Pionier- und Aufbau-Arbeit<br />
der letzten eineinhalb Jahre: Die Finanzierung über einen Zeitraum<br />
von 3-4 Jahren. Fünf Alpenländer und ihre verschwindenden<br />
Gletscher stehen im Raum für die Umsetzung. Die „Art<br />
Karlsruhe“ macht den Auftakt, auf der die Fotokunst erworben<br />
werden kann, um die Vorleistungen zu refinanzieren.<br />
GLOBALE ZUSAM MENHÄNGE<br />
WERDEN SICHTBAR<br />
Herausgekommen ist bis jetzt schon viel, obwohl Eagle Wings<br />
erst am Anfang steht: ein phantastisches multimediales Projekt<br />
– aufgeteilt in drei Ebenen: Erde, Luft und Weltall. Für die<br />
Erde steht Nomi Baumgartl selbst – und bildet mit ihrer Kamera<br />
die Menschenperspektive ab. Aus der Luft schaut sie mit<br />
den Augen des Adlers herunter. Mit umgehängter Kamera, der<br />
Eagle Cam, wird der König der Lüfte nach oben geschickt, um<br />
aus seiner Perspektive die Alpen und schmelzenden Gletscher<br />
einzufangen. Über der Adlerperspektive wird durch das große<br />
Auge aus dem Weltall mit Satellitenbildern vervollständigt.<br />
Denn auch an Bord, dank ihres Engagements, vor allem das<br />
Earth Observation Center der Deutschen Gesellschaft für Luftund<br />
Raumfahrt. Diese drei Perspektiven führt Nomi Baumgartl<br />
zu einem Bildtrialog zusammen, der in berührender und faszinierender<br />
Weise den Betrachter dazu bringt, ein neues Be-<br />
Helmut Achatz<br />
wusstsein für unsere Natur zu erlangen, um dadurch zum aktiven<br />
Beschützer zu werden. Der wissenschaftliche Background<br />
ist Nomi Baumgartl sehr wichtig und sie ist stolz darauf, zusätzlich<br />
sehr eng mit der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus<br />
zusammenzuarbeiten.<br />
DIE GESCHICHTENERZÄHLERIN<br />
„Als ich da oben auf der Zugspitze stand, wurde mir bewusst,<br />
dass hier, zu Hause bei uns, die Naturzerstörung durch Klimawandel<br />
und globale Zusammenhänge genauso sichtbar ist wie<br />
in Grönland, wie bei Stella Polaris. Das hat mich erschüttert“,<br />
beschreibt sie ihre Triebkraft.<br />
Die Werke aus ihrem jetzigen Leben zeugen von einer ganz anderen<br />
Welt als der des Glamours aus ihrem „ersten“ Künstler-Leben.<br />
Damals hatte Nomi Baumgartl Schauspieler, Künstler, alle, bis<br />
hin zum Papst vor der Linse, als Modefotografin arbeitete sie mit<br />
den großen Models für die Labels ihrer Auftraggeber. Dabei hatte<br />
ihre Fotografen-Karriere eher bildjournalistisch begonnen: mit<br />
großen Foto-Reportagen, in denen sie stets versuchte, detailreich<br />
Geschichten zu erzählen. Das tut sie heute wieder. Diesmal sind<br />
es Geschichten von der Natur, vom gestörten Gleichgewicht, von<br />
Zerbrechlichkeit, für die sie 2016 den Internationalen B.A.U.M.-<br />
Preis bekommen hatte, der ihr durch die Umweltministerin überreicht<br />
wurde, und die Laudatio hielt Auma Obama.<br />
Foto: Nomi Baumgartl<br />
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S T A R K E F R A U E N<br />
„STELLA POLARIS IST GENAU BEI UNS<br />
VOR DER HAUSTÜRE, DIE VERSCHWIN-<br />
DENDEN GLETSCHER IN DEN ALPEN<br />
UND DIE GLOBALEN ZUSAM MEN-<br />
HÄNGE. ALLES AN DIESEM PROJEKT<br />
IST IM MER GRÖSSER ALS ICH, DAHER<br />
BRAUCHT ES AUCH HIER EIN<br />
BESONDERES TEAM.“<br />
Schneeferner Gletscher auf der Zugspitze, Foto: Nomi Baumgartl
Schneeferner Gletscher auf der Zugspitze, Foto: Nomi Baumgartl<br />
Während es langsam über dem Moos dämmert und sie die<br />
Kerzen anzündet, erzählt sie weiter von damals. „Meine Aufnahmen<br />
und Porträts waren früher nie sehr spektakulär in einem<br />
reißerischen Sinne, weil ich immer die Menschenwürde aufzeigen<br />
wollte.“ In ihren großen Naturprojekten macht sie nun eigentlich<br />
etwas sehr Ähnliches: die Würde der Schöpfung aufzeigen.<br />
„Ich bekomme etwas von der Natur, also gebe ich ihr auch etwas<br />
zurück. Ich versuche, das Unsichtbare sichtbar zu machen“, erklärt<br />
sie. Und so hält sie mit der Kamera Dinge fest, für die wir<br />
den Blick verloren haben, Details, die uns im Alltag, in der<br />
Hektik unserer Zeit nicht mehr auffallen.<br />
Es ist schon fast dunkel. Jetzt fängt Nomi Baumgartl an, etwas<br />
unruhig zu werden. „Ich möchte unbedingt noch unseren Film<br />
zeigen, unten im Atelier.“ Bei Dingen, die ihr wichtig sind, kann<br />
die Fotografin energisch werden. Dieses Temperament bekommt<br />
auch die Interviewerin zu spüren. Mit einer Bestimmtheit, der<br />
man unweigerlich folgen muss, verschwindet sie im Untergeschoss.<br />
Spätestens jetzt wird klar, welch ungeheure Energie sie<br />
freisetzt, wenn sie in einem ihrer Projekt steckt. Der Keller ist<br />
bis unter die Decke voll mit Büchern, vor allem über Fotografie.<br />
An den Wänden dazu passende Fotos, unter anderem ein Portrait<br />
von der Fotografenlegende Andreas Feininger, der ein enger<br />
Freund von ihr war. Von ihm ist das Leitzitat: „Wir sind alle ein<br />
integraler Teil der Natur, Teil des Universums.“ Daneben Rucksäcke<br />
mit Bergequipment, Kameras, Objektiven und Zubehör, die<br />
vom letzten Einsatz auf den nächsten warten. Der Teaser des<br />
„Eagle Wings“-Filmes macht gleich Lust auf mehr.<br />
Vor der Verabschiedung eine letzte Frage nach der Motivation,<br />
die sie offensichtlich so stark macht für solch außergewöhnliche<br />
und kraftzehrende Projekte.<br />
„WAS MICH TREIBT, SIND EURE KINDER,<br />
DIE NÄCHSTE GENERATION.<br />
DAS WIRD MEIN VERMÄCHTNIS SEIN.“<br />
www.eaglewings-project.org<br />
Nil<br />
www.nomibaumgartl.com<br />
Bei Interesse kann die Fotokunst auch direkt bei<br />
Nomi Baumgartl zu Sonderkonditionen erworben werden.<br />
(nomibaumgartl@eaglewings-project.org)<br />
14
anzeigen@agentur-melange.de<br />
15
L I V E<br />
Die Postgasse –<br />
Murnaus vielfältiges Juwel<br />
Fotos: Privatbesitz Wolfgang Köglmayr<br />
Murnau ist bekannt für seine schönen Plätze, die gerne von<br />
Einheimischen und Gästen besucht werden. Häufig ist man<br />
auf dem Weg durch die Marktgemeinde so auf ein bestimmtes<br />
Ziel fixiert, dass die kleinen Besonderheiten nicht in dem Maße<br />
wahrgenommen werden, wie sie es verdient hätten.<br />
Ein solch besonderer Ort ist die Postgasse. Auf dem Weg in die<br />
Fußgängerzone laufen täglich unzählige Menschen durch sie<br />
hindurch, ohne darauf zu achten, dass es sich nicht nur um<br />
eine einfache Nebenstraße handelt. Die Postgasse lebt und entwickelt<br />
sich ständig weiter. Früher war sie die Verbindungsstraße<br />
Richtung Bad Kohlgrub, ihr heutiger Verlauf besteht<br />
seit dem Brand 1835.<br />
An der Stelle des „Hotel Post“ befand sich zunächst das<br />
„Hutterbräu“ (später umbenannt in „Postbräu“). 1778 wurde das<br />
Haus zur Posthalterei umgewandelt – eine wichtige Post- und<br />
Pferdewechselstation zur damaligen Zeit. Zur eigenen Brauerei<br />
des Gasthofs gehörte der mit 16 Metern tiefste Eiskeller in Murnau.<br />
Das traditionsreiche Haus der Familie Bayerlacher ist seit 1632<br />
im Familienbesitz und wurde über viele Generationen bis an die<br />
Familie Köglmayr weitergegeben, die heutzutage neben ihrem<br />
Geschäft „Schreibwaren Köglmayr“ das Hotel betreibt und dieses<br />
2005 komplett renoviert hat, um ihm neuen Glanz zu verleihen.<br />
Zu den bekanntesten Gästen zählte König Ludwig II., der mit<br />
dem Posthalter Bayerlacher bekannt war. Dieser stiftete den<br />
Grund für das 1894 errichtete Ludwigsdenkmal – eines der<br />
ersten Denkmäler in Bayern für den verstorbenen König. „Die<br />
Postgasse war schon immer ein zentraler Punkt im Ort“, berichtet<br />
16
v.l.n.r.: Alexandra Sichart, Alfredo Adamo, Susanne Binder, Edgar Jürgens, Wolfgang und Veronika Köglmayr, Peter und Claudia Dippl,<br />
Irmgard Stadler, Monika Altmann, Claudia Lehmann, Petra Schnürer und Olaf Kappelmeyer<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
Wolfgang Köglmayr. „Früher gab es die Landwirtschaft und das<br />
Café Herrschmann auf der anderen Seite, mittlerweile hat sich<br />
eine breite Vielfalt an Geschäften hier angesiedelt. Die kleine<br />
Gasse diente zusätzlich zum Schlittenfahren und für Schneeballschlachten,<br />
bei welchen der Ober- gegen den Untermarkt antrat.“<br />
In dem markanten gelben Gebäude des Hotels befindet sich<br />
auch die „Engel Apotheke“, die seit 1980 von Familie<br />
Dippl geführt wird. Für die Familie war es „ein glücklicher Umstand,<br />
der ihr die Übernahme der Apotheke von Herrn Hell ermöglichte,“<br />
erzählt Peter Dippl. „Murnau ist für uns der schönste Ort<br />
im Oberland und war eine willkommene Abwechslung zu München.“<br />
Er leitet das Geschäft gemeinsam mit seiner Tochter Claudia.<br />
In der Lage der Postgasse sehen beide Vor- und Nachteile – die<br />
Parkplätze seien praktisch, jedoch befinde man sich nie direkt<br />
im Zentrum. „Aufgrund des Standorts mussten wir uns schon<br />
immer verschiedene Aktionen einfallen lassen, um die Kunden zu<br />
uns zu locken. Der gute Service ist uns ebenso sehr wichtig.“ Claudia<br />
Dippl ist in der Postgasse aufgewachsen. „Ich fühle mich sehr<br />
wohl hier“, schwärmt sie. Beiden gefällt der Branchenmix im<br />
Umkreis ihrer Apotheke. Ihre Mittagspause verbringen die Dippls<br />
bevorzugt bei einem ihrer Nachbarn, denn „das Gastronomieangebot<br />
ist hier gut und abwechslungsreich.“<br />
„Frau Dippl holt gerne Suppe bei uns“, freut sich Susanne Binder.<br />
Sie ist seit zwei Jahren die Inhaberin des „Staffelseekramers“.<br />
Herr Günter Friedrich, der dort zuvor 21 Jahre lang<br />
die erste „Werdenfelser Vollwert Bäckerei“ führte, fragte Susanne<br />
Binder, ob sie sich nicht vorstellen könnte, den Laden zu übernehmen.<br />
„Eigentlich bin ich gelernte Versicherungsmaklerin, aber<br />
17
L I V E<br />
als vor sechs Jahren der Dorfladen in Riegsee geschlossen werden<br />
sollte, habe ich mich dazu entschieden, diesen zu retten. Familie<br />
Friedrich wusste davon, denn wir kannten uns bereits sehr lange“,<br />
berichtet Binder. Sie setzt auf selbstgebackene Kuchen, hausgemachte<br />
Suppen und ein buntes Sortiment an hochwertigen<br />
Lebensmitteln. „Regionale Produkte und Bio sind mir wichtig,<br />
ich beziehe meine Waren von über 50 verschiedenen Lieferanten<br />
aus der Umgebung, die eigenständig produzieren.“ Besonders<br />
beliebt sind mittags die gemütlichen Fensterplätze in der<br />
Sonne. „Die Gäste sollen hier ankommen und sich wohlfühlen –<br />
wie bei Oma in der Küche.“ Susanne Binder schätzt die Toleranz<br />
der Kunden, denn „die Liebe zur Unvollkommenheit, bzw. die<br />
Menschlichkeit steht hier noch im Vordergrund. Es ist ein unheimlich<br />
schöner, fairer Umgang – es darf gelacht werden.“ Deswegen<br />
hat sie sich auch bewusst für den Begriff „Kramerladen“<br />
entschieden – „er steht für ein gemütliches Miteinander, welches<br />
mir in der gesamten Postgasse sehr gut gefällt.“<br />
Auch das „Café Miteinander“ von Monika Altmann trägt<br />
diesen Zusammenhalt nicht nur im Namen. Neben der persönlichen<br />
Atmosphäre in der Nachbarschaft liegt es ihr am Herzen,<br />
etwas Gutes für die Menschen zu tun. „Zu uns kommt eine sehr<br />
breite Sparte an Gästen zwischen 16 und 98 Jahren. Unser Café ist<br />
wie ein kleines, gemütliches Wohnzimmer, in dem ein reger Austausch<br />
stattfindet“, erzählt Monika Altmann. Ihr Wunsch war es<br />
schon immer, einen Wohlfühlraum für Menschen zu schaffen.<br />
Dass aus diesem Wunsch jedoch ein Café werden würde – damit<br />
habe sie nicht gerechnet. „Ich hatte 2016 eine Woche Zeit zu überlegen,<br />
ob ich den Laden übernehmen möchte – ich hatte noch nie<br />
ein eigenes Café, aber wollte die Chance nutzen – zwei Wochen<br />
später habe ich eröffnet. Die Anfangszeit war jedoch nicht einfach,<br />
deswegen habe ich das Angebot von ausschließlich veganen Gerichten<br />
mit vegetarischen und einer Auswahl an glutenfreien Speisen<br />
erweitert.“ Bei Monika Altmann werden nur regionale und biologische<br />
Produkte angeboten. Die Kuchen, Suppen und Hauptgerichte<br />
sind selbst zubereitet. Dieser Trend wird gut angenommen<br />
– sogar so gut, dass Altmann, die ihr Café die ersten beiden Jahre<br />
alleine geleitet hat, vor kurzer Zeit mit Irmgard Stadler eine GbR<br />
gründete. „Die Leute werden wie Freunde behandelt, es ist wichtig,<br />
dass ein Café ein offenes Herz hat“, freut sich Stadler über den<br />
neuen Abschnitt in ihrem Leben. Um das „Miteinander“ zu stärken,<br />
finden Vorträge, Lesungen und Musikabende statt. Weiterhin<br />
haben die Gäste auf eigenen Wunsch eine Spendenkasse angelegt,<br />
damit die Leute, die es sich sonst nicht leisten könnten einen<br />
Kaffee zu trinken, auch die Möglichkeit dazu erhalten.<br />
Neben dem kleinen Café befindet sich seit Ende 2016 „Lola“,<br />
das Lederwarengeschäft von Edgar Jürgens. Leder<br />
und vegane Kost – im ersten Moment erscheint dies als ein<br />
Widerspruch, aber das ist es nicht. „Wir verstehen uns sehr gut,<br />
denn wir achten beide auf einen schonenden Umgang mit den<br />
Ressourcen, der bewusste Konsum steht im Vordergrund“, begründet<br />
dies Edgar Jürgens. Er verwendet nur Leder von Tieren aus<br />
Deutschland, die für die Fleischproduktion gezüchtet wurden.<br />
„Die komplette Verwertung des Tieres steht im Vordergrund.“ Jürgens<br />
bezeichnet sich selbst als „Kleidermacher“, weil er keine Kollektionen<br />
kreiert, sondern individuelle Stücke entwirft. Bevor er sein<br />
Geschäft mit Atelier eröffnete, war er hauptsächlich auf Märkten<br />
unterwegs. Auf dem letzten Winter-Tollwood in München erhielt<br />
er den Preis „Schönster Stand Fashion und Design“. „An meiner<br />
Arbeit faszinieren mich die Nachhaltigkeit, die Individualität und<br />
die verschiedenen Arten von Leder. Ich war früher viel auf Reisen<br />
unterwegs und trug eine selbst genähte Hose, damit sah ich immer<br />
gut gekleidet aus.“ Das Geschäft ist für Edgar Jürgens eine Verwirklichung.<br />
„Der Name ‚Lola‘ steht für ‚loslassen‘, alles ist ein<br />
Geben und Nehmen. Geöffnete Hände sind wichtig.“ Wechselnde<br />
Künstler bieten hier ebenfalls ihr Sortiment an. Kunden können<br />
sich jedoch nicht nur maßgeschneiderte Produkte kaufen, im<br />
„Lola“ gibt es auch eine breite Auswahl an fertig erstellten Waren.<br />
So eignen sich z.B. Gürtel, Hüte, Taschen und Schals hervorragend<br />
als besondere Geschenke – zu wirklich fairen Preisen.<br />
Wer neben kreativen Präsenten auch eine gute Flasche Wein verschenken<br />
möchte, ist bei Olaf Kappelmeyer an der richtigen<br />
Adresse. „Der Weinladen“ wird seit vier Jahren von ihm<br />
geführt. Ursprünglich im Außendienst tätig, ist ihm der Laden<br />
„zugelaufen“, wie er es selbst beschreibt. „Ein Laden war immer<br />
mein Traum. Als das alte Weingeschäft unterhalb geschlossen wurde<br />
und die Räume hier frei waren, habe ich ihn verwirklicht.“ Über<br />
100 verschiedene Weinspezialitäten aus Deutschland, Italien,<br />
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Frankreich, Spanien, Österreich, Argentinien und Südafrika, sowie<br />
mehr als 50 Spirituosen und Brände hat Kappelmeyer im<br />
Sortiment. Zu seinen Kunden zählen neben den Einheimischen<br />
auch einige Urlauber, die bevorzugt bei ihm einkaufen. Wenn<br />
Olaf Kappelmeyer die Gelegenheit dazu erhält, besucht er selbst<br />
gerne die Weingüter, von welchen er seine Waren bezieht. „Man<br />
lernt sehr viel von den Produzenten, das gefällt mir.“ Die Kunden<br />
können bei ihm die Vielfalt der Weinwelt kennenlernen. „Interessenten<br />
haben auch am Palm- und Michaelimarkt die Möglichkeit,<br />
sich ein eigenes Bild von unserem Angebot zu machen. Wir bieten<br />
an beiden Märkten Weinproben an, zu denen man sich nicht anmelden<br />
muss.“ Ab einer Abnahmemenge von zwölf Flaschen beliefert<br />
Olaf Kappelmeyer seine Käufer auch. In der Postgasse fühlt<br />
sich der Weinhändler sehr wohl. „Für mich ist es die beste Straße<br />
seitlich der Fußgängerzone. Mir gefällt die Mischung der Geschäfte.“<br />
Die Postgasse entwickelte sich jedoch erst im Laufe der Jahre<br />
zu einer Ladenzeile. Das Haus, in welchem sich der „Staffelseekramer“,<br />
„Der Weinladen“, das „Café Miteinander“ und das<br />
„Lola“ befinden, wurde 1953/54 von der Lenggrieser Bau- und<br />
Siedlungsgenossenschaft erbaut. Zuvor stand dort eine Landwirtschaft<br />
mit Stallungen.<br />
Auch die andere Straßenseite ist geschichtsträchtig. Im großen<br />
Haus an der Ecke zum Untermarkt waren bis zu deren<br />
Bankrott die Kapferbank und das Kapferkaufhaus untergebracht.<br />
Familie Herrschmann ersteigerte daraufhin das Gebäude<br />
Anfang der 1930er Jahre und eröffnete nach dem Umbau<br />
das „Café Herrschmann“, zu welchem ein ausschweifender<br />
Kaffeegarten gehörte. Heidi Grant, Nachfahrin der Herrschmanns,<br />
erinnert sich sehr gut an damals. „Am Garten befand<br />
sich ein kleines Gewölbe. Hier betrieb meine Tante Tilde Schultz<br />
von circa 1961 bis Mitte der 70er Jahre ‚Das kleine Herrschmann‘.<br />
Es war das erste kleine Café mit Espressobar und original italienischem<br />
Kaffee. Weiterhin arbeitete der erste Kellner aus Italien bei<br />
Tilde. Das Publikum war international, denn das Café war legendär.<br />
Später gab es dort eine Eisdiele“, erzählt Heidi Grant. Nach der<br />
Verkleinerung des großen „Café Herrschmann“, wurde dieses<br />
um 1995 schließlich ganz aufgegeben. An die Stelle des Kaffeegartens<br />
baute man ein Wohnhaus mit Ladenzeile.<br />
1996 erwarb Alfredo Adamo hier einen Teil der unteren Räume<br />
und eröffnete 1997 das „Grissini da Alfredo“. Zuvor<br />
war sein Restaurant seit 1988 in der Seidlstraße in Murnau.<br />
Dem Familienbetrieb, der seit knapp 30 Jahren eine feste Institution<br />
im Ort ist, liegt es sehr am Herzen, immer das Beste<br />
für die Gäste zu geben. „Wir stellen unsere Nudeln selbst her,<br />
haben stets frische Waren, beziehen Fleisch, Milch und Bier aus<br />
der Region und kaufen ansonsten hochwertige italienische Produkte<br />
für die Zubereitung unserer Speisen“, erzählen die Adamos.<br />
Das Konzept funktioniert. „Viele unserer Gäste kommen bis<br />
aus München und Umgebung zu uns.“ Die Lage des Restaurants<br />
gefällt der sympathischen italienischen Familie besonders.<br />
„Wir fühlen uns sehr wohl hier und lieben die Murnauer. In den<br />
letzten Jahren hat sich ein super Verhältnis zu allen benachbarten<br />
Geschäftsleuten entwickelt. Das Miteinander und der Austausch<br />
sind schön.“<br />
Neben dem „Grissini“ hat vor kurzem Petra Schnürer ihren<br />
Friseursalon „i Capelli“ eröffnet. Ihren Salon gab es<br />
bereits von 1997 bis 2011 in der Postgasse, bevor sie in den<br />
Obermarkt umzog. „Ich war sofort wieder willkommen in<br />
‚meiner Gasse‘ – der süßesten Seitengasse in Murnau. Hier<br />
bin ich früher oft als Kind entlang gelaufen“, schwärmt Schnürer.<br />
Viele ihrer Kunden betreut sie seit über 20 Jahren. „Ich habe<br />
es schon immer geliebt, Haare zu machen. Mir war vollkommen<br />
klar, dass ich Friseurin werden möchte und ich habe es<br />
bis heute nicht bereut.“ Neben der Umsetzung von Kundenwünschen<br />
ist es Petra Schnürer wichtig, dass die Frisur<br />
zum Kunden passt. „Man sollte mit seiner Frisur auch noch<br />
nach acht Wochen glücklich sein und nicht nur, wenn man<br />
gerade beim Friseur war. Ich habe den Anspruch an mich<br />
selbst, dass ich, wenn ich meine Kunden sehe, zufrieden mit<br />
deren Aussehen sein kann.“ Gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin<br />
spürt Schnürer allerdings oft den Termindruck ihrer<br />
Kunden. „Es sind nur Haare, man sollte cooler mit dem Friseurturnus<br />
umgehen. Es ist nicht schlimm, wenn man eine<br />
Woche später einen Termin bekommt.“ Um dies zu beweisen,<br />
trat die Friseurin den Selbstversuch an – und ging ein Jahr<br />
lang nicht zum Haareschneiden. „Niemand hat es bemerkt“,<br />
lacht sie.<br />
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20
L I V E<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
Marga Freibuchner und Peter Hoyer<br />
Nachdem der Salon des „i Capelli“ 2011 die Postgasse verlassen<br />
hatte, zog in die leeren Geschäftsräume Marga Freibuchner mit<br />
ihrem Reisebüro „Holiday Reisen“, dem zweitältesten<br />
Reisebüro in Murnau. Zuvor war ihr Büro auf der anderen Seite<br />
der Postgasse untergebracht – dort, wo sich jetzt „Der Weinladen“<br />
befindet. „Früher hatte ich mit meinem Mann neben dem Reisebüro<br />
noch ein Bistro – ‚Reisen und Speisen‘. Mein Reisebüro gibt es seit<br />
über 25 Jahren“, berichtet Freibuchner. Sie selbst war auf der ganzen<br />
Welt unterwegs und kann ihre Erfahrungen und Geheimtipps<br />
an ihre Urlaubsinteressenten weitergeben. Wichtig ist ihr hierbei<br />
nicht nur, dass „der Urlaub zum Kunden passt. Ich möchte immer,<br />
dass jeder ein paar Wörter der jeweiligen Sprache sprechen kann,<br />
hierfür übe ich auch mit den Leuten.“ Ebenso achtet die Reiseverkehrskauffrau<br />
darauf, dass die Urlauber die Einheimischen respektieren.<br />
Wenn es während des Urlaubs Probleme gibt, kümmert<br />
sich Marga Freibuchner um die Rückreise. Bis in die obersten<br />
Abteilungen der Fluggesellschaften ist sie vernetzt und hat beispielsweise<br />
einer schwangeren Kundin in Kanada geholfen, die<br />
nicht mehr hätte ausreisen dürfen. „Ich sag immer: Ihr könnt gar<br />
nicht so weit weg fliegen, dass ich Euch nicht zurückholen kann!“<br />
Der Anspruch von Marga Freibuchner ist hoch. „Es sollen auch<br />
die ausgefallensten und exklusivsten Reisewünsche verwirklicht<br />
werden – egal, welches Budget vorhanden ist.“ Den Leuten gefällt<br />
diese Einstellung der weltoffenen Frau. „Ich bin jetzt schon 71,<br />
aber sie lassen mich einfach nicht gehen“, schmunzelt sie.<br />
Eine Tür weiter befindet sich seit 2009 der „Stoffhimmel“<br />
von Claudia Lehmann. Sie begann den Laden als Quereinsteigerin,<br />
mit familiären Wurzeln im Schneiderhandwerk. „Ich wollte<br />
einfach mal etwas anderes machen, mir gefällt es mit den Händen<br />
zu arbeiten. Hier bin ich immer von schönen Sachen umgeben, ich<br />
mag die Materialien, Farben, die Haptik und meine Kolleginnen.“<br />
Zwei Mitarbeiterinnen hat Claudia Lehmann angestellt. Ihren<br />
Kunden steht das Team gerne beratend zur Seite, hilft bei der<br />
Stoffauswahl, dem Schnitt, dem Zubehör und der entsprechenden<br />
Verarbeitung. Weiterhin gibt es Tipps und Unterstützung<br />
bei der Ideenfindung. Lehmanns Fokus liegt auf „guter, hochwertiger<br />
Alltagskleidung. Kann oder möchte jemand nicht nähen,<br />
dann vermitteln wir gerne Adressen von Maßschneidern in der<br />
Region.“ Claudia Lehmann ist sehr zufrieden mit dem Standort<br />
ihres Ladens. „Die Postgasse ist eine individuelle Seitengasse,<br />
mit kreativen Leuten, die viele Ideen haben. Man kennt sich und<br />
hat ein gutes Verhältnis untereinander. Ich bin gerne hier, man<br />
ist etwas ab vom Trubel, aber präsent.“<br />
Für alle, die sich neben ihrer kreativen Ader auch in der Natur<br />
bewegen wollen, bietet Peter Hoyer seit April 2017 eine breite<br />
Auswahl an Rädern, Kajaks, Kanus und SUPs in seinem Geschäft<br />
„Oberland Sports“ an. Dort, wo zuvor über 30 Jahre der<br />
„Radl Stadl Pantele“ untergebracht war, befindet sich nun Hoyers<br />
Sortiment auf 500 Quadratmetern. Der gelernte Kfz-Meister ist<br />
mit den Outdoorsportarten aufgewachsen. „Mein Vater hat stets<br />
versucht, mir alles zu ermöglichen. Ich konnte eher Bootfahren als<br />
laufen und bin bis zu meinem 22. Lebensjahr aktiv BMX-Rennen<br />
gefahren. Ich bin immer gerne draußen in der Natur, es gibt kein<br />
perfektes Wetter.“ Für Peter Hoyer steht eine ehrliche Beratung<br />
im Vordergrund. „Die Produkte sollen zum Käufer passen und<br />
qualitativ hochwertig sein, damit man lange eine Freude daran<br />
hat. Mir ist ebenso die Regionalität der Hersteller wichtig, deswegen<br />
beziehe ich vieles aus Deutschland.“ Außerdem können Räder und<br />
SUPs ausgeliehen und fast alle Boote getestet werden. Für dieses<br />
Jahr sind weiterhin feste Termine zum Testen der Boote am Riegsee<br />
geplant. Ein weiteres Projekt erarbeitet Hoyer, der seine<br />
„Hobbies zum Beruf gemacht“ hat, momentan mit der Firma<br />
„sunnawind“ aus Kochel. Es handelt sich hierbei um die Säuberung<br />
der Loisach von Booten aus.<br />
Kreativ und herzlich sind sie alle, die Geschäftsleute der Postgasse.<br />
Diese hat sich im Laufe der Jahre zu einem vielfältigen<br />
Ort entfaltet, an welchem der starke Zusammenhalt und das<br />
herzliche Miteinander spürbar sind. Murnau darf gespannt sein,<br />
welche Ideen künftig in der quirligen Gasse entstehen werden.<br />
Alexandra Sichart
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22
P O R T R A I T<br />
G A N Z G R O S S E S
Foto: Florian Warnecke<br />
K I N O !<br />
104 Jahre Kinokultur in Murnau,<br />
63 Jahre Kino im Griesbräu<br />
Hier stehe ich, vor dem Griesbräu Kino in Murnau, und schwelge<br />
ein bißchen in Nostalgie. Wie die meisten von uns bin auch ich<br />
schon zu Schulzeiten mit kribbelnder Vorfreude hier hereinspaziert<br />
und die Treppe nach oben in den ersten Stock gestiegen.<br />
Dort, an der Kinokasse, die auch heute noch an ein Tankstellenhäuschen<br />
aus den USA in den 50er-Jahren erinnert, haben meine<br />
Freunde und ich uns den Geruch von frischem Popcorn um die<br />
Nase wehen lassen und haben unser Kleingeld nachgezählt, ob<br />
es vielleicht nachher noch für ein „Cornetto“ reichen würde. Dann<br />
nämlich, wenn nach der ersten Werbung das Licht im Kinosaal<br />
noch einmal anging und es hieß: „Will hier jemand ein Eis?“<br />
Dieses vertraute Gefühl, dieses leise Kribbeln, löst ein Kinobesuch<br />
auch heute noch bei vielen von uns aus. Und wie sehr mögen wir<br />
doch immer noch den Moment, wenn schließlich die Lichter erlöschen<br />
und der Film beginnt.<br />
Lassen Sie uns aber an dieser Stelle noch einmal kurz zurückspulen<br />
– zum Ursprung des Murnauer Kinos, der in der<br />
Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg liegt. Damals,<br />
so berichtet mir Georg Betzmeir, der heutige Betreiber<br />
des Griesbräu Kinos, fanden im alten Griesbräu-Saal Filmvorführungen<br />
durch mobile Wanderkinos statt. Erst wurde die deutsche<br />
Wochenschau gezeigt, und im Anschluss gab es immer Komödien.<br />
In den 50er- und 60er-Jahren traten zudem auch<br />
Theaterspieler, Puppenspieler, Gaukler und Akrobaten im Saal auf.<br />
Zunächst befand sich im ersten Stock des Gebäudes noch die Poschinger<br />
Möbelfabrik, die jedoch im Jahr 1955 bei einem verheerenden<br />
Feuer vollständig ausbrannte. Die damaligen Eigentümer<br />
(Familie Gilg) entschieden sich schließlich für den Einzug des damaligen<br />
REGINA-KINOS. Und so begann heute vor 63 Jahren –<br />
auf 446 Holzklappsitzen – die Kino-Kultur im Griesbräu.<br />
Die Holzklappsitze sind gewichen und haben Platz gemacht für<br />
216 bequeme Polstersitze mit einer großzügigen Beinfreiheit von<br />
eineinhalb Metern. Was die Technik betrifft, so erfolgte im Jahr<br />
1987 die erste große Umrüstung. Dolby Surround kam im Jahr<br />
1991 und ab 2011 zog das volldigitalisierte Kinovergnügen in das<br />
Griesbräu Kino ein. Heute gibt es dort feinsten 7.1 Surround<br />
Sound zu genießen.<br />
Auf den baulichen Charme von 1955 muss man trotz Komfort<br />
und hohem technischen Standard nicht verzichten. Viele Bauelemente<br />
wurden erhalten und liebevoll restauriert, so zum Beispiel<br />
die Wandmalereien „Bäuerin“ und „Pegasus“ im Bereich<br />
der Kinotheke, geschaffen von dem Künstler Linus Engel (1921-<br />
1997). Er war bekennender Cineast und hatte lange Zeit direkt<br />
neben dem Kinosaal ein Zimmer bewohnt – allerdings nur im<br />
Winter. Den Sommer verbrachte er stets lieber im Gartenhäuschen<br />
nebenan.<br />
25
26
P O R T R A I T<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
Georg Betzmeir, der heutige Betreiber des Griesbräu-Kinos<br />
Mich interessiert nun aber doch: Wie kam Georg Betzmeir<br />
eigentlich zum Kino?<br />
1987, so erzählt er mir, hat er als kleiner Aushilfsvorführer angefangen.<br />
Jahrelang arbeitete er erfolgreich mit dem Vorbesitzer,<br />
Herrn Böhm, zusammen, und trat schließlich im Jahr 2002 in<br />
dessen Fußstapfen.<br />
„Zuckerschlecken ist es leider keines“, so Betzmeir, „wir müssen<br />
immer schauen, dass wir das Kino über Wasser halten können.<br />
Es ist kein leichtes Geschäft, denn im Laufe der Zeit wurde die<br />
Medienlandschaft einfach größer. Ein Kino muss immer gegen<br />
die klassische Medienlandschaft ankämpfen.<br />
Was man den Leuten aber unbedingt aufzeigen muss, ist, dass<br />
es am Ort nur dann ein Kino gibt, wenn es auch genutzt wird.<br />
Ohne Nachfrage kann ein Kino schnell vom Ortsbild verschwinden<br />
– und die Trauer wäre groß. Ein Kinoerlebnis ist eben<br />
genau das: ein Erlebnis, das man mit anderen teilt.<br />
Sich treffen, gemeinsam lachen, gemeinsam weinen.<br />
Kino sehe ich als ein erhaltungswürdiges Kulturgut.<br />
Fernsehen oder Internet-Streaming hingehen erziehen eher zur<br />
Isolation. Da geht das Soziale verloren.“<br />
Als Kinobetreiber gibt Georg Betzmeir alles. „Da muss man<br />
viel Enthusiasmus und Herzblut mitbringen. Man muss schon<br />
zu 120 Prozent dahinter stehen. Wenn man es leger nebenbei betreibt,<br />
es nicht ernst nimmt, dann kann es auch mal schnell<br />
vorbei sein.“ Wichtig ist ihm vor allem die stetige Qualitätsprüfung:<br />
Ist der Kunde zufrieden gewesen? Haben die Saalwärme,<br />
Bild und Ton und die Filmauswahl gepasst?<br />
Apropos Filmauswahl: Wie sich diese zusammensetzt, variiert<br />
ständig. „Grob kann man sagen, sie besteht aus 50 Prozent Blockbustern<br />
und 50 Prozent Arthouse. Es ist auch so, dass sich die<br />
Alterspyramide ständig ändert. Die jungen Leute gehen in die<br />
Großstadt, Rentner kommen hierher. Als Kinobetreiber versuchst<br />
Du, für jeden das Richtige herauszufiltern. Ein Kino lebt auch<br />
viel von den Schülern. Doch diese gehen irgendwann weg, ziehen<br />
in die Städte zum Studieren.“<br />
27
P O R T R A I T<br />
Und dennoch: Nach 30 Jahren weiß Georg Betzmeir meist,<br />
was die Murnauer gerne sehen möchten. Über sich persönlich<br />
möchte er übrigens nicht so viel berichten. „Ich bin geborener<br />
Murnauer“, gibt er mir Auskunft. Aber dann schwenkt er auch<br />
schon wieder zum Kino.<br />
Ein besonderes Erlebnis, sagt er und schmunzelt, war zum Beispiel<br />
die Vorführung von „Herbstmilch“ (unter der Regie von<br />
Joseph Vilsmaier) im Jahr 1988. Das Kino war damals vier Wochen<br />
lang restlos ausverkauft. „Wir mussten die Zuschauer<br />
von beiden Seiten in das Gebäude rein lassen, das<br />
Kino war proppenvoll. Anna Wimschneider war damals<br />
persönlich anwesend.“<br />
Auch andere Schauspieler besuchten das Griesbräu Kino vor<br />
Ort. So zum Beispiel die berühmte Stummfilm-Diva Camilla<br />
Horn (sie war bei ihrem Besuch bereits 95 Jahre alt). Auch<br />
Tom Gerhardt, Siegfried Rauch und Marcus Rosenmüller gaben<br />
sich die Ehre.Vilsmaier kam ebenfalls noch einmal vorbei, im<br />
Zuge der Aufführung der Comedian Harmonists.<br />
Während wir noch gemütlich neben der Theke sitzen, merke<br />
ich, dass Georg Betzmeir langsam zum Ende kommen möchte.<br />
Die Nachmittagsvorstellung beginnt bald. Und so wie ich damals<br />
zu Schulzeiten, drängen auch jetzt Schüler sowie Familien mit<br />
kleineren Kindern aufgeregt und mit leuchtenden Augen Richtung<br />
Kinokasse und stellen sich die eine, ganz elementare Frage:<br />
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Sibylle Blinn:<br />
„Ich will, dass sich die Braut<br />
schön und authentisch fühlt.“<br />
30
Es ist Hochsaison für Sibylle Blinn. Sie ist Die Hochzeitskleiderin<br />
in Murnau. Ab dem Frühjahr wird wieder vermehrt geheiratet<br />
in Murnau. Und was ist da fast so wichtig wie der richtige Mann?<br />
Natürlich: das perfekte Brautkleid. Jede Frau hat da so ihre eigenen<br />
Vorstellungen. Sieben-, achthundert Euro aufwärts kann<br />
frau locker dafür ausgeben, und schließlich soll es ja der schönste<br />
Tag im Leben werden. Bei Sibylle Blinn geht das auch anders.<br />
Bei ihr gibt es Brautkleider Second Hand – allerdings nimmt sie<br />
nur ausgesuchte Ware an. Mehr als 2-3 Jahre alt als sollten die<br />
Kleider nicht sein, außerdem gereinigt und nicht bunt. Denn in<br />
ihrem Showroom hat sie nur das klassische Weiß und Ivory im<br />
Angebot. „Die Hochzeitskleiderin ist keine Resterampe“, erklärt<br />
sie, „ich habe nur hochwertige Kleider“.<br />
Hochzeitsorganisation mit Leidenschaft<br />
Ein Jahr hat sie ihr Geschäft im Innovationsquartier schon, sie<br />
war mit eine der ersten, die in das 1932 von James Loeb gestiftete<br />
Gebäude eingezogen ist, das heute der Gemeinde Murnau zur<br />
Wirtschaftsförderung dient.<br />
Die gelernte Hotelbetriebswirtin kommt eigentlich aus Bad Neustadt/Saale,<br />
doch ihre Großeltern stammen aus Grafenaschau.<br />
Seit sie ein Kind war, wollte sie ins Blaue Land. Nach dem Studium<br />
ergab sich die Gelegenheit, in einem renommierten Viersternehotel<br />
am Fuße der Zugspitze als Bankettleiterin die Veranstaltungsorganisation<br />
zu verantworten, darunter auch viele<br />
Hochzeiten. „Das hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt sie, „das<br />
habe ich immer mit Leidenschaft betrieben.“ Und so war es nur<br />
folgerichtig, sich mit ihrer Idee selbständig zu machen, gebrauchte<br />
Hochzeitskleider noch einmal in Szene zu setzen und<br />
an die Frau zu bringen.<br />
durch eine Schwangerschaft das Kleid nicht mehr tragen<br />
konnte.<br />
Ein Brautkleid ist ein Gefühl<br />
Der Moment aber, wenn die Kleider bei ihr abgegeben werden,<br />
ist meist ein sehr emotionaler, erzählt sie. „Da fließt schon mal<br />
die eine oder andere Träne.“ Dafür freut sich aber vielleicht noch<br />
einmal eine andere Braut. Mindestens zwei Stunden sollte man<br />
einplanen für einen Termin im Showroom der Hochzeitskleiderin.<br />
Es dauert, bis alles durchprobiert ist und die Entscheidung<br />
will gut überlegt sein. Besonders beliebt ist im Moment der Vintage-Stil,<br />
mit viel Spitze und leichten Stoffen.<br />
Im Gegensatz zu Second-Hand-Käufen von privat, bei denen<br />
man sich plötzlich im Schlafzimmer der Verkäuferin wiederfindet,<br />
kann die Braut den Prosecco in Sibylle Blinns Showroom<br />
in gemütlicher Atmosphäre, gemeinsam mit Freundinnen,<br />
Schwestern oder der Mutter genießen. Ganz wichtig ist der<br />
Hochzeitskleiderin die gute Atmosphäre. Denn am Ende ist es<br />
doch sehr intim, ein Brautkleid zu kaufen. „Ich will, dass sich<br />
die Braut schön und authentisch fühlt.“<br />
nil<br />
www.diehochzeitskleiderin.de<br />
Platz schaffen<br />
Denn was tun mit dem teuren Kleid, wenn die große Feier vorbei<br />
ist? Dann hängt das gute Stück im Schrank und kostet Platz.<br />
Umschneidern oder einfärben? Meist wird daraus doch nichts.<br />
So können sie bei Sibylle Blinn abgegeben werden und noch<br />
einmal eine Braut an ihrem schönsten Tag erstrahlen lassen.<br />
Manchmal bekommt Die Hochzeitskleiderin sogar ungetragene<br />
Kleider in Kommission – weil die Braut sich doch nicht wohlfühlte<br />
und noch ein anderes Kleid gekauft hat, oder weil sie<br />
31
Wohnzimmer Kaffeehaus<br />
Herbert Sambale<br />
und seine Heimaten<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
32
P O R T R A I T<br />
„Nur nicht gleich sachlich werden! Es geht ja auch persönlich.“<br />
Anton Kuh, Physiognomik<br />
Wer seine Heimat als Kind hat verlassen müssen, wird sein<br />
Leben lang auf der Suche sein. Welche Heimaten sich Herbert<br />
Sambale, Stammgast im Kaffeehaus Krönner, in seinem Wohnort<br />
Murnau geschaffen hat, zeigt ein ganz gewöhnlicher Werktag.<br />
Seit vielen Jahrzehnten steuert der inzwischen Einundachtzigjährige<br />
täglich mittags den Obermarkt 8 an. Dort betrieb<br />
jahrzehntelang Cafétier und Hausbesitzer Franz Fodermair<br />
sein Café und entwickelte es mit einer sehr persönlichen Note<br />
zum besten Kaffeehaus am Platz. Generationen von Lehrern<br />
und Schülern verbrachten dort früher jede freie Minute. Als<br />
Franz Fodermair das renommierte Kaffeehaus aus Altersgründen<br />
aufgab, fand er mit der Konditormeisterin Barbara<br />
Krönner aus Garmisch eine kongeniale Nachfolgerin.<br />
„Jetzt ist schon einige Zeit ins Land gegangen, seit das Café<br />
Fodermair eine neue Pächterin bekommen hat. Die Stammgäste<br />
haben sich bisher kaum beschweren können. Das Ambiente ist<br />
das gleiche geblieben, das Personal auch“, kommentierte der<br />
ehemalige Gymnasiallehrer Sambale die gewünschte Kontinuität.<br />
Auch Barbara Krönner erinnert sich noch gerne an den Tag,<br />
als sie dem Stammgast zum ersten Mal begegnete: „Es war der<br />
31. August 1998, Franz und Helga Fodermair feierten Abschied<br />
von ihrer 30-jährigen Kaffeehauszeit, und ich gab meinen Einstand.<br />
Zu vorgerückter Stunde saß ich dann bei einem gewissen Herbert<br />
Sambale und erfuhr eindringlich, was dieses Kaffeehaus den<br />
Stammgästen bedeutet: Zuflucht, Geborgenheit und Heimat.<br />
Nicht nur Zeitvertreib, sondern Lebenseinstellung. Nicht Gästezimmer,<br />
sondern Wohnzimmer.“<br />
Und weil die vielen Zeitungen beim Krönner dem politisch<br />
und gesellschaftlich vielseitig Interessierten keineswegs genügen,<br />
versorgt sich der leidenschaftliche Vielleser Sambale mit<br />
Lesestoff aus der schräg gegenüberliegenden Buchhandlung,<br />
die sein ehemaliger Schüler Guntram Gattner mit viel Liebe<br />
zum Buch betreibt. Früher, als Sambale noch im Schuldienst<br />
war, verbrachte er die Vormittage und so manchen Nachmittag<br />
im Staffelsee-Gymnasium Murnau, das damals noch an der<br />
Sollerstrasse lag. Dort war der überzeugte Demokrat ein äußerst<br />
beliebter Lehrer und Kollege, bekannt für seinen Gerechtigkeitssinn<br />
und seine Fairness. In den 1970er Jahren war es für<br />
uns Schüler etwas völlig Neues, dem damals noch jungen Lehrer<br />
privat im Kaffeehaus zu begegnen und mit ihm über Gott und<br />
die Welt zu diskutieren. Mit seinen klaren Statements zum Tagesgeschehen<br />
konnte er aber auch polarisieren. „Und ich habe immer<br />
gesagt: Zeitung lesen ist wichtig. Und unsere Demokratie<br />
existiert nur, wenn ihr - die nachwachsende Generation – euch<br />
engagiert: ob bei der SPD oder bei der CSU oder bei der FDP –<br />
völlig wurscht: Hauptsache, ihr setzt euch für Demokratie ein.“<br />
Wegen seiner Belesenheit und seines fundierten Fachwissens<br />
war es für Schüler mit ausgeprägtem Widerspruchsgeist schwer,<br />
ihn aus der Fassung zu bringen. Wer nicht logisch argumentierte,<br />
hatte schon verloren. Sein Credo lautete: Wenn man<br />
einen Standpunkt hat, dann muss man den auch vertreten –<br />
und eben auch akzeptieren, wenn die Gegenargumente besser<br />
sind. Noch heute beschließt Sambale so manchen Tag im Kreise<br />
ehemaliger Schüler und Kollegen in der bayerisch-irischen<br />
Wirtschaft Die Kneip’n in der Seidlstrasse. Es sind diese Orte,<br />
die seinem Tag Struktur geben, und die Menschen, denen er<br />
dabei täglich begegnet. Sie verankern ihn fest in Murnau, das<br />
ihm mittlerweile zur Wahlheimat geworden ist.<br />
Dem Kaffeehaus Krönner kommt dabei eine besondere Bedeutung<br />
zu. „Was verlangt man von einer Zuflucht, die das eigene<br />
Wohnzimmer ersetzen soll? Sicher keine gediegene Ausstattung.<br />
Vor allem darf das Ganze nicht zu neu wirken. Man hat ja sonst<br />
Angst, sich gemütlich niederzulassen, fürchtet, etwas kaputtzumachen<br />
oder zu beschmutzen“, sinniert Herbert Sambale über<br />
das ideale Kaffeehaus.<br />
33
P O R T R A I T<br />
„Vater weg, Heimat weg, Jugend weg...“<br />
Von Wahlheimat konnte zunächst keine Rede sein, als der<br />
13-jährige Herbert 1949 mit seiner Mutter Charlotte und seinem<br />
jüngeren Bruder zum ersten Mal Murnau betrat. Sein<br />
älterer Bruder war auf der Flucht nicht dabei. Von Schlesien<br />
aus, wo die Sambales bisher zu Hause waren, hatte Charlotte<br />
mit ihren Kindern nach Kriegsende etappenweise die Flucht<br />
in den Westen angetreten. Mutter und Söhne waren zunächst<br />
in der Nähe von Leipzig gestrandet. „Wir sind hier in die Ostzone<br />
gekommen, und da waren wir Fremde. Die Leute haben<br />
dort sächsisch geredet, und wir haben einen anderen Slang gehabt.<br />
Man hat uns ausgelacht, und wir Kinder haben uns in<br />
schnellster Zeit an den sächsischen Jargon gewöhnen müssen.“<br />
Nach zwei Jahren hätte der kleine Herbert ins Gymnasium<br />
gehen sollen. Da sein Vater Akademiker war, wurde den Söhnen<br />
der Zugang zur höheren Bildung verwehrt. Die Mutter<br />
entschied sich zur Weiterflucht in die amerikanische Zone.<br />
„Dann haben wir unseren Rucksack gepackt und sind schwarz<br />
über die Grenze. Der Vorteil war, dass meine Mutter ihren Bruder<br />
hier bei Murnau gehabt hat. Er war in Großweil leitender Ingenieur<br />
in den Braunkohlebergwerken. Deswegen war das für uns<br />
die erste Anlaufstelle.“<br />
Die ersten Jahre in der neuen Heimat waren für den Heranwachsenden<br />
mit zahlreichen Entbehrungen verbunden. Da war<br />
Anpassung an die hiesigen Verhältnisse gefragt – sprachlich und<br />
mental: „Was meinst Du, wie die uns in Hechendorf ausgelacht<br />
haben mit unseren sächsischen Vokabeln. Also mussten wir schnell<br />
wieder auf Bayerisch umschalten. Dass da immer was bleibt, das<br />
ist ganz klar.“<br />
Den ältesten Bruder, der wegen einer Knochenmarkeiterung in<br />
Österreich in einer Heilanstalt war, haben die Brüder erst wieder<br />
in Murnau kennengelernt. Das Schlimmste aber war, dass ihr<br />
Vater, Diplomlandwirt und Direktor einer Landwirtschaftsschule,<br />
nicht mehr aus dem Krieg zurückkam. Das machte seine Söhne<br />
zu Halbwaisen und seine Ehefrau Charlotte zur alleinigen Ernährerin<br />
ihrer drei Buben. „Meine Mutter hat im Hotel Alpenblick<br />
gearbeitet, in der Küche, und ich war ein halbes Jahr im Caritas-<br />
Kinderheim in Bernried. Ich bin dann ins Gymnasium in Starnberg<br />
gegangen, bis wir in Hechendorf eine Wohnung zwangsweise zugewiesen<br />
bekommen haben.“ Das Gefühl, fremd zu sein, nicht<br />
dazuzugehören, hat den hoch begabten Schüler geprägt. Und<br />
auch die Frage, wie der Nationalsozialismus in Deutschland,<br />
diese Hitler-Hörigkeit, wie Sambale sagt, entstehen konnte. Dass<br />
Nazideutschland Europa mit einem grausamen Angriffskrieg<br />
34
überzogen hatte, brachte auch über Sambales Familie unendliches<br />
Leid. Vielleicht machte Sambale deshalb sein großes Interesse<br />
an Geschichte und Literatur zum Beruf und wurde Gymnasiallehrer:<br />
„Ich habe immer und immer wieder Bücher gelesen, um<br />
dem auf den Grund zu kommen. In den Köpfen, den Herzen und<br />
der Psyche der Leute, die darunter gelitten haben, haben diese Ereignisse<br />
bleibende Schäden hinterlassen. Deutschland wird noch<br />
lange an dem Erbe tragen, das uns der Hitler und die Kaiserzeit<br />
eingebracht haben. Ich fühle mich bei mancher Gelegenheit eben<br />
als ein Geschädigter. Ganz klar. Vater weg, Heimat weg, Jugend<br />
weg, das hat mein Selbstwertgefühl ganz erheblich belastet.“<br />
Ein Leben für die Literatur<br />
„Ich bin in Bayern nie richtig heimisch geworden, weil mir die oberbayerische<br />
Mentalität in vielem nicht behagt“, konstatiert Herbert<br />
Sambale. Die deutschsprachige Literatur und die deutsche Sprache<br />
wurden ihm deshalb zur Heimat. Dabei hatte er zunächst Mathematik<br />
und Physik an der Universität München studiert, hatte sein<br />
Studium aber wegen eines Kieferbruchs beim Fußball unterbrechen<br />
müssen. Auch Architekt wäre er gerne geworden; das wiederum<br />
war an einem Praktikumsplatz in einem Murnauer Baugeschäft<br />
gescheitert. So wurde er passionierter Gymnasiallehrer.<br />
Von 1968 bis 2001 unterrichtete er am Staffelsee-Gymnasium<br />
Deutsch, Geschichte und Erdkunde. „Ich habe ja mein Leben lang<br />
gelesen, gelesen, gelesen. Und für den Unterricht ist dann ab und an<br />
auch etwas abgefallen.“ Oskar Maria Grafs Romane Anton Sittinger<br />
und Das Leben meiner Mutter las er mit seinen Schülern genauso<br />
gern, wie die großen literarischen Werke von Heinrich Mann und<br />
Thomas Mann. Vor allem aber führte Herbert Sambale in Murnau<br />
die Literatur der untergegangenen Habsburger Monarchie ein –<br />
das kulturelle Erbe seiner Eltern: „Der satirische Science-Fiction-<br />
Roman "Krieg mit den Molchen" von Karel Capek und Elias Canettis<br />
"Die Blendung" haben mich sehr fasziniert; und diese Romane habe<br />
ich dann auch in der einen oder anderen Klasse gelesen. Auch der<br />
Schriftsteller Leo Perutz gehörte zu den Entdeckungen, die ich dann<br />
an meine Schüler weitergeben konnte.“<br />
Seine größte und für Murnau folgenreichste Entdeckung aber<br />
war die Literatur von Ödön von Horváth. Im Unterricht machte<br />
Sambale Schüler und Kollegen damit vertraut, dass Horváths<br />
Theaterstücke Zur schönen Aussicht und Italienische Nacht eng<br />
von Murnauer Lokalitäten, Ereignissen und Menschen geprägt<br />
sind. „Die Kollegen haben ja von Horváth praktisch keine Ahnung<br />
gehabt und die Murnauer wollten damals von Horváth gar nichts<br />
wissen. Den habe ich ja praktisch entdeckt an der Schule.“ Das war<br />
35
lange, bevor es in Murnau die erste Horváth-Woche (1988), einen<br />
Horváth-Raum im Schloßmuseum Murnau (seit 1993), Horváth-Tage<br />
(seit 1998), eine Horváth-Gesellschaft (seit 2003), eine Horváth-Stiftung<br />
(seit 2003), einen Horváth-Preis (seit 2013) und einen Ödön von<br />
Horváth-Platz (2018) gab.<br />
Um 1970 war Ödön von Horváth nur einem kleinen Kreis von Kennern<br />
bekannt. Der Lehramtsstudent Rudolf Huber, Sohn des Gemeinderates<br />
und späteren Schulrates Dr. Leopold Huber, hatte Sambale bereits<br />
Anfang der 1960er Jahre auf diesen großen Dramatiker des 20. Jahrhunderts<br />
aufmerksam gemacht. Leopold Huber war in den 1920er<br />
Jahren Lehrer in Murnau und mit Ödön von Horváth persönlich bekannt<br />
gewesen. Im Roman Jugend ohne Gott (1937) ist er Vorbild für<br />
den Lehrer und Ich-Erzähler. „Ich bin auf den Ödön von Horváth gestoßen<br />
durch den Huber Rudi. Wir kannten uns schon aus der Schule<br />
und sind dann gemeinsam mit der Bahn zum Studium nach München<br />
gefahren. Auf der Fahrt hat er mich einmal gefragt, ob mir der Name<br />
Horváth geläufig wäre. Da habe ich gesagt: nein, nie gehört. Da habe ich<br />
mir bei nächster Gelegenheit Literatur von Horváth besorgt – und dann<br />
auch gelesen und dann an der Schule versucht, diesen Autor populär zu<br />
machen. Das kam nicht in allen Klassen gut an.“<br />
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Politisches Engagement als Anker<br />
1968 ließ sich Sambale vom staatlichen Landschulheim Marquartstein<br />
nach Murnau versetzen. Kurz darauf trat er in den Ortsverein<br />
der SPD ein, rief das Parteiblättchen Die rote Feder ins Leben und<br />
veröffentlichte darin hellsichtige Artikel. Die SPD wurde ihm zur<br />
zweiten Heimat. Warum? „Natürlich aufgrund der eigenen Vergangenheit.<br />
Jemand, der sich zurechtfinden muss, der da irgendwo in der<br />
Luft gehangen ist, für den war die SPD natürlich auch ein solcher Versuch,<br />
vor Anker zu gehen. Der Trachtenverein kam für mich nicht in<br />
Frage.“ Bei der Kommunalwahl am 11. Juni 1972 kandidierte er auf<br />
der SPD-Liste und wurde auf Anhieb in den Gemeinderat Murnau<br />
gewählt. Vom 1. Juli 1972 bis zu seinem Rücktritt am 10. Februar<br />
1977 übte er dieses Ehrenamt mit großem Engagement aus. Wie<br />
kam es zu diesem Rücktritt?<br />
Zum 75. Geburtstag von Ödön von Horváth strahlte die ARD am<br />
5. Dezember 1976 die Gedenksendung „Flucht aus der Stille. Ödön<br />
von Horváth und Berlin“ aus, was zahlreiche Murnauer mit Spannung<br />
erwarteten. Im Vorfeld hatte der Berliner Regisseur und<br />
Horváth-Biograf Dieter Hildebrandt Murnauer Schüler und Lehrer<br />
36
P O R T R A I T<br />
über ihr Verhältnis zu Horváth befragt. Auf die Frage: Aber sonst<br />
hat Murnau kein besonders intensives Verhältnis zu Horváth? bezog<br />
Oberstudienrat Herbert Sambale Stellung: „Nein, das kann man von<br />
den – ich bin ja kein gebürtiger Murnauer – von den gebürtigen<br />
Murnauern ... auch nicht erwarten. Murnau ist ja einmal ein sehr<br />
braunes Pflaster gewesen, und Horváth ist ja bekanntlich gegen die<br />
Nazis zu Felde gezogen, und dass da viele das nicht gerne hören wollen,<br />
dass ihre Väter ... auf der Gegenseite gestanden sind, dass die von<br />
Horváth da aufs Korn genommen worden sind, das kann man sich ja<br />
auch vorstellen.“ Dieter Hildebrandt bohrte provozierend nach: „Hat<br />
sich denn nun die Mentalität des Ortes geändert, oder ist es – sagen<br />
wir - ein sehr konservatives Pflaster hier?“ Und Herbert Sambale entgegnete:<br />
„Sie brauchen bloß das Wahlergebnis anschauen vom Sonntag,<br />
da hat die CSU 65 Prozent in Murnau bekommen, dann können<br />
Sie sich vorstellen, wie das ... ausschaut.“<br />
Ihr Spezialist für gesunden Schlaf.<br />
Sambales Kollege am Murnauer Gymnasium, Georg Öder, mischte<br />
sich ins Gespräch und wandte sich gegen die Interpretation von<br />
konservativ. Hier wird nämlich konservativ mit braun gleichgesetzt,<br />
was Sambale mit den Worten bestritt: „Wieso denn ... hat kein Mensch<br />
gemacht.“ (Sendemitschrift der ARD-Sendung vom 5.12.1976)<br />
Bei den Murnauer CSU-Gemeinderäten löste Sambales Aussage einen<br />
Sturm der Entrüstung aus: Mit Schreiben vom 14.12.1976 an<br />
den Marktgemeinderat bedauert der Vorsitzende des CSU-Ortsverbandes<br />
Murnau, daß anläßlich der genannten Sendung ausgerechnet<br />
ein Murnauer Lehrer und Marktgemeinderat einer demokratischen<br />
Partei derartige Aussagen über seine Heimatgemeinde macht. (...)<br />
2. Bgm. Krönner kritisiert, dass hier braune Vergangenheit und konservative<br />
Einstellung in einen Topf geworfen werden. Schließlich<br />
wurde auch geäußert, dass wegen dieser Vergangenheit in Murnau<br />
niemand von Horvarth (sic!) etwas wissen möchte. Allerdings wurde<br />
diese Aussage von einem anderen Lehrer erfreulicherweise etwas<br />
abgeschwächt. Schließlich fragt der Redner GRM Sambale, ob er<br />
noch zu diesen Aussagen steht. Vor allem die geborenen Murnauer<br />
sind hier gefordert, Stellung zu nehmen. GRM Sambale: Ich habe die<br />
mir vorgeworfene Behauptung niemals aufgestellt. (...) Herr Frühschütz<br />
hat schließlich beim Direktor des Gymnasiums vorgesprochen,<br />
damit GRM Sambale, der dort als Lehrer tätig ist, gerügt<br />
werde. (...) GRM Kamperschrör: Herrn GRM Sambale soll das Misstrauen<br />
ausgesprochen werden. Und so ein Lehrer wird auf unsere<br />
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37
P O R T R A I T<br />
TSV Murnau, Meister der B-Klasse 1958<br />
Murnau-Kulmbach 2:4 am 24. Juni 1956<br />
Jugend losgelassen. Daraufhin verließ GRM Sambale und mit<br />
ihm die Mitglieder der SPD-Fraktion GRM Biller, Engelbrecht,<br />
Hausmann, Jantos und Neudert sowie GRM Siepmann von der<br />
parteifreien Wählerschaft den Sitzungssaal, so dass nur noch<br />
13 stimmberechtigte Mitglieder anwesend waren. (...) GRM<br />
Dr. Roßberg: Mich hat getroffen, daß ein Gemeinderat und Nicht-<br />
Murnauer sich so über seine Heimatgemeinde ausgelassen hat.<br />
(Niederschrift über die Verhandlung des Marktgemeinderats<br />
Murnau der öffentlichen Sitzung vom 16. Dezember 1976,<br />
885/886)<br />
Das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt titelte am 27. Dezember<br />
1976: Harter Disput um ein Wort: Was heißt eigentlich konservativ?<br />
und begann den Zeitungsartikel mit den Worten: Der<br />
Dramatiker Ödön von Horváth würde wohl noch posthum die<br />
Ohren spitzen, wenn er die Auswirkungen seines Dramas "Die<br />
Italienische Nacht" mehr als vierzig Jahre später in einer gemeinderätlichen<br />
Weihnachtssitzung miterlebt hätte. ... Nicht<br />
der Christbaum des Jahres 1976, sondern ein Fernsehturm,<br />
den es zu Zeiten Horváths noch gar nicht gab, trieb nämlich<br />
die Murnauer CSU "auf die Palme" und die SPD geschlossen<br />
zum Auszug aus der Sitzung, was Bürgermeister Simet trotz<br />
mehrfacher Berufung auf den weihnachtlichen Frieden nicht<br />
verhindern konnte.<br />
38
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Herbert Sambale reichte aufgrund der Äußerungen am 19. Januar 1977 sein<br />
Rücktrittsgesuch ein und begründete seinen Schritt folgendermaßen: „Hiermit<br />
verzichte ich auf mein Mandat im Gemeinderat Murnau. Angesichts der Vergiftung<br />
der Atmosphäre scheinen mir die notwendigen Voraussetzungen für eine vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit nicht mehr gegeben. Ich bin auch nicht bereit, mir<br />
meine Meinungsäußerungen durch die Mehrheitsfraktion der CSU im Gemeinderat<br />
zensieren zu lassen. Die Aussicht, in Zukunft von meinen Schülern bespitzelt zu<br />
werden und jedes Wort im Munde herumgedreht zu bekommen, ist auch nicht<br />
gerade verlockend.“ (Niederschrift über die Verhandlung des Marktgemeinderats<br />
Murnau in der öffentlichen Sitzung vom 20. Januar 1977 / Veränderung<br />
im Marktgemeinderat: Schreiben von GRM Sambale)<br />
Sambale ließ sich auch nicht mehr umstimmen, als in einer gemeinsam formulierten<br />
Erklärung vom 20. Januar 1977 Gemeinderat Kamperschrör seine<br />
Behauptungen zurücknahm. Das Rückrittsgesuch wurde am 10. Februar 1977<br />
vom Gemeinderat Murnau einstimmig angenommen.<br />
Das Murnauer Kaffeehaus<br />
Herbert Sambale zog sich daraufhin aus dem politischen Leben zurück und<br />
widmete sich ganz dem Lesen und der Schule. Die größte Kontinuität in seinem<br />
Leben aber blieben auch nach seiner Pensionierung 2001 seine regelmäßigen<br />
Kaffeehaus-Besuche, von denen er sagt: „Kaffeehäuser sind Biotope<br />
mit einem labilen ökologischen Gleichgewicht. Hier geht es nicht um Verkaufsstätten<br />
für Kaffee und Kuchen, hier geht es um die Stammgäste, die länger verweilen<br />
und der Kommunikation halber kommen.“ Dort fühlt sich Sambale ein<br />
wenig zuhause, weil er diese im Habsburger Kaiserreich weit verbreitete<br />
Kultur seit seiner frühesten Kindheit kennt: „Meine Mutter ist in Brünn aufgewachsen.<br />
Sie ist ja Österreicherin gewesen, und das Thema "Wiener Kaffeehaus"<br />
hat mich immer beschäftigt.“ Auf die Frage, was ein gutes Kaffeehaus<br />
ausmacht, antwortet Sambale: „Atmosphäre! Atmosphäre: die richtigen Leute,<br />
die Begegnungen und die Stammgäste.“<br />
Inzwischen ist er zum Chronisten des Murnauer Kaffeehauses geworden,<br />
behält aber als Beobachter Distanz. Barbara Krönner hat eine Auswahl dieser<br />
vielen Geschichten in zwei Bänden herausgegeben. Offen bleibt, ob es für<br />
Sambale der Stammtisch, die Stuhlbezüge, das Bier, die Bedienung oder gar<br />
die Pächterin sind, die das Kaffeehaus zu seinem Wohnzimmer machen. Aber<br />
ist ein Wohnzimmer immer auch Heimat? „Heimat ist, wo man sich wirklich<br />
geborgen und zugehörig fühlt. Das aber ist natürlich sehr schwierig. Aber das<br />
haben größere Geister schon nicht definieren können", sagt Sambale und schmunzelt<br />
verschmitzt.<br />
Elisabeth Tworek
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Agentur <strong>Melange</strong>, Obermarkt 8, 82418 Murnau,<br />
Barbara Krönner und Franz Windirsch<br />
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42
WENN JEDE MINUTE ZÄHLT –<br />
IM EINSATZ FÜR DIE LUFTRETTUNG<br />
Die ADAC Luftrettungsstation Christoph Murnau<br />
an der BG Unfallklinik Murnau<br />
Seit über 30 Jahren beteiligt sich die BG Unfallklinik Murnau am<br />
Notarztdienst in der Region Murnau und im Oberland. Neben<br />
dem Notarzteinsatzfahrzeug ist seit Oktober 1994 auch dauerhaft<br />
ein Hubschrauber an der BG Unfallklinik Murnau stationiert.<br />
Seitdem wurden über 22.000 Einsätze geflogen und entsprechend<br />
viele Patienten versorgt oder Menschen aus der Bergnot<br />
gerettet. Denn gerade in den Gebirgslagen ist der Hubschrauber<br />
oft das einzige Mittel zur Rettung von Verletzten. Der Intensivtransporthubschrauber<br />
stellt somit einen unverzichtbaren Eckpfeiler<br />
des Notarztdienstes dar – auch weit über Murnau hinaus –<br />
erklärt Dr. Thomas van Bömmel, Leitender Hubschraubernotarzt<br />
der ADAC Luftrettungsstation Christoph Murnau an der BG Unfallklinik<br />
Murnau.<br />
Mit dem Intensivtransporthubschrauber Christoph Murnau ist ein hoch modernes Rettungsmittel<br />
direkt an der BG Unfallklinik Murnau stationiert. Sein Einsatzspektrum erstreckt sich vom Transport<br />
von Intensivpatienten über Rettungseinsätze im Einzugsgebiet Oberland und Gebirgsmissionen<br />
mit Windeneinsatz. Dieses sehr umfassende und anspruchsvolle Einsatzspektrum<br />
erfordert ein hohes Maß an Training im Team und Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern<br />
der Rettungsdienste, Bergwachten, Integrierten Leitstellen, Kliniken und vielen mehr. Als Maximalversorger<br />
behandelt die BG Unfallklinik Murnau zusammen mit dem Klinikum<br />
Garmisch-Partenkirchen zwei Drittel aller Patienten weiter, die vom Team der ADAC Luftrettung<br />
primär versorgt oder aus anderen Kliniken nach Murnau verlegt werden. Der ADAC Intensivtransport-<br />
und Rettungshubschrauber übernimmt dabei eine zentrale Rolle im Bereich des Intensivtransportes<br />
und der akuten Notfallrettung südlich von München im Oberland.<br />
44
BG Unfallklinik Murnau<br />
„In oftmals entscheidenden<br />
Lebenslagen<br />
Menschen erfolgreich<br />
helfen zu können,<br />
ist eine der Hauptmotivationen,<br />
sich<br />
am Hubschrauberdienst<br />
zu beteiligen.“<br />
Dr. Thomas van Bömmel<br />
BEITRAG von<br />
DR. THOMAS<br />
VAN BÖMMEL<br />
Leitender Hubschraubernotarzt<br />
Christoph Murnau<br />
In dieser Funktion seit Inbetriebnahme<br />
der Hubschrauberstation im Oktober 1994<br />
An der BG Unfallklinik Murnau<br />
seit 1993
Stephan Knödler, Pilot und Stationsleiter Christoph Murnau<br />
Christoph Murnau im Windeinsatz<br />
WENN JEDE MINUTE ZÄHLT – IM EINSATZ FÜR DIE LUFTRETTUNG<br />
Die ADAC Luftrettungsstation Christoph Murnau an der BG Unfallklinik Murnau<br />
Schnelle Hilfe aus der Luft: Notfallrettung,<br />
Intensivtransport und Bergrettung mit<br />
Christoph Murnau<br />
Der größte Vorteil eines Hubschraubers ist seine Geschwindigkeit.<br />
Unabhängig von Verkehrswegen oder Staus können der Notarzt und<br />
das notwendige medizinische Equipment mit seiner Hilfe auf direktem<br />
Weg zum Notfallpatienten gebracht werden. Gerade bei der Versorgung<br />
von schwerverletzten Patienten, sogenannte Polytraumen,<br />
muss es schnell gehen. Der Beginn der ärztlichen Behandlung ist<br />
ganz entscheidend für den weiteren Verlauf. Hier ist Christoph Murnau<br />
ein unverzichtbarer Bestandteil der Notfallrettung.<br />
Neben der Notfallrettung können mit dem Hubschrauber auch bereits<br />
erstversorgte Patienten weiter verlegt werden. Besonders für Patienten,<br />
die intensivmedizinische Behandlung benötigen, ist Christoph<br />
Murnau optimal ausgestattet – wie eine fliegende Intensivstation.<br />
Voraussetzung für diese Intensivtransporte ist, dass die Behandlung<br />
nicht unterbrochen wird. Auch das Personal an Bord ist darauf eingestellt:<br />
Ein Facharzt sowie ein Notfallsanitäter mit Zusatzausbildung<br />
zur Intensivfachpflegekraft sind hier wesentliche Bestandteile für die<br />
optimale Versorgung der Patienten. Dank eigener Trainingsformate<br />
und der Tatsache, dass das medizinische Team unter anderem<br />
auch auf der Intensivstation der BG Unfallklinik Murnau regelmäßig<br />
zusammenarbeitet, garantieren ein hohes fachliches Niveau.<br />
Der dritte wichtige Einsatzbereich des Hubschraubers sind Rettungseinsätze<br />
im Gebirge. Diese sind grundsätzlich sehr anspruchsvoll,<br />
sowohl für den Piloten als auch für die medizinische Crew. Die<br />
wichtigsten Faktoren hinsichtlich der Sicherheit und des Einsatzerfolges<br />
im alpinen Gelände sind dabei ein hoher Ausbildungsstand,<br />
uneingeschränktes gegenseitiges Vertrauen und die wechselseitige<br />
Akzeptanz im gesamten Team. Deshalb wird neben den<br />
rein technischen Fertigkeiten wie Behandlungsmethoden, alpinen<br />
Sicherungstechniken oder der Umgang mit der Ausrüstung, ganz<br />
wesentlich auch auf nicht-technische Fertigkeiten wie Kommunikation,<br />
Entscheidungen treffen und Führungsverhalten Wert gelegt.<br />
Diese werden wie die technischen Fähigkeiten umfassend und regelmäßig<br />
geschult. Darüber hinaus werden zusammen mit der ADAC<br />
Luftrettung gGmbH und der Bergwacht Bayern die weitgehend<br />
standardisierten Abläufe während eines Bergeinsatzes in Übungsszenarien<br />
intensiv geübt und optimiert.<br />
46
WINDENRETTUNG – FLEXIBILITÄT UND<br />
SCHNELLIGKEIT<br />
Die Bergrettung gehört zu den anspruchsvollsten Rettungsflügen<br />
für die gesamte Crew und gelingt nur durch hundertprozentige<br />
Teamarbeit. Der Windenoperator (Bordtechniker)<br />
bedient nicht nur die Winde, damit die medizinische Crew und<br />
auch das Bergwachtpersonal an die richtige Stelle abgesetzt<br />
werden, er dirigiert auch den Piloten, der die Unfallstelle meist<br />
nicht sehen kann. Der Hubschrauber wird vom Piloten nach<br />
den Angaben des Windenoperators über das Ziel gesteuert.<br />
Die medizinische Crew muss jeden Handgriff an der Winde<br />
beherrschen. Selbst bei einem eventuellen Funkausfall ist das<br />
gesamte Hubschrauberteam in der Lage, über Handzeichen<br />
den Einsatz reibungslos durchzuführen.<br />
Gerhard Opperer – Bordtechniker in Windenausrüstung<br />
Interview mit Dr. Thomas van Bömmel<br />
Sehr geehrter Herr Dr. van Bömmel, Sie sind als Notarzt von Anfang<br />
an mit der Leitung des medizinischen Teams betraut gewesen.<br />
Warum hat die BG Unfallklinik Murnau überhaupt einen Hubschrauber<br />
im Oktober 1994 in Betrieb genommen und wie hat sich die Einsatzlage<br />
entwickelt?<br />
DR. VAN BÖMMEL: In den Anfangsjahren wurde die Hubschrauberstation<br />
durch die Firma Heliservice betrieben. Der mit zwei Piloten<br />
und Nachtflugerlaubnis ausgestattete Hubschrauber Bell 222 wurde<br />
von den Rettungsleitstellen nur dann angefordert, wenn andere<br />
Rettungsmittel nicht verfügbar waren. In den Jahren danach wurde<br />
der Hubschrauber besonders für den Transport intensivpflichtiger<br />
Patienten genutzt, die über weite Strecken aus den Bundesländern<br />
Sachsen und Sachsen-Anhalt nach Murnau transportiert wurden.<br />
Gründe dafür lagen vor allem im Mangel geeigneter berufsgenossenschaftlicher<br />
Behandlungseinrichtungen in Ostdeutschland – besonders<br />
für Schwerbrandverletzte. In diesem Kontext entstand das so<br />
genannte „Murnauer Konzept“.<br />
Was ist das Murnauer Konzept genau?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Durch eine direkte Patientenübergabe an die<br />
behandelnden Ärzte aus der Unfallklinik, die auch als Notarzt in dem<br />
Hubschrauber tätig sind, minimiert sich der Informationsverlust und<br />
dies ermöglicht eine optimale Weiterbehandlung. So zeigte sich<br />
bereits in den ersten drei Jahren, dass der Hubschrauber nicht nur<br />
für Sekundärverlegungen eingesetzt werden konnte, sondern in<br />
zunehmendem Maße auch als primäres Rettungsmittel in den<br />
Landkreisen Weilheim-Schongau, Wolfratshausen, Bad Tölz und<br />
Garmisch-Partenkirchen angefordert wurde.<br />
Seit wann wurde der Hubschrauber für Bergeinsätze genutzt?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Zum 1. Juli 1999 übernahm die ADAC Luftrettung<br />
gGmbH im Auftrag des Bayerischen Innenministeriums den Standort<br />
Murnau mit einem Hubschrauber vom Typ BK 117, der mit einer Rettungswinde<br />
ausgerüstet war. Damit kam es zu einer grundsätzlichen<br />
Änderung des Aufgabengebietes. Der eingesetzte Hubschrauber<br />
Christoph Murnau war technisch wesentlich besser zur Primärrettung<br />
geeignet, als die bis dahin stationierte Bell 222. Die Ausstattung eines<br />
Intensivtransporthubschraubers wurde somit optimal mit der eines<br />
Rettungshubschraubers mit Außenwinde kombiniert. Das Einsatzspektrum<br />
umfasste nun drei Einsatzbereiche: Bergeinsätze inklusive<br />
Windenrettung, Primäreinsätze und Intensivtransporte.<br />
Gab es noch weitere Änderungen?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Ja, seit dem Jahr 2000 ist die ADAC Luftrettungsstation<br />
in einem modernen Hangar in unmittelbarer Nähe der<br />
Zentralen Notaufnahme der Klinik untergebracht. So können die<br />
Patienten noch einfacher aus dem Hubschrauber in die Klinik weiterverlegt<br />
und die Behandlung reibungslos weitergeführt werden.<br />
47
Christoph Murnau im Oberland<br />
INTENSIVTRANSPORTHUBSCHRAUBER MURNAU<br />
• Der Rettungstransporthubschrauber und sein Team<br />
sind täglich von ca. 7:00 Uhr (oder frühestens bei<br />
Sonnenaufgang) bis Sonnenuntergang in zwei Minuten<br />
einsatzbereit.<br />
• Die häufigsten Einsätze stellen Verkehrs-, Arbeits- und<br />
Freizeitunfälle dar.<br />
• Pro Tag fliegt der Hubschrauber durchschnittlich<br />
vier Einsätze.<br />
Welcher Hubschrauber ist aktuell im Einsatz und wie sieht eine<br />
typische Crew aus?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Seit 2014 haben wir an der BG Unfallklinik Murnau<br />
den aktuell modernsten und leistungsstärksten Rettungshubschrauber,<br />
der von der ADAC Luftrettung eingesetzt wird.<br />
Der Intensivtransporthubschrauber Murnau vom Typ H145 bietet<br />
sowohl eine große Kabine als auch eine optimale Triebwerksleistung,<br />
um Einsätze im alpinen Gelände in großen Höhen und unter widrigen<br />
Wetterumständen sicher zu ermöglichen. Die medizinische Ausrüstung<br />
des Christoph Murnau ist modular aufgebaut, flexibel gestaltbar und<br />
wird dem jeweiligen Einsatzprofil angepasst.<br />
Personell ist der Hubschrauber mit einer Vier-Mann-Crew besetzt: ein<br />
Pilot, ein Bordtechniker, ein Notfallsanitäter, der gleichzeitig auch ausgebildete<br />
Intensivfachpflegekraft ist, und ein Notarzt. Die medizinische<br />
Crew wird von der BG Unfallklinik Murnau gestellt, die Flight Crew<br />
von der ADAC Luftrettung.<br />
Wie bereitet sich das Team auf die auch teilweise sehr anspruchsvollen<br />
Einsätze vor?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Die verschiedenen Einsatzbereiche fordern von<br />
der medizinischen wie von der fliegerischen Crew ein hohes Maß an<br />
Flexibilität und gleichzeitig auch an Routine, um eine qualifizierte Arbeit<br />
leisten zu können. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden viele<br />
Erfahrungen mit dem Einsatz eines Hubschraubers sowohl für die<br />
Notfall- als auch für die Bergrettung und die Sekundärversorgung<br />
gesammelt. Diese Erfahrungen werden intern weitergegeben und<br />
mögliche Szenarien durchgespielt, um auch zukünftig optimal auf<br />
die entsprechenden Situationen reagieren zu können. Dies wird<br />
auch durch kontinuierliche Weiterbildungen und die regelmäßige<br />
Teilnahme an spezifischen Trainingseinheiten gewährleistet, die die<br />
ADAC Luftrettung für das Team durchführt.<br />
Wie viele Einsätze sind seit 1994 mit dem Hubschrauber geflogen<br />
worden?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Der zunehmend flexible Einsatz des Christoph<br />
Murnau spiegelt sich auch in der Statistik wider. Im ersten Jahr lag<br />
die Jahresgesamtzahl bei 340 Einsätzen, während im Jahr 2000<br />
bereits 901 Flüge und schließlich 2016 über 1.500 Einsätze geflogen<br />
wurden. Seither haben wir eine Gesamtzahl von über 22.000 Einsätzen<br />
erreicht und es wurden mehr als 22.100 Patienten versorgt oder<br />
Menschen aus der Bergnot gerettet.<br />
Können Sie sich noch an einen besonderen Fall erinnern, der Ihnen<br />
in all den Dienstjahren in Erinnerung geblieben ist?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Es gibt eine Vielzahl von Einsätzen, die einem dauerhaft<br />
in Erinnerung bleiben. Diese sind in jedem Fall sehr persönliche<br />
Erfahrungen, die von jedem unterschiedlich bewertet werden. In oftmals<br />
entscheidenden Lebenslagen Menschen erfolgreich helfen zu können,<br />
ist eine der Hauptmotivationen, sich am Hubschrauberdienst zu beteiligen.<br />
Dabei geht es nicht um spektakuläre Ereignisse, sondern um die<br />
vielen kleinen Dinge, die dazu beitragen, den Patienten optimal zu versorgen<br />
und ins Krankenhaus zu bringen. Deshalb haben Berichte über<br />
den „besonderen Einsatz“ eine nachgeordnete Bedeutung für uns.<br />
Wie sieht ein typischer Tag für das Team des Christoph Murnau aus?<br />
DR. VAN BÖMMEL: Grundsätzlich kann man sagen, dass es DEN typischen<br />
Tag beim Christoph Murnau nicht gibt. Jeder Tag ist irgendwie<br />
anders. Dennoch gibt es einen festen Ablauf mit dem der Tag morgens<br />
um 6:30 Uhr beginnt: Die fliegende Besatzung (Pilot und Bordtechniker)<br />
führt die sogenannte Vor-Flugkontrolle durch, das heißt der Hubschrauber<br />
wird technisch überprüft und in den Betrieb übernommen. Danach<br />
werden Wetterberichte eingeholt und gegebenenfalls vorab angemeldete<br />
Flüge geplant. Auf der Seite der Medizin (Notfallsanitäter und Notarzt)<br />
durchläuft die medizinische Ausrüstung eine vergleichbare<br />
Überprüfung auf Vollständigkeit und Funktionstüchtigkeit. Ist dies alles<br />
erledigt, der Hubschrauber somit einsatzbereit, wird dies der Rettungsleitstelle<br />
gemeldet. Falls wir nicht sofort einen Einsatz bekommen wird<br />
gemeinsam gefrühstückt und es werden eventuelle Besonderheiten für<br />
den Tag besprochen. Gerade dieses gemeinsame „Ritual“ gleich zu<br />
Beginn eines oft recht langen Arbeitstages ist sehr wichtig für uns alle.<br />
48<br />
BG Unfallklinik Murnau
BG Unfallklinik<br />
Murnau<br />
INFOBOX<br />
ADAC Luftrettungsstation Christoph Murnau<br />
an der BG Unfallklinik Murnau<br />
Günter Müller –<br />
Leitender Notfallsanitäter bei der morgendlichen Kontrolle der medizinischen Ausrüstung.<br />
Hubschrauberrettung seit: 20. Oktober 1994<br />
Entwicklung der Einsätze (pro Jahr): 1995: 340 Einsätze • 2016: über 1.500 Einsätze<br />
Medizinische Crew: Notärzte: 17 • Rettungsassistenten: 8<br />
Flugbetrieb: Piloten: 3 • Bordtechniker: 3<br />
Einsatzgebiet:<br />
• Bergrettung und Notfallrettung vom Allgäu<br />
bis zu den Chiemgauer Alpen<br />
• Interhospitaltransport in ganz Bayern<br />
BG Unfallklinik Murnau · Prof.-Küntscher-Straße 8 · 82418 Murnau · Tel. 08841.48-0 · Fax 08841.48-2600<br />
E-Mail: info@bgu-murnau.de · www.bgu-murnau.de<br />
Interview und Redaktion: Lisa Schwede · Fotos: Stefanie Seyringer, Christian Podolski<br />
49
50<br />
anzeigen@agentur-melange.de
51
M E N S C H E N I N M U R N A U<br />
Leben, das leben will.<br />
„Schreib’ doch einen Artikel über die geretteten Legehennen!“<br />
Als mir meine Freundin Gaby von einer Frau erzählte, die<br />
Hühner aus der Bodenhaltung an liebevolle<br />
Privatplätze weitervermittelt, ging mir sofort das Herz<br />
auf. Das wird bestimmt eine berührende und wichtige Geschichte,<br />
dachte ich, und fing gleich an zu recherchieren.<br />
In einer Legebatterie steht einem Huhn weniger als die Fläche<br />
eines DIN-A4-Blattes zur Verfügung. Zudem befinden sich in<br />
einem Käfig rund vier bis fünf Hühner. Im Gegensatz zu anderen<br />
Ländern ist die Haltung in der Legebatterie seit Ende 2009<br />
in Deutschland nicht mehr zulässig. Aber wie steht es mit der<br />
Bodenhaltung, aus der die geretteten Hühner stammen? Ich<br />
stellte mir große Ställe mit Tageslicht vor, mit verschiedenen<br />
Futterstellen und Sägemehl-Einstreu. Sicher auch nicht das<br />
„Gelbe vom Ei“ und wahrscheinlich beengt, aber doch bestimmt<br />
tausendmal besser als die Käfighaltung. Oder sollte ich<br />
mich da geirrt haben?<br />
Froh gestimmt, etwas über diese „Geschichten mit gutem Ausgang“<br />
schreiben zu dürfen, mache ich mich auf den Weg zu<br />
Beate Zwickenpflug. Seit vielen Jahren setzt sich die<br />
Murnauerin ehrenamtlich für den Tierschutz ein. Als sie mich<br />
am Gartentor begrüßt, streckt mir gleichzeitig ein lammfrommer<br />
Hund, groß wie ein Pony, die Nase über dem Zaun entgegen.<br />
Er ist einer ihrer geretteten Straßenhunde.<br />
„Schauen wir gleich zu den Hühnern?“, fragt mich Beate, und wir<br />
gehen direkt um das Haus herum.<br />
Vorsichtig betreten wir das gesicherte Freigehege neben den<br />
Hühnerställen. Und das ist der Moment, in dem mir das Herz<br />
schwer wird und ich einen Kloß im Hals spüre: Um uns herum<br />
staksen – leise piepsend – ein paar Neuzugänge. Es sind zierliche<br />
Hennen, einige davon haben den Großteil ihres Federkleids verloren.<br />
Halbnackt und mit versorgten Wunden und Geschwulsten<br />
erkunden sie vorsichtig ihr Terrain, blinzeln, scharren zaghaft in<br />
52
Foto: Florian Warnecke<br />
53
Foto: Florian Warnecke<br />
Sind jetzt in Sicherheit: Die geretteten Hühner genießen ihr Zuhause bei<br />
Beate Zwickenpflug.<br />
der Erde, als könnten sie ihrem Glück nicht trauen. Sie sind hier<br />
jetzt gut aufgehoben, werden versorgt, gepflegt und aufgepäppelt.<br />
Und doch sehe ich plötzlich verschwommen, weil mir die Tränen<br />
in den Augen stehen.<br />
Die zierliche, sympathische Beate steht stark wie ein Fels neben<br />
mir. Man merkt, dass sie schon viel gesehen hat. Und auch wenn<br />
sie, wie ich später erfahren werde, noch oft genug damit zu<br />
kämpfen hat, all das, was sie im Tierschutz bisher mitbekommen<br />
hat, zu verarbeiten, so sieht man ihr an, dass sie sich an das<br />
Positive hält, an die Erfolge, an das Happy End für die Tiere.<br />
Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.<br />
Dieses Zitat von Albert Schweitzer ist ihr Motivator, auch dann,<br />
wenn es manchmal ausweglos scheint.<br />
Rund 3000 Hühner pro Jahr vermitteln sie und ihre Freundinnen<br />
an gute Plätze. Unentgeltlich – neben ihrem Beruf – in ihrer Freizeit.<br />
„Wenn mal 250 oder 800 Hennen auf einen Schlag dem siche-<br />
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M E N S C H E N I N M U R N A U<br />
ren Tod entrinnen können, dann steht das Telefon nicht mehr still<br />
und das kleine aber feine und absolut zuverlässige Netzwerk von<br />
engagierten, tierliebenden Menschen arbeitet Hand in Hand, um<br />
sichere Lebensplätze für die ausgestallten Hennen zu finden“, erzählt<br />
Beate. „Es sind oft widrige Umstände, wenn die Hennen zum Beispiel<br />
im Januar oder Februar ihr gewohntes Zuhause aus der sogenannten<br />
Bodenhaltung verlassen müssen (dürfen!). Dennoch konnten<br />
bisher alle uns anvertrauten Geschöpfe eine neue Bleibe finden.“<br />
Doch wie kann man sich die Bodenhaltung,<br />
aus der die Tiere stammen, vorstellen?<br />
Und wie kommt eine Rettung überhaupt<br />
zustande? Beate berichtet, sie habe ein Abkommen<br />
mit einem Landwirt getroffen, der ihr am Ende der Legeperiode<br />
Bescheid gibt und ihr erlaubt, die Hennen abzuholen. „Es ist ein<br />
verhältnismäßig kleiner Stall, begonnen wird dort jeweils mit 500<br />
Tieren, die bei ihrer Ankunft 12 Wochen alt sind.“ Meine Illusion,<br />
dass die Halle über Tageslicht verfügt, muss ich leider aufgeben,<br />
denn die Tiere leben im Neonlicht. Fließbänder, die saubermachen<br />
und Eier abtransportieren, befinden sich unter dem Gitterboden.<br />
In ihrem Stress attackieren und verletzen sich die Tiere<br />
oft gegenseitig. Anfangs bringen die jungen Hennen 100 Prozent<br />
Legeleistung. Doch sobald diese auf unter 60 Prozent fällt, würden<br />
die Tiere im Normalfall entsorgt werden. Zu diesem Zeitpunkt<br />
sind sie etwa eineinhalb Jahre alt. Und Entsorgung bedeutet<br />
meist, dass sie von Fahrzeugen mit Baggerschaufeln aus der<br />
Halle heraus direkt in einen Transporter geschoben werden, der<br />
sie zur Tötung und Entsorgung bringt. Meist sind sie so mager,<br />
dass sie nicht einmal noch zu Tierfutter verarbeitet werden. Sie<br />
landen auf dem Müll.<br />
Doch der „Entsorgung“ kommen Beate und ihre Freundinnen<br />
zuvor. In langwieriger Aktion werden die Hühner eingefangen,<br />
Die perfekte Küche für jede Lebenslage<br />
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M E N S C H E N I N M U R N A U<br />
in Transportboxen verladen und zu einem alten Kälberstall gebracht,<br />
der einer Freundin gehört. Von dort aus werden die Tiere<br />
weitervermittelt.<br />
„Meist sind es braune oder weiße Legehybriden (so werden jene<br />
Hühner genannt, die besonders viele Eier legen). Ihre anfängliche<br />
Scheu legt sich bereits nach einigen<br />
Tagen und sie werden extrem lieb und zutraulich<br />
und lernen bei uns ganz schnell, dass wir fast immer<br />
was Feines zum Essen für sie dabei haben. Bis auf Legemehl bekommen<br />
sie alles, was ein Hühnerherz so liebt: Salat, Reis, Obst,<br />
Gemüse und natürlich Hühnerkorn mit Kalk. Dieser wird gerade<br />
in der ersten Zeit sehr benötigt. Da die Mädels in der Regel erst 18<br />
Monate jung sind, erholen sie sich auch wirklich schnell, man<br />
kann förmlich zuschauen, wie die Federn wieder sprießen.<br />
Leider bringt aber auch hier die extreme Leistungszucht so ihre<br />
Probleme, so leiden die Hochleistungshennen öfter an der sogenannten<br />
Legenot, die unbehandelt zum Tod führen kann. Auch die<br />
Kropfentzündung kommt des Öfteren vor. Entzündungen und Verklebungen<br />
im Legedarm können besonders nach der stressigen Ausstallung<br />
auftreten. Auch die Lebenserwartung ist leider nicht so<br />
hoch wie bei den alten Rassen, denn die Tatsache, dass sie fast täglich<br />
ein Ei legen, fordert ihren Tribut. Aber wenn ich sie dann durch<br />
den Garten sausen sehe und wie sie im Galopp zu mir angesaust<br />
kommen, weil ich mal wieder mit Futter unterwegs bin, dann weiß<br />
ich, dass der Satz vom Albert Schweitzer IMMER seine Gültigkeit<br />
bewahrt. Sie sind so wie sie eben sind, wie der Mensch sie sich gewünscht<br />
hat, und sie haben ein Recht auf ein würdevolles Leben.<br />
Und ganz nebenbei finden sich durch diese „Rettungsaktionen“<br />
auch wieder gleichgesinnte Menschen, die den Glauben an ein respektvolles<br />
Miteinander nicht verloren haben.<br />
Diese Hennen legen bis zum letzten Atemzug<br />
jeden zweiten Tag ein Ei. Die Spirale<br />
des alleinigen Nutzens kann man unterbrechen,<br />
wenn man ihnen ein liebevolles<br />
Zuhause gibt. Sie wollen ihr Leben leben.<br />
Sie geben viel zurück. Deshalb vermitteln<br />
wir nur an Plätze, die folgende Punkte erfüllen:<br />
Schlachtfrei, Freigang, artgerechte und sichere Haltung.<br />
Frische Luft müssen sie haben und gut versorgt sein. Und man<br />
muss auch hinschauen, wenn das Huhn mal krank sein sollte.“<br />
Vereinzelt werden auch Hähne vermittelt, hier muss man sich<br />
vorher aber gut überlegen, ob die Wohnlage geeignet ist, da ein<br />
Hahn gerne mal kräht. Zudem appelliert Beate, die Hennen nicht<br />
immer brüten zu lassen. Sonst wissen die Leute nicht wohin mit<br />
den männlichen Küken. Gerne berät sie vor der<br />
Vermittlung zu Fragen bezüglich des Stalls,<br />
zur Haltung, Sicherheit und zum Futter.<br />
„Wenn Sie mehr über die Hühnervermittlung erfahren<br />
möchten oder gar einigen Hennen ein sicheres Heim bieten<br />
möchten, dann wenden Sie sich an das Tierheim Garmisch-<br />
Partenkirchen, das Tierheim Ostermünchen oder gerne auch<br />
direkt an mich. Durch unsere Vernetzung finden wir fast<br />
immer eine Transportmöglichkeit.“<br />
Beate Zwickenpflug, 0174-9014066.<br />
Nachdenklich und berührt verabschiede ich mich von Beate, von<br />
der ich mittlerweile weiß, dass auch ihre Katzen und Pferde gerettete<br />
Tiere sind.<br />
Nur zu gerne würde ich die Schuld am Hühnerleid alleinig dem<br />
verantwortlichen Landwirt in die Schuhe schieben. Doch wie<br />
Beate mir berichtet hat, ist er gar nicht mal ein Unsympath. Er<br />
ist einfach nur ein Geschäftsmann. Und weniger Aufwand, so<br />
betont sie, hätte er mit der einfachen Entsorgung der Hühner,<br />
anstatt ihr die Rettung zu ermöglichen.<br />
Der Auftrag zu dieser Art der Haltung, so wird mir einmal mehr<br />
klar, kommt leider von uns, den Verbrauchern, wenn wir lieber<br />
günstige Eier kaufen möchten, anstatt etwas mehr zu bezahlen<br />
und dafür den Tieren ein besseres Leben zu ermöglichen. Und<br />
trifft das nicht auf Konsum jeder Art zu? Mit jeder noch so<br />
kleinen und großen Kaufentscheidung und jeder Lebensgewohnheit<br />
entsenden wir einen Auftrag an unsere Umwelt. Wir Verbraucher<br />
sind es, die die Welt besser machen können.<br />
Anna Marguerita Schön<br />
57
58
1. Wenn nach einem langen Arbeitsleben die Rente den gewohnten<br />
Lebensstandard nicht mehr erfüllen kann.<br />
2. Das meiste Vermögen ist in der Immobilie gebunden.<br />
3. Der Wunsch gelassen älter zu werden,<br />
ohne Angst vor der finanziellen Zukunft,<br />
wäre durch die Verrentung der Immobilie möglich.<br />
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59
Foto: Heribert Riesenhuber
P O R T R A I T<br />
Hauptsache, gut versichert!<br />
Als vom Franz, unserem Herausgeber, die Anfrage kam, ob ich<br />
einen Beitrag über drei Herren von einer Murnauer Versicherungsagentur<br />
schreiben wolle, dachte ich: „Jetzt ist er übergeschnappt!“.<br />
(Entschuldige, Franz.) Versicherungen versprechen<br />
einem das Blaue vom Himmel, und wenn es dann mal ums<br />
Bezahlen geht, gibt es Tausende Tricks und Haken. Wie soll<br />
man darüber einen Artikel schreiben, den die Leute auch lesen<br />
wollen? Versicherungen sind so beliebt wie der Länderfinanzausgleich.<br />
Jedenfalls, solange man sie nicht braucht.<br />
„Da habe ich so lange eingezahlt, jetzt sollen die ruhig auch<br />
mal was zahlen.“ Wer kennt solche Sprüche nicht, wenn es darum<br />
geht, dass ein teures Elektrogerät zu Bruch gegangen ist?<br />
Dass dieses Gerät vielleicht vorher schon nicht mehr funktioniert<br />
hat, muss man denen ja nicht auf die Nase binden. Auch<br />
nicht, dass ein Gemälde von Gabriele Münter, das sich beim<br />
Wasserrohrbruch im Keller aufgelöst hat, gar nicht so echt<br />
war, wie man es gerne gehabt hätte. In den Berichten von Beteiligten<br />
findet man manche schöne Stilblüte: „Mein Sohn hat<br />
die Frau nicht umgerannt. Er ist einfach vorbeigerannt. Dabei<br />
ist die Frau durch den Luftzug umgefallen“, habe ich irgendwo<br />
gelesen. Auf der anderen Seite, auch das muss man zugeben,<br />
sorgen Versicherungen dafür, dass viele Menschen ruhig schlafen<br />
können.<br />
Klaus Edelbauer und Jan Kollmann sind alte Hasen<br />
im Versicherungsgeschäft. Gemeinsam betreiben sie im<br />
Zentrum von Murnau eine Agentur, in der sie sich für rund<br />
2000 Kunden einsetzen. Im Jahr 2015 kam Markus Jais<br />
als weiterer Inhaber dazu. Auch er ist seit mehr als 17 Jahren<br />
in der Versicherungsbranche aktiv. Sie alle kennen die Tricks<br />
und Witze, die man sich im Zusammenhang mit Versicherungen<br />
erzählt. Das Vertrauensverhältnis zu ihren Kunden ist<br />
ihnen allerdings heilig, weshalb sie vorsichtig sind mit dem,<br />
was sie erzählen. Ebenso heilig ist ihnen aber auch ihre Mittagspause,<br />
wie ich erfahren musste, als ich zu einem Fototermin<br />
vor verschlossenen Türen stand. Ein Grund dafür, dass wir<br />
Versicherungen gegenüber misstrauisch sind, liegt wohl darin,<br />
dass sie nach einem Solidarprinzip funktionieren. Und wer ist<br />
schon gerne solidarisch? Manche bekommen ganz irre Summen<br />
und andere kriegen gar nichts, auch wenn sie ihr Leben<br />
lang einzahlen. Dabei sollte man eigentlich froh sein, wenn<br />
man die Versicherung nicht braucht, weil es ja bedeutet, dass<br />
man gesund ist, dass man die Vase des Nachbarn nicht umgeschmissen<br />
hat und auch seinem Vordermann im Stau nicht<br />
aufgefahren ist. Natürlich lassen sich schöne Geschichten rund<br />
um Versicherungen erzählen. Es kann schon spannend sein,<br />
wenn ein Detektiv im Auftrag einer Versicherung nach einem<br />
verschwundenen Kunstwerk sucht. Und kennt vielleicht noch<br />
jemand den „Herrn Kaiser“ aus der Fernsehwerbung, den Helden<br />
einsamer Hausfrauen?<br />
Treffen sich zwei Freunde im Urlaub in der Südsee.<br />
Sagt der eine: „Mein Haus ist abgebrannt. Der<br />
Schaden wurde von der Versicherung großzügig<br />
geregelt, sodass noch dieser Urlaub für mich raussprang.“<br />
Darauf der andere: „Bei mir war es ähnlich.<br />
Schaden durch Hochwasser, aber die Versicherung<br />
hat alles großzügig geregelt, sodass noch dieser<br />
Urlaub für mich raussprang.“ Darauf der erste<br />
bewundernd: „Hochwasser? Wie hast du denn das<br />
gemacht?“<br />
Dass ich nach ihren Geschichten suche, scheint Markus Jais,<br />
Klaus Edelbauer und Jan Kollmann ein wenig suspekt zu sein.<br />
Fälle von Versicherungsbetrug kommen natürlich auch bei uns<br />
vor, aber das regelt die Betrugsabteilung, damit haben sie nicht<br />
viel zu tun. Außerdem, so Klaus Edelbauer, habe er ein Näschen<br />
dafür, wenn etwas nicht ganz sauber ist. Dann gebe er dem<br />
Kunden den Schadensbericht und sage ihm, er soll sich noch<br />
einmal genau überlegen, wie es war und dann seinen Bericht<br />
schreiben. Schließlich muss der Kunde den Vorgang mit seiner<br />
Unterschrift bestätigen. Er als Versicherungsfachmann sieht<br />
sich eher als Vermittler zwischen Kunden und Versicherung.<br />
Wenn dann aber doch einmal herauskommt, dass die Beule<br />
61
P O R T R A I T<br />
am Auto gar nicht von einem Wildschaden stammt,<br />
dann ist das natürlich peinlich für den Kunden. Für<br />
Markus Jais und seine Kollegen ist sowas auch ein<br />
wenig eine persönliche Enttäuschung. Sie wollen ihre<br />
Kunden fair behandeln und ihnen nichts aufschwatzen,<br />
was sie nicht brauchen. In einem Ort wie Murnau<br />
würde so etwas ohnehin nicht lange funktionieren.<br />
Wenn Klaus Edelbauer über seine Kunden spricht,<br />
gewinnt man den Eindruck, für manche sei er so etwas<br />
wie der Beichtvater. Es sei wichtig, dass man miteinander<br />
reden kann und dass sich der Kunde auch<br />
mal meldet, wenn bei ihm der Schuh drückt, sagt er.<br />
„Der Grundsatz der Agentur lautet: Jeder soll das bekommen,<br />
was ihm zusteht – nicht mehr, aber auch nicht<br />
weniger“, ergänzt Jan Kollmann.<br />
Auch privat mögen sich die drei Kollegen, die alle verheiratet<br />
und stolze Familienväter sind, mit kleineren<br />
und größeren Kindern. Aber die Freizeit verbringen<br />
sie doch meistens getrennt voneinander.<br />
Wie wird man eigentlich Versicherungsfachmann,<br />
wollte ich wissen, und ich muss zugeben, dass mir<br />
die Antworten darauf fast ein wenig zu nüchtern waren.<br />
Für Jan Kollmann, der in Penzberg aufgewachsen<br />
ist, hat es sich schon in der Schule abgezeichnet.<br />
„Ich war kein großer Handwerker oder<br />
Mathematiker“, erzählt er. Da habe er den kaufmännischen<br />
Zweig gewählt, mit Wirtschaft und Rechnungswesen.<br />
Bank oder Versicherung stand für ihn<br />
nach der Schule auf dem Plan, und da ein Cousin von<br />
ihm in Penzberg eine Versicherungsagentur leitet,<br />
kannte er das Umfeld. Die Lehre machte er in München<br />
und wurde dann dort Sachbearbeiter in einer<br />
großen Versicherung. Als er nach einem Unfall beim<br />
Fußball für mehrere Monate arbeitsunfähig war,<br />
machte er sich noch einmal Gedanken über seine Zukunft<br />
und entschied sich dafür, in den Außendienst<br />
zu gehen – zurück in die Region, aus der er stammt.<br />
Der direkte Kontakt ist ihm wichtig und macht ihm<br />
auch heute noch Spaß.<br />
62
Auch Markus Jais hatte sich früh für die kaufmännische<br />
Richtung im Beruf entschieden, und auch<br />
er spielte Fußball. Das tut er bis heute – auch wenn er<br />
der Meinung ist, dass er langsam zu alt dafür werde.<br />
Und auch bei ihm ist irgendwie der Sport dafür verantwortlich,<br />
dass er heute als Versicherungsfachmann<br />
arbeitet. Jais, der in Grafenaschau aufgewachsen ist,<br />
hatte schon zehn Jahre als Groß- und Außenhandelskaufmann<br />
gearbeitet, als ein Teamkollege vom Fußball<br />
in Uffing ihm das Angebot machte, in dessen Versicherungsagentur<br />
mitzuarbeiten. Das hat er sich überlegt,<br />
ist in den Beruf eingestiegen und hat es bis heute<br />
nicht bereut.<br />
Und – wen wundert es – auch Klaus Edelbauer<br />
kam über den Sport zur Versicherung. Allerdings stand<br />
er damals hinter dem Tresen, nämlich im Fitnessstudio<br />
Get fit, in Murnau. Der gelernte Elektrotechniker<br />
und Kraftfahrer aus Polling war sechs Jahre lang intensiv<br />
seiner sportlichen Leidenschaft nachgegangen:<br />
Er hatte Bodybuilding betrieben und es dabei bis zum<br />
4. Platz in der Oberbayerischen Meisterschaft gebracht.<br />
Noch heute strahlt er, wenn er von dieser Zeit<br />
erzählt, als die Muskeln wuchsen und die Kilos purzelten.<br />
„Ich habe gerne gefeiert und gerne gegessen“,<br />
berichtet er. Und das sah man ihm auch an, bevor er<br />
den Sport entdeckte. Das Training habe ihn so verändert,<br />
dass ihn einmal bei einer Sportveranstaltung die<br />
eigene Schwester nicht wiedererkannt hat. Damals<br />
war er in der Gruppe „Kleine Männer“ angetreten,<br />
mit weniger als 70 Kilo. Da er sich im Get fit, das zuerst<br />
in Peißenberg und nun in Murnau war, wohlfühlte<br />
und er ohne-hin gerade seinen Job als Kraftfahrer aufgegeben<br />
hatte, habe er ab und zu hinter dem Tresen<br />
ausgeholfen. Dort habe er Hans Laber kennengelernt.<br />
Der war damals einer der ersten und bekanntesten<br />
Versicherungsvertreter in Murnau. Und er hat ihn angeworben,<br />
obwohl Edelbauer gar nicht auf Jobsuche<br />
war. Eigentlich mache er den Beruf mit großer Leidenschaft.<br />
Als vor einigen Jahren die Vorgaben der<br />
63
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64
P O R T R A I T<br />
Foto: Heribert Riesenhuber<br />
„Ich kann nicht schlafen, weil ich Ihre Versicherung betrogen habe.<br />
Darum schicke ich anonym 500,- Euro.<br />
Wenn ich dann immer noch nicht schlafen kann, schicke ich Ihnen den Rest.“<br />
Zitat aus Schreiben an Versicherungen<br />
Versicherungsgesellschaft, für die er arbeitete, immer rigider<br />
wurden, als es immer mehr darum ging, möglichst viele Abschlüsse<br />
zu machen, da wurde es für Edelbauer allerdings zu<br />
aufreibend. Das habe ihn geradezu krank gemacht, sagt er.<br />
Besser wurde es erst, als er und sein Kollege die Versicherungsgesellschaft<br />
gewechselt haben. Sie mussten damals zwar ohne<br />
Kundenstamm wieder angefangen – aber das war kein Problem.<br />
Sie hatten einen guten Ruf, sodass ihnen ein Großteil der Kunden<br />
zum neuen Anbieter folgte. „Vielen ist es eigentlich egal,<br />
bei welcher Gesellschaft sie versichert sind“, so Kollmann, „der<br />
persönliche Ansprechpartner vor Ort ist ihnen wichtig.“ So<br />
groß seien die Unterschiede in den Leistungen ohnehin nicht,<br />
meint auch Edelbauer.<br />
Tja, und so ist das mit den Versicherungsfachleuten in Murnau:<br />
Drei nette Herren, die sich gerne mal die Zeit für ein Gespräch<br />
nehmen und die dabei gut aufpassen, dass ihnen nicht etwas<br />
über ihre Kunden rausrutscht, was diesen nicht recht wäre.<br />
Heribert Riesenhuber<br />
65
L I V E<br />
Wertvolle Tipps gibt Anja Sczilinski (l.), Leiterin des Jungen Residenztheaters. Cheney Hewitt (M.) von der Partnerschule Bayhouse School Gosport in<br />
Südengland und Moritz Rieger aus der Q11 des Werdenfels-Gymnasiums hören gespannt zu.<br />
Viel mehr<br />
als ein<br />
Theaterstück<br />
Moritz Rieger sitzt eingehüllt in eine<br />
Decke am Boden. Immer wieder fragt er<br />
nach etwas zu essen. Cheney Hewitt<br />
kauert sich zu ihm. Sie hat nichts, um<br />
seinen Hunger zu stillen. Nur Halt und<br />
Geborgenheit. Die beiden spielen eine<br />
kleine Szene aus dem Alltag des Krieges<br />
in der Heimat nach – als Mutter und<br />
Sohn. Die Väter sind bereits alle in den<br />
Krieg gezogen. Auf der Bühne wird nur<br />
wenig gesprochen. Heimatfront, Essensknappheit,<br />
Verzweiflung und Sorge um<br />
die in den Kampf Gezogenen. Eine Szene,<br />
die auch ohne viele Worte ihre Wirkung<br />
hat – oder gerade deswegen.<br />
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Vor ungefähr zwei Jahren hatten Stefan Bues und Christine<br />
Riesenhuber, Geschichtslehrer am Werdenfels-Gymnasium,<br />
eine spontane Idee: ein internationales Theaterstück<br />
mit Schülern aus Frankreich und England auf die Bühne zu<br />
bringen. Daraus ist mittlerweile ein Großprojekt geworden,<br />
das nun in den letzten Zügen steckt.<br />
Aus vielen Einzelszenen, die die Jugendlichen in den vergangenen<br />
Monaten selbst verfasst haben, ist nun ein Bühnenstück<br />
rund um das Thema Erster Weltkrieg entstanden, das unter<br />
dem Titel „Sag mir, wo die Blumen sind“ am 19. April<br />
2018 im Residenztheater in München Premiere feiern wird.<br />
An den beiden darauffolgenden Tagen wird es in der Aula des<br />
Werdenfels-Gymnasiums zu sehen sein.<br />
„Es wurde immer größer und größer“, sagt Riesenhuber. Als das<br />
Team 2015 das Projekt bei der Europäischen Union einreichte,<br />
stand die Finanzierung noch auf wackligen Beinen.<br />
Dann flossen von oberster Stelle im Rahmen des Bildungsprojektes<br />
Erasmus+ die Fördergelder. Anfangs jedoch nicht genug.<br />
Mittlerweile hat der ein oder andere private Investor aus dem<br />
Landkreis eine höhere Summe zu Verfügung gestellt. „Jetzt<br />
können wir ruhig schlafen“, meinte Bues vor einigen Wochen.<br />
Inzwischen sind tatsächlich alle Ausgaben gedeckt. Fahrtkosten,<br />
Unterkünfte, Schauspielerhonorare, Verpflegung, da<br />
kommt schnell einiges zusammen. Dabei hat man an der Bildungseinrichtung<br />
in Garmisch- Partenkirchen Erfahrung mit<br />
solchen Großprojekten. Denn es ist bereits das vierte seiner<br />
Art. Im ersten Jahr beleuchteten Schüler aus dem Werdenfels<br />
in Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus anderen Ländern<br />
Europas nationale und regionale Identitäten, zwei Jahre später<br />
beschäftigten sie sich mit dem Thema Migration, bevor Bues<br />
und Riesenhuber im letzten Turnus das Thema Schuldenkrise<br />
in Angriff nahmen. „Dieses Mal wollten wir was Künstlerisches“,<br />
sagt die Lehrerin. Weg von den kognitiven Themen. Die Idee<br />
eines Theaterstücks war geboren.<br />
Im November 2016 und im April 2017 fanden dann die ersten<br />
kreativen Treffen mit den befreundeten Schulen in Lille und<br />
Gosport statt. Die Schüler besichtigten Museen wie das Imperial<br />
War Museum in London mit konkreten Arbeitsaufträgen,<br />
suchten mit ihrem eigenen Blick Antworten und lieferten so<br />
das Material für das spätere dokumentarische Drama. Dank<br />
der professionellen Hilfe der Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner,<br />
Choreografen und Regisseuren des Jungen Residenztheaters,<br />
dem Co-Produktionspartner des Unterfangens,<br />
formten sich daraus Bilder und Szenen. „Wir haben realisiert,<br />
dass wir den schauspielerischen Aspekt nicht selber stemmen<br />
können und nach Unterstützung gesucht“, meint Riesenhuber. Das<br />
anerkannte Münchner Schauspielhaus hatte sofort zugesagt.<br />
Vor einigen Wochen trafen sich die 39 Schüler – jeweils 13 aus<br />
jedem Land – im Werdenfels Gymnasium, um die einzelnen<br />
Fragmente zu einem Ablauf zusammenzusetzen. Bis zwei Wochen<br />
vor der Premiere, wenn die Hauptproben in Garmisch-<br />
Partenkirchen und zuletzt in München beginnen, arbeiten alle<br />
drei Schulen für sich. Riesenhuber hat noch einmal künstlerische<br />
Hilfe aus München einberufen, um die Schüler auf ihren<br />
Bühnenauftritt vorzubereiten.<br />
„Sag mir, wo die Blumen sind“ lebt von vielen kurzen Sequenzen,<br />
in denen meist mehrere Schüler zugleich auf der Bühne<br />
67
L I V E<br />
stehen, und setzt dabei eher auf Emotionen, Stimmungen und<br />
Szenerie als auf gesprochenen Text. Ebenso gibt es auch keine<br />
Handlung im eigentlichen Sinne, wohl aber einen roten Faden.<br />
Die Geschichten aus den Schützengräben und von den<br />
Schlachtfeldern, die die Schüler erzählen, nehmen den Zuschauer<br />
mit „auf eine Reise in die Vergangenheit, die von einer<br />
alten Feindschaft und neu gewonnenen Freunden erzählt“ – so<br />
kündigt das Residenztheater das Stücks in seinem Programmflyer<br />
an. Konflikte, Klassenkämpfe, Propaganda und Ideologieabgründe<br />
führen zu der Frage nach Frieden – nicht nur in<br />
Europa, sondern in der ganzen Welt. Dabei finden Dialoge<br />
stets in der Landessprache der Schüler statt – auch wenn das<br />
bedeutet, dass es zweisprachig auf der Bühne zugeht – wie bei<br />
Moritz Rieger und Cheney Hewitt. Dem Theaterbesucher entgeht<br />
dabei nichts, im Gegenteil: die Aussage kommt non-verbal<br />
fast noch unbeirrter an.<br />
Dass auch etwas bei den Schülern selbst ankommt, das wünschen<br />
sich die Lehrkräfte am Werdenfels. Bues hofft, dass die<br />
Jugendlichen ihren „Horizont erweitern“, sich „auf den anderen<br />
einlassen“ und idealerweise erkennen, dass die Europäische<br />
Union die Menschen Europas zusammenbringt.<br />
Die persönliche Weiterentwicklung der Jugendlichen steht hingegen<br />
für Riesenhuber an erster Stelle. „Und natürlich, dass sie<br />
Freundschaften schließen“, ergänzt sie. Ihr Kollege Fréderic<br />
Rouselle von der Partnerschule Lycée Ozanam in Lille sieht<br />
die Absicht des zweijährigen Großprojektes sehr ähnlich. „Die<br />
Jugendlichen sollen spüren, dass sie zwar Deutscher, Engländer<br />
oder Franzose sind, aber auch Europäer.“<br />
Martina Baumeister<br />
Die Vorstellungen von „Sag mir, wo die Blumen sind“<br />
in der Aula des Werdenfels-Gymnasiums in Garmisch-<br />
Partenkirchen sind am Samstag, 21. April, um 19.30 Uhr<br />
und am Sonntag, 22. April, um 11 Uhr. Karten gibt es<br />
an den bekannten Vorverkaufsstellen: Gap-Ticket, München-Ticket<br />
und sowohl bei Gräfe und Unzer als auch<br />
direkt an der Schule. (12 € Erwachsene, 6 € Schüler;<br />
zzgl. Vorverkaufsgebühren)<br />
68
d a s m a g a z i n<br />
MURNAU<br />
BLAUES LAND<br />
präsentiert:<br />
12.4.2018 // 20 Uhr<br />
Kultur- und Tagungszentrum<br />
Murnau<br />
DER VARRECKTE HOF eine Stubenoper von Georg Ringsgwandl<br />
Vor drei Jahren sind wir mit einem Bus voll Oberammergauer<br />
Theaterspielern nach Telfs gefahren, zu dem Stück „Der<br />
varreckte Hof“ von GEORG RINGSGWANDL. Erst am<br />
nächsten Morgen sind wir wieder im Ammertal angekommen,<br />
und noch heute sprechen mich meine Oberammergauer<br />
Freunde auf den Theater-Ausflug an. Das Stück ist nicht leicht<br />
zu spielen und wurde vom Lustspielhaus sehr gut umgesetzt.<br />
---- Eine demente Oma wird<br />
der Familie zu anstrengend,<br />
also holt man eine polnische<br />
Svetlana, und die mischt den<br />
Laden richtig auf. ----<br />
Praktisch ein echter Ringsgwandl.<br />
Auf ins KTM zum Lachen<br />
und Nachdenken,<br />
Euer Franz Windirsch<br />
von der <strong>Melange</strong><br />
Teamsport: TSV Murnau Handball, Schreibwaren Köglmayr und die <strong>Melange</strong><br />
Handball Damen – stehend v. l.: Wolfgang Köglmayr, Trainerin Krisztina Csajkovits, Barbara Schlögel, Jacqueline Müller, Julia Husel, Anja Daigeler, Sandra<br />
Lautenbacher, Torwarttrainerin Anja Umstand, Franz Windirsch | sitzend v. l.: Stefanie Albrecht, Katharina Resch, Sonja Scheuerer, Veronika Köglmayr, Daniela<br />
Geisler, Antonia Hibler, Sina Hoiß, Franziska Saal mit Sohn Elias<br />
69
P O R T R A I T<br />
Natürlich in guten Händen<br />
Foto: Florian Warnecke<br />
70
Was geschieht, wenn vier Visionärinnen aus vier verschiedenen<br />
Berufsgruppen den Schritt in die Selbständigkeit wagen –<br />
und das Schicksal sie zusammenführt?<br />
Dann, ja dann kann Großes daraus erwachsen. Caroline Elik,<br />
Petra Krönner, Andrea Luftschitz und Anika Kluge erzählen<br />
uns in diesem Interview, wie ihre Arbeitsgemeinschaft<br />
„Natürlich in guten Händen“ in Murnau Neuegling geboren<br />
wurde – und wie dieses Herzensprojekt ihr aller Leben verändert<br />
hat.<br />
Als ich in Neuegling, Hausnummer 7, ankomme und die vier<br />
Frauen mich herzlich im großen Empfangsbereich ihrer Räumlichkeiten<br />
begrüßen, fühle ich mich sofort wohl. Es ist angenehm<br />
warm, es duftet herrlich nach Blumen, an den Wänden hängen<br />
wunderschöne Gemälde und es stehen gemütliche Sitzgelegenheiten<br />
zur Verfügung. Von hier aus gehen nach allen Seiten Türen<br />
ab, man befindet sich quasi im Herzen der Arbeitsgemeinschaft.<br />
Ein Naturfriseursalon, eine Praxis für Integrative Psychotherapie,<br />
ein Atelier zur Kunsttherapie und eine Finanz- und<br />
Generationenberatung bilden hier ein stimmiges Ganzes.<br />
Begonnen hat alles mit der Vision eines kleinen Mädchens.<br />
„Dieses Haus gehört meinem Vater“, berichtet mir Caroline Elik.<br />
„Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich bereits als kleines<br />
Kind meinem Papa verkündet habe, dass ich hier eines Tages<br />
mal wohnen oder arbeiten werde.“ Beide Wünsche sind in Erfüllung<br />
gegangen. Zuerst das Wohnen, und dann, als sie mit<br />
ihrer Familie nach Riegsee zog, erfüllte sich Carolines zweiter<br />
Traum und sie eröffnete hier im Jahr 2009 ihren Naturfriseursalon.<br />
Der Projektname „Natürlich in guten Händen“ stand da<br />
bereits fest. „Allerdings habe ich dafür nicht alle Räume gebraucht.<br />
Die anderen standen also frei zur Vermietung. Mir hat<br />
schon immer der Gedanke gefallen, mit anderen tollen Frauen<br />
zusammenzuarbeiten, auch mal gemeinsame Veranstaltungen<br />
und Vorträge zu organisieren und sich untereinander auszutauschen.“<br />
Und so fanden, auf ganz unterschiedliche Art und Weise,<br />
nacheinander Petra Krönner, Andrea Luftschitz und Anika<br />
Kluge zu ihr. Seit Anfang 2017 sind sie komplett und könnten<br />
kaum glücklicher sein.<br />
„Unsere Berufe scheinen auf den ersten Blick nicht sehr viel miteinander<br />
zu tun zu haben, und doch passen wir ganz wunderbar<br />
zusammen“, erzählt Petra Krönner lächelnd. „Was uns verbindet“,<br />
ergänzt Anika Kluge, „ist auch unsere Lebenseinstellung.<br />
Es war von Beginn an harmonisch.“<br />
Und das spürt man. Alle vier Frauen strahlen eine Mischung<br />
aus tiefer Ruhe, Herzlichkeit, feinem Humor und Kompetenz<br />
aus. Das mag daher kommen, dass sie alle den Mut bewiesen<br />
haben, sich für ihren eigenen Weg stark zu machen.<br />
An dieser Stelle möchte ich nun gerne mehr über sie erfahren,<br />
und so starten wir einen kleinen Rundgang.<br />
71
P O R T R A I T<br />
Fotos: Florian Warnecke<br />
Caroline Elik<br />
Caroline NATURFRISEUR<br />
Zuerst begleite ich Caroline Elik in die Räume ihres Naturfriseursalons.<br />
Weiße Möbel, viel Holz und liebevolle Details erzeugen<br />
hier ein klares und heimeliges, privates Ambiente. In den<br />
Regalen befinden sich ausnahmslos Naturprodukte. Chemische<br />
Farben und Shampoos sucht man bei ihr vergebens.<br />
„Der Gedanke war, völlig von der Chemie wegzukommen“, erzählt<br />
mir Caroline. „Früher, als ich noch mit anderen Produkten gearbeitet<br />
habe, neigte ich manchmal zu Allergien. Und da dachte ich<br />
mir: Warum muss immer alles so sein, wie man es kennt? Warum<br />
es nicht mal anders machen?“<br />
Die Umstellung fiel ihr leicht. „Jetzt fühle ich mich rundum wohl<br />
und genieße es, meine Kunden mit gesunden Produkten zu verwöhnen.<br />
Ich arbeite mit 100 % Pflanzenfarben und achte soweit wie<br />
möglich auf Regionalität und Zusammenarbeit. Der Tee, den ich<br />
anbiete, stammt aus dem China Fassl, die Kekse von der Solaya im<br />
Untermarkt und auch der Strom wird in der Region erzeugt. Ich<br />
möchte einfach, dass alles passt.“<br />
Ihr Konzept hat sie stets weiterentwickelt und mittlerweile<br />
auch zwei Mitarbeiterinnen eingestellt. Einzelbehandlung, typgerechte<br />
Frisurenberatung, Haarschnitt nach Mondkalender,<br />
Vitalstoffberatung, eine bequem geformte Wellnessliege aus<br />
Holz am Haarwaschbecken, Umhänge, die in allen Farben des<br />
Regenbogens gewählt werden können – es geht um die innere<br />
UND äußere Schönheit. Zudem gibt es einen separaten Farbenwirkraum,<br />
dort warten ein warmes Traubenkernkissen und<br />
Entspannungsmusik auf den Kunden. „Oft höre ich nach dem<br />
Ende der Einwirkzeit: Schade, ist es schon vorbei? Es war grad<br />
so schön.“<br />
Diese besondere Arbeitsatmosphäre wirkt sich natürlich auch<br />
auf Caroline selbst aus. „Ich glaube, nur deshalb bin ich auch<br />
so eine glückliche Mama von drei Kindern“, lächelt sie und erzählt<br />
mir, dass sie zur Zeit der Eröffnung von ihrer Schwangerschaft<br />
erfahren hat. Panik wollte trotzdem keine in ihr aufkommen.<br />
„Ich sagte mir: Alles ist gut. So kann beides gemeinsam<br />
wachsen – der Friseursalon und die Familie.“ Und da sie nach<br />
Terminvergabe arbeitet, kann sie sich Beruf und Familienzeit<br />
gut einteilen. Caroline ist glücklich und fühlt sich angekommen<br />
– weil sie ihre Profession mit ganzem Herzen leben kann, und<br />
auch, weil sie merkt, wie gerne ihre Kunden dieses Wohlfühlkonzept<br />
annehmen.<br />
Weitere Informationen zu Carolines Naturfriseursalon findet<br />
man unter: www.naturfriseur-caroline.de<br />
Petra Krönner<br />
ART-Integral –<br />
Kreative Prozessgestaltung<br />
Von Carolines Räumlichkeiten geht es weiter – in das Kunstatelier<br />
von Petra Krönner.<br />
Petra Krönner ist studierte Designerin und Mutter von zwei erwachsenen<br />
Töchtern. Dass Kunst ihr Leben ist, sieht man auf<br />
den ersten Blick, wenn man ihr schönes, helles Atelier unter dem<br />
Dach betritt: Imposante SinnBilder und Drucke zieren die Wände,<br />
72
kleine, selbstgemachte Kunstobjekte aus Steinen reihen sich auf<br />
den Regalen. Egal, wohin man schaut, man wird eingefangen<br />
von den leuchtenden Farben und Formen, die einen umgeben.<br />
„Heute“, sagt sie, „ist es recht aufgeräumt. Doch wenn ich male,<br />
wird der Raum zum kunterbunten, kreativen Durcheinander.“<br />
Sie klappt eine beinahe raumhohe Mal-Wand auf. „Das ist der<br />
Arbeitsbereich, den ich vor allem für die Kunsttherapie nutze.“<br />
Ein geführter meditativer Prozess, den sie gerne mit sehr ausgewählter<br />
Musik, von schweren Erdklängen bis hin zu klassischen<br />
Musiksätzen sowie mit zarten, von einem Aromathologen<br />
eigens für sie entwickelten Duftmischungen unterstützt.<br />
Doch auch wenn Petra sich für viele Kunstformen interessiert<br />
und diese erfolgreich in der kreativen Prozessgestaltung mit<br />
Menschen einzusetzen weiß, so gilt ihre ureigene Passion vor<br />
allem dem Klang eines Wortes.<br />
„Wörter haben mich in ihrer Tiefe schon immer fasziniert“, erzählt<br />
sie mir lächelnd und deutet auf ein Zen-Bild. „Jedes Wort löst<br />
ein anderes Gefühl in mir aus. Dieses Bild zeigt, dass wir immer<br />
in der Leere und Fülle leben. Es sind zwei verschiedene Seiten,<br />
die wir jedoch stets in uns tragen und die auf ihre Weise beide zu<br />
einem werden, wenn wir sie annehmen und integrieren.“<br />
Petras Leidenschaft für das Wort rührt unter anderem von ihrer<br />
Leidenschaft für Typografie. Sie liebt es, den Sinn der Buchstabenreihe<br />
auf die Leinwand aufzubringen. Der Rest – wie Farben,<br />
Formen und Bildaussagekraft – so sagt sie, ist pure kreative<br />
Prozessgestaltung. Sie plant nicht, wie das fertige Ergebnis auszusehen<br />
hat. „Man geht beim Malen durch alle Gefühlswelten hindurch,<br />
das ist nun einmal so, und so soll es auch sein.“<br />
Ich komme noch einmal auf die Kunsttherapie zu sprechen.<br />
Wie kann man sich eine Sitzung vorstellen?<br />
„Zunächst empfange ich den Klienten und lade ihn zu einem<br />
Gespräch ein. Während er erzählt, kristallisiert sich das Thema<br />
heraus, das er gerne bearbeiten möchte. Dann kommt der Moment,<br />
das Gespräch zu stoppen und in die erste Aktion zu gehen.“<br />
Imagination, Intuition, Inspiration – das ist ihr Leitfaden.<br />
Petra zeigt mir eine große Mappe mit erstaunlichen<br />
Beispielen, die von Laien erschaffen wurden. „Jeder kann malen.<br />
Man muss sich nur trauen.“ Manchmal lässt sie ihre<br />
Klienten blind arbeiten. Es wird dann „hilflos“ intuitiv gemalt,<br />
das Innerste tritt nach außen. „Es ist total spannend,<br />
was an der Malwand passiert. Es sind symbolische Statements!“<br />
„Flow erleben“, „Biographie gestalten“ und „das eigene Kunstwerk<br />
erstellen“ sind drei Einheiten, die bei ihr gebucht werden können.<br />
Ein weiteres Thema ist die Trauerarbeit, mit der sich Petra<br />
nach wie vor sehr intensiv auseinandersetzt. Sie hat eine Ausbildung<br />
in spiritueller Sterbebegleitung in der Schweiz absolviert<br />
und betreut auch schwerkranke Menschen. Ein Bildtitel<br />
lautete einmal: Die Seele aus dem Leib malen. „Therapeutisches<br />
Malen ist sehr berührend, es kann viel innere Heilung bewirken,<br />
Ängste lindern und Trost spenden“, erzählt sie.<br />
Petra, die vor vielen Jahren mit ihren Kindern in Polling gewohnt<br />
hat, ist später, als die Töchter ausgezogen sind und ihr Studium<br />
begonnen haben, ins Inntal gezogen, wo sie acht Jahre lang „wie<br />
eine Besessene“ gemalt hat. Ihre eindrucksvollsten Werke sind<br />
in dieser Zeit entstanden. Heute ist sie glücklich, im Blauen<br />
Land angekommen zu sein.<br />
Weitere Informationen zur Kunsttherapie und zu Petras Sinn-<br />
Bildern findet man unter:<br />
www.artintegral.de, www.kunst-therapie-murnau.de<br />
Andrea Luftschitz<br />
INFINJA Finanzservice –<br />
Büro Generationenberatung<br />
Wer bei den Themen Finanz- und Generationenberatung mit<br />
nüchterner, kühler Atmosphäre rechnet, wird in den Räumlichkeiten<br />
von Andrea Luftschitz positiv überrascht sein: Warmes<br />
Licht, helle, einladende Farben und ein schönes Raumklima<br />
73
P O R T R A I T<br />
sorgen dafür, dass man sich wohlfühlt.<br />
Andrea Luftschitz, geboren in Schleswig-Holstein, lebt seit<br />
12 Jahren in Murnau. „Ich weiß gar nicht recht, wo ich beginnen<br />
soll“, sagt sie lächelnd, und scheint aber schon im nächsten<br />
Moment ein Konzept zur Hand zu haben. Was mich nun erwartet,<br />
ist ein perfekt zusammengefasster Bericht über ihren<br />
Werdegang, ihre Überzeugungen und Werte, die sie seit jeher<br />
maßgeblich in ihrem Wirken geprägt haben. Das beeindruckt<br />
mich nicht nur, sondern es spiegelt auch gleichzeitig sehr gut<br />
Andreas verbindliche, analytische, zielgenaue und freundliche<br />
Gesprächsführung wider.<br />
„Nach meiner Ausbildung zur Bankkauffrau war ich bei einer<br />
Hamburger Privatbank angestellt“, berichtet sie. „Dort habe ich<br />
erfahren, was es bedeutet, eine Kaufmannsehre zu haben und<br />
wie wichtig es ist, dem Kunden auf Augenhöhe zu begegnen.“<br />
Im Jahr 2000 ist sie Mutter geworden, und als ihre Tochter drei<br />
Jahre alt war, beschloss Andrea, den Schritt in die Selbständigkeit<br />
zu wagen. Die Schulausbildung der Tochter (sie macht dieses Jahr<br />
Abitur) war übrigens einer jener ausschlaggebenden Punkte, um<br />
nach Bayern zu ziehen. „Das Bildungssystem in Schleswig-Holstein<br />
stand damals in der Überarbeitung, es war nicht mehr das, was wir<br />
uns vorgestellt hatten. Unsere Tochter stand damals kurz vor der<br />
Einschulung. Und da dachten wir, wann, wenn nicht jetzt, und<br />
haben alles zusammengepackt und sind hier hergekommen.“ Eine<br />
Entscheidung, die sie nie bereut hat. Erste, einzige und wichtigste<br />
Frage ihrer Tochter war damals lediglich: Mama, muss ich jetzt<br />
Bayern-Fan werden? Als das verneint war, konnte es losgehen. „Wir<br />
haben uns sofort perfekt eingelebt. Die Grundschullehrerin hat meine<br />
Tochter zwei Wochen nach Schulbeginn gefragt: Wie, ihr kommt<br />
nicht von hier? Sie hatte den Eindruck gehabt, das Kind sei hier<br />
aufgewachsen. Auch in Murnau wurden wir super aufgenommen<br />
und genießen den hohen Freizeitwert und die traumhafte Natur.“<br />
Andrea, die sich damals auf die betriebliche Altersvorsorge<br />
spezialisiert hatte, arbeitet auch heute noch bundesweit. Ihr<br />
großer Wunsch ist es jedoch, hier noch stärker direkt vor Ort<br />
tätig zu sein.<br />
„Mein persönliches Credo ist es, den Kunden so zu beraten, wie<br />
man selbst gerne beraten werden möchte, und zu ermitteln: Was<br />
braucht er – im Falle von Krankheit, von Berufsunfähigkeit, oder<br />
wenn er älter wird, als er sich heute vorstellen kann. Zunächst<br />
wird der Status Quo ermittelt und auch das Umfeld mit beachtet.“<br />
Ihre Aufgabe als Generationenberaterin ist es unter anderem,<br />
verschiedene Instanzen an einen Tisch zu holen und zum Beispiel<br />
gemeinsam mit Notar, Steuerberater und Anwalt ein Notfallkonzept<br />
zu erstellen, das Patientenverfügungen und Vollmachten<br />
mit einschließt, privat und betrieblich. Zudem berät sie unabhängig<br />
und zielgerichtet zu Fragen rund um Lebensversicherungen<br />
und Kapitalanlagen.<br />
Andrea ist ehrenamtlich bei ZONTA tätig, fungiert dort seit<br />
2014 als Distrikt-Schatzmeisterin und genießt es sehr, dabei<br />
auf internationaler Ebene viele weitere interessante, selbstbestimmte<br />
Frauen zu treffen.<br />
Weitere Informationen zu INFINJA – Büro Generationenberatung<br />
findet man unter: www.diegenerationenberaterinnen.de<br />
Anita Kluge<br />
Beratung und Psychotherapie<br />
Nun bin ich zu Gast bei Anita Kluge, wir haben Platz genommen<br />
in ihrem schönen, leicht abgedunkelten Praxisraum für<br />
Integrative Psychotherapie und ich sinke entspannt in den gemütlichen<br />
Sessel zurück. Seit Ende 2016 ist Anika ein Teil von<br />
„Natürlich in guten Händen“.<br />
Ob es an der Raumbeleuchtung liegt? Oder vielleicht an Anikas<br />
ausgeglichener, in sich ruhender Art?<br />
Unser Gespräch fließt leichtfüßig dahin, ich habe das Gefühl,<br />
wir genießen es, uns gegenseitig den Ball zuzuspielen.<br />
„Natürlich in guten Händen, das umfasst für mich vor allem<br />
74
Vertrauen, Entspannung, Heilung, Kreativität und gute Beratung“,<br />
erzählt sie mir. „Dieses Motto holt uns alle mit ins Boot.<br />
Ich glaube, dass das auch wirklich ein Arbeitsmodell der Zukunft<br />
sein wird: Raus aus den Hamsterrädern. Und zu überlegen: Was<br />
ist meine Profession? Warum bin ich hier? Denn können wir<br />
nicht vor allem dann richtig erfolgreich sein, wenn wir tun, was<br />
wir lieben und worin wir richtig gut sind?<br />
Anika weiß, wovon sie spricht, denn auch sie hat, wie viele andere,<br />
beruflich zunächst einen kleinen Umweg gemacht. „Schon<br />
mit zwölf Jahren habe ich gewusst, dass ich Sozialpädagogin<br />
oder Psychologin werden möchte. Wie es aber dann dazu gekommen<br />
ist, dass ich zunächst ausgerechnet BWL studiert habe, DAS<br />
kann ich Dir wirklich nicht genau sagen.“ Sie lacht. Nach dem<br />
Abi, so erzählt sie, wollte sie einfach direkt loslegen, raus in<br />
die Welt. „Rückblickend betrachtet denke ich: Vielleicht habe ich<br />
damals meinem Herzenswunsch noch nicht genug vertraut?<br />
Heute bin ich jedoch dankbar für den Weg, den ich eingeschlagen<br />
habe, denn auf diese Weise kann ich jetzt auch wunderbar Menschen<br />
mit dem Wunsch nach beruflicher Veränderung beraten.<br />
Alles ist für irgendetwas gut im Leben.“<br />
Anika ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und hat nebenberuflich<br />
den Fachhochschulabschluss zum Betriebs- und Kommunikationspsychologen<br />
sowie diverse Weiterbildungen gemacht.<br />
Ihr Schwerpunkt lag damals auf klinischer Psychologie. Dabei<br />
stelle sie fest, dass es das ist, was ihr Herz umtreibt und womit<br />
sie arbeiten möchte.<br />
Aufgewachsen in der ehemaligen DDR, studierte Anika in Bernburg<br />
an der Saale sowie in Dortmund und sogar in Lettland.<br />
Danach ging es nach München, wo sie fünf Jahre gelebt hat. Als<br />
sie sich schließlich verliebte, zog sie nach Murnau. „Verliebt habe<br />
ich mich natürlich in den Mann, aber zusätzlich schon auch in<br />
die Berge hier“, schmunzelt sie. Der Schwerpunkt ihrer therapeutischen<br />
Arbeit liegt bei der Gesprächstherapie, doch sie integriert<br />
auch gestalttherapeutische, systemische sowie tiefenpsychologische<br />
und verhaltenstherapeutische Elemente.<br />
Sich Anika anzuvertrauen, fällt einem leicht. Durch ihre authentische,<br />
geerdete, sympathische Art strahlt sie Kompetenz und<br />
ehrliche Empathie aus – zwei Elemente, die im Therapeutengespräch<br />
sehr maßgeblich sein dürften.<br />
Ich blicke auf die Uhr, die Zeit ist vergangen wie im Flug. Die<br />
anderen warten bereits auf uns. Deshalb erhebe ich mich wieder<br />
aus meinem gemütlichen Sessel und danke auch Anika für<br />
das Gespräch.<br />
Weitere Informationen zu ihrer Arbeit findet man unter:<br />
www.beratung-und-psychotherapie.de<br />
Gemeinsam treffen wir uns nun alle im gemütlichen Warteraum<br />
– dem Platz, der sie verbindet und in dem sie demnächst<br />
des Öfteren interessante Vorträge und Events veranstalten werden.<br />
Mir bleibt nur, diesen vier selbstbestimmten, sympathischen<br />
Frauen – „dem Quartett“, wie Petra sie nennt – von Herzen<br />
weiterhin viel Erfolg zu wünschen.<br />
Anna Marguerita Schön<br />
75
ZWICKENPFLUG<br />
Autosattlerei & Polsterei<br />
Kocheler Straße 103 · 82418 Murnau<br />
Tel. 08841.6277571<br />
www.zwickenpflug.de<br />
ÖKOPOINT<br />
Peter Wild, Heizungsbaumeister<br />
Rathausplatz 1 · 82362 Weilheim<br />
Tel. 0881.9270062<br />
www.oekopoint.de
Mit 66 Jahren ...<br />
Immer mehr Eigentümer trennen sich<br />
von ihrem Familienheim mit Garten<br />
und orientieren sich neu ...<br />
Sie bauen oder kaufen sich ihren Alterssitz ganz nach Wunsch:<br />
seniorengerecht, kleiner und zentral.<br />
Die Geschichte wiederholt sich: das Haus am Südhang<br />
selbst geplant, in einer guten Gegend mit Blick über das malerische Moos,<br />
200 Quadratmeter auf drei Etagen, inklusive Einliegerwohnung – für die<br />
Tochter, wenn sie mal groß ist. Das war 1993. Und heute, 25 Jahre später,<br />
geht der Plan nicht auf: die Tochter – oder der Sohn – will das Haus nicht<br />
und die Hanglage zeigt ihre Tücken: vierzehn Stufen führen zum Wohnbereich,<br />
weitere vierzehn Stufen zum Schlafzimmer. 1993 störte das nicht.<br />
Aber heute, mit 70 Jahren, sieht das anders aus. Heute brauchen Sie weniger<br />
Räume, keine Treppen, keine Gartenarbeit: nach zwei Bandscheibenvorfällen<br />
ist der Garten nicht mehr Freude, sondern Last.<br />
Und so tun viele unserer Kunden das, was immer mehr Menschen zwischen<br />
55 und 75 tun: sie denken um, planen neu, gestalten ihren Lebensabschnitt<br />
ohne Kinder. Sie berechnen einen Umbau oder tauschen ihr<br />
großes Eigenheim gegen ein kleineres, dafür altersgerechtes Zuhause.<br />
Der Bedarf an seniorengerechten<br />
Wohnungen ist groß<br />
Etwa 16 Millionen Menschen in Deutschland, rund 20 Prozent der<br />
Bevölkerung, sind bereits 65 Jahre und älter – Tendenz steigend. Laut<br />
Kommissionsbericht „Wohnen im Alter“ des Bundesbauministeriums<br />
geht jeder Zweite im Alter nicht etwa ins Heim, sondern wohnt weiter<br />
zuhause. Doch die wenigsten Immobilien sind dafür ausgelegt: Gerade<br />
mal 5 % aller Seniorenwohnungen sind altersgerecht ausgebaut.<br />
Leicht ist die Entscheidung nicht, sein vertrautes Zuhause mit vielen<br />
Erinnerungen aufzugeben. Bleiben, umbauen oder Neubau? Am Anfang<br />
steht eine ehrliche Bilanz – der eigenen Gesundheit und<br />
Bedürfnisse.<br />
Seien Sie ehrlich zu sich selbst<br />
Wenn ich meine Treppen nicht mehr steigen, nicht mehr rasenmähen<br />
kann, wenn ich nicht mehr schneeschaufeln will, dann muss ich etwas<br />
ändern – und zwar solange ich noch fit bin! Dabei beobachten wir leider<br />
immer wieder: viele leben so dahin, bis es nicht mehr geht oder einer<br />
der Partner stirbt. Unsere Empfehlung: planen Sie aktiv den letzten<br />
Lebensabschnitt, mit einer Immobilie, die zu Ihnen passt.<br />
I M M O B I L I E N - E X P E R T E N T I P P S<br />
Verschiedene Varianten<br />
sind möglich<br />
Da ist zum Beispiel der Immobilienverkauf<br />
auf Rentenbasis.<br />
Das Motiv ist klar: dauerhaft<br />
die Rente aufbessern, die vielleicht<br />
niedriger ausgefallen ist,<br />
Britta<br />
als man sich das auch 1993<br />
KIRSTEIN-ZIETZ<br />
noch ausgedacht hatte. Der<br />
Grundgedanke: nicht ein fester<br />
Einmalkaufpreis, sondern eine<br />
monatliche Rente. Grundsätzlich<br />
haben Sie hierzu zwei Optionen:<br />
Erstens die Vereinbarung einer Zeitrente für einen definierten<br />
Zeitraum oder zweitens die Leibrente für die gesamte Lebensdauer des<br />
Verkäufers.<br />
Die Zeitrente ähnelt dabei dem Ratenkauf. Der Käufer zahlt für einen<br />
festen Zeitraum einen bestimmten monatlichen Betrag an den Verkäufer.<br />
Der Kaufpreis wird somit in viele Einzelbeträge aufgeteilt. Die Leibrente<br />
ist gewissermaßen der „echte“ Immobilienkauf auf Rentenbasis. Für den<br />
Käufer ein mögliches Risikogeschäft, verspricht er doch dem Verkäufer<br />
lebenslange Zahlungen, weiß aber nicht, wie lange dieser leben wird.<br />
Wird der Verkäufer sehr alt, wird die Immobilie sehr teuer.<br />
Der Eigentumsübergang findet mit der Grundbucheintragung des Käufers<br />
nach Vertragsabschluss statt. In der Regel muss sich der Verkäufer nicht<br />
mehr um Instandhaltung und Modernisierung kümmern – wir empfehlen<br />
aber, sehr genau vertraglich festzulegen, wer für was aufkommen muss.<br />
In aller Diskretion<br />
Gerne geben wir Ihnen im persönlichen<br />
Gespräch weitere Hinweise zur Absicherung<br />
der Rente sowie auch zur Berechnung<br />
der Leibrente. Ein Steuerberater<br />
übernimmt die Beratung zur Besteuerung<br />
von Kapital- und Ertragsanteil.<br />
Oft erkennen wir so im Dialog miteinander<br />
Möglichkeiten, an die der Verkäufer bisher<br />
noch gar nicht gedacht hat. Wir schulen<br />
unsere Mitarbeiter dabei ganz gezielt, weiter<br />
zu denken und die zu lösenden Fragestellungen<br />
nicht isoliert zu betrachten.<br />
Kommen Sie mit uns ins Gespräch.<br />
Mit 66 Jahren ...<br />
Von Britta Kirstein-Zietz,<br />
oder gerne auch schon früher ... ZIETZ Immobilien in Murnau<br />
77
W I R T S C H A F T & F I N A N Z E N<br />
Foto: Archiv, Dr. Schauer<br />
Dummensteuer: Muss man für Dummheit bezahlen? Jein. Der Begriff<br />
wurde von Professor Dr. Gerd Rose geprägt für die Fälle, in denen<br />
Laien aufgrund von Unwissenheit steuerliche Privilegien nicht nutzen.<br />
Fahrradsteuer: Wer 1899 in Bremen und Hessen ein Fahrrad besaß,<br />
musste eine Fahrradkarte beantragen. Hierauf wurde eine Stempelsteuer<br />
(in Hessen: 5 Mark) erhoben.<br />
DR.RALF<br />
ERICH<br />
SCHAUER<br />
Fenster- und Türsteuer: 1798 wurden Häuser indirekt durch die<br />
Tür- und Fenstersteuer besteuert. Alle „Türen und Fenster, welche nach<br />
den Straßen, Höfen und Gärten der Gebäude und Fabriken hinausgehen“<br />
wurden damals besteuert. Heute würde die Baubranche wohl mehr als<br />
je zuvor Kontakt zu Steuerberatern aufnehmen, die hier Gestaltungsmaßnahmen<br />
empfehlen könnten.<br />
Wer sein Arbeitsleben dem Thema „Steuern“ widmet – und ich bin jetzt<br />
schon seit mehr als zwei Jahrzehnten dabei – stolpert immer wieder über<br />
merkwürdige Gesetze, kaum nachvollziehbare Berechnungen, fragwürdige<br />
Wortschöpfungen und andere Besonderheiten des deutschen Steuerrechts.<br />
Man denkt nichts Böses, blättert in einem Fachmagazin und stolpert beispielsweise<br />
über einen Beitrag mit dem famosen Titel „Die Interessenzusammenführungsmethode<br />
als Methode der Kapitalkonsolidierung bei der<br />
Einbeziehung in den Konzernabschluss nach einem Unternehmenskauf“.<br />
Das ist Deutsches Steuerrecht in praktischer Anwendung.<br />
Steuerrecht muss aber nicht nur trocken sein. Ein Blick in<br />
die Geschichte zeigt, welche kuriosen Einfälle es hier bereits gab.<br />
Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer – das sind wohl Steuerarten,<br />
die jeder kennt. Doch blickt man einige Jahrhunderte zurück,<br />
sah die Steuergesetzgebung ganz anders aus (aus: Reiner Sahm, Von<br />
der Aufruhrsteuer bis zum Zehnten, Springer 2014):<br />
Anzugsgeld: Manch ein Manager würde heute wohl entsetzt die<br />
Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn die Bundesregierung<br />
das Anzugsgeld einführen würde. Im Mittelalter ging es jedoch nicht<br />
um Kleidung. Das Anzugsgeld war eine Lokalabgabe für das Niederlassungsrecht<br />
und das Erlangen des Bürgerrechts.<br />
Bartsteuer: Wer 1699 in Russland einen Bart tragen wollte, musste<br />
hierfür die sog. Bartsteuer bezahlen. Peter I. wollte westliche Lebensformen<br />
in Russland heimisch machen. Da viele Männer damals aus religiösen<br />
Gründen lange Bärte trugen, bediente sich Peter I. dieser Steuer –<br />
wenn er nicht sogar selbst zur Schere griff und die Bärte seiner Untertanen<br />
abschnitt.<br />
Henkergeld: Um 1440 konnte der Einsatz eines Henkers in Nürnberg<br />
teuer werden. Ein Henker bekam damals nicht nur ein festes Gehalt der<br />
Stadt (56 Pfund jährlich) sondern Extravergütungen. So war das peinliche<br />
Verhör (15 Pfund) recht teuer. Während im Vergleich dazu die Hinrichtung<br />
mit Strang oder Schwert mit einem Pfund wohl recht günstig<br />
war. Ob das den Betroffenen getröstet hat darf man wohl bezweifeln...<br />
Laternengeld: Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die öffentliche Beleuchtung<br />
von Öllampen mit dieser städtischen Abgabe belastet. Entrichtet<br />
werden musste diese in Frankfurt 1761 von den Hausbesitzern<br />
nach der Fassadenbreite des Hauses.<br />
Teesteuer: Eine Steuer, die Auslöser für die berühmte sog. "Boston<br />
Tea Party" war. Unter König George III. wurde zwar von der Besteuerung<br />
der Kolonien Abstand genommen. Lediglich auf Tee sollte eine geringe<br />
Steuer entrichtet werden. Die Kolonisten weigerten sich jedoch, Waren<br />
zu kaufen, die mit einer Steuer belegt werden. Am 18. Dezember 1773<br />
drangen symbolisch als Indianer verkleidete Bostoner Männer in den<br />
Hafen ein und warfen 343 Kisten Tee von dort vor Anker liegenden britischen<br />
Schiffen ins Hafenbecken.<br />
Luftsteuer: In Fürth zahlen Betreiber von Zigaretten-, Kaugummioder<br />
Handykarten-Automaten eine Steuer, wenn an Hausfassaden angebrachte<br />
Automaten mehr als 15 cm von der Fassade weg ragen. Auch<br />
Werbeschilder und Leuchtreklamen, die mehr als 30 Zentimeter in den<br />
„öffentlichen Raum“ ragen, sind steuerpflichtig. Jährlich fallen so abhängig<br />
von Größe und Standort zwischen 25 und 1.000 Euro an.<br />
Übrigens: Mein Favorit der kuriosen Steuern ist die „Jungfernsteuer“, die<br />
im 18. Jahrhundert in Berlin erhoben wurde. Unverheiratete Frauen von<br />
20 bis 40 Jahren mussten zwei Groschen Jungfernsteuer entrichten.<br />
78<br />
Dachsteuer: Kaiser Josef II. nahm Ende des 18. Jahrhunderts die Größe<br />
der Dachfläche als Grundlage für die Steuerhöhe – mit dem Ergebnis,<br />
dass viele Gebäude verfielen, da die Bürger die Dächer abdeckten.<br />
Die Interessenszusammenführungsmethode wurde nebenbei bemerkt<br />
vor 7 Jahren bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft ...<br />
Von Dr. Ralf Erich Schauer, Kanzlei Dr. Schauer in Murnau
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