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ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 115 3/2015

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Nr. <strong>115</strong> | 3. Quartal <strong>2015</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,<strong>–</strong> E B 42890<br />

LEBENSFORUM<br />

Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Interview<br />

Der weite Weg<br />

zur Inklusion<br />

Ausland<br />

Kinder sind<br />

keine Waren<br />

Medizin<br />

PraenaTest: Warum<br />

ihm nicht zu trauen ist<br />

Skandal um Planned Parenthood<br />

Leber gefällig?<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 1<br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)


I N H A LT<br />

LEBENSFORUM <strong>115</strong><br />

EDITORIAL<br />

Ein »Abgang«, der alles ändert 3<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

TITEL<br />

Leber gefällig? 4<br />

Alexandra Maria Linder M. A.<br />

4 - 7<br />

DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR<br />

INKLUSION<br />

Der weite Weg zur Inklusion 8<br />

Interview mit Prof. Dr. Holm Schneider<br />

BIOETHIK-SPLITTER 12<br />

AUSLAND<br />

Kinder sind keine Waren 14<br />

Sebastian Sander<br />

Fällt das Abtreibungs-Verbot in Chile? 16<br />

Eckhardt Meister<br />

Klare Absage 18<br />

Sebastian Sander<br />

MEDIZIN<br />

Künstliche Befruchtung lässt Gefäße 20<br />

schneller altern<br />

Pressemitteilung der DGK<br />

Trau keinem Test unter dreißig 21<br />

Prof. Dr. Paul Cullen<br />

Neuer Trend: Babyfernsehen 24<br />

Dr. Edith Breburda<br />

DANIEL RENNEN<br />

In den USA sorgt der größte Anbieter vorgeburtlicher Kindstötung für Schlagzeilen. Mit<br />

versteckter Kamera gefilmte Videos legen den Verdacht nahe, »Planned Parenthood«<br />

mache Geschäfte mit dem Gewebe abgetriebener Kinder.<br />

14 -15<br />

Im Mai hatte das Schweizer<br />

Bundesgericht ein viel<br />

diskutiertes Urteil zur<br />

Leihmutterschaft gefällt.<br />

Nun haben die Richter<br />

ihre schriftliche Begründung<br />

veröffentlicht.<br />

GESELLSCHAFT<br />

Nachruf auf Prof. Dr. Seelentag 27<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

BÜCHERFORUM 30<br />

KURZ VOR SCHLUSS 32<br />

LESERBRIEFE 34<br />

IMPRESSUM 35<br />

Die Konstanzer LifeCodexx AG<br />

hofft, den von ihr entwickelten<br />

PraenaTest demnächst als<br />

Regelleistung der gesetzlichen<br />

Krankenkassen anbieten zu<br />

können. Lesen Sie hier, welche<br />

gravierenden Folgen dies hätte.<br />

21 - 23<br />

DPA<br />

2<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


E D I T O R I A L<br />

8 - 11<br />

Der Erlanger Kinderarzt und Genforscher Holm<br />

Schneider über »Inklusion« und warum der Weg<br />

dorthin noch weit ist.<br />

16 - 17<br />

Im traditionell katholischen Chile spaltet der<br />

Versuch, das totale Abtreibungsverbot zu kippen,<br />

Politik und Gesellschaft.<br />

Ein »Abgang«,<br />

der alles ändert<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Anfang Juli hat der Bundestag in Erster<br />

Lesung über vier Gesetzentwürfe beraten,<br />

mit denen die Beihilfe zum Suizid<br />

neu geregelt werden soll. Bleibt es beim<br />

derzeitigen Zeitplan, wird die endgültige<br />

Entscheidung über die künftige gesetzliche<br />

Regelung am 6. November gefällt.<br />

Zur Wahl stehen vier Gesetzentwürfe,<br />

die unterschiedlicher kaum sein<br />

könnten: Sie reichen vom ausnahmslosen<br />

Verbot der Suizidhilfe<br />

über die Strafbarkeit<br />

der geschäftsmäßigen Beihilfe<br />

zum Suizid bis hin zur Außerkraftsetzung<br />

des ärztlichen<br />

Standesrechts und der Legali-<br />

?<br />

sierung des ärztlich assistierten<br />

Suizids im Bürgerlichen Gesetzbuch<br />

(BGB).<br />

Der aus Sicht von Lebensrechtlern<br />

klarste aller Entwürfe hat im Parlament<br />

leider bisher keine Aussicht auf eine Mehrheit.<br />

Nach menschlichem Ermessen werden<br />

sich die Abgeordneten daher zwischen<br />

zwei Entwürfen entscheiden: Zwischen<br />

dem der Abgeordneten Brand/Griese et<br />

al., der Suizidhilfevereinen das Handwerk<br />

legen will, und dem der Abgeordneten<br />

Hintze/Lauterbach et al., der den<br />

ärztlich assistierten Suizid zu einer »Behandlungsalternative«<br />

erheben und dies<br />

im BGB festschreiben will, um das ärztliche<br />

Standesrecht auszuhebeln, das dem<br />

entgegensteht.<br />

Auch wenn der Entwurf Brand/Griese<br />

et al. nicht sämtliche Formen der Suizidhilfe<br />

mit Strafe bewehrt, zielt er doch auf<br />

eine Verschärfung der jetzigen Rechtslage<br />

und verspricht insofern ein Mehr an<br />

Lebensschutz. Dagegen würde der Entwurf<br />

Hintze/Lauterbach et al. den ärztlich<br />

assistierten Suizid in den Rang einer<br />

»Behandlungsalternative« erheben, für<br />

die sich Menschen am Lebensende beim<br />

Vorliegen bestimmter Voraussetzungen<br />

entscheiden können sollen.<br />

Gesellschaftspolitisch betrachtet macht<br />

es einen gewaltigen Unterschied, ob ein<br />

und dieselbe Tat nicht in allen denkbaren<br />

Kontexten für strafwürdig erachtet wird<br />

»Wollen wir<br />

das wirklich?«<br />

oder ob diese Tat in<br />

bestimmten Konstellationen<br />

in den<br />

Rang eines Rechts<br />

erhoben und das<br />

ihm entgegenstehende<br />

Berufsrecht<br />

für nichtig erklärt<br />

wird. Im Ergebnis<br />

würde der Entwurf<br />

Brand/Griese et al.<br />

dazu führen, dass die<br />

Beihilfe zum Suizid,<br />

die derzeit straffrei<br />

ist, strafrechtlich in allen Fällen verfolgt<br />

werden kann, in denen sie auf Wiederholung<br />

angelegt ist. Sowohl Suizidhilfevereine<br />

als auch Ärzte, die als »Sterbehelfer«<br />

durchs Land reisen, müssten<br />

künftig fürchten, rechtlich<br />

belangt zu werden. Dagegen<br />

würde der Entwurf Hintze/<br />

Lauterbach et al. Ärzten erstmals<br />

das Recht einräumen, einer<br />

bestimmten Gruppe von<br />

Menschen bei der Selbsttötung<br />

zur Hand zu gehen. Der Ärzteschaft<br />

würde ferner jede Möglichkeit genommen,<br />

ein solches Verhalten zu sanktionieren<br />

oder auch nur als »unärztlich«<br />

zu brandmarken.<br />

Gesteht die Gesellschaft Ärzten ausdrücklich<br />

das Recht zu, Menschen bei<br />

der Selbsttötung zu unterstützen, ändert<br />

dies alles. Suizidhilfe und auch der Suizid<br />

selbst würden nicht mehr als Fehlentscheidungen<br />

in tragischen Situationen<br />

betrachtet, sondern als eine von mehreren<br />

Möglichkeiten, aus dem Leben zu<br />

scheiden. Als Nächstes würde die Frage<br />

aufgeworfen, wie Ärzte mit Menschen,<br />

die sich nicht selbst töten können, umgehen<br />

sollen? Unter Druck gerieten auch<br />

jene, die einen solchen »Abgang« ablehnen<br />

und stattdessen <strong>–</strong> wie bisher üblich <strong>–</strong><br />

bis zu ihrem natürlichen Tod auch Hilfen<br />

der Solidargemeinschaft in Anspruch<br />

nehmen. Wollen wir das wirklich?<br />

Eine erhellende Lektüre wünscht<br />

Ihre<br />

Claudia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong><br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 3


T I T E L<br />

DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR<br />

Leber gefällig?<br />

Mit versteckter Kamera gedrehte und im Internet anschließend veröffentlichte Videos, die<br />

»Planned Parenthood«-Mitarbeiter in skandalösen Gesprächen mit den<br />

vermeintlichen Käufern von fötalem Gewebe zeigen, haben den größten Anbieter vorgeburtlicher<br />

Kindstötungen in den USA in die Hauptnachrichtensendungen katapultiert.<br />

Von Alexandra Maria Linder M. A.<br />

Unsere Mission: Bei steigender<br />

Nachfrage nach seltenen Materialien<br />

und Dienstleistungen in<br />

der Forschungsgemeinschaft wird Stem-<br />

Express angespornt und bestimmt durch<br />

persönliche Erfolgs-, Unglücks- und Triumphgeschichten.<br />

Jedes Teammitglied<br />

widmet sich der Versorgung der globalen<br />

Forschungsgemeinschaft mit den Materialien,<br />

die notwendig sind, um zu neuen<br />

Einsichten zu gelangen, neue Fragen zu<br />

4<br />

stellen und der menschlichen Erfahrung<br />

Hoffnung zu geben.« Offen wirbt die Firma<br />

»StemExpress« mit Blutspendeaufrufen<br />

und lukrativen Angeboten für Krankenhäuser,<br />

zum Beispiel Nabelschnurblut<br />

zu verkaufen. Weniger offen findet<br />

sich unter anderem eine Produktkategorie<br />

»Fötale Leber«. Zurzeit sind einige<br />

dieser Produkte nicht mehr erhältlich,<br />

die »Fact sheets« sind gelöscht. Denn<br />

»StemExpress« hat die Zusammenarbeit<br />

mit Abtreibungseinrichtungen der<br />

amerikanischen »Planned Parenthood«<br />

plötzlich aufgekündigt.<br />

Es sind hehre Ziele, die sich millionenschwere<br />

Unternehmen wie »StemExpress«<br />

öffentlich geben <strong>–</strong> die Rettung der<br />

Menschheit. Doch welchen Preis sie und<br />

viele andere dafür zu zahlen bereit sind<br />

und welchen Preis andere dafür zahlen<br />

müssen, tritt seit einigen Wochen auf erschreckende<br />

Weise zutage: Nach drei Jah-<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


en intensiver, verdeckter Arbeit trat das<br />

amerikanische »Center for Medical Progress«<br />

an die Öffentlichkeit, mit heimlich<br />

aufgenommenen Gesprächen. Die Vertreter<br />

des Centers gaben sich gegenüber<br />

Funktionären der »Planned Parenthood«<br />

als potentielle Käufer von fötalen Organen<br />

aus. Man spricht in diesen Gesprächen<br />

zwanglos über Organe, die man gewinnen<br />

kann (vor allem gefragt sind zurzeit<br />

Leber, Herz, neuerdings auch Lunge<br />

und Extremitäten, wohl wegen der Muskelzellen),<br />

über Preise, die man erzielen<br />

kann (30 bis 100 US-Dollar pro Probe),<br />

über Schwierigkeiten mit Gesetzen und<br />

den Versuch, nicht offen als Beschaffer<br />

aufzutreten, sondern eher »hinter verschlossenen<br />

Türen«.<br />

Das Video, das man sich trotz des unfassbaren<br />

Inhalts wirklich ansehen sollte,<br />

zeigt ein etwa achtminütiges Gespräch mit<br />

der Leiterin der Medizinischen Dienste<br />

von »Planned Parenthood«, Dr. Deborah<br />

Nucatola. Man sitzt gemütlich in einem<br />

Lokal bei Salat und Rotwein und sie erläutert<br />

kauend, dass man die Abtreibungen<br />

ultraschallkontrolliert vornimmt, damit<br />

man genau sehen kann, wo man bei dem<br />

Fötus ansetzen muss, um die gewünschten<br />

Organe nicht zu beschädigen. So könne<br />

man die Leber, die Lunge und das Herz<br />

unbeschadet herausbekommen und liefern.<br />

Bei der Planung der Abtreibungen<br />

könne man schon festlegen, von welchem<br />

Fötus man welche Teile gewinnen könne.<br />

Der Kopf sei in der Tat ein Problem.<br />

Denn normalerweise würde man die Abtreibungen<br />

ja mit dem Kopf zuerst vollziehen,<br />

was eine Zerstörung notwendig<br />

mache. Wenn man die Sache aber umdrehe,<br />

also die Abtreibung bei den Füßen<br />

beginne, wäre das ganze am Ende so erweitert,<br />

dass auch der Kopf in Gänze herausgezogen<br />

werden könne. Je besser erhalten<br />

der Fötus ist, desto eher ist er verwertbar<br />

und muss nicht im Müll landen.<br />

Was Frau Nucatola hier beschreibt,<br />

ist der in den USA verbotenen Form der<br />

»Das Geld aber wird mit<br />

Abtreibungen verdient.«<br />

HILLARY FOR IOWA<br />

»Partial Birth Abortion« ähnlich: Das<br />

Kind wird mit den Füßen zuerst geboren,<br />

man zieht es bis zum Genick heraus.<br />

Dann stößt man Scheren in das Genick<br />

des Kindes, erweitert das Loch, um<br />

das Gehirn herauszuziehen. Da der Kopf<br />

des Kindes noch nicht geboren ist, gilt<br />

es nicht als Geburt, sondern als Teilgeburtsabtreibung.<br />

Aber, so Frau Nucatola<br />

beim nächsten Schluck Wein, Gesetze<br />

müssten ja interpretiert werden. Sie<br />

sieht die Abgabe der Kinderteile keinesfalls<br />

als Geschäft an und will nicht als<br />

Verkäufer betrachtet werden. Vielmehr<br />

stellt sie der Forschung und der Medizin<br />

dringend benötigtes Material zur Verfügung,<br />

ist also sozusagen der Vermittler,<br />

und das ist etwas ganz anderes <strong>–</strong> ein Verkaufsimage<br />

möchte sie als »Planned Parenthood«<br />

keinesfalls haben.<br />

Als der vorgebliche Käufer sich am<br />

Ende bei der Vorsitzenden von »Planned<br />

Parenthood Amerika«, Cecile Richards,<br />

für diese Möglichkeit und die wunderbare<br />

Arbeit von Frau Nucatola bedankt, ist<br />

diese ganz gerührt und lobt ihre Leiterin:<br />

Hillary Clinton<br />

OFFICIAL WHITE HOUSE PHOTO BY PETE SOUZA<br />

»Die Organisation erhält im Jahr<br />

mindestens 350 Mio US-Dollar.«<br />

»Yes, she’s amazing«. Mrs. Richards hat<br />

übrigens in ihrer Funktion als Präsidentin<br />

und CEO von »Planned Parenthood«<br />

ein Jahresgehalt von 400.000 US-Dollar.<br />

Das »Center for Medical Progress«<br />

hat nicht nur ein Video gedreht, wie man<br />

sieht, in weiser Voraussicht. Denn es wurde<br />

versucht, dieses erste Video medial<br />

möglichst untergehen zu lassen. Es folgte<br />

ein zweites, ein drittes, ein viertes, mit<br />

immer grausameren Inhalten.<br />

Die amerikanische »Planned Parenthood«<br />

ist der größte Anbieter von<br />

Abtreibungen in den USA. Nach außen<br />

tritt die Organisation als Retterin für vor<br />

allem mittellose Frauen in Not und als<br />

maßgebliche Familienplanungsorganisation<br />

auf. Das Geld aber wird mit Abtreibungen<br />

verdient. Hinweise darauf gibt es<br />

viele. Im Jahr 2013 bekam die Aurora-Einrichtung<br />

in Colorado einen Preis dafür,<br />

die angesetzten Abtreibungszahlen übertroffen<br />

zu haben. Die amerikanische Lebensrechtlerin<br />

Abby Johnson, die selbst<br />

acht Jahre lang für PP tätig war, beschreibt<br />

in ihrem Buch Unplanned (deutsch: Lebenslinie)<br />

die Vorgaben zur Steigerung<br />

der Abtreibungszahlen <strong>–</strong> unter anderem<br />

durch Ausweitung der Abtreibungen bis<br />

zur 24. Schwangerschaftswoche.<br />

Von den über eine Million Abtreibungen,<br />

die jährlich in den USA stattfinden,<br />

Barack Obama<br />

führt »Planned Parenthood« zwischen 32<br />

und 40 Prozent aus. Damit erzielt »Planned<br />

Parenthood« ungefähr die Hälfte seines<br />

Jahresumsatzes mit vorgeburtlichen<br />

Kindstötungen: Die Organisation erhält<br />

im Jahr mindestens 300 Millionen US-<br />

Dollar aus staatlichen Programmen. Mit<br />

der zugrunde gelegten Zahl von 350.000<br />

Abtreibungen pro Jahr errechnet sich ein<br />

Durchschnittsumsatz von 164,5 Millionen<br />

US-Dollar (bei durchschnittlichen Kosten<br />

von 470 US-Dollar pro Abtreibung).<br />

Auch die Geschichte der Organisation<br />

hat Flecken: Gegründet wurde sie im Jahr<br />

1921 unter dem Namen »American Birth<br />

Control League« von der Eugenikerin<br />

Margret Sanger, die eng mit dem Gründer<br />

der deutschen »pro familia«, Hans<br />

Harmsen, zusammenarbeitete. Die Umbenennung<br />

in »Planned Parenthood« erfolgte<br />

1942. Im Jahr 1952, unter Mitwirkung<br />

von Frau Sanger, wurde von dem<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 5


T I T E L<br />

»Auch die Geschichte der<br />

Organisation hat Flecken.«<br />

»Sozialhygieniker« Hans Harmsen die<br />

»Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie«<br />

gegründet, heute »pro familia«.<br />

Man tauschte den Begriff der »Geburtenkontrolle«<br />

im Jahr 1965 durch den<br />

Begriff »Familienplanung« aus. Beide<br />

Vereine gehören zu den Gründungsmitgliedern<br />

des internationalen<br />

Dachverbands<br />

»International<br />

Planned<br />

Parenthood Federation«.<br />

Schon oft wurde<br />

»Planned Parenthood<br />

Amerika«<br />

vorgehalten,<br />

vor allem<br />

in Latino- und<br />

Schwarzenvierteln<br />

Abtreibungseinrichtungen<br />

zu<br />

betreiben. Beim<br />

Zahlenvergleich ist<br />

der Anteil schwarzer<br />

Kinder (ca. 370.000),<br />

ungefähr ein Drittel aller<br />

Abtreibungen, in der Tat<br />

deutlich höher als der Anteil der<br />

schwarzen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung<br />

der USA, der lediglich<br />

um die 13,2 Prozent beträgt.<br />

Dass Kinder nach ihrer Abtreibung<br />

weiterverwertet werden, ist keine neue<br />

Erkenntnis. Der Organ- und Gewebebereich<br />

ist als Verwendungsmöglichkeit<br />

international gängig (»fetal organ harvesting«<br />

/ fötale Organernte). Die Zellen<br />

der abgetriebenen Kinder (vorzugsweise<br />

im Fötalstadium, weil dann die Organe<br />

ausgebildet sind und die Zellen unterschieden<br />

werden können) verwendet man<br />

zum Beispiel, um so genannte Biohybridorgane<br />

mit künstlichen Trägermaterialien<br />

als Transplantate herzustellen. Außerdem<br />

kann man neben Nieren, Lunge, Leber<br />

auch Eierstöcke, Augenbestandteile,<br />

6<br />

Bauchspeichel-, Thymusdrüse etc. nutzen.<br />

Gängig ist die Verwertung in osteuropäischen<br />

Staaten wie der Ukraine,<br />

wo Firmen wie »Em-<br />

Cell« oder<br />

I N F O<br />

Fötale Gewebespenden<br />

»UCTC« ganz offen für Verjüngungskuren<br />

mit Zellen von abgetriebenen Kindern<br />

werben.<br />

In Deutschland wurde<br />

die mögliche Verwertung<br />

der abgetriebenen<br />

Kinder<br />

ohne öffentliches<br />

Aufsehen<br />

im<br />

Jahr 2007<br />

durch einen<br />

neuen<br />

§ 4 a im Gesetz<br />

über die Qualität<br />

und Sicherheit<br />

von<br />

menschlichen<br />

Gew<br />

e b e n<br />

und Zellen<br />

(Gewebegesetz)<br />

geregelt. Eine<br />

Frau darf unmittelbar nach der<br />

Abtreibung gefragt werden, ob sie das<br />

tote Kind »spendet«. Abgesehen von der<br />

Zumutung für eine Frau, die einen belastenden<br />

Eingriff hinter sich hat, stellt sich<br />

die ethische Frage, ob man ein Kind, das<br />

man ohne Einwilligung getötet hat, auch<br />

noch ohne Einwilligung ausschlachten<br />

darf. Insofern muss man spätestens jetzt<br />

hellhörig werden und prüfen, ob es solche<br />

Zustände auch bei uns geben könnte.<br />

Denn durch diese Änderung wird deutlich<br />

gemacht, dass solche »Spenden« vorkommen<br />

und offensichtlich geregelt<br />

werden mussten. Folglich<br />

muss es auch einen, wenn auch<br />

hierzulande noch sehr grauen<br />

Markt dafür geben.<br />

Spende ja, Handel nein <strong>–</strong> Was in den USA als gesetzlich erlaubt und was als<br />

verboten gilt<br />

Nach Veröffentlichung des ersten Videos hatte Cecile Richards, Präsidentin von »Planned Parenthood«<br />

in den USA, in einer eigenen Videobotschaft die Vorwürfe zurückgewiesen: »Ich<br />

möchte sehr deutlich sagen: Die Behauptung, ›Planned Parenthood‹ profitiere in irgendeiner<br />

Weise von Gewebespenden, ist nicht wahr. Unsere Spender-Programme befolgen <strong>–</strong> wie die aller<br />

Anbieter hochwertiger Gesundheitsdienste <strong>–</strong> sämtliche Gesetze und ethischen Richtlinien.«<br />

In den USA können Frauen Gewebe ihrer abgetriebenen Kinder wissenschaftlichen Einrichtungen<br />

unentgeltlich zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen. Der Handel mit Körperteilen<br />

abgetriebener Kinder ist gesetzlich verboten. Einrichtungen, welche die »Spende« von Geweben<br />

organisieren, ist es aber erlaubt, sich die Kosten für die Sammlung und den Transport der<br />

Leichenteile von Forschungseinrichtungen, die diese verwenden, finanziell erstatten zu lassen.<br />

Dagegen ist es Abtreibungseinrichtungen gesetzlich verboten, vorgeburtliche Kindstötungen im<br />

Falle einer anschließenden »Gewebespende« zeitlich oder methodisch so zu steuern, dass dabei<br />

die Interessen der Empfänger nach möglichst intakten Föten gewahrt werden.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


Beweise lassen sich nicht leicht finden,<br />

eher weitere Indizien. Für ein wichtiges<br />

Indiz könnte man die Tatsache halten,<br />

dass »pro familia« eine Schrift aus dem<br />

Jahr 2000 neu aufgelegt hat. Diese »Expertise«<br />

hat den Titel: »Fötales Gewebe<br />

Um Kinder vor ihrer Weiterverwertung<br />

zu schützen, wären eine Meldepflicht<br />

und eine Beerdigungspflicht sinnvoll.<br />

Damit hätte man außerdem endlich<br />

eine saubere Statistik, um das Gesetz zu<br />

prüfen, wie es im Gesetz vorgeschrieben<br />

ist, und man hätte einen Ort der Trauer,<br />

des Weiteren gerieten diese Kinder im<br />

gesellschaftlichen Ansehen aus dem Bereich<br />

des »Gebärmutterinhalts« heraus<br />

wieder in die Kategorie der Menschen,<br />

was ein wichtiges Zeichen wäre.<br />

Nach anfänglicher, erstaunlicher Zurückhaltung<br />

nach dem ersten Video haben<br />

weitere Veröffentlichungen des »Center<br />

for Medical Progress« dazu geführt, dass<br />

»Planned Parenthood« unter Druck gerät.<br />

Wie heilig diese Kuh ist, zeigt sich<br />

unter anderem darin, dass ein Antrag zur<br />

Beendigung der finanziellen Unterstützung<br />

bereits gescheitert ist <strong>–</strong> ein erster<br />

Versuch im Senat wurde mit 53 zu 46<br />

Stimmen abgelehnt. Die Bundesstaaten<br />

Louisiana und Alabama haben sich inzwischen<br />

anders entschieden und geben<br />

keine Gelder mehr für die Organisation,<br />

in weiteren Staaten wird die Sachlage geprüft.<br />

Die Demokratin und US-amerikanische<br />

Außenministerin Hillary Clinton<br />

versuchte nichts zu sagen, musste dann<br />

aber doch: Sie sei stolz auf ihre Unterstützung<br />

der Organisation und würde niemals<br />

aufhören, die Möglichkeit und das<br />

Recht jeder Frau zu unterstützen, ihre<br />

eigenen gesundheitlichen Entscheidungen<br />

zu treffen. Auch US-Präsident Barack<br />

Obama ist ein »Pro-choicer«. »Planned<br />

Parenthood« pflegt politische Kandidaten<br />

der »Pro-choice«-Fraktion im Wahlkampf<br />

zu unterstützen. Sicher nicht zufällig<br />

erschien der Präsident persönlich<br />

am 26. April 2013 bei einer »Planned<br />

Parenthood«-Konferenz in Washington.<br />

Laut »Planned Parenthood« sagte er:<br />

»Cecile, (…) thank you for the outstanding<br />

leadership that you’ve shown over<br />

DAVID SHANKBONE<br />

Cecile Richards<br />

Fetales Gewebe zu verkaufen: Ausschnitt aus dem versteckt gedrehten Video<br />

<strong>–</strong> Ein Gutachten zu Forschung und Verwendung<br />

von embryonalem/fetalem Gewebe«<br />

(gefördert vom Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen und<br />

Jugend). Ausführlich geht die Expertise<br />

darauf ein, welche Organe und Gewebe<br />

verwendet werden können, und dass man<br />

»Louisiana und Alabama geben<br />

keine Gelder mehr.«<br />

in manchen Ländern die Abtreibungspraxis<br />

entsprechend geändert habe, um die<br />

Kinder möglichst zu erhalten. Auch das<br />

ist bekannt. So gibt es zum Beispiel manuelle<br />

Vakuumaspiratoren (ein mechanisches<br />

Gerät für Frühstabtreibungen, meist<br />

verschleiert durch den Begriff »Menstruationsregelung«)<br />

inzwischen auch mit<br />

größerer Kanüle, um den Kopf und etwas<br />

größere Embryonen intakt zu halten. Die<br />

Schrift endet mit der Empfehlung, sich<br />

als Verband intensiv mit diesem Thema<br />

zu beschäftigen, weil es durchaus entsprechende<br />

Anfragen geben könne. Das war<br />

vor 15 Jahren. Es ist nicht davon auszugehen,<br />

dass es keine Anfragen gab und gibt,<br />

zumal von privaten Praxen und Einrichtungen<br />

solche Fälle schon bekannt, nicht<br />

aber thematisiert wurden.<br />

the years. You just do a great, great job.«<br />

(www.plannedparenthood.org/about-us/<br />

newsroom/press-releases/obamas-historic-speech).<br />

Er dankt Cecile Richards bei<br />

seinem Auftritt also ausdrücklich für ihre<br />

wundervolle, außergewöhnliche Führungstätigkeit.<br />

Die heilige Kuh »Planned Parenthood«<br />

wird nach Jahrzehnten der unbehelligten<br />

Tätigkeit endlich, wenn auch mit Hindernissen,<br />

geprüft. Wie heißt es noch bei<br />

»StemExpress«? »Unser Versprechen:<br />

Der Schutz der Privatsphäre unserer Forscher<br />

und Spender hat bei StemExpress<br />

immer höchste Priorität.« Jetzt kann man<br />

sich auch vorstellen, warum das so ist.<br />

I M P O R T R A I T<br />

Alexandra Maria Linder M. A.<br />

Die Autorin, Jahrgang 1966, hat Romanistik<br />

und Ägyptologie studiert und sich<br />

als Übersetzerin und Lektorin selbständig<br />

gemacht. Die<br />

1. Stellvertretende<br />

Bundesvorsitzende<br />

der <strong>ALfA</strong> e. V. hat<br />

2009 das Sachbuch<br />

»Geschäft<br />

Abtreibung« veröffentlicht,<br />

das auch dieses Thema behandelt.<br />

Sie lebt mit ihrem Ehemann und<br />

drei Kindern im Sauerland.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 7


I N K L U S I O N<br />

I M P O R T R A I T<br />

Prof. Dr. med. Holm Schneider<br />

Jahrgang 1969, arbeitet als Kinderarzt<br />

und Leiter der Abteilung für Molekulare<br />

Pädiatrie am Universitätsklinikum<br />

Erlangen. Er ist verheiratet und<br />

Vater von fünf Kindern.<br />

8<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


Der weite Weg zur Inklusion<br />

Trotz legitimer Wünsche gibt es »kein Recht« auf ein »gesundes Kind«, meint der Genforscher,<br />

Kinderarzt und Buchautor Holm Schneider. Stefan Rehder sprach mit dem Leiter der<br />

Molekularen Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen, der auch 2. Stellvertretender Vorsitzender<br />

der Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e. V. ist.<br />

<strong>LebensForum</strong>: Herr Professor Schneider: Inklusion<br />

ist derzeit in aller Munde. Als Genforscher<br />

und Kinderarzt, der sich besonders für Menschen<br />

mit Behinderungen einsetzt, könnte Sie<br />

dies freuen. Wie zufrieden macht Sie der Umgang<br />

von Politik und Gesellschaft mit dem Thema<br />

Inklusion?<br />

Professor Dr. med. Holm Schneider:<br />

Nun, die Richtung stimmt, aber der Weg<br />

ist noch weit. Es freut mich, dass die Familien<br />

meiner Patienten heute Möglichkeiten<br />

vorfinden, um die andere vor zehn<br />

Jahren noch mit ganzem Einsatz kämpfen<br />

mussten. Das ist politischen Entscheidungen<br />

zu verdanken. Ich nehme vielerorts<br />

ein Bemühen um Chancengleichheit für<br />

Menschen mit Behinderung wahr: in Kindergärten,<br />

Schulen, Vereinen, sogar auf<br />

dem ersten Arbeitsmarkt. Missverständnisse<br />

bleiben da nicht aus, und manchmal<br />

kommt es auch zu echten Interessenskonflikten<br />

<strong>–</strong> mit der Gefahr, dass Betroffene<br />

ins mediale Rampenlicht gezerrt werden<br />

und erbitterte öffentliche Debatten auslösen.<br />

Wie Henri aus Baden-Württemberg<br />

zum Beispiel, dem die Schlagzeile<br />

»Geistig behindert aufs Gymnasium?«<br />

wohl eher zweifelhafte Popularität verschafft<br />

hat. Inklusion heißt nicht, dass jedem<br />

Kind jede Schule offenstehen sollte.<br />

Sondern?<br />

Dass Menschen mit Behinderung<br />

gleichberechtigt mit anderen entscheiden<br />

können, welcher Ort für sie der passende<br />

ist, und dass sie tatsächlich die gleichen<br />

Chancen bekommen. Gerade jene,<br />

die sich von klein auf als »anders« erleben,<br />

brauchen solche Chancengleichheit,<br />

um Selbstachtung und ein realistisches<br />

Selbstbild zu entwickeln. Und da<br />

viele Begabungen sich erst in der Gemeinschaft<br />

entfalten, profitieren auch<br />

Gemeinschaften davon, wenn sie Ausgrenzung<br />

vermeiden und jemanden, der<br />

ernsthaft dazugehören möchte, so annehmen,<br />

wie er nun mal ist.<br />

Wo sehen Sie die größten Defizite?<br />

Da, wo man meint, Inklusion lasse sich<br />

von außen, durch Verordnungen bewirken.<br />

Das geht fast immer schief. Inklusion<br />

beginnt im Kopf, nicht auf dem Papier.<br />

In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel,<br />

wo im Sommer 2014 das 9. Schulrechtsänderungsgesetz<br />

in Kraft trat, wird<br />

jetzt ein Drittel der Kinder mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf an Regelschulen<br />

unterrichtet. Ich kenne Lehrer,<br />

die das als »Zumutung« bezeichnen <strong>–</strong> und<br />

sie haben recht. Inklusion an Schulen kann<br />

nicht ohne die Bereitschaft der Lehrkräfte<br />

und der Klassengemeinschaft gelingen,<br />

auch nicht ohne adäquate Fortbildung<br />

und zusätzliche Ressourcen. Wenn<br />

es an solchen Voraussetzungen mangelt,<br />

lassen wir uns ungern etwas zumuten <strong>–</strong><br />

ein Wort, das ursprünglich »zutrauen,<br />

besonderen Mut anerkennen« bedeutete.<br />

Und tatsächlich braucht es Mut, in einer<br />

Gemeinschaft aus lauter jungen, leistungsfähigen,<br />

unbehinderten Individuen<br />

unsere eigentliche Abhängigkeit voneinander<br />

nicht zu verleugnen.<br />

Und was schlagen Sie da vor?<br />

Zuerst sollten wir die Bilder von Behinderung<br />

in unseren Köpfen korrigieren.<br />

Jeder von uns kann jederzeit zum<br />

Behinderten werden. Kaum jemand wird<br />

ein Leben lang gesund sein. Krankheiten<br />

und Handicaps gehören zum Leben<br />

einfach dazu, manchmal schon von Anfang<br />

an. Eltern, Mitschüler und Lehrer,<br />

die das verstanden haben, werden einander<br />

zutrauen, mitzuwachsen mit einem<br />

besonderen Kind. Die meisten Erwachsenen<br />

wissen auch, dass es sinnlos<br />

ist, an jedes Kind die gleichen Anforderungen<br />

zu stellen. Der Überflieger lernt<br />

dabei, dass er sich nicht mühen muss, andere<br />

werden überfordert und damit demotiviert.<br />

Bildung sollte jedoch helfen,<br />

eigene Stärken zu erkennen und schätzen<br />

zu lernen, ebenso wie die der anderen.<br />

Kurz: Es braucht mehr als nur politische<br />

Vorgaben, um Behinderte inkludieren<br />

zu können.<br />

Ist es kein Widerspruch, wenn Bund, Länder und<br />

Kommunen überlegen, wie Inklusion in Städten<br />

und Gemeinden, in Kindergärten und Schulen,<br />

am Arbeitsplatz und in der Freizeit gelingen<br />

kann, andererseits aber Gesetze beibehalten,<br />

die die vorgeburtliche Tötung von Menschen mit<br />

Behinderungen ermöglichen, und darüber hinaus<br />

die Entwicklung von Gentests fördern, mit<br />

denen sich die Träger genetischer Besonderheiten<br />

identifizieren und selektieren lassen?<br />

Ja, das ist ein frappierender Widerspruch,<br />

auf den ich auch immer wieder<br />

hinweise. Wirkliche Inklusion beginnt<br />

schon vor der Geburt.<br />

In Deutschland ist der sogenannte PraenaTest<br />

seit August 2012 erhältlich. Laut dem Hersteller,<br />

der Konstanzer BioTech-Firma LifeCodexx,<br />

haben bereits im ersten Jahr 6.000 Frauen von<br />

diesem Test Gebrauch gemacht. Rund die Hälfte<br />

davon in Deutschland. LifeCodexx bewirbt<br />

den Bluttest als schnelle und sichere Alternative<br />

zu Fruchtwasseruntersuchungen und der Chorionzottenbiopsie,<br />

da er eine Genauigkeit von<br />

99,8 Prozent aufweise und nicht das Risiko einer<br />

Fehlgeburt berge. Befürworter des Praena-<br />

Tests argumentieren, durch den Bluttest sei eine<br />

vorgeburtliche Diagnostik nun mit weniger Risiken<br />

für Mutter und Kind verbunden. Ein Argument,<br />

das auch den Genforscher und Kinderarzt<br />

Schneider überzeugt?<br />

Nun, für das Kind ist dieser Test durchaus<br />

riskant, denn wenn es tatsächlich oder<br />

auch nur vermeintlich <strong>–</strong> infolge falschpositiver<br />

Befunde <strong>–</strong> von der Norm abweicht,<br />

dann kann sein Lebensrecht vom<br />

Staat nicht mehr gewährleistet werden.<br />

Wir wissen ja zum Beispiel, dass nach der<br />

vorgeburtlichen Diagnose einer Trisomie<br />

21 (Down-Syndrom) über 90 Prozent<br />

der Betroffenen abgetrieben werden.<br />

Der PraenaTest wird ab der vollen-<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 9


I N K L U S I O N<br />

deten neunten Schwangerschaftswoche<br />

angeboten. Das Ergebnis liegt nach vier<br />

bis zehn Tagen vor. Laut § 218 a Absatz<br />

1 StGB ist bis zur zwölften Lebenswoche<br />

des ungeborenen Kindes dessen straffreie<br />

Abtreibung möglich, wofür nur ein Beratungsschein<br />

vorgelegt werden muss. Ob<br />

das Testergebnis der Grund dafür war,<br />

wird nirgends erfasst. Auf dem Auftragsbogen<br />

zum PraenaTest lassen sich außer<br />

Trisomie 21 derzeit sechs weitere genetische<br />

Besonderheiten ankreuzen, die<br />

man beim Baby »ausschließen« möchte.<br />

Zum Beispiel das Turner-Syndrom, eine<br />

Chromosomenanomalie, die zu behandelbarem<br />

Kleinwuchs führt <strong>–</strong> bei normaler<br />

Intelligenz und Lebenserwartung. Dieser<br />

Test birgt also nicht nur für Kinder<br />

mit Down-Syndrom ein tödliches Risiko<br />

<strong>–</strong> und er bringt Schwangere in Gefahr,<br />

eine Entscheidung unter Zeitdruck zu<br />

treffen und dann ein Leben lang Mutter<br />

eines getöteten Kindes zu sein.<br />

Derzeit ist der PraenaTest eine sogenannte IGeL-<br />

Leistung, die von den Patientinnen privat bezahlt<br />

werden muss. LifeCodexx bemüht sich<br />

aber um Aufnahme des PraenaTests in den Leistungskatalog<br />

der gesetzlichen Krankenkassen.<br />

Der Gemeinsame Bundesausschuss berät bereits<br />

über einen Antrag auf Erprobung des Praena-<br />

Tests. Entscheidet der sich dafür, könnte als Ergebnis<br />

der dann durchzuführenden Studien die<br />

Aufnahme des Tests in die Regelleistungen der<br />

gesetzlichen Krankenkassen folgen. Mit welchen<br />

Veränderungen müsste unsere Gesellschaft<br />

in einem solchen Fall rechnen?<br />

DENYS_KUVAIEV/FOTOLIA.COM<br />

mehr haben, geboren zu werden. Diese<br />

»Eugenik von unten« könnte das Gleiche<br />

bewirken wie »von oben«, vom Staat<br />

angeordnete Eugenik, nämlich das Aussterben<br />

bestimmter Menschengruppen.<br />

Ich finde es absurd, so etwas als Regelleistung<br />

von Krankenkassen vorzuschlagen.<br />

Das ist ein Angriff auf die Würde<br />

des Menschen insgesamt.<br />

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang<br />

auch dem Arzthaftungsrecht zu. In<br />

der Vergangenheit haben Richter bereits Ärzte<br />

zu Schadensersatz verurteilt, weil diese Frauen<br />

nicht eindrücklich genug vor der Möglichkeit<br />

gewarnt hätten, ein Kind mit Down-Syndrom<br />

zu bekommen. Ist eine Kind-als-Schaden-Rechtsprechung<br />

in einer Gesellschaft, die sich die Inklusion<br />

auf die Fahne geschrieben hat, nicht ein<br />

merkwürdiger Anachronismus?<br />

gesundheitlichen Beeinträchtigung des<br />

Ungeborenen seitdem immer rechtswidrig<br />

ist und das Verhindern einer rechtswidrigen<br />

Tat nie einen Schadensersatz<br />

begründen kann, sollten Kind-als Schaden-Prozesse<br />

in unserem Land eigentlich<br />

nicht mehr vorkommen. Trotzdem hat der<br />

Bundesgerichtshof 2002 eine Ärztin zur<br />

Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt,<br />

weil sie schwere Fehlbildungen der Arme<br />

und Beine, die bei vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen<br />

hätten erkannt<br />

werden müssen, der Schwangeren nicht<br />

mitteilte. Auch bei erfolglosen Abtreibungsversuchen<br />

wurden Ansprüche gerichtlich<br />

verhandelt oder über die Haftpflichtversicherung<br />

des Arztes befriedigt.<br />

Aus meiner Sicht ist nicht die Haftpflichtversicherung<br />

des Frauenarztes, sondern<br />

die gesamte Solidargemeinschaft in<br />

Damit, dass der PraenaTest dann ein<br />

Test für fast jede Schwangere wird, weil<br />

viele Ärzte ihn dann unabhängig vom Alter<br />

der Schwangeren oder anderen Risikofaktoren<br />

anbieten werden. Die Deutsche<br />

Gesellschaft für Humangenetik erklärte<br />

dazu schon 2012, dass diese Untersuchung<br />

»allen Schwangeren verfügbar gemacht<br />

werden sollte«. Damit käme es zu einer<br />

weiteren Aushöhlung des Lebensschutzes<br />

ungeborener Kinder, auch der genetisch<br />

normalen. Denn je breiter der Test<br />

eingesetzt wird, desto wahrscheinlicher<br />

ist es, dass die Diagnose einer »Chromosomenstörung«<br />

gar nicht stimmt. In Studien<br />

lag eine falsch-positive Diagnose in<br />

0,2 bis 0,3 Prozent der Fälle vor. Würde<br />

man alle Schwangerschaften testen, also<br />

auch die junger Frauen, bei denen kindliche<br />

Chromosomenanomalien viel seltener<br />

sind, wären die meisten vermeintlich<br />

Betroffenen ganz normale Kinder. Solche<br />

Screening-Untersuchungen würden außerdem<br />

dazu führen, dass Menschen, deren<br />

genetische Merkmale aus Sicht ihrer<br />

Eltern unerwünscht sind, keine Chance<br />

10<br />

Über 90 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom werden heute abgetrieben<br />

Als Vater wie als Kinderarzt verstehe<br />

ich natürlich den Wunsch nach gesunden<br />

Kindern. Der ist völlig legitim. Ich weiß<br />

aber auch, dass es kein Recht darauf gibt<br />

und dass kein Test auf dieser Welt ein gesundes<br />

Kind garantieren kann. Dennoch<br />

wurden Ärzte zur Unterhaltskostenzahlung<br />

verurteilt, weil die Eltern erklärten,<br />

dass sie ihr Kind bei rechtzeitiger Kenntnis<br />

seiner Behinderung abgetrieben hätten.<br />

In Österreich zum Beispiel gab und<br />

gibt es solche Fälle immer wieder. In<br />

Deutschland dagegen wurde die sogenannte<br />

embryopathische Indikation vor<br />

20 Jahren abgeschafft <strong>–</strong> wegen des Diskriminierungsverbotes<br />

im Grundgesetz.<br />

Da eine Abtreibung allein wegen einer<br />

der Verantwortung, wenn einer Familie<br />

durch die Geburt eines Kindes mit angeborenen<br />

Besonderheiten Nachteile entstehen.<br />

Dafür zu sorgen, wäre notwendige<br />

Anti-Diskriminierungspolitik.<br />

Welche Maßnahmen müsste der Gesetzgeber Ihrer<br />

Ansicht nach ergreifen, um derartige Urteile<br />

zukünftig unmöglich zu machen?<br />

Er müsste zunächst die immense Wirkung<br />

solcher Gerichtsurteile zur Kenntnis<br />

nehmen: Schon das erste Urteil des<br />

Bundesgerichtshofs zur fehlerhaften Aufklärung<br />

über Pränataldiagnostik führte<br />

zu einer sprunghaften Ausbreitung der<br />

Fruchtwasseruntersuchung. Während<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


das Verfahren noch lief, verdoppelte sich<br />

bundesweit die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen.<br />

Und Ärzte, die Schwangere<br />

so berieten, dass sie ein mutmaßlich behindertes<br />

Kind nicht zur Welt brachten,<br />

fühlten sich auf der sicheren Seite. Das<br />

Problem ist nicht die Pränataldiagnostik<br />

an sich, sondern der Auftrag an den<br />

Arzt, vorgeburtlich festzustellen, ob ein<br />

Kind bestimmte Eigenschaften hat, um<br />

sein Leben gegebenenfalls »rechtzeitig«<br />

zu beenden. Wofür werden Ärzte bei fehlerhafter<br />

Pränataldiagnostik haftbar gemacht?<br />

Nicht für die Beeinträchtigung<br />

des Kindes, sondern für das Unterbleiben<br />

eines Schwangerschaftsabbruches.<br />

Der Gesetzgeber müsste also verhindern,<br />

dass Selektion und Tötung menschlichen<br />

Lebens als ärztliche Aufgaben angesehen<br />

werden, die dann eben auch »Qualitätsansprüchen«<br />

zu genügen hätten. Das gilt<br />

für das Thema Abtreibung genauso wie<br />

für die aktuelle Debatte um aktive Sterbehilfe.<br />

Im Falle des Oldenburger Babys<br />

Tim <strong>–</strong> eines heute 18-jährigen Mannes,<br />

der seine eigene Abtreibung überlebte <strong>–</strong><br />

wurde einer Zeugin vor Gericht eine eidesstattliche<br />

Erklärung abverlangt, dass<br />

Tims Mutter vor dem Eingriff auf das<br />

mögliche, wenn auch unwahrscheinliche<br />

Überleben des Kindes hingewiesen<br />

worden war. Das ist eigentlich unfassbar.<br />

Gehört es nicht zum Grundverständnis<br />

unseres Rechtssystems, dass Menschen<br />

dem Versuch ihrer Tötung normalerweise<br />

Widerstand entgegensetzen und,<br />

Gott sei Dank, manchmal überleben? Der<br />

Gesetzgeber sollte Möglichkeiten schaffen,<br />

dass Kinder ungewollt Schwangerer<br />

leichter von ungewollt Kinderlosen adoptiert<br />

werden können, und er sollte dafür<br />

sorgen, Alternativen zur Selbsttötung<br />

wie Hospize und Palliativstationen noch<br />

viel bekannter zu machen. Und nicht zuletzt<br />

sollte er der verbreiteten Vorstellung,<br />

alles einklagen zu können, entgegentreten.<br />

Ein gesundes Baby ist und<br />

bleibt ein Geschenk.<br />

Als Kinderarzt beraten Sie selbst ja auch<br />

Schwangere, bei deren Kind eine Fehlbildung<br />

oder Krankheit diagnostiziert wurde. Wie gehen<br />

Sie selber mit dem Haftungsrisiko um?<br />

Wenn die Diagnostik und die Informationen,<br />

die im Aufklärungsgespräch<br />

übermittelt werden, dem medizinischen<br />

Standard und der konkreten Situation<br />

der Schwangeren entsprechen, ist jeder<br />

Arzt berechtigt und nach aktueller Gesetzeslage<br />

auch verpflichtet, lebenserhaltend<br />

zu beraten. Ich muss bei ordnungsgemäßer<br />

Aufklärung keine Haftung befürchten,<br />

wenn ich versuche eine Frau<br />

zur Fortsetzung der Schwangerschaft mit<br />

einem mutmaßlich behinderten Kind zu<br />

ermutigen, wenn ich Kontakte zu Familien<br />

herstelle, die das Leben mit einem<br />

betroffenen Kind anschaulich machen,<br />

oder auf die Nachteile und ungewollten<br />

möglichen Folgen weiterer Pränataldiagnostik<br />

hinweise.<br />

Wer nicht regelmäßig mit Menschen mit Behinderung<br />

zu tun hat, wirkt im Umgang mit ihnen<br />

oft verunsichert und gehemmt. Vergleichbar jemandem,<br />

der sich in einer Sprache auszudrücken<br />

sucht, die er nicht beherrscht. Kann man sagen,<br />

Übung macht auch hier den Meister, oder gibt es<br />

da vielleicht noch anderes zu berücksichtigen,<br />

etwa dass behinderte Menschen uns unsere eigene<br />

Verletzlichkeit vor Augen führen, was zum<br />

Beispiel auch Ängste hervorrufen kann?<br />

Das trifft sicher zu. Menschen, deren<br />

Grenzen sichtbar sind, erinnern uns eben<br />

auch an unsere eigene Schwäche, daran,<br />

dass jeder Mensch angewiesen ist auf andere,<br />

dass niemand alles alleine schafft.<br />

Damit muss ich mich erst mal auseinandersetzen.<br />

Habe ich den Mut, mich<br />

meiner Begrenztheit zu stellen, meinen<br />

Schattenseiten, meinen Schwächen und<br />

Ängsten? Das konfrontiert mich plötzlich<br />

ganz konkret mit der Frage: Was<br />

macht mein Leben wertvoll? Und hier<br />

können Menschen mit Behinderung uns<br />

Wesentliches sagen: Mein Wert ist nicht<br />

das Produkt meiner geistigen und körperlichen<br />

Kräfte. Er ist nicht an Leistungsfähigkeit<br />

gebunden, weder im Himmel<br />

noch auf Erden <strong>–</strong> ich erinnere da nur an<br />

Papst Johannes Paul II. bei seinen letzten<br />

öffentlichen Auftritten. Wer über diese<br />

Frage nachdenkt, dem kann nichts Besseres<br />

passieren, als Menschen mit Behinderung<br />

kennenzulernen, sie schätzen zu<br />

lernen <strong>–</strong> und dadurch an die Hand genommen<br />

zu werden, die eigenen Grenzen<br />

anzunehmen. Wer sich darauf einlässt,<br />

der kann enorm viel gewinnen. Es<br />

gibt viele Menschen mit Behinderung,<br />

die anderen gern einen Einblick in ihr<br />

Leben gewähren, und es gibt Gemeinschaften,<br />

wo man staunend erkennt, dass<br />

auch Menschen mit einem ganz kleinen<br />

Kompetenzbereich eine ihnen gemäße<br />

Aufgabe finden können.<br />

Kinder, die zusammen mit Behinderten den Kindergarten<br />

und die Schule besuchen, verlieren<br />

meist recht schnell die Hemmung und lernen relativ<br />

problemlos, angemessen mit ihnen umzugehen.<br />

Aber was ist mit den Menschen, die noch<br />

in einer exklusiven Bildungslandschaft aufgewachsen<br />

sind? Was kann ihnen helfen, die Angst<br />

oder auch nur Scheu vor dem Umgang mit Behinderungen<br />

zu überwinden?<br />

Am besten der eigene Wille, es einfach<br />

mal zu versuchen.<br />

Sie sind nicht nur Kinderarzt und Genforscher,<br />

sondern auch Autor mehrerer Kinder- und Sachbücher,<br />

die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen,<br />

wie Menschen mit Behinderung unsere Gesellschaft<br />

bereichern. In Ihrem 2014 im Neufeld<br />

Verlag erschienenen Buch »Was soll aus diesem<br />

Kind bloß werden?« haben Sie sieben Menschen<br />

mit Down-Syndrom porträtiert und damit<br />

gezeigt, wie eine gelungene Inklusion von Menschen<br />

mit Behinderung in der Arbeitswelt aussehen<br />

kann. Welche Rückmeldungen haben Sie<br />

auf dieses Buch, das bereits seine 2. Auflage erlebt<br />

hat, bekommen?<br />

Mehr als erwartet. Es gab Rückmeldungen<br />

von Eltern, die zeigen, dass diese<br />

Geschichten tatsächlich Mut machen, dass<br />

sie den Blick auf das lenken, was Menschen<br />

mit Down-Syndrom können. Unser<br />

Bundespräsident Joachim Gauck schrieb,<br />

er freue sich über die Zuversicht, die das<br />

Buch ausstrahle und die in unserem Land<br />

gebraucht werde. Auch der Brief eines Bischofs,<br />

der mich wissen ließ, dass er aktiv<br />

zur Verbreitung des Buches beiträgt, hat<br />

mich sehr berührt. Gestaunt habe ich, auf<br />

welch originellen Wegen es in die Hände<br />

von Firmenchefs, also potenziellen<br />

Arbeitgebern, gelangt ist <strong>–</strong> oder zu einer<br />

Schwangeren, die voller Angst war, weil<br />

man bei ihrem Baby im Bauch eine verdickte<br />

Nackenfalte festgestellt hatte. Sie<br />

hat Kraft für das »Ja« zu ihrem Kind aus<br />

diesem Buch gewonnen, zusammen mit<br />

der Erkenntnis, dass auch aus Kindern<br />

mit Down-Syndrom etwas werden kann.<br />

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?<br />

Und wenn ja, was ist davon schon mitteilbar?<br />

Im Sommerurlaub möchte ich ein anderes<br />

Buch abschließen, in dem es nicht<br />

um die Arbeitswelt geht, sondern um Inklusion<br />

im privaten Umfeld: Es erzählt<br />

von Menschen mit unterschiedlichen<br />

Handicaps, die den Wunsch nach einer<br />

eigenen Familie trotzdem verwirklicht<br />

haben. Und von Kindern, die ihre Eltern,<br />

obwohl sie anders sind, nicht weniger<br />

lieben.<br />

Es soll im Frühjahr 2016 im Neufeld<br />

Verlag erscheinen. Patienten in meiner<br />

Spezialambulanz fragen mich immer wieder:<br />

»Kann so jemand wie ich auch mal<br />

heiraten und Kinder bekommen?« Darauf<br />

zu antworten, fiel mir anfangs schwer.<br />

Deshalb habe ich sehr genau hingehört,<br />

wenn Menschen mit Behinderung über<br />

ihre Erfahrungen sprachen, und einige<br />

haben mir erlaubt, ihre persönliche Geschichte<br />

weiterzuerzählen.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 11


B I O E T H I K - S P L I T T E R<br />

+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio<br />

Der EGMR in Straßburg<br />

CHERRYX<br />

EGMR: Es gibt kein Recht<br />

auf einen assistierten Suizid<br />

Straßburg (<strong>ALfA</strong>). Es gibt kein Grundrecht<br />

auf assistierten Suizid. Das hat Mitte<br />

Juli der Europäische Gerichtshof für<br />

Menschenrechte (EGMR) in Straßburg<br />

bekräftigt (Az.: 2478/15). Die Richter wiesen<br />

die Klage einer Britin als unbegründet<br />

ab. Mit der Klage wollte die Frau die<br />

vermeintlichen Rechte ihres inzwischen<br />

verstorbenen Mannes geltend machen.<br />

Nach einem Schlaganfall litt dieser unter<br />

dem Locked-in-Syndrom: Er war bei<br />

vollem Bewusstsein, sein Körper aber fast<br />

völlig gelähmt. Laut den britischen Gerichten<br />

habe er sterben wollen, sei aber<br />

aufgrund seiner Lähmungen nicht in der<br />

Lage gewesen, sich ohne fremde Hilfe das<br />

Leben zu nehmen.<br />

Beihilfe zum Suizid ist in Großbritannien<br />

strafbar und kann mit bis zu 14 Jahren<br />

Haft geahndet werden. Mit der Klage<br />

wollte der Mann erreichen, dass die<br />

britischen Gerichte seinen Sterbewunsch<br />

akzeptieren. Dies war jedoch bis hinauf<br />

zum Obersten Gerichtshof erfolglos geblieben.<br />

Daraufhin verweigerte der Mann<br />

die weitere Aufnahme von Nahrung, Flüssigkeit<br />

und Medikamenten und starb im<br />

August 2012. Seine Ehefrau rief später<br />

den EGMR an. Das Verbot des assistierten<br />

Suizids, die Strafandrohung bei entsprechender<br />

Hilfe sowie das Urteil des<br />

Obersten Gerichtshofs in Großbritannien<br />

hätten das Grundrecht ihres Mannes<br />

auf Privat- und Familienleben verletzt.<br />

Der EGMR wies die Beschwerde ab. In<br />

ihrer Begründung beriefen sich die Richter<br />

auf ein Urteil vom 29. April 2002 (Az.:<br />

2346/02). Damals hatten die Straßburger<br />

Richter eine Britin mit einer unheilbaren,<br />

zuletzt ebenfalls zu völliger Lähmung<br />

führenden Muskelschwäche abgewiesen.<br />

Ein Recht auf assistierten Suizid<br />

lasse sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

nicht unmittelbar ableiten.<br />

Unter den Zeichnerstaaten gebe es<br />

auch keinerlei Konsens in dieser Frage.<br />

Daher hätten die Staaten bei deren Regelung<br />

einen weiten Spielraum.<br />

In dem von den Richtern nun zu entscheidenden<br />

Fall hatte die Ehefrau einen<br />

gesellschaftlichen Wandel geltend<br />

zu machen versucht. Die Bereitschaft, einen<br />

assistierten Suizid zu akzeptieren, sei<br />

deutlich gewachsen. Dem hat der EGMR<br />

nun widersprochen. Ein Konsens in dieser<br />

Frage sei nicht in Sicht. In dieser Situation<br />

biete die Menschenrechtskonvention<br />

den britischen Gerichten keinerlei<br />

Handhabe, sich über die Gesetzesentscheidungen<br />

des Parlaments hinwegzusetzen.<br />

Die Beschwerde sei offensichtlich<br />

unbegründet und daher unzulässig,<br />

befanden die Straßburger Richter. san<br />

Weihbischof Anton Losinger<br />

Losinger für neues<br />

Reproduktionsmedizin-Gesetz<br />

Berlin (<strong>ALfA</strong>). Augsburgs Weihbischof<br />

Anton Losinger hält es für notwendig,<br />

Gesetze wie das Embryonenschutzgesetz,<br />

das Gentechnikgesetz und<br />

das Stammzellgesetz zu novellieren und<br />

»zu einem großen Reproduktionsmedizin-Gesetz<br />

zusammenzuführen«.<br />

Im Interview mit dem »Berliner Tagesspiegel«<br />

(Ausgabe vom 2. August) sagte<br />

Losinger, der auch Mitglied des Deutschen<br />

Ethikrates ist, mittlerweile könnten<br />

menschliche Körperzellen »so reprogrammiert<br />

werden, dass daraus pluripotente<br />

Zellen entstehen. Aus ihnen kann<br />

man Nerven-, Muskel-, Leber- oder Blutzellen<br />

generieren.« Das sei ethisch unbedenklich.<br />

In Kürze würden Forscher<br />

jedoch in der Lage sein, aus menschlichen<br />

Körperzellen totipotente Zellen zu<br />

entwickeln. »Das wäre ein gigantischer<br />

Sprung«, so Losinger. »Denn aus totipotenten<br />

Zellen lassen sich Funktionen und<br />

WWW.CDUCSU.DE<br />

Fähigkeiten eines menschlichen Embryos<br />

herstellen.« Menschen wären dann »in der<br />

Lage, Menschen zu konstruieren <strong>–</strong> nach<br />

eigenen Vorstellungen«. Dies bedrohe<br />

die Einmaligkeit des Menschen. »Jeder<br />

Mensch hat ein Recht auf Einmaligkeit<br />

und eine eigene Würde. Kein Mensch<br />

darf sich anmaßen, willkürlich die genetischen<br />

Merkmale eines anderen zu bestimmen.<br />

Das Klonen würde der Selektion<br />

von Menschen mit vermeintlich höheren<br />

Qualitäten Tür und Tor öffnen.«<br />

Ein Mensch dürfe aber niemals »Mittel<br />

zum Zweck« werden, so Losinger weiter.<br />

Die »gesetzlichen Strukturen« zu einem<br />

Reproduktionsmedizin-Gesetz zusammenzuführen,<br />

hält der Weihbischof<br />

für einen »notwendigen Ansatz«. Wichtig<br />

sei, »dass dabei die hohen ethischen<br />

Standards gewahrt bleiben. Der Lebensschutz<br />

für Embryonen, den das Embryonenschutzgesetz<br />

garantiert, darf nicht angetastet<br />

werden«, fordert Losinger. reh<br />

Mütter nur noch selten<br />

»guter Hoffnung«<br />

Gütersloh (<strong>ALfA</strong>). So gut wie alle<br />

Schwangeren (99 Prozent) nehmen mittlerweile<br />

Vorsorgemaßnahmen in Anspruch,<br />

die in den Mutterschafts-Richtlinien gar<br />

nicht vorgesehen sind. Hierzu zählen etwa<br />

mehr als drei Ultraschalluntersuchungen<br />

sowie Blut- oder Herztonmessungen. So<br />

lautet das Ende Juli präsentierte Ergebnis<br />

einer Studie der Bertelsmann Stiftung,<br />

für die knapp 1.300 Mütter kurz nach der<br />

Geburt befragt wurden. Nahezu unerheblich<br />

war dabei, ob bei den Frauen eine sogenannte<br />

Risikoschwangerschaft oder ein<br />

unauffälliger Verlauf vorlag. Laut der Studie<br />

ließen 49 Prozent der Frauen mit normal<br />

verlaufender Schwangerschaft fünf und<br />

mehr Ultraschalluntersuchungen durchführen.<br />

Nahezu jede ließ eine Kardiotokographie<br />

(CTG) durchführen. Beim CTG<br />

werden die Herztöne des Kindes und die<br />

Wehen der Mutter erfasst. Vier von fünf<br />

Frauen haben für die oft unnötigen Untersuchungen<br />

auch ins eigene Portmonee<br />

gegriffen. Laut den Autoren der Studie<br />

hatten weder das Alter (Frauen ab 35 Jahren<br />

gelten automatisch als Risikoschwangere)<br />

noch das Einkommen oder der Bildungsabschluss<br />

der Schwangeren einen<br />

Einfluss darauf, ob die Frauen Zusatzuntersuchungen<br />

in Anspruch nahmen oder<br />

nicht. »Mehr ist nicht zwingend besser.<br />

+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio<br />

12<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


Es gibt eine klare Überversorgung während<br />

der Schwangerschaft«, erklärte Uwe<br />

Schenk, Gesundheitsexperte der Bertelsmann<br />

Stiftung. Experten fürchten, eine<br />

Schwangerschaft werde immer häufiger<br />

als etwas Krankhaftes und Behandlungswürdiges<br />

verstanden.<br />

reh<br />

Verkaufsboom bei<br />

»Pille danach« hält an<br />

Berlin (<strong>ALfA</strong>). Die Handlungsempfehlungen<br />

für den rezeptfreien Verkauf<br />

der »Pille danach« in Apotheken lassen<br />

weiter auf sich warten. Die Empfehlungen<br />

würden noch an einigen Stellen<br />

überarbeitet, sagte eine Sprecherin der<br />

Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände<br />

Ende Juli der Katholischen<br />

Nachrichten-Agentur. Die Grundprinzipien<br />

der bisherigen Empfehlungen blieben<br />

erhalten.<br />

Seit Mitte März ist die »Pille danach«<br />

in deutschen Apotheken rezeptfrei erhältlich.<br />

Versandapotheken wurden von<br />

der Abgabe ohne Rezept ausgenommen,<br />

um Missbrauch zu verhindern. Die Bundesvereinigung<br />

der Apothekerverbände<br />

hatte Ende Januar erste Handlungsempfehlungen<br />

und eine Checkliste veröffentlicht.<br />

Darin heißt es, der Apotheker<br />

solle die »Pille danach« der Kundin<br />

persönlich und möglichst nicht auf Vorrat<br />

verkaufen. Bei minderjährigen Kundinnen<br />

weisen die Verbände auf die besondere<br />

Sorgfaltspflicht hin. Eine Abgabe<br />

ist aber laut Verordnung grundsätzlich<br />

an »Frauen im gebärfähigen Alter«<br />

rechtens. Die endgültige Verkaufsentscheidung<br />

liege beim Apotheker, betonte<br />

die Sprecherin.<br />

Frauenärzte hatten unter anderem kritisiert,<br />

dass die Empfehlungen nicht ausreichende<br />

Informationen über die nachlassende<br />

Wirksamkeit des Präparats bei<br />

einer Zunahme des Gewicht enthielten.<br />

Seit der Rezeptfreigabe der »Pille danach«<br />

wurden in Deutschland bis Ende<br />

Mai 167.500 Packungen über den Tresen<br />

gereicht. Das teilte der Gesundheitsinformationsdienst<br />

»IMS Health« mit.<br />

Im Vergleichszeitraum des Vorjahres seien<br />

es 119.800 Packungen gewesen. Das<br />

entspreche einem Anstieg von nahezu 40<br />

Prozent. Vor allem in ostdeutschen Bundesländern<br />

stieg der Verkauf stark an. Den<br />

höchsten Anstieg gab es in Brandenburg<br />

und Sachsen-Anhalt mit einem Plus von<br />

mehr als 74 Prozent im Vergleich zum<br />

Zeitraum März bis Mai 2014. In Sachsen<br />

und Bremen betrug der Anstieg rund<br />

67 Prozent. Am geringsten fiel der Anstieg<br />

im Saarland und in Berlin aus mit<br />

einem Plus von rund 21 beziehungsweise<br />

27 Prozent.<br />

reh<br />

Wertvolles Gut: Menschliche Organe<br />

Zahl der Organspender<br />

wieder gestiegen<br />

Frankfurt am Main (<strong>ALfA</strong>). Die Zahl<br />

der Organspender in Deutschland ist im<br />

ersten Halbjahr <strong>2015</strong> erstmals seit längerem<br />

wieder gestiegen. Von Januar bis<br />

Ende Juni gab es 464 Organspender gegenüber<br />

435 im Vergleichszeitraum des<br />

Vorjahres. Dies teilte die Deutsche Stiftung<br />

Organtransplantation (DSO) Ende<br />

Juli in Frankfurt mit.<br />

»Damit ist der seit einigen Jahren anhaltende<br />

Abwärtstrend bei der Organspende<br />

durchbrochen« wird der Medizinische<br />

Vorstand der DSO, Axel Rahmel,<br />

zitiert. Rahmel sprach von einer »vorsichtigen<br />

Hoffnung«, dass sich »die Organspendezahlen<br />

weiter erholen«. Allerdings<br />

sei es zu früh, »um von einer echten<br />

Trendwende bei der Organspende zu<br />

sprechen«. Nachdem in mehreren Transplantationszentren<br />

Manipulationen bei<br />

der Verteilung von Organen aufgedeckt<br />

wurden, ging die Zahl der Organspenden<br />

in Deutschland in den vergangenen<br />

Jahren zurück. Im ersten Halbjahr 2010<br />

hatten noch 648 Menschen Organe gespendet.<br />

reh<br />

DANIEL RENNEN<br />

PID: Ethikkommission<br />

konstituiert<br />

Stuttgart (<strong>ALfA</strong>). Die gemeinsame<br />

PID-Ethikkommission der Länder Baden-Württemberg,<br />

Hessen, Rheinland-<br />

Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen<br />

zur Durchführung der Präimplantationsdiagnostik<br />

(PID) hat sich am 15.<br />

Juli <strong>2015</strong> konstituiert. Sie wurde gemäß<br />

Staatsvertrag bei der Landesärztekammer<br />

Baden-Württemberg eingerichtet.<br />

Die PID-Ethikkommission hat die Aufgabe,<br />

Anträge auf Durchführung einer<br />

Präimplantationsdiagnostik zu bewerten.<br />

Nach dem Willen des Gesetzgebers ist eine<br />

solche Behandlung nur ausnahmsweise<br />

und nur unter strengen Voraussetzungen<br />

zuzulassen.<br />

Der Kommission gehören acht Mitglieder<br />

an: Vier medizinische Sachverständige<br />

aus den durch die PID berührten<br />

Fachrichtungen, jeweils ein Sachverständiger<br />

oder eine Sachverständige der<br />

Fachrichtungen Ethik und der Fachrichtung<br />

Recht. Ferner jeweils ein Vertreter<br />

einer Organisation, die sich maßgeblich<br />

für die Wahrnehmung der Interessen der<br />

Patienten engagiert, sowie ein Vertreter<br />

einer Organisation, die sich maßgeblich<br />

für die Wahrnehmung der Interessen der<br />

Selbsthilfe der Menschen mit Behinderung<br />

engagiert. Jedes Mitglied hat zwei<br />

Stellvertreter.<br />

Zur Vorsitzenden wählten die Mitglieder<br />

der Kommission einstimmig Dr.<br />

med. Gabriele du Bois aus Böblingen.<br />

Die Fachärztin für Humangenetik ist seit<br />

Jahren im Ethikausschuss des Deutschen<br />

Ärztinnenbundes aktiv und seit 2011 auch<br />

dessen erste Vorsitzende.<br />

Im März dieses Jahres hatte sich die<br />

Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik<br />

konstituiert. Sie<br />

wird von Prof. Dr. med. Hugo Segerer<br />

geleitet. Segerer ist Professor und Chefarzt<br />

der Neonatologie und Diabetologie<br />

im St. Hedwig Krankenhaus der Barmherzigen<br />

Brüder. Aufgabe der Ethikkommission<br />

ist es zu prüfen, ob eine medizinische<br />

Indikation vorliegt, die zur Vornahme<br />

einer PID berechtigt. Die Kommission<br />

ist für alle vier im Freistaat angesiedelten<br />

PID-Zentren zuständig und soll<br />

gewährleisten, dass in ganz Bayern nach<br />

einheitlichen Kriterien entschieden wird.<br />

»Die genetische Untersuchung von Embryonen<br />

ist ein ethisch-moralisches und<br />

rechtliches Spannungsfeld. Klar ist: Die<br />

PID darf auf keinen Fall als ein Selektionsinstrument<br />

wahrgenommen werden«,<br />

betonte Bayerns Gesundheitsministerin<br />

Melanie Huml.<br />

pd/reh<br />

ethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethikethik-Splitter<br />

+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 13


A U S L A N D<br />

Kinder sind keine Waren<br />

Im Mai dieses Jahres hat das höchste Gericht der Schweiz einem homosexuellen Paar die Anerkennung<br />

eines mittels Leihmutterschaft in den USA gezeugten Kindes als leibliches Kind<br />

beider Männer verweigert und dafür in vielen Medien harsche Kritik geerntet. Ende Juli hat das<br />

Bundesgericht nun sein schriftliches Urteil veröffentlicht. Eine lohnende Lektüre.<br />

Von Sebastian Sander<br />

EINE VORBEMERKUNG<br />

Manches stellt man heute besser gleich<br />

am Anfang klar. In diesem Beitrag geht<br />

es nicht um Homosexualität, sondern um<br />

künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft.<br />

Auf die Gefahr hin, dass der Autor<br />

den einen oder anderen Leser enttäuscht,<br />

es geht hier auch nicht um die<br />

Frage, was sündhafte Sexualität ist, sondern<br />

darum, was Recht und Unrecht ist.<br />

Nicht vor Gott, sondern vor dem Gesetz.<br />

Dass das Paar, das von Schweizer<br />

Behörden die Anerkennung eines auf solche<br />

Weise gezeugten Kindes verlangte,<br />

ein homosexuelles ist, das in einer eingetragenen<br />

Lebensgemeinschaft lebt, spielt<br />

bei dem bemerkenswerten Urteil, das die<br />

Schweizer Bundesrichter bereits im Mai<br />

fällten und dessen schriftliche Fassung sie<br />

nun veröffentlichten, keine Rolle. Es hätte<br />

auch ein heterosexuelles sein können.<br />

In der Schweiz ist <strong>–</strong> wie in Deutschland <strong>–</strong><br />

nicht Homosexualität verboten, sondern<br />

die Leihmutterschaft, und das unabhängig<br />

vom Zivilstand der Betroffenen. Natürlich<br />

steht es jedem trotzdem frei, den<br />

Schweizer Bundesrichtern und/oder dem<br />

Autor dieses Beitrags einen Hang zur Homophobie<br />

zu unterstellen. Es wäre allerdings<br />

wahrheitswidrig.<br />

DIE VORGESCHICHTE<br />

DANIEL RENNEN<br />

fügte das Gericht, in der Geburtsurkunde<br />

des Kindes die Namen der beiden Männer<br />

einzutragen.<br />

Zurück in der Schweiz bemühten sich<br />

die beiden Männer um die Anerkennung<br />

des ausländischen Gerichtsurteils und der<br />

daraufhin ergangenen Geburtsurkunde<br />

und beantragten eine entsprechende<br />

Eintragung in das Personenstandsregister.<br />

Nachdem das zuständige Amt dies<br />

abgelehnt hatte, legten die beiden Männer<br />

Beschwerde gegen die Entscheidung<br />

ein. Nach mehreren Instanzen landete<br />

der Fall schließlich vor dem Schweizerischen<br />

Bundesgericht.<br />

DAS URTEIL<br />

In ihrem Urteil (5A_748/2014) weisen<br />

die obersten Schweizer Richter darauf<br />

hin, dass sowohl die Schweizer Bundesverfassung<br />

als auch das Schweizer<br />

Fortpflanzungsmedizingesetz sämtliche<br />

14<br />

Es gibt Dinge, die man nicht mieten können sollte: etwa den Bauch einer Frau<br />

Am 11. April 2011 erblickte in Bakersfield<br />

im US-Bundesstaat Kalifornien<br />

ein Kind das Licht der Welt, das auf<br />

natürliche Weise gar nicht hätte entstehen<br />

können. Denn das Kind wurde in einem<br />

Labor aus einem Spermium seines<br />

Vaters und einer von einer anonymen<br />

Frau gespendeten Eizelle gezeugt. Anschließend<br />

wurde die so befruchtete Eizelle<br />

in die Gebärmutter einer anderen<br />

Frau transferiert, mit welcher der Vater<br />

und sein homosexueller Partner im Juli<br />

2010 einen Leihmuttervertrag geschlossen<br />

hatten. Das Paar lebt in der Schweiz,<br />

wo es am 11. Februar 2011 seine Lebensgemeinschaft<br />

eintragen ließ.<br />

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten<br />

erwirkte das Paar am 24. Februar<br />

2011 zudem ein Vaterschaftsurteil des<br />

Superior Courts des County of Kern von<br />

Kalifornien, welches den Spermienspender<br />

zum genetischen und leiblichen Vater<br />

und dessen Partner zum vermuteten<br />

zweiten leiblichen Vater des noch ungeborenen<br />

Kindes erklärte. Außerdem ver-<br />

Formen der Leihmutterschaft verböten.<br />

In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung<br />

führen die Richter dazu aus: »Das Verbot<br />

der Leihmutterschaft wird mit dem<br />

Schutz der Frau vor Instrumentalisierung<br />

und mit dem Schutz des Kindeswohls begründet.<br />

(...) Die biologische (austragende)<br />

Mutter soll nicht dem Konflikt zwischen<br />

der psychischen Bindung an ihr Kind und<br />

der Zusage gegenüber den Wunscheltern<br />

ausgesetzt werden und das Kind ist davor<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


zu schützen, dass es zur Ware degradiert<br />

wird, die man bei Dritten bestellen könne.«<br />

Das Verbot der Leihmutterschaft gelte<br />

»unabhängig vom Zivilstand«.<br />

Der US-amerikanische Vaterschafts-<br />

Entscheid könne in der Schweiz nicht anerkannt<br />

werden, da er mit dem »Ordre<br />

public«, den inländischen Wertvorstellungen,<br />

»schlechthin unvereinbar wäre«.<br />

Dabei halten die Richter ausdrücklich<br />

fest, das kalifornische Urteil sei nicht<br />

deshalb »Ordre public-widrig«, »weil es<br />

ein Kindesverhältnis zu zwei miteinander<br />

rechtlich verbundenen Männern herstellt«.<br />

Eine im Ausland ausgesprochene<br />

Stiefkindadoption sei auch bei eingetragenen<br />

Lebenspartnern »grundsätzlich anerkennbar«<br />

und verstoße »nicht per se gegen<br />

den schweizerischen Ordre public«.<br />

Und das, obwohl in der Schweiz Homosexuellen<br />

die Adoption eines Kindes, das<br />

einer der Partner aus einer früheren heterosexuellen<br />

Verbindung mitbringt, bislang<br />

rechtlich untersagt ist.<br />

Die beiden Männer hätten jedoch, als<br />

sie in den USA einen Leihmutterschaftsvertrag<br />

abschlossen, die für die Schweiz<br />

geltende Rechtsordnung bewusst umgangen.<br />

Dass die beiden Männer »als schweizerische<br />

Staatsangehörige mit Wohnsitz<br />

in der Schweiz, ohne weiteren Bezug zu<br />

Kalifornien <strong>–</strong> die Leihmutterschaft gerade<br />

zur Vermeidung des schweizerischen<br />

Verbots in Kalifornien« vereinbart und<br />

durchgeführt hätten, stelle eine »rechtlich<br />

relevante Rechtsumgehung dar«.<br />

»Grund dafür ist«, so die Richter weiter,<br />

»dass die Rechtsordnung offensichtlich<br />

um die von ihr beabsichtigte Wirkung<br />

ihrer Vorschriften gebracht werden soll,<br />

wobei diese Vorschriften vor der Verletzung<br />

der Moral, das öffentliche Interesse<br />

und die Menschenwürde schützen sollen«.<br />

Da das Kind aber an der Rechtsumgehung<br />

der »Wunscheltern« keine Schuld<br />

trage, prüften die Richter auch, ob die Anerkennung<br />

der in den USA ausgestellten<br />

Geburtsurkunde im Interesse des Kindeswohls<br />

sein könne.<br />

In ihrer schriftlichen Urteilsbegründung<br />

führen sie dazu aus: »Wohl ist es<br />

möglich, dass die Anerkennung eines ausländischen<br />

Leihmutterschaftsurteils im<br />

Interesse des Kindes ist.« »Ebenso gut«<br />

sei jedoch denkbar, »dass sich ein Leihmutterschaftskind<br />

später als Objekt des <strong>–</strong><br />

durch das Recht verbotenen <strong>–</strong> Vorgehens<br />

sieht. In diesem Fall würde ihm die Gültigerklärung<br />

der Verbotsüberschreitung<br />

jedes Recht absprechen, sich als Opfer<br />

zu fühlen.« »Sicher« sei jedenfalls, »dass<br />

der Schutz des Kindes davor, zur Ware<br />

degradiert zu werden, die man bei Dritten<br />

bestellen kann, aber auch der Schutz<br />

DANIEL RENNEN<br />

der Leihmutter vor der Kommerzialisierung<br />

ihres Körpers, bedeutungslos wäre,<br />

wenn die Rechtsumgehung der Wunscheltern<br />

nachträglich gültig erklärt würde.«<br />

Ferner würde »die Verneinung der<br />

Ordre public-Widrigkeit« die »rechtsanwendenden<br />

Behörden zwingen, ein durch<br />

Rechtsumgehung erreichtes Kindesverhältnis<br />

als fait accompli (Anm. der. Redaktion:<br />

vollendete Tatsache) zu akzeptieren,<br />

womit der Fortpflanzungstourismus<br />

gefördert würde und das inländische<br />

Leihmutterschaftsverbot weitgehend wirkungslos<br />

wäre«.<br />

KONSEQUENZEN UND LEHREN<br />

Die Richter verfügten, dass die kalifornische<br />

Geburtsurkunde von den Schweizer<br />

Behörden insoweit anzuerkennen sei,<br />

soweit diese das Abstammungsverhältnis<br />

des Kindes zu seinem genetischen Vater<br />

beurkunde. Nicht anerkannt werde dagegen<br />

die Geburtsurkunde, soweit damit<br />

ein Kindesverhältnis zwischen dem mittels<br />

künstlicher Befruchtung gezeugten<br />

Kind und dem Lebenspartner des genetischen<br />

Vaters konstruiert wurde. Stattdessen<br />

wiesen die Richter die zuständige<br />

Behörde an, »zusätzlich zum Kindesverhältnis<br />

gemäss Geburtsurkunde folgende<br />

Angaben zur Abstammung einzutragen:<br />

Genetische Mutter: anonyme Eizellspenderin«.<br />

Zu vermerken sei im Personenstandsregister<br />

ferner: »Gebärende Mutter:«<br />

und dahinter seien der Name, das<br />

Geburtsdatum sowie der Wohnsitz der<br />

Leihmutter einzutragen.<br />

Schweizer Bundesgericht: Leihmutterschaft verstößt gegen den »Ordre public«<br />

Für Lebensrechtler in Deutschland ist<br />

das Urteil der obersten Schweizer Richter<br />

in mehrfacher Hinsicht ermutigend:<br />

Denn auch Deutschland steht eine Debatte<br />

über eine Liberalisierung des Verbots<br />

der Leihmutterschaft wie der Eizellspende<br />

bevor. Und auch deutsche Paare<br />

<strong>–</strong> homosexuelle, aber auch heterosexuelle<br />

<strong>–</strong> umgehen längst das geltende deutsche<br />

Recht, indem sie im Ausland sittenwidrige<br />

Leihmutterschaftsverträge abschließen<br />

und anschließend über die deutschen Botschaften<br />

im Ausland eine Anerkennung<br />

des gewünschten statt des tatsächlichen<br />

Elternverhältnisses anstreben.<br />

Bedenkt man, dass bei den mehrstufigen<br />

Verfahren der Laborzeugung auf jeder<br />

Stufe menschliche Embryonen sterben<br />

oder gar gezielt selektiert und getötet<br />

werden, so muss das Urteil der Schweizer<br />

Bundesrichter von Lebensrechtlern als<br />

wegweisend betrachtet werden. Der Staat<br />

kann zwar seine Bürger letztlich nicht daran<br />

hindern, etwas zu begehren und sich<br />

andernorts auch zu beschaffen, das hierzulande<br />

aus guten Gründen verboten ist.<br />

Aber er muss sich von ihnen auch nicht für<br />

dumm verkaufen lassen und ihre rechtswidrigen<br />

Handlungen im Nachhinein zu heilen<br />

suchen. Dass Letzteres auch nicht im<br />

Interesse des Wohles eines unschuldigen<br />

Kindes ist, haben die Richter des Schweizer<br />

Bundesgerichts in ihrem höchstrichterlichen<br />

Urteil eindrucksvoll hervorgehoben.<br />

Vor allem aber hat der Staat dafür<br />

Sorge zu tragen, dass Menschen nicht als<br />

Ware (Kind) und Mittel zu ihrer Produktion<br />

(Leihmutter) herabgewürdigt werden.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 15


A U S L A N D<br />

Fällt das Verbot der<br />

Abtreibung in Chile?<br />

Kommt nach Irland nun Chile an die Reihe? Geht es nach Chiles Präsidentin Michelle Bachelet,<br />

dann gehört das Abtreibungsverbot, das in dem Andenstaat seit mehr als 25 Jahren gilt,<br />

bald der Vergangenheit an. Anfang des Jahres reichte sie eine Gesetzesvorlage ein, mit der sich nun<br />

der Kongress befasst hat. Wie auch immer das parlamentarische Verfahren am Ende ausgeht,<br />

eines hat Bachelet bereits erreicht: Das traditionell katholische Land ist gespalten.<br />

Von Eckhardt Meister<br />

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert<br />

gehört Chile<br />

zu den Ländern der Welt,<br />

in denen vorgeburtliche Kindstötungen<br />

noch ausnahmslos verboten<br />

sind. Dass es dabei auch in<br />

Zukunft bleiben wird, ist nun allerdings<br />

erstmals fraglich. Anfang<br />

August stimmte der Gesundheitsausschuss<br />

der großen Kammer<br />

des chilenischen Parlaments<br />

mit acht gegen fünf Stimmen für<br />

die Behandlung einer Gesetzesvorlage,<br />

mit der Chiles sozialistische<br />

Präsidentin Michelle Bachelet<br />

ein Wahlversprechen einzulösen<br />

gedenkt.<br />

Bachelets Gesetzentwurf sieht<br />

vor, Abtreibungen in Teilen zu legalisieren.<br />

Ihm zufolge sollen vorgeburtliche<br />

Kindstötungen in dem<br />

Andenstaat zukünftig erlaubt sein,<br />

wenn das Leben der Mutter in Gefahr<br />

ist, das Kind bei einer Vergewaltigung<br />

gezeugt wurde oder<br />

Ärzte bei ihm eine schwere Missbildung<br />

diagnostizieren.<br />

Die Reform der chilenischen<br />

Abtreibungsgesetzgebung ist Teil<br />

des Regierungsprogramms, mit<br />

dem Bachelet, eine ausgebildete<br />

Kinderärztin, 2013 die Wahlen in<br />

Chile gewann. Stimmt die Abgeordnetenkammer<br />

der Gesetzesvorlage<br />

zu, muss sie noch durch den<br />

Senat. Und selbst dann wäre das<br />

Ende der Fahnenstange womöglich<br />

noch nicht erreicht. Nicht<br />

wenige Experten halten es nämlich<br />

durchaus für möglich, dass<br />

das Gesetzesvorhaben am Ende<br />

PA Z I F I K<br />

C H I L E<br />

B O L I V I E N<br />

A R G E N T I N I E N<br />

AT L A N T I K<br />

DANIEL RENNEN<br />

vor dem Verfassungsgericht des<br />

Landes landen werde: Ausgang<br />

ungewiss.<br />

Sicher ist hingegen, dass das<br />

Vorhaben der Generalstochter das<br />

Parlament und auch weite Teile<br />

der Bevölkerung in dem traditionell<br />

katholischen Land spaltet. Als<br />

symptomatisch für das Ausmaß der<br />

Spaltung können zwei Kampagnen<br />

betrachtet werden, die mit überaus<br />

drastischen Mitteln für beziehungsweise<br />

gegen die Liberalisierung<br />

vorgeburtlicher Kindstötungen<br />

zu Felde ziehen.<br />

Auf der einen Seite steht die Organisation<br />

»Miles Chile«, die für<br />

die sogenannten »Reproduktiven<br />

Rechte« von Frauen eintritt. Sie<br />

wirbt in professionell gemachten<br />

Videos, die im Internet unter dem<br />

Namen »Abortion Tutorials« firmieren,<br />

für das Gesetzesvorhaben.<br />

In den ziemlich geschmacklosen<br />

Clips gibt eine junge Frau ihren<br />

Geschlechtsgenossinnen »Tipps«,<br />

wie sie in Chile trotz des Abtreibungsverbots<br />

eine vorgeburtliche<br />

Kindstötung erreichen könnten. So<br />

sollten abtreibungswillige Frauen<br />

etwa dafür sorgen, dass sie von einem<br />

gerade anfahrenden Auto erfasst<br />

würden oder die Absätze ihrer<br />

High-Heels ansägen und dann so<br />

fallen, dass sie mit ihrem schwangeren<br />

Bauch auf die Spitze eines<br />

Hydranten treffen.<br />

Nicht derart zynisch, aber dafür<br />

nicht minder schockierender<br />

kommt die Kampagne »Inform-<br />

Aborto« daher, bei der Lebens-<br />

16<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


echtler mit Kleintransportern und großformatigen<br />

Plakaten, auf denen die Leichen<br />

abgetriebener Kinder zu sehen sind,<br />

durch Chiles Städte touren. Dass auf beiden<br />

Seiten zu derart schweren Geschützen<br />

gegriffen wird, ist sicher nicht nur<br />

dem lateinamerikanischen Temperament<br />

geschuldet, sondern zeigt auch, wie sehr<br />

die Frage das Land spaltet.<br />

»Vergewaltigung ist nach der Abtreibung<br />

der schlimmste Angriff auf Frauen.<br />

Aber bei diesem Verbrechen ist der<br />

Kriminelle der Vergewaltiger, nicht das<br />

Michelle Bachelet<br />

COMANDO MICHELLE BACHELET<br />

Kind. Das Kind ist unschuldig, es ist das<br />

zweite Opfer dieses Verbrechens. Eine<br />

Abtreibung kann das Trauma der Vergewaltigung<br />

nicht ungeschehen machen. Im<br />

Gegenteil. Die Abtreibung fügt diesem<br />

Trauma noch ein weiteres Trauma hinzu.<br />

Und das unschuldige Kind wird getötet«,<br />

sagt Rosana Landaluce, die für die Anti-Abtreibungs-Kampagne<br />

arbeitet. Die<br />

Spanierin ist vor mehr als 20 Jahren nach<br />

Chile gezogen. Sie sei froh, in einem der<br />

letzten Länder der Welt zu leben, das Abtreibung<br />

völlig verbietet. Jetzt kämpfe sie<br />

dafür, dass das so bleibe.<br />

Auch Vertreter der Katholischen Kirche<br />

sind über das Vorhaben betrübt. »Wir<br />

sehen den Vorschlag, Abtreibungen in einzelnen<br />

Fällen zu erlauben, mit einiger Besorgnis,<br />

weil es in der Praxis einen Rückschritt<br />

für unsere Gesellschaft, für unsere<br />

Kultur, bedeuten würde. Wir würden eine<br />

Form von Diskriminierung etablieren:<br />

Wer darf leben? Und wer nicht? Das besorgt<br />

uns <strong>–</strong> sehr«, erklärt Fernando Ramos,<br />

Weihbischof des Erzbistums Santiago<br />

de Chile. »Aufgrund der teils traumatischen<br />

Erfahrungen, die wir in diesem<br />

Land gemacht haben, stellt für uns<br />

die Achtung der Menschenwürde, eines<br />

jeden menschlichen Wesens, den Grundpfeiler<br />

für das Funktionieren unserer Gesellschaft<br />

dar«, sagt Ramos, der damit<br />

auf die Militärdiktatur in Chile anspielt.<br />

Der Erzbischof von Concepción, Fernando<br />

Chomali, sprach gar vom einem<br />

»traurigen Tag für Chile«. Der Gesetzestext,<br />

den die beiden Kammern des Parlaments<br />

beraten werden, sei »taub gegenüber<br />

so vielen wunderbaren Erfahrungen<br />

von Frauen, die dank einer liebevollen Begleitung<br />

oder Hilfe auch unter dramatischen<br />

Umständen ihr Kind zu Welt gebracht<br />

haben«, klagt Chomali. Auch wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse zeigten, »dass<br />

das Leben mit der Empfängnis beginnt«.<br />

»Der Text ist auch taub gegenüber der<br />

Anweisung der chilenischen Verfassung,<br />

die die Pflege und den Respekt vor dem<br />

Leben der Ungeborenen vorschreibt«,<br />

so der Erzbischof weiter, der auch historische<br />

Vergleiche nicht scheut: »Auch<br />

in anderen Ländern hat man damit angefangen,<br />

drei Ausnahmen zuzulassen,<br />

und dann letztlich die freie Abtreibung<br />

erlaubt«, warnt Chomali.<br />

Vorgeburtliche Kindstötungen waren<br />

bei Vorliegen einer medizinischen Indikation<br />

in Chile 1931 legalisiert worden.<br />

Im September 1989 dekretierte jedoch<br />

General Augusto Pinochet, kurz vor der<br />

Aufgabe seiner Macht, ein absolutes Abtreibungsverbot.<br />

Keine der demokratisch<br />

gewählten Regierungen der letzten 25<br />

Jahre hat bisher eine Änderung in dieser<br />

Frage für nötig gehalten.<br />

Im chilenischen Fernsehen begründete<br />

Michelle Bachelet ihren Vorstoß unter<br />

anderen damit, »dass die völlige Kriminalisierung<br />

nicht dazu beigetragen hat,<br />

Abtreibungen zu verhindern«. Wie viele<br />

vorgeburtliche Kindstötungen in Chile<br />

vorgenommen werden, kann niemand<br />

sagen. Harte Zahlen gibt es kaum. Die<br />

Regierung spricht von rund 33.000 Fällen<br />

pro Jahr, die in Krankenhausakten<br />

erfasst worden seien. Strafrechtlich verfolgt<br />

wurden laut einer 2014 veröffentlichten<br />

Studie zwischen Januar 2011 und<br />

September 2012 nur 310 Fälle.<br />

Die Schätzungen von Organisationen,<br />

die Abtreibungen befürworten, sprechen<br />

von 70.000 bis 160.000 Fällen im Jahr, darunter<br />

auch solche, die im Ausland durchgeführt<br />

worden seien.<br />

Dabei ist Chile gar nicht das einzige<br />

Land in Lateinamerika, das vorgeburtliche<br />

Kindstötungen unter allen Umständen<br />

gesetzlich verboten hat. Außer in<br />

Chile existiert auch in Nicaragua, El Salvador<br />

und in der Dominikanischen Republik<br />

ein absolutes Abtreibungsverbot.<br />

K U R Z & B Ü N D I G<br />

Primas Welby gegen Sterbehilfe<br />

London (<strong>ALfA</strong>). Der Primas der anglikanischen<br />

Kirche in England, Erzbischof Justin<br />

Welby, hat vor einer Liberalisierung der<br />

Sterbehilfe in Großbritannien gewarnt. Ein<br />

Recht auf Suizid würde einen »rechtlichen<br />

und ethischen Schritt über den Rubikon«<br />

bedeuten, schrieb der Erzbischof von Canterbury<br />

in einem<br />

Gastbeitrag für den<br />

britischen »Observer«.<br />

Beihilfe zur<br />

Selbsttötung »aus<br />

Mitleid« bliebe in<br />

der Praxis schon<br />

jetzt strafffrei. Ein<br />

entsprechender<br />

Rechtsanspruch<br />

würde auch die<br />

Rolle der Ärzte<br />

grundlegend ändern.<br />

Ein entsprechendes<br />

Gesetz<br />

gefährde »viele<br />

FOREIGN AND COMMONWEALTH OFFICE<br />

Justin Welby<br />

Tausend« schutzbedürftiger Menschen.<br />

Beihilfe zum Suizid ist in Großbritannien<br />

verboten und kann theoretisch mit bis zu 14<br />

Jahren Haft geahndet werden. Das britische<br />

Parlament beriet Mitte September erstmals<br />

über einen Gesetzentwurf, der dies ändern<br />

will. Nach Schätzungen der Senioren-Hilfsorganisation<br />

»Age UK« erlitten jährlich 500.000<br />

alte Menschen in Großbritannien Formen<br />

der Gewalt. Es sei »unmöglich sicherzustellen,<br />

dass sie und andere Schutzbedürftige<br />

nicht unter Druck gesetzt werden, ihr Leben<br />

vorzeitig zu beenden, ohne dass die vorgeschlagenen<br />

Schutzinstanzen dies feststellen<br />

können«, so das Oberhaupt der anglikanischen<br />

Kirche. In den US-Bundesstaaten Oregon<br />

und Washington, in denen Sterbewillige<br />

sich tödliche Pharmaka verschreiben lassen<br />

können, gäben vier beziehungsweise sechs<br />

von zehn Patienten als ein Motiv die Sorge<br />

an, ihren Angehörigen zur Last zu fallen, so<br />

Welby. Mit der gesetzlichen Freigabe des<br />

assistierten Suizids falle »jeder wirksame<br />

Schutz gegen diese Sorge weg«, ganz zu<br />

schweigen von einem »heimlichen Druck«,<br />

der tatsächlich von Verwandten vermittelt<br />

werden könnte. Welby äußerte die Befürchtung,<br />

ein Suizidhilfe-Gesetz leiste einer<br />

Gesellschaft Vorschub, »in der das einzelne<br />

Leben nicht mehr wert ist, geschützt, gewürdigt<br />

und verteidigt zu werden«. Mit dem<br />

katholischen Kardinal Vincent Nichols und<br />

Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften<br />

hatte Welby einen Aufruf gegen das geplante<br />

Gesetz unterzeichnet. Darin heißt es, die<br />

Möglichkeit eines vorzeitigen Todes sei für<br />

die Betreffenden kein Trost, sondern sei eine<br />

zusätzliche Last.<br />

reh<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 17


A U S L A N D<br />

Klare Absage<br />

Mit einer Dreiviertel-Mehrheit hat das britische Unterhaus Anfang September einen Gesetzentwurf<br />

vom Tisch gefegt, der den ärztlich assistierten Suizid in Großbritannien legalisiert hätte.<br />

Auf der Insel ist die Beihilfe zur Selbsttötung eine Straftat. Und auch wenn sie seit langem<br />

längst nicht mehr in jedem Fall verfolgt wird <strong>–</strong> zur Normalität wollen die Briten sie offenbar auch<br />

nicht erheben. Deswegen stimmten sie nun dagegen, sie in die Hände von Ärzten zu legen.<br />

Von Sebastian Sander<br />

Biopolitisch gesehen gehört Großbritannien<br />

zu den liberalsten Ländern<br />

der Erde. 1978 erblickte mit<br />

Louise Brown hier nicht nur das erste mittels<br />

künstlicher Befruchtung im Labor erzeugte<br />

Kind das Licht der Welt. Auf den<br />

britischen Inseln sind längst auch die Forschung<br />

mit embryonalen Stammzellen<br />

und das Klonen menschlicher Embryonen<br />

zu Forschungszwecken legal. Gesetzlich<br />

erlaubt ist ferner die Präimplantationsdiagnostik<br />

(PID), also die Selektion<br />

von im Labor erzeugten Embryonen vor<br />

ihrem Transfer in den Uterus der Mutter.<br />

Und zwar sowohl, um zu verhindern,<br />

dass Eltern genetisch vererbbare Krankheiten<br />

auf ihre Nachkommen übertragen,<br />

als auch, um sogenannte Designer-Babys<br />

zu erzeugen, die als Zellspender für erkrankte<br />

Geschwisterkinder dienen<br />

sollen. Auch die Produktion von<br />

Tier-Mensch-Mischwesen ist<br />

in Großbritannien seit langem<br />

legal. Seit Anfang<br />

dieses Jahres dürfen<br />

Reproduktionsmediziner<br />

hier sogar<br />

Drei-Eltern-Babys<br />

erzeugen.<br />

Es ist nicht so,<br />

dass ethische Argumente<br />

in den biopolitischen<br />

Debatten<br />

der Briten<br />

keine Rolle spielten.<br />

Aber dass sie<br />

sich auf der Insel<br />

besonderer Wertschätzung<br />

erfreuten oder gar ausschlaggebend<br />

wären, wird man auch nicht behaupten<br />

können. Insofern hat auch Experten<br />

die klare Mehrheit überrascht, mit<br />

der das britische Unterhaus Ende vergangener<br />

Woche einen Gesetzentwurf<br />

ablehnte, der auf eine Legalisierung der<br />

Beihilfe zum Suizid abzielte.<br />

I R L A N D<br />

Die ist in Großbritannien laut dem<br />

»Suicide Act« von 1961 strafbar und kann<br />

theoretisch sogar mit bis zu 14 Jahren Haft<br />

geahndet werden. Theoretisch. Denn<br />

in der<br />

Praxis wird davon schon lange kein Gebrauch<br />

mehr gemacht.<br />

DANIEL RENNEN<br />

G R O S S B R I TA N N I E N<br />

2010 erließ der damalige britische<br />

Chefankläger Sir Keir Starmer neue<br />

Richtlinien für den Umgang der Strafverfolgungsbehörden<br />

mit Personen, die<br />

im Verdacht stehen, Beihilfe zum Suizid<br />

geleistet zu haben. In diesen wurden<br />

die Staatsanwälte angewiesen, von einer<br />

Strafverfolgung der Suizidhilfe abzusehen,<br />

wenn »das Opfer eine freie, klare,<br />

geregelte und informierte Entscheidung,<br />

Suizid zu begehen, erreicht« habe und<br />

der Suizidhilfe-Verdächtige »vollständig<br />

von Mitleid motiviert wurde«. Ferner<br />

darf laut den Richtlinien die Handlung<br />

des Helfers, »obwohl ausreichend<br />

um als Straftat definiert zu werden, nur<br />

eine geringe Unterstützung oder Hilfe«<br />

darstellen. Darüber hinaus muss der Suizidhelfer<br />

nach der begangenen Tat den<br />

Suizid des Opfers bei der Polizei melden<br />

und bereit sein, diese »in vollem Umfang<br />

bei der Aufklärung der Umstände«<br />

zu unterstützen.<br />

Vorausgegangen war der Überarbeitung<br />

der Richtlinien ein<br />

Gerichtsurteil. Darin hatten<br />

die auch »Law Lords« genannten<br />

Richter, die zugleich<br />

dem »House of Lords«, also<br />

dem Senat des britischen<br />

Parlaments,<br />

angehören, 2009<br />

verfügt, der britische<br />

Chefankläger<br />

müsse die Kriterien<br />

veröffentlichen,<br />

nach denen er Anklage<br />

in jenen Fällen<br />

zu erheben gedenkt,<br />

in denen britische<br />

Bürger Personen begleiten,<br />

die sich in der Schweiz das Leben<br />

zu nehmen beabsichtigen.<br />

Geklagt hatte die damals 46-jährige<br />

Debbie Purdy. Die an Multipler Sklerose<br />

erkrankte und im Alter von 51 Jahren<br />

18<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


MARCO GOVEL/FOTOLIA.COM<br />

DEUTSCHE STIFTUNG PATIENTENSCHUT<br />

Sitz des bioethisch meist liberalen britischen Parlaments<br />

Eugen Brysch<br />

in einem Hospiz verstorbene Frau, die<br />

sich mit solchen Gedanken trug, wollte<br />

wissen, inwieweit ihrem Mann eine<br />

Strafverfolgung in Großbritannien drohe,<br />

wenn er sie eines Tages in die Schweiz<br />

begleiten sollte.<br />

In ihrem Urteil gingen die Lordrichter<br />

jedoch weit über ihre Aufgabe, Recht<br />

zu sprechen, hinaus. In ihrer 43 Seiten<br />

umfassenden Entscheidung ließen sie<br />

wenig Zweifel daran, dass sie den »Suicide<br />

Act« für hoffnungslos überholt halten.<br />

Und zwar vor allem, weil das Gesetz<br />

dem heute vorherrschenden Verständnis<br />

des Begriffs der Selbstbestimmung keine<br />

Rechnung trage.<br />

Das sieht das britische Unterhaus offenbar<br />

anderes. Mit 330 gegen 118 Stimmen<br />

lehnten die Mitglieder des »House<br />

of Commons« am Freitag einen von dem<br />

Labour-Abgeordneten Rob Marris initiierten<br />

Gesetzentwurf ab. Der sah vor, dass<br />

Patienten mit einer Lebenserwartung von<br />

weniger als sechs Monaten sich von Ärzten<br />

eine tödliche Dosis Medikamente verschreiben<br />

lassen können, um damit Suizid<br />

begehen zu können. Marris begründete<br />

seinen Gesetzentwurf damit, der derzeit<br />

geltenden Gesetzgebung fehle die Ausgewogenheit.<br />

Sie gehe an den Bedürfnissen<br />

von Sterbenskranken, deren Familien<br />

und Ärzten vorbei. Es gebe »zu viele<br />

Amateur-Suizide und zu viele Leute,<br />

die zu Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas<br />

gehen«.<br />

Sein Labour-Kollege Keir Starmer <strong>–</strong><br />

der frühere Chefankläger sitzt seit <strong>2015</strong><br />

im britischen Unterhaus <strong>–</strong> sagte, das geltende<br />

Recht toleriere amateurhafte Suizidbeihilfe<br />

durch mitleidende Angehörige,<br />

schließe aber professionelle Hilfe<br />

aus. Es bleibe dann nur der Ausweg, zum<br />

»Wird bereits nicht verfolgt: Hilfe<br />

zur Selbsttötung ›aus Mitleid‹«<br />

Sterben in die Schweiz zu reisen. Das sei<br />

ungerecht. »Wir sind in unseren eigenen<br />

rechtlichen Arrangements gefangen.«<br />

Dass er dazu maßgeblich beigetragen hat,<br />

indem er die »Beihilfe zur Selbsttötung<br />

aus Mitleid« von der Strafbarkeit ausgenommen<br />

hatte, sagte er nicht.<br />

Die Tories-Abgeordnete Fiona Bruce<br />

erklärte, die Gesetzesvorlage entbehre<br />

derart der Schutzmechanismen für<br />

Patienten, dass es »zum Lachen wäre,<br />

wenn der Gegenstand nicht so ernst wäre«.<br />

Das Parlament habe Wehrlose zu<br />

schützen und »keine Gesetze zu erlassen,<br />

die sie töten«. Ihre Parteifreundin Caroline<br />

Spelman argumentierte, aus einem<br />

»Recht zu sterben« könne »schnell eine<br />

Pflicht zu sterben werden«.<br />

Die Katholische Kirche begrüßte die<br />

Ablehnung des Entwurfs durch gut drei<br />

Viertel der Mitglieder des britischen Unterhauses.<br />

Der stellvertretende Vorsitzende<br />

der Bischofskonferenz von England<br />

und Wales, Erzbischof Peter Smith<br />

von Southwark, erklärte, der Entwurf<br />

enthalte »schwere Risiken« für das Leben<br />

schutzloser Patienten. Es gebe inzwischen<br />

»exzellente Möglichkeiten« für die<br />

Palliativmedizin. Diese sollten im Fokus<br />

der parlamentarischen Debatten stehen.<br />

In Deutschland begrüßte die Deutsche<br />

Stiftung Patientenschutz den Ausgang der<br />

Abstimmung. Der Vorstand der Stiftung,<br />

»Nicht grenzenlos: Das Recht<br />

auf Selbstbestimmung«<br />

Eugen Brysch, erklärte: »Es ist gut, dass<br />

sich Großbritannien gegen jede Form<br />

der organisierten Suizidhilfe ausgesprochen<br />

hat.« Das Votum mache »Mut für<br />

die Sterbehilfediskussion in Deutschland«.<br />

Am 6. November will der Deutsche<br />

Bundestag in Zweiter und Dritter Lesung<br />

abschließend über die rechtliche Neuregelung<br />

der Beihilfe zum Suizid beraten.<br />

Hier ähnelt ein von den Abgeordneten Peter<br />

Hintze (CDU) und Karl Lauterbach<br />

(SPD) initiierter Gesetzentwurf sehr dem<br />

Entwurf, dem das »House of Commons«<br />

jetzt eine klare Absage erteilte. Mit ihm<br />

wollen die Parlamentarier im Bürgerlichen<br />

Gesetzbuch (BGB) festschreiben,<br />

dass Ärzte unheilbar kranke Patienten bei<br />

einem Suizid unterstützen können. Durch<br />

die Regelung im BGB soll das Ärztliche<br />

Standesrecht, das dem bislang entgegensteht,<br />

außer Kraft gesetzt werden.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 19


M E D I Z I N<br />

Künstliche Befruchtung<br />

lässt Gefäße schneller altern<br />

Vom 29. August bis 2. September veranstaltete die Europäische Gesellschaft für Kardiologie einen<br />

Kongress in London. In dessen Verlauf veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für<br />

Kardiologie eine Pressemitteilung, die für Lebensrechtler von besonderem Interesse sein dürfte<br />

und die »<strong>LebensForum</strong>« daher nachfolgend ungekürzt im Wortlaut veröffentlicht:<br />

London/Bern/Berlin, 1. September <strong>2015</strong><br />

<strong>–</strong> Neuere Studien liefern Hinweise darauf,<br />

dass In-vitro-Fertilisation ein neuer<br />

wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-<br />

und Stoffwechsel-Erkrankungen<br />

sein könnte. Das berichtete Dr. Emrush<br />

Rexhaj (Inselspital Bern) auf dem Kongress<br />

der Europäischen Kardiologischen<br />

Gesellschaft (ESC) in London.<br />

Eine kürzlich publizierte Studie über<br />

»Retortenbabies« zeigte eine ausgeprägte<br />

generalisierte Funktionsstörung der Gefäße<br />

und eine deutlich erhöhte Gefäßwanddicke<br />

(Intima-Media Dicke, IMT)<br />

der Halsschlagader im Vergleich zu Kontrollkindern.<br />

Im Gegensatz dazu war die<br />

Gefäß-Funktion zum Beispiel der Eltern<br />

dieser IVF-Kinder und bei natürlich<br />

gezeugten Geschwistern der IVF-<br />

Kinder normal. Dr. Rexhaj: »Das erlaubt<br />

»Bei IVF-Kindern manifestierte<br />

sich ein erhöhter Blutdruck«<br />

20<br />

den Schluss, dass IVF per se die Funktionsstörung<br />

der Gefäße verursacht.« Die<br />

Funktionsstörung der Gefäße zusammen<br />

mit der erhöhten IMT entsprach bereits<br />

dem ersten Stadium einer vorzeitigen Arteriosklerose.<br />

Als erste Folge der arteriellen Funktionsstörung<br />

der Gefäße manifestiert sich<br />

bei IVF-Kindern bereits in jungen Jahren<br />

ein erhöhter Blutdruck im Vergleich<br />

zu Kontrollgruppen, sagt Dr. Rexhaj: »In<br />

unserer 5-Jahre Folge-Studie bestand bei<br />

IVF-Kindern die Funktionsstörung der<br />

Gefäße weiter, und 24h-Blutdruckmessungen<br />

zeigten signifikant erhöhte systolische<br />

und diastolische Blutdruckwerte.<br />

Diese Daten sprechen für eine wahrscheinliche<br />

Zunahme der Häufigkeit von<br />

arteriellem Bluthochdruck in der IVF-<br />

Population bereits in jungen Jahren.«<br />

Zusammengefasst zeigen die vorliegenden<br />

Daten, dass beim Menschen und<br />

im Tiermodell IVF per se zu vorzeitiger<br />

Gefäßalterung und arteriellem Bluthochdruck<br />

führt. Im Mausmodell ist ein sogenannter<br />

epigenetischer Mechanismus<br />

für diese Veränderungen verantwortlich,<br />

erklärt Dr. Rexhaj. Epigenetik befasst<br />

sich mit der Vererbung von nicht genetisch<br />

festgelegten Eigenschaften. Männliche<br />

IVF-Mäuse vererben zum Beispiel<br />

die Funktionsstörung der Gefäße an die<br />

nächste Generation. Ein Zusammenhang<br />

zwischen schädlichen Einflüssen während<br />

der Foetalzeit und einer erhöhten Häufigkeit<br />

von kardiovaskulären und metabolischen<br />

Erkrankungen im späteren Leben<br />

konnte bereits vielfach gezeigt werden,<br />

so Dr. Rexhaj. IVF umfasst die Manipulation<br />

des frühen Embryos in einer<br />

möglicher Weise besonders empfindlichen<br />

Phase: »Ein ähnlicher Mechanismus<br />

wird bei IVF-Kindern angenommen.«<br />

»Die IVF-Population ist noch sehr<br />

jung, vorzeitige kardiovaskuläre Morbidität<br />

und Mortalität tritt normalerweise<br />

ab dem fünften Lebensjahrzehnt auf. Es<br />

werden deshalb weitere 20 bis 30 Jahre<br />

vergehen, ehe sich genaue Zahlen zu den<br />

IVF-induzierten kardiovaskulären Endpunkten<br />

herauskristallisieren werden«,<br />

so Dr. Rexhaj. »Das bedeutet, dass die<br />

pränatale Anamnese integraler Bestandteil<br />

jeder Anamnese sein und bei der Implementation<br />

von kardiovaskulärer Prävention<br />

und/oder der Behandlung kardiovaskulärer<br />

Krankheiten Berücksichtigung<br />

finden sollte.«<br />

Die weltweite Infertilitäts-Häufigkeit<br />

wird konstant auf etwa neun Prozent geschätzt.<br />

Bereits heute werden in westlichen<br />

Ländern zwei bis fünf Prozent aller<br />

Geburten mit Hilfe von IVF ermöglicht.<br />

»Diese neuen Daten machen deutlich,<br />

dass sich hier mittelfristig wohl ein Faktor<br />

entwickelt, der künftig einen relevanten<br />

Einfluss auf die Herz-Kreislaufmorbidität<br />

haben wird und daher in der Versorgungsplanung<br />

berücksichtigt werden<br />

sollte«, so der Pressesprecher der DGK<br />

Prof. Eckart Fleck (Berlin).<br />

Quelle: ESC <strong>2015</strong> Abstract Assisted reproductive<br />

technologies-induced premature vascular<br />

ageing persists and evolves into arterial hypertension<br />

in adolescents; E. Rexhaj, R. Von<br />

Arx, D. Cerny, R. Soria, E. Bouillet, C. Sartori,<br />

U. Scherrer, SF. Rimoldi<br />

I N F O<br />

Anm. d. Redaktion<br />

Über Studien, die zeigen, dass Kinder,<br />

die mittels künstlicher Befruchtung erzeugt<br />

werden, eine höhere Fehlbildungsquote<br />

aufweisen als Kinder, die<br />

auf natürlichem Wege gezeugt werden,<br />

wurde in »<strong>LebensForum</strong>« schon häufiger<br />

berichtet. Reproduktionsmediziner<br />

wenden dagegen regelmäßig ein, solche<br />

Studien zeigten lediglich Korrelationen<br />

auf und belegten keineswegs, dass<br />

die bei der künstlichen Befruchtung verwandten<br />

Verfahren ursächlich für die<br />

höhere Fehlbildungsquote seien. Viel<br />

wahrscheinlicher sei, dass als Ursache<br />

für die höhere Fehlbildungsquote die<br />

schlechtere Qualität der Ei- und Samenzellen<br />

angenommen werden müsste, da<br />

ihre Spender häufiger ein höheres biologisches<br />

Alter besäßen und sich erst<br />

dann an Reproduktionsmediziner wendeten,<br />

wenn Versuche, Kinder auf natürlichem<br />

Wege zu zeugen, erfolglos blieben.<br />

Zumindest in diesem Fall scheint<br />

das Studiendesign andere Schlussfolgerungen<br />

zuzulassen.<br />

reh<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


M E D I Z I N<br />

DPA<br />

Trau keinem Test<br />

unter dreißig<br />

Die börsennotierte Konstanzer BioTech-Firma LifeCodexx AG hofft, dass der von ihr entwickelte<br />

PraenaTest demnächst zu einer Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen wird. Mit dem umstrittenen<br />

Bluttest können schwangere Frauen ihr ungeborenes Kind unter anderem auf das Down-<br />

Syndrom testen lassen. Unser Autor, selbst Labormediziner und Vorsitzender der »Ärzte für das Leben«<br />

(ÄfdL), erklärt, warum eine Ausweitung des PraenaTests massenhaft falsch-positive Ergebnisse<br />

mit sich brächte und welche Konsequenzen dies für die betroffenen Kinder und Eltern hätte.<br />

Von Professor Dr. med. Paul Cullen<br />

Seit 2012 ist es möglich, ungeborene<br />

Kinder mit Down-Syndrom anhand<br />

einer Untersuchung des mütterlichen<br />

Blutes zu identifizieren. In aller<br />

Regel werden diese Kinder<br />

dann auch abgetrieben und somit<br />

getötet <strong>–</strong> denn eine Therapie<br />

für das Down-Syndrom<br />

gibt es derzeit nicht. Wir haben<br />

es bei diesem Test also<br />

nicht mit der Diagnose einer<br />

Krankheit, sondern mit Selektion<br />

zu tun.<br />

Bei der Einführung dieses »nicht-invasiven<br />

vorgeburtlichen Tests« (engl.:<br />

non-invasive prenatal diagnostics, NIPD)<br />

wurde neben der Einfachheit und Risikolosigkeit<br />

der Untersuchung insbesondere<br />

die sehr hohe Treffsicherheit der Methode<br />

ins Feld geführt. Aber wie misst<br />

man eigentlich die »Treffsicherheit« eines<br />

Tests? Um dies zu verstehen, wird es<br />

»Es gibt Lügen und verdammte Lügen,<br />

und dann gibt es die Statistik ...«<br />

Mark Twain<br />

leider nötig sein, ein wenig ins Grundsätzliche<br />

zu gehen.<br />

Die Treffsicherheit einer Untersuchungsmethode<br />

wird daran gemessen, wie<br />

zuverlässig sie Betroffene von Nicht-Betroffenen<br />

(in der Regel Kranke von Gesunden)<br />

trennen kann. Um dies zu ermitteln,<br />

wird die Methode bei einer Gruppe<br />

von Kranken und einer Gruppe von Gesunden<br />

angewendet und die<br />

Anzahl der Fälle gezählt, die<br />

ein zutreffendes beziehungsweise<br />

ein nicht-zutreffendes<br />

Ergebnis aufweisen.<br />

Um dies an einem einfachen<br />

Beispiel zu illustrieren, gehen<br />

wir bei diesem zunächst von<br />

100 Kranken und 100 Gesunden<br />

aus. Bei einem perfekten Test würde<br />

alle 100 Kranke ein »positives« Testergebnis<br />

und alle 100 Gesunde ein »negatives«<br />

Testergebnis aufweisen. (Zur Erklärung:<br />

In der medizinischen Fachsprache<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 21


M E D I Z I N<br />

viele Methoden wird sogar der »Normbereich«<br />

als der Bereich definiert, der 95<br />

Prozent der gesunden Bevölkerung einschließt,<br />

so dass fünf Prozent aller Gesunden<br />

ein »abnormes« Testergebnis aufweisen<br />

müssen).<br />

So gesehen überrascht es nicht, wenn<br />

die Konstanzer Firma LifeCodexx (wie<br />

auch inzwischen andere NIPD-Anbieter)<br />

bei der Einführung des PraenaTests<br />

mit der hohen Treffsicherheit der Methode<br />

werben. Und in der Tat lässt sich die<br />

Treffsicherheit dieser Untersuchungsmethoden<br />

unter technischen Gesichtspunkten<br />

durchaus sehen. Auf ihrer Website<br />

Gleichwohl sind Kennziffern wie die<br />

»Falsch-Positivrate« und die »Falsch-Negativrate«<br />

nur die halbe Wahrheit. Denn<br />

entscheidend in der täglichen Praxis ist<br />

nicht, wie oft ein Test bei 100 Kranken<br />

positiv oder negativ wird, sondern was<br />

das Testergebnis im konkreten Einzelfall<br />

bedeutet.<br />

Diese Aussage nennt man die positive<br />

oder negative Vorhersagekraft eines Testergebnisses.<br />

Im Falle der NIPD lautet<br />

die wichtigste Frage: »Was ist die Wahrscheinlichkeit<br />

bei einem positiven Testergebnis,<br />

dass diese Frau, die vor mir sitzt,<br />

tatsächlich ein Kind mit Down-Syndrom<br />

austrägt?« Überraschenderweise hängt die<br />

Antwort auf diese Frage in erster Linie<br />

nicht von der Treffsicherheit des Tests,<br />

sondern von der Wahrscheinlich eines<br />

Kindes mit Down-Syndrom bei der betroffenen<br />

Frau ab.<br />

Dieser Umstand ist sehr wichtig, denn<br />

die Häufigkeit des Down-Syndroms hängt<br />

sehr vom Alter der Mutter (und zu einem<br />

geringeren Grad auch vom Alter des Vaters)<br />

ab. Bei einer 20-jährigen Mutter liegt<br />

das Risiko einer Schwangerschaft mit einem<br />

Down-Syndrom-Baby beispielsweise<br />

bei etwa 1:2.000. Wir wissen aber, dass<br />

von 1.000 Schwangerschaften mit Babys<br />

ohne Down-Syndrom der Test in einem<br />

Fall »falsch-positiv« sein muss. Wird also<br />

»Bei 20-jährigen Schwangeren<br />

beträgt das Risiko etwa 1:2.000«<br />

»Zuverlässig. Schnell. Sicher.«: So wird der Praenatest beworben<br />

werden die Begriffe »positiv« und »negativ«<br />

in Bezug auf Untersuchungsergebnisse<br />

meist so verwandt, dass sie genau<br />

das Gegenteil dessen meinen, was sie in<br />

anderen Kontexten bedeuten). Als Mediziner<br />

reden wir, um bei unserem Beispiel<br />

zu bleiben, daher von einer Richtig-Positivrate<br />

und Richtig-Negativrate von jeweils<br />

100 Prozent, beziehungsweise von<br />

einer Falsch-Positiv- und Falsch-Negativrate<br />

von jeweils null Prozent.<br />

Einen derart perfekten Test wie in unserem<br />

Beispiel gibt es jedoch in der ganzen<br />

Medizin nicht. Vielmehr weist jeder<br />

Test einen gewissen Anteil an Ergebnissen<br />

auf, die nicht richtig sind: Das heißt,<br />

es wird bei den Gesunden trotzdem einige<br />

Testergebnisse geben, die fälschlicherweise<br />

»positiv« ausschlagen, sowie<br />

es unter den Kranken immer auch solche<br />

Testergebnisse geben wird, die fälschlicherweise<br />

»negativ« ausschlagen. Für<br />

»Einen perfekten Test<br />

gibt es nicht«<br />

viele Untersuchungsmethoden, die jeden<br />

Tag eine breite Anwendung finden,<br />

sind Falsch-Positiv- und Falsch-Negativraten<br />

in der Größenordnung von zehn<br />

Prozent überhaupt keine Seltenheit. (Für<br />

22<br />

wirbt LifeCodexx beispielsweise damit,<br />

dass ihr Test eine Detektionsrate von mindestens<br />

98 Prozent (anders ausgedrückt,<br />

eine Falsch-Negativrate von weniger als 2<br />

Prozent) und eine Falsch-Positivrate von<br />

rund 0,1 Prozent aufweist.<br />

Das bedeutet, dass statistisch betrachtet<br />

von 100 schwangeren Frauen, die tatsächlich<br />

ein Baby mit Down-Syndrom erwarten,<br />

nur zwei mittels des PraenaTests fälschlicherweise<br />

als Mütter ausgewiesen würden,<br />

deren Kind »kein Down-Syndrom«<br />

aufweise. Und von 1.000 Frauen, deren<br />

Babys tatsächlich kein Down-Syndrom<br />

aufweisen, würde nur eines aufgrund des<br />

Tests fälschlicherweise mit dem »Verdacht<br />

auf Down-Syndrom« befundet. Aus Sicht<br />

eines Labormediziners sind diese Werte<br />

sensationell hoch und von kaum einer anderen<br />

Laboruntersuchung zu übertreffen.<br />

der PraenaTest bei 2.000 jungen Frauen<br />

mit Niedrigrisikoschwangerschaften angewendet,<br />

so müssen wir im Schnitt mit<br />

drei positiven Testergebnissen rechnen.<br />

Doch nur eines davon ist auch »richtigpositiv«<br />

und betrifft das Kind, das auch<br />

tatsächlich Träger des Down-Syndroms<br />

ist. Die beiden anderen sind »falsch-positive«<br />

Testergebnisse. Das bedeutet aber<br />

im Ergebnis nichts anderes, als dass bei<br />

solchen Niedrigrisikoschwangeren etwa<br />

zwei Drittel der positiven Testergebnisse<br />

(rund 66 Prozent) falsch-positiv und damit<br />

auch tatsächlich falsch sein müssen.<br />

Dies entspricht im Übrigen auch den Angaben<br />

des Deutschen Ethikrats, der im<br />

April 2013 geschätzt hatte, dass in Niedrigrisikoschwangerschaften<br />

zwei Drittel<br />

der positiven Testergebnisse falsch-positiv<br />

sein könnten.<br />

Als der PraenaTest und die anderen<br />

NIPDs eingeführt wurden, hat man lediglich<br />

die sogenannten »Hochrisikoschwangerschaften«<br />

als Zielgruppe iden-<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


DPA<br />

»Gesellschaftliches Problem wird<br />

in die Arztpraxen verlagert«<br />

tifiziert. Außerdem wurde empfohlen,<br />

den Test erst ab der neunten Schwangerschaftswoche<br />

einzusetzen. Möglicherweise<br />

getrieben durch die rege Konkurrenz<br />

auf diesem Sektor sieht man sich inzwischen<br />

dazu veranlasst, diese Zielgruppe<br />

zu erweitern. Diese Erweiterung erfolgt<br />

erstens durch eine Ausweitung der Indikation.<br />

Das heißt, es wird nicht nur nach<br />

Down-Syndrom, sondern auch nach anderen<br />

erblichen Störungen (beispielsweise<br />

den Trisomien 15 und 18 (PraenaTest),<br />

dem Turner-Syndrom (Panorama-Test)<br />

sowie nach den Geschlechtschromosomen<br />

zur Bestimmung des Geschlechts<br />

(alle NIPD-Verfahren)) gefahndet.<br />

Sodann wird der Test Schwangeren<br />

angeboten, die nicht zu einer Hochrisikogruppe<br />

gehören, sprich Frauen unter<br />

35 Jahren bis hin zu allen schwangeren<br />

Frauen unabhängig vom Alter. Schließlich<br />

versucht man, durch technische Verbesserungen<br />

die Empfindlichkeit des Tests<br />

zu erhöhen, so dass er auch in einer möglichst<br />

frühen Phase der Schwangerschaft<br />

verwendet werden kann. So ist es heute<br />

zum Beispiel möglich, ein Ergebnis des<br />

PraenaTests deutlich vor der 12. Schwangerschaftswoche<br />

zu erhalten, was bedeutet,<br />

dass Abtreibungen noch innerhalb der<br />

Drei-Monats-Frist und ohne Angabe einer<br />

Indikation durchgeführt werden können.<br />

Damit aber sind viele der Bedenken,<br />

die Gegner dieser Untersuchung bei ihrer<br />

Einführung geltend gemacht haben,<br />

bereits drei Jahre später Realität. Insbesondere<br />

durch die Ausweitung der Untersuchung<br />

auf Niedrigrisikoschwangerschaften<br />

weicht die Treffsicherheit der<br />

Untersuchung deutlich von der ab, die<br />

durch die Zahlen, mit denen die Hersteller<br />

werben, suggeriert wird. Hierbei<br />

muss bedacht werden, dass die Falsch-<br />

Positivrate der Untersuchung umso höher<br />

steigt, je seltener Chromosomenstörungen<br />

wie Down-Syndrom bei der untersuchten<br />

Alterskohorte vorkommen.<br />

Bedenkt man nun, dass der Test aber<br />

gerade deshalb angewendet wird, um die<br />

Chancen der Eltern auf ein »gesundes«<br />

Kind möglichst zu erhöhen, entbehrt diese<br />

Situation nicht einer gewissen Ironie.<br />

Selbst die Frauenärztinnen der »Arbeitsgemeinschaft<br />

Frauengesundheit«, die für<br />

»das Recht [einer Frau], ... eine Schwangerschaft<br />

abzubrechen, deren Austragen<br />

Bei Niedrigrisikoschwangeren müssen zwei Drittel der Testergebnisse falsch sein<br />

sie körperlich oder seelisch überfordert«,<br />

eintreten, sind über diese Entwicklung besorgt.<br />

»Wir sehen«, schreiben sie, »dass<br />

durch eine immer ausgefeiltere Pränataldiagnostik<br />

ein gesellschaftliches Problem,<br />

»Das Prinzip dieser Testung gerät<br />

völlig ad absurdum«<br />

nämlich der Umgang mit einem Leben<br />

mit Behinderung ... in unsere Arztpraxis<br />

verlagert wird. Wir befürchten, dass<br />

ein risikoorientierter Denkstil sich mit<br />

hohen leistungsorientierten und ästhetischen<br />

Anforderungen an Kinder verbindet,<br />

während Bemühungen um Inklusion<br />

von Menschen mit Behinderung<br />

aus dem Blickfeld geraten. Eine bewusste<br />

Entscheidung für ein erkranktes oder<br />

behindertes Kind droht immer schwieriger<br />

zu werden.«<br />

Wir haben bei solchen Untersuchungen<br />

das Ende der Fahnenstange noch lange<br />

nicht erreicht. Schon in wenigen Jahren<br />

werden NIPD-Methoden verfügbar sein,<br />

mit denen sich Mutationen in einzelnen<br />

Genen feststellen lassen werden. Dadurch<br />

werden nicht nur Erbkrankheiten wie die<br />

zystische Fibrose oder die Muskeldystrophie<br />

feststellbar sein, sondern auch Gene<br />

für Krankheiten oder Krankheitsrisiken,<br />

die sich erst im Erwachsenenleben<br />

manifestieren, wie Morbus Huntington<br />

oder hereditärer Brustkrebs. Ähnlich einer<br />

Hollywood-Diva, die bei dem verzweifelten<br />

Versuch, die Zeichen des Alterns<br />

aufzuhalten, zu immer drastischeren<br />

schönheitschirurgischen Maßnahmen<br />

greift, versucht unsere Gesellschaft<br />

inzwischen wirklich alles, um Behinderte<br />

restlos auszuselektieren und das »perfekte«<br />

Kind zu gewährleisten.<br />

So sind wir auch bereit, diesem Bemühen<br />

Nicht-Behinderte wissentlich zu opfern.<br />

Aber selbst ein Test, der restlos alle<br />

genetischen Störungen erkennen könnte,<br />

würde letztlich wenig ausrichten, da über<br />

95 Prozent aller Behinderungen erst nach<br />

der Geburt durch Unfälle oder Krankheit<br />

entstehen.<br />

So gerät das Prinzip dieser Testung<br />

vollends ad absurdum. Dass die Akzeptanz<br />

von Behinderungen und behinderten<br />

Menschen durch diese frustrane Übung<br />

nicht gerade erhöht wird, liegt auf der<br />

Hand. Vielmehr ist zu befürchten, dass<br />

die Selektion umso wütender um sich<br />

greifen wird, je deutlicher ihre Impotenz<br />

sichtbar wird.<br />

I M P O R T R A I T<br />

Professor Dr. med. Paul Cullen<br />

Der 1960 in Dublin geborene Autor ist<br />

Labormediziner, Internist und Molekularbiologe.<br />

Er leitet<br />

ein großes medizinisches<br />

Labor in<br />

Münster und ist<br />

außerordentlicher<br />

Professor für Laboratoriumsmedizin<br />

an der dortigen Universität. Seit vier<br />

Jahren ist er zudem Vorsitzender des<br />

Vereins »Ärzte für das Leben«, der sich<br />

dem Schutz des menschlichen Lebens<br />

von der Empfängnis bis zum natürlichen<br />

Tod widmet. Mehr Infos:<br />

www.aerztefuerdasleben.de.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 23


M E D I Z I N<br />

Neuer Trend: Babyfernsehen<br />

Nicht nur in Deutschland nehmen die Ultraschalluntersuchungen (vgl. S. 12 f. dieser Ausgabe)<br />

dramatisch zu. Der in den westlichen Industrieländern zu beobachtende Trend<br />

hat offenbar zwei Ursachen. Paare wollen sichergehen, dass mit dem Kind auch wirklich<br />

alles stimmt. Nun warnen Experten vor unnötigem »Babyfernsehen«.<br />

Von Dr. med. vet. Edith Breburda<br />

Gynäkologen in den USA warnen<br />

vor zu vielen Ultraschalluntersuchungen<br />

bei normalen<br />

Schwangerschaften. Milena Mrosovsky<br />

erzählt, dass sie mindestens ein Dutzend<br />

Ultraschalluntersuchungen hatte, als sie<br />

schwanger war. »Ich war glücklich über<br />

die vielen Bilder und klebte sie alle in mein<br />

kleines Album.«<br />

Solche Aussagen sind nicht ungewöhnlich<br />

für Eltern. Amerikanische Frauen<br />

lassen heute immer mehr Ultraschalluntersuchungen<br />

an ihren Ungeborenen<br />

durchführen. Sie posten die Bilder stolz<br />

auf Facebook oder in anderen sozialen<br />

Netzwerken.<br />

Seit 2004 konnte man einen 92-prozentigen<br />

Anstieg dieser Untersuchungen<br />

beobachten. Jeder Besuch beim Arzt beinhaltet<br />

eine Ultraschalluntersuchung. Experten<br />

warnen nun davor, dass es medizinisch<br />

nicht gerechtfertigt ist, bei einer risikoarmen<br />

Schwangerschaft so viele Untersuchungen<br />

durchführen zu lassen. Im<br />

Mai 2014 machten verschiedene medizinische<br />

Gesellschaften, wie auch die amerikanischen<br />

Gynäkologen und Geburtshelfer,<br />

darauf aufmerksam, dass eine oder<br />

zwei Untersuchungen bei einer Schwangerschaft<br />

ohne Komplikationen genügen<br />

sollten. »Ultraschall sollte für die kurzmöglichste<br />

Zeit und mit der geringsten<br />

Energiefrequenz an einem Ungeborenen<br />

angewendet werden, und auch nur dann,<br />

wenn es unbedingt nötig ist«, empfehlen<br />

die Fachleute.<br />

Daniel O’Keefe, Vizepräsident der Gesellschaft<br />

für Maternal-Fetal Medicine,<br />

schreibt 2013 im medizinischen Journal<br />

»Seminars Perinatology«, dass 4 bis 5 Ultraschalluntersuchungen<br />

übertrieben seien.<br />

Wenn Frau Milena Mrosovsky dieses<br />

Wissen bei ihrer Schwangerschaft gehabt<br />

hätte, wäre sie nicht so naiv den Anweisungen<br />

ihres Doktors gefolgt. »Früher bestand<br />

man auf einer Untersuchung um die<br />

20. Woche herum. Neuerdings empfiehlt<br />

man die 12. Woche. Leider lesen Ärzte<br />

24<br />

nicht ihre Fachzeitungen«, so O’Keeffe.<br />

Ob Ultraschall dem Fötus schadet, untersuchte<br />

man das letzte Mal 1992. Damals<br />

war die Dosierung, mit der die Apparate<br />

arbeiteten, viel geringer. Die Schallwellen,<br />

die letztendlich vom Körper des<br />

Ungeborenen reflektiert oder absorbiert<br />

werden, verwandeln sich in elektrische<br />

Impulse, die vom Ultraschallgerät verstärkt<br />

und auf einem Bildschirm dargestellt<br />

werden.<br />

Wie man heute weiß, sind zu viele<br />

Mammogramme, Darmspiegelungen und<br />

andere medizinische Ultraschalluntersuchungen<br />

meistens gar nicht notwendig.<br />

Eltern sind jedoch begeistert, dass ihnen<br />

die moderne Technik einen Einblick in die<br />

Gebärmutter ermöglicht. Immer genauere<br />

Bilder werden gemacht, weil man wissen<br />

will, wie das Baby aussieht. Ob man<br />

dafür nun mehr Schallintensität benötigt<br />

und eventuell dem Kind schadet, scheint<br />

kaum einen zu interessieren.<br />

»Selbst Ärzte machen sich über die Sicherheit<br />

von pränatalen Ultraschalluntersuchung<br />

keine weiteren Gedanken. Krebs<br />

kann man davon nicht bekommen, es sei<br />

schließlich keine Röntgenstrahlung damit<br />

verbunden«, sagt Jacques Abramowicz<br />

von der Wayne-State-Universität.<br />

Ärzte warnen Frauen, sie sollten keinen<br />

Alkohol zu sich nehmen, kein heißes Bad<br />

und Stress vermeiden, wenn sie schwanger<br />

sind. Aber über die Sicherheit und Effizienz<br />

von Ultraschalluntersuchungen redet<br />

kaum ein Arzt. Man hofft, dass Frauen<br />

sich stärker an ihr Ungeborenes binden,<br />

wenn sie es sehen.<br />

»Lernen Sie Ihr Kind kennen, bevor<br />

es geboren wird«, wirbt die Firma General<br />

Electric auf ihrer Website. Sie verkauft<br />

ihre Maschinen nur an Gesundheitseinrichtungen.<br />

Einige Eltern drängen darauf,<br />

mehr von ihrem Kind zu sehen, als<br />

die Ärzte befürworten. Andere Ärzte sind<br />

besorgt, irgendein Detail zu übersehen,<br />

das Aufschluss über die Gesundheit des<br />

Ungeborenen geben könnte. Gynäkologen<br />

werden am häufigsten herangezogen,<br />

wenn es um Kunstfehler geht. Oft wird<br />

dann behauptet, weitere Ultraschallbilder<br />

hätten Klarheiten gegeben.<br />

Doch wie sicher sind die Apparate?<br />

Die Amerikanische Food und Drug Administration,<br />

die gleichbedeutend mit unserer<br />

Lebens- und Arzneimittelbehörde<br />

ist, warnte im Dezember 2014 vor einigen<br />

Ultraschallgeräten. »Sie erhitzen das<br />

Gewebe und verursachen die Bildung von<br />

kleinen Blasen.«<br />

Die Langzeiteffekte, welche diese Maschinen<br />

ausüben, kennt man nicht. Einige<br />

Tierversuche an Hühnern und Mäusen<br />

lassen jedoch schädliche Auswirkungen<br />

vermuten. So haben einige Neurowissenschaftler<br />

inzwischen ungeborene Tiere<br />

Ultraschalluntersuchungen ausgesetzt.<br />

Eine Studie der Yale Universität, die 2006<br />

in den »Proceedings of the National Academy<br />

of Science« erschien, brachte neurologische<br />

Auffälligkeiten bei jungen Mäusen<br />

mit den Untersuchungen in Verbindung.<br />

Australische Forscher beschrieben<br />

2009 im »International Journal of Developmental<br />

Neuroscience«, Küken-Eier mit<br />

Ultraschall bestrahlt zu haben. Die Küken<br />

hatten nach ihrem Schlüpfen Gedächtnisstörungen.<br />

Ihre Lernfähigkeit war geringer<br />

ausgeprägt als die anderer Küken.<br />

Die Universität von Washington berichtete<br />

2014 im »Autism Research Journal«<br />

von überaktiven Mäusen, die vorgeburtlich<br />

mit Ultraschall beschallt wurden.<br />

Dr. Pasko Rakic vom Nationalen Institute<br />

of Health untersuchte Affenhirne auf<br />

mögliche neurologische Folgen nach der<br />

intrauterinen Anwendung von Ultraschall.<br />

Frank A. Chervenak, Direktor der Gynäkologie<br />

des New Yorker Presbyterian-<br />

Krankenhauses ist der Überzeugung, dass<br />

ein oder zwei Ultraschalluntersuchungen<br />

bei einer normalen Schwangerschaft nicht<br />

überschritten werden sollten.<br />

2012 erschien im Amerikanischen<br />

»Journal of Obstetrics and Gynecology«<br />

eine Studie, die ergab, dass vermehr-<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


te Ultraschalluntersuchungen manchmal<br />

ein falsches Bild geben. Manchmal meint<br />

man, das Ungeborene sei zu groß, und<br />

man macht einen Kaiserschnitt, der gar<br />

nicht nötig gewesen wäre.<br />

Rebecca Loretz und ihr Mann Michael<br />

wollten immer eine große Familie. Doch<br />

als ihr zweites Kind durch einen Kaiserschnitt<br />

zur Welt kam, warnten die Ärzte<br />

vor weiteren Kindern. Die Narbe, die<br />

durch den Kaiserschnitt entstand, könnte<br />

einreißen, sagten sie. Die Eltern beachteten<br />

den Rat nicht. Die medizinische Literatur<br />

beschrieb das Risiko mit nur einem<br />

Prozent. Das wollten die beiden gerne<br />

auf sich nehmen. Es folgten sechs weitere<br />

Geburten. Alle Kinder wurden durch<br />

Kaiserschnitt entbunden.<br />

Nach dem achten Kind dachten die Eltern,<br />

ihre Familie sei nun komplett. Doch<br />

im Mai 2013 erwartete Rebecca wieder<br />

ein Kind. »Das war wirklich eine Überraschung.<br />

Wir dachten, diese Schwangerschaft<br />

würde wie alle anderen verlaufen«,<br />

sagte Michael. Die erste Ultraschalluntersuchung<br />

ergab, dass das Baby genau auf<br />

dem Narbengewebe der Gebärmutter implantiert<br />

war. Man sagte den Eltern, solch<br />

eine ektopische Schwangerschaft auszutragen<br />

käme einer Katastrophe gleich. Die<br />

Ärzte gaben dem Kind keine Chance. Es<br />

müsse abgetrieben werden, um das Leben<br />

der Mutter zu retten. Selbst Ethiker<br />

würden in so einem extremen Fall zustimmen,<br />

die Stelle der Gebärmutter zu entfernen,<br />

wo sich das Kind implantiert hat.<br />

Normalerweise spricht man von einer<br />

ektopischen Schwangerschaft, wenn<br />

sich das Kind im Eileiter eingenistet hat.<br />

Der Eileiter kann sich nicht ausdehnen<br />

wie die Gebärmutter. Er kann platzen,<br />

sobald das Kind größer ist. Eine Operation<br />

würde unweigerlich auch den Tod<br />

des Kindes hervorrufen. Theologen argumentieren,<br />

dass das Kind hierbei indirekt<br />

getötet wird. Die Ärzte bedrängten<br />

Rebecca, ihr neuntes Kind durch die<br />

Einnahme von Methotrexate abzutreiben.<br />

Es sollte also direkt getötet werden.<br />

Das brachte das gläubige Ehepaar jedoch<br />

nicht über das Herz.<br />

Faszinierend, aber unnötig und womöglich sogar schädlich: zu viel Ultraschall<br />

RAINER KLAWKI<br />

Einen Plan B hatte das Krankenhaus<br />

nicht, weil noch nie eine Mutter in so einem<br />

Fall eine Abtreibung verweigert hatte.<br />

Rebecca wurde in das Krankenhaus<br />

eingeliefert, um genauer beobachtet zu<br />

werden. Die Ärzte bedrängten die Mutter<br />

in den kommenden Tagen. Sie kamen<br />

alleine oder zogen andere Experten hinzu.<br />

Sie sollte das Leben des Babys endlich<br />

beenden, um ihr eigenes zu retten.<br />

Ein Arzt sagte zu Michael: »Ihre Chance,<br />

am Ende der Schwangerschaft ein lebendes<br />

Baby in den Armen zu halten, ist<br />

gleich null. Höchstwahrscheinlich stirbt<br />

auch Ihre Frau. Ist es das, was Sie wollen?<br />

Sie wollen einfach nicht die Realität<br />

sehen und deshalb hören Sie auch nicht<br />

auf den Rat der Experten.« Erst nachdem<br />

den Ärzten klar wurde, dass sie das Paar<br />

nicht zu einer Abtreibung bringen konnten,<br />

sympathisierten einige Ärzte mit den<br />

Eltern und fingen sogar an, mit ihnen für<br />

das Ungeborene zu beten.<br />

Bei der nächsten Ultraschalluntersuchung<br />

hörten sie, dass die Schwangerschaft<br />

fehldiagnostiziert worden war. Das<br />

Baby hatte sich nicht über der Narbe eingenistet,<br />

sondern im Muttermund. »Ist<br />

das besser?«, fragte Michael hoffnungsvoll.<br />

Er erinnert sich an die schmerzliche<br />

Antwort. »Nein. Im Grunde ist das noch<br />

schlimmer.« Ein drittes Ultraschallbild,<br />

das viel später gemacht wurde, brachte<br />

dann dennoch Hoffnung. Es sah nur so<br />

aus, als ob das Baby im Muttermund eingenistet<br />

wäre. Aber es war in Wirklichkeit<br />

doch in der Gebärmutter. Nur eben<br />

sehr nahe an der Cervix.<br />

Dies gab allen eine kleine Erleichterung,<br />

auch wenn die Beteiligten noch<br />

sehr besorgt blieben. Das Ehepaar gab zu,<br />

dass die Schwangerschaft sehr an ihnen<br />

zehrte. Nur das Wissen, dass viele Leute<br />

für Mutter und Kind beteten, half. »Fünf<br />

Wochen war ich vor der Geburt im Krankenhaus.<br />

Die Ärzte hatten Sorge, meine<br />

Gebärmutter würde zerreißen. Ich betete<br />

unentwegt, dass Gott mir dieses Kind<br />

schenkt. Nach einiger Zeit übergab ich<br />

mich in den Willen Gottes«, sagt Rebecca.<br />

Am 1. November 2013 wurde die kleine<br />

Philomena nach einer vierstündigen<br />

Operation entbunden. Das Kind war vollkommen<br />

gesund. Auch wenn es fast unmöglich<br />

schien, dass es überhaupt hätte<br />

geboren werden können. Die Eltern beteten<br />

die ganze Zeit zur Heiligen Philomena<br />

und versprachen, ihrem Kind den<br />

Namen Philomena zu geben, wenn es<br />

ein Mädchen werden sollte. Während ihrer<br />

ganzen Ehe beteten sie, Gottes Willen<br />

folgen zu können und so großmütig<br />

wie möglich zu sein. Das brachte ihnen<br />

viel Kritik ein.<br />

Michael war erstaunt, als er in der Literatur<br />

fand, dass seit 1967 bereits 60.000<br />

ähnliche Schwangerschaften zu 99,7 Prozent<br />

mit einer Abtreibung geendet hatten.<br />

Der Fall des Paares wurde bei einem wissenschaftlichen<br />

Symposium präsentiert.<br />

Es wurde empfohlen, beim Vorliegen einer<br />

ektopischen Schwangerschaft mit einer<br />

Abtreibung länger zu warten und genauere<br />

Untersuchungen heranzuziehen.<br />

I M P O R T R A I T<br />

Dr. med. vet. Edith Breburda<br />

Die Autorin, Dr. med. vet. Edith Breburda,<br />

ehemals an der Justus-Liebig-Universität<br />

Gießen tätig,<br />

arbeitet heute<br />

als Biomedizinexpertin<br />

in Madison,<br />

der Metropole der<br />

US-amerikanischen<br />

Stammzellenforschung.<br />

Sie hat mehrere Bücher<br />

veröffentlicht.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 25


G E S E L L S C H A F T<br />

19. 9. <strong>2015</strong> in Berlin<br />

Marsch für das Leben<br />

Sie können nicht selbst mitgehen?<br />

Kein Problem!<br />

Dafür gibt’s unsere Aktion:<br />

„Geh Du<br />

für mich!“<br />

Unterstützen Sie Jugend liche mit<br />

Ihrer Spende für z. B. den Kauf<br />

eines Bahn tickets nach Berlin,<br />

um für Sie beim Marsch für das<br />

Leben dabeizusein.<br />

Beispielkosten für ein Ticket von<br />

München nach Berlin (einfache<br />

Fahrt): 29,<strong>–</strong> Euro. Oder mit dem<br />

Fernbus: 39,50 Euro<br />

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Aktion Lebensrecht für Alle e. V.<br />

Ottmarsgäßchen 8 · 86152 Augsburg<br />

Tel. (08 21) 51 20 31 · Fax 15 64 07<br />

E-Mail: info@alfa-ev.de · www.alfa-ev.de<br />

Spendenkonto: Augusta <strong>–</strong> Bank eG<br />

BLZ 720 900 00 · Konto 5 040 990<br />

Kennwort: Geh Du für mich <strong>2015</strong><br />

26<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


G E S E L L S C H A F T<br />

In memoriam<br />

Die Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e. V. trauert um ihre Gründerin<br />

Professor Dr. Hedwig Seelentag, die mit 95 Jahren gestorben ist. Ein Nachruf.<br />

Von Dr. med. Claudia Kaminski<br />

Die im Fach Atomphysik habilitierte<br />

Dozentin der Universität<br />

Augsburg begann 1974 mit<br />

außerordentlichem Engagement und<br />

großem persönlichem Einsatz, sich um<br />

Schwangere in Konfliktsituationen zu<br />

kümmern. Dazu gehörte auch, dass sie<br />

Frauen in Not in ihrer eigenen Wohnung<br />

aufnahm. Was bewegte die alleinerziehende<br />

Mutter von drei Söhnen auf<br />

dem Höhepunkt der Frauenbewegung eine<br />

Initiative zum Schutz der Kinder im<br />

Mutterleib zu gründen?<br />

1971 bekennen sich 374 Frauen öffentlich<br />

in der Illustrierten »Stern« zu »ihrer«<br />

Abtreibung. Tatsächlich täuschten<br />

viele die Abtreibung nur vor, doch das<br />

Tabu ist gebrochen. In der DDR wird am<br />

9. März 1972 das »Gesetz über die Unterbrechung<br />

der Schwangerschaft« verabschiedet:<br />

eine Fristenlösung, die Abtreibung<br />

innerhalb der ersten drei Monate<br />

erlaubt.<br />

Auch in der Bundesrepublik Deutschland<br />

erhitzt der Paragraf 218 die Gemüter.<br />

Nach zähen Verhandlungen wird am 18.<br />

Juni 1974 die Fristenlösung nach DDR-<br />

Modell eingeführt. Kurz zuvor hatten sich<br />

SPD und FDP unter Helmut Schmidt als<br />

Bundeskanzler auf die Fortführung der sozial-liberalen<br />

Koalition geeinigt. Das von<br />

der Opposition angerufene Bundesverfassungsgericht<br />

verhindert ein Inkrafttreten<br />

der Reform mit der im Februar 1975 vorgelegten<br />

Begründung: »Das sich im Mutterleib<br />

entwickelnde Leben steht als selbständiges<br />

Rechtsgut unter dem Schutz der<br />

Verfassung auch unter Art. 2 Abs. 2 und<br />

Art. 1 Abs. 1 GG, und hat auch Vorrang vor<br />

dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.«<br />

Vorgeschlagen wird eine so genannte Indikationenlösung.<br />

Ein Braunschweiger Student, Rüdiger<br />

Dürr, lässt zusammen mit einer Gruppe<br />

Gleichgesinnter in zahlreichen Städten<br />

Deutschlands Plakate zum Thema »Abtreibung«<br />

kleben. Als die Gesetzespläne<br />

der Regierung bekannt werden, lädt<br />

er zur Lebensrechts-Kundgebung nach<br />

Hannover ein und kann <strong>–</strong> da Hoffnung<br />

auf ein Scheitern des Vorhabens bestand<br />

<strong>–</strong> Tausende mobilisieren.<br />

Dürr ist es auch, der Hubert Hüppe<br />

kennen lernt und ihm die »Aktivisten«<br />

anvertraut. Hüppe hatte schon damals<br />

für Schlagzeilen gesorgt. 1972 organisierte<br />

Pfarrer Winfried Pietrek vor der<br />

ersten, noch missglückten Abstimmung<br />

zur Fristenlösung <strong>–</strong> unter Schmidts Vorgänger<br />

Willy Brandt <strong>–</strong> einen fünftägigen<br />

Professor Dr. Hedwig Seelentag<br />

Hungerstreik auf dem Beethovenplatz in<br />

Bonn. Mit dabei: Hubert Hüppe.<br />

Dürrs Plakate erregten auch in Augsburg<br />

Aufsehen. Dort verfolgt Seelentag<br />

die politische Entwicklung und beschließt,<br />

wirklich konkret zu helfen. Mit<br />

einer Anzeige unter der Rubrik »Verschiedenes«<br />

in der »Augsburger Allgemeinen«<br />

beginnt 1974 die Lebensrechtsarbeit<br />

der <strong>ALfA</strong>: »Sind Sie Schwanger?<br />

Sind Sie verzweifelt? Rufen Sie an ... am<br />

Samstag zwischen 8 und 18 Uhr!« Der<br />

Auftraggeber: Ein kleiner Freundeskreis<br />

um Hedwig Seelentag <strong>–</strong> zusammengeschlossen,<br />

um jungen Schwangeren zur<br />

Seite zu stehen. Nur mit einer schriftlichen<br />

Bürgschaft kann der Anzeigenleiter<br />

der Augsburger Allgemeinen damals davon<br />

überzeugt werden, dass es nicht darum<br />

geht Abtreibungen durchzuführen.<br />

Und der Erfolg gibt dem Freundeskreis<br />

recht: Bis zu 31 Anrufe pro Tag führten<br />

früh zu einer Zusammenarbeit mit anderen<br />

Beratungsstellen.<br />

Politisch gesehen gibt es für die junge<br />

Initiative schon 1976 einen Dämpfer: Am<br />

18. Mai tritt die Neufassung des Paragrafen<br />

218 in Kraft. Zwar wird grundsätzlich<br />

eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren<br />

oder eine Geldstrafe für Abtreibung vorgesehen,<br />

für die Schwangere eine Geldstrafe<br />

oder eine Freiheitsstrafe von bis zu<br />

einem Jahr, es wird jedoch auch die Indikationenregelung<br />

eingeführt: Medizinisch,<br />

kriminologisch, eugenisch oder<br />

durch eine Notlage begründete Abtreibungen<br />

werden straffrei gestellt.<br />

Trotzdem <strong>–</strong> oder gerade deshalb <strong>–</strong><br />

wächst der Augsburger Freundeskreis um<br />

Seelentag schnell. 1977 wird die »Aktion<br />

Lebensrecht für Alle Augsburg« als gemeinnützig<br />

in das Vereinsregister eingetragen<br />

mit den Schwerpunkten Bildungs-<br />

und Öffentlichkeitsarbeit sowie<br />

soziale Hilfen. Die sich organisierenden<br />

40 Mitglieder denken zunächst nur an<br />

lokal begrenzte Aktionen. Zum ersten<br />

Vorstand der <strong>ALfA</strong> gehören die Vorsitzende<br />

Frau Prof. Dr. Hedwig Seelentag<br />

sowie die Stellvertreter Dr. Georg Götz<br />

und Ulrich Schieder.<br />

Dass aus dem Verein eine bundesweite<br />

Bewegung wird, liegt an Personen, die<br />

von der Arbeit der <strong>ALfA</strong> erfahren und<br />

Mitglieder werden wollen: Erstes überregionales<br />

Mitglied wird bald eine Dame<br />

aus Nordrhein-Westfalen, die fleißig<br />

weitere Mitglieder begeistert. 1980<br />

haben sich die Aktivitäten der Bürgerinitiative<br />

schon auf die gesamte Bundesrepublik<br />

ausgedehnt: Beratung, Begleitung,<br />

Nachbarschaftshilfe, der Aufbau<br />

von Kleiderkammern für Babysachen,<br />

Vermittlung von Babysittern, Gebetskreise,<br />

Leserbriefgruppen, ein Ärztekreis<br />

und ein Juristenkreis.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 27


G E S E L L S C H A F T<br />

28<br />

Stern-Titel von 1971<br />

A N Z E I G E<br />

Briefe an Abgeordnete werden verfasst<br />

und bis 1980 hat die <strong>ALfA</strong> schon<br />

rund 500.000 Flugblätter und Schriften<br />

verteilt. Im gleichen Jahr schließt sich<br />

die Jugendarbeitsgemeinschaft für das<br />

Leben (JAL) unter der Leitung von Hubert<br />

Hüppe der <strong>ALfA</strong>, die mittlerweile<br />

4.000 Mitglieder zählt, als Jugendorganisation<br />

an.<br />

Die JAL ist ebenfalls überkonfessionell,<br />

überparteilich, überregional und<br />

unabhängig und engagiert sich in der<br />

Betreuung alter Menschen, in Nachhilfestunden<br />

für Gastarbeiter-Kinder und<br />

ähnlichen Aktivitäten. Allmählich kristallisiert<br />

sich die Solidarität mit der werdenden<br />

Mutter und ihrem Kind immer<br />

mehr heraus und die <strong>ALfA</strong> erlebt die Jugendlichen<br />

als besonders aufgeschlossen<br />

für wissenschaftliche Fakten. Sie sind in<br />

den frühen 80ern leichter davon zu überzeugen,<br />

dass das Ungeborene schon ein<br />

Mensch ist und sich als solcher entwickelt,<br />

und sie bringen Energie und jugendlichen<br />

Schwung ein: 1981 und 1983 treten<br />

bis zu 30 Mitglieder der JAL in Essen in<br />

den Hungerstreik, um gegen das geplante<br />

»Schwangerschaftskonflikt-Zentrum«<br />

der Arbeiterwohlfahrt zu protestieren.<br />

Leider ohne den gewünschten Erfolg.<br />

Auch ein von der Diözese Essen organisierter<br />

Schweigemarsch mit 20.000 Teilnehmern<br />

aus ganz NRW kann die Einrichtung<br />

des Zentrums nicht verhindern.<br />

1983 findet in Aachen das erste Bundestreffen<br />

der JAL statt, die immer mehr<br />

zum Träger der <strong>ALfA</strong>-Aktivitäten wird.<br />

Für die jungen Aktiven ist die Teilnahme<br />

an Kirchen- und Katholikentagen<br />

selbstverständlich, um auch dort auf das<br />

Recht auf Leben aufmerksam zu machen.<br />

Dieses Engagement liegt Seelentag<br />

sehr am Herzen. Um die wachsende<br />

Zahl der Mitglieder besser informieren<br />

zu können, kommt 1985 der 1. <strong>ALfA</strong>-Rundbrief<br />

unter Jochen Beuckers mit<br />

einer Auflage von 2.800 Stück heraus. Im<br />

gleichen Jahr wird Josef Engel aus Memmingen<br />

der erste hauptamtliche Bundesgeschäftsführer.<br />

Ein besonderes Jahr wird 1986 für die<br />

noch junge Lebensrechtsorganisation: Auf<br />

der am 15. März stattfindenden Mitgliederversammlung<br />

sucht die <strong>ALfA</strong> nach geeigneten<br />

Wegen, um der stark gewachsenen<br />

Organisation in der ganzen Bundesrepublik<br />

Rechnung zu tragen. Es werden<br />

Landes- und Regionalverbände in<br />

der Satzung verankert und es erfolgt die<br />

Umbenennung in die »Aktion Lebensrecht<br />

für Alle, <strong>ALfA</strong> e. V.«. Vorsitzende<br />

des ersten Geschäftsführenden Bundesvorstandes<br />

nach der neuen Satzung ist<br />

Professor Dr. Hedwig Seelentag.<br />

Die bisher als Bundeszentrale fungierende<br />

Privatwohnung Seelentags, die für<br />

Hubert Hüppe, CDU<br />

ihren Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

ausgezeichnet wird, reicht für die<br />

Bewältigung der Arbeit längst nicht mehr<br />

aus. Die <strong>ALfA</strong> bezieht die erste Bundesgeschäftsstelle<br />

in der Heilig-Kreuz-Straße<br />

in Augsburg und richtet in der Bundeshauptstadt<br />

den »Arbeitsraum Bonn« ein.<br />

Mittlerweile haben sich 9.000 Mitglieder<br />

der Bewegung angeschlossen und<br />

die ersten Regionalverbände werden in<br />

Augsburg und München gegründet. Zudem<br />

erhält die <strong>ALfA</strong> ihr bis heute erhaltenes<br />

grün-blaues Logo, mit dem dann<br />

auch 1987 das zehnjährige Bestehen gefeiert<br />

wird. Ebenfalls 1987 ruft die <strong>ALfA</strong><br />

den 1. Juni als »Tag des Lebens« aus,<br />

der schon im folgenden Jahr international<br />

begangen wird. Das zum »modernen<br />

Hexenprozess« stilisierte Verfahren<br />

um den Memminger Abtreibungsmediziner<br />

Theissen beschäftigt 1988 und 1989<br />

die Lebensrechtler in Deutschland. Gelegenheit<br />

für Seelentag und die <strong>ALfA</strong>,<br />

klar Stellung für das Leben zu beziehen.<br />

Rund 100 Delegierte nehmen im Januar<br />

an der ersten Bundesdelegiertenversammlung<br />

der <strong>ALfA</strong> teil. Im Büro Bonn<br />

kommt im gleichen Jahr das erste »Lebenszeichen«,<br />

die Verbandszeitschrift,<br />

in den Druck.<br />

Die Gründerin hat zwischenzeitlich<br />

die Lebensrechtsbewegung in der DDR<br />

im Blick und gründet auf einer Reise in<br />

den Osten erste <strong>ALfA</strong>-Freundschaftskreise.<br />

Schon zu Beginn des Jahres 1989<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


zeigen sich die Früchte. Es kommt zum<br />

Treffen der <strong>ALfA</strong>-Freundeskreise in der<br />

DDR mit katholischen und evangelischen<br />

Kirchenvertretern in Leipzig, bei dem eine<br />

Teilnahme am »Tag des Lebens« diskutiert<br />

wird. Bereits im Oktober folgt die<br />

zweite Reise von Professor Dr. Hedwig<br />

Seelentag in die DDR. Sie führt offizielle<br />

Gespräche mit SED-Vertretern über<br />

die Gründung eines <strong>ALfA</strong>-Zweiges in<br />

der DDR. Durch die Wiedervereinigung<br />

1990 entwickelt sich die <strong>ALfA</strong> ohne jegliche<br />

staatliche Reglementierung in den<br />

neuen Ländern und gründet schließlich<br />

im Mai 1991 den ersten Regionalverband<br />

in Greiz in Thüringen.<br />

Aufgrund eines Flugblatts, auf dem der<br />

Kommunistische Bund Westdeutschland<br />

sowohl Professor Dr. Hedwig Seelentag<br />

als auch maßgebliche Persönlichkeiten<br />

der Katholischen Kirche verunglimpfte,<br />

wird die Katholische Kirche auf die <strong>ALfA</strong><br />

aufmerksam. Es entwickeln sich gute<br />

Kontakte zum Augsburger Bischof Josef<br />

Stimpfle. Die Diözese unterstützt die <strong>ALfA</strong><br />

großzügig und finanziert die bis heute<br />

bestehende Geschäftsstelle der <strong>ALfA</strong><br />

im Ottmarsgäßchen in Augsburg, die im<br />

Sommer 1991 bezogen wird.<br />

Ende 1991 gründet der Landesverband<br />

Bayern unter Leitung von Seelentag<br />

eine Patenschaftsaktion zur dauerhaften<br />

Unterstützung Schwangerer und<br />

Familien in Not. Sie weitet sich schnell<br />

auf das ganze Bundesgebiet aus und ist<br />

bis heute eine tragende Säule der sozialen<br />

Hilfen der <strong>ALfA</strong>.<br />

1992 kandidiert Professor Dr. Seelentag<br />

nicht mehr für den Vorsitz und wird<br />

Ehrenvorsitzende. Ruth Reimann, geb.<br />

Esser, Juristin aus Köln, wird zur ersten<br />

Bundesvorsitzenden der <strong>ALfA</strong> nach der<br />

Gründerin. Die Entwicklung ihrer <strong>ALfA</strong><br />

begleitet Seelentag bis in das neue Jahrtausend<br />

hinein weiter mit großem Engagement<br />

<strong>–</strong> und in den 90er Jahren schon<br />

zeigt sich auch die kluge und geradezu<br />

prophetische Weitsicht Seelentags in<br />

der Wahl des Namens »Aktion Lebensrecht<br />

für Alle« <strong>–</strong> denn tatsächlich sind die<br />

Bedrohungen des menschlichen Lebens<br />

seither in allen Phasen gewachsen: Überzählige<br />

Embryonen, Selektion durch PID<br />

und andere Diagnostikverfahren bis hin<br />

zur aktuell diskutierten Sterbehilfe und<br />

den assistierten Suizid.<br />

Nicht verschwiegen sei an dieser Stelle,<br />

dass Frau Professor Dr. Hedwig Seelentag<br />

die Entwicklung der <strong>ALfA</strong> nicht bis zum<br />

Schluss weiter begleitet hat. Die Jahrtausendwende<br />

brachte der Lebensrechtsbewegung<br />

in Deutschland auch die Debatte<br />

um die Beratungsscheinvergabe durch<br />

die Katholische Kirche. Viele sahen den<br />

Beratungsschein als »Lizenz zum Töten«<br />

an, weil er durch die Gesetzesänderung<br />

die einzige Voraussetzung für eine straffreie<br />

Abtreibung darstellte. Dieser Meinung<br />

folgten auf der Bundesdelegiertenversammlung<br />

2000 der <strong>ALfA</strong> mehrheitlich<br />

auch die Delegierten. Nach ein paar<br />

Jahren des »Sowohl als auch« der Meinungen<br />

gab es endlich einen klaren Richtungsentscheid<br />

und Kurs der <strong>ALfA</strong>. Diesen<br />

Kurs konnte und wollte Professor Dr.<br />

Hedwig Seelentag leider nicht mehr mitgehen,<br />

sodass sie den Ehrenvorsitz niederlegte<br />

und zu unserem großen Bedauern<br />

aus der <strong>ALfA</strong> austrat.<br />

Der Versuch, ihr zu sagen, dass manchmal<br />

Kinder eigene Wege gehen und sich<br />

gegen die Meinung der Eltern stellen,<br />

konnte sie nicht mehr umstimmen, ebenso<br />

wenig wie die Tatsache, dass jedes<br />

<strong>ALfA</strong>-Mitglied nach wie vor mit jeder<br />

geeigneten Beratungsstelle zusammenarbeiten<br />

konnte.<br />

Bioethik-Akademie<br />

Der Jugend für das Leben und Christdemokraten für das Leben<br />

A N Z E I G E<br />

„Warum sich Lebensschutz lohnt“<br />

Unter diesem Motto laden die Jugend für das Leben (Jugendorganisation der <strong>ALfA</strong>) und die Jungen<br />

Christdemokraten für das Leben in diesem Jahr wieder gemeinsam zu einer Bioethik-Akademie für<br />

Jugendliche und junge Erwachsene ein.<br />

Die Teilnehmer der Akademie erwarten wieder interessante Vorträge und Diskussionen mit hochkarätigen<br />

Referenten und ein spannendes Wochenende mit anderen jungen Menschen, denen das<br />

Lebensrecht jedes Menschen am Herzen liegt.<br />

Datum:<br />

30. Oktober bis 01. November<br />

Ort: JH Aachen, Maria-Theresia-Allee 260,<br />

52074 Aachen<br />

Tagungsbeitrag:<br />

Anmeldung:<br />

60 Euro (Schüler, Studenten)<br />

130 Euro (ohne Ermäßigung)<br />

kontakt@jugendfuerdasleben.de<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 29


B Ü C H E R F O R U M<br />

Dieses Buch kommt zur rechten<br />

Zeit. Denn es setzt <strong>–</strong> rechtzeitig<br />

vor der für November geplanten<br />

Entscheidung des Bundestags über die gesetzliche<br />

Neuregelung<br />

der Suizidhilfe<br />

<strong>–</strong> der Freitod-Rhetorik<br />

maßgebliche<br />

Fakten und treffende<br />

Argumente entgegen.<br />

Die »acht Plädoyers<br />

gegen Sterbehilfe«, welche die<br />

drei Herausgeber <strong>–</strong> der Medizinrechtler<br />

Rainer Beckmann und die Bundesvorsitzenden<br />

der Aktion Lebensrecht für Alle<br />

(<strong>ALfA</strong>) und der Christdemokraten für<br />

das Leben (CDL), Claudia Kaminski und<br />

Mechthild Löhr <strong>–</strong> dort<br />

versammelt haben, basieren<br />

auf einer Fachtagung,<br />

welche CDL<br />

und <strong>ALfA</strong> im vergangenen<br />

Herbst unter<br />

dem provokanten Titel<br />

»Du sollst mich töten<br />

<strong>–</strong> Kommt jetzt der<br />

ärztlich assistierte Suizid?«<br />

in Berlin veranstalteten.<br />

Den Anfang macht<br />

der Philosoph Robert<br />

Spaemann. Sein Beitrag<br />

ist <strong>–</strong> wie das Buch<br />

selbst <strong>–</strong> überschrieben<br />

mit »Es gibt kein gutes<br />

Töten« und räumt<br />

mit der Annahme auf,<br />

es könne so etwas wie<br />

ein »Recht auf Suizid«<br />

geben. Vielmehr sei der Suizid »eine<br />

Handlung, die sich der Rechtssphäre<br />

entzieht«. »Von ihr führt kein Weg<br />

zu irgendeinem Recht, einen anderen<br />

zu töten, beziehungsweise von einem<br />

anderen getötet zu werden.« Jenen, die<br />

sich auf ein »Sterben in Würde« berufen<br />

und den Suizid als geeignetes Mittel<br />

dazu betrachten, schreibt Spaemann,<br />

mit Kant, dem Vater des Würdegedankens,<br />

ins Stammbuch: Gerade für Kant<br />

sei der Suizid »nicht Ausdruck von, sondern<br />

Absage an Autonomie und Freiheit<br />

des Menschen, da er ja gerade das Subjekt<br />

von Freiheit und Sittlichkeit vernichtet«.<br />

Der Suizid sei deshalb »jener Akt<br />

der Selbstvergessenheit, mit welchem ein<br />

Mensch dokumentiert, dass er sich selbst<br />

nur noch als Mittel zur Erreichung oder<br />

Erhaltung wünschenswerter Zustände<br />

versteht, als Mittel, das sich, wenn es versagt,<br />

selbst beiseiteräumt«. Für Kant, in<br />

dessen Tradition auch das Grundgesetz<br />

steht, bestand die Würde des Menschen<br />

30<br />

Es gibt kein<br />

gutes Töten<br />

darin, dass er nie als bloßes Mittel angesehen,<br />

sondern immer als »Zweck an<br />

sich« betrachtet werden müsse. Wo dagegen<br />

der Suizid »als legitime Handlung,<br />

ja als Ausdruck der<br />

Menschenwürde«<br />

gelte, dort ergebe<br />

sich, so Spaemann,<br />

»unweigerlich eine<br />

verhängnisvolle<br />

Folge«: Denn »wo<br />

das Gesetz es erlaubt und die Sitte es billigt,<br />

sich zu töten oder sich töten zu lassen,<br />

da hat plötzlich der Alte, der Kranke,<br />

der Pflegebedürftige alle Mühe, Kosten<br />

und Entbehrungen zu verantworten,<br />

die seine Angehörigen, Pfleger und<br />

Mitbürger für ihn aufbringen<br />

müssen. Nicht<br />

Schicksal, Sitte und Solidarität<br />

sind es mehr,<br />

die ihnen dieses Opfer<br />

abverlangen, sondern<br />

der Pflegebedürftige<br />

selbst (...), da er sie ja<br />

leicht davon befreien<br />

könnte.« Mit anderen<br />

Worten: Die Legalisierung<br />

des ärztlich assistierten<br />

Suizids liefe<br />

auf eine Entsolidarisierung<br />

der Gesellschaft<br />

hinaus, mit der<br />

Gefahr, dass in ihr <strong>–</strong><br />

früher oder später <strong>–</strong> all<br />

jenen die Tür gewiesen<br />

wird, die zum Weiterleben<br />

auf Hilfe Dritter<br />

angewiesen sind.<br />

Nicht minder erhellend nehmen sich<br />

auch die Beiträge aus, die der Osnabrücker<br />

Sozialethiker Manfred Spieker, der Heidelberger<br />

Medizinethiker Axel W. Bauer,<br />

der Würzburger Medizinrechtler Rainer<br />

Beckmann, der Onkologe und Palliativmediziner<br />

Stephan Sahm und die Leiterin<br />

des Hospiz- und Palliativberatungsdienstes<br />

der Malteser in Berlin, Kerstin<br />

Kurzke, sowie die Journalisten und Buchautoren<br />

Gerbert van Loenen und Andreas<br />

Lombard zu diesem Band beigesteuert<br />

haben. Aus unterschiedlichen Erfahrungswelten<br />

und mit unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln kommen sie alle zum selben<br />

Ergebnis: Es gibt kein gutes Töten.<br />

Stefan Rehder<br />

Rainer Beckmann/Claudia Kaminski/Mechthild Löhr<br />

(Hrsg.): Es gibt kein gutes Töten. Acht Plädoyers<br />

gegen Sterbehilfe. Edition Sonderwege. Manuscriptum<br />

Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof KG. Leipzig<br />

<strong>2015</strong>. 176 Seiten. Klappbroschur. 9,80 EUR.<br />

Im Schaufenster<br />

Kind auf<br />

Bestellung<br />

Die Journalistin<br />

Eva Maria Bachinger<br />

könnte auch<br />

Vorsitzende eines<br />

Vereins oder einer<br />

Stiftung »zur Pflege<br />

einer deutlichen<br />

Aussprache« sein.<br />

Schonungslos legt<br />

sie in »Kind auf Bestellung« die Finger in die<br />

Wunden einer Gesellschaft, die glaubt, auch<br />

alles zu dürfen, was die Reproduktionsmedizin<br />

möglich gemacht hat. Dass auch bei Zeugungsunfähigkeit<br />

die Elternschaft mit genetisch<br />

eigenen Kindern als »Norm« gelte, huldige<br />

einem »Biologismus«, den man ansonsten<br />

für vernachlässigbar halte. »In der politischen<br />

Mitte ist derzeit Beschönigen und<br />

Verharmlosen en vogue. Kritiker werden diffamiert<br />

und in ein Eck gestellt. Halbwahrheiten<br />

werden auch von Experten verbreitet. Die<br />

Kommerzialisierung von Eizellspenden und<br />

Leihmutterschaft sei nur »mit einem internationalen<br />

Verbot ansatzweise vermeidbar«.<br />

Angesichts des globalisierten Marktes sei<br />

»das Gerede vom hehren Altruismus schlichtweg<br />

Unsinn, ebenso wie die Beschwörung«,<br />

die Präimplantationsdiagnostik (PID) bleibe<br />

nur »in engen Grenzen« erlaubt.<br />

Fazit: Für alle, die sich kein X für ein U vormachen<br />

lassen wollen.<br />

reh<br />

Eva Maria Bachinger: Kind auf Bestellung. Ein<br />

Plädoyer für klare Grenzen. Deuticke, Wien <strong>2015</strong>.<br />

240 Seiten. Klappbroschur. 19,90 EUR.<br />

Und wenn ich<br />

nicht mehr leben<br />

möchte?<br />

Viele dürften sich<br />

noch an die Debatte<br />

erinnern, die der<br />

ehemalige Ratsvorsitzende<br />

der Evangelischen<br />

Kirchen<br />

in Deutschland Nikolaus<br />

Schneider<br />

ausgelöst hat, als er öffentlich machte, dass<br />

er seine damals krebskranke Frau auf deren<br />

Wunsch hin auch in die Schweiz begleiten<br />

würde, obwohl er selbst Beihilfe zum Suizid<br />

ablehnt. Auch wenn man nach wie vor fra-<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


gen kann, warum Schneider damit überhaupt<br />

an die Öffentlichkeit ging, so hilft das vorliegende<br />

Buch, doch seine Haltung und seinen<br />

Konflikt besser zu verstehen. Im Interview mit<br />

Evelyn Finger, Leiterin des Ressorts »Glauben<br />

und Zweifel« der Wochenzeitung »Die Zeit«,<br />

das Finger mit ihm und Bundesgesundheitsminister<br />

Hermann Gröhe führte, wird vieles<br />

differenzierter dargestellt, als es damals<br />

durch den Blätterwald rauschte. Ergänzt wird<br />

das Gespräch um ein Interview mit Anne<br />

Schneider, die sich einer offenbar erfolgreichen<br />

Chemotherapie unterzog, und um einen<br />

sehr lesenswerten Beitrag von Bundesärztekammerpräsident<br />

Frank Ulrich Montgomery.<br />

Fazit: Beachtlich.<br />

reh<br />

Und wenn ich nicht mehr leben möchte?<br />

Hermann Gröhe und Niklolaus Schneider im Gespräch<br />

mit Evelyn Finger. Adeo Verlag, Asslar <strong>2015</strong>. Gebunden.<br />

190 Seiten. 17,99 EUR.<br />

Welche Medizin<br />

wollen wir?<br />

Der Autor hat sich<br />

als Befürworter des<br />

ärztlich assistierten<br />

Suizids einen<br />

Namen gemacht.<br />

Und auch in diesem<br />

Werk hält er<br />

erneut ein Plädoyer<br />

für die Beihilfe zur<br />

Selbsttötung durch Ärzte. »Richtig verstandene<br />

ärztliche Suizidhilfe« sei »Ausdruck äußerster<br />

empathischer Zuwendung des Arztes<br />

zu seinem Patienten auf der Grundlage einer<br />

vertrauensvollen Beziehung«. Dem muss<br />

entschieden widersprochen werden. Denn<br />

im Grunde wird hier impliziert, dass Ärzte,<br />

die nicht bereit sind, einem Patienten bei der<br />

Selbsttötung zur Hand zu gehen, einen geringen<br />

Grad an Empathie an den Tag legten.<br />

Und von vielen dürfte dies so verstanden<br />

werden, als seien sie schlechtere Ärzte.<br />

Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall.<br />

Wer meint, die Beihilfe zum Suizid könne eine<br />

ärztliche Aufgabe sein, definiert in Wahrheit<br />

den Beruf des Arztes nach eigenem Gutdünken<br />

neu. Und das hat nichts mit Empathie,<br />

aber viel mit Hybris und Anmaßung zu<br />

tun.<br />

Das ist insofern bedauerlich, als dass der Autor<br />

in diesem Buch eine ganze Reihe bedenkenswerter<br />

Vorschläge für eine nachhaltige<br />

Reform des Gesundheitswesens macht.<br />

Fazit: Eingeschränkt empfehlenswert. reh<br />

Michael de Ridder: Welche Medizin wollen wir?<br />

Deutsche Verlags-Anstalt, München <strong>2015</strong>. 304 Seiten.<br />

Gebunden. 19,90 EUR.<br />

Das vorliegende Buch besticht aus<br />

einer ganzen Reihe von Gründen.<br />

Da ist zunächst seine politische<br />

Dimension. Dass sich der Ratsvorsitzende<br />

der Evangelischen<br />

Kirchen in<br />

Deutschland (EKD),<br />

Heinrich Bedford-<br />

Strohm, der auch Landesbischof<br />

der Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche<br />

in Bayern ist, zur Suizidhilfe äußert,<br />

ist bereits als solches ein Politikum. Zunächst<br />

weil Protestanten, anders als die<br />

Katholiken, kein Lehramt besitzen, das<br />

die kirchliche Lehre in solchen Fragen<br />

verbindlich formulieren<br />

könnte, weshalb<br />

der öffentlichen<br />

Äußerung des EKD-<br />

Ratsvorsitzenden, egal<br />

zu welchem Thema,<br />

stets besonderes Gewicht<br />

zukommt. Gewichtig<br />

ist dieses Buch<br />

aber auch deshalb,<br />

weil viele Journalisten<br />

die Äußerungen<br />

von Bedford-Strohms<br />

Amtsvorgänger, Nikolaus<br />

Schneider, er sei<br />

bereit, seine damals<br />

krebskranke Frau notfalls<br />

auch gegen seine<br />

Überzeugung zum Suizid<br />

in die Schweiz zu<br />

begleiten, überstrapaziert<br />

haben. Vielfach<br />

wurde der Eindruck<br />

erweckt, als müssten Schneiders umstrittene<br />

Äußerungen als Abrücken von<br />

der Ablehnung der Suizidhilfe durch die<br />

EKD verstanden werden. Doch dies wäre,<br />

wie der Autor klarstellt, ein Irrtum.<br />

Nach der Lektüre dieses Buches kann<br />

niemand mehr guten Gewissens behaupten,<br />

die EKD billige die Suizidhilfe. Mehr<br />

noch: Unter der Überschrift »Was die<br />

Kirchen sagen« widmet der EKD-Ratsvorsitzende<br />

ein ganzes Kapitel der Darstellung<br />

dessen, was die römisch-katholische,<br />

die griechisch-orthodoxe und die<br />

evangelische Kirche zu diesem Thema<br />

zu sagen haben. Selbst minimale Unterschiede<br />

werden dabei so klar herausgearbeitet,<br />

dass am Ende eines ganz deutlich<br />

wird: Mögen die Begründungen auch<br />

unterschiedlich sein, in der Ablehnung<br />

der Suizidhilfe sind sich die christlichen<br />

Kirchen einig. Wer also glaubt, die Evangelische<br />

Kirche gegen die Katholische in<br />

dieser Frage ausspielen zu können, hat jedenfalls<br />

seine Rechnung ohne Bedford-<br />

Die EKD<br />

spricht<br />

Strohm gemacht, der hier zudem ein gelungenes<br />

Beispiel für gelebte Ökumene<br />

gibt, die in bioethischen Fragen zuletzt<br />

recht brüchig erschien.<br />

Bemerkenswert ist<br />

dieses Buch aber nicht<br />

allein wegen seiner politischen,<br />

innerkirchlichen<br />

und kirchenübergreifenden<br />

Dimensionen.<br />

Auch die Machart<br />

des Buches beeindruckt. Und zwar sowohl<br />

formal als auch inhaltlich. So findet<br />

sich am Ende eines jedes Unterkapitels<br />

eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten<br />

Passagen, für die der schnelle Leser<br />

vermutlich ebenso<br />

dankbar sein wird<br />

wie der, welcher dieses<br />

leicht verständlich<br />

geschriebene Werk als<br />

ein Studienbuch betrachtet.<br />

Inhaltlich bemerkenswert<br />

macht<br />

das Buch zweierlei. So<br />

darf das vorliegende<br />

Werk wohl auch als<br />

gelungenes Beispiel<br />

für die Synthese von<br />

theoretischer Reflexion<br />

und pastoraler Sorge<br />

gelten, die der Autor<br />

hier wechselseitig<br />

aufeinander zu beziehen<br />

versteht. Das beweist:<br />

Auch im Angesicht<br />

mitunter furchtbaren<br />

Leidens müssen<br />

Verstand und Herz<br />

keineswegs gespalten vorliegen, sondern<br />

können harmonisiert werden, wenngleich<br />

sich der Verdacht aufdrängt, dies setze<br />

womöglich eine ähnlich integre Person,<br />

wie die des Autors, voraus. Bereichert<br />

wird der Leser aber auch durch fünf, vom<br />

Autor selbst entwickelte »ethische Leitlinien«,<br />

die dieser, nachdem er die gängigsten<br />

ethischen Ansätze treffend dargestellt<br />

hat, diesen zugesellt. Sie mögen<br />

mit »Dankbarkeit für das Leben«, »Endlichkeitsbewusstsein«,<br />

»Selbstbestimmung<br />

und Verantwortung«, »Kontextsensibilität«<br />

und »Soziokulturelle Verantwortung«<br />

zwar teilweise recht sperrig<br />

etikettiert sein, lohnen aber, wie das gesamte<br />

Werk, einer gewissenhaften Auseinandersetzung.<br />

Stefan Rehder<br />

Heinrich Bedford-Strohm: Leben dürfen <strong>–</strong> Leben<br />

müssen. Argumente gegen die Sterbehilfe.<br />

Kösel-Verlag, München <strong>2015</strong>. 176 Seiten. 17,99 EUR.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 31


K U R Z V O R S C H L U S S<br />

Expressis verbis<br />

Tops & Flops<br />

»Es wäre weder human noch moralisch,<br />

wenn der Gesetzgeber verbindlich festlegen<br />

wollte: Das kann man aushalten. Solche<br />

Entscheidungen führen jedes Jahr in<br />

Deutschland zu Zehntausenden gescheiterten<br />

Suizidversuchen (...). Indem der Gesetzgeber<br />

diesen Menschen die Hilfe verweigert,<br />

weist er ihnen am Ende den Weg vor<br />

die U-Bahnen.«<br />

Der Hamburger Strafrechtsprofessor Reinhard<br />

Merkel in einem Interview mit dem »Stern«<br />

»<br />

Die Idee des qualitätsgesicherten, klinisch<br />

›sauber‹ durchgeführten Selbstmordes ist<br />

von der Euthanasie nicht mehr zu trennen<br />

und einer humanen Medizin fremd.«<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich<br />

Montgomery in einem Beitrag für das Buch<br />

»Und wenn ich nicht mehr leben möchte«<br />

»<br />

Es handelt sich um ein medizinisches Problem,<br />

wenn Paare keine Kinder kriegen können.<br />

Daher gibt es keinen Grund, den Versicherten<br />

diese Leistung vorzuenthalten.«<br />

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im<br />

»Spiegel« zur Forderung, die gesetzlichen Krankenkassen<br />

sollten die Kosten für künstliche Befruchtungen<br />

wieder voll übernehmen<br />

Lebensrechtler sollten »erhobenen<br />

Hauptes und unerschrocken<br />

weiterkämpfen<br />

und sich nicht von unsachlicher<br />

Kritik oder gar Anfeindungen<br />

beeindrucken lassen«. Das riet der<br />

CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang<br />

Bosbach in einem<br />

Interview mit dem<br />

katholischen Nachrichtenportal<br />

kath.<br />

Wolfgang Bosbach<br />

net. »Wer gegen<br />

den Lebensschutz<br />

agitiert und polemisiert,<br />

dem fehlen<br />

offensichtlich fundierte<br />

Sachargumente<br />

und deshalb sollte<br />

man diesem Teil des Publikums nicht<br />

kampflos das Feld überlassen«, so Bosbach<br />

weiter. Der 63-Jährige, der seit vielen<br />

Jahren den Rheinisch-Bergischen Kreis<br />

als Direktkandidat im Bundestag vertritt,<br />

sagte, »die Zahl von über 100.000<br />

registrierten Abtreibungen pro Jahr« sei<br />

»nach wie vor erschreckend hoch«. »Umso<br />

überraschender ist es, dass es eine gesellschaftliche<br />

Debatte hierüber nur am<br />

Rand gibt.«<br />

reh<br />

FOTO AG GYMNASIUM MELLE<br />

Ludwig Minelli<br />

Ludwig A. Minelli, Chef<br />

der Schweizer Sterbehilfeorganisation<br />

»Dignitas«, hat<br />

sich <strong>–</strong> offenbar in der Hoffnung,<br />

Einfluss auf die Entscheidung des<br />

Parlaments zur rechtlichen Neuregelung<br />

der Suizidhilfe in Deutschland nehmen<br />

zu können <strong>–</strong> in einem<br />

Schreiben an<br />

alle Abgeordnete<br />

des Bundestags gewandt.<br />

In diesem<br />

schildert er nicht<br />

nur ausführlich den<br />

Tod eines Krebspatienten<br />

mit Darmverschluss,<br />

der an<br />

seinem Kot erstickte,<br />

sondern stellt auch gleich die Kostenfrage:<br />

»An den vier Wochen im Krankenhaus<br />

nach der ersten Operation, an den<br />

beiden Operationen, durch die künstliche<br />

Ernährung und durch den Aufenthalt auf<br />

den verschiedenen Stationen im Krankenhaus<br />

und im Hospiz hat die Krankheitsindustrie<br />

zu Lasten der Krankenkassen<br />

(und damit der Prämien- und Steuerzahler)<br />

an diesem Patienten viel Geld verdient.«<br />

reh<br />

»<br />

Die ›Baby-take-home-Rate‹ ist bei einer Patientin<br />

mit Mitte 25 bei zwei Embryonen pro<br />

Versuch bei etwa 30 Prozent, bei einer Frau<br />

mit 40 oder über 40 liegt die Wahrscheinlichkeit<br />

bei 10 bis 15 Prozent.«<br />

Der Münchner Reproduktionsmediziner Wolfgang<br />

Würfel gegenüber dem Bayerischen Fernsehen<br />

»<br />

Die biologische (austragende) Mutter soll<br />

nicht dem Konflikt zwischen der psychischen<br />

Bindung an ihr Kind und der Zusage<br />

gegenüber den Wunscheltern ausgesetzt<br />

werden und das Kind ist davor zu schützen,<br />

dass es zur Ware degradiert wird, die man<br />

bei Dritten bestellen könne.«<br />

Auszug aus einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts<br />

(Az.: 5A 748/2014)<br />

zur Leihmutterschaft<br />

Betreutes<br />

Wohnen<br />

für unter<br />

1-Jährige:<br />

Uterus zu<br />

vermieten<br />

32<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


Aus der Bibliothek<br />

Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung<br />

lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form (1920)<br />

»Die Welt. Die von morgen« (27)<br />

»Die Anstalten, die der Idiotenpflege<br />

dienen, werden anderen Zwecken entzogen;<br />

soweit es sich um Privatanstalten<br />

handelt, muß die<br />

Verzinsung berechnet werden;<br />

ein Pflegepersonal von vielen<br />

tausend Köpfen wird für diese<br />

gänzlich unfruchtbare Aufgabe<br />

festgelegt und fordernder<br />

Arbeit entzogen; es ist<br />

eine peinliche Vorstellung,<br />

daß ganze Generationen von<br />

Pflegern neben diesen leeren<br />

Menschhülsen dahinaltern,<br />

von denen nicht wenige 70<br />

Jahre und älter werden. Die<br />

Frage, ob der für diese Kategorien von<br />

Ballastexistenzen notwendige Aufwand<br />

nach allen Richtungen hin gerechtfertigt<br />

sei, war in den verflossenen Zeiten<br />

des Wohlstandes nicht dringend; jetzt ist<br />

es anders geworden, und wir müssen uns<br />

ernstlich mit ihr beschäftigen. [...]<br />

Von dem Standpunkte einer höheren<br />

staatlichen Sittlichkeit aus gesehen kann<br />

nicht wohl bezweifelt werden, daß in dem<br />

Streben nach unbedingter Erhaltung lebensunwerten<br />

Lebens Übertreibungen geübt<br />

worden sind. Wir haben es, von fremden<br />

Gesichtspunkten aus, verlernt, in dieser<br />

Beziehung den staatlichen<br />

Organismus im selben Sinne<br />

wie ein Ganzes mit eigenen<br />

Gesetzen und Rechten zu betrachten,<br />

wie ihn etwa ein in<br />

sich geschlossener menschlicher<br />

Organismus darstellt,<br />

der, wie wir Ärzte wissen, im<br />

Interesse der Wohlfahrt des<br />

Ganzen auch einzelne wertlos<br />

gewordene oder schädliche<br />

Teile oder Teilchen preisgibt<br />

und abstößt.«<br />

Karl Binding/Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung<br />

lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und<br />

ihre Form (1920).<br />

Anm. d. Redaktion: Hoche war Psychiater, Binding<br />

Professor für Strafrecht. Ihr o. a. Buch erschien 1920 auf<br />

dem Höhepunkt einer Debatte, die in Deutschland über<br />

die »Tötung Geisteskranker« geführt wurde. Historiker<br />

vertreten die Auffassung, dieses Buch habe der Reichsregierung<br />

unter Adolf Hitler die Begründungen für die<br />

Massenmorde an Menschen mit körperlichen, geistigen<br />

und psychischen Besonderheiten geliefert.<br />

Fünf Jahre, nachdem der Bundestag<br />

im November <strong>2015</strong> den ärztlich assistierten<br />

Suizid legalisiert hatte, ist im<br />

Deutschland von morgen eine Debatte<br />

darüber entbrannt, ob Ärzten die Approbation<br />

entzogen werden solle, die<br />

sich weigerten, Patienten bei einem Suizid<br />

zu assistieren. Argumentiert wird<br />

unter anderem, vor allem in ländlichen<br />

Gebieten sei nicht sichergestellt, dass<br />

alle Suizidwilligen auch immer einen<br />

Arzt fänden, der bereit sei, ihnen bei<br />

der Selbsttötung zur Hand zu gehen.<br />

Im Petitionsausschuss des Bundestags<br />

seien zahlreiche Beschwerden von Angehörigen<br />

eingegangen, die beklagten,<br />

dass <strong>–</strong> obwohl ihre hochbetagten Verwandten<br />

längst eingewilligt hätten,<br />

aus dem Leben zu scheiden <strong>–</strong> sich kein<br />

Arzt fände, der ihnen dabei helfen wolle.<br />

Ein hochbetagtes Mitglied des wissenschaftlichen<br />

Beirats der »Giordano<br />

Bruno Stiftung« hat sogar die Bundesrepublik<br />

Deutschland vor dem Europäischen<br />

Gerichtshof für Menschenrechte<br />

verklagt. Er argumentiert, der<br />

Staat hindere ihn an einem »Sterben<br />

in Würde«, da er es versäume, Sorge<br />

dafür zu tragen, dass es ein flächendeckendes<br />

Angebot von Ärzten gebe, die<br />

bereit seien, Suizidhilfe zu leisten. Da<br />

er weiter für die Kosten seiner Pflege<br />

aufkommen müsse, entstünden »durch<br />

die Abschmelzung des Erbes« zudem<br />

seinen Nachkommen erhebliche finanzielle<br />

Nachteile. Die Leitungsgremien<br />

von »Amnesty International« diskutieren,<br />

ob die Organisation mit einer<br />

Kampagne für ein »Menschenrecht<br />

auf Suizid« eine neue Zielgruppe auf<br />

sich aufmerksam machen und als Mitglieder<br />

gewinnen könne. Stefan Rehder<br />

K U R Z & B Ü N D I G<br />

Thailand verbietet Leihmutterschaft<br />

Bangkok (<strong>ALfA</strong>). In Thailand dürfen Kliniken<br />

Ausländern nicht länger die Dienste von<br />

Leihmüttern anbieten. Auch der Kauf von<br />

Ei- und Samenzellen ist verboten. Ärzte, die<br />

dennoch kommerzielle Leihmutterschaften<br />

unterstützen, müssen mit Haftstrafen von<br />

bis zu einem Jahr rechnen, Leihmütter mit<br />

M YA N M A R<br />

L A O S<br />

T H A I L A N D<br />

G O L F<br />

V O N<br />

T H A I L A N D<br />

K A M B O D S C H A<br />

V I E T N A M<br />

bis zu zehn Jahren. Das teilte Ende Juli das<br />

thailändische Gesundheitsministerium mit.<br />

Lediglich verheiratete, heterosexuelle Paare,<br />

von denen mindestens einer thailändischer<br />

Staatsbürger sein muss, dürfen <strong>–</strong> sofern<br />

diese nicht direkt bezahlt werden <strong>–</strong> noch<br />

Leihmütter in Anspruch nehmen. Mit der Gesetzesänderung<br />

reagierte die thailändische<br />

Regierung auf zwei Skandale, die weltweit<br />

für Schlagzeilen gesorgt hatten. In dem<br />

einen Fall ließ ein australisches Paar ein<br />

krankes Zwillingskind bei der Leihmutter und<br />

nahm nur das gesunde Geschwisterchen mit<br />

nach Australien. In dem anderen Fall hatte<br />

ein reicher Japaner mindestens zehn Kinder<br />

mit Hilfe von Leihmüttern gezeugt, angeblich<br />

um seine Nachkommenschaft zu sichern. reh<br />

EGMR: Richter weisen Klage ab<br />

Straßburg (<strong>ALfA</strong>). Der Europäische Gerichtshof<br />

für Menschenrechte (EGMR) hat<br />

die Klage einer Italienerin abgewiesen, die<br />

ihre künstlich erzeugten und anschließend<br />

tiefgefrorenen Embryonen der Forschung zur<br />

Verfügung stellen wollte. Der Staat Italien<br />

habe das Recht, eine solche Embryo-Spende<br />

zu verbieten, urteilten die Richter Anfang<br />

September. Die 1954 geborene Klägerin<br />

hatte sich 2002 einer In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF) unterzogen, bei der fünf Embryonen<br />

künstlich erzeugt und tiefgefroren wurden.<br />

Als der Mann der Frau im Jahr darauf<br />

verstarb, lehnte sie den Embryotransfer<br />

zur Herbeiführung einer Schwangerschaft<br />

ab und beschloss stattdessen, die Eizellen<br />

der Wissenschaft zur Erforschung seltener<br />

Krankheiten zur Verfügung zu stellen. reh<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5 33


L E S E R F O R U M<br />

Auch Zeichen für den Tod<br />

34<br />

An der Titelgestaltung von »<strong>LebensForum</strong>«<br />

wird häufiger Kritik<br />

geübt. Woher ich das weiß? Weil Sie<br />

sich nicht scheuen, diese, zumindest<br />

aber einen Teil davon, hier<br />

auch zu veröffentlichen. Deshalb<br />

hoffe ich, dass Sie auch dieses Lob<br />

veröffentlichen werden: Ich finde<br />

das Titelbild der letzten Ausgabe<br />

ganz besonders gelungen.<br />

Geradezu preisverdächtig.<br />

Janette Husemann, Kleve<br />

Hochwürden Andreas Kuhlmann, katholischer<br />

Priester, plädiert (LF114, S.<br />

24f.) dafür, beim »Marsch für das Leben«<br />

auf das Mitführen weißer Kreuze<br />

zu verzichten und statt ihrer leere Kinderwagen<br />

mitzuführen. Das Kreuz sei mit<br />

Tod und Auferstehung des Sohnes Gottes<br />

zum Zeichen der Hoffnung und der<br />

Liebe geworden. Es für politische Zwecke<br />

einzusetzen, gehe mit der Gefahr<br />

einher, diese seine eigentliche Aussage<br />

zu verfälschen. Da bin ich, auch ich ein<br />

katholischer Christ, ganz anderer Meinung.<br />

Ein Freund, mit dem ich Krankendienst<br />

gemacht habe, hat es einmal<br />

so ausgedrückt: »Das ist gerade der Unterschied<br />

zum Roten Kreuz: An unserem<br />

Kreuz hängt einer!« Der da hängt,<br />

hat selbst gelitten und ist ungerecht gestorben.<br />

Das Kreuz ist, da stimme ich zu,<br />

ein Zeichen für den Sieg über den Tod.<br />

Ebenso hält es uns aber, mit dem der daran<br />

hängt, das Sterben Christi vor Augen.<br />

So ist das Kreuz auch ein Zeichen<br />

für den Tod, für das Gedenken an die<br />

Toten und für die Barmherzigkeit Gottes<br />

mit uns Lebenden und unseren Toten.<br />

Stirbt ein kleines Kind, so wird es oft<br />

in einem kleinen weißen Sarg beigesetzt.<br />

Die weißen Kreuze sind so für mich ein<br />

starkes Symbol für den Tod kleiner Kinder,<br />

ob wir sie nun zu Tode getragen haben<br />

oder nicht.<br />

Jesus selbst sagt uns: »Wer mein Jünger<br />

sein will, nehme täglich sein Kreuz<br />

auf sich und folge mir nach« (Lk 9,23).<br />

Die politisch zugelassenen vorgeburtlichen<br />

Kindstötungen sind für mich eines<br />

meiner Kreuze, die ich durch meinen<br />

Alltag zu tragen habe. Warum soll<br />

ich dann nicht zum Gedenken an die<br />

durch Abtreibung um ihr Leben gebrachten<br />

Kinder dieses mein Kreuz auch beim<br />

»Marsch für das Leben«<br />

als sichtbares<br />

weißes Kreuz mit<br />

mir führen? Ob ein<br />

Kinderwagen leer ist<br />

oder nicht, sieht nur<br />

der, der ihn schiebt.<br />

Keinesfalls kommen<br />

mitgeführte Kinderwagen<br />

in ihrer Symbolkraft<br />

für die toten<br />

Kinder an die weißen<br />

Kreuze heran.<br />

Wir sollten sie deshalb<br />

beim »Marsch<br />

für das Leben« auch weiterhin gelassen<br />

mit uns tragen. Auch wenn wir vielleicht<br />

gerade wegen der weißen Kreuze und ihrer<br />

klaren Aussage angegriffen, beschimpft<br />

und bespuckt werden.<br />

Anton Graf von Wengersky, Grafing<br />

Die Symbolik des Kreuzes<br />

Der »Marsch für das Leben« durch Berlin<br />

Andreas Kuhlmann und auch andere<br />

Leser mögen es mir bitte gleich zu Anfang<br />

nachsehen, dass ich als lutherischer<br />

Christ nicht auf die angeführten Heiligen<br />

in der Stellungnahme eingehen kann und<br />

möchte. Ich finde den Beitrag trotzdem<br />

interessant und diskussionswürdig. Vorweg,<br />

ich empfinde das Tragen der Kreuze<br />

beim »Marsch für das Leben« für richtig<br />

und würde nicht darauf verzichten wollen.<br />

Zur Begründung: Das Kreuz beziehungsweise<br />

der christliche Glaube verschwindet<br />

immer mehr aus der Öffentlichkeit.<br />

Das ist schade und sehr bedauerlich,<br />

gibt unser Glaube doch Hilfe zur<br />

Orientierung und im Umgang mit Problemen<br />

wie zum Beispiel den Schwangerschaftskonflikten.<br />

Ich stimme mit Herrn<br />

Kuhlmann darin überein, dass das Kreuz<br />

unter anderem Symbol für Hoffnung<br />

ist. Allerdings ist es auch ein Symbol für<br />

den Tod, der zwar durch Jesus Christus<br />

überwunden wurde, aber nur denen den<br />

Schrecken nehmen kann, die Christus<br />

auch als ihren Erlöser angenommen haben.<br />

Da dürften wir dann an der Stelle<br />

sein, dass schon viele Bürger in diesem<br />

Land eben keine (aktiven) Christen mehr<br />

sind. Auch oder gerade diese sollen ja<br />

durch den Marsch angesprochen werden.<br />

Es ist und bleibt eben das Anliegen, auf<br />

den hunderttausendfachen Tod der Ungeborenen,<br />

beziehungsweise der gezielten<br />

Tötung eben dieser, einmal im Jahr hinzuweisen.<br />

Dieses gelingt eben am besten<br />

durch eine Symbolik, die jeder versteht.<br />

Mit leeren Kinderwagen, wie das vorgeschlagen<br />

wurde, ist das meiner Meinung<br />

nach nicht wirklich zu bewerkstelligen.<br />

Zudem ist der Transport dieser Kinderwagen<br />

schon ein logistisches Problem,<br />

ein teures noch dazu.<br />

Nein, das Kreuz, das Symbol unseres<br />

Glaubens, das sowohl für den Tod als<br />

auch für die Vergebung steht, muss noch<br />

massiver zurück in die Öffentlichkeit gebracht<br />

werden. In einer visuellen Welt wie<br />

der Unseren wird man ansonsten nicht<br />

mehr wahrgenommen. Wir haben eine<br />

Botschaft und diese muss durch eindeutige<br />

Symbole transportiert werden. Wer<br />

kein Kreuz nehmen mag, kann wie auch<br />

in den letzten Jahren mit leeren Händen<br />

gehen, ein Schild tragen, gerne auch einen<br />

leeren Kinderwagen schieben. Ich schreibe<br />

es noch einmal ganz deutlich. Auf die<br />

Kreuze gänzlich zu verzichten, halte ich<br />

allerdings für absolut falsch!<br />

Sven Behrens, Bremervörde<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5


I M P R E S S U M<br />

IMPRESSUM<br />

LEBENSFORUM<br />

Ausgabe Nr. <strong>115</strong>, 3. Quartal <strong>2015</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />

z.H. Dr. med. Karl Renner<br />

Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf<br />

Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: k.renner@aerzte-fuer-das-leben.de<br />

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Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V.<br />

Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin<br />

Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax<br />

Internet: www.tclrg.de · E-Mail: info@tclrg.de<br />

Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder, M.A.<br />

Redaktion<br />

Matthias Lochner, Alexandra Linder M.A.,<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen<br />

(Ärzte für das Leben e.V.)<br />

Anzeigenverwaltung<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

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Erscheinungsweise<br />

<strong>LebensForum</strong> Nr. 116 erscheint am 14.11.<strong>2015</strong>. Redaktionsschluss<br />

ist der 18.09.<strong>2015</strong>.<br />

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16,<strong>–</strong> EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />

das Leben im Beitrag enthalten)<br />

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Titelbild<br />

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L e b e n s F o r u m 1 1 5 35


L E T Z T E S E I T E<br />

Hilfe statt<br />

Scheine<br />

Gericht bestätigt den Anspruch<br />

katholischer Beratungsstellen<br />

auf finanzielle Förderung<br />

Von Stefan Rehder<br />

Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />

Deutsche Post AG (DPAG)<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />

36<br />

Einen zählbaren Erfolg für den Lebensschutz<br />

haben die Caritasverbände<br />

des Erzbistums Berlin und<br />

der Diözese Görlitz vor Gericht errungen.<br />

Ende Juni bestätigten die Richter<br />

des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig<br />

ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts<br />

Berlin-Brandenburg aus dem Jahr<br />

2013, das den beiden Schwangerenberatungsstellen<br />

in Strausberg und Cottbus<br />

der Caritasverbände im Erzbistum<br />

Berlin und im Bistum Görlitz einen Anspruch<br />

auf Förderung durch das Land<br />

Brandenburg attestiert hatte. Gegen diese<br />

Entscheidung hatte das Land Brandenburg<br />

Revision beim Bundesverwaltungsgericht<br />

eingelegt.<br />

Das Land muss nun die rechtswidrig<br />

vorenthaltenen Fördermittel für die Jahre<br />

2007 bis <strong>2015</strong> (rund 1,6 Millionen Euro)<br />

an die beiden Caritasverbände nachzahlen.<br />

»Das Urteil ist ein Erfolg für<br />

den Lebensschutz. Schwangere Frauen<br />

müssen die Möglichkeit haben, eine Beratung<br />

zu wählen, die für das Leben eintritt«,<br />

erklärte Gabriela Pokall, Direktorin<br />

des Caritasverbandes der Diözese<br />

Görlitz nach Bekanntgabe des Urteils.<br />

»Die Entscheidung des Gerichts stellt eine<br />

Würdigung der besonderen Schwangerenberatung<br />

der Katholischen Kirche<br />

ohne Beratungsschein dar und bedeutet,<br />

dass diese Beratungsart in der weltanschaulichen<br />

Vielfalt ihren Platz hat«,<br />

so Pokall weiter.<br />

Nach dem Schwangerenkonfliktgesetz<br />

(SchKG) haben auch Einrichtungen, die<br />

»nur« eine Schwangerenberatung und<br />

nicht auch eine sogenannte Schwangerenkonfliktberatung<br />

anbieten <strong>–</strong> weil sie nach<br />

dem Umstieg der Katholischen Kirche in<br />

der Schwangerenberatung seit 2001 keine<br />

Beratungsscheine mehr ausstellen, die<br />

schwangere Frauen zu einer straffreien<br />

Abtreibung berechtigen <strong>–</strong>, grundsätzlich<br />

einen Anspruch auf Förderung.<br />

Das Land Brandenburg hatte jedoch,<br />

nachdem es sich in einem außergerichtlichen<br />

Vergleich mit den Caritasverbänden<br />

im Erzbistum Berlin und im Bistum<br />

Görlitz über die Nachzahlung von Fördermitteln<br />

für die Jahre 2001 bis 2006<br />

geeinigt hatte, im Jahr 2007 ein Ausführungsgesetz<br />

erlassen, das es ihm ermöglichen<br />

sollte, die von der Caritas getragenen<br />

Beratungsstellen künftig von einer Förderung<br />

auszuschließen. Dieses Gesetz besagt,<br />

dass das Land für den Fall, dass es auf<br />

seinem Territorium mehr Beratungsstellen<br />

gibt, als zur Deckung des bundeseinheitlich<br />

definierten<br />

Bedarfs notwendig<br />

sind, vorrangig<br />

diejenigen<br />

Beratungsstellen<br />

zu fördern habe,<br />

die beide Formen<br />

der Beratung anbieten.<br />

Im Verlauf des<br />

Verfahrens, unter<br />

das die obersten<br />

Verwaltungsrichter<br />

in Leipzig mit<br />

ihrem Urteil nun<br />

einen Schlussstrich<br />

zogen, stellte<br />

sich das Land<br />

Brandenburg auf<br />

den Standpunkt,<br />

die Beratungsstellen der Caritas seien zur<br />

Deckung des Beratungsbedarfs in Brandenburg<br />

nicht notwendig. Dem war bereits<br />

das Oberverwaltungsgericht Berlin-<br />

Brandenburg nicht gefolgt. Nach Ansicht<br />

der Richter reicht es nicht aus, dass das<br />

Land dafür sorge, dass der sogenannte<br />

Mindestversorgungsschlüssel von einer<br />

Beratungskraft pro 40.000 Einwohner<br />

eingehalten werde. Gesetzlich gefordert<br />

sei auch die Gewährleistung eines weltanschaulich<br />

pluralen Beratungsangebots.<br />

In ihrem Urteil hoben die Richter ausdrücklich<br />

hervor, dass das von der Katholischen<br />

Kirche getragene Beratungsangebot<br />

auf den »unbedingten Schutz<br />

des ungeborenen Lebens« ausgerichtet<br />

sei. Insofern unterscheide es sich signifikant<br />

von allen anderen in Brandenburg<br />

geförderten Beratungsstellen.<br />

Rund 75 Prozent der in Brandenburg<br />

geförderten Beratungsstellen trägt<br />

der Verband »pro familia«. Zudem widerspreche<br />

der Ausschluss eines Angebots<br />

von der öffentlichen Förderung, wie<br />

es die Katholische Kirche offeriere, der<br />

Schutzpflicht, die dem Staat für das ungeborene<br />

Leben obliege.<br />

Brandenburg muss auch scheinlose Beratung fördern<br />

Der Rechtsstreit entstand, nachdem<br />

die deutschen Bischöfe 1999 beschlossen<br />

hatten, die Beteiligung am staatlichen<br />

System der Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

zu beenden. Seitdem stellen katholische<br />

Schwangerschaftsberatungsstellen<br />

keine Beratungsscheine mehr aus, die<br />

zur straffreien Abtreibung genutzt werden<br />

können. Nach Auffassung des Landes<br />

Brandenburg verloren die Beratungsstellen<br />

der Caritas hierdurch ihre Förderberechtigung.<br />

Die Caritas setzte ihre Beratung<br />

jedoch unvermindert fort. Experten<br />

messen dem Urteil eine grundsätzliche<br />

Bedeutung bei, die über das Land Brandenburg<br />

hinaus reiche.<br />

L e b e n s F o r u m 1 1 5

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