ZAP-2020-02

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Fach 22, Seite 988 Pflichtverteidigung Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug bb) Beiordnung erst nach Eröffnung des Tatvorwurfs Das Antragsrecht entsteht erst, wenn dem Beschuldigten der Tatvorwurf eröffnet wird. Vorher gestellte Beiordnungsanträge sind unzulässig (BT-Drucks 19/13829, S. 36). Hinweis: Das durch § 137 Abs. 1 S. 1 StPO gewährte Recht des Beschuldigten, sich in jeder Phase des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, bleibt hiervon aber unberührt. cc) Vorrang der Wahlverteidigung Weiter setzt die Beiordnung voraus, dass der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat oder der gewählte Verteidiger bereits mit dem Beiordnungsantrag ankündigt, im Falle der Bestellung das Wahlmandat niederzulegen. Hiermit soll der Vorrang der Wahlverteidigung aufrechterhalten werden (BT-Drucks 19/13829, a.a.O.). b) Zwingende Beiordnung von Amts wegen In den Fällen des § 141 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 StPO n.F. hat die Bestellung des Verteidigers dagegen unabhängig von einem Antrag des Beschuldigten zu erfolgen, es sei denn es ist die zeitnahe Einstellung des Verfahrens beabsichtigt und es sollen lediglich Registerauskünfte eingeholt oder Akten beigezogen werden (§ 141 Abs. 2 S. 3 StPO n.F.). aa) Haftentscheidung Eine Beiordnung von Amts wegen hat gem. Nr. 1 zu erfolgen, sobald der Beschuldigte einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll (s. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO n.F.). bb) Anstaltsunterbringung in anderer Sache Befindet sich der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt (s. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO n.F.), ist gem. Nr. 2 ebenfalls auch ohne Antrag ein Verteidiger zu bestellen; dies allerdings erst, wenn ihm in der neuen Sache, in der die Beiordnung erfolgen soll, der Tatvorwurf eröffnet ist. Solange das Verfahren gegen ihn noch nicht offen geführt wird, ist für eine Verteidigerbestellung kein Raum. cc) Vernehmung eines schutzbedürftigen Beschuldigten § 141 Abs. 2 Nr. 3 StPO n.F. bestimmt, dass eine Verteidigerbestellung auch ohne Antrag des Beschuldigten spätestens dann erforderlich ist, wenn im Vorverfahren eine Vernehmung oder Gegenüberstellung mit ihm durchgeführt werden soll und die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Umstände des Einzelfalls, namentlich der Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten, erforderlich ist. Dies kann nach der Gesetzesbegründung etwa dann der Fall sein, wenn der Beschuldigte aufgrund mangelnder Übersicht die Tragweite der Nichtausübung seines Antragsrechts nicht zu erkennen vermag (BT-Drucks 19/13829, S. 38). Dies dürfte am ehesten in Fällen gegeben sein, in denen von einer Unfähigkeit zur Selbstverteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO auszugehen ist. Eine unzutreffende, nicht auf Selbstverteidigungsunfähigkeit zurückgehende Fehleinschätzung der eigenen prozessualen Lage, etwa im Hinblick auf die Beweissituation, wird hingegen nicht genügen können. Hinweis: Allerdings ist nicht bei jeder Vernehmung ein Verteidiger zu bestellen, denn eine Beiordnung setzt immer die Einschlägigkeit des § 140 StPO voraus. Ist diese nicht ersichtlich, etwa weil die Ermittlungsbehörden nur von einem geringfügigen Vergehen, welches mit einer Geldstrafe wird geahndet werden können, ausgehen, bedarf es keiner Bestellung (BT-Drucks 19/13829, a.a.O.). 104 ZAP Nr. 2 22.1.2020

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 989 Pflichtverteidigung dd) Anklageerhebung Darüber hinaus bestimmt Nr. 4, dass die Mitwirkung eines Verteidigers auch ohne Antrag des Beschuldigten erforderlich ist, wenn er Gelegenheit erhält, sich gem. § 201 StPO zu einer Anklage zu äußern, und ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist. Hinweis: Es kann jedoch auch zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Beiordnung erfolgen, etwa wenn sich erst im Verlauf des Verfahrens herausstellt, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist. Die Gesetzesbegründung nennt hier als Beispiel die Vorlage des Strafrichters an das Schöffengericht gem. § 209 Abs. 2 StPO. Denkbar sind zudem Fälle, in denen sich erst in der Hauptverhandlung herausstellt, dass die Folgen der Tat so gewichtig sind, dass die zunächst als geringer eingestufte Straferwartung nunmehr bei mindestens einem Jahr liegt. 2. Vernehmung und Gegenüberstellung vor der Verteidigerbestellung, § 141a StPO Unter den Voraussetzungen des § 141a StPO n.F. dürfen Vernehmungen und Gegenüberstellungen ausnahmsweise schon vor der Bestellung eines Verteidigers durchgeführt werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder für die Freiheit einer Person dringend erforderlich oder zur Abwendung einer erheblichen Gefährdung eines Strafverfahrens zwingend geboten sind. Von einer solchen erheblichen Gefährdung soll nach der Gesetzesbegründung auszugehen sein, wenn die Vernichtung von Beweismitteln oder die Beeinflussung von Zeugen droht oder nur so die Flucht eines Mitbeschuldigten verhindert werden kann. Hat der Beschuldigte gem. § 141 Abs. 1 StPO n.F. einen Beiordnungsantrag gestellt, bedarf die Durchführung der Vernehmung/Gegenüberstellung darüber hinaus auch seines ausdrücklichen Einverständnisses. Hinweis: Die Ausnahmevorschrift des § 141a StPO n.F. erlaubt freilich lediglich die Vernehmung eines aussagebereiten Beschuldigten. Sein allgemeines Schweigerecht bleibt unberührt. Ebenso unberührt bleibt, dies bestimmt § 141a S. 2 StPO n.F. ausdrücklich, das Recht des Beschuldigten, schon vor der Vernehmung einen von ihm gewählten Verteidiger zu befragen. Erklärt er also, bereits vor der Vernehmung einen (Wahl-)Verteidiger befragen zu wollen, darf ihm dies nicht verwehrt werden. Gleichwohl erscheint § 141a StPO n.F. nicht unbedenklich. Es ist schwerlich vorstellbar, dass ein Beschuldigter, der zuvor ausdrücklich die Beiordnung eines Verteidigers beantragt hat, plötzlich damit einverstanden sein soll, sich doch vernehmen zu lassen, zumal in einer solchen Vernehmung bereits entscheidende Weichen für den späteren Ausgang des Verfahrens gestellt werden können. Diese Problematik hat wohl auch der Gesetzgeber gesehen und betont, dass es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung handele. Zudem sei die Bestellung eines Verteidigers im Wege der Eilzuständigkeit der StA gem. § 142 Abs. 4 StPO n.F. (s.u. III 3 b) vorrangig. Zu dieser an die Praxis gerichteten Mahnung passt es allerdings nicht recht, wenn die Gesetzesbegründung zugleich hervorhebt, dass ein Verstoß grds. nicht zu einem Verwertungsverbot führen soll. Ein solches könne sich nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, ergeben (BT-Drucks 19/13829, S. 40). ZAP Nr. 2 22.1.2020 105

Fach 22, Seite 988<br />

Pflichtverteidigung<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

bb) Beiordnung erst nach Eröffnung des Tatvorwurfs<br />

Das Antragsrecht entsteht erst, wenn dem Beschuldigten der Tatvorwurf eröffnet wird. Vorher gestellte<br />

Beiordnungsanträge sind unzulässig (BT-Drucks 19/13829, S. 36).<br />

Hinweis:<br />

Das durch § 137 Abs. 1 S. 1 StPO gewährte Recht des Beschuldigten, sich in jeder Phase des Verfahrens des<br />

Beistands eines Verteidigers zu bedienen, bleibt hiervon aber unberührt.<br />

cc) Vorrang der Wahlverteidigung<br />

Weiter setzt die Beiordnung voraus, dass der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat oder der<br />

gewählte Verteidiger bereits mit dem Beiordnungsantrag ankündigt, im Falle der Bestellung das<br />

Wahlmandat niederzulegen. Hiermit soll der Vorrang der Wahlverteidigung aufrechterhalten werden<br />

(BT-Drucks 19/13829, a.a.O.).<br />

b) Zwingende Beiordnung von Amts wegen<br />

In den Fällen des § 141 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 StPO n.F. hat die Bestellung des Verteidigers dagegen<br />

unabhängig von einem Antrag des Beschuldigten zu erfolgen, es sei denn es ist die zeitnahe Einstellung<br />

des Verfahrens beabsichtigt und es sollen lediglich Registerauskünfte eingeholt oder Akten beigezogen<br />

werden (§ 141 Abs. 2 S. 3 StPO n.F.).<br />

aa) Haftentscheidung<br />

Eine Beiordnung von Amts wegen hat gem. Nr. 1 zu erfolgen, sobald der Beschuldigte einem Gericht zur<br />

Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll (s. § 140 Abs. 1 Nr. 4<br />

StPO n.F.).<br />

bb) Anstaltsunterbringung in anderer Sache<br />

Befindet sich der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in<br />

einer Anstalt (s. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO n.F.), ist gem. Nr. 2 ebenfalls auch ohne Antrag ein Verteidiger zu<br />

bestellen; dies allerdings erst, wenn ihm in der neuen Sache, in der die Beiordnung erfolgen soll, der<br />

Tatvorwurf eröffnet ist. Solange das Verfahren gegen ihn noch nicht offen geführt wird, ist für eine<br />

Verteidigerbestellung kein Raum.<br />

cc) Vernehmung eines schutzbedürftigen Beschuldigten<br />

§ 141 Abs. 2 Nr. 3 StPO n.F. bestimmt, dass eine Verteidigerbestellung auch ohne Antrag des Beschuldigten<br />

spätestens dann erforderlich ist, wenn im Vorverfahren eine Vernehmung oder Gegenüberstellung<br />

mit ihm durchgeführt werden soll und die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der<br />

Umstände des Einzelfalls, namentlich der Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten, erforderlich ist.<br />

Dies kann nach der Gesetzesbegründung etwa dann der Fall sein, wenn der Beschuldigte aufgrund<br />

mangelnder Übersicht die Tragweite der Nichtausübung seines Antragsrechts nicht zu erkennen<br />

vermag (BT-Drucks 19/13829, S. 38). Dies dürfte am ehesten in Fällen gegeben sein, in denen von einer<br />

Unfähigkeit zur Selbstverteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO auszugehen ist. Eine unzutreffende, nicht auf<br />

Selbstverteidigungsunfähigkeit zurückgehende Fehleinschätzung der eigenen prozessualen Lage, etwa<br />

im Hinblick auf die Beweissituation, wird hingegen nicht genügen können.<br />

Hinweis:<br />

Allerdings ist nicht bei jeder Vernehmung ein Verteidiger zu bestellen, denn eine Beiordnung setzt immer<br />

die Einschlägigkeit des § 140 StPO voraus. Ist diese nicht ersichtlich, etwa weil die Ermittlungsbehörden<br />

nur von einem geringfügigen Vergehen, welches mit einer Geldstrafe wird geahndet werden können,<br />

ausgehen, bedarf es keiner Bestellung (BT-Drucks 19/13829, a.a.O.).<br />

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