ZAP-2020-02
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Fach 22, Seite 984<br />
Pflichtverteidigung<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
vor dem Schöffengericht erfasst. Dies dürfte praktisch keine allzu großen Auswirkungen haben, da vor<br />
dem Schöffengericht aufgrund dessen Zuständigkeit für Verbrechen bzw. für Strafsachen mit einer<br />
Straferwartung von mehr als zwei Jahren auch nach bisheriger Rechtslage regelmäßig ein Verteidiger<br />
beizuordnen war.<br />
Von deutlich größerer Relevanz dürfte dagegen die zweite Änderung sein, die § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO<br />
erfahren hat: Während bisher ausschlaggebend war, bei welchem Gericht das Hauptverfahren letztlich<br />
eröffnet wurde, ist eine Beiordnung nach neuem Recht früher erforderlich, nämlich bereits dann,<br />
wenn „zu erwarten“ ist, dass die Hauptverhandlung (mindestens) vor dem Schöffengericht stattfinden<br />
wird.<br />
Der Gesetzgeber vollzieht hiermit einen Perspektivenwechsel, weg von der Hauptverhandlung hin<br />
zum Ermittlungsverfahren. Dieser soll auch dadurch verdeutlicht werden, dass die Möglichkeit einer<br />
früheren Verteidigerbestellung nicht mehr wie bisher in § 141 Abs. 3 StPO (nach Auffassung des<br />
Gesetzgebers eine „versteckte“ Stelle, BT-Drucks 19/13829, S. 32) geregelt wird, sondern in § 140 Abs. 1<br />
StPO.<br />
a) Verbrechensverdacht<br />
Eine Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht oder „höher“ wird insb. zu erwarten sein, wenn der<br />
Beschuldigte eines Verbrechens verdächtig ist.<br />
Hinweis:<br />
Hierfür kann ein Anfangsverdacht genügen (BT-Drucks 19/13829, S. 32). Man wird also, etwa wenn der<br />
Verdacht des räuberischen Diebstahls entstanden ist, einem Beiordnungsantrag nicht entgegenhalten<br />
können, dass die Ermittlungen noch am Anfang stünden und erst noch geprüft werden müsse, ob nicht<br />
doch nur ein „einfacher“ Diebstahl vorliegt. Dies ist sachgerecht, kann doch gerade in dieser Phase des<br />
Verfahrens die Mitwirkung eines Verteidigers für den Beschuldigten von entscheidender Bedeutung sein.<br />
Lässt sich der entstandene Verdacht bereits hier entkräften, können u.U. eingriffsintensive Zwangsmaßnahmen<br />
sowie eine belastende und kostenträchtige Hauptverhandlung vermieden werden. Allerdings<br />
kann bei einem späteren Wegfall des Verbrechensverdachts die Rücknahme der Beiordnung in Betracht<br />
kommen (§ 143 Abs. 2 S. 1 StPO n.F).<br />
b) Vergehen<br />
Wird dem Beschuldigten dagegen lediglich ein Vergehen zur Last gelegt, liegt die Zuständigkeit des<br />
Schöffengerichts oder gar des LG/OLG nicht auf der Hand. Die Prognose, wo die Anklage letztlich<br />
erhoben werden wird, wird in diesen Fällen in aller Regel erst nach einer gewissen Ermittlungstätigkeit<br />
und nicht vor der ersten Vernehmung des Beschuldigten, sondern in einer späteren Phase<br />
des Ermittlungsverfahrens getroffen werden können. Insbesondere werden Art und Umfang der Tat,<br />
ggf. einschließlich persönlicher Umstände des Angeklagten (Vorstrafen) bereits so klar umrissen sein<br />
müssen, dass dies die Erwartung stützt, der Fall werde nicht vor dem Strafrichter verhandelt werden<br />
(BT-Drucks 19/13829, a.a.O.).<br />
Hinweis:<br />
Ist noch nicht ersichtlich, dass letztlich (mindestens) das Schöffengericht zuständig sein wird, kann es sich<br />
empfehlen, einen Beiordnungsantrag vorerst zurückzustellen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der<br />
Verteidiger belastende Umstände, denen seitens der Ermittlungsbehörden noch keine Bedeutung beigemessen<br />
wird oder die ihnen noch gar nicht bekannt sind, in der Antragsbegründung selbst herausarbeitet<br />
und so letztlich dem eigenen Mandanten schadet.<br />
100 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 22.1.<strong>2<strong>02</strong>0</strong>