Leseprobe_Großer Ahornboden 2. Auflage

15.01.2020 Aufrufe

Vordergründig wären hier die „klassischen“ Einflüsse im Hochgebirge zu nennen, welche in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität für den gesamten Alpenbogen zutreffen: Wind, Schnee, Lawinen. Beim Wind ist es einfach. So ist schon allein an der Verteilung der Moose, Flechten und Farne an den Stämmen der alten Ahorne die Hauptwindrichtung und sog. „Wetterseiten“ leicht zu erkennen. Für das Gedeihen der Bergahorne, die aufgrund der umgebenden Bergketten in gewisser Weise geschützt sind, spielt der Wind aber nur eine unwesentliche Rolle. Viel entscheidender sind hier schon die Lawinen, welche – gerade die oft hohlen und daher um ihren Stützapparat beraubten – alten Bergahorne hart treffen können. Der sprichwörtlich „weiße Tod“ hat dabei unterschiedliche Gesichter. Ob als Staublawine, deren Zerstörungskraft auf Luftdruckschwankungen basiert, oder die im Frühling immer wieder anzutreffende Nassschneelawine: In der Chronik der Eng-Alm sind solche, aus Sicht der Bewirtschafter teils katastrophale, Ereignisse immer wieder dokumentiert. Oftmals waren davon auch die Bergahorne betroffen. Das dritte Gesicht des Schnees am Ahornboden ist der verfrühte Wintereinbruch im Sommer oder Herbst. Für den Fotografen ein lohnendes Motiv, stellt der Schnee im Sommer nicht nur für das Weidevieh, sondern auch für die Bergahorne eine Bedrohung dar. Die riesige Last des oftmals nassen Schnees auf den belaubten Ästen hat schon viele knorrige Gestalten einen erheblichen Teil ihres Aussehens gekostet. Wie viel es tatsächlich schneit, das können wir sogar genau sagen: In Hinterriß steht eine Messstation des Hydrographischen Dienstes in Tirol, die fleißig Niederschlagswerte und Temperaturen aufzeichnet. Dank ihr haben wir handfeste Daten zur Witterung der letzten 30 Jahre. So beträgt die Jahresdurchschnittstemperatur in Hinterriß, auf 920 m Seehöhe, gerade einmal 5,1 °C. Zum Vergleich: München hat etwa einen Durchschnitt von 9,7 °C, Innsbruck von 8,9 °C (Quellen: DWD/ZAMG). Was das bedeutet, wird deutlicher, wenn man die jahreszeitliche Verteilung beachtet: Von November bis einschließlich März liegen die Temperaturen im Durchschnitt der letzten 30 Jahre zwischen 0 und -5 °C. Jeden Winter sinken hier die Temperaturen punktuell auf -15 bis -20 °C ab. In man- Wie aus zahlreichen Eintragungen in der Chronik der Eng-Alm ersichtlich, sind große Lawinen in der Eng keine Seltenheit. 22

So sieht Wildflussdynamik aus! Der Rißbach zwischen Hoch- und Niedrigwasser. chen Wintern liegt von Anfang November bis Ende April durchgehend Schnee, und dass der von den Almbauern gefürchtete „Maischnee“ keine Seltenheit ist, zeigen diese Daten auch. Im Jahr 1991 bildete sich sogar am 18. Juni noch einmal eine Schneedecke! Dabei handelt es sich hierbei wohlgemerkt um die Aufzeichnungen aus Hinterriß, das 300 Meter tiefer liegt als der Große Ahornboden. Am Großen Ahornboden selbst steht nur ein Ombrometer, der die Regenstärke misst. Aus seinen Daten geht hervor: Es ist feucht. Mit 1.723 mm durchschnittlichem Jahresniederschlag herrschen hier fast schottische Verhältnisse! Es regnet etwa doppelt so viel wie in München (944 mm) oder Innsbruck (883 mm). Entscheidend sind aber vor allem die Starkregenereignisse, wie sie im Zuge des Klimawandels nun auch in trockeneren Gegenden auftreten. Am Ahornboden haben sie zwar schon eine längere Geschichte, ihre entfesselte Gewalt – verstärkt durch den Trichtereffekt des Gebirges – ist jedoch um keinen Deut geringer. In Hinterriß zeichnete die Messstation innerhalb der letzten 30 Jahre drei Mal extreme Regengüsse mit 125 bis 150 mm Niederschlag innerhalb eines Tages auf. Starkregenereignisse wie diese lassen die Alpenflüsse innerhalb von Minuten anschwellen und über die Ufer treten. Dies zeigen uns auch die Pegelwerte des bayrischen Wasserwirtschaftsamtes von der Rißbachklamm direkt an der Staatsgrenze zwischen Hinter- und Vorderriß. Nach einem starken Regen macht der Wildfluss seinem Namen Ehre und schwillt in kürzester Zeit zu einer reißenden Naturgewalt an. Der normale Abflusswert von 9 m 3 /s erreicht dann sein Zehnfaches – der „mittlere Hochwasserabfluss“ liegt bei 82 m 3 /s. Besonders extreme Regenfälle, wie sie in den letzten Jahren vermehrt auftreten, zum Beispiel 1999 und 2005, erreichen sogar einen Wert von knapp 350 m 3 /s! Diese Wassermassen gestalten das Bett des Flusses jedes Mal grundsätzlich neu, indem sie das Geröll des Karwendelkalks mal da, mal dort als Geschiebe ablagern. Die Mündung des Rißbachs in die 23

Vordergründig wären hier die „klassischen“<br />

Einflüsse im Hochgebirge zu nennen, welche in<br />

unterschiedlicher Ausprägung und Intensität<br />

für den gesamten Alpenbogen zutreffen: Wind,<br />

Schnee, Lawinen.<br />

Beim Wind ist es einfach. So ist schon allein an<br />

der Verteilung der Moose, Flechten und Farne<br />

an den Stämmen der alten Ahorne die Hauptwindrichtung<br />

und sog. „Wetterseiten“ leicht zu<br />

erkennen. Für das Gedeihen der Bergahorne,<br />

die aufgrund der umgebenden Bergketten in<br />

gewisser Weise geschützt sind, spielt der Wind<br />

aber nur eine unwesentliche Rolle.<br />

Viel entscheidender sind hier schon die Lawinen,<br />

welche – gerade die oft hohlen und daher<br />

um ihren Stützapparat beraubten – alten Bergahorne<br />

hart treffen können. Der sprichwörtlich<br />

„weiße Tod“ hat dabei unterschiedliche Gesichter.<br />

Ob als Staublawine, deren Zerstörungskraft<br />

auf Luftdruckschwankungen basiert, oder die<br />

im Frühling immer wieder anzutreffende Nassschneelawine:<br />

In der Chronik der Eng-Alm sind<br />

solche, aus Sicht der Bewirtschafter teils katastrophale,<br />

Ereignisse immer wieder dokumentiert.<br />

Oftmals waren davon auch die Bergahorne<br />

betroffen. Das dritte Gesicht des Schnees am<br />

<strong>Ahornboden</strong> ist der verfrühte Wintereinbruch<br />

im Sommer oder Herbst. Für den Fotografen ein<br />

lohnendes Motiv, stellt der Schnee im Sommer<br />

nicht nur für das Weidevieh, sondern auch für<br />

die Bergahorne eine Bedrohung dar. Die riesige<br />

Last des oftmals nassen Schnees auf den<br />

belaubten Ästen hat schon viele knorrige Gestalten<br />

einen erheblichen Teil ihres Aussehens<br />

gekostet.<br />

Wie viel es tatsächlich schneit, das können wir<br />

sogar genau sagen: In Hinterriß steht eine Messstation<br />

des Hydrographischen Dienstes in Tirol,<br />

die fleißig Niederschlagswerte und Temperaturen<br />

aufzeichnet. Dank ihr haben wir handfeste<br />

Daten zur Witterung der letzten 30 Jahre. So<br />

beträgt die Jahresdurchschnittstemperatur in<br />

Hinterriß, auf 920 m Seehöhe, gerade einmal<br />

5,1 °C. Zum Vergleich: München hat etwa einen<br />

Durchschnitt von 9,7 °C, Innsbruck von 8,9 °C<br />

(Quellen: DWD/ZAMG). Was das bedeutet,<br />

wird deutlicher, wenn man die jahreszeitliche<br />

Verteilung beachtet: Von November bis einschließlich<br />

März liegen die Temperaturen im<br />

Durchschnitt der letzten 30 Jahre zwischen 0<br />

und -5 °C. Jeden Winter sinken hier die Temperaturen<br />

punktuell auf -15 bis -20 °C ab. In man-<br />

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