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LUTZ<br />

REEG<br />

MEINUNGREEG<br />

Der Schwarm: Warum sich die Branche neu erfinden sollte<br />

Sieben Verluste<br />

Lutz Reeg ist Gründer des Entwicklernetzwerks<br />

der Schwarm<br />

und scharfer Beobachter der<br />

Möbelbranche. Er beschreibt<br />

in seiner Kolumne wesentliche<br />

Einflussgrößen, die inzwischen<br />

verloren gegangen sind – und hält<br />

gleichzeitig ein leidenschaftliches<br />

Plädoyer für eine reformierte<br />

und souveräne Entwicklung neuer<br />

Möbel abseits der überlebten<br />

Schablonen.<br />

Die Hatz nach dem neuesten Trend treibt gerade zum Jahresanfang<br />

alle um. Doch sie ist nicht allein seligmachend. Mehr denn je geht es<br />

darum, dass Unternehmen ihre Identität bewahren oder neu finden,<br />

meint Lutz Reeg. Der Gründer des Netzwerkes Der Schwarm macht<br />

den Anfang einer Reihe von Meinungsbildern, die die Branche aus<br />

unterschiedlichen Perspektiven beleuchten soll.<br />

Illustrationen: 19srb81, Kirill.Veretennikov/Shutterstock.com, Thomas Straub/Der Schwarm<br />

1 der schnelle Trend<br />

Trend lebt. Doch misst man ihn<br />

an seinem Nutzen, ist er tot.<br />

Das ist tragisch. Kennzeichnet<br />

dieser aus der Modewelt entlehnte<br />

Begriff doch die Schlagkraft und<br />

Dynamik unserer Branche: So wohnen<br />

Sie in der neuen Saison! Spätestens<br />

am 13. Januar berichtet die<br />

Tagesschau darüber. Der einminütige<br />

Einspieler zur Eröffnung der ,imm<br />

cologne‘ offenbart dem arglosen Endverbraucher,<br />

wie gestrig seine alten<br />

Möbel nun plötzlich geworden sind.<br />

Denn der Fernsehjournalist sucht<br />

nach dem griffig-Neuen, das sich<br />

problemlos etikettieren lässt.<br />

Retro – hygge – nachhaltig – pastellig<br />

– green awareness – authentisch<br />

– Hightech – WLAN-tauglich<br />

– Cocooning – eine babylonische<br />

Verwirrung der Begrifflichkeiten<br />

umflirrt den deutschen Möbelkäufer.<br />

Dabei sucht er eigentlich etwas anderes,<br />

möchte Beständigkeit und Klar-<br />

heit. Will sich mit Möbeln umgeben,<br />

die ihn begleiten, seinen Anforderungen<br />

und individuellen Gewohnheiten<br />

entsprechen und ein Fixpunkt seines<br />

Lebens sind. Stattdessen nimmt er<br />

die Botschaft wahr, dass der Akt des<br />

Wohnens unversehens zu einem One<br />

Night Stand geworden ist.<br />

Aber nicht nur der Endkunde<br />

ist irritiert. Auch die deutschen<br />

Möbelhersteller leiden unter der<br />

alljährlichen Hatz aufs vermeintlich<br />

Neue. Jeder halbwegs vernünftige<br />

Betriebswirtschaftler hebt die<br />

Augenbrauen, wenn Produktzyklen<br />

immer kürzer getaktet werden. „Ich<br />

denke nicht daran, jeden Montagmorgen<br />

eine neue Architektur zu<br />

erfinden“ meinte der altersweise<br />

Ludwig Mies van der Rohe. Für die<br />

Entwicklung von Möbeln gilt das erst<br />

recht. Überlebenswichtige Zukunftsperspektiven<br />

unserer Branche sollten<br />

wir nicht den Marketingstrategen<br />

überlassen. Manch einer denkt, der<br />

schnelle Trend sei gleichzusetzen<br />

mit den aktuellen Anforderungen<br />

der Kunden. Das Gegenteil ist richtig.<br />

Trends werden gemacht und<br />

gehyped. Sie kommen nicht von<br />

unten. Dem schnellen Trend zu folgen<br />

macht gleichzeitig taub für die<br />

echten Bedürfnisse. Schnelle Trends<br />

versuchen, künstliche Begehrlichkeiten<br />

zu wecken. Dieses Prinzip<br />

des Haben-Wollens steht auf einem<br />

wackligen Fundament. Auch wenn es<br />

Kunden gibt, die einen Geländewagen<br />

kaufen, den sie nicht brauchen:<br />

Wer dem dernier cri bedingungslos<br />

folgt, der legt sich selbst ein Ei. Fast<br />

immer. Dabei wäre es wesentlich<br />

gewinnbringender, aufgeschlossen zu<br />

sein für Strömungen, die den wirklichen<br />

Bedürfnissen unserer Kunden<br />

Rechnung tragen. Und dabei als<br />

Möbelhersteller die eigene Identität<br />

zu bewahren.<br />

68 möbel kultur 1/2020

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