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ZAP-2019-24

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Fach 22 R, Seite 1146<br />

Verfahrenstipps/Hinweise für Strafverteidiger<br />

Rechtsprechung<br />

die Grundsätze der RiLi ggf. automatisch im Recht der Pflichtverteidigung gelten. Dazu hat der BGH im<br />

Beschl. v. 4.6.<strong>2019</strong> (1 BGs 170/19, https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/5218.htm) Stellung<br />

genommen. Der BGH hat die Frage verneint. Für eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen der<br />

sog. PKH-Richtlinie i.V.m. § 141 Abs. 3 StPO mit der Folge, dass bereits mit Ablauf der Umsetzungsfrist für<br />

die Mitgliedstaaten am 5.5.<strong>2019</strong> (vgl. Art. 12 Abs. 1 PKH-Richtlinie i.V.m. Ziffer 2 der Berichtigung der<br />

PKH-Richtlinie [Abl. 2017 L 91/40]) „im Regelfall schon vor der ersten Beschuldigtenvernehmung ein Antrag auf<br />

Pflichtverteidigerbestellung zu stellen ist“, sei rechtlich kein Raum (vgl. dazu auch BURHOFF StRR 7/<strong>2019</strong>, 5 ff.).<br />

Erforderlich für eine unmittelbare Wirkung einzelner Richtlinienbestimmungen sei – neben dem Ablauf<br />

der Umsetzungsfrist –, dass diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau gefasst seien (vgl. bereits<br />

EuGH, Urt. v. 19.1.1982 – Rs 8/81; BECKER NJW 1982, 499, 500). Das hat der BGH verneint. Den Mitgliedsstaaten<br />

werde nämlich ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum eingeräumt, der es ihnen<br />

namentlich ermöglicht, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Strafverfahren an „eine Bedürftigkeitsprüfung“<br />

(Art. 4. Abs. 3 PKH-RL), eine „Prüfung materieller Kriterien“ (Art. 4 Abs. 4 PKH-RL) oder an „beides“<br />

zu knüpfen (vgl. Art. 4 Abs. 2 PKH-RL).<br />

Hinweise:<br />

Damit bleibt nur die Möglichkeit der „Anwendung“ der RiLi im Rahmen der Auslegung des derzeitigen nationalen<br />

Rechts über die Grundsätze der sog. richtlinienkonformen Auslegung (vgl. aber auch dazu ablehnend<br />

BGH, Beschl. v. 4.6.<strong>2019</strong> – 1 BGs 170/19, https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/5218.htm). Danach<br />

sind alle Organe der Mitgliedstaaten verpflichtet, bei der Auslegung nationaler Rechtsvorschriften Unionsrechtskonformität<br />

herzustellen. Grenze dieser Verpflichtung ist das Verbot der contra-legem-Auslegung,<br />

welches bei Fehlen eines auslegungsfähigen nationalen Rechtssatzes bzw. Überschreitung gültiger Auslegungstopoi<br />

eingreift (zu allem BURHOFF 7/<strong>2019</strong>, 5 ff.; KANIESS HRRS <strong>2019</strong>, 201 f. m.w.N.; JAHN/ZINK StraFo <strong>2019</strong>,<br />

318 ff.).<br />

Ansatzpunkte für eine Auslegung des nationalen Rechts bieten die Generalklausel des § 140 StPO, der die<br />

Beiordnungsgründe regelt, und die Verfahrensvorschriften des § 141 Abs. 3 S. 1 und 4 StPO.<br />

bb) Anwendung im Einzelfall<br />

Exemplarisch soll auf Entscheidungen von Instanzgerichten zur Anwendung der noch nicht umgesetzten<br />

PKH-Richtlinie 2016/1919 hingewiesen werden (s. aber auch BGH, Beschl. v. 4.6.<strong>2019</strong> – 1 BGs<br />

170/19, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 608/<strong>2019</strong>; https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/5218.htm). Das<br />

LG Chemnitz geht in seinem Beschl. v. 30.7.<strong>2019</strong> (5 Qs 316/19, StRR 8/<strong>2019</strong>, 18 f.) davon aus,<br />

dass Regelungen aus Art. 4 Abs. 4 S. 2 i.V.m. Art. 3 der EU PKH-Richtlinie 2016/<strong>2019</strong> nach Ablauf<br />

der Umsetzungsfrist bei der Entscheidung über eine Pflichtverteidigerbestellung angemessen zu<br />

würdigen sind und in die Entscheidung mit einfließen müssen. Der Angeklagte befand sich in einem<br />

anderen Verfahren in Haft. Das AG hatte eine Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt. Das LG hat<br />

nachträglich beigeordnet. Zwar habe sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der amtsrichterlichen<br />

Entscheidung erst seit ca. sieben Wochen in Strafhaft befunden, so dass die Voraussetzungen des<br />

§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO noch nicht vorgelegen hätten. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wäre<br />

aber nach Auffassung des LG vorliegend gem. § 140 Abs. 2 StPO geboten gewesen. Der Anspruch des<br />

Angeklagten ergebe sich insoweit aus Art. 4 Abs. 4 S. 2 i.V.m. Art. 3 der EU PKH-Richtlinie 2016/<strong>2019</strong>.<br />

Zwar sei diese EU-Richtlinie nicht in nationales deutsches Recht umgesetzt, die Frist zur Umsetzung<br />

sei jedoch zwischenzeitlich abgelaufen. Ein Regierungsentwurf vom 12.6.<strong>2019</strong> sehe die Umsetzung der<br />

Richtlinie vor. Damit seien die Regelungen der Richtlinie bei der Ermessensentscheidung angemessen<br />

zu würdigen und müssten in die Entscheidung mit einfließen.<br />

Hinweis:<br />

Das LG hat den ablehnenden Beschluss des AG aufgehoben und hat dem Angeklagten rückwirkend für die<br />

erste Instanz nachträglich einen Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies sei – so das LG – ausnahmsweise<br />

zulässig, obwohl die erste Instanz bereits durch – nicht rechtskräftiges – Urteil beendet worden sei, da der<br />

1304 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>24</strong> 18.12.<strong>2019</strong>

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