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ZAP-2019-24

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Fach 18, Seite 1702<br />

Sanktionen im SGB II<br />

Sozialrecht<br />

regelmäßig und zeitnah zu untersuchen, ist dies hinsichtlich der sanktionierten Mitwirkungspflichten<br />

bisher nicht geschehen; es stehen nicht in ausreichendem Umfang tragfähige Daten zur Verfügung.<br />

Die Praxis der Sanktionierung erscheint insgesamt uneinheitlich. Die Gründe, auf die zurückgeführt<br />

wird, dass Mitwirkungsanforderungen nicht erfüllt werden, sind vielfältig. Eindeutige empirische und<br />

nach der Höhe der Leistungsminderung differenzierende Erkenntnisse zu den Wirkungen der Sanktionen<br />

liegen nicht vor. Die Forschungslage ist insb. Hinsichtlich der Methoden, der Repräsentativität und<br />

Aussagekraft und der Ergebnisse uneinheitlich. Besonders kritisch wird die Totalsanktion bei wiederholter<br />

Pflichtverletzung gesehen, insb. im Hinblick auf das damit verbundene Risiko, die Wohnung und<br />

den beitragsfreien Krankenversicherungsschutz zu verlieren.<br />

2. Rechtlicher Ausgangspunkt<br />

a) Wahrung der Menschenwürde<br />

Die zentralen Anforderungen für die Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ergeben<br />

sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1<br />

Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Allerdings verfügt der Gesetzgeber bei den Regeln zur Sicherung dieses<br />

Existenzminimums – hinsichtlich der Art und Höhe der Leistungen – über einen Gestaltungsspielraum.<br />

Gleichwohl muss seine Entscheidung an dem konkreten Bedarf der Hilfebedürftigen ausgerichtet und<br />

die Anforderungen, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, dürfen im Ergebnis<br />

nicht verfehlt werden. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums<br />

entspricht eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG.<br />

Die Menschenwürde ist ohne Rücksicht auf Eigenschaften des sozialen Status, wie auch ohne Rücksicht<br />

auf Leistungen garantiert; sie muss nicht erarbeitet werden, sondern steht jedem Menschen von sich<br />

aus zu. Die eigenständige Existenzsicherung ist nicht Bedingung für die Gewähr von Menschenwürde;<br />

die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, ist vielmehr Teil des Schutzauftrags<br />

des Staats aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG.<br />

b) Nachranggrundsatz: Auch hinsichtlich der Verpflichtung, an der Überwindung der Hilfebedürftigkeit<br />

aktiv mitzuwirken<br />

Das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht, die Inanspruchnahme<br />

sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz<br />

zu binden, solche Leistungen also nur dann zu gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht<br />

selbst sichern können. Der Nachranggrundsatz umfasst zunächst die Pflicht zum vorrangigen Einsatz<br />

aktuell verfügbarer Mittel aus Einkommen, Vermögen oder Zuwendungen Dritter (s. etwa § 9 Abs. 1<br />

SGB II). Mit dem Grundgesetz ist jedoch auch eine gesetzgeberische Entscheidung vereinbar, von<br />

denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der<br />

Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst<br />

eintreten zu lassen.<br />

Mitwirkungspflichten beschränken allerdings – ungeachtet eventuell damit verbundener Sanktionen –<br />

die Handlungsfreiheit der Betroffenen und bedürfen verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Verfolgt<br />

der Gesetzgeber mit Mitwirkungspflichten das legitime Ziel, dass Menschen die eigene Hilfebedürftigkeit<br />

insb. durch Erwerbsarbeit vermeiden oder überwinden, müssen sie den an diesem Ziel ausgerichteten<br />

Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen, also dafür geeignet, erforderlich und zumutbar<br />

sein.<br />

c) Spannungsverhältnis zwischen Sanktionen und Existenzsicherungspflicht<br />

Das Gericht beanstandet zwar grds. nicht die Entscheidung des Gesetzgebers, für den Fall, dass<br />

Menschen eine ihnen klar benannte und zumutbare Mitwirkungspflicht ohne wichtigen Grund nicht<br />

erfüllen, auch belastende Sanktionen vorzusehen, um so ihre Mitwirkung an der Überwindung der<br />

eigenen Hilfebedürftigkeit durchzusetzen.<br />

1296 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>24</strong> 18.12.<strong>2019</strong>

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