Radio-Phone-Ins: zwischen Beratung und Medieninszenierung
Radio-Phone-Ins: zwischen Beratung und Medieninszenierung Radio-Phone-Ins: zwischen Beratung und Medieninszenierung
1. Einleitung Thomas, 49 Jahre dEshalb ruf ich dich auch AN:, weil ich also mal irgendwie (1.0) äh ph:: (---) ne erKLÄrung dafür finden wIll; man kann psychoLOgen AUfsuchen; die sind weit WEG, aber ich hab äh: .hh (.) weil ich deine SENdung auch sehr gern sEhe, ähm (-) du hast (.) ähm (---) nicht dieses:- wie soll man Sagen; das tEchnisch (1.0) äh geSCHÄFTSmäßige in in den Augen, sondern äh:(-) du: =äh emPFINdest auch daBEI; und äh das ist schÖn wenn man dich am Telefon hat. Der Anrufer Thomas wird mit seinem Problem nicht alleine fertig. Er sucht nach einer Erklärung dafür, dass seine Schwägerin ihr Kind getötet hat. Dabei vertraut er sich dem Moderator Jürgen Domian an, der an fünf Tagen in der Woche von 1:00- 2:00 Uhr nachts in seiner nach ihm benannten Radio-Phone-In Sendung Domian ein offenes Ohr für die Probleme seiner Anrufer hat. Der Moderator fragt nach Details zum Tathergang. Nach etwa acht Minuten Gesprächsdauer gesteht er, durch das Anliegen des Anrufers überfordert zu sein. Nach weiteren drei Minuten bietet Domian ihm ein Gespräch mit der Psychologin der Sendung an und spricht Thomas sein Beileid aus. Dieser bedankt sich, woraufhin die Gesprächspartner sich verabschieden. Dann geht ein neuer Anrufer auf Sendung - insgesamt sind es sechs an diesem Abend, die vor einem großen Publikum in einem restringierten Zeitrahmen ihre persönlichen Probleme darlegen und mit dem Moderator diskutieren. Beratungsgespräche im Radio sind heutzutage sehr präsent. Ob Domian, Ratgeber Lebensfragen oder Von Mensch zu Mensch die Sendungen sind dadurch charakterisiert, dass Menschen dort anrufen, um mit einem Fremden über private Probleme zu sprechen. Dabei bleiben ihnen von der Problemschilderung bis zur Raterteilung des Moderators nur wenige Minuten Zeit, da diese Sendungen von immer neuen 3
Geschichten und ständig wechselnden Anrufern leben. 1 Das Interesse daran, diese öffentlichen Kurzberatungen wahrzunehmen, ist groß. Schätzungsweise rufen 40.000-60.000 Menschen pro Abend bei Domian an, 2 um mit dem Moderator ein Gespräch zu führen, ihre Meinung kundzutun, über Erlebnisse zu berichten oder ein Problem zu besprechen. Obgleich Domian keine explizite Beratungssendung und der Moderator auch kein ausgebildeter Psychologe oder Sozialarbeiter ist, finden im Rahmen der Sendung regelmäßig Beratungsgespräche statt. Der Moderator selbst führt den Trend, sich in einer Radiosendung beraten zu lassen, auf die heutige Vereinsamung der Menschen zurück. Viele hätten niemanden, mit dem sie über ihre Sorgen reden könnten. 3 Das Interesse an der Rezeption derartiger Beratungssendungen ist ebenfalls groß. Beratungsgespräche im Radio-Phone-In werden von der Öffentlichkeit in großem Umfang konsumiert, da sie einen hohen Unterhaltungswert besitzen und die Sensationsgier des Publikums befriedigen. So wählt der Redakteur bei Domian bewusst kuriose Sujets und Themen wie Sex, Homosexualität und Beziehungs- konflikte aus. Außerdem gibt es fast keine Tabus, was die Sendung besonders anziehend macht. Radio-Phone-Ins wie Domian als Typus so genannter „counselling programmes“ werden in den verschiedenen Disziplinen wie der Soziologie, der Kommunikations- wissenschaft und der Linguistik kontrovers diskutiert. Befürworter dieses Sende- formats sind der Ansicht, dass das Einbeziehen der Zuhörer eine Öffnung und Demokratisierung des Mediums bedeute. Das Publikum könne aktiv an der Gestaltung von Radiosendungen teilnehmen und sich dadurch einbringen. Andere Hörer würden dazu angeregt, über eigene Probleme nachzudenken und könnten den Rat des Moderators stellvertretend auf ihre eigene Situation beziehen. Kritiker setzen dem entgegen, dass es in erster Linie nicht um die Beratung der Anrufer gehe, sondern ausschließlich um die Unterhaltung des Publikums. Tatsächlich hätten 1 In dieser Arbeit wird aus Gründen der Lesbarkeit lediglich das maskuline grammatische Genus zur Personenbezeichnung Moderator/Moderatorin, Berater/Beraterin bzw. Ratsuchender/Ratsuchende verwendet. Es wird möglichst oft auf die Pluralform Ratsuchende ausgewichen. 2 Vgl. dazu Zbikowski (2001: 47). 3 Vgl. dazu Domian Interview in: Schweers (1995: 22). 4
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1. Einleitung<br />
Thomas, 49 Jahre<br />
dEshalb ruf ich dich auch AN:,<br />
weil ich also mal irgendwie (1.0)<br />
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ne erKLÄrung dafür finden wIll;<br />
man kann psychoLOgen AUfsuchen;<br />
die sind weit WEG,<br />
aber ich hab äh:<br />
.hh (.) weil ich deine SENdung auch sehr gern sEhe,<br />
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wie soll man Sagen;<br />
das tEchnisch (1.0) äh geSCHÄFTSmäßige in in den Augen,<br />
sondern äh:(-) du: =äh emPFINdest auch daBEI;<br />
<strong>und</strong> äh das ist schÖn wenn man dich am Telefon hat.<br />
Der Anrufer Thomas wird mit seinem Problem nicht alleine fertig. Er sucht nach<br />
einer Erklärung dafür, dass seine Schwägerin ihr Kind getötet hat. Dabei vertraut er<br />
sich dem Moderator Jürgen Domian an, der an fünf Tagen in der Woche von 1:00-<br />
2:00 Uhr nachts in seiner nach ihm benannten <strong>Radio</strong>-<strong>Phone</strong>-In Sendung Domian ein<br />
offenes Ohr für die Probleme seiner Anrufer hat. Der Moderator fragt nach Details<br />
zum Tathergang. Nach etwa acht Minuten Gesprächsdauer gesteht er, durch das<br />
Anliegen des Anrufers überfordert zu sein. Nach weiteren drei Minuten bietet<br />
Domian ihm ein Gespräch mit der Psychologin der Sendung an <strong>und</strong> spricht Thomas<br />
sein Beileid aus. Dieser bedankt sich, woraufhin die Gesprächspartner sich<br />
verabschieden. Dann geht ein neuer Anrufer auf Sendung - insgesamt sind es sechs<br />
an diesem Abend, die vor einem großen Publikum in einem restringierten<br />
Zeitrahmen ihre persönlichen Probleme darlegen <strong>und</strong> mit dem Moderator<br />
diskutieren.<br />
<strong>Beratung</strong>sgespräche im <strong>Radio</strong> sind heutzutage sehr präsent. Ob Domian, Ratgeber<br />
Lebensfragen oder Von Mensch zu Mensch die Sendungen sind dadurch<br />
charakterisiert, dass Menschen dort anrufen, um mit einem Fremden über private<br />
Probleme zu sprechen. Dabei bleiben ihnen von der Problemschilderung bis zur<br />
Raterteilung des Moderators nur wenige Minuten Zeit, da diese Sendungen von<br />
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