Hinz&Kunzt 321 November 2019
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>321</strong><br />
Nov.19<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Nach der<br />
Wende<br />
wohnungslos<br />
Wie Hinz&Künztler das Ende<br />
der DDR erlebten
Ein kulinarisches Dankeschön an die Hamburger.<br />
Mit 25 Drei-Gänge-Menüs von Sterneköchen, jungen Wilden<br />
und anderen Küchengöttern.<br />
Unser Kochbuch kostet 25 Euro plus<br />
Versandkosten. Vom Erlös haben wir jedem<br />
Hinz&Künztler 25 Monatsmagazine geschenkt.<br />
Sie können es online bestellen unter<br />
www.hinzundkunzt.de/shop oder<br />
im Buchladen (ISBN 978-3-00-060526-0).
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
TITELBILD: MAURICIO BUSTAMANTE (HINTERGRUND: PICTURE ALLIANCE/<br />
IMAGEBROKER/ROLF SCHULTEN); FOTO OBEN: BIRGIT MÜLLER<br />
Von Mauern und Zäunen<br />
Kommt Ihnen der Mann auf unserem Titel bekannt<br />
vor? Kein Wunder: Reiner ist seit vielen Jahren<br />
das Gesicht, mit dem HanseWerk Natur auf seine<br />
Kooperation mit uns aufmerksam macht (siehe<br />
Rückseite). Und selbstverständlich kennt ihn jeder<br />
Hinz&Künztler, weil Reiner nachmittags hinterm<br />
Kaffeetresen in unserem Vertrieb steht.<br />
Das ist aber nicht der Grund dafür, dass er es<br />
auf den Titel geschafft hat: Reiner und zwei andere<br />
Hinz&Künztler, die aus der DDR stammen, erzählen,<br />
wie sie den Mauerfall vor 30 Jahren erlebt<br />
haben (ab Seite 6).<br />
Inhalt<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 „Ich wollte nur noch weg!“ –<br />
Hinz&Künztler und der Mauerfall<br />
12 Obdachlosigkeit in der DDR<br />
14 Zahlen des Monats: besonders<br />
schutzbedürftige Flüchtlinge<br />
16 Grenzerfahrung: Geflüchtete in<br />
Ungarn, Serbien und Rumänien<br />
24 Geschenk für den Bürgermeister:<br />
Ex-Obdachlose machen Druck<br />
26 Das Winternotprogramm beginnt<br />
Engagiert: Linchen<br />
und Marcl lebten<br />
auf der Straße. Vom<br />
Bürgermeister fordern<br />
sie nun Hilfe für<br />
Obdachlose (S. 24).<br />
Blick zurück: 30 Jahre lang leitete Detlef Garbe die<br />
KZ‐Gedenkstätte Neuengamme (S. 30).<br />
Lebenslinien<br />
30 Eine Berufung – Begegnung mit<br />
dem Historiker Detlef Garbe<br />
34 Der große Reformer: Wie Fritz<br />
Schumacher Hamburg prägte<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> intern<br />
42 Hallo, Jörn! Unser Geschäftsführer<br />
Freunde<br />
44 Ahoi Marie! Ein maritimer<br />
Becher für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Schauspieler Jens Harzer liest Verhörprotokolle<br />
von Hitler-Attentäter Elser<br />
52 Tipps für den <strong>November</strong><br />
56 Wissenswertes über Obdachlose<br />
58 Momentaufnahme<br />
Reisegruppe an der<br />
Außengrenze der EU:<br />
Die Diakonie Hamburg<br />
organisierte eine Fachreise<br />
nach Ungarn, Serbien und<br />
Rumänien, um sich vor Ort<br />
mit Kollegen aus der<br />
Flüchtlingsarbeit auszutauschen.<br />
Und vor allem,<br />
um Möglichkeiten der<br />
Kooperation auszuloten.<br />
Chefredakteurin Birgit<br />
Müller (Zweite von rechts)<br />
war dabei.<br />
Ich musste in den vergangenen Wochen viel über<br />
meine Reise an die Außengrenzen der EU nachdenken.<br />
Mit der Diakonie war ich in Ungarn, Serbien<br />
und Rumänien. Die anderen Reiseteilnehmer arbeiten<br />
alle mit Flüchtlingen. Wir haben uns mit Sozialarbeitern,<br />
Juristen und Menschenrechtsexperten<br />
getroffen. Natürlich ist vieles bekannt, aber vor Ort<br />
zu erfahren, wie Flüchtlinge behandelt werden, und<br />
das in Europa, das war schockierend (Seite 16).<br />
Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Rubriken<br />
05 Kolumne<br />
28 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Ein Ball für Obdachlose<br />
Tanzen statt einsam sein<br />
Wann fühlt man sich gut? Wenn man feiert! Mit<br />
anderen, bei gutem Essen, zu tanzbarer Musik. Also<br />
hatte die Berliner Stadtmission eine Idee: mal einen<br />
Ball für Bedürftige auszurichten. Damit alle schick<br />
erscheinen konnten, wurde zu besonderen Kleiderspenden<br />
aufgerufen, Anzüge, Ballkleider und<br />
Schuhe gesammelt. Und Handtaschen! Es wurde<br />
ein rauschendes Fest, wo sich alle wohlfühlten: so wie<br />
auch Mariella und ihr Mann Ion. Die beiden kommen<br />
aus Rumänien, leben in einem Zelt. Gefeiert wurde<br />
in der City-Station in Charlottenburg-Wilmersdorf,<br />
dem Restaurant der Stadtmission. FK<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Gewerkschaft ITF<br />
Erfolgreicher<br />
Einsatz für Seeleute<br />
Gewerkschafter Ulf<br />
Christiansen bei der Arbeit<br />
FOTOS: OLAF SELCHOW (S. 4), MAURICIO BUSTAMANTE (OBEN), PAUL BENCE (UNTEN LINKS),<br />
FABIAN HEINZ (UNTEN RECHTS), KOLUMNE: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Verkäuferfest<br />
Hinz&Künztler zu Gast beim FC St. Pauli<br />
Augen zu – und durch! Vertriebsmitarbeiter Marcel<br />
Stein (links) eilt der Ruf voraus, er könne jeden<br />
Verkäufer an der Stimme erkennen. Das Ratespiel<br />
war ein Höhepunkt auf dem diesjährigen Sommerfest<br />
für unsere Verkäufer und Mitarbeiter. Auf<br />
Einladung des FC St. Pauli im dortigen Clubheim:<br />
Mit Wunschdisko, Büfett und mit Stadionführung. LG<br />
•<br />
Straßenzeitungsallianz wird 25<br />
Ein Vierteljahrhundert ist es her,<br />
dass Mel Young (rechts) mit INSP ein<br />
weltweites Netzwerk der Straßenzeitungen<br />
gründete. Heftig habe man<br />
anfangs gestritten – dann gelernt,<br />
dass Unterschiede bereichern. Die<br />
Probleme der Zukunft: bargeldloses<br />
Bezahlen und der digitale Wandel.<br />
Youngs Botschaft: „Wir werden uns<br />
gegenüber technischen Weiterentwicklungen<br />
nicht verschließen können,<br />
aber wir dürfen nicht vergessen,<br />
dass das Zwischenmenschliche<br />
im Mittelpunkt stehen muss.“ FK<br />
•<br />
Bürgerschaft unterstützt<br />
Retter auf dem Mittelmeer<br />
Mit fast 5000 Euro unterstützt die<br />
Bürgerschaft die Seenotretter von<br />
Sea-Eye. Das Geld ist Teil der<br />
„Troncmittel“ – Steuereinnahmen<br />
aus Glücksspielen, die für gemeinnützige<br />
Zwecke eingesetzt werden.<br />
Sea-Eye-Vorsitzender Gorden Isler<br />
freut sich: „Unseres Wissens ist<br />
Hamburg die erste Stadt überhaupt,<br />
die zivile Seenotrettung direkt finanziell<br />
unterstützt.“ Das Geld wurde<br />
bereits in Schwimmwesten und<br />
Ferngläser investiert. LG<br />
•<br />
Ulf Christiansen kann zufrieden<br />
zurückblicken, wenn er<br />
diesen Monat in den Ruhestand<br />
geht. 29 Jahre hat der<br />
Gewerkschafter für die Rechte<br />
von Seefahrern gestritten –<br />
und viel bewirkt: „Wenn wir<br />
uns einschalten, ändert sich<br />
die Situation der Seeleute fast<br />
immer“, sagt der 64-Jährige.<br />
Eine Zahl: Rund 29,5 Millionen<br />
Euro Heuer haben die<br />
weltweit 130 Inspektoren der<br />
International Transport Workers’<br />
Federation (ITF) vergangenes<br />
Jahr bei Reedern eingetrieben,<br />
die ihre Seeleute<br />
nicht korrekt entlohnt hatten.<br />
Und: „Wenn ein Seemann im<br />
Hamburger Hafen Probleme<br />
hat, erfahren wir das.“<br />
„Ich komme aus einer<br />
Familie, die sich immer für<br />
andere Menschen eingesetzt<br />
hat“, erzählt der Sohn eines<br />
Pastors. Lange fährt er zur<br />
See, erwirbt das Kapitänspatent,<br />
arbeitet als Erster<br />
Nautischer Offizier. Als die<br />
Gewerkschaft ihn fragt, ob er<br />
Inspektor werden will, zögerte<br />
er nicht: „Die Arbeit war die<br />
ideale Kombination meines<br />
ersten Berufs mit sozialem<br />
Engagement.“<br />
Ganz verloren geht der<br />
streitbare Mann der guten Sache<br />
übrigens nicht: „Ich habe<br />
der ITF angeboten, künftig<br />
die Ausbildung junger Inspektoren<br />
zu unterstützen.“ UJO •<br />
Infos unter www.itfseafarers.org<br />
5
„Ich wollte<br />
nur noch weg“<br />
Drei Hinz&Künztler erzählen, wie sie den Fall der<br />
Berliner Mauer erlebten. Eins haben sie gemeinsam:<br />
Im Westen wurden sie wohnungslos. An die ehemalige<br />
DDR denken sie mit gemischten Gefühlen zurück.<br />
TEXT: LUKAS GILBERT<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
HINTERGRUNDFOTOS: ACTIONPRESS<br />
Silvia, 60, hat in Th ringen alles zur ckgelassen<br />
Silvia hatte einfach keinen Bock mehr:<br />
„Die ganze Bürokratie hat mich angekotzt“,<br />
sagt sie. „Aber meine Kindheit<br />
und meine Jugend in der DDR,<br />
die möchte ich trotzdem nicht missen.<br />
Ich bin gut aufgewachsen.“<br />
1959 wird sie in Nottleben in Thüringen<br />
geboren, „so ein richtig kleenes<br />
Kuhdorf war das“. Dort hat sie eine gute,<br />
unaufgeregte Kindheit und Jugend,<br />
wie sie sagt. Bis ihre Mutter stirbt. Das<br />
wirft alles durcheinander: „Ich war immer<br />
ein Mama-Kind“, erinnert sie sich.<br />
Im selben Jahr, Silvia ist gerade einmal<br />
20 Jahre alt, bringt sie einen Sohn zur<br />
Welt. Kontakt zu dessen Vater hat sie<br />
da schon nicht mehr.<br />
Gemeinsam mit dem Sohn zieht sie<br />
zu ihrem Freund. Sie arbeitet erst in<br />
einem Kuhstall, dann in einer Großküche.<br />
Silvias Vater hat mittlerweile<br />
eine neue Frau. „Aber die wollte nichts<br />
wissen von mir“, sagt Silvia. Mit 27<br />
geht ihre Beziehung in die Brüche.<br />
Plötzlich alleine, ist die junge Mutter<br />
überfordert mit Arbeit und Sohn. Der<br />
wächst deshalb von da an bei Silvias<br />
Vater auf: „Das war einfach besser so.“<br />
Zwei Jahre später kommt sie dann<br />
auch noch in Konflikt mit der Staats-<br />
6
Stadtgespräch<br />
macht. Die letzten Monate als DDR-<br />
Bürgerin verbringt sie sogar im Gefängnis,<br />
nachdem sie einem Polizisten „eine<br />
gepfeffert“ hat. Der hatte sie vorher mit<br />
auf die Wache genommen, weil sie am<br />
Bahnhof eine Zigarette geraucht hat:<br />
„Der wollte, dass ich mich vor ihm ausziehe,<br />
da bin ich ausgerastet.“<br />
Als dann die Mauer fällt und es für<br />
Silvia, wie für viele Gefängnisinsassen,<br />
eine Amnestie gibt, verlässt sie die DDR<br />
so schnell es geht: „Ich wollte nur noch<br />
weg“, sagt Silvia rückblickend. In ihrer<br />
alten Heimat lässt sie alles zurück. Auch<br />
ihren Sohn, weil der weiter bei seinem<br />
Großvater leben möchte, erzählt sie.<br />
Silvia geht nach Bayern und lebt<br />
dort erst in einer Unterkunft mit vielen<br />
anderen Ostdeutschen. Doch sie richtet<br />
sich ein, findet Arbeit und lernt einen<br />
7<br />
neuen Freund kennen. 1997 stirbt er<br />
aber unerwartet und Silvia verliert kurze<br />
Zeit später ihren Job. Sparmaßnahmen.<br />
Sie beginnt zu trinken, sieht keine<br />
Perspektive mehr. Dann fasst sie einen<br />
Entschluss: „In Bayern wäre ich kaputtgegangen,<br />
deshalb wollte ich so weit<br />
weg wie möglich.“ Mit dem Nachtzug<br />
macht sie sich auf den Weg nach Hamburg,<br />
um maximalen Abstand zu gewinnen.<br />
Eine Wohnung hat sie hier<br />
aber nicht. Mehrere Monate lebt sie<br />
auf der Straße, trotz Job bei einer Zeitarbeitsfirma.<br />
Sie putzt Hotels, arbeitet<br />
in Warenlagern. Über die Bahnhofsmission<br />
findet sie nach Monaten einen<br />
Wohnheimplatz.<br />
Mittlerweile lebt die 60-Jährige in<br />
einer Wohnung und hat eine Anstellung<br />
als Reinigungskraft bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Den Kontakt zu ihrem Sohn und ihren<br />
Brüdern hat sie all die Jahre gehalten.<br />
Heute fühlt sich Silvia nicht als Ostoder<br />
Westdeutsche, sondern „einfach<br />
als Deutsche“. Trotzdem: „Bei vielen is’<br />
es noch in den Köpfen.“ Damit sich das<br />
irgendwann ändert, müsse vor allem<br />
„Die B rokratie<br />
hat mich<br />
angekotzt.<br />
viel Geld in den Osten gesteckt werden.<br />
Das merkt sie, wenn sie ihre Familie besucht,<br />
die noch heute in Thüringen<br />
wohnt: „Wenn du da einkaufen willst,<br />
musst du erst mal 20 Kilometer fahren.“<br />
Wieder im Osten zu wohnen, kann sie<br />
sich heute nicht mehr vorstellen.<br />
Dennoch ist sie regelmäßig zu Besuch<br />
und bringt aus der alten Heimat<br />
Spezialitäten mit. Vita Cola und Thüringer<br />
Würste: „Die hab’ ich einmal mit<br />
zu Hinz&<strong>Kunzt</strong> gebracht. So schnell<br />
wie die weg waren, konnte ich gar nicht<br />
braten.“ Ansonsten vermisst sie aber<br />
nicht vieles aus der ehemaligen DDR.<br />
Nur die Kinderbetreuung, die war besser:<br />
„Da hatte jedes Kind einen Kitaplatz.<br />
Davon hätte sich der Westen mal<br />
was abschneiden können.“ •
Reiner, 61, saß zwei Jahre im DDR-Knast<br />
Als eines von zehn Kindern wächst Reiner<br />
in Ostberlin auf. Die Mutter kümmert<br />
sich um die Kinder, den alkoholkranken<br />
Vater sieht er kaum. Reiner<br />
macht eine Lehre als Elektrotechniker.<br />
Aber sein Leben ist ihm zu langweilig.<br />
Mit dem Vater beginnt er, auf die<br />
Pferderennbahn zu gehen. Dort lernt er<br />
Leute kennen, mit denen er illegale<br />
Würfelspiele organisiert: „Ich war jung,<br />
das war gutes Geld. Plötzlich war<br />
Nachtleben angesagt“, erinnert er sich.<br />
Schließlich schmeißt er sogar seinen<br />
Job. Doch sein Lebenswandel hat Konsequenzen<br />
und Reiner wird als „Asozialer“<br />
eingesperrt. Insgesamt zwei Jahre<br />
sitzt er ein. Aber damit nicht genug:<br />
Nach der Haft darf er Berlin, seine<br />
Heimatstadt, drei Jahre nicht betreten.<br />
Auch das war eine gängige Bestrafung.<br />
Für Reiner, Großstädter durch und<br />
durch, ist das hart: „Das war schlimmer<br />
als der Knast“, sagt er.<br />
Er beißt sich aber durch, richtet<br />
sich in einem Dorf bei Leipzig ein und<br />
arbeitet nach einer zweiten Ausbildung<br />
als Melker in einer Rinderzucht. „Aber<br />
allein durch den Knast war ich da<br />
schon auf Westen geeicht“, erzählt er.<br />
Er hat sogar Fluchtgedanken, aller-<br />
8
Stadtgespräch<br />
Hafen und der Kiez faszinieren ihn<br />
vom ersten Moment an. Trotzdem fährt<br />
er auch diesmal zurück. Seine Familie<br />
und auch der Job halten ihn.<br />
Wenn Reiner heute zurückblickt,<br />
wünscht er sich aber, dass er nie geheiratet<br />
hätte. Denn 1995 geht seine Ehe in<br />
die Brüche, weil sich seine Frau in ihren<br />
Chef verliebt, sagt er. Reiner fängt an<br />
zu trinken, verlässt die gemeinsame<br />
Wohnung und lebt wochenlang obdachlos<br />
in Berlin – bis er sich völlig verzweifelt<br />
auf den Weg nach Hamburg<br />
macht: „Von heute auf morgen, nur<br />
mit zwei Koffern. Ich hab’ alles abgebrochen.“<br />
Reiner dreht sein Leben auf<br />
links, lässt alles zurück, schweren Herzens<br />
sogar seinen Sohn. Auch seinen<br />
Fußballclub wechselt er: früher Union<br />
Berlin, plötzlich St. Pauli. Seitdem ist er<br />
St. Pauli-Fan durch und durch. In<br />
Hamburg wird er von der Stadt erst in<br />
einem Hotel untergebracht, dann in<br />
Wohnheimen. Da wohnt er bis heute<br />
„Das war<br />
schon nicht<br />
alles schlecht.<br />
dings setzt er die nie um – vor allem aus<br />
Angst, erneut ins Gefängnis zu kommen.<br />
Im April 1989 heiratet er dann.<br />
Das Paar zieht zurück in die Nähe von<br />
Berlin, wo der gemeinsame Sohn geboren<br />
wird. Reiner findet Arbeit, abermals<br />
in einer Rinderzucht.<br />
Als die Mauer einige Monate später<br />
fällt, ist Reiner gerade auf der Arbeit:<br />
„Ich hatte Nachtschicht bis halb drei.<br />
Danach sind wir direkt rüber nach Neukölln<br />
mit dem Trabi von ’nem Kumpel“,<br />
erinnert er sich: „Das Gefühl kann<br />
ich gar nicht beschreiben, das war der<br />
Wahnsinn.“ Nach dem Ausflug kommt<br />
er allerdings wieder zurück nach Ostdeutschland.<br />
Etwas später macht er eine<br />
Tagesreise nach Hamburg: „Mitten in<br />
der Nacht ging es los. Damit wir rechtzeitig<br />
zum Fischmarkt da sind.“ Der<br />
9<br />
und fühlt sich wohl: „Ich brauche einfach<br />
Menschen um mich.“<br />
Groll auf die ehemalige DDR hat<br />
Reiner nicht: „Ich hab’ nicht schlecht<br />
gelebt da. In der DDR hat jeder Geld<br />
verdient, jeder hat Arbeit gehabt und<br />
jeder hat einen Kindergartenplatz gehabt,<br />
die Mieten waren nicht teuer“,<br />
meint Reiner. „Das war schon nicht<br />
alles schlecht.“<br />
Sein Sohn will bis heute nichts von<br />
ihm wissen: „Das tut weh“, sagt er. Zu<br />
einem Teil der Familie hat er wieder<br />
Kontakt aufgebaut. Seine Schwestern<br />
sieht er mehrmals im Jahr. Wie ihm<br />
Berlin heute gefällt? „Einfach Bombe.“<br />
Zumindest für ein Wochenende: „Dann<br />
bin ich froh, wenn ich wieder in Hamburg<br />
bin“ – hinterm Kaffeetresen bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>, seinem Arbeitsplatz. •
Detlef, 59, floh auf der Ladefl che eines Lasters ber die Grenze<br />
Sein Leben in der DDR beschreibt Detlef<br />
als „ganz normal“. Er wird 1959 im<br />
brandenburgischen Paplitz geboren<br />
und verbringt dort eine ruhige Kindheit.<br />
Als er 13 ist, stirbt seine Mutter.<br />
„Das war furchtbar, plötzlich war da<br />
niemand mehr, zu dem ich gehen konnte“,<br />
erzählt der Hinz&Künztler.<br />
Der Vater findet eine neue Frau:<br />
„Aber die wollte mich nicht. Da war<br />
kein Platz mehr für mich“, erinnert er<br />
sich heute. Sein Vater entscheidet sich<br />
für die neue Frau und gegen seinen<br />
Sohn. Doch trotz dieser Schicksalsschläge<br />
schafft es Detlef, sich einen<br />
„ganz normalen“ Alltag aufzubauen.<br />
Er wächst bei seinem Onkel auf,<br />
der in einem Nachbardorf wohnt,<br />
macht dort eine Ausbildung zum Melker<br />
und findet später auch einen Job in<br />
einem Molkereibetrieb. Es wird ihm<br />
aber allmählich zu eng, Detlef will die<br />
Welt sehen. Er reist mehrfach nach<br />
Tschechien, besucht seinen Bruder in<br />
Ostberlin. Das reicht ihm aber nicht:<br />
„War mir zu langweilig, es ging mir<br />
auf ’n Senkel, dass ich nicht rauskonnte“,<br />
sagt Detlef.<br />
10<br />
Zufällig lernt er einen Westdeutschen<br />
kennen, der als Tiefbauer arbeitet und<br />
regelmäßig beruflich in der DDR ist.<br />
Als der Detlef 1988 anbietet, ihn mit in<br />
den Westen zu nehmen, zögert er keine<br />
Sekunde: „Ich hab mich von niemandem<br />
verabschiedet. Ich bin einfach los,<br />
ohne alles.“ Auf der Ladefläche eines<br />
Lkw, versteckt unter einer Plane zwischen<br />
Steinen und Kies, bricht er auf.<br />
Immer in Sorge, entdeckt zu werden:<br />
„Ich hatte ordentlich Muffensausen“,<br />
sagt er rückblickend. Aber alles geht gut<br />
und Detlef landet in Westberlin. Den
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ersten Monat bleibt er noch bei der<br />
Familie des neuen Freundes. Dann<br />
macht er sich auf seinen Weg durch<br />
Westdeutschland, einen Weg, der Jahrzehnte<br />
dauern wird. Fuß fasst er nie.<br />
Detlef wird immer wieder obdachlos.<br />
Sein soziales Netz hat er im Osten zurückgelassen,<br />
im Westen kennt er kaum<br />
jemanden.<br />
Vom Mauerfall hört Detlef in Bielefeld,<br />
wo er für eine Weile in der Wohnung<br />
eines Bekannten unterkommt.<br />
Irgendwann sagt der, Detlef solle den<br />
Fernseher einschalten. Die Mauer sei ge-<br />
Die<br />
fallen. Detlef kann das damals kaum<br />
glauben. Und so richtig kann er es auch<br />
bis heute nicht glauben. Mittlerweile<br />
lebt er in Hamburg in einer eigenen kleinen<br />
Wohnung – zum ersten Mal seit seiner<br />
Flucht.<br />
Nach Ostdeutschland hinein hat er<br />
nie mehr einen Fuß gesetzt, auch seine<br />
Familie nie mehr wiedergesehen: „Einfach<br />
keinen Bock drauf“, meint er nur.<br />
Die Vergangenheit in der DDR versucht<br />
er seit 30 Jahren zu verdrängen.<br />
„Deutschland“, sagt Detlef, „ist für mich<br />
bis heute getrennt.“ •<br />
11
Stadtgespräch<br />
Knast für Obdachlose<br />
Obdachlose gab es in der DDR kaum – auch weil der Staat sie oft in den Knast sperrte.<br />
Nach der Wende landeten viele Ostdeutsche im Westen auf der Straße.<br />
TEXT: LUKAS GILBERT<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
„Obdachlosigkeit? Gab es in der DDR nicht!“ Das ist eine<br />
verbreitete Annahme. Und dass es zumindest deutlich weniger<br />
Obdachlosigkeit als in Westdeutschland gab, ist tatsächlich<br />
unstrittig. Denn der Staat sorgte für günstige Mieten, Arbeit<br />
und teilte Wohnungen zu – ging aber auch mit massiver<br />
Repression gegen alle vor, die als „asozial“ galten. „Wer<br />
obdachlos war, der wurde einfach weggesperrt“, erinnert<br />
sich Rotraud Kießling im Gespräch mit<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zu DDR-Zeiten war sie in<br />
Obdachlose<br />
passten nicht<br />
ins Weltbild.<br />
12<br />
der kirchlichen Sozialarbeit aktiv, heute für<br />
die Diakonie Dresden in der Wohnungsnotfallhilfe.<br />
Stark zugenommen habe die Kriminalisierung<br />
von Obdachlosigkeit in der DDR<br />
seit 1961, ordnet Christoph Lorke ein.<br />
Er ist Historiker und beschäftigt sich mit<br />
Armut in der DDR. Parallel beginnt der<br />
Bau der Mauer, und die DDR-Führung orientiert sich immer<br />
stärker an den sowjetischen „Parasitenparagraphen“, ergänzt<br />
er. Die Grundlage für die Strafverfolgung in der DDR lieferte<br />
§249 des Strafgesetzbuches: Der sogenannte „Asozialenparagraph“.<br />
Betteln, „Arbeitsscheue“, Prostitution oder die<br />
Beeinträchtigung der „öffentliche(n) Ordnung und Sicherheit<br />
durch eine asoziale Lebensweise“ – all das wurde mit Erziehungsaufsicht,<br />
Gefängnis oder Aufenthaltsbeschränkungen<br />
bestraft. „Obdachlosigkeit und damit assoziierte Eigenschaften<br />
fielen ganz einfach aus dem sozialistischen Ideal“,<br />
erläutert Lorke im Gespräch mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Um Obdachlose aus dem Straßenbild zu verbannen,<br />
seien ihnen Unterkünfte staatlich zugewiesen worden – und<br />
zwar zwangsweise. Oft in heruntergekommenen Gründerzeitbauten<br />
mit Außentoiletten, etwa im<br />
Prenzlauer Berg. Also genau dort, wo<br />
Mieten heute kaum noch zu bezahlen sind.<br />
Für Jugendliche, die aus der Norm fielen,<br />
etwa weil sie nicht arbeiten wollten, gab es<br />
zudem Umerziehungslager, sogenannte<br />
„Jugendwerkhöfe“.<br />
In Betrieben existierten spezielle Brigaden<br />
für die sogenannten „Arbeitsbummler“.<br />
All das führte dazu, dass es<br />
Obdach losigkeit zumindest in der späteren DDR faktisch<br />
nicht gab, weiß Lorke.<br />
Mit dem Fall der Mauer hat sich das schlagartig geändert.<br />
Viele Ostdeutsche mussten etwa die Wohnungen, die sie von<br />
ihren Arbeitgebern gestellt bekommen hatten, verlassen.<br />
Andere waren überfordert mit bürokratischen Hürden und<br />
mit hohen Mietzahlungen.
Stadtgespräch<br />
1990 – ein knappes halbes Jahr nach der<br />
Grenzöffnung – fuhr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotograf<br />
Mauricio Bustamante nach Ost-Berlin, um<br />
dort die Reste der Mauer zu fotografieren.<br />
Schätzungen zufolge gab es zwischen 1991 und 1992 in<br />
der DDR plötzlich etwa 200.000 Menschen ohne festen<br />
Wohnsitz, berichtet Lorke. Aber noch keine Struktur der<br />
Obdachlosenhilfe. Das bestätigt auch Sozialarbeiterin<br />
Kießling, die diese Strukturen dann mit aufgebaut hat:<br />
„Aus ‚Kriminellen‘ wurden plötzlich Anspruchsberechtigte,<br />
so konnten wir den Menschen endlich richtig helfen.“<br />
Viele Menschen gingen aber auch nach Westdeutschland<br />
und ließen alles zurück. Nicht wenige von ihnen wurden<br />
obdachlos. Genaue Zahlen gibt es auch hierfür nicht.<br />
In einem „Zeit“-Artikel aus dem <strong>November</strong> 1991 geht der<br />
damalige Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Wohnungslosenhilfe aber davon aus, „daß inzwischen 20<br />
bis 30 Prozent der Plätze in den westdeutschen Asylen mit<br />
‚Ossis‘ belegt sind“.<br />
Kurze Zeit später, 1993, wird Hinz&<strong>Kunzt</strong> gegründet.<br />
Auch weil Obdachlose auf Hamburgs Straßen<br />
immer sichtbarer wurden. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer erinnert sich: „Ein großer Teil der<br />
Obdachlosen damals kam aus dem Osten. Viele von<br />
ihnen wollten sich hier ein neues Leben aufbauen und<br />
sind gescheitert.“ •<br />
Kontakt: lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />
13
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Zahlen des Monats<br />
Gefoltert, vergewaltigt, ohne Hoffnung<br />
Traumatisierte<br />
Geflüchtete warten<br />
dringend auf Schutz<br />
1,4 Millionen Gefflüchtete<br />
leben unter unsicheren und oft unwürdigen Bedingungen in Krisenregionen, obwohl sie als<br />
besonders schutzbedürftig gelten. Das schätzt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen<br />
(UNHCR). Es handelt sich vor allem um Folteropfer, vergewaltigte Frauen und Männer, geflüchtete<br />
Kinder, Schwangere und Gebrechliche. Sichere Staaten wie Deutschland sollten diesen Menschen<br />
viel häufiger die Möglichkeit eröffnen, direkt einzureisen und sich ein neues Leben in Frieden<br />
aufzubauen, fordert das UNHCR.<br />
Vergangenes Jahr nahmen reiche Länder wie die USA, Kanada, Australien und einige europäische<br />
Staaten lediglich 92.400 Geflüchtete im Rahmen sogenannter Resettlement-Programme auf.<br />
2016 waren es noch 163.206 Neuansiedlungen gewesen, seitdem geht die Zahl beständig zurück.<br />
So reduzierten die USA ihr Kontingent von 85.000 (2016) auf 45.000 (2018).<br />
Deutschland nahm 2016 und 2017 insgesamt nur 1600 dringend Schutzbedürftige auf.<br />
Für 2018 und <strong>2019</strong> hat die Bundesregierung im Rahmen eines Programms der Europäischen<br />
Union die Ansiedlung von 10.200 Geflüchteten zugesagt. Bis zu 500 von ihnen sollen von<br />
engagierten Bürgern finanziell unterstützt und begleitet werden („Neustart im Team – NesT“).<br />
Resettlement-Programme sind für Geflüchtete in der Regel der einzige Weg, ohne Lebensgefahr<br />
in sichere Staaten zu gelangen. Weltweit sterben jährlich Tausende Menschen auf der Flucht,<br />
viele riskieren trotzdem den Versuch, nach Amerika, Australien oder Europa zu gelangen.<br />
Überleben sie die gefährliche und oft Jahre währende Odyssee, bleibt ihnen in Deutschland nur die<br />
Hoffnung auf Asyl. Vergangenes Jahr stellten hierzulande 185.853 Geflüchtete einen Asylantrag,<br />
so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ungefähr jeder Dritte, so die Statistiken,<br />
kann zumindest vorübergehend bleiben. Den anderen drohen Ausweisung und Abschiebung.<br />
Insgesamt sind laut UNHCR weltweit 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Die große<br />
Mehrheit von ihnen lebt in Nachbarstaaten der Herkunftsländer, die den Geflüchteten oft<br />
keine Perspektiven bieten können. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos im Internet unter www.unhcr.org/dach/de und www.neustartimteam.de<br />
15
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
GRENZERFAHRUNG<br />
Eine Reise an die Außengrenzen der EU – nach Ungarn, Serbien und Rumänien.<br />
Wo es Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer besonders schwer haben.<br />
Chefredakteurin Birgit Müller begleitete eine Gruppe von Hamburger Experten.<br />
Budapest<br />
Ungarn<br />
Röszke an der Grenze<br />
zwischen Ungarn und<br />
Serbien wirkt auf den<br />
ersten Blick ganz<br />
harmlos. Die Reiseroute:<br />
von Budapest<br />
über Subotica,<br />
Sombor und Novi Sad<br />
in Serbien nach<br />
Timisoara in Rumänien.<br />
Sombor<br />
Röszke<br />
Subotica<br />
Serbien<br />
Rumänien<br />
Timisoara<br />
16<br />
Novi Sad
Stadtgespräch<br />
vom Helsinki<br />
Komitee erläutert das ungarische<br />
Asylsystem. Unten: Akileo M. aus<br />
Uganda hat Glück. Er hat ein<br />
Stipendium an der berühmten CEU.<br />
Allerdings ist die Uni jetzt nach Wien<br />
umgezogen. Die ungarische Regierung<br />
hat ihr die Rechtsgrundlage entzogen.<br />
KARTE: OPENSTREETMAP, LIZENSIERT UNTER ODBL<br />
Normalerweise ist es kein<br />
Grund zur Freude, Obdachlose<br />
zu sehen. In Budapest<br />
schon. Denn Staatschef<br />
Viktor Orbán und seine rechtsnationale<br />
Regierung haben im vergangenen Jahr<br />
ein Gesetz erlassen, wonach Obdachlose<br />
dreimal verwarnt und dann eingesperrt<br />
werden sollen.<br />
Zum Glück wird das Gesetz anscheinend<br />
nicht überall durchgesetzt.<br />
Die Kriminalisierung von Obdachlosen<br />
ist nur eine Facette der Politik, mit der<br />
Viktor Orbán Minderheiten kriminalisiert<br />
und die Demokratie aushöhlt.<br />
Besonders haben darunter die<br />
Flüchtlinge zu leiden. Deshalb sind wir<br />
hier. Die Diakonie Hamburg hat eine<br />
Fachreise entlang der Flüchtlingsroute<br />
Rumänien, Serbien und Ungarn organisiert.<br />
Die meisten Teilnehmer arbeiten<br />
mit Flüchtlingen. Zweck der Reise:<br />
Austausch mit Kollegen – und vor allem<br />
Klärung der Frage: „Wie können<br />
wir enger zusammenarbeiten?“, sagt<br />
Koordinatorin Sangeeta Fager (Weltweite<br />
Diakonie). Denn die Flüchtlingsarbeit<br />
ist in allen drei Ländern sehr<br />
schwierig.<br />
UNGARN<br />
EU-Land Ungarn hat einen 175<br />
Kilometer langen Grenzzaun<br />
zu Serbien gebaut und versucht<br />
mit rüden Methoden, Flüchtlinge<br />
daran zu hindern, ins Land zu<br />
gelangen und einen Asylantrag<br />
zu stellen. Trotz sinkender<br />
Zahlen herrscht nach wie vor der<br />
von der Regierung verhängte<br />
Ausnahmezustand. Die Asylverfahren<br />
gelten als mangelhaft.<br />
2018 wurden 608 Asylanträge<br />
gestellt, anerkannt wurden<br />
9,1 Prozent. Immer wieder<br />
verstößt Ungarn gegen EU-<br />
Richtlinien.<br />
Einschüchterungsversuche<br />
Orbáns rechtsnationale<br />
Regierung will auch<br />
die Arbeit von unabhängigen<br />
Hilfsorganisationen<br />
(NGOs) lahmlegen, die<br />
Flüchtlinge unterstützen.<br />
Und nicht nur das: Wer<br />
Flüchtlinge unterstützt, soll<br />
eingeschüchtert werden.<br />
Man kann sich nämlich<br />
schon strafbar machen,<br />
wenn man Flüchtlinge<br />
juristisch berät. Es drohen<br />
Gefängnisstrafen bis zu nem Jahr. Eine, die eine solche<br />
Strafe treffen könnte, ist<br />
eidie<br />
Juristin Gru a Matev i vom Helsinki<br />
Komitee, einer renommierten<br />
Menschenrechtsorganisation. Gru a<br />
hatte schon überlegt, das Land zu verlassen.<br />
„Aber wir sind doch immer<br />
„Sie können<br />
mich doch nicht<br />
einfach<br />
einsperren!“<br />
noch in der EU“, sagt die 37-Jährige.<br />
„Sie können mich doch nicht einfach<br />
einsperren!“ Früher hatte das Helsinki<br />
Komitee noch Zugang zu den Transitlagern,<br />
eines davon ist im Grenzort<br />
Röszke. Heute dürfen sich die Helfer<br />
dem Lager im Umkreis von acht Kilometern<br />
nicht nähern.<br />
Hunger im Camp<br />
Dabei ist die Arbeit der NGOs dringend<br />
notwendig. Denn immer wieder<br />
passieren Fälle wie dieser: Wessen Asylgesuch<br />
abgelehnt wurde, bekam oft tagelang<br />
kein Essen mehr. Da die Flüchtlinge<br />
aber in einem geschlossenen<br />
Transitlager untergebracht sind, können<br />
sie sich auch kein Essen kaufen.<br />
Einmal gab die Lagerleitung nur der<br />
Mutter und dem Kind Essen, sie durften<br />
aber nichts dem Vater abgeben.<br />
Das Helsinki Komitee hat letztes<br />
Jahr vor dem Menschenrechtsgerichtshof<br />
in Straßburg Beschwerde eingelegt<br />
und bekam Recht. Ungarn hatte versprochen,<br />
das Urteil zu respektieren.<br />
Hält sich aber nicht daran. Immer wieder<br />
müsse sich das Helsinki Komitee an<br />
Straßburg wenden, berichtet Gru a.<br />
Eine absurde Begründung<br />
Begründet hatte Ungarn den Entzug<br />
von Essen damit, dass die Flüchtlinge ja<br />
gehen könnten. Dazu muss man wissen:<br />
Das Transitlager liegt in der Nähe von<br />
Röszke, im Niemandsland an der Grenze<br />
zu Serbien. Wer das Lager tatsächlich<br />
freiwillig verlässt, steht sofort auf<br />
serbischem Boden – und ist damit raus.<br />
Ungarn hat Serbien einfach als<br />
„sicheres Drittland“ eingestuft. Das<br />
17
Stadtgespräch<br />
heißt: Wer nach Serbien geht, hat keinerlei<br />
Möglichkeit mehr, einen Widerspruch<br />
gegen die Ablehnung seines<br />
Asylantrags zu stellen. Und abgelehnt<br />
werden fast alle. Aber Ungarn gehört<br />
doch zur EU? Dürfen die das denn alles?<br />
„Eigentlich nicht“, sagt Gru a. Weil<br />
Ungarn gegen mehrere EU-Richtlinien<br />
verstößt, hat die EU ein Verfahren<br />
angestrengt, aber das ist noch nicht<br />
entschieden.<br />
Akileo bekommt eine Chance<br />
Nachmittags treffen wir in einer kirchlichen<br />
Beratungsstelle Akileo M., einen<br />
Flüchtling aus Uganda. Er ist ein Fußballtalent,<br />
spielt im Mittelfeld einer<br />
Flüchtlingsmannschaft. Eine Erfolgsgeschichte:<br />
Er hat ein Stipendium für die<br />
renommierte Uni CEU in Budapest,<br />
konnte da bislang auch wohnen. Aber<br />
er gehört zu den Letzten, die diese<br />
Chance hatten.<br />
Die Uni wird nämlich hauptsächlich<br />
von George Soros, einem Holocaustüberlebenden<br />
und Milliardär mit<br />
ungarischen Wurzeln, finanziert. Mit<br />
seiner Stiftung Open Society setzt er<br />
sich gerade in Osteuropa für die Förderung<br />
und Erhaltung der Demokratie<br />
ein. Soros ist seit Jahren ein Feindbild<br />
Dora Kanizsai-Nagy von<br />
Kalunba will mit ihren<br />
Kollegen eine Farm<br />
für Flüchtlinge gründen.<br />
Rechts: Eingang zum<br />
Flüchtlingslager<br />
Subotica in Serbien.<br />
der Rechten – speziell das von Orbán.<br />
Die ganzen Schikanen gegen NGOs<br />
werden deshalb auch „Stop- Soros-<br />
Gesetz“ genannt. Die Regierung entzog<br />
der privaten CEU die Rechtsgrundlage,<br />
trotz internationaler Proteste. Sie musste<br />
deshalb schließen und ist jetzt nach<br />
Wien umgezogen.<br />
„Wir wollen<br />
doch nur unsere<br />
Arbeit machen!“<br />
DORA KANIZSAI-NAGY<br />
18<br />
Eine Farm für Flüchtlinge<br />
Dora Kanizsai-Nagy hat große Pläne.<br />
Die Mitbegründerin der Hilfsorganisation<br />
Kalunba will auf einem Dorf in<br />
der Nähe von Budapest eine Farm gründen<br />
– mit Flüchtlingen, die Gemüse anpflanzen,<br />
ernten und verkaufen.<br />
Mutig! Angesichts der Ausländerfeindlichkeit,<br />
die auch durch Orbáns<br />
Propaganda geschürt wird. Auf Plakaten<br />
wurden monatelang Flüchtlinge als<br />
Eindringlinge und potenzielle Gewalttäter<br />
diffamiert. Das verfehlt seine Wirkung<br />
in der Bevölkerung nicht. Aber<br />
davon will sich Dora nicht unterkriegen<br />
lassen. Allerdings: Das Geld für die<br />
Farm haben sie und ihre Mitstreiter<br />
noch nicht ganz zusammen. Geld ist sowieso<br />
so eine Sache. Denn auch Kalunba,<br />
die Flüchtlingen beispielsweise<br />
Ungarischkurse oder eine Unterkunft<br />
anbietet, wird von der Regierung finanziell<br />
ausgetrocknet.<br />
Dabei gibt es einen europäischen<br />
Integrationsfonds – extra für die Flüchtlingsarbeit.<br />
Diese Gelder müssen allerdings<br />
von der jeweiligen Nationalregierung<br />
abgerufen werden, aber Orbáns<br />
Regierung weigert sich und dreht somit<br />
den Organisationen den Geldhahn zu.<br />
„Wir wollen nicht kämpfen“, sagt Dora<br />
und seufzt. „Wir wollen doch nur unsere<br />
Arbeit machen.“<br />
SERBIEN<br />
Serbien will nur Transitland<br />
sein, aber Mitglied in der<br />
EU werden. Ein Grund, vorübergehend<br />
Flüchtlinge aufzunehmen.<br />
Die EU gibt Geld für Lager<br />
und Mitarbeiter. Die Asylverfahren<br />
und der Zugang zu rechtlicher<br />
Beratung gelten als mangelhaft.<br />
2018 haben 327 Flüchtlinge<br />
einen Asylantrag gestellt,<br />
nur 11 wurden mit uneingeschränktem<br />
Schutz anerkannt.<br />
Die Liste der Hoffnung<br />
Die Fahrt über die Grenze nach Serbien<br />
wirkt zunächst ganz harmlos. Ob-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
wohl hier in Röszke, hinter Stacheldraht,<br />
das berüchtigte ungarische<br />
Transitlager liegt (siehe Seite 17).<br />
Nur wenige Kilometer weiter auf serbischem<br />
Gebiet liegt das Flüchtlingslager<br />
Subotica. Wir treffen Nata a Markovska<br />
Mom ilovi von der ökumenischen<br />
Hilfsorganisation EHO, die die Flüchtlinge<br />
unterstützt. 52 Menschen, davon<br />
30 Kinder, leben in Wohncontainern.<br />
„Alle, die hier sind, haben es fast<br />
geschafft“, sagt Nata a. Sie stehen nämlich<br />
auf der Liste, von der alle reden.<br />
Nur 10 Flüchtlinge dürfen pro Woche<br />
an der ungarischen Grenze Asyl beantragen.<br />
Ein Zugeständnis: Damit will<br />
Ungarn beweisen, dass es sich nicht<br />
total abschottet. Was gegen geltendes<br />
EU-Recht verstoßen würde.<br />
Aber welche zehn dürfen rüber?<br />
Damit es halbwegs gerecht zugeht, haben<br />
Flüchtlinge früher selbst eine Liste<br />
geführt. Diese wurde von den Lagerleitern<br />
und Autoritäten akzeptiert, jetzt<br />
wird sie von der staatlichen serbischen<br />
Flüchtlingskommission weitergeführt.<br />
Amna erzählt<br />
Vier afghanische Frauen sitzen auf<br />
einer Bank und unterhalten sich. Die<br />
Verständigung auf Englisch ist schwierig<br />
und die Begegnung nur kurz. Sie<br />
wirken etwas apathisch. Amna S. (Name<br />
geändert) erzählt, dass sie seit 2015 auf<br />
der Flucht ist, zum Schluss „zu Fuß,<br />
viel gelaufen“ und schon in mehreren<br />
Lagern war.<br />
Das Lager Vranje an der mazedonischen<br />
Grenze sei das Grauen gewesen:<br />
Es war total überfüllt, es gab nichts<br />
zu essen, sagt sie. Wie es jetzt für sie<br />
Verhaltene Freude:<br />
Amna S. (rechts)<br />
und die anderen<br />
Afghaninnen stehen<br />
auf der Liste.<br />
Ob es sie wirklich<br />
weiterbringt, ist<br />
mehr als fraglich.<br />
heißt der verharmlosende Begriff. Der<br />
Leidensdruck muss schon extrem hoch<br />
sein, um sich dem Ganzen auszusetzen.<br />
Denn in der Regel geht das „Spiel“<br />
nicht gut aus.<br />
Ungarn hat einen meterhohen<br />
Zaun entlang der 175 Kilometer langen<br />
Grenze zu Serbien gebaut. Grenzer mit<br />
Hunden patrouillieren und Helikopter<br />
überfliegen das Gelände. Wer aufgegriffen<br />
wird, wird „zurückgeschoben“ auf<br />
serbisches Gebiet. Das „Pushback“ ist<br />
ziemlich brutal. Ein Beispiel, das zwei<br />
Menschenrechtsorganisationen recherweitergeht?<br />
Amna zuckt die<br />
Schultern. Dass sie zwar<br />
bald in Ungarn einen Asylantrag<br />
stellen darf, heißt ja<br />
noch lange nicht, dass der<br />
positiv beschieden wird.<br />
Die Anerkennungsquote<br />
lag 2018 noch bei 9 Prozent,<br />
in diesem Jahr ist sie<br />
auf 5 Prozent gesunken.<br />
„Es gibt keine andere<br />
Möglichkeit“, sagt sie.<br />
Sie zeigt auf ihren klei-<br />
nen Sohn. „Ich mach das alles für ihn –<br />
und umkehren geht ja nicht mehr.“<br />
Eine 15-Jährige mischt sich ein.<br />
„Hierbleiben können wir ja auch nicht.<br />
Die Serben haben ja selbst nichts.“ Das<br />
ist wahr: Die Arbeitslosenquote beträgt<br />
40 Prozent, bei den jungen Leuten sogar<br />
60 Prozent.<br />
„Making the game“<br />
Aus Verzweiflung versuchen viele, meistens<br />
Männer, in kleinen Gruppen oder<br />
mit Hilfe von Schleppern über die<br />
Grenze nach Ungarn und von da aus<br />
weiter nach Westen zu kommen. „Making<br />
the game“ – das Spiel machen –<br />
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Stadtgespräch<br />
Auch wenn diese Frauen aus Syrien<br />
stammen, heißt das nicht, dass<br />
sie in Ungarn eine Chance haben,<br />
als Flüchtlinge anerkannt zu werden.<br />
Im Flüchtlingslager<br />
Sombor können<br />
Kinder die örtliche<br />
Schule besuchen,<br />
erzählt Nata a<br />
Markovska<br />
Mom ilovi (im<br />
weißen T-Shirt).<br />
chiert haben: Im August hatten es<br />
16 afghanische Männer und Jugendliche<br />
von Subotica aus geschafft, über die<br />
Grenze nach Ungarn zu kommen.<br />
Schlepper hätten ihnen versprochen, sie<br />
in einem Waldstück abzuholen.<br />
Stattdessen kam die Polizei. Wer<br />
nicht sofort spurte, habe den Schlagstock<br />
zu spüren bekommen. Stundenlang<br />
hätten die Flüchtlinge in der prallen<br />
Sonne sitzen müssen, ohne Trinken,<br />
ohne Essen. Ihre Handys seien zerstört<br />
worden. Die Möglichkeit, einen Asylantrag<br />
zu stellen, habe es nicht gegeben.<br />
Spät am Abend seien sie an der<br />
Grenze zu Serbien ausgesetzt worden.<br />
Stunden später kamen sie in Subotica<br />
an. Die gute Nachricht: „Die Schlafplätze<br />
im Camp werden drei Tage lang<br />
freigehalten“, sagt Nata a. Und somit<br />
auch der Platz auf der Liste.<br />
Mit Englischunterricht<br />
bereitet Lehrerin Sne ana<br />
Ivkovi Flüchtlinge auf die<br />
Zukunft vor. „Meine besten<br />
Schülerinnen“ nennt<br />
sie Malek R. aus Syrien und<br />
Nasra D. aus Eritrea.<br />
Danijela Kora<br />
Mandi (links) vom<br />
Humani tären<br />
Zen-trum in Novi<br />
Sad weiß, was es<br />
heißt, ein Flüchtling<br />
zu sein. Sie floh im<br />
Jugos lawienkrieg<br />
aus Tuzla nach<br />
Novi Sad.<br />
Die Ermüdung der Geldgeber<br />
Wir fahren weiter nach Novi Sad. Um<br />
die 20.000 Flüchtlinge kommen pro<br />
Jahr nach Serbien, sagt uns Danijela<br />
Korác-Mandic vom Humanitären Zentrum.<br />
3000 bis 4000 von ihnen werden<br />
in Camps untergebracht. „Wo sind die<br />
anderen? Vielleicht könnt ihr mir das<br />
sagen?“ Natürlich weiß sie das selbst:<br />
vermutlich in den inoffiziellen Lagern,<br />
in Abrisshäusern oder im Wald. Auch<br />
Danijela erzählt uns von Flüchtlingen,<br />
die von ungarischen Grenzern geschlagen<br />
und von Hunden gebissen wurden.<br />
Aber auch ihre Organisation kann<br />
immer weniger für Flüchtlinge tun.<br />
Denn sie bekommt kein Geld vom serbischen<br />
Staat. Und weil Serbien kein<br />
EU-Land ist, „haben wir auch keinen<br />
Zugang zu den europäischen Integrationsfonds“,<br />
sagt Danijela.<br />
Bei den internationalen Geldgebern<br />
wiederum gebe es eine „donor fatigue“,<br />
eine Ermüdung. Deshalb bleibt<br />
ihr nichts anderes übrig, als die Programme<br />
drastisch zu reduzieren oder<br />
sogar einzustellen.<br />
20
Stadtgespräch<br />
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Integration? Gibt’s quasi nicht!<br />
Danijela wünscht sich, dass die Flüchtlinge zur Ruhe<br />
kommen – und bleiben. So wie sie damals: Sie floh im Jugoslawienkrieg<br />
aus Tuzla, das nur drei Autostunden entfernt<br />
liegt, nach Novi Sad. „Ich dachte, ich würde nur<br />
bleiben, bis alles vorbei ist“, sagt sie. Aber ohne es zu merken,<br />
habe sie sich integriert. Als sie nach dem Krieg zurück<br />
nach Tuzla kam – dann in ein anderes Land: Bosnien<br />
Herzegowina – „war nichts mehr, wie es war“, sagt die<br />
48-Jährige. „Ich gehörte längst woanders hin.“<br />
Ihre Situation ist natürlich nicht vergleichbar mit den<br />
Erfahrungen der Flüchtlinge heute. Abgesehen von den<br />
kulturellen Unterschieden und der Sprache: Serbien will<br />
überhaupt nicht, dass die Flüchtlinge heimisch werden.<br />
Hält fest daran, nur ein Transitland zu sein. Integration<br />
und Unterstützung ist deshalb nicht erwünscht.<br />
RUMÄNIEN<br />
Aufnahme, Unterbringung und Zugang zu sozialem<br />
Recht gelten als problematisch. 2018 wurden 2069<br />
Asylanträge gestellt und 1077 Entscheidungen bei<br />
den Erst-Anträgen gefällt. Anerkennungsquote:<br />
26 Prozent. Interessant: 74 Prozent davon erst in<br />
der zweiten Instanz.<br />
Neuigkeiten von einem Mönch<br />
In Timisoara sind wir in einem Kloster untergebracht.<br />
Abends sitzen wir auf der Terrasse und überlegen, wie die<br />
Zusammenarbeit mit den Kolleginnen in Ungarn, Serbien<br />
und Rumänien vertieft werden könnte. Schließlich versuchen<br />
sie, unter schwersten Bedingungen, Flüchtlingen<br />
zu ihrem Recht und zu etwas Würde und Freude zu verhelfen.<br />
Ein junger Mann in Shorts kommt dazu: Pater<br />
Rumänien: 300<br />
Flüchtlinge pro<br />
Monat würden an<br />
der Grenze aufgegriffen<br />
und<br />
nach Serbien zurückgeschoben,<br />
sagt Gabriel Vasilescu,<br />
der Leiter<br />
des Transit Centers<br />
in Timi oara.<br />
Mit Helikoptern<br />
könne die Grenzpolizei<br />
einen<br />
Streifen von 20<br />
bis 30 Kilometer<br />
überwachen.<br />
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21
Stadtgespräch<br />
Rumänien. Abschiedsabend bei der<br />
kirchlichen Organisation AidRom: Chefin<br />
Elena Timofticiuc (links) führt ihre Gäste<br />
herum. Mitte: Ein syrische Vater und seine<br />
Tochter wurden vom UNHCR ins Emergency<br />
Transit Centre evakuiert und hoffen<br />
auf ein neues Leben in Norwegen. Unten:<br />
UNHCR-Vertreterin Camelia Ni u-Fr il<br />
freut sich über jeden, der es schafft.<br />
Marton, einer der vier<br />
Mönche, die hier leben.<br />
Er erzählt, dass<br />
er an der serbischen<br />
Grenze Gottesdienste<br />
in kleinen Dörfern abhalte.<br />
Und dass dort<br />
oft Flüchtlinge über<br />
die grüne Grenze<br />
nach Rumänien kämen.<br />
„Die Dorfbewohner<br />
sind weder<br />
begeistert noch gegen<br />
sie“, sagt der 31-jährige<br />
Mönch. „Manche helfen ihnen<br />
sogar.“ Zur Erntezeit<br />
sind sie auch als Arbeiter<br />
willkommen.<br />
Flüchtlinge kommen<br />
über die grüne Grenze<br />
nach Rumänien? Pater<br />
Marton erklärt, warum:<br />
„Nach Ungarn kommen<br />
sie nicht durch, und zwischen<br />
Rumänien und<br />
Serbien gibt es noch<br />
keinen Zaun. Und von<br />
hier aus starten sie einen neuen Versuch,<br />
mithilfe von Schleppern.“ Wieder<br />
eine neue Spielart von „Making the<br />
game“.<br />
Aufrüstung in Rumänien<br />
Wie lange das wohl noch funktioniert<br />
mit „Making the game“? Besuch im<br />
Transitzentrum in Timisoara. Die<br />
22<br />
Camps werden vom Staat, sprich von<br />
der Polizei, geführt. Entsprechend ist<br />
auch der Leiter des Transit Centre,<br />
Gabriel Vasilescu, ein Polizeibeamter.<br />
Der 42-Jährige erläutert nicht ohne<br />
Stolz, dass die Grenzpolizei rund 300<br />
Flüchtlinge im Monat an der Grenze<br />
abfängt und nach Serbien zurückschiebt.<br />
„Wir können einen Streifen von<br />
20 bis 30 Kilometer Breite überwachen,<br />
mit Helikoptern, Tag und Nacht.“<br />
Vasilescu geht davon aus, dass die<br />
Zahlen von Flüchtlingen, die in Rumänien<br />
landen werden, wieder steigen.<br />
Schließlich werden immer mehr Routen<br />
geschlossen, und überhaupt: „Die<br />
Menschen lassen sich nicht abhalten.“<br />
Deswegen wird im Land aufgerüstet. Es<br />
werden neue Zentren gebaut. „Noch<br />
einmal wollen wir uns nicht überrumpeln<br />
lassen von der Zahl der Flüchtlinge“,<br />
sagt Vasilescu. „Diesmal sind wir<br />
vorbereitet.“<br />
Evakuierung in ein neues Leben<br />
Draußen sehen wir fünf Flüchtlinge,<br />
die anscheinend gerade angekommen<br />
sind, jeweils mit einer schwarzen Mülltüte<br />
in der Hand. Darin Bettzeug und<br />
etwas zu essen. Wir hoffen, dass sie zu<br />
den Glücklichen gehören, für die die<br />
Reise weitergeht.<br />
Denn dieses Camp ist etwas Besonderes:<br />
Hier ist auch das Emergency<br />
Transit Centre (ETC) untergebracht –<br />
das einzige seiner Art in Europa. Hierher<br />
evakuiert das Flüchtlingshilfswerk<br />
der Vereinten Nationen (UNHCR)<br />
Menschen, die als besondere Härtefälle<br />
gelten (siehe Seite 14).<br />
Viele von ihnen wurden aus offiziellen<br />
und inoffiziellen libyschen Lagern<br />
gerettet. Im Grunde sind dort alle<br />
„besonders schutzbedürftig“, wie der<br />
Terminus lautet. Weil sie womöglich als<br />
Sklaven versteigert werden und weil<br />
Schläge und Vergewaltigungen an der<br />
Tagesordnung sind. Übrigens: Die EU<br />
hat Libyen beauftragt, die Flüchtlinge<br />
aufzunehmen, finanziert die Lager mit<br />
und bildet die als brutal geltende Küstenwache<br />
mit aus.<br />
Eine heikle Mission<br />
1,4 Millionen Flüchtlinge gehören laut<br />
UNHCR zu den besonders gefährdeten<br />
Personen. Das Flüchtlingshilfswerk
Stadtgespräch<br />
sucht unter all diesen Menschen einige aus, die in Länder<br />
vermittelt werden, die bereit sind, diese „sehr, sehr verletzliche<br />
Gruppe“ aufzunehmen. Eine delikate Aufgabe,<br />
denn der UNHCR kann nur Vorschläge machen. Das<br />
letzte Wort haben die Aufnahmeländer. UNHCR-Vertreterin<br />
Camelia Ni u-Fr il ist froh über jede Familie, die in<br />
eine sichere Umgebung kommt.<br />
Neulich erst habe sie von einer Familie, die in<br />
Nürnberg aufgenommen wurde, einen Anruf erhalten.<br />
Aufgeregt und glücklich hätte die Tochter geklungen.<br />
„Sie hat mich zur Hochzeit eingeladen“, sagt Camelia<br />
Ni u-Fr il . „Da wusste ich: Jetzt ist die Familie endlich in<br />
ihrem neuen Leben angekommen.“<br />
Ein Fest zum Abschied<br />
Unsere Reise geht zu Ende. Zum Abschluss erleben wir<br />
etwas Schönes: Wir sind bei der kirchlichen Organisation<br />
AidRom eingeladen. Heute feiert sie ihr monatliches<br />
interkulturelles Fest – mit viel Essen und Musik. Wir lernen<br />
ein afghanisches Ehepaar mit zwei süßen Kindern<br />
kennen. Sie wirken so zufrieden. Aus gutem Grund: Die<br />
beiden wurden als Flüchtlinge anerkannt. Er studiert Wirtschaftswissenschaften,<br />
sie Informatik. Und wenn alles gut<br />
geht, können sie bald einen Aufenthaltsstatus bekommen.<br />
Und dann wird gefeiert. Sozialarbeiter Flavius spielt<br />
den Animateur. Ruft: „Wer kommt aus Syrien, bitte aufstehen!“<br />
Es geht weiter: aus Somalia, aus Afghanistan,<br />
aus Rumänien und Deutschland. Und alle stehen auf,<br />
die Erwachsenen zurückhaltend und ver legen lächelnd,<br />
die Kinder meistens strahlend und stolz. Jeder Einzelne<br />
wird begeistert beklatscht. Das macht Laune. Und für<br />
einen winzigen Moment fühlen sich alle irgendwie<br />
willkommen, egal woher sie kommen und wohin sie<br />
irgendwann gehen werden. •<br />
Auch 2020 geht der weltweit größte<br />
fahrtüchtige Museumsfrachter auf große Fahrt.<br />
Unsere Fahrten unter Ihrem Weihnachtsbaum!<br />
Freitag, den 8. Mai 2020<br />
Einlaufparade zum<br />
831. Hafengeburtstag<br />
Samstag, den 09. Mai 2020<br />
Technikfahrt am<br />
831. Hafengeburtstag<br />
Freitag, den 12. Juni 2020<br />
Fahrt Hamburg nach Brunsbüttel<br />
(inkl. Busshuttle<br />
zurück)<br />
Bestellen Sie bequem online:<br />
www.capsandiego.de<br />
Sonntag, den 14. Juni 2020<br />
Fahrt Brunsbüttel nach Hamburg<br />
(inkl. Busshuttle nach Brunsbüttel)<br />
Sonntag, den 26. Juli 2020<br />
Sommerliche Brunchfahrt<br />
- Hafen und Elbe -<br />
Donnerstag, den 20. August 2020<br />
Fahrt Hamburg - Cuxhaven<br />
(inkl. Busshuttle zurück)<br />
Dienstag, den 25. August 2020<br />
Fahrt Cuxhaven nach Hamburg<br />
(inkl. Busshuttle nach Cuxhaven)<br />
Nähere Infos online oder<br />
telefonisch unter 040/36 42 09<br />
Kalender Motiv 1:<br />
„Voller Erwartung“<br />
Mischling Puffy<br />
und Herrchen Marc<br />
sind seit 12 Jahren<br />
unzertrennlich.<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Kalender Motiv 2:<br />
„Hafenhusky“ Aryala ist<br />
schon Gerrits zweiter Husky.<br />
Seit drei Jahren ist sie seine<br />
treue Begleiterin – auch<br />
beim Verkauf.<br />
Rumänischkurse, rechtliche Beratung, Unterkunftsplätze,<br />
Freizeitangebote: Das Team von AidRom will den<br />
Flüchtlingen in ihrer Zeit in Rumänien so gut helfen,<br />
wie es nur geht. Für die gute Stimmung gibt Flavius Ilioni<br />
(Zweiter von rechts) auch gerne mal den Entertainer.<br />
Adventskalender<br />
Geduldig saßen die beiden Hundedamen unserer Verkäufer<br />
Marc und Gerrit Modell für unseren Adventskalender.<br />
24 Türchen mit Bio-Fairtrade-Schokolade,<br />
ohne Plastikinlay, also komplett als Altpapier recycelbar.<br />
Von Postalo. Preis: 11,90 Euro.<br />
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23
Ein Geschenk für<br />
den Bürgermeister<br />
Linchen und Marcl lebten jahrelang auf der Straße, heute<br />
setzen sie mit ihrem Label Middlefinger Streetwear ein<br />
Zeichen gegen Ausgrenzung und Armut. Dabei hoffen<br />
sie auf Beistand von oberster Stelle.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Hamburg am 6. September.<br />
Mit einem Geschenk in der<br />
Hand steuert Marcl auf das<br />
Rathaus zu. Er will zum<br />
Bürgermeister, der sollte ja irgendwo<br />
hier zu finden sein. Einen Termin hat<br />
Marcl nicht, aber Glück: Zufällig spielt<br />
vor dem Rathaus das Polizeiorchester,<br />
sein 125-jähriges Bestehen wird gefeiert,<br />
dann eine Durchsage: Peter Tschentscher<br />
werde gleich ein Grußwort sprechen.<br />
„Besser geht’s gar nicht“, habe er<br />
sich gedacht, erzählt Marcl uns später.<br />
Er drängt sich durch die Menge und<br />
drückt dem verblüfften Bürgermeister<br />
die Geschenkbox in die Hand – Teil<br />
eines sozialen Projekts des Modelabels<br />
Middlefinger Streetwear, das er mit seiner<br />
Freundin Linchen gegründet habe,<br />
es gehe um Armut in Hamburg, sie würden<br />
ihn dazu gern sprechen. „Beim<br />
Weggehen habe ich ihm noch gesagt:<br />
‚Aber wirklich melden! Ist wichtig‘“, erzählt<br />
Marcl. Tschentscher kam gar nicht<br />
dazu, etwas zu sagen. Schnell nahm ihm<br />
eine Mit arbeiterin das Paket aus der<br />
Hand und übergab es der Security. Wer<br />
wusste schon, was unter dem Deckel lag.<br />
In der Box steckte das Ergebnis monatelanger<br />
Arbeit: Ein T-Shirt mit der<br />
Aufschrift „Open Your Eyes“, das<br />
Linchen (21) und Marcl (29) in ihrem<br />
Siebdruckatelier selbst angefertigt hatten.<br />
Eine Packung Merci-Schokolade als<br />
Zeichen der Anerkennung, ein paar<br />
symbolische Pflaster. Und ein kleines<br />
Buch mit dem Titel „Reality“, in dem<br />
die beiden ehemaligen Straßenkids<br />
indirekt auch ihre eigene Geschichte<br />
erzählen.<br />
Es zeigt Bilder von Armut, Menschen,<br />
die Mülltonnen durchsuchen<br />
oder auf der Straße betteln. Soziale<br />
Einrichtungen werden vorgestellt, die<br />
sich für Bedürftige in Hamburg stark<br />
machen – das CaFée mit Herz, die<br />
Tafel, auch Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist vertreten.<br />
Linchen und Marcl haben all diese Einrichtungen<br />
persönlich kennengelernt.<br />
Wenn sie davon erzählen, wie es sich anfühlt,<br />
für die Essensausgabe anzustehen<br />
oder beim Schnorren ignoriert zu werden,<br />
dann berichten sie aus Erfahrung.<br />
Für Tausende Menschen in Hamburg<br />
ist das Leben in Armut bittere<br />
Realität. Dem soll sich der Bürgermeister<br />
stellen, finden Linchen und Marcl.<br />
In die Geschenkbox haben sie deshalb<br />
auch einen Brief an Peter Tschentscher<br />
gelegt. „Es ist gut, dass wir Sie als<br />
Ansprechpartner und Bürgermeister in<br />
Hamburg haben“, schreiben sie. „Mit<br />
dieser Box möchten wir auf ein offensichtliches,<br />
gesellschaftliches sowie politisches<br />
Problem aufmerksam machen:<br />
die sogenannte Unterschicht.“ Tschentscher<br />
möge dieses Problem ernst nehmen<br />
– und sich dafür einsetzen, dass es<br />
auch andere tun.<br />
„Aber wirklich<br />
melden!<br />
Ist wichtig.“<br />
MARCL ZU BÜRGERMEISTER TSCHENTSCHER<br />
Bei allem Respekt, der aus den Zeilen<br />
spricht: Es gehört einiges an Mut dazu,<br />
so etwas zu schreiben. Dem Bürgermeister<br />
ein Thema auf die Agenda zu<br />
setzen und ihn in die Pflicht zu nehmen.<br />
„Machen statt labern“ ist das Motto,<br />
unter dem Linchen und Marcl für eine<br />
bessere Zukunft kämpfen. Sie glauben<br />
fest daran, dass es sich lohnt, bei diesem<br />
Kampf an oberster Stelle Druck zu<br />
machen. „Das ist ja der Grund, warum<br />
wir uns den Film überhaupt geben“,<br />
erklärt Marcl.<br />
Inzwischen haben sie gemerkt: So<br />
einfach, wie es bei der Paketübergabe<br />
lief, ist es nicht. Denn erst einmal<br />
geschah tagelang nichts. Auf Instagram<br />
25<br />
machten Bilder von der Aktion die Runde,<br />
aber aus dem Büro des Bürgermeisters<br />
kam keine Antwort. Linchen und<br />
Marcl riefen an, baten um ein Treffen<br />
mit dem Bürgermeister, wurden vertröstet,<br />
riefen noch mal an. Am 10. September<br />
hakten sie per Mail nach und bekamen<br />
die Antwort, Tschentscher habe<br />
leider keine Zeit für Einzelgespräche,<br />
man habe ihr Anliegen an die Sozialbehörde<br />
weitergeleitet. Die meldete sich<br />
zwei Wochen später, zollte den beiden<br />
Respekt für ihren Werdegang, bot<br />
Middlefinger Streetwear Finanzierungsmodelle<br />
für Start-ups an oder versprach<br />
Unterstützung, falls das Label weitere<br />
Arbeitsplätze schaffen wolle.<br />
Linchen und Marcl antworteten<br />
freundlich, aber bestimmt: „Wir von<br />
Middlefinger haben bestimmte Prinzipien,<br />
unter anderem möchten wir nichts<br />
geschenkt bekommen“, schrieben sie.<br />
Außerdem sei ihr eigentliches Anliegen<br />
immer noch, den Bürgermeister zu<br />
sprechen. „Wir wollen ja nur, dass er<br />
sich ein bisschen gerade macht“, erklärt<br />
Marcl. „Es ist doch seine Stadt.“ Linchen<br />
bekräftigt: „Dass er viel zu tun hat,<br />
respektieren wir. Aber 30 Minuten Zeit<br />
ist nicht zu viel verlangt.“<br />
Ob es zu einem Treffen mit Peter<br />
Tschentscher kommen wird, blieb bis<br />
Redaktionsschluss offen. Linchen und<br />
Marcl warteten weiter auf Antwort und<br />
kündigten an, noch mal nachzuhaken. •<br />
Kontakt: annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />
Die Geschenkbox<br />
mit T-Shirt und Buch bietet das Label<br />
Middlefinger Streetwear auch zum Bestellen<br />
an. Die Erlöse aus dem Verkauf<br />
sollen zur Hälfte an soziale Projekte in<br />
Hamburg fließen, die sich für Obdachlose<br />
und arme Menschen einsetzen.<br />
Kontakt unter<br />
www.middlefinger-streetwear.com
Im Winternotprogramm in der<br />
Friesenstraße schlafen<br />
Obdachlose in Mehrbettzimmern.<br />
Harsche Kritik<br />
am Erfrierungsschutz<br />
Ab <strong>November</strong> schützt das Winternotprogramm der Stadt Obdachlose vor<br />
dem Erfrieren. Doch die Kritik am Konzept ist groß – und beschäftigt sowohl<br />
Sozialarbeiter und Fachleute als auch die Hamburgische Bürgerschaft.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
M<br />
an könnte es als Erfolg<br />
bewerten: Das Winternotprogramm<br />
für Obdachlose<br />
war im vergangenen<br />
Winter nur zu 67 Prozent<br />
ausgelastet – ein Rückgang um 10 Prozent<br />
im Vergleich zum Vorwinter und<br />
sogar um 22 gegenüber dem davor.<br />
Sind also weniger Menschen auf den<br />
Erfrierungsschutz angewiesen? Die andere<br />
Deutung: Von den mehr als 2000<br />
Obdachlosen in der Stadt wollen oder<br />
können immer weniger die zusätzlichen<br />
Notunterkünfte im Winter nutzen.<br />
Als im Oktober Sozialarbeiter und<br />
Fachleute auf einer Veranstaltung der<br />
Reihe „Gerechte Stadt“ im Haus 73<br />
darüber diskutierten, freute sich keiner<br />
von ihnen über den Rückgang. „Die<br />
Behörde macht es für immer mehr<br />
Menschen immer schwerer, hineinzukommen“,<br />
beklagte etwa Dirk Hauer,<br />
Leiter des Fachbereichs Migration und<br />
Existenzsicherung bei der Diakonie.<br />
In der Kritik steht zum Beispiel<br />
die sogenannte Wärmestube, ein Raum,<br />
in dem Obdachlose auf dem Boden<br />
schlafen müssen. Dorthin werden zum<br />
26<br />
Beispiel Menschen verwiesen, die in<br />
Hamburg zwar auf der Straße schlafen,<br />
aber womöglich in ihrem Herkunftsland<br />
eine Unterkunft haben.<br />
Auch Beratungsgespräche im Winternotprogramm,<br />
die von manchen als<br />
Zwang empfunden werden, stoßen auf<br />
Kritik. Denn ihr Ergebnis kann auch<br />
sein, dass Menschen von den Unterkünften<br />
abgewiesen werden. Uwe Giffei,<br />
der für die SPDBürgerschaftsfraktion<br />
auf dem Podium saß, erklärte,<br />
dass solche „Steuerungsmechanismen“<br />
eingeführt wurden, um einen Miss
Stadtgespräch<br />
brauch des Winternotprogramms zu verhindern. Aber er<br />
räumte ein: „Das trifft auch Menschen, die das Winternotprogramm<br />
brauchen.“<br />
Tags darauf war Thema in der Bürgerschaft, wie das<br />
Winternotprogramm zu verbessern wäre. Die Linksfraktion<br />
beantragte wie schon in den Vorjahren, die beiden<br />
Unterkünfte in Friesen- und Kollaustraße auch tagsüber<br />
für alle Obdachlosen unabhängig von ihrer Herkunft zu<br />
öffnen – so wie die Wohncontainer, die über den Winter<br />
ALARM IN´T<br />
GRANDHOTEL<br />
SUITE SURRENDER // KOMÖDIE VON<br />
MICHAEL MCKEEVER // 16.11.<strong>2019</strong> – 11.1.2020<br />
„Es wird nicht gelingen, die<br />
Probleme innerhalb<br />
eines Jahres zu lösen.“<br />
UWE GIFFEI, SPD<br />
bei Kirchengemeinden und anderswo stehen. Schließlich<br />
seien Obdachlose „aufgrund ihrer Lebenssituation physisch<br />
und psychisch erschöpft“ und bräuchten deshalb<br />
„auch tagsüber Wärme und Ruhe“, so der Antrag. Ein<br />
Anliegen, das auch Hinz&<strong>Kunzt</strong> und Sozialverbände seit<br />
Jahren teilen, mit dem sich die Linken aber vermutlich<br />
auch in diesem Jahr nicht werden durchsetzen können.<br />
Auch der CDU geht die Forderung nach einer ganztägigen<br />
Öffnung zu weit. Sie schlug im Parlament einen<br />
Kompromiss vor: Ein Bus-Shuttle solle die Obdachlosen<br />
von den Notunterkünften bis direkt zu den Tagesaufenthaltsstätten<br />
fahren, statt wie bisher nur in die Innenstadt.<br />
Das Problem allerdings: Diese Einrichtungen haben unregelmäßige<br />
Öffnungszeiten, keine hat ganztägig offen,<br />
viele öffnen erst deutlich später, als das Winternotprogramm<br />
schließt – und es gibt dort zu wenige Plätze.<br />
Eine Entscheidung über die Anträge ist noch nicht<br />
gefallen. „Es wird nicht gelingen, die Probleme innerhalb<br />
eines Jahres zu lösen“, orakelte SPD-Politiker Giffei im<br />
Haus 73. „Wir werden sehen: Es gibt Fortschritte, aber es<br />
gibt auch noch viel Kritik.“ •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Das Winternotprogramm<br />
780 Plätze für Obdachlose sieht das diesjährige Winternotprogramm<br />
vor. 650 davon stellt das städtische<br />
Unternehmen fördern&wohnen in zwei Großunterkünften<br />
zur Verfügung. Sie sind jeweils nur von 17 bis 9.30 Uhr geöffnet.<br />
Ganztägig geöffnet sind hingegen die Wohncontainer<br />
für 130 Obdachlose, die bei Kirchengemeinden und anderen<br />
Einrichtungen aufgestellt sind. Zuletzt gezählt wurden<br />
1910 Obdachlose – und es gibt noch eine Dunkelziffer.<br />
Foto: Sinje Hasheider<br />
<strong>2019</strong>1011_AZ-Alarm_Hinz&<strong>Kunzt</strong>_93x138_DV.indd 1 11.10.19 15<br />
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Förderkreis Norddeutschland e.V.<br />
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27<br />
NACHHALTIGE GELDANLAGE SEIT 1975.
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Ab <strong>November</strong> ist wieder der Kältebus der<br />
Alimaus unterwegs. Wer Obdachlose sieht<br />
und helfen will, wählt 0151/65 68 33 68.<br />
Ehrenamtliche fahren täglich von 19 bis<br />
24 Uhr Hilfebedürftige in Notunterkünfte.<br />
Obdachlose in Altona<br />
Neue Tagesaufenthaltsstätte<br />
Die Stadt schafft ein neues Angebot<br />
für Obdachlose: Ab Januar öffnet<br />
eine Tagesaufenthaltsstätte (TAS) in<br />
der Stresemannstraße. Sie richtet<br />
sich vor allem an die Trinkerszene<br />
am Bahnhof Holstenstraße. Straßensozialarbeiter<br />
haben zudem eine<br />
Jobbörse und Ämterbegleitung angeregt.<br />
Auch solle Gästen der Konsum<br />
von nicht-hochprozentigem Alkohol<br />
erlaubt sein. Ob die Wünsche umgesetzt<br />
werden, ist noch unklar. JOF<br />
•<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer stirbt auf der Straße<br />
Trauer um Hinz&Künztler Valentin<br />
Erneut ist ein Obdachloser auf Hamburgs Straßen verstorben: Ein Ladenbesitzer<br />
fand Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer Valentin am Morgen des 5. Oktobers leblos vor<br />
seinem Lebensmittelmarkt in Mümmelmannsberg. Der Notarzt konnte nur noch<br />
den Tod des 45-Jährigen feststellen. Woran Valentin gestorben ist, bleibt ungeklärt:<br />
Laut Polizei wies der Leichnam keine Spuren von Fremdeinwirkung auf,<br />
eine Obduktion veranlassten die Behörden nicht. Eine Mitarbeiterin des Supermarktes,<br />
vor dem Valentin zuletzt das Straßenmagazin verkaufte, berichtete, dass<br />
der Moldawier an mehreren Krankheiten gelitten habe. So habe er erzählt, dass<br />
er Diabetiker sei, auch sein Magen war offenbar angegriffen. Valentin war 2014<br />
nach Hamburg gekommen. Dubiose Arbeitgeber hatten ihn hierher gelockt<br />
und dann um Lohn betrogen. Mit dem Job verlor er auch den Schlafplatz in<br />
einem Vierbettzimmer und lebte fortan auf der Straße. Mümmelmannsberger<br />
organisierten für den Verstorbenen eine Gedenkfeier im Gemeindehaus. ATW/UJO<br />
•<br />
Totensonntag<br />
Gedenken an verstorbene Obdachlose<br />
Auch in diesem Jahr lädt Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu einer Gedenkfeier für die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Verkäufer ein, die in den vergangenen zwölf Monaten verstorben sind. Interessierte<br />
treffen sich am Totensonntag (24.11.) um 14 Uhr auf dem Öjendorfer<br />
Friedhof an der Busstation Feierraum Nord. Von dort aus geht es gemeinsam zum<br />
Gedenkbaum, an dem Plaketten mit eingravierten Namen an die Verstorbenen<br />
erinnern. Die katholische St.-Bonifatius-Gemeinde (Am Weiher 29) lädt<br />
am selben Tag um 18 Uhr zu einem ökumenischen Gedenkgottesdienst für<br />
verstorbene Wohnungslose ein. Der einsam Verstorbenen wird in der Haupt -<br />
kirche St. Petri (Bei der Petrikirche 2) mit einem Gottesdienst gedacht. Dieser<br />
beginnt am Totensonntag um 15 Uhr. UJO<br />
•<br />
Poliklinik für Obdachlose<br />
Hilfsprojekt sucht Ärzte<br />
Die studentische Poliklinik für obdachlose<br />
Menschen ohne Krankenversicherung<br />
sucht Fachärzte, vor allem<br />
für Innere Medizin. Das Projekt<br />
bietet einmal pro Woche eine allgemeinärztliche<br />
Sprechstunde im Cafée<br />
mit Herz an. Während die Arbeit für<br />
die Medizinstudierenden zur Ausbildung<br />
gehört, werden die bislang drei<br />
Ärzte auch honoriert. Die Poliklinik<br />
füllt eine Lücke im Hilfesystem: Für<br />
Obdachlose ohne Krankenversicherung<br />
gibt es zu wenig Angebote. JOF<br />
•<br />
Kontakt: info@stupoli-hamburg.de<br />
Vorlesungen über Obdachlosigkeit<br />
Hamburg für alle – aber wie?<br />
Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist<br />
eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung:<br />
Das ist die Grundidee einer<br />
Vorlesungsreihe an der Uni Hamburg.<br />
Praktiker geben ab <strong>November</strong><br />
jeden Dienstag um 18 Uhr Einblicke<br />
in ihre Arbeit und laden zur Diskussion.<br />
Am 19.11. etwa geht es um<br />
„Lebenslagen von Frauen auf der<br />
Straße“, am 26.11. um Straßenkinder,<br />
am 3.12. um Housing first. UJO<br />
•<br />
Mehr Infos im Internet:<br />
hamburg-fuer-alle.blogs.uni-hamburg.de<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
28
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> Randnotizen<br />
Unser Newsletter ist da!<br />
Jeden Freitag informieren wir Sie in<br />
unserem neuen Newsletter „Randnotizen“<br />
über Themen, die uns in der<br />
Woche beschäftigt haben, über unsere<br />
Veranstaltungen und den Flurfunk<br />
aus dem Projekt. Und wir lassen<br />
Sie natürlich wissen, was im aktuellen<br />
Monatsmagazin steht – damit Sie<br />
keine Ausgabe mehr verpassen.<br />
Anmeldung:<br />
www.hinzundkunzt.de/randnotizen<br />
Gericht: Bauherr muss nicht haften<br />
Nach fünfjährigem Rechtsstreit sind zwei rumänische Wanderarbeiter mit dem<br />
Versuch gescheitert, mehrere Tausend Euro Lohn einzuklagen: Das Bundesarbeitsgericht<br />
(BAG) entschied, dass der Bauherr der „Mall of Berlin“ nicht dafür<br />
haften muss, dass zwei seiner Subunternehmer Arbeiter um Lohn betrogen haben.<br />
Ein Berliner Arbeitsgericht hatte die Ansprüche von acht Wanderarbeitern zwar<br />
anerkannt. Geld sahen die Kläger aber trotzdem nicht, weil die Subunternehmen<br />
und auch der vom Investor beauftragte Generalunternehmer Insolvenz angemeldet<br />
hatten oder von der Bildfläche verschwunden waren. Dem Investor kann das<br />
egal sein: Die sogenannte Nachunternehmerhaftung erstrecke sich nicht auf<br />
„Unternehmer, die lediglich als bloße Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben“,<br />
entschied das BAG. Der Bau der Einkaufsmeile kostete eine Milliarde Euro,<br />
die Forderungen der Wanderarbeiter betrugen etwa 50.000 Euro. UJO<br />
•<br />
Ausgebeutete Wanderarbeiter bekommen keinen Lohn<br />
Jobcenter und Mietkosten<br />
Hilfeempfänger zahlen drauf<br />
Jeder sechste HartzIVHaushalt in<br />
Hamburg bekommt vom Jobcenter<br />
nicht die komplette Miete bezahlt.<br />
Das geht aus einer Anfrage der<br />
BundestagsLinken hervor. Demnach<br />
sind in Hamburg 17.000 Haushalte<br />
betroffen. Sie müssen im Schnitt<br />
1014 Euro pro Jahr aus dem Regelsatz<br />
abzwacken. Dieses Geld fehle für<br />
Schulsachen und gesunde Ernährung,<br />
kritisiert die Linke. JOF<br />
•<br />
Vordringlich Wohnungssuchende<br />
Hilfe für Menschen in Wohnungsnot<br />
Vergangenes Jahr fanden 3738 Haushalte, die die Stadt mit einem Dringlichkeitsschein<br />
als Notfälle anerkannt hat, eine Wohnung. Allerdings gingen zeitgleich rund<br />
12.000 weitere Dringlichkeitsscheininhaber leer aus. „Menschen in Not sollten<br />
zuerst eine Wohnung bekommen“, fordert DiakonieChef Dirk Ahrens. Der Senat<br />
müsse die Saga stärker in die Pflicht nehmen:<br />
Statt jede vierte solle das städtische<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
Unternehmen jede zweite Wohnung an<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Notfälle vermieten. JOF<br />
•<br />
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Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
Wer die Geschichte befragt,<br />
muss Akten studieren. Detlef Garbe<br />
interessiert sich derzeit für die mehr als<br />
80 Außenlager von Neuengamme.<br />
„Eine Berufung“<br />
30
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Wenn alles klappt, nimmt<br />
Detlef Garbe nach einem<br />
langen Arbeitstag<br />
pünktlich den Bus, der<br />
in Sichtweite seines Büros hält. Fährt<br />
mit der Nummer 327 in vielen Schlenkern<br />
vom Neuengammer Hauptdeich<br />
über den Neuengammer Hausdeich bis<br />
zum S-Bahnhof Bergedorf, von dort<br />
weiter in die City. Aber meistens ist er<br />
nicht pünktlich. „Dass das hier kein<br />
Beruf ist, sondern eine Berufung, wurde<br />
mir in dem Moment klar, als ich hier<br />
anfing zu arbeiten“, sagt er.<br />
Das ist nun 30 Jahre her. 1989 übernahm<br />
Detlef Garbe die Leitung der<br />
KZ-Gedenkstätte Neuengamme, seit<br />
Kurzem ist er in der Kulturbehörde für<br />
die Abteilung „Gedenkstätten und<br />
Lernorte“ zuständig. Jetzt, mit 62 Jahren,<br />
nähert sich seine Berufslaufbahn<br />
Vor Kurzem<br />
wurde er zum<br />
Professor ernannt.<br />
30 Jahre lang leitete der Historiker Detlef Garbe die Gedenkstätte<br />
Neuengamme. Wie es dazu kam, warum er über die<br />
Zeugen Jehovas forschte, was ihm noch am Herzen liegt und<br />
ob er AfD-Mitglieder herumführen würde – eine Begegnung.<br />
dem Ende. Was tun in der verbleibenden<br />
Zeit? Ihm lägen besonders die Außenorte<br />
von Neuengamme am Herzen,<br />
die mehr Beachtung verdienten und wo<br />
noch Spannendes zu entdecken sei. Wie<br />
etwa im Außenlager nahe dem Salzstock<br />
bei Morsleben, wo KZ-Häftlinge<br />
in 400 Metern Tiefe schuften mussten<br />
und in dem die DDR später radioaktiven<br />
Müll lagerte. In Wolfsburg wiederum<br />
sei man bei den Erdarbeiten für die<br />
Errichtung eines Einkaufszentrums<br />
jüngst auf Barackenfundamente gestoßen,<br />
denn auch hier war ein Außenlager<br />
von Neuengamme, aus dem bis zu<br />
800 KZ-Häftlinge beim dortigen Volkswagenwerk<br />
eingesetzt wurden. „Ohne<br />
den Nationalsozialismus gäbe es Wolfsburg<br />
als Stadt ja nicht“, sagt Garbe.<br />
Entsprechend hätten die Wolfsburger<br />
ein Bewusstsein, umsichtig mit solchen<br />
historischen Spuren umzugehen,<br />
man sei an seiner Expertise inte ressiert.<br />
Detlef Garbe ist seit zwei Jahren<br />
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der<br />
31
KZ-Gedenkstätten, er berät die Bundesbeauftragte<br />
für Kultur und Medien<br />
in Fragen von Projekt förderungen. Und<br />
jüngst ist er vom Hamburger Senat zum<br />
Ehrenprofessor ernannt worden.<br />
Wie alles anfing? Da muss er „kurz“<br />
weit ausholen. Er rückt sein Wasserglas<br />
ein wenig zur Seite, geht zurück in das<br />
Jahr 1982, als die SPD in Hamburg die<br />
Mehrheit in der Bürgerschaft verlor und<br />
sich mit der Grün-Alternativen Liste<br />
(GAL) zu Koalitionsverhandlungen zusammensetzen<br />
musste. Unter anderem<br />
ging es damals auch um den Punkt „die<br />
Erforschung des Verfolgungsschicksals<br />
von Minderheiten im Nationalsozialismus“,<br />
der bei der SPD zustimmendes<br />
Interesse fand. Garbe wird Vorstand der<br />
„Projektgruppe vergessene Opfer des<br />
Nationalsozialismus“. „Es gab dafür öffentliche<br />
Mittel, und auch wenn es nicht<br />
viel Geld war, es kam einiges in Bewegung“,<br />
erzählt er. Und man beginnt<br />
1972 reiste er<br />
das erste Mal<br />
nach Auschwitz.<br />
über die Schicksale homosexueller Menschen<br />
in der NS-Zeit zu arbeiten und<br />
über den Leidensweg der Roma und<br />
Sinti; entdeckt die Swing-Jugend,<br />
forscht nach, was behinderte Menschen<br />
im Nationalsozialismus zu erleiden hatten<br />
und was die sogenannten Asozialen<br />
32<br />
Etwa 50.000<br />
Menschen wurden von<br />
1938 bis 1945 im<br />
KZ Neuengamme<br />
ermordet. Bis in die<br />
1970er-Jahre wollte<br />
man vom Schreckensort<br />
vor den Toren<br />
Hamburgs nichts<br />
wissen. Erst seit 2007<br />
ist das gesamte<br />
Gelände eine<br />
Gedenkstätte.<br />
oder, wie sie seinerzeit genannt wurden,<br />
die Gemeinschaftsfremden. „Und irgendwann<br />
sagte jemand in der Runde:<br />
‚Da gab es doch auch diese Bibelforscher<br />
…‘“, erinnert sich Garbe.<br />
„Mir ging es mit den Zeugen Jehovas<br />
wie den meisten: Ich kannte sie, wie<br />
sie mit ihren Zeitungen irgendwo standen<br />
oder wenn sie bei einem an der Tür<br />
klingelten und auch mal nervten“, erzählt<br />
er. Aber Genaueres zu ihrer Verfolgungsgeschichte<br />
kannte er nicht.<br />
Wusste noch nicht, wie brutal diese vordergründig<br />
unpolitische Gemeinschaft<br />
verfolgt worden war, weil ihre Anhänger<br />
bis zuletzt den Wehrdienst verweigert<br />
hatten; weil ihnen ihr Herrgott weit<br />
wichtiger blieb als jeder Führer der irdischen<br />
Welt. Hatte noch keine Kenntnis,<br />
dass sie zuweilen an den Haustüren, an<br />
denen sie mit ihrem „Wachturm“ in der<br />
Hand klingelten, zu hören bekamen:<br />
„Euch hat doch der Hitler vergessen.“<br />
Und er machte sich an die Arbeit,<br />
ging in Archive, wertete Akten aus, suchte<br />
vor allem nach Zeitzeugen und befragte<br />
sie: „Mir sind Themen, die mit<br />
Glauben und Religiosität zu tun haben,<br />
ja nicht fremd, denn ich komme aus der<br />
kirchlichen Jugendarbeit.“<br />
Was mit an den beiden Pastoren<br />
liegt, denen er als Jugendlicher begegnet,<br />
in Moringen, einer Kleinstadt im<br />
Landkreis Northeim, in der er aufwächst.<br />
„Sie haben uns junge Leute für<br />
die damals angesagten Themen sensibilisiert:<br />
die Lage in der Dritten Welt, den<br />
Militärputsch gegen den Präsidenten<br />
Allende in Chile, die Situation der<br />
Gastarbeiter, auf die man damals herabschaute“,<br />
erzählt Garbe. 1972 fuhr<br />
er schließlich zum ersten Mal mit dem<br />
Verein „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“<br />
nach Polen und war davon so<br />
beeindruckt, dass er ein Jahr später eine<br />
eigene Reisegruppe nach Ausschwitz<br />
mitorganisiert hat.<br />
Auch zu Hause ist die NS-Zeit Thema:<br />
„Mein Vater war schon früh Nationalsozialist<br />
gewesen, hat auch Schuld<br />
auf sich geladen – aber im Gegensatz<br />
zu anderen hat er darüber geredet, und
Lebenslinien<br />
er hat alle meine Schritte als richtig und konsequent angesehen“,<br />
erzählt er. „Er wollte nie wieder eine Uniform<br />
tragen, wollte nichts mehr mit dem Nazitum zu tun haben,<br />
auch wenn er zuweilen traumatisiert und alkoholisiert<br />
die alten Lieder sang.“ Und Garbe sagt: „Ich habe<br />
mich jedenfalls nicht wie andere Historiker meiner Generation<br />
an einem Nazivater abarbeiten müssen.“<br />
Damals wendet er sich mit anderen der Geschichte<br />
des eigenen Wohnortes zu: „Bei uns in Moringen haben<br />
die Nazis gleich 1933 eines der ersten KZ errichtet: für<br />
,Schutzhaftgefangene‘, also überwiegend für Kommunisten.“<br />
Anschließend wird das Lager ein Frauen-<br />
KZ,1940 ein sogenanntes Jugendschutzlager. Unter den<br />
dort Festgehaltenen sind auch einige der Hamburger<br />
Swing-Jugendlichen: junge Leute, die dem von den<br />
Nazis verpönten Orchester-Jazz aus England und den<br />
USA frönen und die sich zum Teil handfest mit der<br />
Hitlerjugend anlegen.<br />
Am Ende, so Garbe, stand eine kleine Ausstellung,<br />
die seinen Lebensweg prägen sollte. Auch weil seine Mitstreiter<br />
und er für ihre Offenlegungen zum Teil heftig<br />
angefeindet wurden.<br />
Zu den Gegnern der Ausstellung gehörte etwa die<br />
SPD, die im Moringer Stadtrat die Mehrheit stellte.<br />
Unterstützung und Zuspruch kam dagegen von einem<br />
CDU-Landtagsabgeordneten: „Der kam aus einer örtlichen<br />
Unternehmerfamilie, die unter den Nazis als sogenannte<br />
Halbjuden bedrängt und dann verfolgt worden<br />
waren, und so hatte er eine andere Sicht auf die Dinge.“<br />
Und Garbe sagt: „Ich habe damals erfahren, dass das mit<br />
dem Links- und Rechtssein durchaus komplizierter ist.“<br />
Was nicht heißt, dass ihm der Anstieg des Rechtspopulismus<br />
nicht Sorgen bereitet; die ihn aber auch<br />
nicht um den Schlaf brächten: „Sollte etwa die AfD unsere<br />
Gedenkstätte besuchen wollen, warum nicht? Sie<br />
kann gerne kommen.“ Bisher habe es aber noch keine<br />
solche Anfrage gegeben. Und er sagt abschließend: „Wir<br />
stehen vor spannenden Heraus forderungen.“ •<br />
Der Hamburg-Kalender<br />
Die Teilnehmer*innen unseres Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotowettbewerbs<br />
können stolz sein: Unter Anleitung von Fotografin Lena Maja<br />
Wöhler haben sich einige Hinz&Künztler*innen regelmäßig zu<br />
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Derzeit ist die Gedenkstätte Teil der Hamburger Kulturbehörde.<br />
Doch Kultursenator Carsten Brosda (SPD) plant,<br />
die Gedenkstätte in eine Stiftung zu überführen, auch um<br />
sie unabhängiger zu machen. Da diese über kein eigenes<br />
Stiftungskapital verfügen würde, würde erneut Hamburg<br />
als Stadt einspringen; dazu kämen Bundes- und Drittmittel.<br />
33
Der große<br />
Reformer<br />
Fritz Schumacher, Oberbaudirektor in<br />
Hamburg von 1909 bis 1933, prägte das<br />
Stadtbild wie kaum ein anderer Architekt.<br />
Zum 150-jährigen Geburtstag des<br />
Visionärs blickte Fotograf David Altrath<br />
hinter die Fassaden großer Staatsbauten.<br />
TEXT: CHRISTIANE MEHLIG, BENJAMIN LAUFER
Der Statuensaal im Kuppelbau der Hamburger<br />
Kunsthalle: Zwischen 1912 und 1919 entstand der<br />
Erweiterungsbau aus einem Entwurf von Fritz<br />
Schumacher. Gebaut aus Muschelkalkstein gilt er als<br />
architektonisches Markenzeichen des Museums.
Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
„In Schumachers<br />
Bauten verschmelzen<br />
Kunst und Funk tion.“<br />
FOTOGRAF DAVID ALTRATH<br />
Diplom-Ingenieur Roger Popp ist Experte für die Bauten von<br />
Fritz Schumacher und lebt selbst in der Dulsberg-Siedlung (unten),<br />
die der Architekt in den 1920er-Jahren als sozialen Wohnungsbau<br />
entwarf. Rechts: Die Grundbuchhalle des Hamburger Ziviljustizgebäudes<br />
mit ihrem charakteristischen Treppengeländer aus Stahlbeton.<br />
W<br />
er mit offenen Augen<br />
durch Hamburg geht,<br />
kommt an Fritz Schumacher<br />
nicht vorbei.<br />
Der Architekt hat das Stadtbild geprägt<br />
wie kein Zweiter. Und trotzdem kennen<br />
die meisten nur eine Seite seiner Werke.<br />
„Man sieht die Gebäude immer nur<br />
von außen, hat aber keine Ahnung, wie<br />
die Innenräume aufgebaut sind“, beklagt<br />
der Fotograf David Altrath.<br />
Zum 150-jährigen Schumacher-<br />
Geburtstag hat er deswegen seinen<br />
Blick auf das Innere der Gebäude gerichtet.<br />
Ein halbes Jahr lang hat er in<br />
Schumachers Staatsbauten fotografiert,
war im Zellentrakt der Davidwache, im<br />
Hörsaal des Bernhard-Nocht-Instituts<br />
und im sogenannten Bananensaal der<br />
Finanzbehörde. „Es verbergen sich so<br />
tolle Räume hinter den Fassaden“, sagt<br />
Altrath. Dem Architekten und Oberbaudirektor<br />
Schumacher sei es darum<br />
gegangen, ein besonderes Ambiente für<br />
die arbeitenden Menschen zu schaffen,<br />
erklärt der Fotograf: „Hier verschmelzen<br />
Kunst und Funktion.“<br />
Dass Schumacher sich selbst als<br />
„Baukünstler“ sah, kam nicht von ungefähr.<br />
„Ich merkte mit einer Art innerem<br />
Staunen“, schrieb er einst, „dass ich<br />
eine neue Sprache beherrschte, in der<br />
37<br />
ich nur mit den Mitteln der Gruppierung,<br />
der Proportion, der Lichtführung<br />
und der Farbe alles anzusprechen vermochte,<br />
was mir am Herzen lag.“<br />
Man findet seine Spuren in der<br />
ganzen Stadt, unter mehr als 100 Baupläne<br />
hat er seine Unterschrift gesetzt.<br />
Allein mehr als einem Dutzend Schulgebäuden<br />
hat er die Gestalt gegeben.<br />
Schumachers Ambition, Kunst und<br />
Funktion miteinander zu verbinden,<br />
lässt sich zum Beispiel am Bau der<br />
Hochschule für bildende Künste gut erkennen.<br />
Im Auftrag der Stadt entwarf<br />
er auch die Gewerbeschule im Stadtteil<br />
Uhlenhorst. Das dunkle Backsteingebäude<br />
entstand von 1911 bis 1913 mit<br />
besonderen Merkmalen: Weithin sichtbar<br />
hebt sich die hohe Baugruppe in ihrer<br />
Lage am Kuhmühlenteich vom üblichen<br />
Stadtbild ab. Ein „abweichendes,<br />
mehr festliches Gepräge“ sollte so zum<br />
Ausdruck kommen, befand Schumacher.<br />
Seine Hamburger Staatsbauten, die<br />
Fotograf Altrath nun abgelichtet hat,<br />
präsentieren sich stolz und erhaben, als<br />
ob sie wüssten, dass in ihnen wertvolle<br />
Entscheidungen getroffen werden. Der<br />
Besucher erlebt eine ganz eigene, ruhige<br />
Atmosphäre.<br />
Doch Schumacher konnte nicht<br />
nur öffentliche Gebäude entwerfen –
Lebenslinien<br />
Schumacher steht<br />
für menschenwürdiges<br />
und<br />
sozial gerechtes Bauen.<br />
Zellentrakt der Davidwache (oben): Das heutige Gebäude auf der Reeperbahn wurde von<br />
Schumacher entworfen und 1914 fertiggestellt. Unten: Kapelle 13 auf dem Friedhof Ohlsdorf.<br />
Die Fenster zeigen abstrakte Muster aus Buntglas. Rechts: Der „Bananensaal“ der Finanzbehörde<br />
am Gänsemarkt erhielt seinen Namen von den Keramiksäulen, die an Bananenstauden<br />
erinnern. Schumacher arbeitete hier mit dem Bildhauer Richard Kuöhl zusammen.<br />
auch seine Wohnsiedlungen gaben<br />
der Hansestadt ein neues Gesicht.<br />
Gerade nach dem Ersten Weltkrieg war<br />
der Bedarf hiernach groß. Mit der<br />
Dulsberg-Siedlung in Barmbek machte<br />
Schumacher als Oberbaudirektor<br />
Hamburgs dann erste Schritte im<br />
sozialen Wohnungsbau.<br />
Die Wohnungsnot verlangte nach<br />
neuen Ideen, und Schumacher verachtete<br />
die bis dahin in Hamburg übliche<br />
„Hinterflügelbauweise“, die kaum<br />
Licht und Frischluft in die Zimmer ließ.<br />
Er empfand auch die „Massenanhäufung<br />
der Menschen in hohen Stockwerkshäusern<br />
als etwas Bedrückendes“.<br />
38
39<br />
Schumacher wollte etwas Neues:<br />
Wohnverhältnisse in seiner Stadt sollten<br />
menschenwürdig und sozial gerecht<br />
sein! Also senkte er die Anzahl der<br />
Stockwerke bei seinen Gebäuden von<br />
sechs auf drei bis vier und plante sie<br />
vermehrt mit Grünflächen – geschützt<br />
im Hinterhof, aber offen zugänglich.<br />
„Er erschuf ein neues Konzept“,<br />
sagt der Diplom-Ingenieur Roger Popp,<br />
der sich seit einigen Jahren mit Schumachers<br />
Werken beschäftigt. „Grünflächen<br />
waren von großer Bedeutung<br />
und standen nicht irgendwo – sie hatten<br />
eine Funktion.“ Auf nur 50 Metern<br />
Breite, aber dafür 1,5 Kilometern Länge<br />
hielten die Grünstreifen in Dulsberg<br />
gegenüberliegende Häuserreihen zusammen.<br />
Hinter ihnen lag die nächste<br />
Hauptstraße. „Die Strukturierung von<br />
Hauptstraße, Wohnblock, Grünzug,<br />
Wohnblock und nächster Hauptstraße<br />
war bis dato einmalig“, erzählt Popp<br />
weiter. Praktisches Wohnen wollte<br />
Schumacher mit Schönheit verbinden.<br />
Dazu zählten für ihn die ansprechende<br />
Gestaltung genauso wie vorteilhafte<br />
Lage und ein nicht zu langer Weg zur<br />
Arbeitsstätte für die Bewohner.<br />
Sein Gespür für Gerechtigkeit und<br />
Ungerechtigkeit entwickelte der 1869 in<br />
Bremen geborene Sohn eines Diplomaten<br />
schon in jungen Jahren. Seinen<br />
Vater sah er selten; er wuchs bei den<br />
neun Tanten auf. Die Finanzen der Familie<br />
waren miserabel. Aus der Geldnot<br />
heraus schrieb Fritz Schumacher in<br />
jungen Jahren Feuilletons, allerdings für<br />
die besten Zeitungen – das konnte er<br />
dank seines großen Kunstwissens. Er<br />
bewegte sich in höchsten Gesellschaftskreisen,<br />
obwohl er sich selbst zum<br />
ärmeren Teil der Gesellschaft zählen<br />
musste.<br />
Schumacher brach ein Mathematikstudium<br />
ab, begann ein zweites zum<br />
Diplom-Architekten in Berlin und arbeitete<br />
fortan in München und Leipzig.
Mit 32 wurde er Professor an der Universität<br />
in Dresden. In den sieben Lehrjahren<br />
dort erarbeitete er sich international<br />
einen Ruf als Reformer, sodass<br />
die Stadt Hamburg ihn für sich gewinnen<br />
wollte. Mit Erfolg: Drei Tage vor<br />
seinem 40. Geburtstag folgte er dem<br />
Ruf der Hansestadt.<br />
Eine Entscheidung mit Folgen für<br />
die Stadt: „Er war identitätsprägend für<br />
Hamburg, federführend im Siedlungsbau<br />
und zuständig für den Städtebau“,<br />
sagt Dirk Schubert, Vorsitzender der<br />
FritzSchumacherGesellschaft. „Schumacher<br />
versuchte, die dichten städtebaulichen<br />
Strukturen aufzulockern. Er<br />
wollte Licht, Luft und Sonne.“<br />
Und er wollte die heute charakteristischen<br />
roten Backsteinfassaden, um<br />
sich von der damals etablierten Bauweise<br />
mit verputzten Wänden abzugrenzen:<br />
„Die Architekten unter<br />
Schumachers Hand sollten bei der<br />
Häuserplanung den Klinker berück<br />
David Altrath<br />
wurde 1995 in Datteln geboren und<br />
lebt heute in Hamburg. Er hat Visuelle<br />
Kommunikation mit dem Schwerpunkt<br />
Fotografie an der Merz Akademie – Hochschule<br />
für Gestaltung, Kunst und Medien in<br />
Stuttgart studiert. Seit 2014 ist er als freier<br />
Fotograf mit dem Schwerpunkt Architektur,<br />
Reportage und Landschaft tätig.<br />
Außerdem arbeitet er als Bildredakteur.<br />
Mehr Infos: www.davidaltrath.com<br />
sichtigen. So entstand der Titel ‚Das<br />
rote Hamburg‘“, erklärt der Architekt<br />
und Soziologe Schubert.<br />
Fritz Schumacher realisierte mehr<br />
als 60.000 Wohnungen in Hamburg, allein<br />
auf dem Dulsberg entstand auf<br />
900.000 Quadratmetern neuer Wohnraum<br />
für tausende Hamburger. All<br />
seine Gebäudepläne passten sich dabei<br />
stets den Bedürfnissen der Menschen<br />
an. 1933 dann der Bruch: Schumacher<br />
wurde in den vorzeitigen Ruhestand<br />
versetzt – nach 24 Jahren Amtszeit.<br />
Laut FritzSchumacherGesellschaft<br />
wohl wegen seiner „inneren Distanz<br />
zum Nationalsozialismus“.<br />
Seinem Arbeitseifer setzte das aber<br />
kein Ende: Er schrieb zwölf Bücher<br />
über seine Erlebnisse, Reisen und architektonischen<br />
Eindrücke. Schweigen fiel<br />
ihm schwer: Nach Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs hielt er im Hamburger Rathaus<br />
eine vielbeachtete Rede zum Wiederaufbau<br />
der Stadt – und prägte damit<br />
wieder einmal das Stadtbild mit. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
40
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
„Schumacher<br />
wollte Licht, Luft<br />
und Sonne.“<br />
DIRK SCHUBERT, FRITZ-SCHUMACHER-GESELLSCHAFT<br />
Veranstaltungen<br />
im <strong>November</strong><br />
und Dezember<br />
Mittwoch, 13.11.<strong>2019</strong>, 19 Uhr<br />
Neue Literatur im alten Gewölbe –<br />
Lesung mit Susanne Neuffer<br />
Donnerstag, 14.11.<strong>2019</strong>, 18 Uhr<br />
Verleihung des 11. Holger-Cassens-<br />
Preises<br />
In Kooperation mit der Mara und<br />
Holger Cassens-Stiftung<br />
Dienstag, 19.11.<strong>2019</strong>, 18:30 Uhr<br />
Jugendhilfe sozialräumlich denken.<br />
Vortrag und Diskussion mit Falko<br />
Droßmann und Vertretern der<br />
Bürgerschaftsfraktionen<br />
Eine Veranstaltung des Arbeitskreises<br />
Kinder, Jugend und Bildung<br />
Montag, 25.11.<strong>2019</strong>, 18 Uhr<br />
Die ostdeutsche Erfahrung (1989 –<br />
<strong>2019</strong>) – Eine Bestandsaufnahme<br />
Festveranstaltung zum 254. Gründungstag<br />
der Patriotischen Gesellschaft<br />
mit Prof. Dr. Wolfgang Engler<br />
Montag, 02.12.<strong>2019</strong>, 18 Uhr<br />
Let it be democracy –<br />
Impuls & Dialog<br />
Eine Veranstaltung des Arbeitskreises<br />
Interkulturelles Leben in Kooperation<br />
mit der Initiative wirsprechenfotografisch<br />
Eintritt frei zu allen Veranstaltungen,<br />
Anmeldung erbeten:<br />
www.patriotische-gesellschaft.de<br />
Patriotische Gesellschaft von 1765<br />
Trostbrücke 4-6, 20457 Hamburg<br />
Im Hauptgebäude der Hochschule für bildende Künste befindet sich auch ihre Bibliothek<br />
(links). Sie beherbergt Bücher der Gegenwartskunst ab dem 20. Jahrhundert. Oben: Das<br />
Treppenhaus der Handwerkskammer liegt im Innungsflügel des 1912 erbauten Gewerbehauses.<br />
Die Räume sind weitgehend original erhalten. Der Hörsaal im Bernhard-Nocht-<br />
Institut für Tropenmedizin entstand, wie der gesamte Klinkerbau, zwischen 1910 und 1914.<br />
41<br />
Foto: Karin Desmarowitz
War lange als kaufmännischer<br />
Direktor an den Theatern Kampnagel<br />
und Kiel beschäftigt: Jörn Sturm.<br />
„Meine Tür steht<br />
immer offen“<br />
Seit Anfang Oktober ist Jörn Sturm neuer Geschäftsführer von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> intern<br />
ENGAGIEREN<br />
TAufEN<br />
SINGEN<br />
„Erst mal will<br />
ich ganz<br />
viel zuhören.“<br />
JÖRN STURM<br />
Natürlich waren wir total<br />
neugierig: Wie mag er wohl<br />
sein, unser neuer Geschäftsführer?<br />
Klar kannten wir<br />
den Lebenslauf von Jörn Sturm. Der<br />
schien schon mal gut zu uns zu passen.<br />
Denn der 53-Jährige hat beruflich und<br />
privat eine Menge geleistet und bewegt,<br />
wovon Hinz&<strong>Kunzt</strong> profitieren kann.<br />
Vor allem seine vielen Jahre in der Werbung,<br />
am Kampnagel Theater und am<br />
Theater Kiel klangen spannend. Dort<br />
war Jörn – im Gegensatz zu unserem<br />
Ex-Geschäftsführer Jens Ade – nicht<br />
auf der kreativen Seite beschäftigt, sondern<br />
als kaufmännischer Direktor. Mit<br />
Zahlen kann er also umgehen. Und mit<br />
Menschen in einem kreativen und<br />
künstlerischen Umfeld, die ja oft – sagen<br />
wir – eigen sind. Damit hatte er nie<br />
Probleme, erzählt er. „Auf Kampnagel<br />
wurden Dinge immer in großer Runde<br />
besprochen und diskutiert. Die Meinung<br />
der Mitarbeiter war sehr wichtig.“<br />
Eine Unternehmenskultur also, die sich<br />
mit der unsrigen deckt.<br />
Privat ist Jörn Sturm seit Langem<br />
ehrenamtlich beim FC St. Pauli im<br />
Amateurvorstand engagiert. Sportlich<br />
gehört er dem 2. Herren-Senioren-Fußballteam<br />
an, das ihm das Kapitänsamt<br />
anvertraut. Wer den Kiezclub kennt,<br />
der weiß, dass auch dort Menschen zusammenkommen,<br />
die mitreden wollen<br />
und alles kritisch hinterfragen. Die Meinungen<br />
über Jörn Sturm gehen offenbar<br />
trotzdem nicht sehr weit auseinander:<br />
Sehr humorvoll und unprätentiös<br />
sei unser neuer Chef, verrieten uns<br />
43<br />
gleich mehrere, die es wissen müssen.<br />
Er hat trotzdem klare Ziele, führt Diskussionen<br />
in einer ruhigen und sachlichen<br />
Art, er bringt die Ideen, die er<br />
hat, auf die Straße, ist kein Träumer,<br />
sondern einer, der macht und machen<br />
lässt. Viele herzliche Komplimente sind<br />
über Jörn Sturm zu hören. Wir haben<br />
also anscheinend einen guten Fang gemacht.<br />
Und freuen uns riesig.<br />
Auch Jörn hat sich auf Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gefreut: „Nach zehn Jahren am Theater<br />
war ich auf der Suche nach einem<br />
Job, bei dem man sich mehr in soziale<br />
Themen einbringen kann“, sagt er.<br />
Dass Hinz&<strong>Kunzt</strong> mit dem Magazin<br />
gleichzeitig ein kreatives Produkt anbietet,<br />
bildet für ihn dabei die ideale<br />
Mischung.<br />
Mit Obdachlosigkeit hatte der gelernte<br />
Metallflugzeugbauer bisher zwar<br />
nicht zu tun. Berührungsängste mit unseren<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufern hat er<br />
trotzdem nicht. „Meine Tür steht immer<br />
offen“, sagt Jörn, dessen Büro direkt<br />
an den Vertriebsraum grenzt – zu<br />
verstehen als klares Signal an die<br />
Hinz&Künztler, sich jederzeit an ihren<br />
neuen Geschäftsführer wenden zu können.<br />
Der Kontakt auf Augenhöhe<br />
ist ihm wichtig, sagt er. Und ganz neu<br />
ist zumindest ein Problem vieler<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer auch für Jörn<br />
Sturm nicht: Drogenabhängigkeit.<br />
„Das habe ich im engen Freundeskreis<br />
erlebt“, erzählt er. Dadurch sei ihm klar<br />
geworden, dass man gegenüber Suchtkranken<br />
„ein anderes Vertrauen, Geduld<br />
haben und auch mal fünfe gerade<br />
sein lassen sollte“, sagt Jörn, „aber auch<br />
ganz klare rote Linien und Grenzen setzen<br />
muss.“<br />
Inzwischen fühlt sich Jörn bei uns<br />
„toll aufgenommen“. „Ganz viel zuhören“<br />
will er erst mal. Und dann Ziele abstecken,<br />
„um Hinz&<strong>Kunzt</strong> weiterzuentwickeln<br />
und um den immerwährenden<br />
Veränderungsprozess mit euch zusammen<br />
zu meistern“. Wir sind bereit. •<br />
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TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
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44<br />
Im Laden von Hauke Neumann in<br />
der Neustadt steht zwischen Geschirr<br />
mit Ankern und Möwen,<br />
Meerjungfrauen und Elbphilharmonie<br />
versteckt ein altes Foto. Es zeigt einen<br />
feschen jungen Mann in voller Fischermontur,<br />
dem er verflixt ähnlich sieht.<br />
„Das ist mein Opa“, sagt Hauke stolz,<br />
„der war Kapitän und Fischer auf der<br />
Nordsee.“ Haukes Onkel ging sogar als<br />
Seemann auf Forschungsschiffen auf<br />
große Fahrt um die Welt.<br />
So viel Fernweh ist Hauke fremd.<br />
Der Cuxhavener schaffte es zum Studium<br />
nur bis nach Hamburg. Dort blieb<br />
er hängen, mal in Ottensen, mal auf St.<br />
Pauli. „Die Musikszene hatte mich<br />
mehr am Wickel als die Seefahrt“, erzählt<br />
der 42-Jährige. Als Student der<br />
Elektrotechnik und angehender Wirtschaftsingenieur<br />
druckte er mit Freunden<br />
nebenbei T-Shirts in limitierter<br />
Edition. „Das war die wilde Punkrock-<br />
Zeit“, erinnert er sich grinsend. „Ging<br />
so mittel, nur als Hobby ist so ein Geschäft<br />
schwierig.“<br />
Schließlich verabschiedete er sich<br />
vom T-Shirt-Business und stellte auf<br />
hochwertiges Porzellan um. „Maritim<br />
fand ich spannend“, erzählt er. „Damals<br />
waren wir Pioniere, da gab’s nur<br />
die Landungsbrücken auf Touristenbechern<br />
– heute wäre es schwieriger, ins<br />
Geschäft zu kommen.“ Seit 2010 ist
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Hauke voll dabei. Siebdruck-Technik –<br />
damals bei den T-Shirts erprobt – findet<br />
nun auf Bechern, Tellern oder<br />
Pommesschalen Anwendung. 18 unterschiedliche<br />
Designs gibt es bei Ahoi<br />
Marie, die Teile sind spülmaschinenfest<br />
und alltagstauglich.<br />
Mit fünf Künstlerinnen und Künstlern<br />
arbeitet er zusammen, alles Weggefährten<br />
aus unterschiedlichen Lebensstationen.<br />
Und: Ist er eine treue Seele?<br />
„Wahrscheinlich bin ich eher bequem“,<br />
findet er mit typisch norddeutschem<br />
Understatement. Ganz hanseatisch<br />
gibt’s bei Ahoi Marie keine schriftlichen<br />
Verträge, Geschäfte werden per Handschlag<br />
geschlossen, alle verdienen am<br />
Verkauf. Der läuft gut, das Label ist<br />
mittlerweile in zahlreichen Läden in<br />
Norddeutschland vertreten.<br />
Maritim bedeutet für Hauke nicht<br />
Urlaub und Strand, sondern vor allem<br />
Hamburg: „Es ist eine Einstellung, ein<br />
Gefühl.“ Das prima mit Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
zusammenpasst – und so gibt es seit<br />
Weihnachten 2017 einen Becher von<br />
Ahoi Marie in unserem Shop. Darauf<br />
ein Hinz&<strong>Kunzt</strong> lesender Fisch, entworfen<br />
von Jan-Hendrik Holst. Jetzt<br />
kommt ein zweiter Becher in einem<br />
anderen Look dazu, das Design ist von<br />
Freunde<br />
Ellen Beckel – beide gehören zum<br />
Ahoi-Marie-Team.<br />
Was ist das eigentlich für ein Name?<br />
Da grinst Hauke. Vom Balkon seiner<br />
früheren Wohnung in Ottensen<br />
konnte er immer den tiefen Typhon-<br />
Bass des Kreuzfahrtschiffs Queen Mary<br />
hören. Dann war eben ein standesgemäßer<br />
Gruß fällig: „Ahoi Marie!“ Das<br />
gefällt auch Haukes fünfjähriger Tochter,<br />
die davon überzeugt ist, ihr Vater<br />
sei Kapitän. Denn Hauke hat einen<br />
Bootsführerschein, und sie freut sich<br />
schon darauf, dass er sie und ihre<br />
Freundinnen über Hamburgs Kanäle<br />
schippert, „immerhin.“ Das weite Meer<br />
lockt ihn nicht. Hamburg genügt. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Ahoi Marie gibt es im Bootshaus,<br />
Thielbek 3, geöffnet Do und<br />
Fr, 11–19 Uhr, Sa, 11–17 Uhr,<br />
www.ahoi-marie.com.<br />
Im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Shop: Becher<br />
„Fischkopp“ und<br />
neu Becher „Ahoi“,<br />
jeweils 14,90 Euro<br />
JA,<br />
ICH WERDE MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum, Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im Oktober an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />
Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro<br />
Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
Dankeschön<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• Andrea Kampmeier und Jörg Meyer<br />
sowie ihren Gästen<br />
für die Hochzeitskollekte<br />
NEUE FREUNDE:<br />
• Heidi Adamczek • Dirk Bade • Lena<br />
Brügmann-Koegst • Marga Flader • Karin<br />
Grünbaum • Anna Hahne • Birgit und Frank<br />
Kohl-Boas • Elke Richter • Ulla-Ruth In der<br />
Stroth • Olaf Schön • Morten Simon<br />
• Cornelia Weißleder • Alp Yilmaz<br />
• Gerda Zeller<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />
der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />
Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />
Ja<br />
Nein<br />
Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />
Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />
Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />
Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />
genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />
jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />
mehr von uns bekommen möchten, können Sie<br />
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Daten widersprechen.<br />
Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />
einsehen unter www.huklink.de/datenschutz<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
45<br />
HK <strong>321</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Es war toll. Niemanden hat es interessiert, wer man ist.“<br />
„Sehr lobenswert“<br />
H&K online, Tagesaufenthaltsstätte in Altona<br />
Toll – eine Tagesaufenthaltsstätte, die<br />
nicht komplett abgelegen ist. Das finde<br />
ich sehr lobenswert!<br />
UTA NICKELS VIA FACEBOOK<br />
„Anpacken – machen“<br />
H&K online, Hanseatic Help: Vor vier Jahren<br />
Kleiderkammer für Geflüchtete eröffnet<br />
Es war toll. Niemanden hat es interes-<br />
siert, wer/was man ist. Anpacken –<br />
machen. Noch nie in solch kurzer Zeit<br />
so viele tolle Menschen kennengelernt.<br />
HINZ&KÜNZTLER GERRIT KEITEL VIA FACEBOOK<br />
Arroganz des Kunstmarktes<br />
H&K 319, Zwischen Reaktion und Rebellion<br />
Polke erklärt „einen brillanten Dilettantismus“<br />
„zur Kunst“, und Gerhard<br />
Richter malt „völlig banale“ Bilder ab.<br />
Und dafür soll ich 12 Euro zahlen?<br />
Früher förderten Kuratoren talentierte<br />
einheimische Künstler und machten<br />
diese mit internationalen Genies bekannt.<br />
Heute huldigen alle Beteiligten<br />
der Arroganz des Kunstmarktes, der<br />
mit seinem Geld wohl jeden Scheiß zur<br />
Kunst erklären kann. DR. ROMAN LANDAU<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Wir trauern um<br />
Valentin Sobuleac<br />
24. Dezember 1973 – 5. Oktober <strong>2019</strong><br />
Valentin hat unser Magazin in Mümmelmannsberg<br />
verkauft. Er wurde frühmorgens tot auf seinem<br />
Schlafplatz gefunden.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Janusz Bogdan Zdunczyk<br />
7. <strong>November</strong> 1972 – 23. August <strong>2019</strong><br />
Janusz hat seit März in Norderstedt<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkauft. Dort wurde er tot<br />
in seinem Zelt gefunden.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Hans-Peter Ritter<br />
3. August 1960 – 7. Oktober <strong>2019</strong><br />
Hans-Peter kam 1996 zu uns. Schon seit<br />
einiger Zeit hat er keine Magazine mehr verkauft.<br />
Nach langer Krankheit ist er nun verstorben.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
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Hamburg-Eimsbüttel<br />
040 43 27 44 11<br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: bequem online buchen unter<br />
www.hinzundkunzt.de oder Telefon 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />
Nächste Termine: 10.11. + 24.11.<strong>2019</strong>, 15 Uhr<br />
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Unser Rat zählt.<br />
Beim Strohhause 20<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
879 79-0<br />
Jetzt<br />
Mitglied<br />
werden<br />
20079 Hamburg
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Hitler-Attentat: Schauspieler Jens Harzer liest aus den Verhörprotokollen von Georg Elser (S. 48).<br />
Gute Frage: Wir erklären, was Obdachlose tun, wenn ihre Haustiere krank sind (S. 56).<br />
Nicht mehr obdachlos: Hinz&Künzler Klaus hat wieder die Kurve gekriegt (S. 58).<br />
„Im Schlaf ist man schutzlos“, weiß Michael.<br />
Besonders als Obdachloser. Der 52-Jährige ist<br />
einer von fünf Hinz&Künztlern, die in einer<br />
Ausstellung im Museum der Arbeit das Leben<br />
auf der Straße erlebbar machen (S. 53)<br />
FOTO: ANDREAS HORNOFF
Harzer liest Elser<br />
Vor 80 Jahren, am 8. <strong>November</strong> 1939, zündete der Schreiner Georg Elser im Bürgerbräuhaus<br />
in München eine Bombe. Und hätte damit fast Adolf Hitler getötet. Seit zehn Jahren<br />
erinnern Schauspieler Jens Harzer und Musiker Helmut Butzmann an den Widerstandskämpfer.<br />
INTERVIEW: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: ROMAN DACHSEL<br />
48
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Claus Schenk Graf von<br />
Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 ein<br />
Attentat auf Hitler verübte, kennt jedes Kind.<br />
Georg Elser hat schon am 8. <strong>November</strong> 1939<br />
eine Bombe im Bürgerbräukeller in München<br />
gezündet und hätte es fast geschafft, Hitler<br />
und seine Führungsriege zu beseitigen – hätte<br />
Hitler nicht seine Rede früher als geplant<br />
beendet. Elser, der kurz vor Kriegsende<br />
hingerichtet wurde, ist nach wie vor recht<br />
unbekannt. Herr Butzmann, Sie setzen sich<br />
seit zehn Jahren dafür ein, das zu ändern.<br />
Warum?<br />
HELMUT BUTZMANN: Der Unterschied zwischen<br />
Elser und Stauffenberg hat mich<br />
damals interessiert. Ich wusste ja, dass<br />
Stauffenberg durch seine Familie eine<br />
große Lobby hatte und sehr geehrt wurde.<br />
Elser hat eine ähnliche Tat fünf Jahre<br />
früher vollbracht, bevor der Krieg<br />
Deutschland zerstört hatte, von ihm<br />
hat kein Mensch gesprochen. Ich habe<br />
die verrücktesten Antworten bekommen,<br />
wenn ich gefragt habe: „Kennst<br />
du Georg Elser?“ – „ Ja, vom Fernsehen<br />
…“ Sie meinten den Moderator Frank<br />
Elstner.<br />
Was hat Sie an Elser so fasziniert?<br />
BUTZMANN: Er war ein einfacher Handwerker,<br />
er hat immer KPD gewählt,<br />
war aber nie KPD-Mitglied, was sehr<br />
wichtig ist. Es gibt niemanden, der ihn<br />
ideologisch für sich reklamieren kann.<br />
Er ist ein aufrechter Mensch, der schon<br />
1938 gesehen hat: Da kommt ein Unglück<br />
auf uns zu.<br />
Ein aufrechter Mensch, der früh<br />
das Unheil hat kommen sehen –<br />
das fasziniert Helmut Butzmann (rechts)<br />
an Georg Elser. Jens Harzer (links)<br />
beeindrucken die klaren Worte,<br />
mit denen Elser seine Tat erklärt –<br />
im Verhör durch die Gestapo.<br />
Auf welche speziellen Dinge hat er denn<br />
hingewiesen?<br />
BUTZMANN: Natürlich hat er sich mit seiner<br />
Meinung vor dem Attentat zurückgehalten.<br />
Aber in den Verhörprotokollen<br />
weist er auf soziale Ungerechtigkeiten<br />
hin, dass ein Arbeiter unter den Nazis<br />
viel weniger verdient und mehr Steuern<br />
abgeben muss. Er hat schon 1936 erkannt,<br />
dass ein Krieg vorbereitet wird.<br />
Er arbeitete damals in einem Armaturenwerk,<br />
und da gab es eine geheime<br />
Sonderabteilung, die in großer Menge<br />
Zündkapseln hergestellt und irgendwohin<br />
geliefert hat. Er wusste nicht, wohin,<br />
aber er wusste: Hier passiert etwas.<br />
49
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
Vor zehn Jahren schrieb Helmut<br />
Butzmann (rechts) ein Manuskript für<br />
einen Abend zu Georg Elser (Mitte).<br />
Mit dem Schauspieler Jens Harzer<br />
fand er den passenden Mitstreiter.<br />
Er hat auch über die Juden gesprochen …<br />
BUTZMANN: Einer seiner Freunde hat berichtet,<br />
er habe gesagt: „Ich verstehe<br />
gar nicht, warum man die Juden so<br />
plagt.“ Das war 1939. Es gab schon die<br />
Nürnberger Gesetze, und 1939 haben<br />
die Deutschen in Polen schon viele Verbrechen<br />
begangen, hauptsächlich an<br />
den Juden. Von Stauffenberg gibt es ja<br />
aus dem Polenkrieg einen schrecklichen<br />
Satz: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher<br />
Pöbel, sehr viele Juden und sehr<br />
viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich<br />
nur unter der Knute wohlfühlt.“ Mir<br />
wird daran klar, wie es die Nazis verstanden<br />
haben, andere Menschen für<br />
nicht lebenswert zu erklären. Diese<br />
Haltung und das Vokabular haben die<br />
Nazis peu à peu bis in die höchsten<br />
Kreise etabliert. Das ist schrecklich.<br />
Sie haben das Manuskript vor zehn Jahren<br />
geschrieben und den Jens Harzer gewonnen.<br />
BUTZMANN: Ich fand, dass Jens als Schauspieler<br />
und als Person eine große<br />
Glaubwürdigkeit hat. Ich bin sehr froh,<br />
dass er schon all die Jahre dabei ist, weil<br />
alles, was Jens aus dem Verhörprotokoll<br />
rausholt, überzeugend ist.<br />
Was bedeutet Ihnen Georg Elser,<br />
Jens Harzer?<br />
JENS HARZER: Der Georg-Elser-Abend gehört<br />
für mich mittlerweile schon zu einer<br />
Art <strong>November</strong>ritual, zu einem Gedenken,<br />
das man als Deutscher um<br />
diese Zeit ohnehin in sich mitträgt. Ich<br />
kannte Georg Elser schon vorher ein<br />
wenig, weil ich lange in München gelebt<br />
habe, nur zwei Straßen weiter von<br />
der Türkenstraße, wo Elser kurz vor<br />
dem Attentat gewohnt hat.<br />
In den Verhörprotokollen berichtet er minutiös<br />
von den Vorbereitungen zum Attentat. Aber den<br />
Menschen Georg Elser kann ich mir schlecht<br />
vorstellen. Sie mussten ihn sich erarbeiten?<br />
HARZER: Nein, es ist ja weder ein Spiel<br />
noch ein Hineinschlüpfen in eine Rolle.<br />
Ich lese aus den Verhörprotokollen. Das<br />
heißt: Wir hören den Wortlaut von<br />
Georg Elser, der aber von der Gestapo<br />
aufgezeichnet worden ist. Auch das<br />
trägt dazu bei, dass ich den Text mit<br />
einer fühlenden Distanz vortrage.<br />
50<br />
Haben Sie eine Vorstellung, in welcher<br />
Verfassung Georg Elser beim Verhör war?<br />
BUTZMANN: Was er über seinen Glauben<br />
und über Gott sagt, das zeigt ihn mir als<br />
einen Menschen, der sehr nachgedacht<br />
hat, auch über das Thema Tyrannenmord.<br />
Er wird ja sehr angegriffen, weil<br />
es Tote gegeben hat, darunter eine<br />
Kellnerin, die mit Nazis gar nichts am<br />
Hut hatte.<br />
Als er verhört wurde, war er ja schon<br />
mehrfach gefoltert worden. Trotzdem<br />
bewahrt Georg Elser im Verhör Haltung.<br />
HARZER: Seine Worte sind für mich von<br />
einer sehr einnehmenden Klarsicht auf<br />
die Dinge. Er schreibt es nicht in sein<br />
Tagebuch oder an seine geliebte Frau.<br />
Sondern er sagt es danach, im Verhör.<br />
Er hat vorher mit niemandem darüber<br />
geredet. Wenn man ihn spielen müsste,<br />
ist es eine Figur, die eher nach innen zu<br />
sich selbst als nach außen spricht.<br />
Aber man muss als Schauspieler bei<br />
einer solchen Lesung aufpassen, aus ihm<br />
keine Figur werden zu lassen, gar eine<br />
literarische. Er hat ja womöglich Süddeutsch<br />
gesprochen. Wer weiß, was sein<br />
Naturell war?
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Stauffenberg kommt bei Ihnen auch immer<br />
wieder vor. Ihnen war offensichtlich wichtig<br />
zu zeigen, dass Stauffenberg und Elser einen<br />
anderen politischen Hintergrund hatten.<br />
BUTZMANN: Stauffenberg war ein mutiger<br />
Mann, der sein Leben eingesetzt hat. Er<br />
war durch seine Herkunft natürlich anders<br />
geprägt als Georg Elser, er war mit<br />
Leib und Seele Militär, ein Beruf, der in<br />
seiner Familie Tradition hatte. Als er<br />
1942 den Entschluss zum Attentat fasste,<br />
hat er deutlich gesagt: Die (Nazis, Anmerkung<br />
der Redaktion) müssen weg! Es<br />
war in der Widerstandsgruppe alles geregelt,<br />
wer nach dem Attentat Minister<br />
und wer Staatspräsident wird.<br />
Und Georg Elser?<br />
BUTZMANN: Elser wollte keine Macht ergreifen,<br />
er hatte keinen Plan für die Zukunft.<br />
Er wollte nur diese Bande beseitigen,<br />
die er als Bedrohung gesehen hat.<br />
Sie sprechen an dem Abend davon,<br />
dass man Elsers Ruf beschädigt habe.<br />
Wer hat das betrieben?<br />
BUTZMANN: Das war unter anderen auch<br />
Pfarrer Martin Niemöller, der wie Elser<br />
in Dachau gefangen war. Er hat nie mit<br />
Elser darüber gesprochen, aber trotzdem<br />
nach dem Krieg behauptet, Elser<br />
wäre eigentlich SS-Scharführer und das<br />
Attentat wäre mit den Nazis abgesprochen<br />
gewesen. Bis man dann 1964 das<br />
Verhörprotokoll gefunden und Elsers<br />
Leben erforscht hat: Elser hat nie eine<br />
Uniform getragen, den Hitlergruß hat<br />
er immer verweigert.<br />
Dieses Mal findet der Georg-Elser-Abend erstmalig<br />
auf einer großen Bühne statt.<br />
BUTZMANN: Selbst wenn wir das Thalia<br />
Theater nur halb voll kriegen, ist es die<br />
größte Gedenkveranstaltung für Elser,<br />
die es bislang gegeben hat.<br />
Halb voll? Jetzt sind Sie, Jens Harzer,<br />
als Iffland-Ring-Träger doch sicher ein<br />
Publikumsmagnet.<br />
HARZER: Das können sich nur Journalisten<br />
so vorstellen, nein, nein. Glauben Sie<br />
mir, das macht nichts aus. Ich würde<br />
mich sehr wundern, wenn dadurch<br />
mehr Menschen kommen.<br />
Der Iffland-Ring wird ja seit 1815 vererbt:<br />
vom bedeutendsten Schauspieler seiner Zeit an<br />
den seiner Meinung nach bedeutendsten<br />
Schauspieler nach ihm. Ahnten Sie, dass Bruno<br />
Ganz Ihnen den Iffland-Ring vererben würde –<br />
oder haben Sie es sich sogar gewünscht?<br />
HARZER: Nein, um Himmels Willen, dann<br />
hätte ich ja denken müssen, dass Bruno<br />
Ganz stirbt – ein Kollege, den ich sehr<br />
geschätzt habe, mit dem ich zusammengearbeitet<br />
habe und der ja einer der<br />
ganz großen Schauspieler war. Deswegen<br />
ist das Wünschen hierbei völlig<br />
„Ich will immer<br />
tiefer werden<br />
mit der Schauspielerei.“<br />
JENS HARZER<br />
abstrus. Es geht ja mit dem Tod einher<br />
– dem Tod eines Menschen, der viel zu<br />
früh gestorben ist.<br />
Verbinden Sie mit dem Ring einen Wunsch<br />
oder einen Auftrag?<br />
HARZER: Nein, als Schauspieler sollte man<br />
keinen Auftrag mit sich führen, außer:<br />
Ich will so weit wie möglich kommen,<br />
und das meine ich nicht karrieremäßig,<br />
sondern ich will immer tiefer werden<br />
mit der Schauspielerei. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Allein gegen Hitler<br />
Lesung aus den Verhörprotokollen mit<br />
Jens Harzer. Helmut Butzmann: Bilder<br />
und Fakten, anschließend Konzert mit<br />
Frank Spilker (Die Sterne), Fr, 8.11.,<br />
20 Uhr, Thalia Theater, Alstertor 2,<br />
Eintritt: 8–41 Euro<br />
10.11.19 – Mojo Club<br />
SCARLXRD<br />
10.11.19 – Fabrik<br />
CHARLI XCX<br />
10.11.19 – Gruenspan<br />
BANKS<br />
12.11.19 – Große Freiheit 36<br />
WELSHLY ARMS<br />
13.11.19 – Stage Club<br />
LIVE ON MARS –<br />
A TRIBUTE TO DAVID BOWIE<br />
13.11.19 – Bahnhof Pauli<br />
TAL WILKENFELD<br />
14.11.19 – Mojo Club<br />
LAMB<br />
14.11.19 – Bahnhof Pauli<br />
MUSTASCH<br />
16.11.19 – Fabrik<br />
THE IRISH FOLK FESTIVAL<br />
17.11.19 – Große Freiheit 36<br />
ZEDD<br />
19.11.19 – Sporthalle<br />
ALTER BRIDGE<br />
24.11.19 – Markthalle<br />
BEAR'S DEN<br />
25.11.19 – Gruenspan<br />
VANESSA MAI<br />
26.11.19 – Laeiszhalle<br />
GIORA FEIDMAN SEXTETT<br />
26.11.19 – Gruenspan<br />
ANNA TERNHEIM<br />
27.11.19 – Uebel & Gefährlich<br />
WE ARE SCIENTISTS<br />
29.11.19 – Fabrik<br />
ADRIANA CALCANHOTTA<br />
30.11.19 – Mojo Club<br />
ELDER ISLAND<br />
03.12.19 – Docks<br />
MAX MUTZKE & MONOPUNK<br />
05.12.19 – Sporthalle<br />
ALLE FARBEN<br />
05.12.19 – Kulturkirche Altona<br />
NILS WÜLKER<br />
& ARNE JANSEN<br />
10.12.19 – Laeiszhalle<br />
PEE WEE ELLIS<br />
FEAT. CHINA MOSES<br />
AND IAN SHAW<br />
10.12.19 – Knust<br />
SONGS FROM ABOVE<br />
11.12.19 – Barclaycard Arena<br />
SASHA<br />
11.12.19 – Docks<br />
HOT CHIP<br />
12.12.19 – Uebel & Gefährlich<br />
BISHOP BRIGGS<br />
13.12.19 – Fabrik<br />
WLADIMIR KAMINER<br />
16.12.19 – Gruenspan<br />
SÓLSTAFIR<br />
17.12.19 – Uebel & Gefährlich<br />
ODEVILLE<br />
51<br />
TICKETS: →(0 40) 4 13 22 60 → KJ.DE
Kult<br />
Tipps für den<br />
Monat <strong>November</strong>:<br />
subjektiv und<br />
einladend<br />
Konzert<br />
Flinke Finger am Bass<br />
Dass Jazz nicht nur was für ältere Herren in Cordhosen sein muss, beweist<br />
Kinga Glyk. Vorbild der Musikerin ist Bass-Altmeister Jaco Pastorius.<br />
Es läuft bei Kinga Glyk: Mit gerade mal<br />
22 Jahren gilt die Bassistin aus Polen als<br />
das neue Jazz-Wunder. Schon mit zwölf<br />
Jahren stand sie mit Vater und Bruder<br />
auf der Bühne. Den Bass, Herzschlag<br />
jeder Band, wollte sie schon immer<br />
spielen, „für mich ist es das beste Instrument<br />
der Welt“. Ihr Durchbruch kam<br />
2017 mit einem Video ihrer Coverversion<br />
von Eric Claptons „Tears in<br />
Heaven“, Hunderttausende Male<br />
angeklickt von Menschen, die mit Jazz<br />
sonst nichts am Hut haben. Mittlerweile<br />
füllt Kinga Glyk Konzertsäle rund um<br />
52<br />
den Globus. Mit Blues, Funk, Soul<br />
und Jazz wird sie auf ihrer Tour<br />
auch das Hamburger Publikum zum<br />
Tanzen und Grooven bringen. •<br />
Fabrik, Barnerstraße 36,<br />
Do, 7.11., 20 Uhr, Eintritt 28 Euro,<br />
www.fabrik.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Mal kurz die<br />
Lücke im<br />
Fahrplan nutzen:<br />
Männer<br />
hängen<br />
nachts in der<br />
Hamburger<br />
U-Bahn<br />
Werbeplakate<br />
auf. Wie funktioniert<br />
das<br />
eigentlich bei<br />
durchgehendem<br />
Verkehr?<br />
Kurdisches Filmfestival<br />
Leben im Widerstand<br />
Aktueller denn je: Das 10. Kurdische<br />
Filmfest setzt sich mit Vertreibung,<br />
Krieg und Unterdrückung auseinander.<br />
Schwerpunkte sind der Kampf<br />
der Frauen und das Leben im<br />
Widerstand. Zahlreiche kurdische<br />
Kulturschaffende werden erwartet,<br />
Vorträge ergänzen das Programm. •<br />
Kurdisches Filmfestival, bis Mi, 6.11.,<br />
Spielorte: Zeise Kino, 3001 Kino,<br />
Studiokino, Gängeviertel und Rote Flora,<br />
www.hkff.de<br />
FOTOS: KINGA GLYK (S. 52), HOCHBAHN HAMBURG (OBEN), EDITION SALZGEBER<br />
Ausstellung<br />
Was passiert eigentlich nachts?<br />
„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“, heißt es in einem alten Gassenhauer.<br />
Aber wozu sonst? Die Ausstellung „Die Nacht. Alles außer Schlaf“ zeigt, was los<br />
ist, wenn die meisten von uns entspannt in den Kissen liegen sollten: Nachtarbeit<br />
und Nachtleben, Subkultur und Amüsement, Schlaflosigkeit und Schrecken.<br />
Dazu gehört in einer Großstadt aber auch die Obdachlosigkeit: Hinz&Künztler<br />
bringen in großformatigen Fotos und in Audios neugierigen Ausstellungsbesuchern<br />
den Alltag auf der Straße näher. •<br />
Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, 30.10. bis 1.6.2020, Mo, 10–21 Uhr,<br />
Mi–Fr, 10–17 Uhr, Sa+So, 10–18 Uhr, Eintritt 8,50 Euro, ermäßigt 5 Euro,<br />
bis 18 Jahre Eintritt frei, www.shmh.de<br />
Film<br />
PJ Harvey vertont die Welt<br />
Was ist Inspiration? Im Film „A Dog called Money“ gibt die britische Musikerin<br />
PJ Harvey darauf eine sehr persönliche Antwort. Sie folgte ihrem Partner, dem<br />
preisgekrönten Fotojournalisten und Kameramann Seamus Murphy, bei seinen<br />
Reisen um die Welt – nach Afghanistan,<br />
in den Kosovo, in die USA<br />
nach Washington. Ihre Eindrücke<br />
und Begegnungen verarbeitete sie<br />
in Texten und Songs, Murphy<br />
begleitete den Prozess in Bildern.<br />
Daheim in England entstand<br />
schließlich der Film, der das Entstehen<br />
ihres Albums „The Hope Six<br />
Demolition Project“ als Gesamtkunstwerk<br />
zeigt. Eine einfühlsame<br />
Studie über Vertrauen und darüber,<br />
wie Kunst ohne Grenzen und als<br />
Gemeinschaftswerk entstehen kann.<br />
Nicht nur für Fans sehenswert. •<br />
Metropolis Kino, Kleine Theaterstraße<br />
10, Mi, 6.11., 21.15 Uhr, Eintritt<br />
9/8 Euro, www.metropoliskino.de<br />
Indie-Star PJ Harvey hat überall Fans: 2013<br />
bekam sie sogar einen Orden von der Queen.<br />
Film<br />
Die Vielfalt Afrikas im Blick<br />
Informativ und unterhaltsam gibt<br />
das 8. Afrikanische Filmfestival sehr<br />
persönliche Einblicke in Lebenswelten<br />
zwischen Kap und Sahara. Ob Roadmovie<br />
oder Musikfilm, Western oder<br />
Science-Fiction – Film ab! •<br />
Augen Blicke Afrika, Studiokino, Bernstorffstraße<br />
93–95, 7.–17.11., Eintritt<br />
8/6,50 Euro, www.augen-blicke-afrika.de<br />
Konzert<br />
Abgefahrene Spielzeugklaviere<br />
Doch, das sind richtige Instrumente!<br />
Spielzeugklaviere erzeugen im Resonanzraum<br />
intergalaktische Klangwelten.<br />
Schwer vorstellbar, ziemlich<br />
abgefahren und gerade deswegen<br />
mehr als hörenswert. •<br />
Toy Piano Weekend, Resonanzraum,<br />
Feldstraße 66, 15./16.11., jeweils 20 Uhr,<br />
Eintritt 18/12 Euro, beide Tage<br />
30/18 Euro, www.toypiano-weekend.de<br />
Film<br />
Wir retten die Welt!<br />
Wie könnte die Welt im Jahr 2040<br />
aussehen? Wird sie zu retten sein?<br />
Dieser Frage geht der preisgekrönte<br />
Filmemacher Damon Gameau bei<br />
einer Reise um die Welt nach – und<br />
findet viele erstaunliche neue<br />
Antworten. •<br />
Zeise Kino, Friedensallee 7–9, mehrere<br />
Termine ab Do, 7.11., Eintritt Di und<br />
Mi 8/7 Euro, Do–So 8,50/7,50 Euro,<br />
www.zeise.de<br />
53
Ausstellung<br />
Die Essenz des Eises<br />
Kann man die Arktis begreifbar machen?<br />
Die Hamburger Künstlerin und<br />
Kalligrafin Jeannine Platz hat das Experiment<br />
gewagt und sich auf die Suche<br />
nach der Essenz des Eises gemacht. Am<br />
Süd- und am Nordpol war sie wochenlang<br />
unterwegs und erforschte mit ihrem<br />
Blick als Künstlerin die Ränder der<br />
Welt. Eisbären kamen zu Besuch, bei<br />
Minustemperaturen ging sie im Meer<br />
schwimmen. Jeannine Platz erlebte<br />
Pinguine hautnah und verlor bei ewiger<br />
Helligkeit fast den Rhythmus von Zeit<br />
und Raum. Das Arbeiten an Bord der<br />
Eisbrecher war schwierig für die<br />
Künstlerin – mal schaukelte es zu arg,<br />
mal froren die Farben ein. Zurück in<br />
ihrem Atelier entstanden schließlich<br />
ihre Bilder – die Arktis zum Anfassen.<br />
„Inmitten von Eisschollen machte ich<br />
54<br />
Eisberg voraus: Die Hamburger Künstlerin Jeannine<br />
Platz bei der Arbeit an Bord eines Eisbrechers.<br />
mir ein Bild von Schönheit und Kraft,<br />
Stille und Weite im Eis, von fühlbaren<br />
Geräuschen, von dem Unfassbaren<br />
einer atemberaubenden Natur.“<br />
Die Ausstellung „The Sound of Ice“<br />
ist eine perfekte Einstimmung auf den<br />
Winter! •<br />
BarlachHalle K, Klosterwall 13, 21.–24.11.,<br />
Fr + So, 11–18 Uhr, Sa, 11–16 Uhr,<br />
Eintritt frei, www.thesoundofice.com
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Kinofilm des Monats<br />
Musik statt<br />
Trübsal<br />
FOTOS: JEANNINE PLATZ (S. 54), FAIRAFRIC (OBEN), PRIVAT<br />
Film<br />
Faire Schokolade<br />
Lesung für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Benefiz in St. Nikolai<br />
Zwei prominente Hamburger Autorinnen<br />
lesen in der Hauptkirche St.<br />
Nikolai zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
aus ihren Büchern: Doris Gercke stellt<br />
„Frisches Blut“ vor, Petra Oelker „Die<br />
Brücke zwischen den Welten“. Dazu<br />
gesellt sich Thomas Mehlhorn, der<br />
„Die Spinne auf der Haut“, ein Buch<br />
von Joachim Ritzkowsky über Obdachlosigkeit,<br />
vorstellt. Die Benefizlesung<br />
ist der Höhepunkt einer guten<br />
Zusammenarbeit: 2018 hatten sich<br />
Astrid Froese, Inhaberin von ArtLit,<br />
Meike Cattarius, Leiterin des KunsthallenShops,<br />
und Anne von Karstedt,<br />
Leiterin der Druckwerkstatt im<br />
Museum für Arbeit, zusammengetan<br />
und uns eine PostkartenEdition zum<br />
Thema Arbeit geschenkt. Der Erlös<br />
wird an diesem Abend übergeben. •<br />
St. Nikolai am Klosterstern,<br />
Harvestehuder Weg 118,<br />
Fr, 22.11., 18.30 Uhr, Eintritt 10/8 Euro<br />
Arbeitsalltag auf einer<br />
Kakaoplantage in Ghana – faire<br />
Bedingungen sind möglich.<br />
Kolonialismus und Globalisierung prägen den Welthandel, sie machen faire<br />
Bedingungen in Entwicklungs und Schwellenländern oft schwierig. Dass es<br />
trotzdem geht, beweisen die Pioniere der ghanaischen Schokoladenproduktion.<br />
Wie das funktioniert und was es dafür braucht, zeigt der Film „Decolonize<br />
Chocolate“. Im Anschluss diskutieren Vertreter des sozialen Startups fairafric<br />
und des Netzwerks Inkota mit den Zuschauern. •<br />
Lichtmess Kino, Gaußstraße 25, Di, 19.11., 20 Uhr, Eintritt frei, www.lichtmess-kino.de<br />
Kinder<br />
Neues aus Mullewapp<br />
Ein Bauernhof in Mullewapp, drei<br />
tierische Freunde, ein Fahrrad und<br />
jede Menge Abenteuer – alles klar?<br />
Viele sind mit den unsterblichen<br />
Helden aus Helme Heines Kinderbüchern<br />
groß geworden: Franz von<br />
Hahn, Johnny Mauser und der dicke<br />
Waldemar halten zusammen – meistens.<br />
Als ein großer schwarzer Storch<br />
auftaucht, kriegen sie sich doch in die<br />
Wolle und plötzlich wird es gefährlich.<br />
Dass das Theaterstück „Zum<br />
Glück gibt’s Freunde“ gut ausgeht,<br />
freut große und kleine Zuschauer ab<br />
drei Jahren. •<br />
Altonaer Theater, Museumstraße 17,<br />
ab Mi, 27.11., Eintritt 13,50 Euro,<br />
www.altonaer-theater.de<br />
Über Tipps für Dezember freut sich<br />
Annabel Trautwein. Bitte bis zum 10.11.<br />
schicken: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
<strong>November</strong> <strong>2019</strong> … Hoppla.<br />
War es das fast schon wieder?<br />
Noch ein paar Wochen und<br />
das Rumgeeiere der Nullerund<br />
Zehnerjahre hat ein Ende.<br />
Endlich. Zwanzigerjahre<br />
– das klingt gleich viel besser:<br />
dekadent und charismatisch.<br />
Nach Champagnerduschen,<br />
großer Party und Musik.<br />
Und so ist die Vorfreude auf<br />
ein neues Jahrzehnt möglicherweise<br />
genau das Richtige<br />
für einen grauen Monat wie<br />
eben diesen.<br />
Das dachten sich vielleicht<br />
auch die Programmstrategen<br />
unterschiedlicher<br />
Hamburger Programmkinos<br />
wie Metropolis, 3001 und<br />
BMovie. Denn die feiern<br />
vom 6. bis 10. <strong>November</strong> das<br />
Musikfilmfestival „Unerhört!“<br />
in ihren Sälen.<br />
Mehr als 20 Filmperlen<br />
und premieren versprechen<br />
die Veranstalter – und dass<br />
man anschließend nicht nur<br />
mit anderen Cineasten diskutieren<br />
kann, sondern auch<br />
mit Musikern und Machern<br />
der Werke.<br />
Dabei ist das Programm<br />
beeindruckend: Das mittlerweile<br />
13. Musikfilmfestival<br />
zeigt Filme über Acid House<br />
und Aretha Franklin, über<br />
HipHop bis hin zu Underground,<br />
Schlager oder Jazz.<br />
Die Dokumentationen entführen<br />
die Zuschauer in die<br />
HeavyMetalSzene Asiens,<br />
in die legendäre Plattenküche<br />
des NDR oder die Düsseldorfer<br />
Punkszene der 1970er<br />
Jahre. So lässt sich der <strong>November</strong><br />
ertragen. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit<br />
Jahren für uns<br />
ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
N o 11<br />
Was Sie schon<br />
immer über<br />
Obdachlosigkeit<br />
wissen wollten!<br />
Kai mit King<br />
Louie beim Tierarzt.<br />
Hier muss<br />
er nicht befürchten,<br />
dass<br />
es teuer wird –<br />
der Veterinär<br />
behandelt Tiere<br />
von Bedürftigen<br />
auf Spendenbasis.<br />
Wo gehen Obdachlose<br />
mit ihrem Hund zum Tierarzt?<br />
Wenn der beste Freund des Menschen krank ist, kann das schnell teuer werden.<br />
Ein Problem, wenn man kein Geld hat. Aber es gibt Tierärzte, die helfen.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
King Louie hat es mal wieder erwischt.<br />
Eine dicke Entzündung am Hals, die<br />
blutet, wenn er sich kratzt. Sein Besitzer<br />
Kai (44) vermutet: ein Spinnenbiss.<br />
„Wir liegen an einer Ecke, in der so<br />
große Spinnen herumlaufen.“ Der<br />
Hinz&Künztler, der mit seinem Hund<br />
Platte macht, zeigt etwa sechs Zentimeter.<br />
Weil King Louie kaum Fell hat, ist<br />
er für Bisse, Stiche und Erkältungen<br />
besonders anfällig. „Sein Papa war ein<br />
Powderpuff und seine Mama ein<br />
Chinese Crested“, erklärt Kai. Das kleine<br />
Tier mit dem charmanten Unterbiss<br />
ist also ein halbrassiger Nackthund.<br />
Wenn es kalt wird, steckt Kai ihn in<br />
einen Hundeanzug. Trotzdem fängt<br />
sich King Louie immer wieder mal was<br />
ein. Normale Erkältungen kann Kai inzwischen<br />
selbst behandeln: Er schwört<br />
auf Kamille. Auch den Spinnenbiss hat<br />
er vorerst mit Kamillosan behandelt.<br />
Um den Tierarzt kommen die beiden<br />
trotzdem nicht herum.<br />
So etwas kann schnell teuer werden,<br />
weiß Kai. „Normalerweise sind<br />
schon 20 Euro weg, wenn man nur<br />
Moin sagt.“ Als King Louie einmal in<br />
Lübeck von einem anderen Hund angegriffen<br />
wurde, musste Kai alle zwei<br />
Tage mit ihm in die Praxis. „Da hat der<br />
Tierarzt auf mein Bitten hin mal ’ne<br />
Rechnung aufgemacht“, erzählt er.<br />
„Das wären 1200 Euro gewesen.“<br />
Zum Glück gibt es Veterinäre, die<br />
für Menschen wie ihn Notlösungen finden:<br />
An jedem ersten Montag im Monat<br />
um 20 Uhr macht eine Tierärztin<br />
am GerhartHauptmannPlatz halt, um<br />
ehrenamtlich die Tiere von Obdachlo<br />
sen zu versorgen. Kai hat noch eine andere<br />
Adresse: Er geht zu einem Tierarzt<br />
auf der Uhlenhorst. „Der macht das für<br />
Leute, die Hartz IV bekommen, gegen<br />
Spende.“ Eine große Erleichterung für<br />
den Hinz&Künztler. Und die Medikamente?<br />
„Da gehe ich zum Krankenmobil<br />
für Menschen“, sagt Kai. Den<br />
Ärzten sagt er, dass er die Medizin für<br />
seinen Hund braucht. Und inzwischen<br />
kennt sich Kai recht gut aus. „Was etwa<br />
kleinen Kindern hilft, hilft oft auch<br />
kleinen Hunden.“ •<br />
Aufruf<br />
Haben auch Sie eine Frage an unsere<br />
Hinz&Künztler? Dann schreiben Sie uns<br />
eine Mail an redaktion@hinzundkunzt.de<br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
veraltet:<br />
Wohlwollen<br />
Gartenhäuschen<br />
Moosart<br />
veraltet:<br />
grüner<br />
Junge,<br />
Laffe<br />
Bodenvertiefung<br />
antike<br />
Stadt in<br />
Kleinasien<br />
elektrisch<br />
geladenes<br />
Teilchen<br />
Nieder-<br />
elbe-<br />
Zufluss<br />
längl.<br />
elektr.<br />
Lichtquelle<br />
peinlich<br />
berührt<br />
englisch:<br />
Katze<br />
Harz der<br />
Balsambaumgewächse<br />
1<br />
8<br />
1<br />
Note beim<br />
Doktorexamen<br />
lateinisch:<br />
siehe da!<br />
2<br />
Einrichtung<br />
ein.<br />
Geldinstituts<br />
radioaktives<br />
Schwermetall<br />
deutscher<br />
Showmaster<br />
†<br />
(Hans)<br />
3<br />
4<br />
1<br />
10<br />
4<br />
mieten,<br />
pachten<br />
(engl.)<br />
Öffnung<br />
für<br />
einen<br />
Stecker<br />
Täfelung<br />
der<br />
Innenwände<br />
5<br />
Menschen<br />
3. Buchstabe<br />
des<br />
griech.<br />
Alphabets<br />
aus Hose<br />
und Jacke<br />
besteh.<br />
Bekleidg.<br />
Enzym<br />
im Kälbermagen<br />
Himmelsbote<br />
Indianerzelt<br />
unverdiente<br />
Milde<br />
Paradiesgarten<br />
Handelsbrauch,<br />
Gewohnheit<br />
nichtig,<br />
leer,<br />
eitel<br />
(latein.)<br />
Sitz des<br />
Internat.<br />
Roten<br />
Kreuzes<br />
Gewürz umgangssprachl.:<br />
eines der<br />
und Heilmittel<br />
dürftig, Edelgase<br />
schlecht<br />
Stammvater,<br />
Vorfahr<br />
griech.<br />
Göttin<br />
der Morgenröte<br />
französisch:<br />
Bogen<br />
Übereinkommen<br />
(veraltet)<br />
scharfer<br />
Spott<br />
umgangssprachlich:<br />
nein<br />
9<br />
41<br />
63<br />
47 5<br />
3<br />
9<br />
19<br />
24<br />
7<br />
4<br />
68<br />
85 7<br />
35 1<br />
AR0909-0619_3sudoku<br />
flüstern,<br />
murmeln<br />
Stadt im<br />
östlichen<br />
Ruhrgebiet<br />
mittelamerik.<br />
Paprikaart<br />
außerirdischer<br />
TV-Star<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 27. <strong>November</strong> <strong>2019</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet,<br />
kann zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eins von vier<br />
Taschenbüchern „Wir sind die Freeses“ von Andreas Altenburg<br />
(Rororo Verlag) gewinnen.<br />
Das Oktober-Lösungswort beim Kreuzwort rätsel lautete: Betrachter.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe war: 384 267 951.<br />
6<br />
7<br />
7<br />
8<br />
3<br />
2<br />
8<br />
9<br />
6<br />
5<br />
10<br />
9<br />
AR1115-0619_3 – raetselservice.de<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die farbig<br />
gerahmte, unterste<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Korten Rechtsanwälte AG),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
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Geschäftsführung Jörn Sturm<br />
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Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
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Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid bzw. nach der Anlage zum Körperschaftssteuerbescheid<br />
des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797, vom<br />
21.1.<strong>2019</strong>, für den letzten Veranlagungszeitraum 2017 nach § 5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§ 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister beim<br />
Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen.<br />
Wir bestätigen, dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
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weitergegeben. Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf<br />
www.hinzundkunzt.de. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das<br />
obdachlosen und ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 3. Quartal <strong>2019</strong>:<br />
59.666 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>321</strong>/NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
Schon einmal war Klaus<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Dann<br />
fand er Arbeit – bis ein<br />
Absturz folgte.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu verkaufen<br />
half ihm erneut, er fand<br />
eine Wohnung.<br />
Einmal an die Algarve<br />
und wieder zurück<br />
Klaus, 63, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> in den Colonnaden.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Es gibt nicht mehr allzu viele<br />
Hinz&Künztler mit einer dreistelligen<br />
Verkäufernummer. Aber Klaus ist einer<br />
von ihnen. „Ich kam schon vor 25 Jahren<br />
zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>“, erinnert sich der<br />
63-Jährige. Damals sei er zum ersten<br />
Mal für längere Zeit obdachlos gewesen.<br />
Wie es dazu kam? Der Tod der<br />
Mutter. Eine Trennung folgte. Und<br />
Klaus fiel in ein tiefes Loch und betäubte<br />
sich mit Drogen. In dieses Loch<br />
stolpert er seitdem immer wieder hinein.<br />
Dabei hatte der gebürtige Rendsburger<br />
schon früh gelernt, auf eigenen<br />
Beinen zu stehen.<br />
Klaus war keine 15 Jahre alt, als er<br />
zu Hause auszog und eine Ausbildung<br />
als Bootsbauer anfing. „Bei uns war es<br />
eh ziemlich eng“, sagt er. Zwar liebte er<br />
seine Mutter, aber über den Rest der<br />
Familie sagt Klaus: „Mit denen war ich<br />
nie grün.“ Er absolvierte seine Ausbildung,<br />
lebte in einer Lehrlingswohnung<br />
und spezialisierte sich auf Einhandsegler,<br />
mit denen man die Welt hätte<br />
umrunden können. Doch Klaus wollte<br />
gar nicht groß hinaus. Fünf Jahre,<br />
nachdem er das Elternhaus verlassen<br />
hatte, hatte er geheiratet und war Vater<br />
geworden. Aber mit der Arbeit ging es<br />
nicht mehr weiter. Und zu Hause kam<br />
es immer mehr zu Spannungen in der<br />
einst trauten Zweisamkeit.<br />
Es folgte die erste Trennung seines<br />
Lebens. Ein paar Monate später ließ<br />
Klaus alles stehen und liegen. Sein<br />
Weg führte ihn an die Algarve. Mit<br />
s einer neuen Freundin, die er während<br />
eines Gelegenheitsjobs auf der Insel<br />
Sylt kennen gelernt hatte.<br />
In Portugal unter der warmen Sonne<br />
blühte Klaus richtig auf: Der Massentourismus<br />
hielt gerade erst Einzug<br />
an der Küste, und Handwerker wurden<br />
händeringend gesucht. Kaum hatte der<br />
Deutsche von seinen Tischlerfähigkeiten<br />
erzählt, konnte er sich vor Jobangeboten<br />
kaum retten.<br />
Aus drei geplanten Monaten Urlaub<br />
wurde ein mehrjähriger Aufenthalt.<br />
Dann erkrankte seine Mutter<br />
schwer. Das war vor etwa 30 Jahren.<br />
Klaus kehrte zurück nach Rendsburg<br />
und betreute seine Mutter anderthalb<br />
Jahre, bis zu ihrem Tod. Danach fiel er<br />
in das Loch, aus dem er sich seitdem<br />
immer nur mühsam wieder he rauszieht.<br />
Vor ein paar Jahren dachten wohl alle,<br />
er hätte es endlich geschafft. Damals<br />
fand Klaus Arbeit in einer Jugendwerkstatt.<br />
Er war clean und half jetzt<br />
anderen, die Probleme hatten. „Da hatte<br />
ich wirklich Bock drauf“, sagt er<br />
rückblickend.<br />
Fast drei Jahre ging das gut. Dann<br />
aber folgte erneut ein Absturz. Wieder<br />
landete Klaus auf der Straße. Er kam<br />
zurück zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Der Magazinverkauf<br />
bot ihm Stabilität, war eine Art<br />
Rettungsanker. Tatsächlich hat Klaus<br />
noch einmal die Kurve gekriegt: Er ist<br />
weg von der Straße. Inzwischen lebt er<br />
seit etwa zwei Jahren in seiner kleinen<br />
Wohnung. Das soll so bleiben. Dieses<br />
Mal wirklich. Schließlich ist Klaus nicht<br />
mehr der Jüngste, sondern bald schon<br />
Rentner. „Es wird für mich aber wohl<br />
nicht viel mehr als die Grund sicherung<br />
geben“, sagt Klaus. •<br />
Klaus und alle anderen Hinz&Künztler<br />
erkennt man am Verkaufsausweis.<br />
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Niemand kennt<br />
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale 4 Euro, Ausland auf Anfrage.<br />
Schürze „<strong>Kunzt</strong>Küche“<br />
100% GOTS-zertifi zierte Bio-Baumwolle.<br />
Farbe: Norddeutsch-Grau,<br />
Schürze: ca. 80 cm breit, ca. 86 cm lang,<br />
von Kaya & Kato GmbH, Firma für fair produzierte<br />
Arbeitskleidung aus Köln. Preis: 25 Euro<br />
„Willkommen in der <strong>Kunzt</strong>Küche!“<br />
Das Kochbuch zum 25-jährigen<br />
Geburtstag von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Ein kulinarisches Dankeschön an die<br />
Hamburger mit 25 Drei-Gänge-Menüs<br />
von Sterneköchen und jungen Wilden.<br />
Gebundenes Kochbuch, 194 Seiten,<br />
farbige Fotos und rund 180 inspirierende<br />
Rezepte. Preis: 25 Euro<br />
Tee „Chillax“<br />
Bio-Kräutertee aus Griechenland:<br />
Bergtee vom Olymp* (40 %),<br />
Zitronenverbene* (40 %), Johanniskraut* (20 %),<br />
von Aroma Olymp (www.aroma-olymp.com).<br />
Von Hand geerntet in Griechenland, von den<br />
Elbe-Werkstätten in Hamburg verpackt, 25 g.<br />
Preis: 4,90 Euro<br />
*aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft<br />
Hamburgs<br />
Straßen besser<br />
„Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte über Obdachlosigkeit<br />
für Kinder zwischen 7 und 10 Jahren<br />
von Kirsten Boie, illustriert<br />
von Jutta Bauer, 7. Aufl age 2017.<br />
Preis: 4,80 Euro<br />
„Auf Fotosafari in Hamburg #3“<br />
Fotografi n Lena Maja Wöhler war mit<br />
Hinz&Künztlern in Hamburg unterwegs.<br />
Kartenset mit fünf interessanten Motiven,<br />
gedruckt bei alsterpaper in Hamburg.<br />
Preis: 10 Euro<br />
Tasse „Ahoi“<br />
Sonderedition für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
von der Hamburger<br />
Firma AHOI MARIE.<br />
Qualitätsporzellan von Kahla<br />
aus Thüringen.<br />
Design: Ellen Bechel,<br />
keramischer Siebdruck.<br />
Durchmesser: 9 cm,<br />
Höhe: 9 cm,<br />
mikrowellen- und<br />
spülmaschinentauglich.<br />
Preis: 14,90 Euro
Wir möchten, dass Sie es warm haben.<br />
Als Spezialist für umweltfreundliche und hocheffiziente Wärmelösungen<br />
sorgt HanseWerk Natur seit Jahrzehnten für warme Wohnzimmer und<br />
Werkshallen im Norden. Und weil wir wissen, dass menschliche Wärme<br />
genauso wichtig ist wie eine warme Heizung, unterstützen wir seit vielen<br />
Jahren das Hamburger Straßenmagazin Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Energielösungen für den Norden