Kritik: Die Strudlhofstiege
Die Josefstadt startete am vergangenen Donnerstag mit Heimito von Doderers Mammutwerk „Die Strudlhofstiege“ in die neue Spielzeit. Regie führte Erfolgsregisseur Janusz Kica, der unumstritten zu Föttingers Lieblingsregisseuren avanciert ist. Für die Bühnenfassung zeichnet Nicolaus Hagg verantwortlich. Fazit: Viel Prominenz, verhaltener Applaus trotz grandioser Darstellerleistungen. „Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.“ Karl Farkas
Die Josefstadt startete am vergangenen Donnerstag mit Heimito von Doderers Mammutwerk „Die Strudlhofstiege“ in die neue Spielzeit. Regie führte Erfolgsregisseur Janusz Kica, der unumstritten zu Föttingers Lieblingsregisseuren avanciert ist. Für die Bühnenfassung zeichnet Nicolaus Hagg verantwortlich. Fazit: Viel Prominenz, verhaltener Applaus trotz grandioser Darstellerleistungen.
„Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.“
Karl Farkas
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BÜHNE
JOSEFSTADT: „DIE
STRUDLHOFSTIEGE“
Von Hillevi Hofmann | 7. September 2019
Die Josefstadt startete am vergangenen Donnerstag mit Heimito von
Doderers Mammutwerk „Die Strudlhofstiege“ in die neue Spielzeit. Regie
führte Erfolgsregisseur Janusz Kica, der unumstritten zu Föttingers
Lieblingsregisseuren avanciert ist. Für die Bühnenfassung zeichnet
Nicolaus Hagg verantwortlich. Fazit: Viel Prominenz, verhaltener
Applaus trotz grandioser Darstellerleistungen.
„Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.“
Karl Farkas
Der Geist der Vergangenheit
Dort wo die Erde bebte
die Menschheit lebte
verloren die Zeit
erzählt der Geist der Vergangenheit
Zugegeben, ich hätte „Die Strudlhofstiege“ in meiner Schulzeit in Bad Aussee
eigentlich lesen müssen, habe es aber Dank gezielt eingefädelter Fehlstunden
tatsächlich geschafft, dieses „Monsterwerk“ österreichischer Literatur zu umgehen.
Das literaturhistorische Bauwerk am Wiener Alsergrund war dennoch eine meiner
ersten „must see’s“ als ich 1994 nach Wien übersiedelte.
Wien, viele Jahre zuvor, so zwischen 1910 und 1925.
Wären sie doch nur nicht da, die erschreckend lebendigen Erinnerungen an eine längst
vergangene Zeit. Erinnerungen an „bohème‘sche“ Leichtigkeit, einen todesbringenden
Krieg, gescheiterte Existenzen, vergeudete Chancen und eine wunderschöne
Jugendstil-Stiege mit drei Rampen, 58 Stufen und einem 11 Meter hohen
Geländeabfall.
Dunkel. Nebel. Zwei Gestalten in Uniform.
Der Geist der Vergangenheit verfolgt Major Melzer (Ulrich Reinthaller) in Form
eines gefallenen Kameraden auf Schritt und Tritt. Zum Leben erweckt aus seinen
Ängsten und traumatischen Erlebnissen, führt Major Laska (Roman Schmelzer)
den ewig unbeweibten Sonderling stufenweise in ein Erinnerungslabyrinth aus
gesellschaftlichen Begegnungen, Kriegsbewältigung, versäumten Chancen,
mysteriösen Zwillingen, Tabak-Betrügereien und einem sonderbar offenen (Lebens-
)ende.
Die „Strudlhofstiege“ muss hier als Symbol einer „Gesellschaftsbühne“ gesehen
werden. Heimito von Doderers über 900 Seiten umfassendes Werk werden die
wenigsten – zumindest bis zu Ende – gelesen haben. Trotzdem ist es ein nicht
wegzudenkender Teil österreichischer Literatur. Ob das allerdings auch für das
Theater gilt mag fraglich sein. Dank Kica ist das knapp zwei Stunden dauernde Stück
phasenweise nett anzusehen.
Im Zentrum des „Fin de Siècle“-Stückes (welches von Nicolaus Hagg ansatzweise
bühnentauglich geschrieben wurde) steht der ewige Single, „Major“ Melzer, der den
Tod seines Freundes und Kameraden Laska ganz offensichtlich nie überwunden hat.
Noch bevor er sich mit einer Pistole in den Kopf schießen kann holen ihn die nach und
nach zum Leben erwachenden Geister der Vergangenheit ein, die erste Reise geht in
die unbeschwerte Zeit der Jeunesse doree, der begüterten Oberschicht vor den
Wirren des Ersten Weltkrieges.
Jener Zeit, als sich Dandys, Sommerfrischler und „Papas Kreditkarten-Snobs“ noch
zum Tennisspielen am Land getroffen haben, -hier um die Annehmlichkeiten der
wohlhabenden Familie Stangeler am Semmering zu genießen.
Inmitten der Sommerresidenz von Oberpatriarch Stangeler wird geflirtet, geschmust
und gebudert was das Zeug hält. Im Gegensatz dazu sind Bühnenbild und Kostüme
von Karin Fritz ziemlich schlicht gehalten.
Eine sinnvolle Handlung mag man hier vergeblich suchen, vielmehr versucht sich
Doderer in Personell-ausufernden Gesellschaftsverstrickungen, die aber so manchen
Publikumsgast überfordern mögen.
Neben den zwei Hauptakteuren Major Melzer (überzeugend: Ulrich Reinthaller),
der nach dem Krieg auf „Amtsrat der Tabakregie“ umsattelt und Major Laska
(herausragend gut: Roman Schmelzer) taucht man gleich zu Beginn in die noch
halbwegs heile Welt von Oberbaurat Stangeler (Michael König) samt seinen
verschiedenen Töchtern Etelka (großartig dekadent crazy: Pauline Knof) und Asta
(überzeugend gebrochen: Swintha Gersthofer) sowie dessen Sohn René (ein
Gewinn für die Jo: Martin Vischer) ein.
Dazu gesellen sich Etekas Ehemann, Konsul Grauermann (leider etwas leise aber nicht
minder gut: Matthias Franz Stein) und dessen Dandy-Buddies Teddy von
Honneger (köstlich, der Bohème-Proll schlechthin: Alexander Absenger),
Rittmeister von Eulenfeld (Dekadenz und Cholerik stehen ihm: Dominic Oley).
Zu den nicht minder wichtigen Nebenfiguren paaren sich noch die ominösen
Zwillingsschwestern Editha und Mimi Pastré (Meisterlich: Silvia Meisterle), die
selbstbewusste Paula Pichler (wunderbar feminin wie stark: Alma Hasun) und deren
naive Freundin Thea Rokitzer (ebenfalls neu am Haus: Marlene Hauser). Etekas
Liebhaber mimt Igor Karbus in der Rolle des Generalkonsul Fraunholzer.
Vom „Dolce Vita“ an der Rax geht es weiter an den Wiener Alsergrund. Rund um die
Strudlhofstiege gibt es Begegnungen, Flanierereien, erotische Schleckereien wie ganz
normale Alltagskrisen der endenden Monarchie. Oberbaurat Stangeler verliert durch
Kriegsanleihen sein Vermögen, andere ihr Leben.
Melzer ist bis zuletzt der tragische Einzelgänger mit einer Vielzahl an versäumten
Liebeschancen. 1925 legt er schließlich doch noch die lähmende Schockstarre des
Krieges ab und verliebt sich in das naive Wiener Mäderl Thea.
Trotz der enormen Kürzungen kommt es stellenweise zu Längen,
zu „Umwegigkeiten“, die aber nicht den Schauspielern (das Ensemble spielt durch
die Bank famos!) anzukreiden sind. Kica hat sich hier einem äußerst schwierigen
Stück angenähert und es bestmöglich umgesetzt.
Ganz besonders stechen in dieser Produktion Roman Schmelzer (aktuell sicher
einer der besten Schauspieler am Haus), Pauline Knof (das Verrückte steht ihr
wirklich gut), Ulrich Reinthaller als tragischer Single-Sonderling mit
Transformation, Alma Hasun als taffe Jugendstil-Emanze, Swintha
Gersthofer mit guten, komödiantischen Momenten und Alexander Absenger als
amüsanter Bourgeoisie -Prolo hervor.
Dominic Oley kann sowieso alles spielen, der reiche Schnösel mit Hang zur Trinkerei
und Cholerik steht ihm allerdings blendend. Auch Matthias Franz Stein hat seine
Momente, etwas lauter könnte er noch sprechen.
Fazit: Ein ausgezeichnetes Ensemble welches das „Anti-Bühnenstück“ leider nicht zur
Gänze retten konnte. Daher leider nur verhaltener Applaus. Den Schauspielern selbst
hätte mehr Applaus zugestanden.
BESETZUNG
REGIE: Janus Kica
BÜHNENBILD & KOSTÜME: Karin Fritz
MUSIK: Matthias Jakisic
DRAMATURGIE: Barbara Nowotny / Matthias Asboth
LICHT:Manfred Grohs
BÜHNENBEARBEITUNG: Nicolaus Hagg
MIT:
Major Melzer, Amtsrat in der österr. Tabakregie: Ulrich Reinthaller
Major Laska: Roman Schmelzer
Oberbaurat von Stangeler, Vater: Michael König
Etelka von Stangeler: Pauline Knof
Asta von Stangeler: Swintha Gersthofer
Renè von Stangeler: Martin Vischer
Konsul Grauermann, Ehemann Etelkas: Matthias Franz Stein
Rittmeister von Eulenfeld: Dominic Oley
Editha/Mimi Pastré: Silvia Meisterle
Teddy von Honnegger: Alexander Absenger
Paula Pichler: Alma Hasun
Thea Rokitzer, Geliebte des Rittmeisters von Eulenfeld: Marlene Hauser
Generalkonsul Fraunholzer, Etelkas Geliebter: Igor Karbus
Theater in der Josefstadt
Josefstädterstraße 26
1080 Wien
WEBSITE: www.josefstadt.org