Ein Doppelagent und Schöngeist – Leindotter im ... - EM-Chiemgau

29.11.2019 Aufrufe

Ein Doppelagent und Schöngeist Leindotter im Saarland Er hatte schon viele Decknamen: In der Vergangenheit nannte man ihn Flachsdotter, Buttersamen, Schmalzsaat, Butterraps, Dotterkraut, Rillsaat, Finkensamen, gemeine Cameline oder „deutscher Sesam“. Doch erst mit dem Boom in der ökologischen Landwirtschaft legte er seine Identität offen. Sein Klarname lautet Leindotter (Camelina sativa Crtz.) und dürfte sich aus seinem Wachstum, das an Leinen erinnert, und der Farbe seiner gelben Blüte (Dottergelb) erklären. Warum seine Identität bis heute vielfach unbekannt blieb, ist angesichts seiner Vielseitigkeit ein Rätsel. Vermutlich ist dies auf seine Unscheinbarkeit und Diskretion in Wald und Flur zurückzuführen. Alle Angebote, ihn auf neue Aufgabengebiete anzusetzen und dafür seine Ursprünglichkeit aufzugeben, schlug er aus. Während seine Kollegen „Lein“ oder „Raps“ den Lockrufen der Saatgutproduzenten folgten, war es ihm wichtig, seine Würde und seinen Charakter zu bewahren. So ist es nun einmal im Saatgutgeschäft: Die einen machen Karriere, die anderen übersieht man. In unseren Breiten wurde der Leindotter vor etwa 3.500 Jahren erstmalig gesichtet, was Funde aus Keltensiedlungen belegen. Seine Dienste nahm man damals öfter in Anspruch als beispielsweise von Mohn und Leinen. Und er hatte es damals leicht: Seine Umgänglichkeit und sein Geschmack bildeten ein festes Fundament für gegenseitige Freundschaft. Doch wie die Kelten verschwanden, tauchte auch der Leindotter für Jahrtausende wieder unter. Nur in Kriegszeiten wurden seine Dienste benötigt. War man in Deutschland vom Weltmarkt abgeschnitten, konnte sein gutes Öl sehr nützlich sein. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verschwand er wieder völlig. Doch es sollte nur noch Jahrzehnte dauern, bis er in der Öffentlichkeit wieder auftrat. Private Anbauversuche machten es ihm in den letzten Jahren möglich, viele neue Felder zu erobern. Denn seine Dienste als „Doppelagent“ sind heute in der ökologischen Landwirtschaft sehr gefragt. Einmal leistet er einen optimalen Ölertrag und er verhindert zudem Unkrautbewuchs in den Hauptfrüchten Gerste, Erbsen, Bohnen und Weizen. „Mischfruchtanbau“ nennt man diese Form eines Joint Ventures. Im Jahresdurchschnitt liefert er etwa 300kg Ölsaat pro Hektar. Doch holt ihn immer wieder die Vergangenheit ein: Der bei der Herstellung von Leindotteröl anfallende Presskuchen aus Schalen und Fruchtfleisch darf nicht als Futtermittel eingesetzt werden. Eine alte Geschichte: Der letzte deutsche Kaiser verfügte einen Erlaß, in dem dieser dem Leindotter wegen einer Pilzerkrankung die Einreise und Arbeitsgenehmigung in

<strong>Ein</strong> <strong>Doppelagent</strong> <strong>und</strong> <strong>Schöngeist</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Leindotter</strong> <strong>im</strong> Saarland<br />

Er hatte schon viele Decknamen: In der Vergangenheit nannte man ihn Flachsdotter,<br />

Buttersamen, Schmalzsaat, Butterraps, Dotterkraut, Rillsaat, Finkensamen, gemeine<br />

Cameline oder „deutscher Sesam“. Doch erst mit dem Boom in der ökologischen<br />

Landwirtschaft legte er seine Identität offen. Sein Klarname lautet <strong>Leindotter</strong> (Camelina<br />

sativa Crtz.) <strong>und</strong> dürfte sich aus seinem Wachstum, das an Leinen erinnert, <strong>und</strong> der Farbe<br />

seiner gelben Blüte (Dottergelb) erklären.<br />

Warum seine Identität bis heute vielfach unbekannt blieb, ist angesichts seiner<br />

Vielseitigkeit ein Rätsel. Vermutlich ist dies auf seine Unscheinbarkeit <strong>und</strong> Diskretion in<br />

Wald <strong>und</strong> Flur zurückzuführen. Alle Angebote, ihn auf neue Aufgabengebiete anzusetzen<br />

<strong>und</strong> dafür seine Ursprünglichkeit aufzugeben, schlug er aus. Während seine Kollegen<br />

„Lein“ oder „Raps“ den Lockrufen der Saatgutproduzenten folgten, war es ihm wichtig,<br />

seine Würde <strong>und</strong> seinen Charakter zu bewahren. So ist es nun einmal <strong>im</strong> Saatgutgeschäft:<br />

Die einen machen Karriere, die anderen übersieht man.<br />

In unseren Breiten wurde der <strong>Leindotter</strong> vor etwa 3.500 Jahren erstmalig<br />

gesichtet, was F<strong>und</strong>e aus Keltensiedlungen belegen. Seine Dienste nahm<br />

man damals öfter in Anspruch als beispielsweise von Mohn <strong>und</strong> Leinen.<br />

Und er hatte es damals leicht: Seine Umgänglichkeit <strong>und</strong> sein Geschmack<br />

bildeten ein festes F<strong>und</strong>ament für gegenseitige Fre<strong>und</strong>schaft. Doch wie<br />

die Kelten verschwanden, tauchte auch der <strong>Leindotter</strong> für Jahrtausende<br />

wieder unter.<br />

Nur in Kriegszeiten wurden seine Dienste benötigt. War man in Deutschland vom<br />

Weltmarkt abgeschnitten, konnte sein gutes Öl sehr nützlich sein. Nach Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs verschwand er wieder völlig. Doch es sollte nur noch Jahrzehnte<br />

dauern, bis er in der Öffentlichkeit wieder auftrat. Private Anbauversuche machten es<br />

ihm in den letzten Jahren möglich, viele neue Felder zu erobern. Denn seine Dienste als<br />

„<strong>Doppelagent</strong>“ sind heute in der ökologischen Landwirtschaft sehr gefragt. <strong>Ein</strong>mal leistet<br />

er einen opt<strong>im</strong>alen Ölertrag <strong>und</strong> er verhindert zudem Unkrautbewuchs in den<br />

Hauptfrüchten Gerste, Erbsen, Bohnen <strong>und</strong> Weizen. „Mischfruchtanbau“ nennt man diese<br />

Form eines Joint Ventures. Im Jahresdurchschnitt liefert er etwa 300kg Ölsaat pro Hektar.<br />

Doch holt ihn <strong>im</strong>mer wieder die Vergangenheit ein: Der bei der Herstellung von<br />

<strong>Leindotter</strong>öl anfallende Presskuchen aus Schalen <strong>und</strong> Fruchtfleisch darf nicht als<br />

Futtermittel eingesetzt werden.<br />

<strong>Ein</strong>e alte Geschichte: Der letzte deutsche Kaiser verfügte einen Erlaß, in dem dieser dem<br />

<strong>Leindotter</strong> wegen einer Pilzerkrankung die <strong>Ein</strong>reise <strong>und</strong> Arbeitsgenehmigung in


Deutschland verweigerte. Das ist zwar schon fast 100 Jahre her, doch fühlt sich die EU-<br />

Bürokratie in Brüssel „unserem Wilhelm Zwo“ <strong>im</strong>mer noch verpflichtet. Statt positiv<br />

verlaufene Fütterungsversuche mit dem <strong>Leindotter</strong> ernst zu nehmen, bleibt das<br />

Futterverbot bestehen. So ist ihm eine Karriere als hochwertiges Nahrungsmittel oder<br />

Energielieferant versagt. <strong>Ein</strong> klassisches Berufsverbot.<br />

Doch die in Saarbrücken ansässige Gesellschaft für nachwachsende Rohstoffe e.V. hat sich<br />

<strong>im</strong> Saarland seiner Rehabilitierung verschrieben <strong>und</strong> unterstützt seit drei Jahren seinen<br />

Anbau auf dem Biohof Comtesse in Schaffhausen bei Wadgassen. Sie gab zu diesem<br />

Zweck Analysen in Auftrag. Ergebnis: <strong>Leindotter</strong> ist unschuldig. Er liefert ein überaus<br />

ges<strong>und</strong>es Öl, das völlig unbelastet ist. Die Zusammensetzung der Fettsäuren zeigen ein<br />

überraschendes Bild: der <strong>Leindotter</strong> besitzt viele positive Eigenschaften anderer Speiseöle.<br />

Hervorzuheben ist der hohe Gehalt an Alpha-Linolensäure (ca. 32 <strong>und</strong> 40%) <strong>und</strong><br />

Linolsäure (ca. 14 <strong>und</strong> 20%). Damit beträgt das Verhältnis von Omega-6 zu Omega-3-<br />

Fettsäuren in <strong>Leindotter</strong> etwa 1:3. Dieser Wert kommt den von der Deutschen<br />

Gesellschaft für Ernährung definierten Idealwerten sehr nahe. Studien ergaben, dass hohe<br />

Anteile an Omega-3-Fettsäuren das Wachstum von Krebszellen hemmen.<br />

Als weitere wichtige Fettsäure liefert <strong>Leindotter</strong> die einfach ungesättigte Ölsäure, von der<br />

angenommen wird, dass sie den Anteil an Cholesterin <strong>im</strong> Blut positiv beeinflußt.<br />

Doch der Ehrenrettung als ges<strong>und</strong>es Öl nicht genug, es zeigte sich, dass <strong>Leindotter</strong>öl sehr<br />

wohlschmeckend ist. Im Gegensatz zu seinen industriell hergestellten, raffinierten<br />

Kollegen mit meist unbekannter Herkunft <strong>und</strong> ohne Geschmack, Farbe <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsfördernden Eigenschaften besitzt das Speiseöl des <strong>Leindotter</strong>s einen sehr<br />

delikaten <strong>und</strong> außerordentlich feinen Geruch. Es riecht leicht würzig, nach frisch<br />

gemähten Löwenzahn. Im Geschmack erinnert es an Erbsen, schmeckt mild, voll <strong>und</strong><br />

r<strong>und</strong> aber auch pikant, so, wie nur herausragende Öle aus Kaltpressung schmecken<br />

können.<br />

Im schonenden Absetzverfahren wurde das <strong>Leindotter</strong>öl nach dem Pressen von<br />

Trübstoffen befreit <strong>und</strong> in Lichtschutzflaschen abgefüllt. Bei Aufbewahrung <strong>im</strong><br />

Kühlschrank ist das <strong>Leindotter</strong>öl mindestens vier bis fünf Monate haltbar. Selbst sein<br />

italienischer Kollege Olive mußte kürzlich eingestehen: „Wenn der <strong>Leindotter</strong> seine<br />

Bekanntschaft weiter steigert, könnte es eng für mich werden. Schade, dass er nicht von<br />

uns kommt!“<br />

Fazit: <strong>Leindotter</strong> ist ein ausgesprochener <strong>Schöngeist</strong> aus dem Saarland, was nicht jeder<br />

weiß, aber <strong>im</strong>mer mehr wissen sollten.<br />

Gefördert wurde das <strong>Leindotter</strong>projekt aus dem Regionen Aktiv Programm des<br />

B<strong>und</strong>esministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung <strong>und</strong> Landwirtschaft.<br />

Quelle: Umweltmagazin Saar 1/2006 Patric Bies

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!