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Form Follows Future

Die Bauhausnummer

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hingegen zuerst an wenig originelle Beige- und Naturtöne“, sagt<br />

die Designerin. Niemand würde erwarten, dass kleine Pailletten<br />

einen großen Einfluss auf die Umwelt haben können. Zu Hunderten<br />

aufgenäht auf schillernden Tops und Abendroben landen sie<br />

jedoch, nachdem sie oft nach einmaligem Anziehen ihren Zweck<br />

erfüllt haben, mit vielen anderen Kleidern auf Mülldeponien. Dort<br />

dauert es über 200 Jahre, bis sie sich vollständig zersetzt haben.<br />

Mit ihrem Projekt der „Bio Iridescent Sequins“, bei dem sie mit der<br />

Modefirma Stella McCartney und dem Research Institute of Sweden<br />

(RISE) zusammengearbeitet, zeigt Brunato, dass man mit der<br />

Öko-Version einen genauso glänzenden Auftritt hinlegen könnte<br />

wie mit den umweltschädlichen Pendants – ohne dabei schlimme<br />

Spuren zu hinterlassen.<br />

66 67<br />

HINTER DEN TÜREN DES GLAMOURS<br />

Es gibt noch Orte, an denen mehr als vereinzelte Personen das<br />

Handwerk schätzen. In St. Gallen, einem schweizerischen Städtchen<br />

mit 80.000 Einwohnern, erwartet man wohl nicht unbedingt<br />

die Anfänge von Kleidern, die Geschichte schreiben. Ganz im Stillen<br />

beliefert das 1904 gegründete Stickerei-Unternehmen Forster<br />

Rohner jedoch tatsächlich die größten Modehäuser wie Chanel<br />

und Valentino. Was 1940 mit einer Zusammenarbeit mit Christian<br />

Dior begann und 2008 durch Miuccia Pradas Volute-Serie mit den<br />

berühmten Guipure-Stickereien einen erneuten Höhepunkt feierte,<br />

geht heute soweit, dass auch die amerikanische Ex-First Lady Michelle<br />

Obama Kleider aus den Stoffen des Traditionshauses trägt.<br />

Mit ihren automatisierten Stickerei-Prozessen zählt Forster Rohner<br />

zu den wenigen Hütern der berühmten St. Galler Stickerei und<br />

ist gleichzeitig Vordenker für neue, smarte Textilien mit leitfähigen<br />

Garnen, die zum Beispiel in Stoffe eingearbeitete LED-Lichter zum<br />

Leuchten bringen.<br />

Von Hand gemalt, maschinell vollendet: Forster Rohners Stickdesigns<br />

reichen von Blumen- bis zu Schmetterlingsmotiven.<br />

„Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen<br />

Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist<br />

es eine Steigerung des Handwerks“ BAUHAUS MANIFEST<br />

Auf die Frage, welche Relevanz ihre Stickereien für die Modeindustrie<br />

haben, antwortet Miriam Rüthemann, Assistentin<br />

der Geschäftsleitung und Produktmanagerin für Lingerie, auch<br />

eher cool: „Forster Rohner stellt auf modernsten Stickmaschinen<br />

hochwertige, modische Stickereien her.“ Die jahrelange<br />

Expertise fließe dabei in jedes der Produkte ein, sagt Rüthemann.<br />

„Was die Fast Fashion-Industrie anbietet, hat nichts mit<br />

Qualität zu tun, sondern ist eine billige Kopie unserer Dessins.“<br />

Sie spielt auf den Kopierwahn der Modeindustrie an. Dabei<br />

geben High Fashion Häuser zwar die Trends vor, gleichermaßen<br />

sind diese jedoch auch das Futter für Großkonzerne. In<br />

diesem Industriezweig gilt allerdings, so schnell wie möglich<br />

für die Masse zu produzieren. Dass qualitatives Handwerk in<br />

diesem Prozess keine große Rolle mehr spielt, spiegelt sich<br />

letztlich in den Preisen wider.<br />

So viel Arbeit auch in den Designs stecken mag, die wenigsten<br />

wissen wohl, ob die Stickereien auf ihrer Bluse aus St. Gallen<br />

kommen. Obwohl das Unternehmen mit der Automatisierung<br />

von hochwertigen Stickereien der Inbegriff von demokratisiertem<br />

Handwerk ist, erreicht ihre Bekanntheit nicht den Endkonsumenten.<br />

„In manchen Fällen dürfen wir es gar nicht öffentlich<br />

machen, dass die Textilien aus dem Haus Forster Rohner<br />

stammen“, sagt Rüthemann. Eine wirkliche Begründung gebe<br />

es dafür jedoch selten. Doch sollte sich die Wertschätzung eines<br />

Kleidungsstücks wirklich nur auf ein Chanel-Logo und die<br />

Werte eines Modelabels beschränken? Ohne Textilien, würde<br />

dieses Logo schließlich auch nicht das sein, wofür es heute<br />

steht. Sprich, die Anfänge der Textilien und dessen Urheber<br />

tragen genauso zum Erfolg eines Labels bei, wie die finalen<br />

Kollektionen und dessen Vermarktung.<br />

Für eine nachhaltige Zukunft: In Zusammenarbeit mit dem Research Institute of<br />

Sweden (RISE) ist es Elissa Brunato gelungen, die erste biologisch abbaubare<br />

Paillette herzustellen.<br />

BILDER: ELISSA BRUNATO; FORSTER ROHNER<br />

Aufwendige Details: Seit1904 arbeitet Forster Rohner mit Haute Couture Häusern zusammen.<br />

Die Entwicklungszyklen sind inzwischen deutlich kürzer geworden.<br />

WIESO KLEINE DINGE GROSSES BEWIRKEN<br />

Wenn also die Modehäuser die Ursprünge ihrer Kollektionen auf Moodboards und Inspirationen reduzieren und die Designer<br />

laut Branchen-Insiderin Lidewij Edelkoort sowieso immer weniger von Materialien verstehen, wie kann das grundlegende<br />

Problem der schwindenden Wertschätzung und die damit verbundene Wegwerfgesellschaft dann gelöst werden?<br />

Laut Juliane Kahl, Direktorin des Responsive Fashion Institutes, gibt es einen einfachen Lösungsansatz. „Wir leben in einem<br />

Zeitalter, in dem ständig Daten gesammelt werden“, so die Innovationsberaterin aus München. Was wäre, wenn man eine<br />

emotionale Bindung zu Produkten, zum Beispiel Kleidungsstücken, mittels visualisierter Daten schaffen könnte? „Kleidungsstücke<br />

und Textilien beinhalten Geschichten zu Fertigungstechniken und den Menschen, die sie hergestellt haben“, sagt Kahl.<br />

„Es ist wichtig, diese zu erzählen und das Wissen darüber zu erhalten.“<br />

Wenn diese Geschichten auch noch einen nachhaltigen Ursprung haben, könnte man also gleich zwei Probleme in einem<br />

angehen: Indem Unternehmen transparent sind und der Ursprung des umweltfreundlichen Materials klar kommunizieren,<br />

steigt im besten Fall auch die Wertschätzung des Produkts beim Konsumenten. Dass dabei schon wortwörtlich winzige<br />

Lösungen einen großen Effekt haben, zeigen Elissa Brunatos Pailletten aus der Pipette. Mit Cellulose als Ausgangsmaterial,<br />

das hier aus Holz gewonnen wird, ist es tatsächlich gelungen, den begehrten Schimmer-Effekt ohne Zusatz von jeglichen<br />

Chemikalien nachzuahmen. Die glänzenden kompostierbaren Plättchen sind im Moment noch Prototypen. Doch in Zukunft<br />

werden die Pailletten sogar aus Abfall oder Kompost gewonnen werden können – sie zählen ebenfalls als Hauptlieferant für<br />

Cellulose. Anfragen hat die Brunato auch schon genug. Ihr Ziel: „Nicht nur die Haute Couture soll meine Pailletten verwenden,<br />

sie sollen für alle zugänglich sein.“ Eine Einstellung, die wohl nicht besser beweisen könnte, dass man auch mit kleinen<br />

Dingen glänzen kann. Eben wie eine Paillette.<br />

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