18.11.2019 Aufrufe

Form Follows Future

Die Bauhausnummer

Die Bauhausnummer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Freiheit<br />

Wir schaffen<br />

das!<br />

44<br />

„WÄHREND DES STUDIUMS SCHWANGER<br />

ZU WERDEN, WAR EIN SEGEN.“<br />

YVONNE (33), ARCHITEKTIN, IN EINER PARTNERSCHAFT, ZWEI KINDER<br />

Das erste Kind mit 23 zu bekommen, ist nicht unbedingt<br />

ungewöhnlich. Manche stehen da seit Jahren im Beruf,<br />

haben Sicherheiten, Routine und vielleicht einfach Lust,<br />

ihren Alltag mit einer neuen Aufgabe und Herausforderung<br />

zu bereichern. Befindet man sich mit 23 allerdings<br />

noch im Studium, sieht die Sache mit dem Baby ganz<br />

anders aus: Der Plan von der großen Karriere, von Unabhängigkeit<br />

und davon, die Welt zu bereisen, wird – auf<br />

unbestimmte Zeit – verschoben. Nur sechs Prozent der<br />

Studentinnen in Deutschland sind Mutter. Zu dieser Randgruppe<br />

zählte Yvonne, nachdem sie 2009 ungeplant mit<br />

ihrem Sohn Noah schwanger wurde. Damals steckte sie<br />

mitten im Architektur-Studium. Sie war mit ihrem Kommilitonen<br />

Michael zusammen, hatte zwar den Wunsch nach<br />

eigenen Kindern – aber doch bitte zu einem viel späteren<br />

Zeitpunkt! „Rückblickend“, sagt Yvonne, „war es aber<br />

genau der richtige. Eigentlich ein Segen.“ Trotz anfänglicher<br />

Befürchtungen, Lehrplan und Familienzeiten nicht<br />

unter einen Hut bringen zu können, ließ sich der Alltag<br />

mit Uni und Baby doch einfacher gestalten als erwartet.<br />

Bei der Betreuung tagsüber wechselte sich Yvonne mit Michael<br />

ab; wenn Noah schlief, konnte sie an Uniprojekten<br />

arbeiten oder Vorlesungen online nachholen. Das Ende<br />

ihres Studiums bedeutete auch das Ende dieser liebgewonnenen<br />

Flexibilität: Yvonne fing an, zu festen Zeiten in<br />

einem Architekturbüro zu arbeiten. Als sie erneut schwanger<br />

wurde, stand für sie zwar von Anfang an fest, bald<br />

nach der Geburt wieder ins Berufsleben zurückkehren<br />

zu wollen, allerdings wusste sie, dass das nur in Teilzeit<br />

möglich sein würde. Aktuell sind Tochter Greta und Sohn<br />

Noah bis nachmittags bei der Tagesmutter, anschließend<br />

kümmert sich Yvonne um sie. Ihr Partner Michael arbeitet<br />

in Vollzeit, absolviert außerdem die Ausbildung zum Ziviltechniker. Die ist in ihrer neuen Wahlheimat,<br />

Dornbirn in Österreich, nämlich Voraussetzung für das nächste Projekt des Paares: Die<br />

jungen Eltern wollen sich als Architekten selbstständig machen. Yvonne fehlt diese Voraussetzung<br />

bislang. Um diese Qualifikation zu erhalten, müsste sie drei Jahre als Vollzeitkraft arbeiten – für<br />

junge Mütter fast unmöglich. Eine Hürde, die laut Yvonne sofort abgebaut werden muss! Schließlich<br />

setze sich Arbeitserfahrung aus mehr als nur abgeleisteten Stunden zusammen. Irgendwie,<br />

das hat sie ihr Leben als junge Mutter gelehrt, wird sie auch dieses Problem meistern. Es gibt ja nur<br />

zwei Wege, sagt sie: „Entweder richtet man sein Leben nach dem Kind aus – oder man integriert<br />

das Kind in sein Leben.“ Yvonne hat sich für letztere Variante entscheiden und möchte sich keine<br />

andere vorstellen müssen.<br />

Für die Frauen am<br />

Bauhaus bedeutete ein<br />

Kind meist das Ende der<br />

Karriere. Wie sieht das<br />

100 Jahre später aus?<br />

Vier Frauen über ihren<br />

individuellen Plan Familie<br />

VON EVA KAPELLER UND ROSSELLA LOFINO<br />

ILLUSTRATIONEN VON PATRICK SIMON<br />

„ICH MÖCHTE MEINE<br />

EIGENEN REGELN<br />

AUFSTELLEN.“<br />

LISA (30), UNTERNEHMERIN, IN EINER<br />

PARTNERSCHAFT, KEINE KINDER<br />

Lisa gründete 2013 mit ihrer Geschäftspartnerin die Kreativagentur<br />

Blogger Bazaar, die heute ihren Sitz in Berlin<br />

hat. Ein voller Terminplan mit Events und Businessmeetings<br />

gehört seither zu ihrem Alltag. Freie Tage oder Wochenenden<br />

konnte sie die letzten Jahre nur selten genießen.<br />

Trotz ihrer Verpflichtungen hat sie der Wunsch von eigenen<br />

Kindern schon früh begleitet. Da ihr Job nicht die Sicherheiten<br />

garantiert, die eine klassische Festanstellung<br />

mit sich bringt, musste die Familienplanung hintenangestellt<br />

werden. „Als Selbstständige hatte ich immer das<br />

Gefühl, dass ich nicht ausreichend abgesichert bin“, so<br />

Lisa. Diese Furcht habe in den letzten Jahren abgenommen,<br />

das Kinderthema rückte wieder in den Vordergrund.<br />

Um auch ihren Mitarbeiterinnen entsprechende Ängste zu<br />

nehmen, legt Lisa großen Wert auf eine Arbeitskultur, die<br />

sehr emphatisch und ehrlich ist und auf individuelle Bedürfnisse<br />

der anderen eingeht. Gerade bei Minderheiten,<br />

sagt sie, solle es generell so sein, dass man sich unterstützt<br />

und gegenseitig stark macht. Vor allem in männerdominierten<br />

Strukturen werde Müttern oftmals mit Intoleranz<br />

begegnet, die durch den Zusammenhalt unter Frauen verhindert<br />

werden könne. Neben der Karriere gibt es für Lisa<br />

noch einen weiteren Grund, weshalb sich Frauen oftmals<br />

gegen ein Kind entscheiden. In Berlin sieht sie neben den beruflichen Zwängen vor allem einen<br />

„Lifestyle-Druck“. Überall dabei zu sein und nach dem Motto „Sehen und gesehen werden“ zu<br />

leben, habe Priorität, weshalb für viele ein Kind erstmal nicht in Frage käme. Bei Freunden außerhalb<br />

der Szene beobachtet sie, dass Familie früher ein Thema wird. Wenn die 30-Jährige sich<br />

demnächst für Nachwuchs entscheidet: Wie möchte sie dann die Balance zwischen Job und<br />

Familie finden? „Ich kann mir vorstellen, mein Kind mit zu Meetings zu nehmen und es vielleicht<br />

sogar währenddessen zu stillen.“ Lisa gibt sich da sehr zuversichtlich, weil sie – als ihr eigener<br />

Boss – ihre Rolle selbst definieren und anpassen kann. Die Agenturleiterin möchte ihre eigenen<br />

Regeln aufstellen, bestehende Grenzen durchbrechen und Menschen so mit einer neuen Realität<br />

konfrontieren, die irgendwann Normalität werden soll. Es gehe ihr darum, zu sagen: „Hey, ich<br />

bin zwar Mutter, aber ich bin noch immer Lisa, ich bin noch immer dieselbe Person und noch<br />

immer ein aktives Mitglied der Gesellschaft“. Wichtig sei es ihr auch, dass beide Elternteile<br />

gleichwertig involviert und engagiert dabei sind. Dass eine intensiv gelebte Vaterrolle für Männer<br />

in der heutigen Zeit immer wichtiger ist, sei eine positive Entwicklung für eine moderne und<br />

gleichberechtigte Elternschaft. Allerdings sieht Lisa große Lücken im System: fehlende Kita-Plätze,<br />

ein Mangel an Tagesmüttern und ein veraltetes Schulwesen sind Probleme, die bestimmt auch für<br />

sie eine Herausforderung darstellen werden. Um nachhaltig etwas zu verändern, müsse erst einmal<br />

das Muttersein in der Gesellschaft anerkannt werden. „Denn auch das Muttersein ist eine Art<br />

Beruf, der viel Energie kostet und bei dem es darum geht, der nächsten Generation die besten<br />

Entwicklungschancen zu bieten.“

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!