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Revolution<br />
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Schön ist,<br />
was funktioniert<br />
Diese Haltung vertraten nicht nur Schüler<br />
und Lehrende am Bauhaus – auch<br />
Designer von heute entwerfen die aktuelle<br />
Mode entsprechend. Eine Analyse des<br />
Utility-Trends VON ANGELA GUNDOLF<br />
Einen guten Fang macht man<br />
diese Saison mit Kleidung, die<br />
mehr kann als nur gut aussehen.<br />
Die Anglerweste von Oysho<br />
Sport vergüt über praktische<br />
Elemente wie aufgesetzte<br />
Taschen, einen verstellbaren<br />
Tunnelzug und versiegelte<br />
Zipper. Ein weiteres Plus: das<br />
atmungsaktive und wasserabweisende<br />
Material.<br />
Schnelllebigkeit ist ein prägender Teil unserer<br />
heutigen Gesellschaft. Oft haben weder Gebrauchsgegenstände<br />
noch Dinge mit einem<br />
persönlichen Bezug, wie zum Beispiel Beziehungen,<br />
eine langfristige Bedeutung für den<br />
Einzelnen. Doch derzeit scheinen sich genau danach die<br />
Menschen zu sehnen. Und das hat einen Grund: Die politisch<br />
kritische und instabile Lage bringt uns dazu, Einfachheit<br />
und Klarheit im Alltag zu schätzen.<br />
Diese Probleme greifen die Mode-Designer im<br />
Herbst/Winter 2019/20 in ihre Kollektionen auf. In <strong>Form</strong><br />
von funktioneller Mode kreieren sie Designs, die einen<br />
langfristigen Nutzen haben. Utility (Deutsch: Nützlichkeit)<br />
nennt sich der Trend, der Designelemente der funktionalen<br />
Outdoor-Bekleidung in den zeitgenössischen Kontext<br />
integriert. „Auf den Laufstegen wurden Jumpsuits, gegürtete<br />
Hosen und Jacken gezeigt [...] Der Trend liegt irgendwo<br />
zwischen schicker Safari und modernem Militär. Aber<br />
die allgemeine Botschaft ist klar: Mach dich nützlich“,<br />
schreibt Kerry Pieri in der amerikanische Harper‘s Bazaar<br />
über die Schauen.<br />
Ein Paradebeispiel für den Utility-Chic ist Stella Mc-<br />
Cartney. Gummistiefel, Cargo-Hosen und Outdoor-Jacken<br />
mit aufgesetzte Leistentaschen. Im Gegenzug dazu zeigt<br />
sie feminine Silhouetten und Materialien wie taillierte Blazer,<br />
Chiffon-Kleider und Fransen. Die britische Designerin<br />
vereint in ihrer Herbst-/Winterkollektion 2019/20 das<br />
Design der Jagd- und Militärkleidung mit der Eleganz der<br />
Powerfrau von heute: Ausgerechnet große aufgesetzte Taschen<br />
und Kellerfalten etwa – bislang eher als praktisch,<br />
weniger als schön angesehen – werden bei McCartney<br />
zu den Herzstücken ihrer Looks. „Funktion wird in <strong>Form</strong><br />
des Utility-Chic in die Mode aufgenommen“, beschreibt<br />
Elizabeth von der Goltz, Buying Director des Luxus-Händlers<br />
Net-à-Porter, das Phänomen.<br />
Ein Label, das schon seit seiner Gründung 2013 mit<br />
sportlichen Street-Styles und Elementen des Outdoor-Bereichs<br />
arbeitet, ist Off-White. In seiner Kollektion für<br />
Herbst/Winter 2019/20 zelebriert Chefdesigner Virgil<br />
Abloh vollkommene Funktionalität: Seine Models, die in<br />
übergroßen Daunenmänteln und Dufflecoats über den<br />
Runway liefen, könnten so auch eine Polarexpedition starten.<br />
„Virgil Abloh designt mit einem sehr hohen kreativen<br />
Anspruch und stellt gleichzeitig die Funktionalität in den<br />
Vordergrund“, sagt Theresa Pichler, Fashion Director der<br />
deutschen InStyle. Das Fleece-Material, das Abloh für<br />
die Kollektion bevorzugt, kommt aus dem Bereich der<br />
Outdoor-Bekleidung – es wärmt, ist formbeständig und<br />
trocknet schnell. Somit setzt der Designer nicht nur auf die<br />
Utility-Optik, sondern greift auch bei der Materialauswahl<br />
auf funktionale Stoffe zurück.<br />
FOTOS: PAUL MEYER<br />
Doch es ist nicht nur das Praktische, das den Trend so<br />
populär macht, sondern auch der vielfältige Einsatz im<br />
Alltag. Athleisure – ein Teil des Utility-Trends – ermöglicht<br />
es, ein Kleidungsstück sowohl im Büro, im Club, als auch<br />
beim Sport zu tragen. So wirkt ein Outfit zugleich schick<br />
und sportlich.<br />
Klassische Sport-Labels wie Adidas, Nike und Co.<br />
perfektionieren diese Verschmelzung längst. Durch Kooperationen<br />
mit High-Fashion-Labels bringen sie die<br />
Funktionalität des Sports auf die Laufstege. Zuletzt kollaborierte<br />
Nike mit dem amerikanischen Designer Matthew<br />
M. Williams, der 2009 durch die Zusammenarbeit mit<br />
Lady Gaga bekannt wurde. Williams entwarf 2018 eine<br />
Capsule-Kollektion für Nike und arbeitet nun vermehrt an<br />
Schuhen für das Label, die den Multifunktionalitätseffekt<br />
aufgreifen. Sein eigenes Label, 1017 ALYX 9SM, das<br />
in den letzen Saisonen eine der Newcomer-Brands auf<br />
den Pariser Modewochen war, zelebriert den Multifunktionalitätstrend<br />
noch mehr. Für Herbst/Winter 2019/20<br />
präsentiert Williams Cargo-Hosen, die man als elegant<br />
und sportlich zugleich bezeichnen kann, da sie schlicht<br />
und einfach beide Aspekte zu hundert Prozent erfüllen.<br />
Ebenfalls Multitalente sind seine Regenjacken, die sowohl<br />
die Funktion des gelben Paddington-Mantels erfüllen als<br />
auch mit moderner Optik überzeugen. Außerdem zeigt er<br />
klassische Rollkragen-Pullover, die durch ihren Schnitt und<br />
ihr atmungsaktives Material als Second Skin unter einen<br />
Blazer oder als Breathables bei der nächsten Jogging-Einheit<br />
getragen werden können. Kleidungsstücke, die zu jeder<br />
Uhrzeit, zu jedem Anlass und bei jedem Wetter zum<br />
Einsatz kommen.<br />
Die Gegenströmung CAMP dagegen – Eyecatcher<br />
und Motto der diesjährigen Met-Gala – zelebriert laut Susan<br />
Sontag die Liebe zum Unnatürlichen, zur Künstlichkeit<br />
und zur Übertreibung. Der Funktionalitätsgedanke aber<br />
ist es, der der Allgemeinheit einen zeitlosen, langfristigen<br />
Nutzen liefert: „Funktionskleidung ist gekommen, um zu<br />
bleiben. Seitdem sie bewusst entworfen wird, finden immer<br />
mehr Menschen Gefallen daran. Eine Regenjacke,<br />
ein Parka oder Track-Pants werden sich auch in ihrer<br />
Grundform nie ändern. Wer hier in gute Teile investiert,<br />
kann sie ein Leben lang tragen“, erklärt InStyle-Expertin<br />
Theresa Pichler.<br />
Die <strong>Form</strong> folgt also der Funktion. An dieses obligatorische<br />
Bauhaus-Credo von Architekt Louis O‘Sullivan knüpft<br />
heute die Utility-Mode an: Designs und Produkte werden<br />
langlebig, praktisch, modern und ästhetisch. Genau das<br />
wird in unserer Zeit, die von politischem Chaos geprägt<br />
ist, gebraucht. Denn schön ist am Ende, was funktioniert.<br />
Pinterest<br />
Stella McCartney, Off-White<br />
und Matthew M. Williams<br />
waren erst der Anfang:<br />
Durch das Scannen dieses<br />
Codes gelangen Sie in die<br />
ganze Welt von Utility,<br />
dem wohl praktischsten Modetrend<br />
diees Jahres.<br />
Lassen sie sich inspirieren!<br />
Wie beim Wandern wird diese<br />
Saison auch in der Stadt auf<br />
den praktikablen Lagen-Look<br />
gesetzt – links mit Regenjacke<br />
von Nike Performance und gepolsterter<br />
Weste von The North<br />
Face, unten mit einem leichten<br />
Cape von Nike als schützende<br />
und wasserabweisende Top-<br />
Schicht.<br />
WASSILY KANDINSKY<br />
Kunst und Technik – eine neue Einheit! –