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Form Follows Future

Die Bauhausnummer

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Mut<br />

86<br />

„Jedes Kunstwerk entsteht technisch so, wie der Kosmos entstand -<br />

durch Katastrophen, die eine Symphonie bilden, die Sphärenmusik<br />

heißt. Werkschöpfung ist Weltschöpfung. WASSILY KANDINSKY<br />

Zu Zeiten des Nationalsozialismus wurden Bilder,<br />

Literaturwerke und Musikkompositionen<br />

vernichtet, die die Ideale der germanischen<br />

Rasse anzugreifen drohten. Künstler wie Emil<br />

Nolde, Ernst Ludwig Kirchner oder Otto Dix<br />

wurden aufgrund ihrer „entarteten Kunst“ an den Pranger<br />

gestellt. Zum Glück hat sich bis heute viel verändert: In<br />

Deutschland ist Kunst ein verfassungsrechtlich garantiertes<br />

Grundrecht. Der Staat darf also keine Eingrenzung<br />

von Methoden, Inhalten oder künstlerischen Tendenzen<br />

vornehmen. Das bedeutet, dass durch den offenen Kunstbegriff<br />

auch gesellschaftlich nicht anerkannte Kunstformen<br />

diesen Schutz des Grundrechts genießen. So kann Neues<br />

entstehen und es wird Raum für Umstürze und revolutionäre<br />

Denkansätze geboten. Doch diese Ausgangssituation<br />

ist nicht in allen Ländern gegeben. Künstler werden aus<br />

politischen oder rassistischen Gründen verfolgt und aus<br />

der Kulturszene ausgeschlossen - ihnen wird jegliche Freiheit<br />

genommen.<br />

„Was ich in meinem Leben nicht akzeptiere, sind Redeverbote!“<br />

So zitiert ihn die Berliner Zeitung 2017, wenige<br />

Monate vor seinem Tod. Der Kulturwissenschaftler und<br />

Kulturmanager Martin Roth hatte sich zu seinen Lebzeiten<br />

stets für verfolgte Künstler unterschiedlichster Herkunft eingesetzt.<br />

Martin Roth war ein bekannter Mann der Kunst:<br />

er war Direktor des Deutschen Hygiene Museums in Dresden,<br />

bevor er das Victoria and Albert Museum in London<br />

leitete. Zwischen 1995 und 2003 war er außerdem Präsident<br />

des Deutschen Museumsbundes. Der Vater von drei<br />

Kindern erlag 2017 im Alter von 62 Jahren einer schweren<br />

Krankheit. Nach ihm wurde die Martin Roth Initiative<br />

benannt, die zum Schutz Kunst- und Kulturschaffender im<br />

Ausland vom Goethe-Institut und Ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)<br />

ins Leben gerufen wurde. Wenn Künstler<br />

von Zensur und Verfolgung bedroht sind, soll ihnen durch<br />

temporäre Schutzaufenthalte in Deutschland oder anderen<br />

Staaten Sicherheit geboten werden. Krisen nehmen<br />

weltweit zu und viele Menschen steigt die Gefahr für viele<br />

an -- unter ihnen eben auch viele Akteure aus Kultur und<br />

Kunst.<br />

„Was ich in meinem<br />

Leben nicht akzeptiere,<br />

sind Redeverbote!“<br />

So ähnlich war es auch für Aeham Ahmad. Er wurde in<br />

der Nähe von Damaskus geboren und schon früh zeigte<br />

sich sein außerordentliches Talent. Als es in seiner Heimat<br />

zum Krieg kam, verlor Aeham nicht den Mut. Mit seinem<br />

Klavier auf einem Rollwagen spielte der heute 31- Jährige<br />

in den Trümmern der zerstörten Stadt. Er wollte den Menschen<br />

und auch sich selbst Hoffnung geben. Irgendwann<br />

blieb ihm nur noch eine letzte Option: die Flucht. 2015<br />

kam er nach Deutschland, wohin ein Jahr später auch seine<br />

Familie nachkommen konnte. Mittlerweile gibt er Kon-<br />

zerte in ganz Deutschland, aber auch international, beispielsweise<br />

in England oder Italien. Seinen Lebenstraum,<br />

eine Karriere als Konzertpianist, wird er sich jedoch nie<br />

erfüllen können. Durch einen Granatsplitter hat er zwei<br />

Finger verloren. Trotzdem ist er seinen Weg gegangen -<br />

heute kennen ihn Menschen auf der ganzen Welt und er<br />

hat mit seiner Geschichte viele Leute bewegt.<br />

Deutschland ist Aufenthaltsort einiger kreativer Geflohener.<br />

Es ist keine leichte Aufgabe, sich in einem fremden<br />

Land neu zu orientieren und auch beruflich wieder Fuß<br />

zu fassen - gerade in der Kunstbranche. Ein Projekt an<br />

der Universität der Künste in Berlin, welches vor zwei<br />

Jahren noch „Refugee Class“ genannt wurde, trägt heute<br />

den Namen „Artist Training for Professionals“ und bietet<br />

Künstlern im Exil eine Möglichkeit zur Qualifizierung,<br />

Orientierung und Vernetzung. In den Modulen Musik, Bildende<br />

Kunst, Darstellende Kunst oder Film werden den<br />

Kreativen erste Kontaktmöglichkeiten hergestellt. Später<br />

erfolgt eine individuelle Beratung aufgrund der persönlichen<br />

Situation und einer möglichen Positionierung am<br />

Berliner Arbeitsmarkt. Vernetzung wird hier eine besondere<br />

Bedeutung zugeschrieben, denn die enge Zusammenarbeit<br />

mit Partnern aus der Branche ist für jeden Betroffenen<br />

unverzichtbar.<br />

Die Menschen, die in den Kursen aufeinander treffen,<br />

haben alle viel erlebt. Alle haben unterschiedliche Geschichten,<br />

aber meistens ähnliche Bedürfnisse und Wünsche.<br />

Einer davon ist Saman Aboutalebi. Er ist aus dem<br />

Iran geflüchtet und hat seine Familie zurückgelassen. Seit<br />

18 Monaten lebt er nun in Deutschland und wird hier<br />

auch bleiben, denn zurück in sein Heimatland möchte er<br />

nicht. Im Iran hat er als Musikkomponist, 2D-Animateur<br />

und Regisseur gearbeitet, heute versucht er, seine Möglichkeiten<br />

in Deutschland auszuschöpfen. Seine Musik<br />

hat sowohl einen persönlichen als auch einen politischen<br />

Bezug, erzählt er. In Deutschland möchte er in Zukunft<br />

Filme machen, ein eigenes Album veröffentlichen und<br />

sich künstlerisch weiterentwickeln. Sein Bestreben im „Artist<br />

Training for Professionals“-Programm ist es, sich „mit<br />

anderen Künstlern und Menschen zu verbinden.“ Das Gefühl<br />

der Zugehörigkeit ist nicht nur für kreative Prozesse<br />

wichtig, sondern auf für die persönliche Verarbeitung<br />

seiner Geschichte. Saman stehen noch einige Aufgaben<br />

und Herausforderungen bevor, ein wichtiges Ziel hat er<br />

allerdings schon erreicht - denn auf die Frage, ob er im<br />

Moment glücklich ist, antwortet er: „Ja, irgendwie schon!“<br />

ARTIST TRAINING, AUSSTELLUNG FINE ARTS, RUNDGANG UDK BERLIN 2017 KENAN MELHEM<br />

Bei der Ausstellung Fine Arts<br />

der Universität der Künste Berlin<br />

werden Werke der Kursbesucher<br />

des „Artist Training for<br />

Professionals“ gezeigt

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