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Unternehmensrisiko Wasser

Eine wachsende Weltbevölkerung und ein steigender Bedarf an Konsumgütern: Süßwasser ist eine knappe Ressource, von der wir künftig immer mehr benötigen. Gleichzeitig gefährden Dürre- und Hochwasserkatastrophen die bestehenden Vorkommen. Für Unternehmen sind das keine guten Nachrichten, sind sie doch auf sauberes Süßwasser angewiesen, um ihre Produkte herzustellen. Aber wie können Unternehmen mit den Wasserrisiken in ihrer Lieferkette umgehen und ihre Geschäftstätigkeit absichern? Diese und weitere Fragen zum Thema Wassermanagement beantworten wir im altuellen UmweltDialog-Magazin „Unternehmensrisiko Wasser“.

Eine wachsende Weltbevölkerung und ein steigender Bedarf an Konsumgütern: Süßwasser ist eine knappe Ressource, von der wir künftig immer mehr benötigen. Gleichzeitig gefährden Dürre- und Hochwasserkatastrophen die bestehenden Vorkommen. Für Unternehmen sind das keine guten Nachrichten, sind sie doch auf sauberes Süßwasser angewiesen, um ihre Produkte herzustellen. Aber wie können Unternehmen mit den Wasserrisiken in ihrer Lieferkette umgehen und ihre Geschäftstätigkeit absichern?
Diese und weitere Fragen zum Thema Wassermanagement beantworten wir im altuellen UmweltDialog-Magazin „Unternehmensrisiko Wasser“.

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Ausgabe 12<br />

November 2019<br />

9,00 EUR<br />

<strong>Wasser</strong><br />

Über den nachhaltigen Umgang mit<br />

unserer wertvollsten Ressource<br />

umweltdialog.de


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begründeten Lieferverpflichtungen.<br />

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<strong>Wasser</strong><br />

Beginnen wir ...<br />

EDITORIAL<br />

... mit drei einfachen, schon tausend Mal wiederholten Tatsachen: Erstens, ohne<br />

<strong>Wasser</strong> gibt es kein Leben. Zweitens, nur ein Bruchteil der <strong>Wasser</strong>vorkommen<br />

weltweit ist trinkbar. Und drittens: Ungeachtet dessen verschwenden, verschmutzen<br />

und vernichten wir jeden Tag enorme <strong>Wasser</strong>reserven.<br />

Unter den Folgen leiden nicht nur ärmere Länder. Auch reiche Länder wie<br />

Deutschland oder die USA trifft es. Wir reden etwa über zu hohe Nitratwerte<br />

hierzulande. In Michigan ist das Trinkwasser bleiverseucht. In Teilen Bangladeschs<br />

sind zu hohe Salzgehalte für 20 Prozent der Kindersterblichkeit verantwortlich.<br />

In Großbritannien befinden sich nur 14 Prozent der Flüsse in einem<br />

guten Zustand. Und überall natürlich Mikroplastik und Chemikalien.<br />

Die Weltbank warnt in einer neuen Studie vor den Folgen der schleichenden<br />

Verschmutzung unseres Trinkwassers. Die Bedrohung sei deutlich größer als<br />

bisher bekannt, schreiben die Autoren: „Das ganze Ausmaß des Problems zu<br />

verstehen, die Schwere der Auswirkungen zu identifizieren und Möglichkeiten<br />

zur Bekämpfung zu formulieren wird für die Verbesserung der Gesundheit der<br />

Menschen, für den Schutz der Ökosysteme und die Erzeugung eines nachhaltigen<br />

Wirtschaftswachstums im 21. Jahrhundert entscheidend sein.“<br />

In unserer aktuellen Ausgabe gehen wir deshalb auf das <strong>Wasser</strong>thema mit all<br />

seinen Facetten ein: <strong>Wasser</strong>mangel ist ein ganz wesentlicher Punkt. Immer<br />

größere Teile der Welt stehen unter erheblichem <strong>Wasser</strong>stress. Das wird ein<br />

wachsender Grund für Konflikte und Fluchtursachen werden.<br />

Kluges <strong>Wasser</strong>management ist die richtige Antwort darauf: <strong>Wasser</strong> ist eine<br />

geteilte Ressource – was an der einen Stelle entnommen wird, fehlt an anderer.<br />

Immer mehr Firmen erkennen, dass gutes <strong>Wasser</strong>management auch gut für die<br />

Gesellschaft und damit letztendlich das eigene Geschäftsmodell ist.<br />

Abschließend schauen wir auf <strong>Wasser</strong> als Ware: Das „blaue Gold“ ist das ganz große<br />

Geschäft. Manche Player machen dabei schäbbige Geschäfte, manche ehrliche.<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht im Namen der gesamten Redaktion Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Chefredakteur<br />

Das nächste<br />

UmweltDialog-Magazin<br />

erscheint am 15.05.2020.


6<br />

<strong>Wasser</strong> ist eine geteilte Ressource:<br />

Was der eine sich nimmt, steht dem<br />

anderen nie mehr zur Verfügung.<br />

WASSERMANGEL<br />

<strong>Wasser</strong>. Knappheit, Klimawandel, Welternährung .......20<br />

Jahrhundertdürre, sinkendes Grundwasser,<br />

Brände – Bricht jetzt eine Ära weltumspannender<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit an?<br />

Matt Damon: Trinken heißt denken ................................24<br />

Der Filmstar, Philanthrop und Mitbegründer von<br />

Water.org, Matt Damon, erklärt, wie <strong>Wasser</strong><br />

bedrückende Lebensumstände verbessern kann.<br />

<strong>Wasser</strong>krise Indien: „Wir bekommen,<br />

was wir verdienen“ .............................................................28<br />

Einmal im Jahr wird Indien daran erinnert, dass die<br />

Katastrophe schon da ist. Sie ist zum großen Teil<br />

selbstverschuldet.<br />

Das 50-Liter-Haus .............................................................34<br />

Duschen, kochen, waschen, Toilettenspülungen.<br />

Alles mit nur 50l am Tag? Klar, sagt P&G und zeigt wie.<br />

Inhalt<br />

BEWÄSSERUNG<br />

Nach uns die Wüste ...........................................................38<br />

Intensive Landwirtschaft sichert in Spanien Jobs.<br />

Aber nur kurzfristig. Immer schneller versiegt das<br />

Grundwasser.<br />

EINFÜHRUNG<br />

<strong>Wasser</strong>: Eine kostbare, geteilte und vor allem<br />

verschwendete Ressource .................................................. 6<br />

Megatrend <strong>Wasser</strong>: In vielen Regionen der Welt ist der<br />

Bedarf an sauberem <strong>Wasser</strong> groß, die Ressourcen sind<br />

aber knapp. Das Geschäft mit dem „blauen Gold“ boomt.<br />

Doch abseits der Renditen bahnt sich eine globale<br />

humanitäre Katastrophe an.<br />

„Die Vergeudung von Trinkwasser<br />

ist ein Kernproblem“ ............................................................ 9<br />

Interview mit Dr. Frank Hüesker, Sprecher Arbeitsgemeinschaft<br />

Sozialwissenschaftliche <strong>Wasser</strong>forschung<br />

Verantwortung für <strong>Wasser</strong> –<br />

Umsetzung bei Nestlé .......................................................45<br />

Nestlé will bis 2025 will alle Standorte der <strong>Wasser</strong>-<br />

Sparte nach dem AWS-Standard zertifizieren lassen.<br />

Kleiner Tropfen, große Wirkung .......................................48<br />

Methoden wie die Tröpfchenbewässerung und ein<br />

innovatives <strong>Wasser</strong>ressourcen-Management werden<br />

nicht nur in Ländern mit großer Trockenheit immer<br />

wichtiger.<br />

Fishyleaks ............................................................................50<br />

<strong>Wasser</strong> als Lebensgrundlage? Das gilt auch für den<br />

Fischfang. Whistleblower helfen gegen Überfischung.


<strong>Wasser</strong><br />

WASSERMANAGEMENT<br />

Ohne <strong>Wasser</strong> laufen die Geschäfte nicht .......................52<br />

Ob Geschäftsmodell oder wichtiges Produktionsmittel:<br />

Unternehmen sind auf ausreichend sauberes <strong>Wasser</strong><br />

angewiesen, wollen sie dauerhaft am Markt bestehen.<br />

„Eine schlechte Governance führt zur<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit“ ..............................................................54<br />

Die Alliance for Water Stewardship (AWS) unter Leitung<br />

des WWF will <strong>Wasser</strong>management professionalisieren.<br />

24<br />

Viele Prominente engagieren sich.<br />

Nicht jeder glaubhaft.<br />

Matt Damon schon.<br />

<strong>Wasser</strong>risiken managen – ja! Aber wie? ........................60<br />

Der Global Compact hilft mit Coachings bei besserem<br />

betrieblichen <strong>Wasser</strong>umgang.<br />

Standards und Leitfäden ...................................................62<br />

Gärtner haben ein natürliches Interesse an<br />

effizientem <strong>Wasser</strong>management ....................................64<br />

Das Geheimnis guten Gärtnerns liegt nicht zuletzt<br />

in der richtigen Bewässerung der Pflanzen. Für<br />

Hobbygärtner sind Gartencenter und Baumärkte<br />

dabei wichtige Partner.<br />

Abwasserfreie Automobilproduktion ..............................66<br />

Die Autobranche will auf Dauer Automobile CO 2<br />

-neutral<br />

und abwasserfrei produzieren. Beobachtungen von der<br />

Wegstrecke.<br />

WASSER ALS WARE<br />

28<br />

<strong>Wasser</strong>krise Indien:<br />

„Wir bekommen, was wir<br />

verdienen“<br />

Schlürfrechte .......................................................................68<br />

Mit kaum einer anderen Ressource lässt sich so viel Geld<br />

verdienen. Tendenz steigend.<br />

<strong>Wasser</strong> als Ware ................................................................. 74<br />

Vorteile und Nachteile der Privatisierung der<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaft<br />

Deutschland hat genug Trinkwasser<br />

für alle – noch ..................................................................... 78<br />

Nahezu in der gesamten Nordhälfte Deutschlands sind<br />

die Böden in einer Tiefe von bis zu 1,80 Meter extrem<br />

ausgetrocknet.<br />

68<br />

Beim Geschäft mit<br />

<strong>Wasser</strong>flaschen herrscht<br />

Goldgräberstimmung.


<strong>Wasser</strong><br />

<strong>Wasser</strong>:<br />

Eine kostbare, geteilte und vor allem<br />

verschwendete Ressource<br />

Megatrend <strong>Wasser</strong>: In vielen<br />

Regionen der Welt ist der<br />

Bedarf an sauberem <strong>Wasser</strong><br />

groß, die Ressourcen sind<br />

aber knapp. Das Geschäft mit<br />

dem „blauen Gold“ boomt.<br />

Doch abseits der Renditen<br />

bahnt sich eine globale<br />

humanitäre Katastrophe an<br />

– mit weit reichenden Folgen<br />

für Politik und Wirtschaft.<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Eigentlich müsste Carolyn Goodman<br />

eine glückliche Frau sein. Die 80-Jährige<br />

ist seit 8 Jahren Bürgermeisterin<br />

von Las Vegas. Zuvor regierte ihr<br />

Mann an gleicher Stelle 12 Jahre die<br />

Stadtgeschicke. Seit zwei Jahrzehnten<br />

ist die Politik in der Glitzerstadt in der<br />

Wüste von Nevada, die sich ganz dem<br />

Glück verschrieben hat, somit eine<br />

Art Familienbetrieb.<br />

Goodman kann aber auch aus anderen<br />

Gründen zufrieden sein: Ihre Stadt<br />

boomt wie kaum eine andere in den<br />

USA. 6.000 Neubürger zieht es monatlich<br />

nach Las Vegas. Sie kommen,<br />

weil die Steuern niedrig sind und<br />

das Jobangebot groß ist. Die Winter<br />

sind mild, das Wetter ist meist sonnig<br />

– und es regnet so gut wie nie.<br />

Und genau hier fangen die Probleme<br />

von Carolyn Goodman an: Der Glücksspielmetropole<br />

Las Vegas droht der<br />

Verdurstungstod. Die künstliche Oase<br />

liegt in einer der trockensten Regionen<br />

der Erde.<br />

Nach Angaben von Umweltexperten<br />

könnten die <strong>Wasser</strong>quellen in den<br />

kommenden 50 Jahren versiegen,<br />

wenn nicht bald der Verschwendung<br />

ein Ende bereitet wird. Derzeit verbraucht<br />

jeder Bürger von Las Vegas<br />

umgerechnet täglich 776 Liter <strong>Wasser</strong>,<br />

berichtet die US-Umweltbehörde<br />

EPA. Was übrigens schon eine<br />

Verbesserung bedeutet: 2003 lag der<br />

Wert noch bei fast 1.200 Litern. Zum<br />

Vergleich: In Deutschland liegt der<br />

durchschnittliche <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

pro Kopf und Tag bei 123 Litern. Gar<br />

nicht mitgerechnet sind dabei die in-<br />

6 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Paul / stock.adobe.com<br />

<strong>Wasser</strong>mangel<br />

wird<br />

zunehmend<br />

zu einem<br />

Politikum.<br />

direkten Verbräuche, etwa durch den<br />

Konsum entsprechend <strong>Wasser</strong>-intensiv<br />

hergestellter Produkte wie Kaffee<br />

oder Kakao.<br />

So wie Goodman geht es immer mehr<br />

Bürgermeistern in aller Welt: Das<br />

<strong>Wasser</strong> wird knapp. In den letzten 100<br />

Jahren hat sich der Verbrauch versiebenfacht,<br />

und als Folge ist die verfügbare<br />

Süßwassermenge allein seit<br />

1970 um 40 Prozent gesunken. 400<br />

von 660 chinesischen Großstädten leiden<br />

heute bereits unter <strong>Wasser</strong>problemen.<br />

Alleine in Peking fehlen fast 800<br />

Millionen Kubikmeter <strong>Wasser</strong> und<br />

312 Millionen Bauern haben nicht genug<br />

sauberes Trinkwasser. Spanien,<br />

Portugal und Frankreich mussten im<br />

Jahr 2005 aufgrund von unerwarteten<br />

Niederschlagsausfällen ihre <strong>Wasser</strong>versorgung<br />

rationieren, und in Mexiko<br />

lag der Anteil übernutzter unterirdischer<br />

Reservoirs bereits Mitte der<br />

90er Jahre bei 20 Prozent, berichtet<br />

der auf <strong>Wasser</strong> spezialisierte Fondsanbieter<br />

Pictet.<br />

Der Großteil der Süßwasserentnahmen<br />

entfällt nicht etwa auf die Haushalte,<br />

sondern auf Landwirtschaft und<br />

Industrie. Und an dieser Stelle setzen<br />

Konzepte zu <strong>Wasser</strong>management<br />

bzw. Water Stewardship an. Im weiteren<br />

Verlauf der Ausgabe berichten<br />

wir mit Praxisbeispielen ausführlich<br />

darüber.<br />

„Die nächsten Kriege werden um<br />

<strong>Wasser</strong> geführt“<br />

Doch mit Blick auf die Zukunft sollte<br />

man auch Risiken nicht aus den Augen<br />

lassen: <strong>Wasser</strong>mangel wird zunehmend<br />

zu einem Politikum. Dem ehemaligen<br />

UN-Generalsekretär Butros<br />

Ghali wird die Prophezeiung zugeschrieben,<br />

dass „die nächsten Kriege<br />

um <strong>Wasser</strong> geführt werden“. Vorboten<br />

zeichnen sich schon heute ab:<br />

So nutzt etwa die Türkei den GAP-<br />

Staudamm in Ostanatolien, der an der<br />

Quelle von Eufrath und Tigres erbaut<br />

wurde, um die Anrainerstaaten Syrien<br />

und Irak politisch zu disziplinieren.<br />

Die Ernten und damit das Überleben<br />

im Zweistromland hängen heute auch<br />

davon ab, wieviel <strong>Wasser</strong> die Türkei<br />

weiterleitet.<br />

Besonders dramatisch ist die Situation<br />

in vielen Ländern der Südhalbkugel:<br />

Die Migrationswellen, die heute<br />

schon Afrika verlassen und auf Europa<br />

zurollen, wie etwa jüngst auf<br />

die Kanaren, sind auch dem <strong>Wasser</strong>mangel<br />

geschuldet. Die Vereinten<br />

Nationen schlugen daher schon vor<br />

Jahren Alarm und forderten in ihren<br />

Millennium Development Goals eindringlich<br />

eine gerechtere Verteilung.<br />

Ihren Berechnungen zufolge werden<br />

sich im Jahr 2050 fast zehn Milliarden<br />

Menschen das Süßwasser der Erde<br />

teilen müssen. Schon heute aber fehlt<br />

für 2,2 Milliarden Menschen weltweit<br />

der Zugang zu sauberem Trinkwasser.<br />

4,2 Milliarden Menschen, das entspricht<br />

rund 55 Prozent der Weltbevölkerung,<br />

müssen ohne Latrinen und<br />

ohne jegliche Abwasserversorgung<br />

auskommen. Verschmutztes Trinkwasser<br />

und mangelhafte Abwasserentsorgung<br />

sind die Ursache für 80<br />

Prozent aller Krankheiten in den Entwicklungsländern.<br />

Täglich sterben<br />

Tausende Kinder an Durchfallerkrankungen,<br />

Hepatitis A und Wurminfektionen,<br />

die durch verseuchtes <strong>Wasser</strong><br />

übertragen werden.<br />

<strong>Wasser</strong> ist Frauensache<br />

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) braucht der<br />

Mensch mindestens 20 Liter sau- >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

7


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Marion Lenzen<br />

beres <strong>Wasser</strong> am Tag, um gesund leben<br />

zu können. Drei bis fünf Liter zum<br />

Kochen, den Rest als Trinkwasser und<br />

für Hygiene. Allein durch einfaches<br />

Händewaschen mit <strong>Wasser</strong> und Seife<br />

ließe sich die Zahl der oft tödlichen<br />

Durchfallerkrankungen weltweit um<br />

über ein Fünftel senken.<br />

Die Länder südlich der Sahara leiden<br />

am stärksten unter <strong>Wasser</strong>mangel.<br />

Hier verfügt im Schnitt nur jeder<br />

zweite Einwohner über ausreichend<br />

Trinkwasser und den Zugang zu sanitären<br />

Einrichtungen. In Afrika ist<br />

das <strong>Wasser</strong>holen traditionell Frauensache.<br />

Der Weg zu den häufig entfernt<br />

liegenden <strong>Wasser</strong>stellen oder verschmutzten<br />

Flüssen kostet die Frauen<br />

und Mädchen oft viele Stunden am<br />

Tag. Zeit, die für die Arbeit und den<br />

Schulbesuch fehlt. Im Senegal, wo<br />

nur 35 Prozent der Landbevölkerung<br />

Zugang zu sauberem Trinkwasser hat,<br />

können 72 Prozent der erwachsenen<br />

Frauen nicht lesen und schreiben, dagegen<br />

nur 53 Prozent der Männer.<br />

Hilfe und ein Umlenken sind hier<br />

dringend gefordert. Dabei setzen die<br />

UN sowie staatliche und zivilgesellschaftliche<br />

Entwicklungshilfe-Organisationen<br />

verstärkt auf die Partnerschaft<br />

mit Unternehmen und privaten<br />

Investoren. „Es ist entscheidend, dass<br />

wir proaktiv werden und den Privatsektor<br />

einbinden, um diese Herausforderungen<br />

in Chancen zu verwandeln,“<br />

mahnte etwa Klaus Töpfer, vormals<br />

Direktor von UNEP. In rund 70 Ländern<br />

arbeiten entwicklungspolitische<br />

Organisationen und private Unternehmen<br />

in Public Private Partnerships,<br />

sogenannten PPP-Projekten, zusammen.<br />

Das Thema <strong>Wasser</strong> ist hierbei<br />

nach Angaben der Bundesregierung<br />

zentral.<br />

Es geht aber auch anders, nämlich<br />

durch sinnvolles <strong>Wasser</strong>management<br />

und pfiffige Ideen: Eine Handvoll<br />

Lehm, Tee oder Reis, Stroh und Kuhfladen<br />

sind die einfachen Mittel, durch<br />

die Menschen in aller Welt Zugang zu<br />

sauberem <strong>Wasser</strong> bekommen könnten.<br />

Tony Flynn, Materialwissenschaftler<br />

an der Australian National University<br />

in Canberra, hat schon vor Jahren eine<br />

innovative Technik entwickelt, durch<br />

die <strong>Wasser</strong>filter aus einfachen, weit<br />

verbreiteten und billigen Materialien<br />

hergestellt werden könnten.<br />

Eine Handvoll Lehm<br />

Zum Brennen der Filter ist kein spezieller<br />

Ofen notwendig, sondern nur<br />

ein Feuer aus Stroh und Kuhdung.<br />

Die Filter entfernen zuverlässig<br />

Krankheitserreger wie beispielsweise<br />

Coli-Bakterien. Tony Flynns Ziel war<br />

es, eine effektive Filtertechnik zu entwickeln,<br />

die überall auf der Welt die<br />

leichte und kostengünstige Aufbereitung<br />

von <strong>Wasser</strong> zulässt. "Diese Filter<br />

haben das Potenzial, allen Menschen<br />

sauberes Trinkwasser zugänglich<br />

zu machen", so der Wissenschaftler.<br />

Die Herstellung und Anwendung der<br />

Filter ist sehr einfach zu erklären<br />

und kann von jedermann überall auf<br />

der Welt durchgeführt werden. Man<br />

braucht dazu keinerlei westliche<br />

Technologien oder spezielle Ausrüstungen.<br />

Zur Herstellung der Filter wird eine<br />

Handvoll trockener, zerstoßener Lehm<br />

mit organischen Materialien wie<br />

Teeblättern, Kaffeesatz oder Reishülsen<br />

und etwas <strong>Wasser</strong> zu einer festen<br />

Masse vermischt. Daraus wird ein zylindrischer<br />

Topf geformt, der an einem<br />

Ende geschlossen ist. Diese Form wird<br />

in der Sonne getrocknet und dann gebrannt.<br />

Innerhalb einer Stunde ist der<br />

Filter gebrauchsfertig gebrannt. Seine<br />

Erfindung hat Tony Flynn übrigens mit<br />

Absicht nicht patentieren lassen, in<br />

der Hoffnung, dass sie bald überall in<br />

der Welt angewendet wird.<br />

Auch in Las Vegas kann es so wie bisher<br />

nicht weitergehen, weiß Bürgermeisterin<br />

Goodman. Die Ableitungen<br />

von <strong>Wasser</strong> aus dem Colorado River<br />

reichen bei weitem nicht mehr aus.<br />

Daher setzt die Stadt jetzt auf eine<br />

Milliarden Dollar teure und mehr als<br />

550 Kilometer lange Pipeline, die vom<br />

Norden des Bundesstaates <strong>Wasser</strong> in<br />

die durstige Stadt bringen soll. Doch<br />

damit zog sie sich die Feindschaft der<br />

Bauern in den umliegenden Counties<br />

Clark, Lincoln und White Pine zu: Die<br />

dürfen nämlich künftig nur eine festgelegte<br />

Menge <strong>Wasser</strong> entnehmen.<br />

Die Rechte für ihr Grundwasser hatte<br />

Las Vegas vor 20 Jahren gekauft. In<br />

Las Vegas weiß man eben, wann man<br />

ein gutes Blatt hat. f<br />

8 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


„<br />

<strong>Wasser</strong><br />

Die Vergeudung von<br />

Trinkwasser ist ein<br />

Kernproblem<br />

Interview mit<br />

Dr. Frank Hüesker,<br />

Sprecher Arbeitsgemeinschaft<br />

Sozialwissenschaftliche<br />

<strong>Wasser</strong>forschung,<br />

Helmholtz-Centre for<br />

Environmental<br />

Research – UFZ<br />

UmweltDialog: <strong>Wasser</strong> ist eine geteilte<br />

Ressource – was der eine nimmt,<br />

nimmt er immer auch dem anderen.<br />

Was heißt das für unseren Blick auf<br />

und unser Verständnis von <strong>Wasser</strong>?<br />

Dr. Frank Hüesker: Das heißt, dass<br />

<strong>Wasser</strong> ein Politikobjekt ist und die<br />

Fragen seiner Verteilung in politisierten<br />

Prozessen und Institutionen<br />

geregelt werden muss. Zugleich sind<br />

Begrenztheit und Umkämpftheit von<br />

verfügbarem sauberen <strong>Wasser</strong> im<br />

Alltagshandeln – ob von Privatleuten<br />

oder Unternehmen – meist nicht<br />

sichtbar. Deswegen erregen seltene<br />

Dürren wie 2018 bei Mitteleuropäern<br />

auch solche Aufmerksamkeit.<br />

Viel wertvolles Trinkwasser geht aufgrund<br />

schlechter Leitungen verloren<br />

oder wird für Toilettenspülungen<br />

vergeudet. Nun haben weder Staaten<br />

ausreichend Geld, tausende Kilometer<br />

Leitungen neu zu verlegen, noch<br />

lassen sich in Altbauten die <strong>Wasser</strong>netze<br />

einfach ändern. Was kann man<br />

dennoch tun?<br />

Hüesker: Die Vergeudung von Trinkwasser<br />

ist eines der Kernprobleme,<br />

wenn <strong>Wasser</strong>infrastrukturen privatisiert<br />

oder kommerzialisiert werden.<br />

Dies geschieht, weil die Priorität des<br />

Managements auf Fragen der Rentabilität<br />

und Kosteneinsparungen gelenkt<br />

wird. <strong>Wasser</strong>tarif- bzw. Abwassertarifkalkulationsmodelle<br />

mit bestandserhaltenden<br />

Abschreibungsanreizen<br />

werden in vielen Staaten erfolgreich<br />

angewandt, sodass weniger schlechte<br />

Leitungen als überdimensionierte >><br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch im Haushalt in Deutschland<br />

35 %<br />

31 %<br />

15 %<br />

6 %<br />

4 %<br />

4 %<br />

3 %<br />

2 %<br />

Baden /<br />

Duschen<br />

Toilette<br />

Wäsche<br />

waschen<br />

Spülen<br />

Putzen<br />

Sonstiges<br />

Kochen /<br />

Trinken<br />

Garten<br />

Quelle:wohn-in.de<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

9


<strong>Wasser</strong><br />

Quellwasser<br />

8,4 %<br />

Uferfiltrat<br />

8,6 %<br />

Angereichertes<br />

Grundwasser<br />

8,8 %<br />

See- und<br />

Talsperrenwasser<br />

12,2 %<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt,<br />

Fachserie 19 Reihe 2.1.1 Öffentliche<br />

<strong>Wasser</strong>versorgung und öffentliche<br />

Abwasserbeseitigung – Öffentliche<br />

<strong>Wasser</strong>versorgung 2015<br />

<strong>Wasser</strong>gewinnung<br />

nach <strong>Wasser</strong>arten *<br />

2013<br />

*<br />

Einschließlich der <strong>Wasser</strong>menge, die<br />

durch Unternehmen gewonnen wird, die<br />

<strong>Wasser</strong> ausschließlich weiterverteilen<br />

Gesamt<br />

5.053,4 Millionen<br />

Kubikmeter<br />

Grundwasser<br />

60,9 %<br />

Flusswasser<br />

1,2 %<br />

Leitungen<br />

entstehen.<br />

Auch außerhalb<br />

Europas kann mit Entscheidungsträgern<br />

diskutiert<br />

werden, ob das gemeinwirtschaftliche<br />

Politikmodell der kommunalen Daseinsvorsorge<br />

ein Vorbild sein kann.<br />

Anreize für Immobilieneigentümer,<br />

in dezentrale <strong>Wasser</strong>wiederverwertungstechniken<br />

zu investieren, müssen<br />

von staatlichen Akteuren auf alle<br />

Ebenen proaktiv geschaffen werden,<br />

sonst sind solche Veränderungen<br />

beispielsweise in Wohneigentümergemeinschaften<br />

schwierig.<br />

Vor allem durch die Intensivlandwirtschaft<br />

wird der Grundwasserhaushalt<br />

gestört. Andererseits brauchen<br />

wir bei wachsender Weltbevölkerung<br />

mehr Lebensmittel. Ein Teufelskreis?<br />

Hüesker: Nein, ein Teufelskreis ist es<br />

nicht, die landwirtschaftliche Produktion<br />

muss sich aus vielen Gründen<br />

aus der intensiven Bewirtschaftung<br />

verabschieden, ob es um <strong>Wasser</strong>verbrauch,<br />

Düngemitteleinsatz, Pflanzenschutzmittelverbrauch<br />

oder anderes<br />

geht, der Ressourcenverbrauch<br />

ist zu hoch. Um die Ausgestaltung<br />

dieser Agrarwende – natürlich mit<br />

dem primären Ziel der Schaffung<br />

von Lebensmittelsicherheit – wird<br />

es harte politische Auseinandersetzungen<br />

und es wird Gewinner und<br />

Verlierer geben. Für die sozialwissenschaftliche<br />

<strong>Wasser</strong>forschung sind<br />

Fragen des Water Reuse interessant,<br />

beispielsweise, welche <strong>Wasser</strong>qualitätsstandards<br />

für Tierfuttergetreide<br />

gelten sollten.<br />

Der Klimawandel verlangt Anpassungsstrategien.<br />

Dazu zählt Geoengineering.<br />

Gibt es vergleichbare Techniken<br />

auch beim Thema <strong>Wasser</strong>? Wie<br />

sehen Sie hier insbesondere die Rolle<br />

von Entsalzungsanlagen?<br />

Hüesker: Der Klimawandel verlangt<br />

Anpassungsstrategien, wie Dürren<br />

zuletzt in Südafrika oder Australien<br />

zeigen. Akteure wie Landwirte oder<br />

private Gartenbesitzer sowie einzelne<br />

industrielle Großverbraucher sind<br />

hier zentral. Ob es sich in Einzelfällen<br />

anbietet, hierfür Großtechnologien<br />

wie Meerwasserentsalzungsanlagen<br />

anzuwenden, die teuer und energieintensiv<br />

sind, kann nur vor Ort von<br />

den legitimierten Akteuren entschieden<br />

werden. Aber zumeist kann die<br />

sozialwissenschaftliche <strong>Wasser</strong>forschung<br />

feststellen, dass Umverteilungen<br />

und Verbrauchsmessungen<br />

Knappheitsprobleme lösen können,<br />

wie beispielsweise rund um Cape<br />

Town die Reduktion des <strong>Wasser</strong>verbrauchs<br />

durch Weinbauern.<br />

10 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Wenn wir über verschmutztes <strong>Wasser</strong><br />

reden, denken die meisten an Rückstände<br />

der Industrieproduktion. Sind<br />

das wirklich die Hauptprobleme?<br />

Hüesker: In Deutschland ist, wenn<br />

wir an die Mikroschadstoffe in Gewässern<br />

denken, die Landwirtschaft<br />

ein großer Problemverursacher, ob<br />

Pflanzenschutzmittel, Dünger oder<br />

Tierarzneimittel. Auch der Alltagskonsum<br />

von Medizin oder Plastik<br />

verschmutzt flächendeckend Gewässer.<br />

Hier stehen auch Herstellerindustrien<br />

dahinter, die natürlich<br />

den Absatz ihrer Produkte steigern<br />

wollen und somit problemverstärkend<br />

wirken.<br />

Nitrat, Mikroplastik, Antibiotika, immer<br />

mehr Belastungen im <strong>Wasser</strong> lassen<br />

sich nur schwer, falls überhaupt,<br />

herausfiltern. Was bedeutet das auf<br />

lange Sicht für unsere Trinkwasserversorgung?<br />

Hüesker: Aus dem Abwasser sind<br />

diese Mikroschadstoffe nach dem<br />

Stand der Forschung am UFZ herauszufiltern,<br />

aber der Energieverbrauch<br />

und der finanzielle Aufwand<br />

sind hoch. Es ist eine politisch zu<br />

entscheidende Frage, welche Gesellschaftsgruppe<br />

welchen Teil der Verantwortung<br />

und Kosten tragen sollte:<br />

Die zentralen Infrastrukturen der Abwasserwirtschaft,<br />

die Hersteller von<br />

Pflanzenschutzmitteln oder Arzneien<br />

oder die Nutzer (und Entsorger!) von<br />

diesen Mikroschadstoffen. Für die<br />

Trinkwasserwirtschaft ist die gestellte<br />

Frage absolut zentral, genauso wie<br />

öffentliche Forschung zu den langfristigen<br />

Folgen von Mikroschadstoffen in<br />

Gewässern für Ökosysteme und Menschen,<br />

denn Industrieforschung reicht<br />

hierzu nicht aus.<br />

Zur Lösung der globalen <strong>Wasser</strong>krise<br />

werden in zunehmendem Maße Partnerschaften<br />

zwischen staatlichen<br />

Akteuren, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen<br />

Akteuren diskutiert.<br />

Können Sie die Idee dahinter und die<br />

Vorteile näher erläutern?<br />

Hüesker: Die sogenannte globale<br />

<strong>Wasser</strong>krise ist grundsätzlich ein regional<br />

auftretendes <strong>Wasser</strong>qualitätsund<br />

/ oder -quantitätsproblem, und<br />

natürlich kann es gut sein, dass private<br />

Public Partnerships situativ zu<br />

guten Problemlösungen und Verbesserungen<br />

der Situation führen.<br />

Gerade wenn sich Rahmenbedingungen<br />

durch den Klimawandel ändern,<br />

sind partizipative Politikmodelle<br />

anzuwenden, um möglichst viele Akteure<br />

und vorhandenes Wissen einzubinden.<br />

Unternehmen sind dann<br />

zentral, weil sie Technologien und<br />

Infrastrukturen bereitstellen können,<br />

beispielsweise für die Erfassung von<br />

<strong>Wasser</strong>verbräuchen oder progressive<br />

Regenwassersammlung. Aber der<br />

Staat als Regulator muss die Partizipation<br />

organisieren und faire Regeln<br />

sicherstellen, wie kritische Diskussionen<br />

um Water Metering und Social<br />

Justice zeigen.<br />

Unternehmen werden beim Thema<br />

<strong>Wasser</strong> in der öffentlichen Wahrnehmung<br />

oft nicht als Partner, sondern<br />

als raffgierig und damit als Problem<br />

wahrgenommen. Wie müssen Firmen<br />

agieren, und was müssen sie auf jeden<br />

Fall vermeiden, um gute Partner<br />

zu sein?<br />

Hüesker: Um gute Partner zu sein,<br />

sollten sich Unternehmen auf den<br />

kommunalwirtschaftlichen (kostendeckenden)<br />

Geist der <strong>Wasser</strong>wirtschaft<br />

einlassen und jeden Anschein<br />

der Kommerzialisierung der Trinkwasserversorgung<br />

und der Renditeerzielungsabsicht<br />

vermeiden. Ein Negativbeispiel<br />

war die Kampagne der<br />

teilprivatisierten Berliner <strong>Wasser</strong>betriebe<br />

für eine Erhöhung des <strong>Wasser</strong>brauchs<br />

aus diesen Gründen.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

11


<strong>Wasser</strong><br />

Die Welt im<br />

<strong>Wasser</strong>-<br />

stress<br />

Die größten Städte im <strong>Wasser</strong>stress<br />

Städtische<br />

Ballungsgebiete<br />

Land<br />

Einwohnerzahl<br />

(2010)<br />

Quellen<br />

Tokyo Japan 36.933.000 Surface (WG)<br />

Delhi Indien 21.935.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Mexiko Stadt Mexiko 20.142.000 Ground (stress), Surface<br />

Shanghai China 19.554.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Peking China 15.000.000 Ground (stress), Surface<br />

Kalkutta Indien 14.283.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Karachi Pakistan 13.500.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Los Angeles USA 13.223.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Rio de Janeiro Brasilien 11.867.000 Surface (WG)<br />

Moskau Russland 11.472.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Istanbul Türkei 10.953.000 Surface (WG), Ground<br />

Shenzhen China 10.222.000 Surface (WG)<br />

Chongqing China 9.732.000 Surface (WBM), Ground<br />

Lima Peru 8.950.000 Surface (WG), Ground (stress)<br />

London UK 8.923.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Wuhan China 8.904.000 Surface (WBM, WG)<br />

Tianjin China 8.535.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Chennai Indien 8.523.000 Surface (WG), Ground<br />

Bangalore Indien 8.275.000 Surface (WG), Ground<br />

Hyderabad Indien 7.578.000 Surface (WBM, WG), Ground<br />

Quelle: ScienceDirect<br />

12 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

wenig oder keine <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

Ökonomische <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

annähernd Physische <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

Physische <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

Nicht erfasst<br />

Quelle Grafik: Comprehensive Assessment of<br />

Water Management in Agriculture, 2007<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

13


<strong>Wasser</strong><br />

#Verfügbarkeit<br />

Foto: UN Photo / Ky Chung<br />

14 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: UN Photo/Logan Abassi<br />

Foto: Dusan Kostic / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

15


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Richard Carey / stock.adobe.com<br />

16 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

Foto: Magnus Manske, flickr2commons / commons.wikimedia.org/wiki/File:<br />

A_young_boy_sits_over_an_open_sewer_in_the_Kibera_slum,_Nairobi.jpg


<strong>Wasser</strong><br />

#Verschmutzung<br />

Foto: Hanoi Photography / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

17


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: masahiro / stock.adobe.com<br />

Foto: TOMASZ TULIK / stock.adobe.com<br />

18 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: UN Photo / Olivier Chassot<br />

#Verteilung<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

19


<strong>Wasser</strong><br />

<strong>Wasser</strong>.<br />

Knappheit, Klimawandel, Welternährung<br />

Foto: ollirg / Fotolia.com<br />

20 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

„Jahrhundertdürre in<br />

Australien“, „Die Flüsse<br />

trocknen aus“, „Die<br />

Grundwasservorräte<br />

schwinden“: Eine Ära<br />

weltumspannender<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit scheint<br />

angebrochen zu sein.<br />

Von Dr. Dieter Gerten<br />

In gewissem Sinne täuscht das oft<br />

beschworene Bild vom „blauen<br />

Planeten“, und zwar auf dreierlei<br />

Weise: Erstens ist nur ein kleiner<br />

Bruchteil des <strong>Wasser</strong>s auf der Erde für<br />

eine menschliche Nutzung geeignet,<br />

da es sich ganz überwiegend um salziges<br />

Meerwasser handelt und auch<br />

die Süßwasservorräte nach Abzug der<br />

unzugänglichen Anteile (Eismassen,<br />

tief liegendes Grundwasser, entlegene<br />

Gewässer, Schutzgebiete, Hochwasserabflüsse)<br />

stark begrenzt sind.<br />

Zweitens bleibt die globale <strong>Wasser</strong>menge<br />

zwar immer gleich, doch ist sie<br />

aufgrund der natürlichen Anordnung<br />

der Klimazonen und der permanenten<br />

<strong>Wasser</strong>kreisläufe sehr ungleich<br />

in Raum und Zeit verteilt. Drittens<br />

schließlich ist das lebensnotwendige<br />

Element <strong>Wasser</strong> durch absolut nichts<br />

ersetzbar.<br />

Kein Wunder also, dass die Menschheit<br />

seit Anbeginn einen erstaunlichen<br />

Erfindungsreichtum an den Tag<br />

gelegt hat, sich immer neue <strong>Wasser</strong>vorräte<br />

zu erschließen und zu diesem<br />

Zwecke die natürlichen Vorräte und<br />

Läufe einer Kontrolle und ‚Korrektur‘<br />

zu unterwerfen: durch Umlenkung,<br />

Regulierung und Aufstauung<br />

von Flüssen; durch Entnahmen für<br />

Bewässerung, Haushalte und Industrie;<br />

durch Auffangen von Tau und<br />

Nebel mit Netzen und Türmchen;<br />

durch Pumpen aus immer tieferen<br />

Grundwasserschichten; durch Einfuhr<br />

von Produkten, da für deren eigene<br />

Herstellung das <strong>Wasser</strong> fehlt; und<br />

neuerdings auch durch energie- und<br />

kostenaufwändige Entsalzung von<br />

Meerwasser. Aber mittlerweile sind<br />

wir global in einem kritischen Stadium,<br />

denn die vor allem in den letzten<br />

Jahrzehnten immens gestiegene <strong>Wasser</strong>nachfrage<br />

kann in vielen Regionen<br />

kaum noch gedeckt werden.<br />

So leben derzeit um die zwei Milliarden<br />

Menschen in wasserknappen<br />

Gebieten, wohinter sich eine Vielzahl<br />

an <strong>Wasser</strong>krisen mit unterschiedlichen<br />

Symptomen verbirgt. Beispielsweise<br />

sind in einigen Regionen, etwa<br />

im Mittleren Westen der USA und im<br />

nördlichen Indien, die (allenfalls über<br />

viele Jahrhunderte hinweg wieder<br />

auffüllbaren) Grundwasserspeicher<br />

nahezu leergepumpt; viele Gewässerökosysteme<br />

sind degradiert; und <strong>Wasser</strong>versorgungsengpässe<br />

betreffen<br />

mittlerweile selbst Megastädte wie<br />

Mexiko-Stadt, Kapstadt oder Neu-Delhi.<br />

Hinzu kommen massive <strong>Wasser</strong>qualitätsprobleme:<br />

immer noch zweieinhalb<br />

Milliarden Menschen haben<br />

keine sanitäre Grundversorgung, 750<br />

Millionen Menschen keinen gesicherten<br />

Zugang zu Trinkwasser. Darüber<br />

hinaus zeigt inzwischen auch der<br />

globale Klimawandel Konsequenzen<br />

wie zurückgehende Niederschläge,<br />

häufigere und intensivere Dürren gerade<br />

in Regionen, die ohnehin schon<br />

recht trocken sind, was die Konflikte<br />

um <strong>Wasser</strong> in Zukunft nur verschärfen<br />

kann.<br />

Jede Pflanze benötigt eine bestimmte<br />

Menge <strong>Wasser</strong> zum Wachstum:<br />

Infolge dieses Grundprinzips ist die<br />

Landwirtschaft von jeglicher <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

ganz unmittelbar betroffen.<br />

Deshalb rückt die Frage in den<br />

Vordergrund, ob angesichts der aktuellen<br />

Ausgangslage und unter dem<br />

Szenario eines weiter voranschreitenden<br />

Klimawandels die Nahrungsmittelproduktion<br />

für eine zukünftig >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

21


<strong>Wasser</strong><br />

auf etwa zehn Milliarden steigende<br />

Weltbevölkerung gewährleistet werden<br />

kann. Bilanzierungen zufolge<br />

wäre dies zwar möglich, aber letztlich<br />

nur, wenn quasi weltweit die <strong>Wasser</strong>-<br />

und Landwirtschaft reformiert<br />

und nachhaltiger gestaltet wird. Eine<br />

solche Entwicklung deutet sich im<br />

Rahmen des im dem letzten Jahrzehnt<br />

begonnenen Paradigmenwandels an,<br />

der indes konsequent weitergeführt<br />

werden muss. Eine Maxime dieser<br />

wasserwirtschaftlichen Renaissance<br />

ist ein Perspektivwechsel weg von der<br />

Frage, woher immer mehr <strong>Wasser</strong> für<br />

die Befriedigung verschiedenster Bedürfnisse<br />

herangezogen werden kann,<br />

hin zur Frage, wie viel <strong>Wasser</strong> in einem<br />

bestimmten Gebiet natürlich vorhanden<br />

ist und wie dieses nachhaltig<br />

unter Beachtung der lokalen hydrologischen,<br />

ökologischen und sozialen<br />

Voraussetzungen nutzbar ist.<br />

Zur Umsetzung dieser Agenda bietet<br />

sich ein Füllhorn unterschiedlichster<br />

Maßnahmen an. Ein Bespiel ist die<br />

Hinwendung zu <strong>Wasser</strong>versorgungstechniken,<br />

die keiner neuen Großbauten<br />

und keines <strong>Wasser</strong>transfers<br />

über weite Strecken hinweg bedürfen<br />

(Prestigeprojekte, die ökologische<br />

und soziale Probleme mit sich<br />

bringen und auch wirtschaftlich oft<br />

nicht rentabel sind). Bei solchen „weichen“<br />

Techniken handelt es sich im<br />

Wesentlichen um kleinskalige, dezentrale<br />

Bewirtschaftungsmethoden<br />

mit hoher <strong>Wasser</strong>nutzungseffizienz.<br />

Im landwirtschaftlichen Bereich wären<br />

dies etwa <strong>Wasser</strong>sammelanlagen<br />

(Zisternen, Mikrodämme, Einlassungen<br />

in den Boden), hoch effiziente<br />

Bewässerungstechnologien wie die<br />

verlustarme Tropfbewässerung oder<br />

die Umlenkung von „unproduktiver“<br />

Verdunstung aus dem Boden zuguns-<br />

22 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


Foto: Tobias Müller / Fotolia.com<br />

<strong>Wasser</strong><br />

ten der Pflanzentranspiration und somit<br />

des Biomasseaufbaus.<br />

Letzteres ist eine von vielen Möglichkeiten,<br />

das oft übersehene, insbesondere<br />

für die nicht bewässerte<br />

Landwirtschaft jedoch essentielle<br />

„grüne“ <strong>Wasser</strong> – also das im Boden<br />

gespeicherte Regenwasser im Gegensatz<br />

zum flüssigen „blauen“ <strong>Wasser</strong><br />

in Flüssen, Seen und Grundwasserkörpern<br />

– aktiv in das Management<br />

einzubeziehen. Mit einer klugen, an<br />

den jeweiligen Standort angepassten<br />

Kombination von Maßnahmen zur effektiven<br />

Nutzung grünen und blauen<br />

<strong>Wasser</strong>s wäre es sogar möglich, die<br />

Agrarproduktion weltweit deutlich zu<br />

steigern, ohne zusätzliches <strong>Wasser</strong><br />

oder Land zu beanspruchen.<br />

Bei allem technischen Einsparpotenzial<br />

ist es aber auch ein unverzichtbares<br />

Element, den <strong>Wasser</strong>bedarf an<br />

sich zu hinterfragen und Anreize für<br />

dessen Reduzierung zu schaffen. Unter<br />

anderem kann eine Umstellung<br />

der Ernährung – und hierbei namentlich<br />

der Verzicht auf tierische Produkte<br />

– große <strong>Wasser</strong>mengen einsparen<br />

(insbesondere bezüglich der Bewässerung<br />

von Futtermitteln) und für andere<br />

Nutzungen freigeben. Dies verweist<br />

auch direkt auf die Herkunft unserer<br />

international gehandelten Konsumprodukte<br />

bzw. die „virtuellen“ <strong>Wasser</strong>mengen,<br />

die bei deren Erzeugung<br />

verbraucht werden bzw. verdunsten<br />

(ohne direkt im Endprodukt enthalten<br />

zu sein): Durch den Anbau von<br />

Produkten in eher wasserreichen Ländern<br />

und deren Export in wasserarme<br />

Länder bzw. in Länder, wo die Erzeugung<br />

desselben Produkts einen höheren<br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch hätte, können<br />

global größere <strong>Wasser</strong>mengen eingespart<br />

werden.<br />

Dieser virtuelle <strong>Wasser</strong>handel spielt<br />

bereits heute eine eminente Rolle für<br />

Länder etwa im Nahen Osten, denen<br />

es an <strong>Wasser</strong> und somit urbarem Land<br />

fehlt, um genügend Nahrungsmittel<br />

für ihre eigene Bevölkerung anzubauen.<br />

Somit wäre es auch Aufgabe jedes<br />

Unternehmens, seine Lieferketten<br />

hinsichtlich ihres <strong>Wasser</strong>verbrauchs<br />

und entsprechende Einsparpotenziale<br />

zu prüfen.<br />

Schon diese kurze Liste an Varianten<br />

der <strong>Wasser</strong>einsparung macht<br />

deutlich, dass die Vermeidung einer<br />

„globalen <strong>Wasser</strong>krise“ ganz wesentlich<br />

eine kulturelle Frage ist. In der<br />

<strong>Wasser</strong>frage spiegelt sich sozusagen<br />

unser Verhältnis zur Natur, und so<br />

ist es nur folgerichtig, dass auch die<br />

weit verbreitete und tief in der Zivilisationsgeschichte<br />

verankerte religiöse<br />

Symbolik des <strong>Wasser</strong>s als vitales<br />

Schöpfungs- und Lebenselement wiederentdeckt<br />

bzw. neu betont wird.<br />

All dies gipfelt in dem Bemühen, eine<br />

neue <strong>Wasser</strong>ethik zu etablieren, welche<br />

die Gewässerökosysteme wieder<br />

in einen intakten Zustand überführt<br />

und den gerechten, transparent und<br />

demokratisch ausgehandelten Zugang<br />

aller Menschen zu sauberem <strong>Wasser</strong><br />

gewährleistet – also allen Menschen<br />

eine Mindestwasserversorgung zur<br />

Deckung ihrer Grundbedürfnisse zu<br />

garantieren.<br />

Frauen, Kindern, Armen und indigenen<br />

Bevölkerungsgruppen und deren<br />

spezifischen Sichtweisen kommt insbesondere<br />

bezüglich der gerechten<br />

Verteilung von <strong>Wasser</strong> eine besondere<br />

Rolle zu. Die Frage, wie man<br />

das unentbehrliche, durch nichts ersetzbare<br />

<strong>Wasser</strong> nutzen kann, ohne<br />

die natürlichen Lebensgrundlagen<br />

zu kompromittieren, ist eine massive<br />

zivilisatorische Aufgabe für das<br />

21. Jahrhundert und darüber hinaus:<br />

Sie wird die Menschheit bis an ihr<br />

Ende begleiten. f<br />

Dr. Dieter Gerten ist Professor of<br />

Global Change Climatology &<br />

Hydrology, Humboldt-Universität zu<br />

Berlin sowie Coordinator Earth<br />

Modelling and Head of Flagship<br />

Activity OPEN am PIK in Potsdam.<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

23


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Jon Lee<br />

24 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Matt Damon:<br />

Trinken heißt denken<br />

Der Filmstar, Philanthrop und Mitbegründer von Water.org, Matt Damon, erklärt, wie einer der<br />

simpelsten Rohstoffe der Erde in der Lage dazu ist, die komplexesten und teilweise sogar die<br />

verheerendsten Lebensumstände zu verbessern.<br />

Von Danny Bowman<br />

Viele Prominente engagieren sich.<br />

Nicht jeder glaubhaft. Daraus hat sich<br />

bei einigen Aktivisten die Angewohnheit<br />

entwickelt, jedes Engagement zu<br />

kritisieren. Das bekommt beispielsweise<br />

Matt Damon zu spüren, der sich<br />

sehr dezidiert für Nachhaltigkeitsfragen<br />

einsetzt. Als eines der bekanntesten<br />

Gesichter seiner Branche stellt der<br />

Schauspieler ein leichtes Angriffsziel<br />

dar. Mit all dem Hype und Rummel<br />

um seine Person ist er in der Tat auch<br />

Teil einer globalen Vermarktungsmaschine,<br />

die in den Augen mancher<br />

Kritiker finanzielle Interessen über<br />

das Wohlergehen der Welt stellt, sei<br />

es das des natürlichen Lebensraums<br />

oder das der Weltbevölkerung.<br />

Im Falle des 48-Jährigen ist allerdings<br />

jegliche Kritik haltlos. Der Star<br />

aus „Good Will Hunting“, der „Jason<br />

Bourne“-Serie, „Oceans Twelve“ und<br />

„Der Marsianer“ ist alles andere<br />

als ein dreister und herzloser Hollywood-Beau<br />

- stattdessen hat er sogar<br />

Verständnis dafür, dass einige Menschen<br />

ein kritisches Auge auf prominente<br />

Botschafter werfen.<br />

„Ich denke, dass es im Kampf gegen<br />

Natur- und Umweltschutz wesentlich<br />

darum geht, dass Menschen nicht das<br />

Gefühl haben wollen, man würde sie<br />

belehren“, sagt Damon. „Das kann ich<br />

vollkommen nachvollziehen.“<br />

Zugleich sind es Sätze wie dieser, aus<br />

denen sein Frust spricht und die anecken:<br />

„Natürlich sind auch nicht alle<br />

Hilfegesuche frei von Scheinheiligkeit.<br />

Es gibt auch Leute, die um Hilfe<br />

bitten und selber nicht das Geringste<br />

tun.“<br />

Versöhnlicher fügt er hinzu: „Ich<br />

möchte nur sagen, dass ich hoffe, dass<br />

meine Taten lauter sprechen als meine<br />

Worte. Ich weiß mit Gewissheit,<br />

dass ich die Projekte, die ich derzeit<br />

unterstütze, immer noch verfolgen<br />

würde, selbst wenn ich nicht im Rampenlicht<br />

stünde. Den leidenschaftlichen<br />

Drang etwas zu verändern, habe<br />

ich schon immer besessen, er kommt<br />

von innen heraus.“<br />

Damons Arbeit ist in vielerlei Hinsicht<br />

bemerkenswert. Er ist Mitinitiator des<br />

Projekts „Not On Our Watch / The<br />

Sentry“, in dessen Rahmen Finanzmittel<br />

mobilisiert werden, um Völkermorde<br />

und Massengräueltaten in Afrika,<br />

wie etwa in Dafur, aufzuarbeiten. Dazu<br />

zählt etwa die Förderung lokaler Projekte<br />

der Hilfsorganisation Feeding<br />

America, die sich für die Bekämpfung<br />

des Hungers einsetzt und ver- >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

25


<strong>Wasser</strong><br />

sucht, mithilfe der „ONE“-Kampagne<br />

die Risiken von AIDS und Armut einzudämmen.<br />

Die Mitbegründung der Nichtregierungsorganisation<br />

Water.org bezeichnet<br />

Matt Damon als seinen bisher<br />

bedeutendsten Beitrag. Die auf Gary<br />

Whites Vision beruhende Organisation<br />

hat es sich zum Ziel gesetzt, eines<br />

der elementarsten menschlichen<br />

Bedürfnisse zu befriedigen – nämlich<br />

das nach sauberem, frischem <strong>Wasser</strong>.<br />

Die Grundidee ist, dass nichts das Zusammenleben<br />

in einer Gemeinschaft<br />

so verändert wie die Verfügbarkeit<br />

von <strong>Wasser</strong>.<br />

„Von Anfang an wollte ich auch die<br />

Wahrnehmung in Bezug auf das <strong>Wasser</strong><br />

verändern. Tatsache ist, dass im<br />

Falle einer von Menschen verursachten<br />

Naturkatastrophe eine <strong>Wasser</strong>krise<br />

praktisch überall auftreten kann“,<br />

sagt er. „Wir müssen uns der Vorstellung<br />

entziehen, dass dies ein Problem<br />

ist, das in von Armut betroffenen Regionen<br />

und weit entfernten, abgelegenen<br />

Ländern auftreten kann. In Wahrheit<br />

kann es uns alle treffen. Solange<br />

keine schnellen und maßgeblichen<br />

Maßnahmen erfolgen, sind wir aller<br />

einer potenziellen Gefahr ausgesetzt,<br />

die uns binnen 48 Stunden erreichen<br />

kann.“<br />

Die Tatsache, dass Damon, Absolvent<br />

der Harvard University, gleichermaßen<br />

klug wie mitfühlend ist, ist<br />

für den in Massachusetts geborenen<br />

Schauspieler ironischer Weise nicht<br />

immer von Vorteil. Denn seine Verbundenheit<br />

zu den Menschen und ihren<br />

Geschichten bedeutet auch, dass<br />

er nicht einfach loslassen kann.<br />

Er erzählt die Geschichte eines 13-jährigen<br />

Mädchens im vom Erdbeben<br />

„<strong>Wasser</strong> ist<br />

überall zu<br />

finden – in<br />

Flüssen, in<br />

Ozeanen,<br />

sogar unter<br />

unseren<br />

Füßen. Es<br />

ist absurd,<br />

dass wir<br />

immer noch<br />

Probleme<br />

haben, es<br />

dorthin zu<br />

bringen, wo<br />

es dringend<br />

benötigt<br />

wird.“<br />

geplagten Haiti, dessen Dorf endlich<br />

dazu in der Lage war, eine zuverlässige<br />

<strong>Wasser</strong>versorgung wiederherzustellen.<br />

„Dieses junge Mädchen hatte<br />

zuvor drei bis vier Stunden am Tag<br />

damit verbracht, nach <strong>Wasser</strong> zu suchen<br />

– kann man sich das vorstellen?<br />

Ich fragte sie, was sie nun mit all der<br />

zusätzlichen Zeit anfangen würde und<br />

sie entgegnete nur: Spielen.<br />

Das hat mich bis ins Mark erschüttert.<br />

Diese Kinder sollten nicht mit solchen<br />

Dingen konfrontiert werden. Viele leiden<br />

unter extremer Armut, und man<br />

mag glauben, dass die Überlebenden<br />

Glück gehabt hätten, weil sie noch<br />

hier sind und ihre Geschichte erzählen<br />

können. Allerdings haben sie ihre<br />

Kindheit, ihre Lebensgrundlage oder<br />

jegliche Aussicht auf eine erfolgreiche<br />

Zukunft verloren.<br />

Die wahre Ironie besteht darin, dass<br />

wir, während wir in den betroffenen<br />

Regionen mit den Leuten sprechen,<br />

sehr oft nicht weiter als 20 Fuß (6 Meter)<br />

von einer <strong>Wasser</strong>quelle entfernt<br />

sind. Da sich das <strong>Wasser</strong> aber im Erdinneren<br />

befindet, ist es für die örtlichen<br />

Bewohner nicht zugänglich.“<br />

Als Damon von Whites Vision von<br />

Water.org erfuhr, wollte er mitmachen:<br />

Die NGO vergibt Mikrokredite („Water<br />

Credits“) an Bedürftige. Der erste<br />

Schritt der Projektarbeit ist oft der<br />

Ausbau bzw. die Instandsetzung der<br />

Infrastruktur: Je nach regionalen Gegebenheiten<br />

liegt der Fokus zunächst<br />

auf der <strong>Wasser</strong>anbindung der Slums<br />

sowie der finanziellen Unterstützung<br />

der dort lebenden Menschen. Ähnlich<br />

wie im Fall des 13-jährigen Mädchens<br />

aus Haiti steigen mit der sichergestellten<br />

<strong>Wasser</strong>versorgung dann auch die<br />

Hygienestandards. Den Slum-Bewohnern<br />

wird nun auch die Möglichkeit<br />

26 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

geboten, die eingesparte Zeit in bezahlte<br />

Arbeit zu investieren, damit ein<br />

aufgenommener Kredit in einem regulären<br />

Zeitraum von ein bis drei Jahren<br />

zurückgezahlt werden kann.<br />

„In der heutigen Gesellschaft ist man<br />

der Ansicht, dass alle Staaten sich um<br />

ihre Bürger kümmern sollten. Die Realität<br />

sieht leider anders aus“, sagt<br />

Damon. „In einigen Fällen wurden<br />

bis zu 25 Prozent des Einkommens<br />

für die Anbindung des eigenen Heims<br />

an <strong>Wasser</strong> ausgegeben – das ist untragbar.<br />

Wenn eine Initiative wie<br />

‚WaterCredit‘ dazu beiträgt, den Ausbau<br />

der <strong>Wasser</strong>versorgung mit Hilfe<br />

von finanzieller Unterstützung voranzutreiben,<br />

dann müssen wir unsere<br />

Arbeit fortsetzen.“<br />

Water.org bietet hierfür ein Investitionsprogramm<br />

(sogenannte Water-<br />

Equities), das die Ziele von Kreditnehmern<br />

und Kapitalgebern vereint,<br />

indem es den Bedürftigsten notwenige<br />

Finanzmittel gewährt, während<br />

Investoren durch Renditen (etwa 3,5<br />

Prozent) ebenfalls davon profitieren.<br />

Mit jedem Jahr setzt sich die Vision<br />

der Gründer ein Stück mehr in die Tat<br />

um. Damon: „Die Darlehen zahlen sich<br />

zwischen 97 und 99 Prozent aus, mein<br />

Mitbegründer kam auf diese geniale<br />

Idee. Damit werden nicht nur Leben<br />

verändert, sondern auch sichere Renditen<br />

geboten.“<br />

Das durchschnittlich aufgenommene<br />

Darlehen beläuft sich auf rund 300<br />

US-Dollar. Inzwischen sind fast 2,5<br />

Millionen dieser Kredite ausgegeben<br />

worden. Doch es bleibt viel Arbeit:<br />

Nach neuesten Angaben der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) haben<br />

rund 850 Millionen Menschen weltweit<br />

auch heute noch keinen Zugang<br />

zu grundlegender <strong>Wasser</strong>versorgung.<br />

Dies kommt zum Teil daher, dass<br />

die Distribution, die Qualität und der<br />

Preis des <strong>Wasser</strong>s immer als lokales<br />

Problem wahrgenommen wird. Das<br />

führt dazu, dass es auf Seiten der<br />

Vereinten Nationen keine Anlaufstelle<br />

gibt, die sich ausschließlich mit<br />

<strong>Wasser</strong>fragen befasst. Stattdessen<br />

überwachen, strukturieren und stellen<br />

über 30 UN-Organisationen ihre<br />

jeweils eigenen <strong>Wasser</strong>- und Sanitärprogramme<br />

zusammen.<br />

„Wahrscheinlich soll es so sein: Wenn<br />

wir <strong>Wasser</strong> als lokales Projekt begreifen,<br />

dann können wir auf dieser Ebene<br />

die Feinheiten besser klären“, stimmt<br />

Damon zu. „Das einzige, was global<br />

bleiben muss, ist das Bewusstsein,<br />

und dazu können wir alle beitragen:<br />

Wir schreiten gemeinsam voran.“<br />

Im Jahr 2018 geriet das Projekt heftig<br />

in die Kritik, als „Water.org“ während<br />

des Super Bowl Finales einen<br />

gemeinsamen Werbespot mit Stella<br />

Artois ausstrahlte. Die Getränkemarke<br />

erklärte sich in der sogenannten<br />

„Taps“-Kampagne dazu bereit, für<br />

jedes verkaufte, 13 US-Dollar teure<br />

Trinkglas 3,13 US-Dollar zu spenden.<br />

Mit jedem erworbenen Glas sollte<br />

der <strong>Wasser</strong>bedarf einer Person in einem<br />

Entwicklungsland für fünf Jahre<br />

finanziert werden.<br />

Social-Media-Nutzer, <strong>Wasser</strong>experten<br />

und Zahlenakrobaten stellten diese<br />

Kennzahlen jedoch sehr schnell in<br />

Frage. Außerdem zweifelten sie an der<br />

Glaubwürdigkeit der Werbeaktion, die<br />

nicht eindeutig klarstellte, dass das<br />

<strong>Wasser</strong> nicht direkt an die Haustüren<br />

derjenigen gebracht werde würde, die<br />

es benötigten. Die Skepsis beweist<br />

in diesem Fall allerdings nicht, dass<br />

„Water.org“, Stella Artois oder Matt<br />

Damon (in seiner leidenschaftlichen<br />

Werbeansprache) in irgendeiner Weise<br />

unaufrichtig waren oder dass ihre<br />

angegebenen Zahlen nicht gerechtfertigt<br />

und verifiziert werden konnten;<br />

vielmehr wurde deutlich, dass wir in<br />

einer Zeit leben, in der Fakten besser<br />

überprüft werden können als je zuvor.<br />

In Zeiten, in denen jeder über einen<br />

Internetzugang verfügt, müssen<br />

Organisationen ihre Botschaften noch<br />

präziser, wohlüberlegter und auf<br />

potenzielle Kritik hin überprüfen.<br />

„Es enttäuscht mich, dass es Leute<br />

manchmal darauf anlegen, Gesten der<br />

Hilfe falsch zu interpretieren“, sagt<br />

Damon. „Hautfarbe, Armutsgrad oder<br />

Herkunft dürfen keine Rolle spielen –<br />

wir sollten die Thematik stattdessen<br />

unter den simpelsten Gesichtspunkten<br />

betrachten: Diese Menschen brauchen<br />

Hilfe, und wenn es umgekehrt<br />

wäre, würden wir hoffen, sie würden<br />

uns auch helfen.“<br />

Er fährt fort: „Wir wollen weder Lob<br />

noch Publicity. Stattdessen möchten<br />

wir sicherstellen, dass irgendwann<br />

genug getan wurde, damit hoffentlich<br />

kein Kind eines Glases <strong>Wasser</strong> wegen<br />

leiden muss.<br />

Ein Scheitern in dieser Sache wäre<br />

katastrophal, da es sich bei <strong>Wasser</strong><br />

um viel mehr handelt als nur darum,<br />

den <strong>Wasser</strong>hahn aufzudrehen. Das<br />

<strong>Wasser</strong> nimmt einen erheblichen Einfluss<br />

auf den Klimawandel, die Hygienestandards,<br />

den Erwerbstätigkeitsgrad,<br />

den Urbanisierungsprozess, die<br />

Menschenrechte, die Ernährung wie<br />

auch die Geschlechtergleichstellung.<br />

Es ist die Quelle des Lebens und nicht<br />

bloß ein Schluck aus einem Glas.“ f<br />

Aus dem Englischen<br />

von Darja Ljubin<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

27


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: khandrola / istock.com<br />

28 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

<strong>Wasser</strong>krise Indien:<br />

„Wir bekommen,<br />

was wir verdienen“<br />

Einmal im Jahr wird Indien daran erinnert,<br />

dass die Katastrophe schon da ist. Sie ist<br />

zum großen Teil selbstverschuldet.<br />

Von Gilbert Kolonko<br />

Dass es in Indien heiß ist und<br />

der Asphalt schmilzt, generierte<br />

diesen Sommer nur in<br />

wenigen deutschen Medien<br />

Schlagzeilen, denn das ist es um diese<br />

Zeit dort jedes Jahr.<br />

Dafür schaffte es die südindische Metropole<br />

Chennai bei uns in die Nachrichten.<br />

Dort soll das <strong>Wasser</strong> für die<br />

10 Millionen Bewohner nun per Zug<br />

aus dem benachbarten Bundesstaat<br />

Kerala kommen, weil die eigenen<br />

<strong>Wasser</strong>reserven aufgebraucht sind.<br />

Dass der auch dieses Jahr zu spät eintreffende<br />

Monsun in Chennai zum<br />

<strong>Wasser</strong>problem beiträgt, trifft zu,<br />

doch hat die lokale <strong>Wasser</strong>krise auch<br />

vorwiegend lokale Ursachen: Die sich<br />

ehemals über 200 Quadratkilometer<br />

erstreckenden Feuchtgebiete vor den<br />

Toren der Stadt waren bis 1980 'moderat'<br />

geschrumpft, auf eine Fläche von<br />

186,3 km 2 . Heute weisen sie aber >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

29


<strong>Wasser</strong><br />

„Lernt aus<br />

unseren<br />

Fehlern und<br />

stoppt die<br />

Zerstörung<br />

der Feuchtgebiete<br />

in<br />

Kolkata“<br />

nur noch 15 Prozent ihrer einstigen<br />

Größe auf, wie eine Studie des Care-<br />

Earth Trust aufzeigt. Hauptgründe<br />

sind der Boom von IT-Unternehmen<br />

im Süden von Chennai und allgemein<br />

das Wachstum des Immobilienmarktes.<br />

So werden 35 Prozent des <strong>Wasser</strong>s<br />

für die wachsende Bevölkerung<br />

Chennais vom 235 Kilometer entfernten<br />

Veeranam-See herangepumpt.<br />

Zusätzlich wird massiv Grundwasser<br />

abgezapft. Wegen der Verdichtung<br />

der Metropole haben sich die Grundwasserstöcke<br />

nicht wieder aufgefüllt<br />

und dürften in naher Zukunft komplett<br />

leer sein.<br />

Im Jahr 2015 kam es in Chennai durch<br />

starken Regen zu großen Überflutungen.<br />

Früher nahmen die Feuchtgebiete<br />

mit ihren Seen und Zuläufen einen<br />

großen Teil des <strong>Wasser</strong>s auf, linderten<br />

damit die Flutschäden und agierten<br />

als Speicher.<br />

Heute nehmen die Verantwortlichen<br />

nicht einmal die Gelegenheit wahr,<br />

größere Mengen Regenwasser zu<br />

nutzen. Zwar werden in Chennai seit<br />

2001 Anstrengungen unternommen,<br />

Regenwasser zu speichern, doch bisher<br />

schafft es die Regierung nicht,<br />

die Einhaltung der neugeschaffenen<br />

Gesetze, etwa Bauvorschriften, zu<br />

kontrollieren. So wird zwar in nachahmenswerten<br />

Einzelfällen <strong>Wasser</strong><br />

gespeichert, doch bleibt das unsystematisch.<br />

„Die Regierung von Tamil<br />

Nadu braucht einen <strong>Wasser</strong>plan für<br />

den Bundesstaat und für Chennai“,<br />

sagt Dr. Avilash Roul vom Indian Institute<br />

of Technology (IIT) aus<br />

Chennai gegenüber Telepolis und<br />

fährt fort: „Chennai benötigt jeden Tag<br />

1.200 Millionen Liter <strong>Wasser</strong>. Doch<br />

aktuell kann die Regierung nur 550<br />

Millionen Liter liefern. Im Jahr 2030<br />

wird Chennai sogar 2.100 Millionen<br />

Liter pro Tag benötigen.“ Dann erklärt<br />

Roul, warum die Regierung endlich<br />

ihre gesammelten <strong>Wasser</strong>daten mit<br />

der Öffentlichkeit teilen müsse: „Viele<br />

verschiedene Organisationen versuchen,<br />

die <strong>Wasser</strong>krise zu lösen. Im<br />

Kleinen die deutsche GIZ, oder die holländische<br />

Regierung, die selbst einige<br />

<strong>Wasser</strong>-Projekte ausführt. Auch das<br />

IIT-Institut versucht seinen Teil zur<br />

Lösung beizutragen, obwohl es selbst<br />

Probleme hat und es auf seinem Campus<br />

nicht genug <strong>Wasser</strong> gibt. Doch<br />

damit diese Projekte nicht mit denen<br />

der großen Player, der diversen Entwicklungsbanken<br />

kollidieren, braucht<br />

es einen Gesamtplan der Regierung.“<br />

Dann mahnt Roul an, die Feuchtgebiete<br />

Chennais Stück für Stück zurückzugewinnen<br />

und gibt dem Bundesstaat<br />

West-Bengalen einen Rat: „Lernt<br />

aus unseren Fehlern und stoppt die<br />

Zerstörung der Feuchtgebiete in Kolkata“,<br />

um abschließend zu betonen,<br />

dass nicht nur Chennai einen Plan für<br />

die Bewältigung der <strong>Wasser</strong>krise benötige,<br />

sondern das ganze Land. „Der<br />

30 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Schon nach einer<br />

halben Stunde<br />

Regen stehen<br />

indische Städte<br />

wegen Versiegelung<br />

der Böden<br />

und verstopfter<br />

Gullys unter<br />

<strong>Wasser</strong>.<br />

Eine öffentliche<br />

Fähre in Kolkata –<br />

die Regierung<br />

schafft es kaum,<br />

die staatlichen<br />

Angebote instand<br />

zu halten, aber will<br />

die Geografie des<br />

Landes auf den<br />

Kopf stellen.<br />

Kolkatas<br />

Feuchtgebiete<br />

müssen dem<br />

Wachstum<br />

weichen.<br />

Fotos: Gilbert Kolonko<br />

jüngste nationale <strong>Wasser</strong>plan für Indien<br />

stammt aus dem Jahr 2012.“<br />

Einen Plan gibt es auch in West-Bengalen<br />

nicht. Wie schon mehrmals auf<br />

Telepolis berichtet, wird in Kolkata<br />

jeden Tag ein weiteres Stück der<br />

Feuchtgebiete dem Wirtschaftswachstum<br />

geopfert. Dies obwohl die Feuchtgebiete<br />

der Hauptstadt West-Bengalens<br />

die Abwässer von Millionen von<br />

Menschen reinigen und das Klima moderieren.<br />

Laut einer Studie der Weltbank<br />

wird Kolkata in der Zukunft eine<br />

von zehn Städten sein, die die Folgen<br />

der Klimakrise am meisten zu spüren<br />

bekommen werden – und die Autoren<br />

erwähnen sogar, dass die Armen am<br />

meisten darunter leiden.<br />

Doch nicht nur in Bengalen oder<br />

Tamil Nadu haben die Verantwortlichen<br />

seit Jahren die Augen verschlossen;<br />

21 indischen Städten soll bis<br />

2020 das Grundwasser ausgehen, darunter<br />

auch der Hauptstadt New Delhi,<br />

sagt eine Studie des regierungsnahen<br />

Thinkthanks Niti Aayog. Die Studie<br />

prognostiziert, im Jahr 2030 würden<br />

40 Prozent der indischen Bevölkerung<br />

keinen Zugang zu Trinkwasser mehr<br />

haben.<br />

„Wir bekommen, was wir verdienen“,<br />

erklärt der Aktivist Pratip Nag aus<br />

Kolkata: „Indien ist kein Land unschuldiger,<br />

des Lesens und Schreibens<br />

unkundiger Eingeborener – in<br />

den Großstädten sind 90 Prozent der<br />

Bevölkerung alphabetisiert. Aber<br />

genau diese angeblich gebildeten<br />

Großstädter aus der aufstrebenden<br />

Mittelklasse sind es, die nur das eigene<br />

Vorankommen interessiert, dazu<br />

Konsum und die Anhäufung von Luxusgütern.<br />

Vor zwei Monaten haben<br />

sie wieder einen Mann zum Premierminister<br />

gewählt, der nichts zu bieten<br />

hat außer Populismus und Nationalismus.“<br />

Nag fügt an, Narendra Modi<br />

habe nichts dafür unternommen, die<br />

Verschmutzung der Flüsse oder der<br />

Luft zu stoppen oder ein anderes der<br />

elementaren Probleme Indiens anzugehen<br />

und nennt als Beispiel dafür,<br />

dass Indien die höchste Arbeitslosenzahl<br />

seit 47 Jahren aufweise.<br />

Auch ein Blick nach Neu-Delhi zeigt,<br />

was Nag meint. Dort regiert die Aam<br />

Aadmi Party (AAP), die 2012 aus einer<br />

Antikorruptions-Bewegung heraus<br />

entstand und drei Jahre später<br />

67 von 70 Sitzen im Stadtparlament<br />

gewinnen konnte. Mittlerweile machen<br />

immer mehr Hauptstädter die<br />

AAP dafür verantwortlich, dass Delhi<br />

das <strong>Wasser</strong> ausgeht und der Fluss der<br />

Hauptstadt, der Yamuna, immer noch<br />

eine Kloake ist. Für beides ist aber die<br />

Zentralregierung zuständig. Auch in<br />

Sachen Luftverschmutzung hat keine<br />

Regierung Delhis je so viel versucht,<br />

wie die AAP. Sie verbot für das Lichterfest<br />

Diwali, während dem die gesamte<br />

Metropole für Tage in Rauchschwaden<br />

gehüllt zu sein pflegte, den Verkauf<br />

von Feuerwerk. Unter der Woche<br />

dürfen Fahrzeuge nur im tagweisen<br />

Wechsel auf Delhis Straßen fahren,<br />

entsprechend ungerader oder gerader<br />

Anfangszahl auf ihrem Nummernschild.<br />

Alte Diesellaster werden seit<br />

2017 nicht mehr in die Stadt gelassen,<br />

Arbeiten auf Baustellen wurden eingestellt.<br />

Die AAP trifft keine Schuld<br />

daran, dass jedes Jahr im November<br />

die Bauern in den umliegenden Bundestaaten<br />

Punjab und Haryana die<br />

Stoppeln auf ihren Feldern abbrennen<br />

und Delhi so von einer Rauchwolke<br />

eingehüllt wird. Die Bauern können es<br />

sich nicht leisten, die Überbleibsel der<br />

Pflanzen auf umweltschonende Weise<br />

zu entsorgen.<br />

So hätten die Wähler Delhis eigentlich<br />

bei den Parlamentswahlen 2019<br />

die Zentral-Regierung abstrafen müssen,<br />

stattdessen gewann Modis >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

31


<strong>Wasser</strong><br />

Der Yamuna<br />

Fluss in Delhi<br />

Fotos: Gilbert Kolonko<br />

Sandraub aus<br />

indischen<br />

Flüssen und<br />

eine tatenlose<br />

Regierung mit<br />

gefährlichen<br />

Träumen<br />

Bharatiya Janata Party (BJP) in Delhi<br />

alle sieben Sitze. Dass sich Indiens<br />

Wähler nicht von Fakten beeinflussen<br />

lassen, zeigte auch eine Studie<br />

des Umweltministeriums; nach vier<br />

Modi Jahren war der Ganges an vielen<br />

Stellen dreckiger als 2014. In Zukunft<br />

wird es solche <strong>Wasser</strong>-Studien wohl<br />

nicht mehr geben, denn das Umweltministerium<br />

musste die Aufsicht über<br />

die Flüsse an das <strong>Wasser</strong>-Ministerium<br />

abtreten. Dieses ist nach der Parlamentswahl<br />

2019 in Jal-Shakti-Ministerium<br />

umbenannt worden und plant<br />

nun das größte Bewässerungsinfrastruktur-Programm<br />

der Erde – die<br />

Vernetzung von Flüssen und <strong>Wasser</strong>reservoirs<br />

in ganz Indien. Dabei sollen<br />

3.000 zusätzliche Staudämme und<br />

15.000 Kilometer neue, die 30 großen<br />

Flüsse Indiens miteinander verbindende<br />

Kanäle entstehen, um auch die<br />

Großstädte mit <strong>Wasser</strong> zu versorgen.<br />

Ähnliche Pläne gab es auch schon<br />

früher, doch 1999 lehnte die National<br />

Commission for Water Resource<br />

Development so etwas nach intensiver<br />

Prüfung ab, da die Auswirkungen<br />

auf Natur und Umwelt nicht absehbar<br />

sind. Nun befürwortet Mukesh<br />

Ambani diese Pläne, der Besitzer des<br />

Konzerns Reliance Industries Limited,<br />

der von Narendra Modi in den<br />

letzten Jahren mit einer Reihe von<br />

Staatsaufträgen bedacht wurde. Doch<br />

dass bei solchen massiven Eingriffen<br />

in die Natur auf einen Konzernchef<br />

gehört werden sollte, bezweifelt Dr.<br />

Gopal Krishna von Toxicwatch: „Dass<br />

natürliche Flüsse in ein künstliches<br />

Netzwerk verwandelt werden können,<br />

heißt nicht, dass man einfach <strong>Wasser</strong><br />

von A nach B transportieren kann, wie<br />

es mit Containern getan wird. Flüsse<br />

sind nicht einfach ,Dinge‘, in denen<br />

<strong>Wasser</strong> fließt, sie sind ein Teil der<br />

Dynamik der Umwelt, die sie umgibt.<br />

Die derart groß angelegte Umleitung<br />

der Flüsse wird Teilen Indiens das bescheren,<br />

was dem Aralsee widerfahren<br />

ist.“ Das heißt die Austrocknung.<br />

Auf die Behauptung der Befürworter<br />

der Mega-Flussumleitungen, es würde<br />

Indien viel kosten, das Projekt nicht<br />

in Angriff zu nehmen, antwortete Dr.<br />

Krishna mit einigen Fragen, die das<br />

South Asia Network of Dams, Rivers<br />

& People (SANDRP) stellt: Was kostet<br />

die Vernachlässigung des Regenwasser-Erntepotenzials<br />

in den indischen<br />

32 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Flusseinzugsgebieten, einschließlich<br />

der Austrocknung der Grundwasserstöcke<br />

in den Städten? Was kostet die<br />

Vernachlässigung der Wartung von<br />

Entwässerungssystemen in landwirtschaftlichen<br />

Gebieten? Was kostet die<br />

Verschmutzung der indischen Süßwassersysteme?<br />

Was kostet Indien die<br />

Exportgewinne der wasserintensiven,<br />

indirekt vom Staat subventionierten<br />

Zuckerindustrie? Und zusätzlich fragt<br />

Dr. Krishna, was es Indien kostet,<br />

wenn eine Generation von Kindern<br />

wie in New Delhi wegen Luftverschmutzung<br />

mit kleineren Lungen<br />

aufwächst als ihre Altersgenossen in<br />

der westlichen Welt.<br />

In ein paar Wochen wird die <strong>Wasser</strong>krise<br />

in Indien wieder für 10 Monate<br />

aus den Medien verschwunden sein.<br />

Auch in Chennai gehen seit Dienstag<br />

die ersten Monsunschauer nieder. In<br />

den nächsten Wochen werden dann<br />

aus Indien vorwiegend Meldungen<br />

von Überschwemmungen zu lesen<br />

sein, wie auch aus Bangladesch, Nepal<br />

und Pakistan – im letzten Winter<br />

hat es außergewöhnlich viel geschneit<br />

im Himalaya und Karakorum. Dazu<br />

ticken in Indiens nördlichen Bergstaaten<br />

etliche Zeitbomben, Hunderte von<br />

Erdrutschen und auslaufgefährdeten<br />

Gletscherseen bedrohte Staudämme.<br />

Nach Schätzungen wurden dieses<br />

Jahr im nordwestlichen Bundesstaat<br />

Uttarkhand alleine auf der 770 km langen<br />

Strecke zwischen Rishikesh und<br />

Srinagar 19 Millionen Tonnen Erde<br />

bewegt und Tausende von Bäumen gefällt,<br />

um es mehr indischen Touristen<br />

zu ermöglichen, schneller in ihre Sommerurlaubsgebiete<br />

zu gelangen.<br />

Was Monsun und Erosion entblößter<br />

Zonen anrichten können, zeigte<br />

sich 2013, als Überschwemmungen<br />

und Erdrutsche im Tempelparadies<br />

Uttarkhand 1.000 Menschen das Leben<br />

kosteten.<br />

Was eine damals 28-jährige Australierin<br />

erzählte, die sich während des<br />

Unglücks in den Bergen Uttarkhands<br />

aufhielt, überraschte mich nicht:<br />

„Zwar waren Brücken und viele Wege<br />

weggespült worden, aber schon leichtes<br />

Trekking über Erdhügel half mir,<br />

wieder ins Tal zu gelangen. Doch viele<br />

indische Touristen waren körperlich<br />

nicht einmal fähig, die kleinste Anhöhe<br />

zu erklimmen.“ Wie auch? Wer<br />

möchte schon bei bis zu 999 Mikrogramm<br />

Feinstaub (Partikelgröße 2,5)<br />

in Indiens Großstädten Joggen gehen –<br />

mehr zeigen die Feinstaubmessgeräte<br />

in Indien glücklicherweise nicht an…<br />

So verstehen viele indische Wochenend-Touristen<br />

unter Trekking auch<br />

nicht Laufen, sondern einen Ausflug<br />

in die Berge mit dem Jeep, sogenanntes<br />

Jeep-Trecking. Dass in diesem Teil<br />

der Erde eine von der Natur völlig entfremdete<br />

Mittelklasse heranwächst,<br />

ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache.<br />

Eine Generation, die sich anscheinend<br />

so sehr an Lärm, Dreck und<br />

verpestete Luft gewöhnt hat, dass sie<br />

glaubt, das Äußerste an Natürlichkeit<br />

im öffentlichen Raum sei eine saubere<br />

und klimatisierte Shopping-Mall.<br />

Ausnahmen gibt es natürlich auch in<br />

Indien.<br />

Um dieser Entwicklung zu begegnen,<br />

sind eigentlich Schulen und Medien<br />

da. Indiens Schulen werden jedoch<br />

immer mehr privatisiert und sind daher<br />

gewinnorientiert. Wichtig ist, die<br />

Lernenden mit Fähigkeiten auszustatten,<br />

die hilfreich sind, um einen gut<br />

bezahlten Job zu ergattern. Was die<br />

Qualität der Medien anbelangt, ist ein<br />

Blick auf den Index der Pressefreiheit<br />

2019 erhellend; Indien ist unter 180<br />

Ländern auf Platz 140 abgerutscht<br />

(Pakistan 142., Bangladesch 150.).<br />

Was<br />

kostet die<br />

Verschmutzung<br />

der<br />

indischen<br />

Süßwassersysteme?<br />

Spätestens ab Oktober werden in<br />

den deutschsprachigen Medien wieder<br />

die üblichen Schlagzeilen zu den<br />

Chancen der deutschen Wirtschaft<br />

auf einem boomenden Riesen-Markt<br />

auftauchen. Artikel über die dreckigen<br />

Ledergerbereien Kolkatas und<br />

Chennais eher nicht, schließlich ist<br />

die EU mit Deutschland und Italien an<br />

der Spitze der größte Abnehmer der<br />

Gerbereierzeugnisse Indiens. Ersatzweise<br />

zu Hauf Nachrichten über Einzelschicksale,<br />

wie die Vergewaltigung<br />

einer 100-Jährigen. Im Januar 2019<br />

stellte Neues Deutschland fest, dass<br />

die Suchmaschine bei den Begriffen<br />

'Indien Vergewaltigung' alleine bei<br />

Spiegel Online 367 Artikel „auswarf“.<br />

Unter 'Spiegel Online Indien, Kolkata,<br />

Feuchtgebiete' findet man nichts,<br />

nichts über Indien.<br />

Ab Mai 2020 wird es dann wieder<br />

heiß in Indien, bis im Juni der Asphalt<br />

schmilzt. Das tat er übrigens am<br />

Dienstag (25.6.) auch in Alstedde/Lünen<br />

bei Dortmund. f<br />

Der Artikel erschien<br />

im Original in Telepolis.<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

33


<strong>Wasser</strong><br />

Das 50-Liter-Haus<br />

Duschen, kochen, waschen und vor allem Toilettenspülungen.<br />

Über 160 Liter <strong>Wasser</strong> verbraucht jeder<br />

von uns im Haushalt – jeden Tag. Zu viel, findet<br />

Procter & Gamble. Das Unternehmen steht deshalb mit<br />

an der Spitze eines Programms, das sich einen 50-Liter<br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch je Haushalt zum Ziel gesetzt hat.<br />

Grafik: Salome / stock.adobe.com<br />

Duschen? Maximal eine Minute.<br />

Klospülung? Ein Mal<br />

am Tag. Kochen, putzen,<br />

trinken, <strong>Wasser</strong> für Haustiere,<br />

Blumen gießen? Maximal acht<br />

Liter. Anfang 2018 stand die südafrikanische<br />

Metropole Kapstadt kurz vor<br />

„Day Zero“ – dem Tag, an dem kein<br />

<strong>Wasser</strong> mehr aus dem Hahn kommt.<br />

Schon vorher hatte die Stadtverwaltung<br />

strenge Auflagen für die <strong>Wasser</strong>nutzung<br />

erlassen und die <strong>Wasser</strong>ausgabe<br />

auf gerade einmal 50 Liter pro<br />

Person beschränkt. In allen Haushalt<br />

wurden <strong>Wasser</strong>zähler installiert, die<br />

wöchentlich abgelesen werden. Bei<br />

Verstößen drohen 10.000 Rand Strafe.<br />

Das sind umgerechnet rund 700 Euro.<br />

Seitdem hat sich die <strong>Wasser</strong>situation<br />

am Kap zwar etwas entspannt, aber<br />

die latente Gefahr bleibt bestehen.<br />

Christine Colvin, <strong>Wasser</strong>beauftragte<br />

des WWF Südafrika, warnte in der<br />

34 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Tagesschau: „Wir müssen uns vor Augen<br />

halten, dass Dürren Teil unseres<br />

neuen Alltags sind. Die Gefahr bleibt,<br />

und wir müssen uns auf das nächste<br />

Mal vorbereiten.“<br />

Genau an dieser Stelle setzt ein innovatives<br />

Projekt des Konsumgüterherstellers<br />

Procter & Gamble an: Das<br />

weltweite Programm „50L Home“ zielt<br />

darauf ab, den städtischen <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

im urbanen Leben mit einer<br />

einfachen Frage neu zu erfinden:<br />

„Was wäre, wenn unsere zukünftigen<br />

Häuser mit 50 Litern <strong>Wasser</strong> pro Tag<br />

und Person betrieben werden könnten,<br />

sich aber dennoch „wie 500 Liter<br />

anfühlen“ würden?“ So wie Kapstadt<br />

droht nämlich vielen Metropolen rund<br />

um den Globus in Zukunft ein „Day<br />

Zero“-Szenario. 14 der 20 größten<br />

Städte der Welt erleben bereits <strong>Wasser</strong>knappheit.<br />

Wir sprachen über die Projektidee<br />

und was das alles beinhaltet mit<br />

Frantz Beznik, R&D Director und Head<br />

of Sustainable Innovation bei P&G. Mit<br />

mehr als 20 Jahren Erfahrung in der<br />

Forschung und Entwicklung von P&G<br />

ist Beznik ein unermüdlicher Streiter<br />

für Nachhaltigkeitsfragen in verschiedenen<br />

Kategorien und P&G-Milliarden-Dollar-Marken<br />

(Ariel/Tide, Mr<br />

Clean/Meister Proper etc.). So hat<br />

er unter anderem die Themen Cold-<br />

Washing und Einzeldosierung durch<br />

„Ariel-Pods“ ins Leben gerufen.<br />

Beznik sagt von sich selbst, seine<br />

Leidenschaft sei es, „Innovationsgrenzen<br />

auf Make Sustainable Irresistible<br />

anzuheben“. Dafür hat er<br />

neue Ansätze entwickelt, um Ideen<br />

und Innovationen zu inspirieren, die<br />

„für den Verbraucher im Kern wirklich<br />

unwiderstehlich sind und somit<br />

zu unwiderstehlichen Angeboten für<br />

das Unternehmen führen“. Der Weg<br />

dahin sei es, zunächst die wichtigen<br />

Zukunftsfragen zu stellen und daraufhin<br />

Ziele für P&G in Richtung eines<br />

verantwortungsbewussten Konsums<br />

bis 2030 zu definieren.<br />

>><br />

Durchschnittlicher <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

in einem Privathaushalt<br />

Deutschland<br />

Kapstadt<br />

Toilettenspülung 47 l 9 l<br />

Baden/duschen 32 l 10 l<br />

Wasch-/<br />

Spülmaschine<br />

Kochen, trinken,<br />

Geschirr spülen,<br />

putzen<br />

Körperpflege/<br />

Hände waschen<br />

34 l 10 l<br />

24 l 18 l<br />

21 l 2 l<br />

Sonstiges 4 l 1 l<br />

Summe 162 l 50 l<br />

Quelle: Fraunhofer IKTS, Capetown Government/Thinkwater<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

35


<strong>Wasser</strong><br />

“<br />

<strong>Wasser</strong><br />

ist das<br />

neue<br />

Gold.<br />

Frantz Beznik, R&D Director<br />

und Head of Sustainable<br />

Innovation bei P&G<br />

UmweltDialog: 50 Liter pro Person<br />

und Haushalt, das bedeutet derzeit<br />

erhebliche Einschränkungen. Wie<br />

wollen Sie uns darauf vorbereiten?<br />

Frantz Beznik: Das „50l-Home“-Projekt<br />

ist eine Inspiration und eine Ambition<br />

zugleich. Derzeit gibt es keine<br />

Science-based targets für <strong>Wasser</strong>, an<br />

denen wir uns orientieren können.<br />

Aber 50 Liter <strong>Wasser</strong>verbrauch pro<br />

Person war die Vorgabe in Kapstadt.<br />

Wir haben deshalb diesen Wert als<br />

Grundlage genommen und uns gefragt:<br />

Was bedeutet es für Privathaushalte,<br />

wenn wir diesen Wert<br />

langfristig als normal voraussetzen?<br />

Es gibt heute innerhalb der Fachwelt<br />

und insbesondere den <strong>Wasser</strong>versorgungsgesellschaften<br />

einen Konsens,<br />

dass der Verbrauchswert unter 100<br />

Litern <strong>Wasser</strong> pro Person und Tag<br />

liegen kann und sollte. Das Ziel ist,<br />

den Verbrauch auf durchschnittlich<br />

80 Liter bis 2040 zu senken. Für die<br />

Zeit danach müssen wir die 50 Liter<br />

anpeilen. Das sind zwar keine wissenschaftlichen<br />

Ziele, aber es sind<br />

ambitionierte Ziele. Und das ist gut so,<br />

denn es bewirkt, dass Innovation und<br />

Ideen freigesetzt werden, um aus der<br />

Vision Realität zu machen. Diese Idee<br />

greift weit über die Handlungsfelder<br />

von P&G hinaus. Deshalb streben wir<br />

übergreifend öffentlich-private Partnerschaften<br />

an, um neue, mutige Lösungen<br />

zu entwickeln, die ein Leben<br />

mit 50 Liter <strong>Wasser</strong> am Tag als Standard<br />

von morgen wirklich attraktiv<br />

machen.<br />

Der Zusammenhang zwischen <strong>Wasser</strong><br />

und Klimawandel ist offensichtlich<br />

und wird auch immer stärker<br />

von Investoren eingeplant. Das zeigt<br />

auch die Ausrichtung des Carbon Disclosure<br />

Projects (CDP). Sind das für<br />

Sie die Treiber des Umdenkens?<br />

Beznik: <strong>Wasser</strong> ist das neue Gold. Natürlich<br />

sind Kapitalmärkte wichtige<br />

Treiber. Andere sind zivilgesellschaftliche<br />

Akteure. Dabei fällt auf, dass<br />

nicht immer alle Bereiche ausgeleuchtet<br />

werden. Einigen Nichtregierungsorganisationen<br />

geht es vor allem um<br />

die Bewahrung der <strong>Wasser</strong>reservoirs.<br />

Sie haben einen ökologischen Blick<br />

auf das Thema. Andere wiederum beschäftigen<br />

sich mit dem Zugang zu<br />

<strong>Wasser</strong>, etwa im ländlichen Raum und<br />

in Entwicklungszonen. Hier stehen<br />

soziale Fragen im Mittelpunkt.<br />

Wir ergänzen das mit dem Blick auf<br />

die Privathaushalte. Neben der Landwirtschaft<br />

ist das nämlich das größte<br />

Verbrauchssegment. Immer mehr<br />

Menschen ziehen außerdem in die<br />

Städte, und deshalb werden Fragen<br />

zum <strong>Wasser</strong>verbrauch in Privathaushalten<br />

in immer mehr Städten existenziell.<br />

Foto: P&G<br />

Vielerorts kommt dann oft noch die<br />

schlechte Infrastruktur dazu. Viel zu<br />

viel <strong>Wasser</strong> geht auf dem Transportweg<br />

verloren. Müssen da nicht erst<br />

mal die Kommunen ihre Hausaufgaben<br />

machen, bevor wir unser persönliches<br />

Dusch- und Waschverhalten<br />

ändern?<br />

36 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Beznik: Das ist absolut richtig, und<br />

deshalb sprechen wir hier auch von<br />

einem notwendigen Systemwechsel.<br />

Es reicht absolut nicht aus, wenn wir<br />

als P&G neue Produkte entwickeln,<br />

die soundso viel weniger <strong>Wasser</strong> verbrauchen.<br />

Das ist zwar sehr wichtig,<br />

aber wir müssen auch die Häuser und<br />

Wohnungen selbst mit einbeziehen.<br />

Wir müssen die <strong>Wasser</strong>leitungen<br />

und das ganze Leitungssystem im<br />

Haus verbessern. Deshalb schauen<br />

wir beim 50l-Home Projekt auf das<br />

gesamte Bild und nicht nur einzelne<br />

Aspekte.<br />

Wie funktioniert das 50l Home<br />

Projekt ganz konkret?<br />

Beznik: Wir beschäftigen uns mit der<br />

Optimierung der <strong>Wasser</strong>kreisläufe<br />

und <strong>Wasser</strong>verbräuche vor allem bei<br />

Neubauten, aber auch bei Bestandsimmobilien.<br />

Wir gehen dabei der Frage<br />

nach, wie wir das Thema Bauen neu<br />

denken und angehen müssen. Ein<br />

Haus bauen bedeutet nämlich viel<br />

mehr als nur die äußere Hülle errichten.<br />

Es gibt bereits enorme Fortschritte bei<br />

der Errichtung sogenannter Null-Emissions-Häuser<br />

und sogar beim Aspekt<br />

der Null-Emissions-Produktion der<br />

Baubestandteile. Das ist alles die Hülle,<br />

wenn Sie so wollen. Aber was passiert<br />

danach? Dann werden oft völlig<br />

dumme und überholte Technologien<br />

in diese Häuser eingebaut. Ich denke<br />

da an Hausgeräte, Boiler etc. Das alles<br />

verursacht Konsum-basierte Emissionen<br />

und die emittieren dann anschließend<br />

das Vielfache an CO 2<br />

, das vorher<br />

beim Bau mühsam eingespart wurde.<br />

Diese Fehler müssen wir vermeiden.<br />

Wir müssen das Thema ganzheitlich<br />

betrachten.<br />

Bei <strong>Wasser</strong> etwa geht es um geschlossene<br />

<strong>Wasser</strong>kreisläufe, kurze <strong>Wasser</strong>wege<br />

im Haus sowie um eine effizientere<br />

und auch mehrfache Nutzung<br />

von <strong>Wasser</strong>. Nehmen wir das Beispiel<br />

Duschen: Nur die ersten Minuten fällt<br />

wirklich schmutziges Abwasser an.<br />

Das meiste <strong>Wasser</strong> ist kaum verunreinigt.<br />

Für Toilettenspülungen reicht<br />

es vollkommen aus. Dafür müssen wir<br />

kein Trinkwasser vergeuden. Wir müssen<br />

die zu- und abgehenden Leitungen<br />

im Haus so verlegen, dass Duschwasser<br />

für Sanitäreinrichtungen gesammelt<br />

und genutzt werden kann.<br />

Wie gehen Sie dabei vor?<br />

Beznik: Wir bemühen uns sehr aktiv<br />

darum, Unternehmen, Entscheidungsträger,<br />

Influencer und Communities<br />

zusammenzubringen und bilden dabei<br />

die gesamte Kette beim <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

ab. Unser Ziel ist es, einen<br />

niedrigeren <strong>Wasser</strong>verbrauch zuhause<br />

in den Fokus der Aufmerksamkeit<br />

zu rücken. Darüber hinaus entwickeln<br />

wir gemeinsam konkrete Pilotprojekte,<br />

um das Leben mit 50 Litern <strong>Wasser</strong><br />

am Tag in Städten überzeugend<br />

zu demonstrieren. Wir werden das<br />

am Beispiel von städtischen Wohnungen,<br />

Hochhäusern und sogar einem<br />

gesamten Stadtviertel an verschiedenen<br />

Orten weltweit testen. Auf diese<br />

Weise werden wir lernen, wie man die<br />

Grundidee global skaliert.<br />

Häuser bauen oder Leitungen verlegen<br />

ist nun nicht das Geschäft von<br />

Procter & Gamble. Warum beschäftigt<br />

Sie das Thema?<br />

Beznik: Die meisten unserer Produkte<br />

sind mit der Nutzung von <strong>Wasser</strong> im<br />

Haushalt verknüpft. Die Frage, wie<br />

viel <strong>Wasser</strong> zur Verfügung steht, ist<br />

daher elementar. Unter dem Stichwort<br />

Cold Washing beschäftigen wir uns bereits<br />

länger mit den Facetten. Beispiel<br />

Ariel PODs für Waschmaschinen: Mit<br />

Ariel und Tide können Verbraucher<br />

zu Hause viel Energie sparen, indem<br />

sie den Temperaturregler bei jeder<br />

Wäsche nach unten drehen und so bis<br />

zu 50 Prozent weniger Energie als bei<br />

der Warmwäsche verbrauchen. Bis zur<br />

Fertigstellung jedes Produkts waren<br />

Jahre der Innovation und die Zusammenarbeit<br />

mit Partnern nötig. Jedes<br />

Produkt wird durch fortlaufende Kampagnen<br />

in den Geschäften unterstützt,<br />

damit die Käufer den Nachhaltigkeitswert<br />

von Kaltwaschgängen bei gleichzeitig<br />

hoher Leistung kennenlernen.<br />

Der Anteil der Kaltwaschgänge ist seit<br />

2010 von 38 auf 56 Prozent angestiegen.<br />

Wir möchten, dass bis 2020 70<br />

Prozent aller Waschladungen mit kaltem<br />

<strong>Wasser</strong> gewaschen werden.<br />

Anfang des Jahres haben wir außerdem<br />

ein Trockenshampoo und verwandte<br />

Produkte auf den Markt gebracht. Die<br />

Kollektion umfasst ein ultraleichtes<br />

wasserloses Schaumshampoo, ein<br />

wasserloses Trockenshampoo-Spray,<br />

wasserlose Trockenspülungen und<br />

alkoholfreie wasserlose Haar-Erfrischer.<br />

Die Haarpflegekollektion wird<br />

zunächst in Kapstadt eingeführt. Darüber<br />

hinaus planen wir flüssigkeitsfreie<br />

Reinigungsprodukte für den<br />

Haushalt. Die innovative Idee dabei<br />

ist, <strong>Wasser</strong> aus dem Endprodukt zu<br />

entfernen. Das spart außerdem 80<br />

Prozent des Gewichts und gleichzeitig<br />

70 Prozent des Platzbedarfs. f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

37


<strong>Wasser</strong><br />

Nach uns die<br />

Wüste<br />

Von Franziska Dürrmeister<br />

Intensive Landwirtschaft<br />

sichert in Spanien Jobs. Aber<br />

nur kurzfristig. Immer schneller<br />

versiegt das Grundwasser.<br />

„Wir verlieren unwiderruflich<br />

die besten Böden", klagen<br />

Anwohner.<br />

38 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


Foto: Alex Tihonov / stock.adobe.com<br />

<strong>Wasser</strong><br />

Agrarkonzerne graben den Menschen in Südspanien das<br />

<strong>Wasser</strong> ab und hinterlassen plastikverseuchte Wüsten.<br />

Jetzt regt sich Widerstand.<br />

Alejandro Ortuño bremst das Auto ab und rollt im<br />

Schritttempo ein Feld entlang. „Er ist magisch“, sagt er<br />

und blickt auf einen markanten Berg, den Monte Arabí.<br />

Grüne niedrige Bäume heben sich vom ockerfarbenen<br />

Fels ab, der am höchsten Punkt steil abfällt. „Die Leute<br />

hier lieben diesen Ort, diesen Berg“, sagt Ortuño, Leiter<br />

der Umweltinitiative „Salvemos el Arabí y Comarca“. Es<br />

dämmert. Aufgewirbelter Staub leuchtet im Abendlicht.<br />

Auf dem Feld reflektiert etwas die letzten Sonnenstrahlen,<br />

zwischen sattgrünen Brokkolipfanzen funkelt etwas. Es<br />

sind Plastikfetzen, die, wohin man blickt, aus dem kargen<br />

Ackerboden ragen.<br />

In Yecla, in der Provinz Murcia im Südosten Spaniens, ist<br />

die Erde trocken, staubtrocken und verschmutzt. Desertifikation<br />

nennen Wissenschaftler den Prozess, der Ökosysteme<br />

zerstört und Böden unfruchtbar zurücklässt, manche<br />

sprechen auch von Verwüstung. Zwar herrschte hier<br />

schon immer ein trockenes Klima, doch früher betrieben<br />

die Bauern einen ressourcenschonenden Trockenfeldbau<br />

von Wein, Oliven und Mandeln. In den vergangenen Jahren<br />

jedoch haben Konzerne zunehmend Ackerflächen aufgekauft,<br />

um dort Salat, Paprika, Brokkoli und Zitrusfrüchte<br />

zu pflanzen. Früchte, die viel <strong>Wasser</strong> benötigen.<br />

Es ist ein Teufelskreis, der kaum wahrgenommen<br />

wird<br />

<strong>Wasser</strong>, das hier nicht vorhanden ist. In Spanien blüht<br />

das Geschäft der Agrarindustrie, Deutschland ist einer<br />

der Hauptabnehmer der Feldfrüchte. Doch die ganzjährige<br />

Verfügbarkeit von preiswertem Obst und Gemüse hierzulande<br />

geht zu Lasten der Menschen in Spanien, denn die<br />

dortigen <strong>Wasser</strong>vorräte schrumpfen dramatisch. Der Klimawandel<br />

verschärft die Situation. Der Sommer dauert in<br />

Spanien inzwischen durchschnittlich fünf Wochen länger<br />

als in den 80ern, Hitzewellen sind intensiver. In 33 der 50<br />

spanischen Provinzen war es am Donnerstag zeitweise 44<br />

Grad heiß. Es fällt wenig Niederschlag. Im vergange- >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

39


<strong>Wasser</strong><br />

nen Winter regnete es fast gar nicht. Aber nicht nur der Klimawandel<br />

verschärft die Desertifikation, die Desertifikation<br />

verschärft umgekehrt den Klimawandel, da sie natürliche Regenerationskreisläufe<br />

zerstört.<br />

Es ist ein Teufelskreis, der kaum wahrgenommen wird. Viele<br />

Menschen denken bei Desertifikation in Spanien an die sogenannten<br />

Badlands, etwa die Pseudowüste Tabernas in Andalusien.<br />

Sie entstanden vor Tausenden Jahren mit der Verlandung<br />

von Binnenseen nach einer tektonischen Hebung. Die<br />

Erosion der Sedimente hinterließ eine karge Landschaft, die<br />

an eine Wüste erinnert, aber keine ist. „Der Blick auf die Badlands<br />

ist irreführend und der Grund dafür, dass wir Desertifikation<br />

nicht genügend Aufmerksamkeit schenken“, sagt der<br />

Landschaftsökologe Gabriel Del Barrio. Die wirklichen Hotspots<br />

seien die Gewächshäuser in Almería, die kontinentalen<br />

bewässerten Felder oder die Dehesa-Agroforstwirtschaft, bei<br />

der Viehzucht, Bäume und Ackerbau kombiniert werden.<br />

Zurück bleibt Fels<br />

Die Desertifikation in Spanien ist ein für die Menschen existenzbedrohender<br />

Prozess. Er wird häufig zu spät erkannt,<br />

wenn sich die Böden bereits in karge, oft vermüllte und chemisch<br />

verseuchte Brachflächen verwandelt haben, die sich<br />

kaum mehr regenerieren können. „Desertifikation wird oft<br />

über die Auswirkungen definiert, nicht über ihre Ursachen“,<br />

sagt Del Barrio. „Aber <strong>Wasser</strong>mangel, Bodendegradation und<br />

Bodenerosion sind Konsequenzen. Dem, was sie verursacht,<br />

wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt.“<br />

Stattdessen werden die natürlichen Ressourcen bis zum letzten<br />

Tropfen ausgepresst, etwa mit kräftigeren Pumpen oder<br />

Ableitungen von Flüssen. Dieses <strong>Wasser</strong> werde allerdings<br />

nicht genutzt, um das Defizit auszugleichen, sondern um<br />

noch mehr Land zu bewässern und damit alles schlimmer zu<br />

machen, sagt Del Barrio. Dabei sei der erwirtschaftete Profit<br />

anfangs sogar höher, eben weil das System übermäßig genutzt<br />

werde, erklärt der Bodenwissenschaftler Víctor Castillo.<br />

Erst wenn das System kollabiere, realisiere man, dass es sich<br />

nicht erholen kann. „Das ist der Kern von Desertifikation. Man<br />

bringt das System über einen Kipppunkt. Und wenn der Stress<br />

vorbei ist, gibt es kein Zurück mehr.“ Terrassen stürzen zu-<br />

40 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


Foto: philipus / stock.adobe.com<br />

<strong>Wasser</strong><br />

sammen, der Boden versalzt, die natürliche<br />

Pflanzendecke verschwindet,<br />

der Regen spült Nährstoffe und feine<br />

Partikel weg, zurück bleibt Fels.<br />

Viele südeuropäische Länder leiden<br />

unter Desertifikation. In Spanien liegen<br />

die Hotspots Murcia, Almería<br />

und Alicante in der semi-ariden Küstenzone.<br />

Betroffen sind aber auch La<br />

Mancha, Extremadura und das Flusstal<br />

des Ebro. In ganz Spanien entfällt<br />

mittlerweile 80 Prozent des <strong>Wasser</strong>verbrauchs<br />

auf künstliche Bewässerung<br />

in der Landwirtschaft. Deshalb<br />

sinken Flusspegel, gehen Feuchtgebiete<br />

verloren und versiegen Quellen,<br />

erklärt die Biologin Julia Fernández.<br />

„Es ist unmöglich, das alles zu<br />

entfernen.“<br />

Da sich die Bewässerungslandwirtschaft<br />

trotzdem weiter ausbreite,<br />

gebe es inzwischen Hunderttausende<br />

illegale Bohrungen, um an <strong>Wasser</strong> zu<br />

gelangen. „Wir verbrauchen gerade<br />

die Reserven der Grundwasserspeicher.<br />

Trotzdem steigt die Nachfrage.<br />

Das ist absolut nicht nachhaltig<br />

und man weiß nicht, wie viele Jahre<br />

das noch so weitergehen kann“, sagt<br />

Fernández. „Wir verlieren unwiderruflich<br />

die besten und auf natürliche<br />

Weise fruchtbarsten Böden.“<br />

Alejandro Ortuño zeigt auf eine weite<br />

Ackerfläche, die vor alten Olivenhainen<br />

liegt. „All das hier ist neu und<br />

existierte vor 2016 und 2017 nicht.<br />

Zuvor lagen hier kleine Bauernhöfe<br />

mit traditioneller Landwirtschaft.“<br />

Auf denselben Flächen bauen nun<br />

große Firmen Gemüse an, am Rande<br />

der Felder liegen Bewässerungsanlagen.<br />

„Das <strong>Wasser</strong>, das sie nutzen, ist<br />

das <strong>Wasser</strong> unserer Zukunft“, sagt<br />

Ortuño. Zudem werde <strong>Wasser</strong> auch<br />

in andere Gegenden transferiert, etwa<br />

nach Alicante, ebenfalls für die Landwirtschaft,<br />

aber auch für Hotel-, Golfund<br />

andere Freizeitanlagen.<br />

Ortuño steigt wieder ins Auto, fährt<br />

langsam vorbei an graubraunen<br />

Äckern, auf denen schwarze und<br />

transparente Plastikfetzen im Wind<br />

zittern. Vorbei an noch jungen Pflänzchen,<br />

ordentlich in endlose Reihen<br />

eingelassen. Vorbei an einem rot- beigen<br />

Haus. Ein Altenheim, das statt<br />

alte Olivenbäume nun brache Äcker<br />

umgeben. Ein beißender Geruch<br />

schwappt durch das Autofenster.<br />

Auch der Einsatz von Chemikalien bereitet<br />

Ortuño Sorge, die Verwendung<br />

von Plastik, die Überproduktion, die<br />

Arbeitsbedingungen der Feldarbeiter.<br />

„All das ist nicht nachhaltig, es ist<br />

eine Blase, eine Blase der Landwirtschaft“,<br />

sagt der 38-Jährige, eigentlich<br />

ein wortkarger, ruhiger Mensch,<br />

der plötzlich emotional wird: „Ich bin<br />

wütend, traurig und frustriert. All das<br />

Plastik wird im Boden bleiben oder<br />

vom Wind weitergetragen. Es ist unmöglich,<br />

das alles zu entfernen.“<br />

Die Plastikfolien decken die Samen<br />

ab, um den Treibhauseffekt zu nutzen,<br />

Feuchtigkeit und Wärme zu<br />

speichern, sie vor Schädlingen und<br />

Krankheiten zu schützen. Nach Gebrauch<br />

werden die Planen in die Erde<br />

gepflügt und zurückgelassen. „Plastik<br />

ist die technologische Antwort >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

41


<strong>Wasser</strong><br />

auf den <strong>Wasser</strong>mangel“, kommentiert<br />

Gabriel Del Barrio das Vorgehen.<br />

Der Boden unter dem Plastik werde<br />

schließlich ausgebeutet zurückgelassen,<br />

„er ist steril“. Selbst wenn man<br />

das Plastik entfernen und den Boden<br />

sich selbst überlassen würde, könne<br />

sich die Vegetation nicht mehr erholen.<br />

Manchmal sei der Boden von Chemikalien<br />

durchdrungen, das sei noch<br />

schlimmer. Im Extremfall werde, wie<br />

in Almería, gleich in Steinwolle gepflanzt<br />

und Nährstoffe per Flüssigkeit<br />

hinzugefügt.<br />

In der Provinz Murcia leiden ausgerechnet<br />

Trockenbauern am stärksten<br />

unter Desertifikation und Klimawandel,<br />

denn sie sind auf regulären Regen<br />

angewiesen. „Sie arbeiten an der<br />

Grenze des Profitablen und müssen<br />

ansehen, wie die traditionelle Landschaft<br />

verloren geht“, sagt Castillo.<br />

Die neuen Monokulturen bedrohen<br />

das traditionelle Mosaik vielfältiger<br />

Anbauflächen. Die Biobauern Marta<br />

Ortega, 33, und Antonio Bernal Balao,<br />

38, aus Yecla arbeiten noch traditionell.<br />

Sie gehören zur jungen Generation,<br />

die etwas bewegen will. Beide<br />

haben tiefe Wurzeln in der Region,<br />

die eines der bekanntesten Weinbaugebiete<br />

Spaniens ist. „Es änderte sich<br />

in einer sehr kurzen Zeit“, beginnt<br />

Marta zu erzählen. „Zuvor waren<br />

hier Olivenbäume, Mandelbäume,<br />

Weinreben. Aber man ist nie auf Salat<br />

oder Brokkoli gestoßen. Diese neuen<br />

Praktiken begannen vor 15 Jahren.<br />

Die großen Monster kamen vor vier.<br />

In diesen vier Jahren haben wir viel<br />

Boden verloren und viel <strong>Wasser</strong>.“ Bislang<br />

waren die Plastikmeere vor al-<br />

Foto: margarita vazquez / stock.adobe.com<br />

42 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

lem in der Küstenregion um Almería<br />

bekannt, doch sie breiten sich aus,<br />

auch in Yecla.<br />

„Jetzt haben wir Trinkwasser, aber<br />

in ein paar Jahren? Ohne <strong>Wasser</strong> hat<br />

man kein Leben.“<br />

„Es ist eine traurige Situation“, sagt<br />

Ortega. „Landwirtschaft ist eine<br />

wundervolle Arbeit, wenn man die<br />

Verbindung zu den Pflanzen, Bäumen<br />

und Tieren spürt. Mit den neuen<br />

Methoden sieht man kaum mehr<br />

eine andere Pflanze, ein Tier. Und<br />

wenn man eins sieht, denkt man, oh,<br />

ein Überlebender.“ Alte Mandel- und<br />

Weintraubensorten verschwinden,<br />

weil immer weniger Menschen die<br />

Landwirtschaft ihrer Familien fortführen.<br />

Ortega stellt Olivenöl her, Balao<br />

Wein. Zwar halten sie sich an eine<br />

biologische Anbauweise, kompostierten,<br />

pflanzten Bäume. Doch was nutze<br />

das, wenn der Nachbar genau das<br />

Gegenteil mache? „Die Chemikalien<br />

sind im Boden, in der Luft“, sagt Ortega.<br />

Zudem fürchtet sie eine Kontaminierung<br />

des Grundwassers: „Jetzt haben<br />

wir Trinkwasser, aber in ein paar<br />

Jahren? Ohne <strong>Wasser</strong> hat man kein<br />

Leben. Die Firmen werden nicht lange<br />

bleiben, weil sie so nicht dauerhaft arbeiten<br />

können. Das Problem werden<br />

wir hier alle haben.“ Die neue Konkurrenz<br />

durch die Giganten schlaucht<br />

sie auch finanziell. Die Preise auf dem<br />

Markt sinken. „Wenn wir an der jetzigen<br />

Situation nichts ändern, wird es<br />

sehr schwer“, sagt Balao.<br />

Marta Ortega und Antonio Bernal Balao<br />

gehören zu den wenigen Landwirten,<br />

die trotzdem weitermachen und<br />

Gleichgesinnte suchen. „Es ist zwar<br />

noch eine kleine Bewegung - aber mit<br />

viel Kraft“, sagt Ortega. „Wir müssen<br />

Leute motivieren, etwas zu pflanzen.<br />

Wenn du einen Samen pflanzt, siehst,<br />

wie er keimt und wächst, daraus eine<br />

Frucht entsteht, ich finde, das ist<br />

eines der schönsten Dinge auf der<br />

Welt.“ Sie ist optimistisch: „Wir alle<br />

sind Konsumenten, es liegt in unseren<br />

Entscheidungen, welche Zukunft<br />

wir haben.“<br />

Wissenschaftler äußern sich allerdings<br />

vorsichtiger: „Ich glaube, dass<br />

die Situation kontrolliert werden<br />

könnte, aber nicht gecancelt“, sagt<br />

Gabriel Del Barrio. „Landdegradierung<br />

kann nicht rückgängig gemacht<br />

werden.“ Hilfreich wäre, wenn das<br />

Plastik nach der Nutzung ordentlich<br />

entsorgt werde. „Wenn wir Recycling-<br />

Netzwerke schaffen, können wir die<br />

Landdegradierung verlangsamen. Das<br />

ist machbar. Aber ob es von den Politikern<br />

und Stakeholdern angenommen<br />

wird, liegt außer meiner Kontrolle.<br />

Ich bin relativ pessimistisch.“ Seiner<br />

Meinung nach liegt die Lösung bei<br />

nachhaltigen Entwicklungszielen,<br />

etwa dem UN-Nachhaltigkeitsziel<br />

der „Land Degradation Neutrality“<br />

bis 2030. Doch gebe es auf EU-Ebene<br />

noch nicht mal eine einheitliche Methode<br />

für das Monitoring, kritisiert<br />

Del Barrio.<br />

Die ausgehobene Fläche klafft wie<br />

eine Wunde neben dem Berg<br />

Angesichts des Klimawandels rät<br />

Víctor Castillo zur Anpassung. Schon<br />

im Kleinen könne man etwas tun:<br />

Pflanzenbarrieren bauen, Gebiete<br />

wieder bepflanzen und damit die Biodiversität<br />

steigern. Julia Fernández<br />

fordert als Leiterin der <strong>Wasser</strong>- Stiftung<br />

„Fundación Nueva Cultura del<br />

Agua“ vor allem eine „neue <strong>Wasser</strong>kultur“,<br />

eine Kultur der Nachhaltigkeit,<br />

in der <strong>Wasser</strong> als eine der Grundlagen<br />

der Gesellschaft verstanden<br />

wird. „Es ist nicht akzeptabel, dass<br />

es soziale Gewinner und Verlierer<br />

des Klimawandels gibt, die aufgrund<br />

ihrer Wirtschaftskraft identifiziert<br />

werden“, findet Fernández. In der<br />

spanischen Presse äußerte sich einer<br />

der in Yecla tätigen Agrarkonzerne<br />

über das Plastik: Dieses sei biologisch<br />

abbaubar, werde innerhalb von zwölf<br />

Monaten zersetzt. Auf eine Anfrage<br />

der Süddeutschen Zeitung reagierte<br />

der Konzern nicht. Und auch die Regionalverwaltung<br />

Murcia sowie das<br />

Landwirtschaftsministerium und das<br />

Ministerium für ökologischen Wandel<br />

von Spanien nahmen auf Anfrage<br />

keine Stellung zum Plastik oder zum<br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch.<br />

Vor einem Eingriff konnte Alejandro<br />

Ortuño gemeinsam mit anderen Umweltschützern<br />

die Landschaft um den<br />

Monte Arabí immerhin bereits bewahren.<br />

Durch Proteste konnte der Bau<br />

einer industriellen Schweinefarm gestoppt<br />

werden. Zurück blieb eine ausgehobene<br />

Fläche, die wie eine Wunde<br />

neben dem Berg klafft. Was wird die<br />

industrielle Landwirtschaft wohl auf<br />

den Feldern hinterlassen? Auf dem<br />

Rückweg schaut Ortuño abwesend auf<br />

die Fahrbahn, über die der Abendwind<br />

immer wieder Plastikfetzen weht. f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

43


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Nestlé<br />

1 kg Kakao<br />

27.000 Liter<br />

1 kg Kakao<br />

27.000 Liter<br />

1 kg Kaffee<br />

20.000 Liter<br />

1 kg Kaffee<br />

20.000 Liter<br />

1 kg Rindfleisch<br />

15.455 Liter<br />

1 kg Rindfleisch<br />

15.455 Liter<br />

1 kg Käse<br />

5.000 Liter<br />

1 kg Käse<br />

5.000 Liter<br />

1 kg Reis<br />

3.400 Liter<br />

1 kg Reis<br />

3.400 Liter<br />

1 kg Eier<br />

3.300 Liter<br />

1 kg Zucker<br />

1.500 Liter<br />

1 kg Weizen<br />

1.300 Liter<br />

1 kg Milch<br />

1.000 Liter<br />

1 kg Äpfel<br />

700 Liter<br />

1 kg Bier<br />

300 Liter<br />

1 kg Eier<br />

3.300 Liter<br />

1 kg Zucker<br />

1.500 Liter<br />

1 kg Weizen<br />

1.300 Liter<br />

1 l Milch<br />

1.000 Liter<br />

1 kg Äpfel<br />

700 Liter<br />

1 l Bier<br />

300 Liter<br />

das wir nicht<br />

sehen, aber<br />

verbrauchen.<br />

Für die Herstellung eines Kilogramms<br />

Lebensmittel bzw. eines Liters an Getränken<br />

wird die vielfache Menge <strong>Wasser</strong> benötigt,<br />

so genanntes „virtuelles <strong>Wasser</strong>“.<br />

Fotos: stock.adobe.com<br />

1 kg Kartoffeln<br />

255 Liter<br />

1 kg Kartoffeln<br />

255 Liter<br />

1 kg Tomaten<br />

184 Liter<br />

1 kg Tomaten<br />

184 Liter<br />

1 Badewanneninhalt entspricht etwa 140 Litern <strong>Wasser</strong>.<br />

1 kg Möhren<br />

131 Liter<br />

1 kg Möhren<br />

131 Liter<br />

Quelle: www.waterfootprint.org; Vereinigung Deutscher Gewässerschutz e.V.<br />

44 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Advertorial<br />

VERANTWORTUNG<br />

FÜR WASSER<br />

Trinkwasser- und<br />

Waschstation einer<br />

Siedlung in Sululta,<br />

die vom Internationalen<br />

Roten Kreuz<br />

mit Unterstützung<br />

von Nestlé aufgebaut<br />

wurde.<br />

Umsetzung bei Nestlé<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit und mögliche<br />

Nutzungskonflikte stellen auch<br />

für Unternehmen ein<br />

erhebliches Risiko dar. Das<br />

Beispiel Nestlé zeigt, wie man<br />

damit umgehen kann. Bis 2025<br />

will der Konzern all seine<br />

Standorte der <strong>Wasser</strong>-Sparte<br />

nach dem AWS-Standard<br />

zertifizieren lassen und setzt<br />

sich für den Zugang der lokalen<br />

Bevölkerung zu sauberem<br />

Trinkwasser ein. Beim neuen<br />

<strong>Wasser</strong>-Standort in Äthiopien<br />

hat Nestlé bereits einiges auf<br />

den Weg gebracht.<br />

Ein gelber Plastikkanister steht neben<br />

dem anderen. An den <strong>Wasser</strong>hähnen<br />

befüllen die Menschen die Kanister<br />

mit sauberem Trinkwasser. So sieht<br />

es an der öffentlichen <strong>Wasser</strong>station<br />

aus, die Nestlé am Rande des <strong>Wasser</strong>-Standorts<br />

in Sululta, Äthiopien,<br />

für die Anwohner installiert hat. Etwa<br />

ein Drittel des im Werk erzeugten<br />

<strong>Wasser</strong>s stellt der Konzern für die<br />

Menschen vor Ort bereit. „Wir unterstützen<br />

das Menschenrecht auf <strong>Wasser</strong><br />

und sanitäre Einrichtungen, auch<br />

indem wir sicherstellen, dass unsere<br />

Werke ihren Mitarbeitern Zugang<br />

zu sauberem <strong>Wasser</strong> und sanitären<br />

Einrichtungen ermöglichen“, erklärt<br />

Carlo Galli, Nachhaltigkeitsmanager<br />

von Nestlé Waters global: „Außerdem<br />

helfen wir bei der Bereitstellung von<br />

sauberem <strong>Wasser</strong> und verbesserter<br />

sanitärer Versorgung für die lokale<br />

Bevölkerung, wo dies erforderlich >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

45


<strong>Wasser</strong><br />

ist.“ Der Lebensmittel- und Getränkehersteller hat sich zum<br />

Ziel gesetzt, Vorreiter in Sachen verantwortungsvollem<br />

Umgang mit <strong>Wasser</strong> zu sein – dazu gehört die Optimierung<br />

des <strong>Wasser</strong>managements in den Werken, der Schutz von<br />

<strong>Wasser</strong>einzugsbereichen und, wo immer nötig, der ansässigen<br />

Bevölkerung den Zugang zu sauberem Trinkwasser<br />

zu ermöglichen.<br />

Zertifizierung nach dem AWS-Standard<br />

Keine kleine Aufgabe. Nestlé Waters ist – als einer der<br />

größten Anbieter von abgefülltem <strong>Wasser</strong> weltweit – in<br />

über 30 Ländern mit mehr als 90 Produktionsstätten tätig.<br />

Davon befinden sich einige auch in Entwicklungs- und<br />

Schwellenländern, in denen der Zugang zu <strong>Wasser</strong> keine<br />

Selbstverständlichkeit ist. Das erfordert einen ganzheitlichen<br />

Ansatz, bei dem ökologische und soziale Anforderungen<br />

je nach der lokalen Situation berücksichtigt werden.<br />

Ein weiteres Problem: <strong>Wasser</strong> ist eine geteilte Ressource.<br />

Mehrere Akteure, wie beispielsweise Kommunen, die<br />

Landwirtschaft und Unternehmen, greifen häufig auf ein<br />

und dieselbe (begrenzte) <strong>Wasser</strong>quelle zu: „Die Herausforderungen<br />

rund um das Thema <strong>Wasser</strong> können nur durch<br />

die Zusammenarbeit aller Interessengruppen angegangen<br />

werden. Verantwortungsbewusstes <strong>Wasser</strong>management<br />

erfordert ein gemeinsames Verständnis der Herausforderungen“,<br />

weiß Galli. Daher lässt Nestlé alle seine<br />

<strong>Wasser</strong>-Standorte nach dem Standard der Alliance for<br />

Water Stewardship (AWS) zertifizieren.<br />

Der Standard schafft für Unternehmen einen unabhängigen<br />

und überprüfbaren Rahmen, um die <strong>Wasser</strong>nutzung eines<br />

Standortes besonders im Zusammenhang mit der Region<br />

und den ansässigen Akteuren zu verstehen. Daraus können<br />

die Unternehmen Maßnahmen ableiten, um die möglichen<br />

negativen Auswirkungen ihres <strong>Wasser</strong>verbrauchs zu minimieren<br />

und einen positiven Beitrag zur Verbesserung der<br />

Gesamtsituation zu leisten: So zielt der aktuelle AWS Standard<br />

2.0. explizit darauf ab, den Zugang zu <strong>Wasser</strong>- und<br />

Sanitärversorgung zu verbessern. Mit dem AWS-Standard<br />

lassen sich die erzielten Ergebnisse außerdem transparent<br />

machen. Aktuell haben 16 <strong>Wasser</strong>werke von Nestlé Waters<br />

eine AWS-Zertifizierung, bis 2025 sollen alle Standorte zertifiziert<br />

sein.<br />

46 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

<strong>Wasser</strong>management in Sululta<br />

Wie die Umsetzung des AWS-Standards<br />

in einem herausfordernden<br />

Umfeld konkret aussehen kann, zeigt<br />

Nestlé beispielsweise in dem Werk<br />

in Sululta. Neben der eigenen öffentlichen<br />

<strong>Wasser</strong>station für rund 7.500<br />

Menschen in der Nachbarschaft hat<br />

der Konzern hier durch weitere Maßnahmen<br />

Verbesserungen für die Bevölkerung<br />

erreicht.<br />

<strong>Wasser</strong> gibt es in Sululta im äthiopischen<br />

Hochland reichlich. Neben<br />

dem Joint Venture mit einem lokalen<br />

Unternehmen, an dem sich Nestlé<br />

2016 beteiligt hat, füllen sechs weitere<br />

Unternehmen dort <strong>Wasser</strong> für den<br />

lokalen Markt ab. Zu den ersten Maßnahmen,<br />

die Nestlé Waters nach der<br />

Beteiligung umgesetzt hat, gehörten<br />

der Bau der <strong>Wasser</strong>station, die Verbesserung<br />

des <strong>Wasser</strong>managements<br />

im Werk selber und eine umfassende<br />

Studie zur <strong>Wasser</strong>situation in der Region.<br />

Die Niederschläge in der Region<br />

sind höher als z.B. in der Schweiz.<br />

Trotzdem reicht die öffentliche <strong>Wasser</strong>versorgung<br />

nicht aus, um die Bevölkerung<br />

angemessen zu versorgen<br />

– wenn der Strom ausfällt, sitzen die<br />

Menschen wörtlich auf dem Trockenen,<br />

und Gemeinschaften am Rande<br />

der Stadt haben noch keinen Zugang<br />

zum öffentlichen Leitungsnetz.<br />

Um die <strong>Wasser</strong>probleme der Bevölkerung<br />

vor Ort anzugehen, arbeitet das<br />

Unternehmen mit Partnern zusammen.<br />

So erstellte man in Kooperation<br />

mit der Universität in Addis Abeba eine<br />

Studie zur sozio-ökonomischen und<br />

hydrologischen Situation in Sululta.<br />

Dabei standen folgende Fragen auf der<br />

Agenda: Was sind die drängendsten<br />

Probleme in Bezug auf die <strong>Wasser</strong>infrastruktur<br />

und -versorgung? Welche<br />

Probleme können schnell gelöst<br />

werden, und welche Themen benötigen<br />

langfristige Projekte, die nur in<br />

Zusammenarbeit mit Partnern initiiert<br />

werden können? Im Rahmen der<br />

Community Relationship-Programme<br />

tauschte sich Nestlé Waters außerdem<br />

intensiv mit den Verantwortlichen vor<br />

Ort aus, um deren Bedürfnisse und Erwartungen<br />

zu verstehen.<br />

Bedarfsgerechte Maßnahmen<br />

Aus den Ergebnissen der Studie und<br />

des Stakeholder-Dialogs wurden bedarfsgerechte<br />

Maßnahmen abgeleitet,<br />

die den Menschen schnell helfen. So<br />

stellte der Konzern öffentliche <strong>Wasser</strong>stellen<br />

der Stadt wieder her und<br />

sanierte zwei der fünf öffentlichen<br />

Tiefbrunnen der Stadt, die mangels<br />

technischen Know-hows nicht funktionierten.<br />

Dadurch erhielten über<br />

12.000 Menschen besseren Zugang<br />

zu sauberem Trinkwasser. Da sanitäre<br />

Anlagen in den örtlichen Schulen<br />

Mangelware sind, baute Nestlé Waters<br />

in Kooperation mit dem internationalen<br />

Roten Kreuz Toilettengebäude<br />

und setzte Schulungsprogramme zum<br />

Thema Hygiene auf. Eine langfristige<br />

Strategie, die die Lebenssituation der<br />

lokalen Bevölkerung insgesamt verbessert,<br />

wird derzeit mit lokalen Anspruchsgruppen<br />

und zusammen mit<br />

weiteren Unternehmenspartnern erarbeitet.<br />

Das Werk wurde Ende 2018<br />

erfolgreich nach dem AWS-Standard<br />

zertifiziert – als erster <strong>Wasser</strong>-Standard<br />

in Afrika überhaupt.<br />

Adrian Sym, CEO der AWS, begrüßt<br />

das Engagement von Nestlé bei der<br />

Umsetzung des Standards: „Es zeigt<br />

die Bedeutung der gemeinschaftlichen<br />

Verantwortung und den wirtschaftlichen<br />

Mehrwert eines verantwortungsvollen<br />

Umgangs mit <strong>Wasser</strong>.<br />

Über unsere weltweite Mitgliederbasis<br />

werden wir auch andere wichtige<br />

Unternehmen dazu aufrufen und sie<br />

dabei unterstützen, dem Beispiel von<br />

Nestlé Waters zu folgen und durch die<br />

Umsetzung des AWS-Standards einen<br />

substanziellen und unabhängig überprüfbaren<br />

Beitrag zu unseren gemeinsamen<br />

Herausforderungen, in Bezug<br />

auf <strong>Wasser</strong>, zu leisten.“ f<br />

Fotos (re / li):<br />

Trinkwasserversorgung<br />

für<br />

Anwohner des<br />

Nestlé Standortes<br />

in Sululta<br />

Fotos: Nestlé<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

47


<strong>Wasser</strong><br />

Kleiner<br />

Tropfen,<br />

große<br />

Wirkung<br />

Foto: Floki / stock.adobe.com<br />

Effizientere Bewässerungsmethoden wie die<br />

Tröpfchenbewässerung und ein innovatives<br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen-Management werden<br />

nicht nur in Ländern mit großer Trockenheit<br />

immer wichtiger. Lösungen gibt es von weltweit<br />

agierenden Unternehmen und innovativen<br />

Forschungsprojekten.<br />

Von Elena Köhn<br />

Die Landwirtschaft ist mit einem Gesamtverbrauch<br />

von fast 70 Prozent<br />

der größte Nutzer von Trinkwasser<br />

weltweit. Doch die <strong>Wasser</strong>ressourcen<br />

werden in vielen Teilen der Welt übernutzt.<br />

Nicht nur besonders trockene<br />

Länder sind daher vom <strong>Wasser</strong>stress<br />

betroffen, sondern auch Regionen mit<br />

intensiver landwirtschaftlicher Bewässerung,<br />

wie beispielsweise China. Wir<br />

brauchen daher neue Strategien: „Eine<br />

regelrechte <strong>Wasser</strong>wende hin zu einer<br />

nachhaltigen Nutzung aller vorhandenen<br />

Ressourcen ist möglich und eine<br />

wichtige Voraussetzung für die weltweite<br />

<strong>Wasser</strong>- und Sanitärversorgung“,<br />

48 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

erklärt Martin Zimmermann, <strong>Wasser</strong>forscher<br />

beim Institut für sozialökologische<br />

Forschung (ISOE).<br />

Drip Irrigation<br />

Wie lässt sich das in der Landwirtschaft<br />

umsetzen? Eine mögliche<br />

Lösung: effizientere Bewässerungstechniken,<br />

wie die Tröpfchenbewässerung.<br />

Dabei transportieren Rohr- oder<br />

Schlauchleitungen das <strong>Wasser</strong> direkt<br />

zu den Wurzeln der Pflanzen, wo es<br />

in exakten Mengen abgegeben wird.<br />

Als Pionier der Tröpfchenbewässerung<br />

gilt das israelische Unternehmen<br />

NETAFIM. Schon seit 1965 stellt<br />

der Konzern solche Systeme her. Was<br />

ursprünglich entwickelt wurde, um<br />

in Israel mit der <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

umzugehen, ist heutzutage am Weltmarkt<br />

angekommen. Mehr als 2,5 Milliarden<br />

Meter an Tropfrohr produziert<br />

NETAFIM jährlich für Abnehmer in<br />

über 110 Ländern.<br />

Der Erfolg dieses Bewässerungssystems<br />

begründet sich vor allem<br />

durch die vielen Vorteile: „Landwirte,<br />

die Tropfbewässerung anwenden,<br />

erreichen <strong>Wasser</strong>ersparnisse von 40<br />

bis 60 Prozent oder mehr, während<br />

größere und höherwertige Erträge erzielt<br />

werden“, heißt es bei NETAFIM<br />

Deutschland. Windabdrifte werden<br />

vermieden, die Verdunstung stark<br />

reduziert. Auch eine Überversorgung<br />

der Pflanzen kommt so nicht mehr<br />

vor. In Deutschland lohnt sich das<br />

System wirtschaftlich aktuell aber<br />

nur für besonders umsatzstarke Sonderkulturen,<br />

zeigt eine Beispielkalkulation<br />

von Dr. Thomas de Witte vom<br />

Thünen-Institut für Betriebswirtschaft.<br />

Zwar erhöht sich der Ertrag um<br />

etwa 20 Prozent, dafür ist die Tröpfchenbewässerung<br />

in Anschaffung<br />

und Unterhalt vergleichsweise teuer.<br />

Ganzheitliche Lösungen von der<br />

NORMA Group<br />

Die Nachfrage nach solchen Bewässerungslösungen<br />

steigt trotzdem<br />

weltweit: „<strong>Wasser</strong>management ist<br />

ein maßgeblicher Wachstumsmarkt<br />

für uns als Marktführer für Verbindungs-<br />

und Fluid-Handling-Technologie“,<br />

weiß Bernd Kleinhens, ehemaliger<br />

Vorstandsvorsitzender der<br />

NORMA Group. Die Tröpfchenbewässerungssysteme<br />

des Unternehmens<br />

sparen eigenen Angaben zufolge bis<br />

zu 70 Prozent <strong>Wasser</strong> im Vergleich<br />

zu herkömmlichen Sprinklersystemen.<br />

Sie sind dabei nicht nur für die<br />

Landwirtschaft ausgelegt, sondern<br />

lassen sich auch für den Garten- und<br />

Landschaftsbau sowie das Bauwesen<br />

anpassen. Mit NORMA Clean Water<br />

setzen sich die Maintaler zudem für<br />

eine bessere <strong>Wasser</strong>versorgung in<br />

Regionen mit großer <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

ein. Bis 2020 will das Unternehmen<br />

in den ländlichen Regionen von<br />

Codó und Peritoró in Brasilien neue<br />

Trinkwasseranlagen errichten. Zirka<br />

400 Familien erhalten so Zugang zu<br />

sauberem <strong>Wasser</strong>.<br />

Integriertes <strong>Wasser</strong>ressourcen-<br />

Management in Namibia<br />

Wie man Ländern, die von starker<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit betroffen sind, helfen<br />

kann, zeigt auch das internationale<br />

Verbundprojekt CuveWaters in Namibia.<br />

Die Region im Cuvelai-Etosha<br />

Becken leidet unter extremen klimatischen<br />

Schwankungen. Dürren und<br />

Überflutungen wechseln sich ab, das<br />

Grundwasser ist sehr salzhaltig. Um<br />

die <strong>Wasser</strong>verfügbarkeit dort deutlich<br />

zu verbessern, führte CuveWaters gemeinsam<br />

mit den Einheimischen ein<br />

integriertes <strong>Wasser</strong>ressourcen-Management<br />

ein.<br />

Dazu installierte das Projektteam<br />

beispielsweise eine Regenwassersammlung<br />

und eine unterirdische<br />

<strong>Wasser</strong>speicherung. Das so gewonnene<br />

<strong>Wasser</strong> lässt sich für die Bewässerung<br />

landwirtschaftlicher Flächen<br />

nutzen. Eine solargekoppelte Grundwasserentsalzung<br />

sowie ein städtisches<br />

Abwasser- und Sanitärkonzept<br />

mit <strong>Wasser</strong>wiederverwendung vervollständigen<br />

das System. Die Ergebnisse<br />

und Erfahrungen des Projektes<br />

hielt CuveWaters 2018 schließlich in<br />

einer Publikation fest: „Die im Buch<br />

beschriebenen Lösungen können nun<br />

Blaupause sein für andere Trockenregionen<br />

der Erde, die von dem Wechsel<br />

klimatischer Extreme wie Überschwemmungen<br />

und Dürre betroffen<br />

sind“, findet Stefan Liehr, <strong>Wasser</strong>forscher<br />

beim ISOE und Mitherausgeber<br />

des Buches. f<br />

Fotos: Cuve Waters<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

49


<strong>Wasser</strong><br />

Fishyleaks<br />

Von Tristan Rayner<br />

Whistleblowing gegen<br />

Überfischung: Über eine<br />

Plattform können Zeugen<br />

illegale oder unethische<br />

Aktivitäten in der Fischerei<br />

melden und so die Überfischung<br />

in EU-Gewässern<br />

bekämpfen.<br />

Die Gewässer der Europäischen Union<br />

erstrecken sich von den baltischen<br />

Staaten bis zum Atlantik und zum<br />

Mittelmeer und umfassen auch die<br />

Meeresgewässer vor dem Vereinigten<br />

Königreich und Irland. Im Rahmen der<br />

vereinbarten Gemeinsamen Fischereipolitik<br />

(GFP) werden für jedes Land<br />

Fangquoten festgelegt, um die Fischbestände<br />

nachhaltiger zu bewirtschaften.<br />

Wenn man sich diese Daten jedoch<br />

genauer ansieht, passen die Zahlen<br />

nicht immer zusammen. Es scheint,<br />

als würden ständig Schlupflöcher ausgenutzt<br />

und Regeln gebrochen – was<br />

katastrophal für die Umwelt ist und<br />

die Zukunft der europäischen Fischbestände<br />

gefährdet. Für bestimmte<br />

Fischarten sind diese bereits auf einem<br />

gefährlich niedrigen Niveau.<br />

So schreiben die EU-Vorschriften eigentlich<br />

vor, dass der Beifang an untermaßigen,<br />

also zu kleinen Fischen,<br />

nicht mehr über Bord geworfen werden<br />

darf. Allerdings wird beispielsweise<br />

bei Kabeljau zwangsläufig auch<br />

untermaßiger Beifang gemacht, das<br />

zeigen die über viele Jahre erfassten<br />

Daten. Das Vereinigte Königreich vermeldete<br />

im vergangenen Jahr jedoch<br />

Null Tonnen. Laut der Organisation<br />

Our Fish (eine Initiative von Funding<br />

Fish) müssten jedoch mindestens<br />

7.500 Tonnen an untermaßig gefangenem<br />

Kabeljau registriert sein.<br />

Dass untermaßiger Fang nicht gemeldet<br />

wurde, bedeutet letztlich, dass<br />

die zu kleinen Fische – entgegen der<br />

EU-Vorschrift – wieder ins Meer „entsorgt“<br />

werden. Die Fischereibetriebe<br />

nutzen so die Zusatzquote aus, die ihnen<br />

eingeräumt wird, um die Last der<br />

Anlandung von Beifang zu bewältigen.<br />

Diese wird von ihnen stattdessen ge-<br />

50 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Wollwerth Imagery / stock.adobe.com<br />

„<br />

Wir haben<br />

Fishyleaks<br />

gegründet, um<br />

denen zu helfen,<br />

die Informationen<br />

mit uns teilen<br />

wollen, und zwar<br />

vertraulich, anonym<br />

und sicher.<br />

nutzt, um mehr erwachsene Fische zu<br />

fangen. Das System, das eigentlich vor<br />

Überfischung schützen soll, wird also<br />

manipuliert und in ihr Gegenteil verkehrt.<br />

Fische werden außerdem oft – sterbend<br />

oder bereits tot – ins Meer zurückgeworfen,<br />

weil sie einen geringen<br />

Handelswert haben oder ihr Fang<br />

durch Fangquoten limitiert wird.<br />

Das Projekt Fishyleaks.eu wurde von<br />

Our Fish gegründet, um Menschen,<br />

die in der Fischereibranche, in Behörden<br />

oder anderen Bereichen tätig<br />

sind, eine vertrauliche und anonyme<br />

Möglichkeit zu bieten, über unzulässige,<br />

unethische oder illegale Fangmethoden<br />

zu berichten. Ein Beispiel<br />

dafür ist das Videomaterial über groß<br />

angelegte illegale Rückwürfe vor der<br />

Küste Schottlands im Jahr 2014, bei<br />

dem Tausende von „ungewollten“<br />

toten Fischen ins <strong>Wasser</strong> zurückbefördert<br />

wurden. Und das, obwohl<br />

ein Verbot des so genannten „High<br />

Grading“ besteht, bei dem die Fische<br />

mit dem niedrigsten Verkaufswert<br />

wieder im Meer landen und nur die<br />

Fänge mit dem höchsten Wert erfasst<br />

und angelandet werden.<br />

„Wir haben Fishyleaks gegründet, um<br />

denen zu helfen, die Informationen<br />

mit uns teilen wollen, und zwar vertraulich,<br />

anonym und sicher“, erklärt<br />

Rebecca Hubbard, Programmdirektorin<br />

von Our Fish. „Die europäische Fischerei<br />

ist eine gemeinsame Ressource<br />

zum Nutzen aller Bürger, die daher<br />

nachhaltig und rechtmäßig verwaltet<br />

werden sollte, um die Zukunft der<br />

Küstengemeinden, die Ernährungssicherheit<br />

und die Erhaltung der Meere<br />

angesichts der Klimakrise zu gewährleisten.<br />

Fishyleaks möchte eine Plattform<br />

für Menschen bieten, die Zeugen<br />

von Aktivitäten sind, die diese wichtigen<br />

Bestrebungen untergraben. So<br />

können sie diese Informationen teilen<br />

und gleichzeitig das Risiko für sich<br />

selbst minimieren."<br />

Aber auch andere Arten von Verstößen<br />

oder unethischem Verhalten können<br />

gemeldet werden. Gibt es zum Beispiel<br />

Fänge auf See, die beim Anlanden im<br />

Hafen als etwas anderes gemeldet werden?<br />

Werden wichtige Berichte über<br />

Misswirtschaft in der Fischereiindustrie<br />

zurückgehalten und nicht an die<br />

Öffentlichkeit weitergegeben?<br />

Schätzungsweise 1,7 Millionen Tonnen<br />

Fisch werden jedes Jahr in der gesamten<br />

EU entsorgt. „Our Fish erhält<br />

oft Nachrichten über Verstöße, aber<br />

es fehlen die nötigen Nachweise, um<br />

diese zu belegen. Wir hoffen, durch<br />

die Informationen über Fishyleaks die<br />

Probleme in diesem Sektor aufdecken<br />

zu können, um so Lösungen voranzutreiben“,<br />

so Hubbard. Die über Fishyleaks<br />

empfangenen Inhalte werden<br />

über ihr sicheres Nachrichtensystem<br />

und durch Gegenkontrolle mit anderen<br />

Quellen analysiert und verifiziert,<br />

bevor sie gegebenenfalls in Berichten<br />

an die nationalen Fischereibehörden,<br />

die nationalen oder EU-Parlamente,<br />

die EU-Kommission oder andere zuständige<br />

Behörden weitergegeben<br />

werden.<br />

Fishyleaks.eu wurde mit der Open-<br />

Source-Plattform GlobaLeaks für sichere<br />

und anonyme Whistleblowing-<br />

Initiativen entwickelt. Genutzt wird<br />

diese Plattform derzeit von mehr als<br />

1.000 Projekten weltweit, von Anti-<br />

Korruptionsinitiativen bis hin zu investigativem<br />

Journalismus und mehr.<br />

Die Fishyleaks-Website ist derzeit nur<br />

auf Englisch verfügbar, laut der offiziellen<br />

Pressemitteilung werden jedoch<br />

weitere Sprachversionen folgen. Derzeit<br />

kann jeder, der über Fishyleaks<br />

einen Bericht einreichen möchte, dies<br />

in der Sprache tun, mit der er sich am<br />

wohlsten fühlt – Our Fish führt Übersetzungen<br />

von Berichten durch. f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

51


<strong>Wasser</strong><br />

Ohne <strong>Wasser</strong><br />

laufen die<br />

Geschäfte nicht<br />

Ob Geschäftsmodell oder wichtiges Produktionsmittel: Unternehmen sind auf ausreichend<br />

sauberes <strong>Wasser</strong> angewiesen, wollen sie dauerhaft am Markt bestehen.<br />

So wies Phillip Wagnitz, Süßwasser-Experte<br />

beim WWF Deutschland, bereits<br />

vor Jahren auf die schwerwiegenden<br />

Auswirkungen für Betriebe hin, wenn<br />

<strong>Wasser</strong> zur Mangelware wird: „Immer<br />

häufiger sind Unternehmen innerhalb<br />

der Wertschöpfungsketten von lokalen<br />

<strong>Wasser</strong>risiken betroffen. Spürbare<br />

Folgen reichen von Imageproblemen<br />

über temporäre Produktionsstopps<br />

bis hin zu Standortschließungen.“<br />

Konkret bedeutet das, dass Unternehmen<br />

folgenden Risiken ausgesetzt<br />

sind, wie die Naturschutzorganisation<br />

verdeutlicht:<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

Physisches Risiko, das<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit und schlechte<br />

<strong>Wasser</strong>qualität ausdrückt. Dieses<br />

entsteht durch Trockenheit, Übernutzung<br />

oder Verschmutzung von<br />

Flüssen, Seen oder Grundwasservorkommen.<br />

Regulatives Risiko, das auf die<br />

mangelnde <strong>Wasser</strong>gesetzgebung vor<br />

Ort anspielt, wodurch nachhaltiges<br />

<strong>Wasser</strong>management erschwert wird.<br />

Reputatives Risiko, das aufgrund<br />

von Protesten in Folge von<br />

Übernutzung oder Verschmutzung der<br />

Ressource entsteht.<br />

Oftmals denkt man bei <strong>Wasser</strong>risiken an den Anfang von<br />

betrieblichen Lieferketten, weil ein Großteil der Rohstoffe<br />

unserer Produkte aus Schwellen- und Entwicklungsländern<br />

stammen.<br />

Dass deutsche Unternehmen auch hierzulande von <strong>Wasser</strong>risiken<br />

abseits von Flutkatastrophen eingeholt werden<br />

können, zeigt das Beispiel BASF. Im vergangenen Jahr<br />

musste der Chemiekonzern zwischenzeitlich die Herstellung<br />

von TDI, einem Vorprodukt zur Kunststoffproduktion,<br />

in Ludwigshafen einstellen. Der Grund: In Folge der Trocken-<br />

und Hitzeperioden führte der Rhein nicht mehr genügend<br />

<strong>Wasser</strong> und der Transport wichtiger Rohstoffe über<br />

den Fluss musste eingeschränkt werden.<br />

52 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

ImPortIertes <strong>Wasser</strong>rIsIk<br />

Beispiele Beispiele für Länder für Länder und Warenströme und Warenströme mit hohem mit hohem <strong>Wasser</strong>risiko, <strong>Wasser</strong>risiko,<br />

die durch die Importe durch Importe nach Deutschland nach Deutschland von großer von großer Bedeutung Bedeutung sind: sind:<br />

tomaten tomaten<br />

aus Spanien aus Spanien<br />

Bekleidung Bekleidung<br />

aus Bangladesch aus Bangladesch<br />

180.000 180.000 tonnen tonnen 204.948 204.948 tonnen tonnen<br />

250 millionen 250 euro millionen euro<br />

2,9 milliarden 2,9 milliarden euro euro<br />

© WWF / Infographic by Anita Drbohlav, www.paneemadesign.com<br />

© WWF / Infographic by Anita Drbohlav, www.paneemadesign.com<br />

5,4 millionen 5,4 tonnen millionen tonnen 6.600 tonnen 6.600 tonnen<br />

1,9 milliarden 1,9 milliarden euro euro 31 millionen 31 euro millionen euro<br />

rohstoffe, rohstoffe, rosen rosen und und<br />

metalle, metalle, erze erze schnittblumen<br />

aus Südafrika aus Südafrika aus Keniaus Kenia<br />

Angaben Angaben pro Jahrpro<br />

Jahr<br />

Landwirtschaft Landwirtschaft Bergbau Bergbau Textil- und Textil- Bekeidungsindustrie<br />

und Bekeidungsindustrie<br />

Grafik: WWF / Infographic by Anita Drbohlav, www.paneemadesign.com<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

53


<strong>Wasser</strong><br />

„Eine<br />

schlechte<br />

Governance<br />

führt zur<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit“<br />

Sauberes <strong>Wasser</strong> ist in vielen Ländern der Welt Mangelware. Was das mit<br />

unserem Konsumverhalten zu tun hat und wie man mit den vorhandenen<br />

Ressourcen verantwortungsvoll umgehen kann, hat uns Johannes Schmiester<br />

vom WWF erklärt. Die Umweltorganisation ist Mitglied in der Alliance for Water<br />

Stewardship (AWS), die die globalen <strong>Wasser</strong>risiken bekämpfen will.<br />

Von Sonja Scheferling<br />

54 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

UmweltDialog: Der Zugang zu sauberem <strong>Wasser</strong> ist ein<br />

Menschenrecht. Auch die SDGs fordern dieses Recht ein.<br />

Mehreren Hundert Millionen Menschen bleibt es aber verwehrt.<br />

Wie können wir die <strong>Wasser</strong>krise bis 2030 lösen?<br />

Johannes Schmiester: Um das zu beantworten, müssen<br />

wir zunächst die genaue Problematik erläutern. In Deutschland<br />

etwa haben wir genügend Trinkwasser, während es<br />

für andere Menschen auf der Welt Mangelware ist. Diese<br />

beiden Ebenen hängen miteinander zusammen. Denn das<br />

meiste <strong>Wasser</strong>, das wir hierzulande verbrauchen, verbrauchen<br />

wir ja nicht in unseren Haushalten, sondern indirekt<br />

über die Produkte, die wir konsumieren. Vor allem über<br />

unsere Lebensmittel. Aber die Lebensmittelproduktion in<br />

der Landwirtschaft findet oft woanders statt. Dort steht sie<br />

dann zur Trinkwasserversorgung und zu Ökosystemen in<br />

Konkurrenz, die auch ein bestimmtes Maß an <strong>Wasser</strong> für<br />

ihr Fortbestehen benötigen.<br />

Also müssen wir unser Konsumverhalten verändern.<br />

Foto: Meinzahn / iStock.com<br />

Schmiester: Wir Verbraucher tragen einen Teil der Verantwortung.<br />

In Deutschland gibt es in der Regel genügend<br />

<strong>Wasser</strong>, das gerecht verteilt wird. Um die <strong>Wasser</strong>ressourcen<br />

anderer Länder zu schonen, sollten wir grundsätzlich<br />

regionale und saisonale Lebensmittel einkaufen. Außerdem<br />

sollten wir weniger tierische Produkte wie Fleisch essen,<br />

weil ihre Herstellung besonders viel <strong>Wasser</strong> benötigt.<br />

Nachhaltig zu konsumieren, bedeutet aber auch, Lebensmittel<br />

wertzuschätzen. Schmeißt man beispielsweise eine<br />

verdorbene Banane weg, hat man im übertragenen Sinn<br />

160 Liter <strong>Wasser</strong> im Abfalleimer entsorgt. Das ist mehr<br />

<strong>Wasser</strong>, als der Durchschnittsverbraucher pro Tag im<br />

Haushalt benötigt.<br />

>><br />

OHNE WASSER KEIN<br />

MENSCHENWÜRDIGES LEBEN<br />

Menschenrechte wie etwa das Recht auf Leben, das<br />

Recht auf Nahrung oder das Recht auf Gesundheit wären<br />

ohne <strong>Wasser</strong> gar nicht denkbar, weil die Ressource<br />

essenziell für unser Überleben und unser Wohlergehen<br />

ist. So hat die UN-Generalversammlung 2010 das Recht<br />

auf <strong>Wasser</strong> ebenfalls als Menschenrecht anerkannt.<br />

Dieses beinhaltet den Zugang zu sauberem <strong>Wasser</strong> und<br />

zu sanitären Einrichtungen. Wenn Menschen beides<br />

fehlt, sind ihre persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten<br />

eingeschränkt. Das zeigt sich u.a. am Faktor Zeit. So<br />

benötigen Millionen Menschen täglich mehrere Stunden,<br />

um <strong>Wasser</strong> zu holen. Diese Zeit fehlt ihnen dann für<br />

Bildung, Kindererziehung oder für ihre Arbeit. Außerdem<br />

entstehen viele Krankheiten erst, wenn es kein sauberes<br />

Trinkwasser und keine Toiletten gibt.<br />

>><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

55


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: antiksu / stock.adobe.com<br />

Schmiester: Wir kennen alle die gegenwärtige<br />

Situation in Syrien. Bevor<br />

der Bürgerkrieg ausgebrochen war,<br />

litt das Land unter einer extremen<br />

<strong>Wasser</strong>not. Diese hatte unterschiedliche<br />

Gründe: Etwa der Bau von Staudämmen<br />

und <strong>Wasser</strong>kraftwerken in<br />

der Türkei, Effekte des Klimawandels<br />

wie Dürreperioden oder die landwirtschaftliche<br />

Übernutzung der <strong>Wasser</strong>reservoire.<br />

Aufgrund des <strong>Wasser</strong>mangels<br />

mussten viele Bauern ihre<br />

Betriebe schließen oder ihre Mitarbeiter<br />

entlassen. Die Folge: Es kam zu<br />

einer massiven Landflucht der Betroffenen,<br />

die in den Städten aber keine<br />

Arbeit und keinen gesellschaftlichen<br />

Anschluss fanden, wodurch sich wiederum<br />

soziale Spannungen verschärften.<br />

Natürlich ist die <strong>Wasser</strong>krise<br />

nicht die Ursache für den Krieg in<br />

Syrien; dennoch verstärkte sie vorhandene<br />

Konfliktpotenziale.<br />

Natürlich müssen wir auch mit anderen<br />

Produkten wie etwa Elektrogeräten<br />

oder Baumwollkleidung, die in<br />

ihrer Herstellung einen hohen <strong>Wasser</strong>-Fußabdruck<br />

haben, verantwortungsvoll<br />

umgehen und dürfen sie<br />

nicht wahllos einkaufen.<br />

Welche Länder sind besonders vom<br />

<strong>Wasser</strong>mangel betroffen?<br />

Schmiester: In vielen Regionen der<br />

Welt kommt <strong>Wasser</strong>knappheit vor.<br />

Beispielsweise in Nordafrika oder<br />

dem mittleren Osten. Das sind Gegenden,<br />

in denen die Bevölkerung extrem<br />

schnell wächst, während die Ressourcen<br />

schwinden.<br />

In Lateinamerika mangelt es den Menschen<br />

und der Natur vor allem westlich<br />

der Anden an ausreichend sauberem<br />

<strong>Wasser</strong>, und in Nordamerika<br />

kommt es im Landwirtschaftshotspot<br />

Kalifornien immer wieder zu Dürreperioden.<br />

Aber auch innerhalb der EU<br />

gibt es <strong>Wasser</strong>mangel, vor allem in<br />

Südeuropa wie Südspanien. Die Region<br />

ist der Obst- und Gemüsegartens<br />

der EU, und dort leidet vor allem die<br />

Natur unter der <strong>Wasser</strong>not.<br />

Die physikalische <strong>Wasser</strong>knappheit<br />

ist aber nicht der einzige Grund, warum<br />

es Menschen und Natur an sauberem<br />

<strong>Wasser</strong> fehlt. Vielerorts haben<br />

wir das Problem, dass die vorhandenen<br />

Ressourcen unbrauchbar sind,<br />

weil Rohstoffabbau, beispielsweise im<br />

Bergbau, oder wirtschaftliche Produktionsprozesse<br />

das <strong>Wasser</strong> verschmutzen<br />

und dadurch für die Trinkwasserversorgung<br />

entfallen.<br />

Experten warnen, dass Kriege künftig<br />

auch um <strong>Wasser</strong> geführt werden.<br />

Schon jetzt befeuert <strong>Wasser</strong>not gesellschaftliche<br />

Konflikte. Nennen Sie uns<br />

aktuelle Beispiele?<br />

Dieser Wirkmechanismus lässt sich<br />

auf andere Länder mit gesellschaftlichen<br />

und politischen Spannungen<br />

übertragen.<br />

Einige Kommunen in wasserarmen<br />

Regionen versuchen, den Ressourcenmangel<br />

durch technologische Mittel<br />

wie Meerwasserentsalzungsanlagen<br />

in den Griff zu bekommen. Liegt die<br />

Lösung also in einer besseren <strong>Wasser</strong>-<br />

Infrastruktur?<br />

Schmiester: Natürlich spielt die Infrastruktur<br />

zur <strong>Wasser</strong>aufbereitung<br />

und -verteilung vor allem in Großstädten<br />

eine wichtige Rolle, um Menschen<br />

mit ausreichend Trinkwasser<br />

zu versorgen. Hier müssen viele der<br />

betroffenen Regionen nachrüsten. Für<br />

uns sind aber Technologie und Infrastruktur<br />

nachgelagerte Fragen. Denn<br />

in erster Linie führt eine schlechte<br />

Governance zur <strong>Wasser</strong>knappheit.<br />

Diese kennzeichnet sich etwa durch<br />

extreme Ausdehnung von Landwirtschaftsflächen<br />

aufgrund wirtschaftlicher<br />

Interessen, kommunale Akzeptanz<br />

illegaler Brunnen, mangelnde<br />

Regulierung von <strong>Wasser</strong>ressourcen<br />

und deren Überverteilung an wirtschaftliche<br />

Akteure, sodass für den<br />

Privatverbraucher nicht mehr genügend<br />

Trinkwasser übrig bleibt.<br />

Selbst in Ländern wie Spanien, das<br />

als Teil der Europäischen Union an<br />

56 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

MIT EINEM ONLINE-TOOL DIE<br />

WASSERRISIKEN MESSEN<br />

Gemeinsam mit der Deutschen Investitions- und<br />

Entwicklungsgesellschaft hat der WWF ein Online-Tool<br />

entwickelt, mit dem Unternehmen und Investoren<br />

<strong>Wasser</strong>risiken ermitteln und bewerten können. Der<br />

<strong>Wasser</strong>risikofilter ist weltweit einsetzbar und zieht<br />

sektor- und regionenspezifische Informationen<br />

von 235 Ländern und Gebieten heran, zu denen<br />

interaktives Kartenmaterial und Fallstudien<br />

bereitgestellt werden.<br />

„Was passiert<br />

zum Beispiel,<br />

wenn es<br />

zu einer<br />

Dürreperiode<br />

kommt? Wie<br />

viel <strong>Wasser</strong><br />

bekommen<br />

Menschen und<br />

Wirtschaft<br />

dann<br />

zugeteilt?“<br />

die EU-<strong>Wasser</strong>rahmenrichtlinie gebunden<br />

ist, tolerieren einige Kommunen<br />

die Missachtung von <strong>Wasser</strong>nutzungsvorschriften<br />

zum Nachteil von<br />

Menschen und Natur.<br />

Was muss stattdessen passieren?<br />

Schmiester: Es geht darum, die <strong>Wasser</strong>ressourcen<br />

eines Flussgebietes<br />

– das ist die geografische Einheit für<br />

<strong>Wasser</strong> – richtig zu managen. Dabei<br />

sind zunächst politische Akteure<br />

gefragt, die Regulierungsvorschriften<br />

erlassen. Was passiert zum Beispiel,<br />

wenn es zu einer Dürreperiode<br />

kommt? Wie viel <strong>Wasser</strong> bekommen<br />

Menschen und Wirtschaft dann zugeteilt?<br />

In einer funktionierenden Governance-Struktur<br />

finden Politik, Zivilgesellschaft<br />

und die Privatwirtschaft, die ja<br />

unter Umständen mit bis zu 80 Prozent<br />

am meisten <strong>Wasser</strong> in einer Region<br />

verbraucht, gemeinsam ganzheitliche<br />

<strong>Wasser</strong>management-Ansätze.<br />

Diese müssen Flussgebiete als komplexe<br />

Systeme begreifen und dürfen<br />

nicht versuchen, Probleme punktuell<br />

oder im Alleingang zu lösen.<br />

Denn <strong>Wasser</strong> ist eine geteilte Ressource<br />

mit Co-Abhängigkeiten der unterschiedlichen<br />

Nutzer. Wenn flussaufwärts<br />

etwa ein Betrieb zu viel<br />

<strong>Wasser</strong> benötigt, bleibt flussabwärts<br />

für einen anderen nichts mehr übrig,<br />

unabhängig davon, ob diese Firma besonders<br />

wassereffizient wirtschaftet<br />

oder nicht.<br />

Der WWF hat einen Ansatz entwickelt,<br />

wie Unternehmen mit anderen<br />

Akteuren kooperativ Lösungen für<br />

<strong>Wasser</strong>risiken entwickeln können.<br />

Wie funktioniert Ihr Water Stewardship-Konzept?<br />

Schmiester: Unser Programm sieht<br />

vor, dass Unternehmen sich über<br />

die <strong>Wasser</strong>situation ihrer Standorte<br />

vor Ort bewusst werden. Welche<br />

Rolle spielt die Ressource innerhalb<br />

der Wertschöpfung? Wo wird sie verbraucht?<br />

Wie steht das in Konkurrenz<br />

zu den Bedürfnissen anderer <strong>Wasser</strong>nutzer?<br />

Sind <strong>Wasser</strong>mangel oder<br />

Flutkatastrophen die spezifischen<br />

Probleme der Flussgebiete? Nach der<br />

Analyse und Datenerhebung müssen<br />

die Unternehmen geeignete Maßnahmen<br />

ableiten, die negative soziale<br />

und ökologische Auswirkungen ihres<br />

<strong>Wasser</strong>verbrauchs innerhalb eines<br />

Flussgebietes reduzieren.<br />

Darüber hinaus erwarten wir, dass<br />

die Firmen sich mit anderen lokalen<br />

Akteuren wie Gemeinden und NGOs<br />

vernetzen, Wissen austauschen und<br />

Maßnahmen über die Betriebsgrenzen<br />

hinweg entwickeln. Das können<br />

etwa Projekte zum Hochwasserschutz<br />

oder zur Wiederaufforstung sein. Bei<br />

der Kooperation geht es nicht darum,<br />

dass Unternehmen für den <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

ihrer Geschäftstätigkeit<br />

lobbyieren und ausschließlich ihre<br />

Interessen durchsetzen. Es sollen vielmehr<br />

Lösungen entstehen, die allen<br />

lokalen Beteiligten eine nachhaltige<br />

<strong>Wasser</strong>nutzung ermöglichen.<br />

Auf diese Weise soll der Water<br />

Stewardship-Ansatz ein Stück weit<br />

das Kräfteverhältnis zwischen >><br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

57


<strong>Wasser</strong><br />

Wirtschaft, Gemeinden und Zivilgesellschaft<br />

ausgleichen, da Unternehmen<br />

aufgrund ihrer Kapitalausstattung<br />

immer in der finanzstärkeren<br />

Position sind. Denn im Endeffekt geht<br />

es darum, dass staatliche Institutionen<br />

ihre Rolle wahrnehmen können<br />

und eine gerechte <strong>Wasser</strong>verteilung<br />

gewährleisten.<br />

Der WWF ist außerdem Teil der<br />

Alliance for Water Stewardship<br />

(AWS). Was ist das und wer macht<br />

alles mit?<br />

AWS-STANDARD:<br />

Der AWS-Standard bietet Unternehmen einen unabhängig<br />

überprüfbaren Rahmen, um die <strong>Wasser</strong>nutzung<br />

eines Standorts im Zusammenhang mit dem Einzugsgebiet<br />

zu verstehen und schrittweise an vier Ergebnissen<br />

zu arbeiten und transparent zu machen: nachhaltige<br />

<strong>Wasser</strong>bilanz, verbesserte <strong>Wasser</strong>qualität, guter Zustand<br />

wichtiger wasserbezogener Gebiete und gute <strong>Wasser</strong>-Governance,<br />

wie die Zertifizierungsgesellschaft DNV<br />

GL sagt. Im Frühjahr 2019 wurde die zweite Version des<br />

Standards veröffentlicht.<br />

Schmiester: AWS ist eine mitgliedergeführte<br />

NGO, deren Teilnehmer<br />

aus unterschiedlichen Sektoren wie<br />

Wirtschaft, Forschung oder Zivilgesellschaft<br />

kommen und jeweils große<br />

Expertise beim Thema <strong>Wasser</strong> mitbringen.<br />

Damit ist der kooperative<br />

Water Stewardship-Ansatz genuin in<br />

der Organisation verankert. Ziel ist<br />

es, die globalen <strong>Wasser</strong>krisen zu bekämpfen.<br />

Für ihre Mitglieder ist AWS<br />

gleichzeitig eine Dialogplattform, die<br />

lokal Trainings für nachhaltiges <strong>Wasser</strong>management<br />

anbietet.<br />

Die AWS gibt außerdem seit 2014<br />

einen Standard heraus, der den verantwortungsvollen<br />

<strong>Wasser</strong>umgang<br />

von Unternehmen zertifiziert. Bitte<br />

erklären Sie den Standard und den<br />

Zertifizierungsprozess.<br />

Schmiester: Andere Standards haben<br />

die wasserspezifischen Risiken<br />

in der Lieferkette und im <strong>Wasser</strong>einzugsgebiet<br />

von Unternehmen nur<br />

ungenügend abgebildet. Diese Lücke<br />

wollten die Mitglieder von AWS<br />

schließen und haben einen eigenen<br />

unabhängigen Standard ins Leben<br />

gerufen. Dieser versucht Maßnahmen<br />

abzufragen, die ein Unternehmen intern<br />

im Bereich <strong>Wasser</strong>management<br />

umsetzt. Außerdem muss ein Unternehmen<br />

erklären, welche Maßnahmen<br />

in Zusammenarbeit mit anderen<br />

Akteuren die Situation im Flussgebiet<br />

verbessern. Damit greift der Standard<br />

genau die Prinzipien des Water Stewardships<br />

auf.<br />

Es gibt ein Set von Kernkriterien, die<br />

jeder Unternehmensstandort für eine<br />

Zertifizierung erfüllen muss. Über<br />

weiterführende Maßnahmen, vor allem<br />

bei der Kooperation mit anderen<br />

Akteuren, können Betriebe zusätzlich<br />

Punkte sammeln und damit eine Goldoder<br />

Platinzertifizierung erhalten. Der<br />

Standard setzt klassische Managementprozesse<br />

voraus, die ein Commitment<br />

zur Water Stewardship und ihre<br />

strategische Umsetzung beinhalten.<br />

Innerhalb des Auditierungsprozesses<br />

werden relevante Dokumente kontrolliert<br />

und die Betriebe besucht, um die<br />

tatsächliche Umsetzung der Maßnahmen<br />

zu begutachten.<br />

Dem WWF wird von Medien und anderen<br />

NGOs vorgeworfen, zu eng mit<br />

der Wirtschaft zusammenzuarbeiten.<br />

Die Kritik lautet, dass Unternehmen<br />

Ihre Standards wie MSC unterliefen<br />

und zum Greenwashing benutzten.<br />

Warum soll der Verbraucher Vertrauen<br />

in den AWS-Standard haben?<br />

Schmiester: Unternehmen spielen<br />

innerhalb der AWS-Organisation zwar<br />

eine Rolle, ihre Anliegen haben aber<br />

kein größeres Gewicht als die der anderen<br />

Akteure. Beim Water Stewardship<br />

geht es darum, dass Firmen ihren<br />

Teil der Verantwortung für nachhaltiges<br />

<strong>Wasser</strong>management übernehmen.<br />

Der Standard ist kontextspezifisch<br />

aufgebaut, sodass Betriebe ihren<br />

Zulieferern innerhalb der Lieferkette<br />

nicht einfach Dinge auferlegen können.<br />

Es geht darum, dass beispielsweise<br />

Landwirte die <strong>Wasser</strong>risiken ihres<br />

Umfeldes erkennen und dann gemeinsam<br />

mit den Unternehmen geeignete<br />

Lösungen entwickeln.<br />

Für uns ist es wichtig, dass sich Betriebe<br />

in Branchen mit einem hohen<br />

<strong>Wasser</strong>-Fußabdruck zertifizieren lassen.<br />

Dazu gehören unserer Meinung<br />

nach die Landwirtschaft, der Bergbau<br />

und die Textilindustrie. f<br />

Das Interview erschien im Original<br />

bei UmweltDialog.de<br />

Johannes Schmiester vom WWF<br />

Foto:Daniel Seiffert / WWF<br />

58 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Wieso? Weshalb?<br />

Warum? Wer nicht<br />

fragt, bleibt dumm!<br />

UmweltDialog bietet verlässlichen und objektiven Nachhaltigkeits-Journalismus.<br />

Klar, verständlich, kompakt und überparteilich.<br />

Ausgabe 8<br />

November 2017<br />

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Wie die Food-Industrie nachhaltig werden kann<br />

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Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

59


<strong>Wasser</strong><br />

<strong>Wasser</strong>risiken managen – ja!<br />

Aber wie? Von<br />

Lena Kern<br />

Spätestens seit dem<br />

„Dürresommer“ 2018 sind<br />

sich viele Unternehmen<br />

dessen bewusst, dass<br />

<strong>Wasser</strong> selbst in unseren<br />

Breiten zum Risiko für ihre<br />

Tätigkeiten werden kann.<br />

Doch wie das Thema<br />

angehen, fragen sich viele.<br />

Das Wichtigste vorab<br />

<strong>Wasser</strong>management sollte immer im<br />

lokalen Kontext gedacht werden. Da<br />

<strong>Wasser</strong> eine lokale Ressource ist, sollte<br />

von Risikoanalyse bis Maßnahmen<br />

alles im Kontext der jeweiligen Flussgebiete<br />

durchgeführt werden.<br />

Welche Risiken bestehen für mein<br />

Unternehmen?<br />

Zuerst sollte ein Unternehmen analysieren,<br />

in welchen Stufen der Wertschöpfungskette<br />

<strong>Wasser</strong> eine Rolle<br />

spielt, bzw., welche seiner Tätigkeiten<br />

negative Auswirkungen auf die<br />

Ressource verursachen können – und<br />

ob diese geographisch in einem Gebiet<br />

vonstattengehen, in dem daraus<br />

Risiken entstehen können. Diese Risiken<br />

sind von Kontext zu Kontext<br />

unterschiedlich: Sie können physischer<br />

Natur sein – zu wenig oder zu<br />

viel <strong>Wasser</strong>, regulatorischer Natur<br />

– mangelnde Gesetzgebung oder eine<br />

Verschärfung davon, oder die Reputation<br />

des Unternehmens gefährden.<br />

Wichtig dabei ist immer auch die Wesentlichkeit<br />

festzustellen: wesentliche<br />

Lieferketten oder Wertschöpfungsstufen<br />

bzw. wesentliche Einflüsse auf die<br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen.<br />

Wie weiter strategisch vorgehen?<br />

Idealerweise entwickeln Unternehmen<br />

eine kontext-basierte <strong>Wasser</strong>strategie<br />

mit Zielen, die sich an den<br />

identifizierten Risiken und dem jeweiligen<br />

lokalen Kontext orientieren:<br />

• Contextual Water Targets = Ziele, die<br />

sich zwar auf innere <strong>Wasser</strong>effizienz<br />

konzentrieren, dabei aber die Probleme,<br />

die sich im Flussgebiet ergeben,<br />

mit einbeziehen<br />

• Context-based Water Targets = Ziele,<br />

welche einen ausreichenden Beitrag<br />

zur Aufrechterhaltung einer nachhaltigen<br />

Nutzung der verfügbaren<br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen eines Flussgebiets<br />

gewährleisten<br />

Mit welchen Maßnahmen und<br />

Projekten kann ich meine Ziele<br />

erreichen?<br />

Neben Maßnahmen wie Prozessoptimierungen<br />

oder Produktdesign, die<br />

einen internen, effizienzgesteuerten<br />

Fokus haben, gibt es im Bereich <strong>Wasser</strong><br />

eine Besonderheit – Collective<br />

Action. Collective Action beschreibt<br />

Projekte, in denen sich unterschiedliche,<br />

lokal betroffene Stakeholder wie<br />

60 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Unternehmen, Zivilgesellschaft oder<br />

die Verwaltung zusammentun, denn<br />

so lassen sich oft effektivere und/oder<br />

effizientere Maßnahmen durchführen.<br />

Und nicht zuletzt – Berichterstattung<br />

und Kommunikation!<br />

Interne und externe Stakeholder können<br />

mittels gängiger Berichtsformate,<br />

wie die Global Reporting Initiative<br />

(GRI) oder CDP Water berichten. Auch<br />

der Alliance for Water Stewardship<br />

Standard bietet eine Orientierung. Darüber<br />

hinaus sind der individuellen,<br />

kundenspezifischen Berichterstattung<br />

keine Grenzen gesetzt.<br />

Lena Kern ist Leiterin<br />

Wirtschaft und Umwelt & Reporting,<br />

Geschäftsstelle Deutsches Global<br />

Compact Netzwerk<br />

DGCN WASSER-COACHING<br />

Gemeinsam mit dem WWF bietet das DGCN in regelmäßigen<br />

Abständen Trainings an, die Unternehmen<br />

darin unterstützen, anhand der beschriebenen Schritte<br />

ihre <strong>Wasser</strong>risiken zu analysieren und eine kontextbasierte<br />

<strong>Wasser</strong>strategie zu entwickeln. Diese Inhalte<br />

werden Sie in Kürze auch in handlichem und praxisnahem<br />

Format in einem Leitfaden zu kontext-basiertem<br />

<strong>Wasser</strong>management in Unternehmen finden, gemeinsam<br />

herausgegeben vom DGCN und WWF.<br />

Nächster Termin:<br />

Entwicklung einer <strong>Wasser</strong>strategie – Risikoanalyse,<br />

Zieldefinition und Umsetzung<br />

03.-04. Dezember 2019<br />

Frankfurt a.M.<br />

Flyer zum Download:<br />

globalcompact.de/de/2019_<strong>Wasser</strong>coaching.pdf<br />

100 ANTWORTEN.<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

61


<strong>Wasser</strong><br />

Standards und Leitfäden<br />

Water Footprint Network (WFN)<br />

ist eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen<br />

Unternehmen, Organisationen und Einzelpersonen.<br />

Ziel ist es, Lösungen für die weltweiten <strong>Wasser</strong>krisen<br />

zu erarbeiten und eine faire und intelligente <strong>Wasser</strong>nutzung<br />

zu fördern. Das Netzwerk bietet zwei Arten<br />

von Ressourcen an:<br />

a) Interaktive Tools<br />

Der Wissensvorsprung und der Austausch von Informationen,<br />

Ideen und Innovationen ist ein Eckpfeiler der<br />

WFN-Philosophie. Um den Wandel zu beschleunigen,<br />

bietet die Initiative uneingeschränkten Zugang zu ihren<br />

Tools. Die praktischen interaktiven Anwendungen stehen<br />

Interessenten online kostenlos zur Verfügung und<br />

liefern nützliche Daten und Einblicke in betriebliche<br />

<strong>Wasser</strong>nutzung.<br />

b) Statistiken zum <strong>Wasser</strong>fußabdruck<br />

Fundierte und vergleichbare <strong>Wasser</strong>fußabdruckstatistiken<br />

sind das Fundament, auf dem solide, gut informierte<br />

Strategien festgelegt und praktische Maßnahmen<br />

umgesetzt werden können. WaterStat – die weltweit<br />

umfassendste Datenbank für den <strong>Wasser</strong>fußabdruck –<br />

steht für alle zur Verfügung.<br />

waterfootprint.org<br />

Smart Water Navigator von Ecolab<br />

Der Navigator ist ein neues, kostenloses Online-Tool,<br />

das eine Roadmap für Unternehmen bietet, um einen<br />

ganzheitlichen Ansatz in der <strong>Wasser</strong>wirtschaft zu verfolgen.<br />

Unterstützt wird die Anwendung durch einen<br />

praktischen Leitfaden für nachhaltige <strong>Wasser</strong>praktiken<br />

auf Anlagenebene: All das hilft Unternehmen dabei,<br />

entlang einer „Water Maturity Curve“ voranzukommen.<br />

Mit dem Navigator können Unternehmen Kategorien<br />

wie „ungenutzt“ über „linear“, „explorativ“ bis „wassersparend“<br />

anwenden.<br />

Der Navigator fordert Unternehmen auf, eine Bewertung<br />

mit 13 Fragen vorzunehmen, die sie nach vier<br />

Schlüsselkriterien bewertet:<br />

• Standortmanagement<br />

• <strong>Wasser</strong>wirtschaftliche Praktiken<br />

• Zielvorgabe<br />

• <strong>Wasser</strong>verantwortung<br />

Unternehmen können bei diesen Kriterien naturgemäß<br />

sehr unterschiedlich abschneiden. Ein Kandidat verfügt<br />

z.B. über fortschrittliche <strong>Wasser</strong>managementpraktiken,<br />

aber nicht über die Unterstützung seiner Führungskräfte.<br />

Ein anderer mag über starke interne Praktiken für<br />

Governance und <strong>Wasser</strong>management verfügen, obwohl<br />

er diese Prinzipien nicht über seine eigenen Unternehmensgrenzen<br />

hinaus erweitert und einen umfassenden<br />

Ansatz zur <strong>Wasser</strong>bewirtschaftung entwickelt hat.<br />

Basierend auf der individuellen Punktzahl eines Unternehmens<br />

bietet der Navigator maßgeschneiderte praktische<br />

Maßnahmen und Fallstudien, die dazu beitragen<br />

können, dass Unternehmen schließlich „wasserintelligent“<br />

werden. Dabei sparen sie nicht nur Geld durch<br />

weniger <strong>Wasser</strong>verbrauch, sondern managen auch die<br />

vielen <strong>Wasser</strong>risiken ihres Unternehmens und schaffen<br />

ein solides, sicheres Fundament für das Unternehmen<br />

in den kommenden Jahren.<br />

de-de.ecolab.com/sustainability/<br />

smart-water-navigator<br />

62 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Crowdsourcing der ersten<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaftsdatenbank<br />

Wenn es um die Untersuchung und Verbesserung der<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaft in Ländern und Städten geht, gibt es<br />

wenig Daten. Obwohl es umfangreiche Daten über die<br />

globale Knappheit gibt, gibt es nur begrenzte Daten<br />

über die Praktiken der <strong>Wasser</strong>wirtschaft. Die meisten<br />

Informationen konzentrieren sich auf physische Eigenschaften<br />

wie Quantität und Qualität.<br />

Andererseits verfolgen Unternehmen, die weltweit in<br />

<strong>Wasser</strong>einzugsgebieten tätig sind, bereits lokale Managementpraktiken.<br />

Crowdsourcing-Daten durch Unternehmen,<br />

die diese Informationen zusammentragen,<br />

bieten die Möglichkeit, die weltweit erste Geodatenbank<br />

der <strong>Wasser</strong>managementpraktiken zu erstellen – eine<br />

Ressource, die dazu beitragen wird, den <strong>Wasser</strong>fluss für<br />

alle Nutzer aufrechtzuerhalten. WRI und MIT haben eine<br />

bewährte Methode entwickelt, um lokale Daten durch<br />

Unternehmen zu sammeln und eine einzigartige Geodatenbank<br />

für die <strong>Wasser</strong>wirtschaft zu entwickeln, die<br />

derzeit skaliert wird. Dieser Atlas wird der Öffentlichkeit<br />

den Zugang zu lokalen Managementinformationen<br />

ermöglichen, um Gebiete mit starker oder schwacher<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaft zu ermitteln, und es Regierungen,<br />

Versorgungsunternehmen, Unternehmen und Investoren<br />

ermöglichen, Ressourcen genauer zu kanalisieren<br />

und an Orte mit dem größten Bedarf zu leiten.<br />

www.wri.org/publication/mapping-public-water<br />

Science Based Targets-Modell<br />

wird ausgedehnt<br />

Im Jahr 2015 kam eine Gruppe von gemeinnützigen<br />

Organisationen zusammen, um Unternehmen bei der<br />

Festlegung von Zielen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen<br />

zu unterstützen, die mit dem 2-Grad<br />

Celsius-Ziel des Pariser Abkommens von 2015 übereinstimmen.<br />

Jetzt untersucht die Initiative, wie man wissenschaftsbasierte<br />

Ziele für andere Umweltauswirkungen<br />

festlegen kann, einschließlich solcher für <strong>Wasser</strong>,<br />

Landnutzung, Biodiversität und Ozeane. Im vergangenen<br />

Herbst bildete eine Gruppe von etwa 25 Organisationen<br />

das Science-Based Targets (SBT) Network, um<br />

diese komplexe Aufgabe zu bewältigen.<br />

Wissenschaftlich fundierte Ziele sind sinnvoll, gerade<br />

in einer Welt, in der das globale Gemeinwesen – die natürliche<br />

Hauptstadt, auf die die Menschen angewiesen<br />

sind, um das Leben zu unterstützen, Nahrung anzubauen<br />

und Süßwasser zu liefern, unter anderem – von<br />

Land zu Land, von Region zu Region sehr unterschiedlich<br />

geregelt wird. Durch die Schaffung einer Reihe<br />

von Standard-Zielen und -Methoden, die in der Wissenschaft<br />

verwurzelt sind, können Unternehmen und andere<br />

interessierte Parteien beurteilen, ob sie Lösungen<br />

in angemessenem Umfang umsetzen. <strong>Wasser</strong> kann das<br />

am einfachsten zu bewältigende Problem sein, vor allem<br />

wegen der Menge an Arbeit, die bereits geleistet<br />

wurde, um die <strong>Wasser</strong>wirtschaft auf der ganzen Welt<br />

zu fördern.<br />

Erste Unternehmen haben mit der Anwendung von<br />

SBTs für <strong>Wasser</strong> begonnen: Mars z.B., der weltweit tätige<br />

Hersteller von Süßigkeiten, Tiernahrung und anderen<br />

Produkten, entwickelte 2016 in Zusammenarbeit<br />

mit WRI „kontextbasierte“ <strong>Wasser</strong>ziele. Die empfohlenen<br />

Ziele beziehen sich auf die Gesamtwasserentnahmen<br />

innerhalb eines bestimmten Einzugsgebietes bei<br />

40 Prozent der von den Vereinten Nationen ermittelten<br />

durchschnittlichen jährlichen erneuerbaren Vorräte.<br />

sciencebasedtargets.org<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

63


<strong>Wasser</strong><br />

Gärtner haben<br />

ein natürliches<br />

Interesse<br />

an effizientem<br />

<strong>Wasser</strong>management<br />

Das Geheimnis guten Gärtnerns liegt nicht<br />

zuletzt in der richtigen Bewässerung der<br />

Pflanzen. Für Hobbygärtner sind Gartencenter<br />

und Baumärkte wichtige Partner. Wie können<br />

die Märkte ihre Kunden darin unterstützen,<br />

sorgsam mit der knappen Ressource <strong>Wasser</strong><br />

umzugehen? Welche Maßnahmen ergreifen<br />

sie selbst? Antworten auf diese Fragen hat<br />

Dominique Rotondi, Geschäftsführer Einkauf<br />

und Logistik bei toom Baumarkt.<br />

Advertorial<br />

UmweltDialog: Herr Rotondi, <strong>Wasser</strong> ist ein kostbares<br />

Gut. Was tut toom, um diese Ressource in seinen Prozessen<br />

zu schonen?<br />

Dominique Rotondi: Ein großer Teil des <strong>Wasser</strong>s, das wir<br />

an unseren Standorten verbrauchen, wird für das Gießen<br />

unserer Pflanzen im Gartencenterbereich eingesetzt. Gerade<br />

in trockenen Sommern ist da der Bedarf natürlich höher.<br />

Um hier den Trinkwasserverbrauch zu minimieren, haben<br />

viele unserer Märkte Zisternen, aus denen sie einen Großteil<br />

der benötigten Menge abdecken können. Zusätzlich<br />

sensibilisieren wir natürlich unsere Mitarbeiter, mit der<br />

Ressource <strong>Wasser</strong> effizient umzugehen. Darüber hinaus<br />

haben wir einen neuen Baustandard. Hier werden dann<br />

u.a. bei neuen Standorten nur noch „berührungslose Armaturen“<br />

eingebaut, die den Auslauf von Trinkwasser zum<br />

Händewaschen minimieren.<br />

Des Weiteren haben wir ein Energie-Monitoring, welches<br />

auffällige Mehrverbräuche direkt verfolgt und evtl. Mängel<br />

(Beispiel: durchlaufende WC-Spülung) abstellt.<br />

Schon bei der Aufzucht beim Gartenbaubetrieb verbrauchen<br />

Pflanzen <strong>Wasser</strong> und belasten eventuell anderweitig<br />

die Umwelt. Können Kunden erkennen, wie ressourcenschonend<br />

ihre Pflanzen erzeugt wurden?<br />

Gärtner haben natürlich ein eigenes Interesse, mit einem<br />

effizienten <strong>Wasser</strong>management den Verbrauch in der Anzucht<br />

ihrer Kulturen zu minimieren. Zusätzlich setzen wir<br />

bei unseren Lieferanten voraus, dass sie zu 100 Prozent<br />

entweder nach MPS oder GLOBALG.A.P. zertifiziert sind.<br />

Durch die umgesetzten Zertifizierungen wird der Umgang<br />

mit Ressourcen jährlich kontrolliert und dokumentiert. Dadurch<br />

kann der Gartenbaubetrieb transparent Potenziale<br />

für weitere Einsparungen erkennen, und er wird für ge-<br />

Foto: Tom Werner / gettyimages.de<br />

64 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

gebenenfalls vorhandene Risiken der<br />

Umweltbelastung sensibilisiert. Außerdem<br />

werden die Auswirkungen auf<br />

Grundwasser oder Oberflächengewässer<br />

durch die Einhaltung der guten<br />

Agrarpraxis und der kontrollierten<br />

Sicherheitsvorkehrungen minimiert.<br />

Viele unserer Gärtnereien nutzen für<br />

die Bewässerung der Pflanzen aufgefangenes<br />

Regenwasser und fangen<br />

überschüssiges <strong>Wasser</strong> wieder auf.<br />

Wir sind nicht nur aufgerufen, <strong>Wasser</strong><br />

zu sparen, sondern auch dafür<br />

zu sorgen, dass das <strong>Wasser</strong> sauber<br />

bleibt. Wie unterstützt toom<br />

Hobby-Gärtner darin, dass sie nicht<br />

durch unbedachtes Spritzen oder<br />

falsches Düngen das Grundwasser<br />

belasten?<br />

toom Mitarbeiter in den Märkten<br />

und speziell im Gartencenter beraten<br />

unsere Kunden zu den relevanten<br />

Produkten. Dazu gehört insbesondere<br />

auch die richtige Anwendung, da<br />

hier z.B. durch Überdosierung oder<br />

Anwendung an falschen Stellen wie<br />

Oberflächengewässern weitreichende<br />

negative Folgen entstehen können.<br />

Dies gilt vor allem für Produkte, die<br />

nicht vom Kunden im Selbstbedienungsbereich<br />

der Märkte ausgewählt<br />

werden können, sondern nur<br />

nach vorheriger Beratung durch den<br />

Mitarbeiter aus abgeschlossenen<br />

Schränken herausgegeben werden.<br />

Hier müssen unsere Mitarbeiter auch<br />

regelmäßig den Sachkundenachweis<br />

durch Prüfungen erneuern, um immer<br />

die aktuellen notwendigen Informationen<br />

an die Kunden geben zu<br />

können. Darüber hinaus möchten wir<br />

unsere Kunden auch sensibilisieren<br />

und ihnen alternative Produkte anbieten.<br />

So haben wir als erster Baumarkt<br />

in Deutschland Glyphosat ausgelistet<br />

und gleichzeitig ein Sortiment an umweltverträglichen<br />

Produkten zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

toom Baumarkt hat sich in seiner<br />

Nachhaltigkeitsstrategie dem respektvollen<br />

Umgang mit Mensch und<br />

Umwelt verschrieben. Welche Einflüsse<br />

hat diese Zielsetzung auf Ihr<br />

gesamtes Sortiment?<br />

Nachhaltigkeit ist zentraler Bestandteil<br />

der toom Unternehmensstrategie.<br />

Auf Produktebene ist neben dem<br />

Aspekt Umweltverträglichkeit auch<br />

die Sicherstellung von fairen Arbeitsbedingungen<br />

bei der Produktion ein<br />

Teil unseres nachhaltigen Engagements.<br />

Je nach Produktgruppe unterscheiden<br />

sich dann die Kriterien, die<br />

ein Produkt nachhaltiger machen. Im<br />

Bereich Blumenerde ist zum Beispiel<br />

unsere Strategie, bis 2025 zu 100<br />

Prozent aus torfhaltigen Erden auszusteigen.<br />

Das hat positive Auswirkungen<br />

auf das Klima und die sensiblen<br />

Ökosysteme in Mooren. Im Bereich<br />

Natursteine war uns wichtig, durch<br />

das Xertifix Plus Label in den Produktionsländern<br />

China und Indien faire<br />

Arbeitsbedingungen durchzusetzen.<br />

Ebenso sorgen wir mit Fair Trees dafür,<br />

dass für jede unserer verkauften<br />

Nordmanntannen ein fairer Baum<br />

nachgepflanzt wird. Voraussetzung<br />

dafür sind sichere Arbeitsbedingungen<br />

der Samenpflücker in Georgien,<br />

faire Löhne sowie Kranken- und<br />

Unfallversicherungen. Das stellen wir<br />

mit Fair Trees gemeinsam sicher. Im<br />

Bereich Anstrichmittel und Bodenbeläge<br />

steht das Thema Wohngesundheit<br />

im Vordergrund: hier können unsere<br />

Kunden beispielsweise am PRO<br />

PLANET Label oder dem Blauen Engel<br />

besonders emissionsarme Produkte<br />

erkennen. Ein Highlight ist zum Beispiel<br />

Green Vinyl, das bei vergleichbaren<br />

Eigenschaften wie dem beliebten<br />

Vinylboden ohne PVC und Weichmacher<br />

produziert wird.<br />

Kommen wir zu Verpackungen: Baumarktprodukte<br />

werden oft in Einweg-<br />

Kunststoffverpackungen angeboten,<br />

die letztendlich den Plastikmüllberg<br />

vergrößern und als Mikroplastik<br />

in den <strong>Wasser</strong>kreislauf gelangen.<br />

Gibt es dazu alternative Lösungswege?<br />

Wir arbeiten an verschiedenen Stellen<br />

und Produktbereichen daran, unsere<br />

Verpackungen zu optimieren. Im<br />

Idealfall bedeutet das, dass wir komplett<br />

auf Verpackungen verzichten.<br />

Alternativ verringern wir den Materialeinsatz<br />

oder setzen alternative Materialien<br />

wie Rezyklate oder FSC-zertifizierten<br />

Karton ein. So haben wir<br />

z.B. im Bereich Dispersionsfarben seit<br />

der Umstellung auf Rezyklat schon<br />

900 Tonnen an CO 2<br />

eingespart. Auch<br />

verzichtet toom seit 2018 schon auf<br />

Einwegtüten und bietet nur noch<br />

Mehrwegvarianten wie Tüten aus<br />

recyceltem PET oder Baumwolle an.<br />

So sparen wir knapp 500.000 Einwegtüten<br />

pro Jahr ein. Im Bereich Pflanzen<br />

werden wir im nächsten Jahr zu<br />

den ersten gehören, die das neue Floritray-Mehrwegsystem<br />

für den Pflanzentransport<br />

vom Gärtner in die Märkte<br />

nutzen werden. Hierdurch können<br />

wir im Vergleich zu den millionenfach<br />

genutzten Einweg-<strong>Wasser</strong>paletten z.B.<br />

30 Prozent an CO 2<br />

einsparen und<br />

einen Teil des Kunststoffverbrauchs<br />

im Bereich Garten reduzieren. f<br />

Dominique Rotondi,<br />

Geschäftsführer Einkauf und<br />

Logistik bei toom Baumarkt.<br />

Foto: toom<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

65


<strong>Wasser</strong><br />

Abwasserfreie<br />

AUTOMOBILPRODUKTION<br />

Foto: Daimler AG<br />

<strong>Wasser</strong> ist im gesamten Fertigungsprozess eines Automobils notwendig, beispielsweise in der<br />

Lackiererei. Mit neuen Techniken und vor allem frischen <strong>Wasser</strong>management-Konzepten<br />

nutzen die Autobauer die Ressource <strong>Wasser</strong> immer effizienter. Langfristig verfolgt die Branche<br />

das Ziel, Automobile CO 2<br />

-neutral und abwasserfrei zu produzieren.<br />

Beispiel Audi: Die Marke mit den vier Ringen<br />

spart am Hauptstandort Ingolstadt jährlich bis zu<br />

500.000 Kubikmeter Frischwasser ein. Das gelingt<br />

dank eines ausgeklügelten Systems: Dazu<br />

hat Audi ein neues Betriebswasserversorgungszentrum<br />

in Betrieb genommen. In Verbindung mit der bisherigen<br />

Aufbereitungsanlage kann rund die Hälfte des am Standort<br />

entstehenden Abwassers in einen Kreislauf zugeführt und<br />

zur Wiederverwendung aufbereitet werden.<br />

66 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Projektleiter Rainer<br />

Beringer überprüft<br />

die feingliedrigen,<br />

spaghettiähnlichen<br />

Membranen<br />

des MBR-Filterblocks<br />

im Betriebswasserversorgungszentrum.<br />

Die langen,<br />

hohlen Fäden<br />

bestehen aus einem<br />

speziellen Kunststoffmaterial<br />

und<br />

filtern Bakterien<br />

und Viren aus dem<br />

Abwasser.<br />

Herzstück des Betriebswasserversorgungszentrums<br />

ist der sogenannte<br />

Membran-Bio-Reaktor (MBR): Hier<br />

wird das Produktionswasser mit Sanitärabwasser<br />

vermischt und von organischen<br />

Bestandteilen befreit. Anschließend<br />

entfernt der MBR mittels<br />

porenfeiner Membranen Bakterien<br />

und Viren aus dem Abwasser. Audi<br />

geht damit in der <strong>Wasser</strong>aufbereitung<br />

einen Schritt weiter als konventionelle<br />

Kläranlagen, die dieses Verfahren<br />

nicht einsetzen. Zuletzt schleust eine<br />

Umkehrosmose zurückgebliebene<br />

Salze aus. Danach gelangt das gereinigte<br />

Abwasser als Brauchwasser zurück<br />

in die Produktion.<br />

Mercedes-Benz Werk Rastatt:<br />

Absicherung nach unten<br />

Mit der „Ambition 2039“ beschreibt<br />

Daimler den Weg zu nachhaltiger<br />

Mobilität entlang der gesamten Wertschöpfungskette.<br />

Dass „Grüne Produktion“<br />

schon auf Werksebene anfängt,<br />

zeigt das Mercedes-Benz Werk Rastatt.<br />

Beispielsweise beim Umgang mit <strong>Wasser</strong>.<br />

„Wir klären das“, heißt die blaue<br />

Stele neben der Wagenwaschanlage.<br />

Dort entsteht viel Schmutzwasser, das<br />

Öl und Schadstoffe enthalten kann.<br />

„Dieses <strong>Wasser</strong> muss vorbehandelt<br />

werden, bevor wir es in den Kreislauf<br />

zurückführen“, erläutert Daimler-Umweltexperte<br />

Heiko Kärst.<br />

Um das Rastatter Grundwasser vor<br />

gefährlichen Stoffen zu schützen, ist<br />

im Werk die Fläche eines kleinen Fußballfeldes<br />

mit einem Schutzsystem<br />

versehen. Diese „Absicherung nach<br />

unten“ ist besonders wichtig, denn<br />

der Abstand zum Grundwasser beträgt<br />

hier nur 3,5 Meter, erklärt Heiko<br />

Kärst.<br />

Wir stehen am Tanklager für technische<br />

Flüssigkeiten auf der so genannten<br />

Entladetasse, die eher einer<br />

breiten Wanne gleicht. Ginge beim<br />

Entladen eines Tanklasters etwas daneben,<br />

bliebe das Benzin in der zehn<br />

Kubikmeter großen Wanne liegen<br />

statt zu versickern – einer mehrlagigen<br />

Spezialbeschichtung sei Dank.<br />

Ford als global führend ausgezeichnet<br />

Nachhaltigkeit ist keine rein deutsche<br />

Disziplin – Ford zählt zu den weltweit<br />

Besten beim Thema <strong>Wasser</strong>management:<br />

Ganz aktuell hat der Detroiter<br />

Autobauer die Bestnote „A“ von CDP<br />

(Carbon Disclosure Project), einer<br />

Non-Profit-Organisation für mehr<br />

Nachhaltigkeit und Umweltschutz in<br />

der Wirtschaft, erhalten.<br />

Seit dem Jahr 2000 arbeitet Ford an<br />

einer globalen <strong>Wasser</strong>initiative und<br />

konnte seither den Verbrauch um<br />

62,5 Prozent reduzieren. Mehr als 47<br />

Milliarden Liter <strong>Wasser</strong> konnten so<br />

eingespart werden. Ford ist auf dem<br />

besten Weg, das selbstgesteckte Ziel,<br />

die Senkung des <strong>Wasser</strong>verbrauchs<br />

bis 2020 um fast drei Viertel, zu erreichen.<br />

Langfristig soll gar kein Trinkwasser<br />

mehr bei der Fahrzeugproduktion<br />

verwendet werden.<br />

Foto: AUDI AG<br />

„Der Zugang zu sauberem <strong>Wasser</strong> ist<br />

ein grundlegendes Menschenrecht“,<br />

sagte Kim Pittel, Nachhaltigkeitschef<br />

bei der Ford Motor Company. „Wir<br />

wissen, dass wir eine wichtige Rolle<br />

bei der Etablierung von Umweltschutz-Verfahren<br />

spielen, sowohl<br />

hier bei Ford als auch in unserer Lieferkette.“<br />

f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

67


<strong>Wasser</strong><br />

Schlürfrechte<br />

„<strong>Wasser</strong> ist flüssiges Gold", lautet eine<br />

Redensart. Tatsächlich lässt sich mit<br />

kaum einer anderen Ressource so viel<br />

Geld verdienen. Tendenz steigend.<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Es gibt Orte, die jeder von uns<br />

kennt, auch wenn kaum einer<br />

von uns dort war. Die französische<br />

Kleinstadt Vittel ist so<br />

ein Ort. Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

sprach sich die Qualität des <strong>Wasser</strong>s<br />

herum, und Vittel wuchs in der Belle<br />

Époque zu einem mondänen Heilbad-Ort<br />

mit Hotels, Stadtvillen und<br />

Casinos heran. Schon früh basierte<br />

das Geschäftsmodell der örtlichen<br />

Foto: STEVE CUKROV / stock.adobe.com<br />

68 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Kaufleute nicht nur auf <strong>Wasser</strong> für<br />

reiche Kurgäste, sondern in kleine<br />

Mengen abgefüllt sollte es auch<br />

den „gemeinen Bürger“ erfreuen.<br />

1882 wurde die Mineralwassergesellschaft<br />

„Société Générale des Eaux<br />

Minérales de Vittel“ gegründet.<br />

Der Erfolg ist bis heute bahnbrechend<br />

– schon 1898 verkaufte Vittel eine Million<br />

Flaschen <strong>Wasser</strong>. Im Jahr. Auch<br />

heute wird eine Million Flaschen verkauft.<br />

Am Tag. Und genau da beginnt<br />

das Problem: In Vittel werden heute<br />

750 Millionen Liter <strong>Wasser</strong> im Jahr<br />

gepumpt. Das bleibt nicht ohne Folgen:<br />

Der <strong>Wasser</strong>spiegel sinkt jährlich<br />

um 30 Zentimeter. Die Bewohner sollen<br />

deshalb künftig mit Leitungswasser<br />

vom Nachbarort versorgt werden.<br />

Die Nutzung des wertvollen Vittel-<br />

<strong>Wasser</strong>s bleibt dem Eigner der Mineralwassergesellschaft,<br />

und das ist<br />

heute der Nestlé-Konzern, vorbehalten.<br />

Dagegen regt sich Widerstand: „Nestlé<br />

plündert und trocknet uns aus“, heißt<br />

es auf Strohballen am Ortseingang.<br />

Großer, böser Konzern gegen kleine,<br />

schutzlose Gemeinde? Für viele Aktivisten<br />

ist der Fall klar. „Die Ressource<br />

<strong>Wasser</strong> gehört allen“, fordert >><br />

Top 20 der privaten <strong>Wasser</strong>betriebe<br />

Rang Firma Land <strong>Wasser</strong>einnahmen Anzahl der versorgten Personen<br />

1 Suez Frankreich EUR 7.814 Mrd. 148.120.142<br />

2 Veolia Frankreich EUR 11.138 Mrd. 122.000.000<br />

3 Beijing Enterprises Water China HKD 17.354 Mrd. 58.419.728<br />

4 Shanghai Industrial Holdings China HKD 4.667 Mrd. 54.087.042<br />

5 Beijing Origin Water China CNY 8.892 Mrd. 43.557.169<br />

6 Guangdong Investment China HKD 6.532 Mrd. 41.949.387<br />

7 Beijing Capital China CNY 3,76 Mrd. 40.000.000<br />

8 Acciona Agua Spanien EUR 708 Mio. 39.124.116<br />

9 Sabesp Brasilien BRL 14.1 Mrd. 27.800.000<br />

10 VA Tech Wabag Indien INR 32.1 Mrd. 23.300.000<br />

11 FCC (Aqualia) Spanien EUR 1.009 Mrd. 22.500.000<br />

12 Shanghai Chengtou Group China - 21.160.000<br />

13 Shenzhen Water China - 21.047.357<br />

14 Mitsui Japan JPY 120 Mio. 17.050.000<br />

15 BRK Ambiental Brasilien BRL 1.811 Mrd. 17.000.000<br />

16 Andrade Guitierrez Brasilien - 16.000.000<br />

17 Tianjin Capital Environmental China CNY 1.77 Mrd. 15.027.223<br />

18 American Water Works US USD 3.3 Mrd. 15.000.000<br />

19 Thames Water UK GBP 2.06 Mrd. 15.000.000<br />

20 Sound Global China CNY 4.086 Mrd. 13.901.162<br />

Quelle: GWI WaterData; company data<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

69


<strong>Wasser</strong><br />

Weltweit<br />

werden weit<br />

über 100<br />

Milliarden<br />

Liter <strong>Wasser</strong><br />

jährlich in<br />

Plastikflaschen<br />

abgefüllt.<br />

Jean-Francois Fleck vom regionalen<br />

Umweltschutzverband Vosges Nature<br />

Environnement in der Tagesschau.<br />

Der Bürgermeister von Vittel, Frank<br />

Perry, sieht es differenzierter: 900 der<br />

5.000 Einwohner arbeiten für Nestlé.<br />

Ohne die berühmte Quelle wäre Vittel<br />

so bedeutend wie sein Nachbarort<br />

Bulgnéville, nämlich gar nicht.<br />

In Indien boomen <strong>Wasser</strong>automaten<br />

Szenenwechsel: Indien erlebt derzeit<br />

die schlimmste <strong>Wasser</strong>knappheit seiner<br />

Geschichte. Einem aktuellen Bericht<br />

von WaterAid zufolge leiden fast<br />

163 Millionen Inder darunter. Regierungsdaten<br />

belegen, dass die durchschnittliche<br />

jährliche <strong>Wasser</strong>verfügbarkeit<br />

pro Kopf zwischen 2001 und<br />

2050 von 1,8 Millionen Litern auf 1,1<br />

Millionen Litern absinken wird.<br />

Glücklicherweise haben nicht nur die<br />

Regierung, sondern auch indische<br />

Sozialunternehmer die Situation erkannt,<br />

und ihre Start-ups bieten Lösungen<br />

für den zunehmenden Mangel<br />

im Land: Ob nun Swajal Water, Piramal<br />

Sarvajal, AMRIT oder Waah – alle<br />

funktionieren nach dem Prinzip des<br />

Getränkeautomaten. Das <strong>Wasser</strong> hierfür<br />

wird solarbetrieben aufbereitet.<br />

Sozial werden die Geschäftsmodelle<br />

durch die moderaten Preise und begleitende<br />

Hilfsprojekte für Schulen<br />

und Dorfbewohner.<br />

Was rar ist, hat seinen Preis<br />

<strong>Wasser</strong> wird in den nächsten Jahrzehnten<br />

durch Klimawandel und<br />

wachsenden Weltverbrauch zu einem<br />

global knappen Gut werden. Für<br />

Investoren ergeben sich aus diesem<br />

Szenario attraktive Investitionschancen,<br />

konstatiert die Fondsgesellschaft<br />

Pictet nüchtern. Unternehmen, die im<br />

Bereich der <strong>Wasser</strong>versorgung tätig<br />

sind, würden von „überdurchschnittlichen<br />

Wachstumsaussichten“ profitieren.<br />

Das ruft viele Akteure auf den Plan:<br />

<strong>Wasser</strong>fonds bescheren Anlegern<br />

seit Jahren hohe Renditen. Der<br />

Pictet-<strong>Wasser</strong>fonds brachte in den<br />

letzten fünf Jahren über 62 Prozent<br />

Rendite. Der RobecoSAM Sustainable<br />

Water Fund brachte es auf mehr als 66<br />

Prozent. Und Fonds, die sich am Referenzindex<br />

World Water orientieren,<br />

brachten mehr als 80 Prozent Rendite<br />

in fünf Jahren. Davon kann Otto-<br />

Normal- Sparer nur träumen.<br />

Und wie wird mit <strong>Wasser</strong> Geld<br />

verdient?<br />

Erstens mit den Versorgern. Peter<br />

Hermann schreibt in einem Anleger-Blog:<br />

„So ist der Weltmarkt für das<br />

kühle Nass längst unter einigen wenigen<br />

Konzernen aufgeteilt: Neben den<br />

beiden großen französischen Konzernen<br />

Veolia und Suez gehören hierzu<br />

die US-amerikanischen Unternehmen<br />

Xylem und Lindsay.“ Beim Thema<br />

<strong>Wasser</strong> sind die Franzosen stark im<br />

Geschäft: Suez und Veolia beliefern<br />

270 Millionen. Kunden weltweit und<br />

machen damit annähernd 20 Milliarden<br />

Euro Umsatz im Jahr.<br />

In Deutschland, wie in den meisten<br />

Teilen Europas, ist der Trend ein anderer:<br />

<strong>Wasser</strong>versorgungs-Unternehmen<br />

sind in der Regel in kommunaler<br />

Hand. Und das soll nach Verbraucherwunsch<br />

auch so bleiben. Eine<br />

Bürgerinitiative hat das im letzten<br />

Jahr auch auf EU-Ebene durchgesetzt.<br />

Der für den Binnenmarkt zuständige<br />

EU-Kommissar Michel Barnier versprach,<br />

<strong>Wasser</strong> aus allen Privatisierungs-Richtlinien<br />

zu streichen. Zuvor<br />

war es vor allem in Berlin zu heftigen<br />

70 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Protesten gekommen. 1999 hatte der<br />

damalige CDU-Bürgermeister Eberhard<br />

Diepgen die Berliner <strong>Wasser</strong>betriebe<br />

teilprivatisiert. Den neuen<br />

Miteignern RWE, Vivendi (später<br />

Veolia) und Allianz wurden in einem<br />

Konsortialvertrag satte Gewinne versprochen.<br />

Bezahlen durften das die<br />

Verbraucher. „Nach wenigen Jahren<br />

zahlten die Berliner etwa ein Drittel<br />

mehr für ihr <strong>Wasser</strong> als zuvor“,<br />

schreibt Patricia Huber im österreichischen<br />

Magazin Kontrast. Es folgten<br />

jahrelange Proteste und schließlich<br />

2011 ein Volksentscheid mit 98 Prozent<br />

Zustimmung für den Rückkauf.<br />

Das ganz große Geld wird mit<br />

Flaschenwasser gemacht<br />

Der zweite große Gewinnbringer ist<br />

das Geschäft mit abgefülltem <strong>Wasser</strong>:<br />

Weltweit werden weit über 100<br />

Milliarden Liter <strong>Wasser</strong> jährlich in<br />

Plastikflaschen abgefüllt. Vielleicht<br />

20 Prozent von diesen werden später<br />

auch recycelt. Verdienen tun daran<br />

die bekannten großen Marken im Lebensmittelgeschäft:<br />

Nestlé, Danone,<br />

Coca-Cola machen schon den Großteil<br />

des Weltmarktes unter sich aus. Allein<br />

Nestlé erwirtschaftet mit seiner<br />

<strong>Wasser</strong>sparte über sieben Milliarden<br />

Franken Jahresumsatz. In Deutschland<br />

werden Statistiken zufolge etwa<br />

11,5 Milliarden Liter abgefülltes<br />

<strong>Wasser</strong> pro Jahr getrunken. Das entspricht<br />

142 Litern pro Kopf. Damit<br />

ist Deutschland nach Mexiko, Thailand<br />

und Italien weltweit Spitze beim<br />

Verbrauch von abgepacktem <strong>Wasser</strong>.<br />

Davon profitiert auch der Handel: Das<br />

Getränkeliefer-Startup Flaschenpost<br />

aus Münster hat unlängst 20 Millionen<br />

Euro von Investoren eingesammelt.<br />

>><br />

Top Ten der weltweit führenden Mineralwasserunternehmen<br />

pro Umsatz (2015)<br />

Danone<br />

Nestlé<br />

Coca-Cola<br />

PepsiCo<br />

Yangshengtang<br />

Acqua Minerale<br />

Ting Hsin<br />

China Resources Enterprise<br />

Alma<br />

Hangzhou Wahaha<br />

23,4 Billionen Liter<br />

20,1<br />

16,2<br />

8,6<br />

4,4<br />

3,2<br />

3,1<br />

3<br />

3<br />

2,9<br />

Quelle: ATLAS | Daten: Euromonitor<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

71


<strong>Wasser</strong><br />

Die Triodos Bank sieht den Trend kritisch:<br />

„Leitungswasser ist in Deutschland<br />

nahezu flächendeckend ohne<br />

Bedenken konsumierbar, es wird<br />

strenger kontrolliert als abgefülltes<br />

<strong>Wasser</strong> und ist etwa 180 Mal günstiger.<br />

Hinzu kommt, dass abgefülltes<br />

<strong>Wasser</strong> überwiegend in Plastikflaschen<br />

abgepackt wird, oftmals weit<br />

transportiert werden muss und somit<br />

einen verheerenden ökologischen<br />

Fußabdruck hat.“<br />

Digitalisierung liegt auch hier im<br />

Trend<br />

Foto: showcake / stock.adobe.com<br />

<strong>Wasser</strong> kommt aus dem Hahn oder<br />

der Flasche. Das klingt nach altmodischem,<br />

analogem Geschäft. Ist es<br />

aber längst nicht mehr. Digitale <strong>Wasser</strong>technologien<br />

sind der absolute<br />

Megatrend, sagen Experten: Digitale<br />

Lösungen bieten Instrumente zur Verbesserung<br />

der Leistungsfähigkeit der<br />

Infrastruktur der <strong>Wasser</strong>versorgung,<br />

der Effizienz und Effektivität der Infrastrukturreparatur<br />

und der Kapitalinvestitionen.<br />

Die neuen smarten<br />

Systeme nutzen Satellitenbildauswertungen<br />

für die kostengünstige Lecksuche<br />

oder Vorhersagen der Abwasserbedingungen.<br />

Die Anwendungen<br />

beinhalten künstliche Intelligenz zur<br />

Verwaltung von Infrastrukturanlagen<br />

sowie Virtual und Augmented Reality<br />

(AR)-Technologien, um den Mitarbeitern<br />

eine effizientere Reparatur zu<br />

ermöglichen. Ein Unternehmen, das<br />

diese Art von Fähigkeiten anbietet,<br />

ist das japanische Metawater, das die<br />

Instandhaltung von <strong>Wasser</strong>anlagen<br />

mit AR-Technologie von Fujitsu unterstützt.<br />

Der Analyst Will Sarni schreibt über<br />

die vernetzten <strong>Wasser</strong>wege von<br />

morgen: „Versorgungsunternehmen<br />

können auch die Ressourcenverfügbarkeit<br />

durch Satellitenbilder, Daten<br />

72 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

und Analysen des NASA GRACE-<br />

Programms besser verstehen; oder sie<br />

könnten die Hochwasservorhersage<br />

mit Dienstleistungen von Unternehmen<br />

wie Cloud to Street verbessern.<br />

Diese Unternehmen können auch eine<br />

bessere Verbindung zu ihren Kunden<br />

herstellen. Diese Kunden wiederum<br />

haben „Smart Home“-Lösungen, um<br />

ihren <strong>Wasser</strong>verbrauch effizient zu<br />

steuern.“<br />

Absurd: Wer <strong>Wasser</strong> spart, zahlt<br />

mehr<br />

Zuweilen treiben Investitionen aber<br />

auch skurrile Blüten: So ist der <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

pro Kopf in Deutschland<br />

in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken.<br />

1990 betrug er 145 Liter täglich,<br />

heute sind es dagegen nur noch<br />

127 Liter. Besonders drastisch fallen<br />

die Einsparungen übrigens in Ostdeutschland<br />

aus: Geburtenrückgänge,<br />

Abwanderungen und neue Technologien<br />

haben den Pro-Kopf-Verbrauch<br />

seit der Wende von 142 Litern auf 90<br />

Liter reduziert. Eine gute Nachricht?<br />

Jein, denn der sparsame Verbraucher<br />

hat die Rechnung ohne die Politik gemacht:<br />

Diese ging nämlich bis weit<br />

in die 90er Jahre davon aus, dass der<br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch hierzulande steigen<br />

werde und plante entsprechend.<br />

Vor allem in den neuen Bundesländern<br />

entstanden überdimensionierte<br />

<strong>Wasser</strong>werke, Leitungsnetze und<br />

Entsorgungsanlagen, die heute nur<br />

mangelhaft ausgelastet sind. Für den<br />

Verbraucher bedeutet dies höhere<br />

Abgaben, da die Kosten umgelegt werden.<br />

Digitale<br />

<strong>Wasser</strong>technologien<br />

sind der absolute<br />

Megatrend, sagen<br />

Experten.<br />

Auch für die Trinkwasserqualität<br />

wirkt sich Sparsamkeit negativ aus:<br />

Geringere <strong>Wasser</strong>entnahmen führen<br />

in den Leitungsnetzen zu einer langsameren<br />

Fließgeschwindigkeit und<br />

einer längeren Verweildauer des <strong>Wasser</strong>s<br />

in den Leitungen. Folge: Fäkalien<br />

werden nicht schnell genug in die Klärwerke<br />

gespült, und das schadstoffreiche<br />

<strong>Wasser</strong> wiederum greift die Rohre<br />

an. Als Lösung des Problems greifen<br />

viele Gemeinden darauf zurück, dass<br />

sie zusätzliches, sauberes Trinkwasser<br />

in das Kanalnetz pumpen, um so<br />

die Fließgeschwindigkeit künstlich zu<br />

erhöhen. Die Alternative wären neue,<br />

kleinere Rohre, für die aber das Geld<br />

fehlt. f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

73


<strong>Wasser</strong><br />

Vorteile und Nachteile<br />

der Privatisierung<br />

der <strong>Wasser</strong>wirtschaft<br />

Von Tim Starke und Christoph Mengs<br />

Die Aufgabe der Trinkwasserversorgung<br />

betrifft ein existenzielles Grundbedürfnis<br />

und stellt eine Kernaufgabe<br />

der öffentlichen Daseinsvorsorge dar.<br />

Gemäß dem pflichtigen Selbstverwaltungscharakter<br />

der Aufgabe können<br />

Kommunen die Leistungsbereitstellung<br />

selbst übernehmen oder per<br />

Ausschreibungsverfahren auf Dritte<br />

übertragen. Bundesweit sind daher<br />

in vielen Unternehmen heterogene<br />

Gesellschafterstrukturen mit privaten<br />

Minderheitsbeteiligungen zu beobachten,<br />

wobei der Trend zu einer<br />

Dominanz der privatwirtschaftlichen<br />

Leistungserstellung in den letzten Jahren<br />

abgenommen hat. Der Widerstand<br />

gegen Privatisierungen fußt vor allem<br />

auf der Annahme bzw. dem Vorurteil,<br />

dass private Unternehmen eigene Ertragsziele<br />

vor die Versorgungsansprüche<br />

der öffentlichen Hand stellen.<br />

Der Artikel soll zwei konkreten Vorund<br />

Nachteilen der Privatisierung in<br />

der Trinkwasserversorgung nachgehen:<br />

Erstens soll dargelegt werden,<br />

inwiefern sich ein erhöhter Privatisierungsgrad<br />

auf die Höhe des variablen<br />

<strong>Wasser</strong>preises auswirkt. Zweitens<br />

soll auf die Frage der Schonung von<br />

Trinkwasserressourcen eingegangen<br />

werden.<br />

Einfluss der Eigentümerstruktur<br />

auf die variablen Trinkwasserpreise<br />

Mit Bezug auf die mikroökonomische<br />

Theorie ist der deutsche Trinkwassermarkt<br />

als natürliches Monopol<br />

anzusehen, welches hohe Fixkosten<br />

74 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Foto: Sashkin / stock.adobe.com<br />

und geringe produktionsabhängige<br />

Kosten verzeichnet. Damit verbunden<br />

sind zum einen niedrige Grenzkosten<br />

und zum anderen sinkende Durchschnittskosten,<br />

wodurch ein einzelnes<br />

Unternehmen langfristig kostengünstiger<br />

agieren kann als eine Mehrzahl<br />

verschiedener Unternehmen. Zusätzliche<br />

Markteintritte, die – wie im<br />

Falle vollständiger Konkurrenz – den<br />

Wettbewerb fördern würden, entfallen<br />

dadurch. Darüber hinaus ist die<br />

Kostenfunktion in der Regel nur dem<br />

Unternehmen selbst bekannt. Im<br />

Zuge ihrer Gewinnerzielungsabsichten<br />

möchte der natürliche Monopolist<br />

dieses öffentliche Informationsdefizit<br />

nutzen, um höhere Preise anzusetzen,<br />

als zur Kostendeckung überhaupt erforderlich<br />

sind. Durch die stärkere<br />

Einbeziehung von privaten Akteuren<br />

in die Leistungserbringung könnte die<br />

Gewinnerzielungsabsicht zu Lasten<br />

des Bedarfsdeckungsprinzips in den<br />

Vordergrund rücken. Die Folgen sind<br />

Diskrepanzen bei den gemeinwohlund<br />

erwerbswirtschaftlichen Unternehmenszielen.<br />

Würde dies zutreffen, müsste ein signifikanter<br />

Zusammenhang von privaten<br />

Gesellschaftsanteilen und erhobenen<br />

Preisen feststellbar sein. Blickt<br />

man auf die 100 größten deutschen<br />

Städte, so wird ersichtlich, dass sich<br />

im Jahr 2017 47 <strong>Wasser</strong>versorger in<br />

vollständig öffentlicher Hand befanden.<br />

Lediglich zwei Versorger waren<br />

demgegenüber in vollständig privater<br />

Hand. Demzufolge zeigt sich bei 51<br />

Versorgern eine gemischtwirtschaftliche<br />

bzw. teilprivatisierte Struktur. Seit<br />

2009 steigt der Anteil der öffentlichen<br />

Hand an der Eigentümerstruktur. Der<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

75


<strong>Wasser</strong><br />

variable Trinkwasserpreis hat sich in<br />

den vergangenen zehn Jahren – bei<br />

gleichzeitig hoher Varianz zwischen<br />

den Versorgern – nur geringfügig verändert.<br />

Empirischen Untersuchungen<br />

von Starke / Rottmann / Hesse /<br />

Kratzmann / Mengs zufolge sind diese<br />

jedoch nicht auf die Veränderungen<br />

in der Eigentümerstruktur zurückzuführen.<br />

Ganz im Gegenteil hat die<br />

im Zeitraum 2009-2015 beobachtete<br />

Umstrukturierung der <strong>Wasser</strong>versorger<br />

in den 100 größten Städten der<br />

Bundesrepublik Deutschland weder<br />

einen preissenkenden noch einen<br />

preissteigernden Effekt verursacht.<br />

Somit lässt sich keine Überdehnung<br />

der Preissetzungsmöglichkeiten von<br />

gemischtwirtschaftlich organisierten<br />

<strong>Wasser</strong>versorgern feststellen. Ferner<br />

wurde der für natürliche Monopole<br />

exemplarische Fixkostencharakter in<br />

der Trinkwasserversorgung sichtbar,<br />

wodurch deutlich wird, dass eine<br />

reine Preisbetrachtung den Blick<br />

auf eine nachhaltige Lebenszyklusfinanzierung<br />

vernachlässigt. Seit<br />

mehreren Jahren sind die investiven<br />

Ausgaben im Bereich der <strong>Wasser</strong>wirtschaft<br />

rückläufig. Daher ist mittel- bis<br />

langfristig mit einem Wertverzehr<br />

der Netze zu rechnen. Folglich kann<br />

eine alleinige Betrachtung der Trinkwasserpreise<br />

nicht abschließend<br />

beantworten, inwieweit eine privatwirtschaftliche<br />

Leistungserbringung<br />

langfristig die Trinkwasserpreise beeinflusst.<br />

76 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Reduktion von <strong>Wasser</strong>verbrauch<br />

und <strong>Wasser</strong>risiken<br />

Eine effiziente Trinkwasserbereitstellung<br />

bemisst sich neben der<br />

Preissetzung für die Kunden an dem<br />

schonenden Umgang mit den natürlichen<br />

Ressourcen: Die Reduktion des<br />

Verbrauchs sowie von Risiken gilt es<br />

hierbei zu bewerten.<br />

Bevor Trinkwasserversorger zu einer<br />

stärkeren Ressourcenschonung beitragen,<br />

gilt es, den zu verwendenden<br />

Maßstab zu benennen, um den konkreten<br />

Handlungsbedarf zu erfassen:<br />

Die Schonung des allgemeinen <strong>Wasser</strong>dargebots<br />

sowie die Sicherung einer<br />

hohen Trinkwassergüte.<br />

Foto: vladk213 / stock.adobe.com<br />

Zur Ermittlung des optimalen Maßes<br />

der Entnahme aus dem Trinkwasserdargebot<br />

eignet es sich in der<br />

praktischen Anwendung nicht, das<br />

umweltökonomische Konzept an die<br />

Grenzkosten der Schadensvermeidung<br />

gleich dem Grenzschaden zu<br />

setzen, da die genaue Ermittlung der<br />

beiden Maße nicht möglich ist. Somit<br />

ist eine objektive Ermittlung des optimalen<br />

Maßes der <strong>Wasser</strong>entnahme<br />

sowie der <strong>Wasser</strong>güte nicht möglich.<br />

Es bedarf staatlicher Vorgaben in<br />

Form von Ge- und Verboten, die die<br />

Entnahme und Güte der Ressource<br />

<strong>Wasser</strong> klar vorgeben.<br />

Ergänzende Maßnahmen des Trinkwasserversorgers,<br />

um das <strong>Wasser</strong>dargebot<br />

zu schonen, sind darüber<br />

hinaus grundsätzlich denkbar. Einen<br />

ersten Ansatz bilden moralische<br />

Appelle an den Endkunden. Dieser<br />

Ansatz stellt einen Versuch dar, die<br />

Endkunden für das Umweltproblem<br />

zu sensibilisieren und so die Bereitschaft<br />

zu erzeugen, freiwillig den<br />

individuellen <strong>Wasser</strong>verbrauch zu<br />

reduzieren. Ein zweiter Ansatz stellt<br />

die Reduktion der <strong>Wasser</strong>verluste<br />

dar. So konnten die <strong>Wasser</strong>verluste<br />

in Deutschland bereits seit 1990 um<br />

circa 37,9 Prozent reduziert werden.<br />

Durch die Erfassung von Echtzeitdaten<br />

– z.B. im Rahmen von Smart Metering<br />

– können die zeitliche Erfassung<br />

und räumliche Ortung von Leckagen<br />

im Netz sowie von anormalen Verbrauchsmustern<br />

von Endkunden reduziert<br />

werden. Ein dritter Ansatz<br />

kann durch die Veränderung von<br />

Trinkwasserpreisen erfolgen. Üblich<br />

ist eine Unterteilung der Trinkwasserpreise<br />

in einen festen Basis- bzw.<br />

Bereitstellungspreis und einen verbrauchsabhängigen<br />

Mengenpreis.<br />

Um einen stärkeren Preisanreiz zu<br />

schaffen, ist es denkbar, nur noch<br />

einen Mengenpreis auszuweisen.<br />

Dies würde den monetären Anreiz<br />

erhöhen, den eigenen Trinkwasserverbrauch<br />

zu reduzieren. Allerdings<br />

widerspricht dies dem Verursacherprinzip,<br />

nachdem Kosten, die klar einem<br />

Verursacher angelastet werden<br />

können, auch von diesem zu tragen<br />

sind.<br />

Alle Ansätze einer Verbrauchsreduktion,<br />

die zu einem schonenderen Umgang<br />

mit dem <strong>Wasser</strong>dargebot führen,<br />

sind mit dem ursächlich technischen<br />

Problem der Kostenremanenz belastet,<br />

welches in der <strong>Wasser</strong>wirtschaft<br />

aufgrund des hohen Fixkostenanteils<br />

unvermeidlich scheint. Folglich bestehen<br />

sowohl in einem öffentlich als<br />

auch einem privatwirtschaftlich organisierten<br />

Unternehmen nur bedingt<br />

Anreize zu einer erheblichen Reduktion<br />

des Trinkwasserverbrauchs. Dies<br />

lässt sich nur durchbrechen, wenn<br />

mit Blick auf den langen Lebenszyklus<br />

der Infrastruktur, welche einen<br />

maßgeblichen Einfluss auf die hohen<br />

Fixkosten verzeichnet, Anpassungen<br />

des Gesamtverbrauchs mit notwendigen<br />

Investitionen oder anstehenden<br />

Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnamen<br />

einhergehen.<br />

Eine Reduktion des generellen <strong>Wasser</strong>verbrauchs<br />

lässt darüber hinaus<br />

nicht zwangsläufig die variablen<br />

Trinkwasserpreise sinken, da der<br />

hohe Fixkostenanteil sowie Kostenremanenzen<br />

dies konterkarieren. Nur<br />

ein zeitgleich erfolgender Netzumbau<br />

kann die variablen Trinkwasserpreise<br />

reduzieren. Hierbei scheint eine klare<br />

Einordnung der Organisationsstruktur<br />

mehr als schwierig. Jedoch lässt<br />

sich konstatieren: Ausschlaggebend<br />

sind die jeweiligen Ziele.<br />

Ausblickend erscheint die Frage<br />

spannend, inwieweit die Betrachtung<br />

des Preises und der Ressourcenschonung<br />

in Bezug auf weitere Bereiche<br />

der Siedlungswasserwirtschaft übertragbar<br />

sind, in denen z.T. ebenfalls<br />

privatwirtschaftliche und öffentliche<br />

Organisationsformen die öffentliche<br />

Daseinsvorsorge erbringen. f<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

77


<strong>Wasser</strong><br />

Deutschland hat genug<br />

Trinkwasser für alle<br />

– noch!<br />

Aus<br />

Deutschland<br />

kamen im Sommer die<br />

Nachrichten, die lange Zeit nur aus<br />

südlichen Gefilden bekannt waren. Nahezu in der<br />

gesamten Nordhälfte waren laut „Dürremonitor“ des<br />

Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung die Böden in einer Tiefe von<br />

bis zu 1,80 Meter extrem ausgetrocknet.<br />

Von Ulrich Klose<br />

78 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Der „Water Risk Atlas“ stellt<br />

wiederum fest, dass in einem<br />

Streifen von Niedersachsen<br />

über Hessen<br />

bis Baden-Württemberg<br />

und Nordbayern<br />

binnen eines<br />

Jahres zwischen<br />

40 bis 80 Prozent<br />

der vorhandenen<br />

Süßwasserressourcen<br />

entnommen<br />

wurden.<br />

Eigentlich<br />

liegt dieser<br />

Wert hierzulande<br />

bei etwas<br />

über zehn Prozent.<br />

Foto: MARION STEPHAN PHOTOGRAPHIE / stock.adobe.com<br />

In vielen Regionen<br />

war es den<br />

Bürgern auch diesen<br />

Sommer wieder<br />

verboten, die Gärten<br />

zu wässern sowie Swimming<br />

Pools aufzufüllen.<br />

Droht in Deutschland also<br />

<strong>Wasser</strong>knappheit? Ist gar die<br />

Trinkwasserversorgung in Gefahr?<br />

Der Bundesverband der Energie- und<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaft (BDEW) sagt ganz<br />

klar: Nein! „Zurzeit kann von einem<br />

Engpass bei der öffentlichen Trinkwasserversorgung<br />

in Deutschland<br />

keine Rede sein.“ Die öffentliche<br />

<strong>Wasser</strong>versorgung beansprucht nämlich<br />

nur 2,7 Prozent der verfügbaren<br />

<strong>Wasser</strong>ressourcen, weiß das Umweltbundesamt.<br />

Zudem haben Privatverbraucher<br />

und Industrie ihren<br />

<strong>Wasser</strong>verbrauch in den vergangenen<br />

25 Jahren deutlich reduziert.<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de<br />

79


<strong>Wasser</strong><br />

Selbst bei vollen Speichern kann<br />

<strong>Wasser</strong> knapp werden<br />

„Wenn es in einigen Orten Einschränkungen<br />

zum Beispiel bei der Gartenbewässerung<br />

gibt, so ist das in der<br />

Regel auf technische oder hydraulische<br />

Gegebenheiten zurückzuführen“,<br />

stellt BDEW-Hauptgeschäftsführer<br />

Martin Weyand klar. Wenn viele<br />

Verbraucher gleichzeitig den <strong>Wasser</strong>hahn<br />

aufdrehen, erklärt Fred Carl<br />

vom Trinkwasserverband Stader Land<br />

der Zeitschrift „Kommunal“, sinkt die<br />

Fließgeschwindigkeit in den Versorgungsleitungen.<br />

Obwohl die <strong>Wasser</strong>speicher<br />

eigentlich noch gut gefüllt<br />

sind, tröpfelt es dann nur noch aus<br />

dem Hahn.<br />

Trotzdem warnt das Umweltbundesamt:<br />

„Weitere aufeinander folgende<br />

trockene Sommer mit zusätzlich wenig<br />

Niederschlag im Winter hätten<br />

in jedem Fall negative Auswirkungen<br />

auf die <strong>Wasser</strong>verfügbarkeit.“ Zumal<br />

mit der Landwirtschaft ein großer<br />

Verbraucher hinzukommen würde.<br />

Aktuell werden nämlich nur 2,7 Prozent<br />

der landwirtschaftlich genutzten<br />

Flächen bewässert. Dafür werden<br />

gerade mal 0,2 Prozent der öffentlich<br />

bereitgestellten Trinkwassermenge<br />

genutzt.<br />

Ausgeklügeltes System gerät<br />

durcheinander<br />

Stiege der <strong>Wasser</strong>bedarf dauerhaft<br />

an, geriete ein ausgeklügeltes System<br />

durcheinander. In Deutschland<br />

sind die Kommunen dafür zuständig,<br />

dass immer ausreichend Trinkwasser<br />

durch die Leitungen fließt – Fachleute<br />

sprechen vom „<strong>Wasser</strong>dargebot“.<br />

Städte, Gemeinden und Kreise übertragen<br />

die <strong>Wasser</strong>versorgung üblicherweise<br />

an Eigenbetriebe, Zweckverbände,<br />

Privatunternehmen oder<br />

andere Organisationen.<br />

14.418 <strong>Wasser</strong>versorgungsunternehmen<br />

zählte das Statistische Bundesamt<br />

2016 in der Bundesrepublik. Sie<br />

müssen sich die <strong>Wasser</strong>entnahmen<br />

auf Basis des <strong>Wasser</strong>haushaltsgesetzes<br />

und der Landeswassergesetze<br />

durch die Aufsichtsbehörden – meist<br />

die Bezirksregierungen – genehmigen<br />

lassen.<br />

Damit es nicht zu <strong>Wasser</strong>krisen<br />

kommt, in denen die Kommunen<br />

beispielsweise die Gartenbewässerung<br />

verbieten müssen, erstellen die<br />

<strong>Wasser</strong>versorger langfristige Versorgungskonzepte.<br />

Dabei gilt der Grundsatz,<br />

dass nur soviel <strong>Wasser</strong> entnommen<br />

werden darf, wie innerhalb eines<br />

bestimmten Zeitraums wieder neu<br />

gebildet wird, erläutert Kirsten Arp,<br />

Geschäftsführerin der Allianz der öffentlichen<br />

<strong>Wasser</strong>wirtschaft (AöW).<br />

Vorrang habe immer die Versorgung<br />

der Privathaushalte.<br />

Was passiert, wenn diese Konzepte<br />

ins Wanken geraten, erlebten<br />

dieses Jahr Landwirte im<br />

niedersächsischen Peine.<br />

Der dortige „Beregnungsverband“<br />

hat<br />

allen Bauern ein<br />

individuelles, auf<br />

15 Jahre angelegtes Kontingent an<br />

Grundwasser zugebilligt, das sie für<br />

die Bewässerung ihrer Felder nutzen<br />

dürfen. Nun haben die ersten Betriebe<br />

die ihnen zustehenden Mengen<br />

bereits verbraucht und müssen ihre<br />

Pflanzen vertrocknen lassen, berichtet<br />

das ARD-Magazin „Report München“.<br />

Trinkwasser ist das höchste Gut<br />

„Ohne Sicherstellung, dass Trinkwasser<br />

als höchstes Gut geschützt<br />

ist, können wir nicht zulassen, dass<br />

weitere Grundwassermengen, zum<br />

Beispiel für das Thema Beregnung,<br />

entnommen werden“, wirbt Niedersachsens<br />

Umweltminister Olaf Lies<br />

gegenüber der ARD um Verständnis<br />

für die Maßnahmen in Peine. Karsten<br />

Specht, Vizepräsident des Verbands<br />

der kommunalen Unternehmen<br />

(VKU), regte in einem Medienbericht<br />

an, dass sich Landwirte zukünftig verstärkt<br />

auf Brauchwasseraufbereitung<br />

konzentrieren sollten.<br />

80 Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

Selbst in grundsätzlich wasserreichen<br />

Regionen kommt es mittlerweile<br />

zu nicht für möglich gehaltenen<br />

Auseinandersetzungen. Weitgehend<br />

konfliktfrei gestaltete sich beispielsweise<br />

über mehr als ein Jahrhundert<br />

hinweg das Verhältnis Münchens<br />

zum benachbarten Mangfalltal. Seit<br />

1880 bezieht die bayerische Metropole<br />

etwa 80 Prozent ihres Trinkwassers<br />

von dort. Nun möchte sich die<br />

Isarstadt in der Region nördlich von<br />

Miesbach eine zusätzliche, 900 Hektar<br />

große Schutzzone für ihr dortiges<br />

<strong>Wasser</strong>schutzgebiet sichern. Dagegen<br />

protestieren aber die ortsansässigen<br />

Bauern, die dann einige Felder nicht<br />

mehr nutzen könnten und mit den<br />

angebotenen Ausgleichsflächen nicht<br />

einverstanden sind.<br />

gesellschaftliche Diskussion über die<br />

gerechte Verteilung des <strong>Wasser</strong>s bevorsteht,<br />

wie sie das Umweltbundesamt<br />

anregt. f<br />

„Das ist ein neuartiger Konflikt, den<br />

wir bisher in der Form noch gar nicht<br />

kannten“, bewertet Dr. Karsten Rinke<br />

vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung<br />

gegenüber der ARD derartige<br />

Auseinandersetzungen. Vieles<br />

spricht dafür, dass Deutschland eine<br />

Foto: Mopic / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 12 | November 2019 | Umweltdialog.de


<strong>Wasser</strong><br />

guter<br />

Letzt<br />

Zu<br />

Grafik: strichfiguren.de / stock.adobe.com<br />

<strong>Wasser</strong> wird<br />

großzügiger geteilt als<br />

Geld<br />

Wer durstig ist, teilt <strong>Wasser</strong> eher als Geld. Zu diesem<br />

Ergebnis kommen Forscher der Alpen-Adria-Universität<br />

Klagenfurt in ihrer aktuellen wissenschaftlichen<br />

Erhebung. Es wurde untersucht, wie knappe, dringend<br />

benötigte Ressourcen geteilt werden. Dazu wurden 84<br />

Studienteilnehmer mittels einer intensiven Sporteinheit<br />

auf einem Fahrrad-Ergometer durstig gemacht. Dann<br />

wurde deren Bereitschaft gemessen, sowohl eine limitierte<br />

Menge <strong>Wasser</strong> als auch Geld mit einer anonymen<br />

fremden Person zu teilen.<br />

Das vielfach verwendete Diktatorspiel, ein simples experimentelles<br />

Teilungsszenario aus der experimentellen<br />

Ökonomie, diente den Wissenschaftlern bei ihrer Experimentieranordnung<br />

als Vorlage für das Experiment.<br />

Unterschieden wurde dabei zwischen Teilnehmern, die<br />

jeweils <strong>Wasser</strong>- beziehungsweise Geldmengen durch<br />

das Radfahren „verdient“ hatten und jenen, denen beide<br />

Güter beliebig zugewiesen wurden.<br />

Das Ergebnis: <strong>Wasser</strong> wird großzügiger geteilt als Geld.<br />

Sogar jene, die das Gefühl hatten, ihre kleine <strong>Wasser</strong>menge<br />

durch intensives Radeln „verdient“ zu haben, waren<br />

bereit, die Hälfte oder mehr als die Hälfte abzugeben.<br />

Im Gegensatz dazu gaben sie viel weniger Geld ab. „Vermutlich<br />

fiel es unseren Teilnehmern leichter, sich in Bedürfnisse<br />

anderer, wie deren Durst, einzufühlen, wenn<br />

sie diese selbst verspürten. Geld hingegen lässt sich in<br />

unterschiedlichster Weise verwenden, so dass es schwerer<br />

sein könnte, Empathie zu entwickeln. Empathie wiederum<br />

könnte das altruistische Verhalten begünstigen“,<br />

sagt Forscherin Astrid Kause. f<br />

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Lektorat:<br />

Marion Lenzen, Bettina Althaus<br />

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die Verschmutzung der Meere. Schließlich bieten sie Nahrung für zwei Milliarden Menschen und sind von<br />

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