ZAP-2019-22
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Rechtsprechung Fach 19 R, Seite 515<br />
Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />
III.<br />
Bau- und Immissionsrecht<br />
1. Nachbarschutz im faktischen Dorfgebiet<br />
Das BVerwG hat die Frage zu beantworten gehabt, ob bei der Prüfung nach § 34 Abs. 2 BauGB die<br />
Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete nach der Baunutzungsverordnung entspricht<br />
und ein bereits verwirklichtes Vorhaben nicht zu berücksichtigen ist, das selbst Gegenstand der bauplanungsrechtlichen<br />
Beurteilung ist. Ausgangspunkt ist die Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung<br />
für die Erweiterung eines Fuhrunternehmens. Ursprünglich war eine Baugenehmigung für die<br />
Errichtung einer Garage für zwei Lastkraftwagen (Lkw) erteilt worden, der Betrieb wurde in den Folgejahren<br />
ausgebaut, das Unternehmen verfügte über zehn Lkw, jeweils zwei wurden auf dem Betriebsgrundstück<br />
abgestellt, nunmehr wurde eine Baugenehmigung für den Umbau des Firmengeländes und<br />
den Neubau einer Lager- und Logistikhalle als Zwischenlager beantragt.<br />
Nach dem Urteil des BVerwG vom 6.6.<strong>2019</strong> (4 C 10.18) ist ein bereits verwirklichtes Vorhaben nicht zu<br />
berücksichtigen, das selbst Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung ist. Der Wortlaut des<br />
§ 34 Abs. 1 und 2 BauGB unterscheide zwischen dem Vorhaben und der näheren Umgebung. Das<br />
Vorhaben sei nicht Teil seiner näheren Umgebung, sondern müsse sich in diese einfügen. Ungenehmigte<br />
Anlagen und Nutzungen mögen daher zwar für andere Vorhaben Teil der näheren Umgebung sein, sie<br />
seien aber selbst nicht zugleich Vorhaben und Umgebung. Bei der Ermittlung des Gebietscharakters sei<br />
ein Bauvorhaben daher unbeachtlich, das als Gegenstand der Prüfung nicht zugleich Prüfungsmaßstab<br />
sein könne.<br />
2. Zulässigkeit einer Schank- und Speisewirtschaft im allgemeinen Wohngebiet<br />
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Genehmigung des Umbaus und die Restaurierung einer Schankund<br />
Speisewirtschaft. Die Genehmigung erlaubt im Erdgeschoss eine Gaststätte im Brauhaus-Stil mit<br />
insgesamt 74 Plätzen in einer „Schwemme“ und einem Vereinszimmer, in dem mit einem Durchgang<br />
verbundenen Gebäude (…) ein Speiselokal mit 246 Sitzplätzen ist.<br />
Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO sind im allgemeinen Wohngebiet die der Versorgung des Gebiets<br />
dienenden Schank- und Speisewirtschaften zulässig. Eine Schank- und Speisewirtschaft dient der<br />
Versorgung des Gebiets, wenn sie sich dem allgemeinen Wohngebiet, in dem sie liegt, funktional<br />
zuordnen lässt (BVerwG Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 7 S. 6). Die Schank- und Speisewirtschaft<br />
muss auf die Deckung eines gastronomischen Bedarfs ausgerichtet sein, der in dem so abgegrenzten<br />
Gebiet und nach den dortigen demographischen und sozialen Gegebenheiten tatsächlich zu erwarten<br />
ist (BVerwG Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 13 S. 10 ff.). Dabei können auch regionale Unterschiede<br />
von Bedeutung sein (BVerwG Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 14 S. 16). Ist die Schank- und<br />
Speisewirtschaft auf gebietsfremde Gäste ausgerichtet, so ist sie in einem allgemeinen Wohngebiet<br />
gebietsunverträglich und damit unzulässig (so BVerwG Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 13 S. 10). Das<br />
Erfordernis der Gebietsversorgung verhindert so, dass Unruhe in das allgemeine Wohngebiet hineingetragen<br />
wird.<br />
Das BVerwG stellt in seinem Urt. v. 20.3.<strong>2019</strong> (4 C 5.18, BauR <strong>2019</strong>, 1283 ff. = NWVBl <strong>2019</strong>, 320 f. = ZfBR<br />
<strong>2019</strong>, 577 ff.) heraus, dass das Tatbestandsmerkmal der Gebietsversorgung nicht nur Störungen abwehre,<br />
sondern zugleich zum Zweck eines allgemeinen Wohngebiets beitrage. Ein solches Gebiet<br />
diene nach § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Die Nutzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3<br />
BauNVO seien der Wohnnutzung zugeordnet, damit im Wohngebiet selbst eine Versorgungsinfrastruktur<br />
bereitgestellt werden könne, mit der sich die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen<br />
lasse. Zu diesen Grundbedürfnissen gehöre die Möglichkeit, in fußläufiger Entfernung eine Schankoder<br />
Speisewirtschaft aufzusuchen. Die Zulassung von gebietsversorgenden Schank- und Speisewirtschaften<br />
in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO diene damit dem in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB formulierten<br />
Grundsatz, dass die Bauleitplanung den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung entsprechen solle. Sie<br />
greife darüber hinaus den in § 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchst. a BauGB genannten Gesichtspunkt der verbrauchernahen<br />
Versorgung der Bevölkerung auf.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>22</strong> 20.11.<strong>2019</strong> 1195